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Tencendora

Buch 1 - Iry
von

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Ichtar - Der Ort der Ankunft

Nun größtenteils überarbeitet geht Tencendora wirklich an den Start. Das erste Kapitel ist nun vollständig und ich hoffe, ihr habt viel Vergnügen damit:
 

Ichtar – Der Ort der Ankunft
 

Langsam schritt ich den langen, dunklen Gang entlang. Meine leisen Schritte hallten laut an den schwarzen Backsteinwänden wider und ließen den ohnehin düsteren Gang noch unheimlicher wirken. Doch ich hatte mich schon daran gewöhnt, lebte ich doch nun schon seit mehr als einem Jahr an diesem Ort, an dem man niemals die Sonne sah und alle Räume und Hallen nur mit wenig Licht erleutet waren.
 

Mein Ziel war eine dunkle Kammer, der tiefste Ort dieses ganzen Gebäudes, das einem schwarzen Turm glich. Der Name dieser Kammer war Ichtar, der Ort der Ankunft.

Dort sollte ich eine Aufgabe erledigen, die mir erst vor wenigen Minuten verkündet worden war. Ich seufzte leise, nicht so laut, dass man mich gehört hätte, denn dies durfte man sich hier nicht erlauben. Hier verhielt man sich am Besten unauffällig, willig und gehorsam. Man beschwerte sich niemals und stellte niemals die Forderungen und Entscheidungen, mit denen man konfrontiert wurde, infrage.
 

Eine weitere, enge Wendeltreppe ging es hinunter, das spärliche Licht verlosch immer mehr und schließlich konnte ich nur noch aufgrund der rot brennenden Fackel in meiner Hand etwas erkennen. Nun war ich froh, dass ich sie mitgenommen hatte. Nur schwach hatte ich mich an die Dunkelheit hier unten erinnert, war ich doch seit meiner Ankunft nicht mehr hier gewesen.

Auch wurde es nun kälter. Normalerweise war es hier warm, eher heiß, doch hier, weit enfernt vom Zentrum und der Oberfläche, konnte die Wärme des Feuers die Luft nicht mehr erhitzen. Dieser Bereich war abgeschnitten vom übrigen Gebäude, versiegelt durch Bannkreise.
 

Mir fröstelte, ich zog mein dünnes Gewand enger um mich und hielt die Fackel näher an mein Gesicht, vorsichtig darauf achtend, dass sie mir nicht meine silbernen Haare ansengte.

Diese Treppe war schier endlos. Meine Beine schmerzten bereits und ich dachte gerade, dass ich niemals unten ankommen würde, als ich eine schwarze Öffnung im Boden erkannte.

Hier war es, ich erinnerte mich genau daran.
 

Ich betrachtete kurz skeptisch das Loch im Boden, dann trat ich einen Schritt nach vorne und ließ mich hindurch fallen. Mit wehenden Haaren und Kleidern rauschte ich rasend schnell durch die Luft. Panik und Furcht vor dem Aufprall machten sich in meinem Herzen breit, obwohl ich wusste, dass mir aufgrund der den Fall dämpfenden Bannkreise nichts geschehen konnte. Tatsächlich, kurz danach schlugen meine Füße auf hartem Steinboden auf, knickten unter dem Gewicht meiens Körpers weg und ich kam auf Knien und Handflächen auf, ohne mich schwerer zu verletzen.
 

Kurz sog ich aufatmend und erleichtert die Luft ein, da trotz allem ein scharfer Schmerz durch meine Knöchel gefahren war.

Doch da ich in letzter Zeit gelernt hatte, ja hatte lernen müssen, Schmerzen zu ertragen und deren Auswirkung zu unterdrücken, konnte ich bald aufstehen und bedauerte beinahe sofort, dass meine Fackel, aufgrund des starken Fallwindes erloschen, nun nicht mehr brannte. Ich hätte die Wärme und das Licht gut gebrauchen können. Hier unten war es stockfinster, noch dunkler als ich es in Erinnerung hatte. Denn damals, so kam es mir plötzlich in den Sinn, hatten hier zwei Fackeln Licht gespendet.
 

Wieder seufzte ich leise. Dann musste ich den Weg wohl ohne Licht fortsetzen. Und ich musste mich beeilen, ich hatte auf dem Weg hierher bereits zu viel Zeit verloren.

Mich so schnell wie möglich an der rechten Wand vorrantastend, ging ich den Gang, der sich mir eröffnete, entlang.
 

Lange Zeit setzte ich meinen Weg in völliger Finsternis fort, nur von meinen eigenen Gedanken und meiner eigenen Furcht von den Tiefen dieses Ortes begleitet. Stille lastete auf diesen Mauern, die Stille der Toten und Verdammten, durchfuhr es meinen Kopf. Schnell versuchte ich, diesen Gedanken zu vertreiben und nicht daran zu denken, was links und rechts von dem Gang, durch den ich ging, lag. Denn dort befanden sich Zellen, Kerker, Gruben, in die Gefangene und Verräter geworfen wurden, die sich eines Vergehens oder auch nur eines falschen Blickes gegen die Obrigkeit schuldig gemacht hatten. Sie wurden dort gemartert, so grausam, dass ihre Schreie selbst bis hinauf in die Türme klangen.
 

~~~*********~~~
 

Etwa fünfhundert Atemzüge lang führte mich der Gang tief in die unterirdischen Katakomben des Turmes hinunter, bis ich auf etwas Festes vor mir stieß. Ich streckte vorsichtig die Hand nach vorne aus und tastete den Gegenstand ab. Es war eine Tür, DIE Tür, um genau zu sein.

Dies war dieselbe schwere Eichentür, durch die ich gekommen war. Ich war also an meinem Ziel angelangt.
 

Entschlossen pochte ich und sofort wurde mit schnellen und gezielten Bewegungen geöffnet. Knarzend und knarrend schwang das Portal zur Seite und ich starrte direkt in die spärlich erleuchtete Wolfsschnauze der Wache. Das lange, zottelige, braune Fell starrte vor Dreck, Staub und verwesenden Fleischresten. Die Kreatur war mehr als zwei Meter hoch, hühnenhaft gebaut und wirkte in ihrer leicht gebückten, launernden Haltung äußerst bedrohlich.

Die witternd nach hinten gezogenen Lefzen der Schnauze verstärkten diese Wirkung nur noch. Der muskulöse, aufrechte Wolfskörper, der in einer metallenen Rüstung steckte, nahm beinahe den ganzen Raum der Türöffnung ein. Jeder normale Mensch wäre bei diesem Anblick zusammengeschreckt oder hätte gar schreiend das Weite gesucht, doch ich war an diese Wesen gewöhnt.
 

Das Tiergesicht verenge sich zu einer wütenden Fratze und ein lautes Knurren entwich seiner fellbedeckten Kehle. Seine menschlich aussehende, doch von Fell bedeckte Hand, die sich um eine hell leuchtende Fackel schloss, endete in langen, hellgrauen, geschärften Krallen, die gefählrlich blitzten.

Ich schluckte meine Nervosität und meine Aufregung hinunter, und sprach dann mit fester Stimme: „Lasst mich passieren. Meister Belial gab mir den Befehl, mich bei Meister Smyrdo zu melden und dort meinen Auftrag entgegen zu nehmen!“

Der Wolfsmensch knurrte erneut, dann musterte er mich prüfend mit seinen verengten, bernsteinfarbenen Augen. Dann trat er einen Schritt zur Seite, sodass ich gerade genug Platz hatte, um an ihm vorbeigehen zu können. Dies tat ich auch, rasch, ohne ihn weiter zu beachten.
 

Tiermenschen wie diese Wolfskreatur befanden sich am auf dem niedrigsten Platz der Hierarchie dieses Ortes, ebenso wie ich. Ich verspürte zwar Mitleid mit diesem Wesen, das in seinem ganzen Leben nichts anderes tun würde, als diese Tür zu bewachen, hatte es doch schon hier gestanden, als ich angekommen war, doch ich wusste, dass ich nichts für den Wolfsmenschen tun konnte. Außerdem waren diese Kreaturen von einer solch verabscheuungswürdigen Bosheit, dass ich mir nicht einmal sicher war, dass ich ihm helfen würde, selbst wenn ich es vermocht hätte.
 

Nun, da ich das äußere Portal von Ichtar passiert hatte, erhellten einige Lichter den Gang, durch den ich nun ging. Ich konnte nicht anders und löste eine der Fackeln aus ihrer Halterung an der Wald, warum,w usste ich nicht, wahrscheinlich brauchte ich einfach nur etwas, an das ich mich klammern konnte. Die Tierwesen hier unten würden die Fackel nicht vermissen, sie konnten auch in vollkommener Dunkelheit hervorragend sehen. Rasch erreichte ich eine weitere Tür, diesmal eine aus dunkelbraunem, beinahe schwarzem Holz, massiv und schwer. Ich zog an dem eisernen Riegel und nachdem ich die Tür unter Aufbietung all meiner Kräfte aufgezogen ahtte, kam ich in einen großen Raum, in dessen Mitte sich ein Pentagramm befand, umgeben von auf Ständern befestigten Ölbecken. Sofort wurde ich mit einem prüfenden Blick bedacht, der von einer menschlich aussehenden Gestalt in einem langen Kapuzenmantel kam. Ich erkannte die kleinen, grünen, intelligent wirkenden Augen des Mannes. Sie waren das erste gewesen, das ich gesehen hatte, als man mich hierher gebracht hatte.
 

„Seid gegrüßt, Meister Smyrdo!“, begrüßte ich ihn mit einer tiefen Verbeugung. „Mir wurde von Meister Belial befohlen, hierher zu kommen. Er berichtete, Ihr würdet den Neuankömmling in meine Obhut geben.“

Ein knappes Nicken war die Antwort.

Die Gestalt Meister Smyrdos war gebückt, wie von Alter, obwohl er eigentlich wie alle anderen hier alterslos war. Tiefe Falten durchzogen sein gezeichnetes Gesicht, das immer einen bitteren, beinahe traurigen Ausdruck zu zeigen schien.
 

Nachdem er den Grund meines Hierseins erfahren hatte, wandte sich Meister Smyrdo sofort von mir ab und richtete seinen Blick auf das Pentagramm, dessen Linien, die ich bisher für schwarz gehalten hatte, hellblau aufleuchteten und den ganzen, düsterne, tiefen Raum in ein unheimliches, doch ungewohnt helles Licht tauchten. Der Meister kniete sich auf den Boden und fuhr mit seinem Finger einige der Linien nach, woraufhin sich verschlungene Muster aus bläulichem Licht auf dem Boden auszubreiten begangen, die den Ritualkreis vervollständigten. Dabei bewegte er unaufhörlich lautlos seine Lippen.
 

Mir klopfte das Herz bis zum Halse, auch wenn ich meine gefasste Haltung nicht bröckeln ließ. Ein Neuer sollte heute ankommen und mir war die Aufgabe zuteil geworden, ihn abzuholen und zu begleiten. Noch niemals hatte ich eine solch große Aufgabe erhalten, war sie doch bisher immer den Älteren und Erfahreneren aus meinem Stand vorbehalten gewesen. Doch gleichzeitig war ich traurig, bedauerte den Menschen, der sich jetzt wieder in den Fängen der Schatten befand und sein Leben ohne Sonne und Glück fristen musste. Doch weder ich noch die Anderen konnten etwas dagegen unternehmen, dass immer Weitere unser Schicksal teilen mussten.
 

Das Licht, das von den sich vervielfältigenden, immer weiter ausbreitenden Linien ausging, wurde langsam unerträglich hell und als ich gerade die Augen schließen wollte, um mich vor dem Blenden zu schützen, hob Meister Smyrdo seinen schlichten, weißen Stab, an dessen Spitze sich in einem verschlungenen Holzmuster ein hellgrüner Stein befand. Mit einem Ruck stieß er die Unterseite des Stabes in eine Vertiefung des obersten Zackens des Pentagramms. Aus den Ölbecken rund um den Bannkreis schossen plötzlich bläulich zuckende Flammen, die das Licht, das ohnehin schon beinahe unerträglich hell leutete, noch weiter intensivierten. Ich hielt der Blendung nicht mehr stand und verdeckte meine Augen, konnte so nicht weiter beobachten, was geschah.
 

Doch ebenso schnell wie alles angefangen hatte, war es beendet. Das magische Licht verlosch, die Flammen in den Ölbecken gingen zurück, bis sie schließlich leise zischend ausgingen und wieder war der Raum nur durch die gleichmäßig leuchtenden Fackeln an den Wänden erhellt, erschien mir nun beinahe so dunkel, dass ich kaum etwas erkennen konnte.

In diesem Moment wusste ich, dass die Lichter sich erst wieder entflammen würden, wenn erneut ein Neuankömmling hierher gerufen wurde.
 

Und nun, nachdem sich meine Augen wieder an normales Licht gewöhnt hatten, konnte ich die Gestalt erkennen, die zusammengekauert in der Mitte des Ritualkreises saß, die Arme um den Körper geschlungen, wie ein Versuch, sich zu schützen, der jedoch, wie ich wusste, nichts als vergeblich sein konnte.
 

~~~*********~~~
 

Gekleidet war er in einen braunen Pullover und blaue Jeans, Kleidung, die aihn an diesem Ort fremd wirken ließen. Wie lange es her war, dass ich auch solche normale Kleidung geragen hatte?

Als er sich aufrichtete und sich unsicher und verwirrt umsah, erkannte ich, dass seine braunen Haare jugendlich kurz geschnitten waren und seine dunkelblauen Augen trotz des Entsetzens klar und frisch blieben.

Seine Arme überzog ein leichtes Zittern, als er leicht taumelnd aufstand und Meister Smyrdo unsicher anblickte, genau so wie ich es damals getan hatte.

„Wo bin ich hier? Wie bin ich hierher gekommen und wer bist du?“
 

Genau dieselben Fragen wie ich sie damals gestellt hatte, doch ich wusste, dass Meister Smyrdo nicht darauf antworten würde. Er war stumm, seit man ihm vor vielen Jahren aufgrund eines Verbrechens, das er angeblich gar nicht begangen hatte, die Zunge herausgeschnitten hatte.

Nun trat ich vor, in diese bekannte, beinahe heimelig anmutende Szene, und blickte den Jungen etwas traurig, doch auch so aufmunternd wie möglich an. Meine Kehle war wie zugeschnürt, doch brachte ich dennoch einige Worte heraus. Es waren, wenn ich mich recht entsann, dieselben, die ich damals bei meiner Ankunft vernommen hatte: „Der Ursprung der Flammen, das Zentrum der Finsternis, die Festung von Tencendora heißt dich willkommen, Kind der Erde. Mein Name ist Iry und ich werde von heute an dein Mentor sein. Verlasse nun den Bannkreis!“
 

Bei meinen Worten richteten sich die Augen des Jungen sofort auf mich und noch wie benebelt von dem Gefühl des Teleports taumelte er einige Schritte auf mich zu. Wie ich erkennen konnte, war er etwa einen halben Kopf kleiner als ich und etwa zwei Jahre jünger. Ich schätzte ihn auf fünfzehn Menschenjahre. Es war ein Jammer, zuzusehen, wie jung die Neuen waren. Ich seufzte unhörbar und ohne, dass sich an meiner Miene etwas veränderte.
 

Mit einem letzten Blick zu Meister Smyrdo verließ der Junge den verglühenden Ritualkreis und tat seinen ersten Schritt in die Schatten. Nun war er wirklich für immer hier gefangen.

„Aber... wo bin ich hier?“

Ich lächelte traurig: „Das wirst du noch sehen. Jetzt komm und lass uns diesen kalten, unwirtlichen Ort verlassen.“

Doch eine Bewegung aus der Richtung Meister Smyrdos erinnerte mich an etwas, das ich vergessen hatte: „Aber zuerst nenne mir deinen Namen!“

„Mein Name?“; fragte er perplex und ich konnte in seinem Gesicht erkennen, dass er seine anfängliche Verwirrung langsam ablegte und ein wenig wütend und gereizt wurde.

„So ist es, dein Name!“ Meister Smyrdo musste den Namen eines jeden Neuen kennen, um den Bann zu sprechen, der verhinderte, dass er diesen Ort wieder verlassen konnte und fortan außerdem durch einfachste Magie aufzuspüren war. Sein Name kettete ihn unwiderruflich an diesen Ort.

Der Junge legte den Kopf schief, kniff misstrauisch die Augen zusammen und sagte dann: „Julian Schilde.“
 

Ich nickte Meister Smyrdo kurz zu, der das Nicken knapp und gefühllos erwiderte, sich seine Kapuze über die Augen zog und seinen Stab wieder sinken ließ. Er hustete kurz und wandte sich dann um, um durch eine an der Rückseite des Raumes angebrachte Tür zu verschwinden, vermutlich in seine Gemächer. Erneut sah ich den Jungen an, dann blickte ich ihm ernst in die dunkelblauen Augen: „Von nun an und für alle Zeiten sei dein Name Jayme!“

Dies war der erste Name, der mir in den Sinn gekommen war, als ich ihn gesehen hatte. Es war brauch, dass man dem Neuankömmling den Namen gab, der einem zuerst eingefallen war.

„Und nun folge mir, Jayme!“
 

Ich wusste, dass er seinen wahren Namen binnen weniger Tage vergessen haben würde, so wie auch ich den meinen schon lange nicht mehr kannte. Doch seinem Mentor, also mir, würde er ewig im Gedächtnis bleiben. Doch ich durfte ihn nie wieder aussprechen.

Jayme sah mich nun wütend an: „Ich weiß nicht, was du da für nen Scheiß redest, aber ich will endlich mal wissen, wo ich bin und was du und dieser komische Kerl von mir wollen! Ich war grad auf dem Weg zur Schule. Was mach ich also hier?“

Er hatte ein stark ausgeprägtes Temperament. Ich war damals zu verwirrt gewesen, um mich mit solcher Inbrunst zu widersetzen. Und leider war diese Art das erste, was er sich würde abgewöhnen müssen, denn mit Ungeduld und Jähzorn würde er sich hier nur Feinde schaffen.

„Ich werde dir alles erklären, sobald wir diesen Ort verlassen haben. Du hast mein Wort darauf.“

Er hatte keine Wahl und so folgte er mir aus dem Raum hinaus auf den düsteren Gang. Plötzlich kam ich mir verändert vor, erfahrener und doch weitaus schwächer. Mein Wort?! Pah! Was bedeutete hier unten schon das Wort eines Menschen, insbesondere das Wort eines Menschen wie mir?
 

Während ich, die Hand fest um die Fackel geschlossen, den Gang durchschritt, hörte ich Jaymes Schritte die ganze Zeit hinter mir, seine Turnschuhe schlurften auf dem schmutzigen Steinboden und hörten sich fremd an. Plötzlich stockte er in seiner Bewegung und er keuchte laut auf. Dem Anschein nach hatte er den Wolfsmenschen vor uns entdeckt.

Ich wandte mich zu ihm um und sprach leise: „Hab keine Angst. Wenn du ihn fürchtest, wird er dir gegenüber aggressiv. Die Tierwesen dürfen uns nichts zuleide tun, da wir in der Hierarchie auf derselben Stufe stehen. Und nun komm.“
 

Nun drehte ich mich wieder dem Wolfsmenschen zu und befahl ihm, das Tor zu öffnen und den Weg freizumachen. Er knurrte, als er Jaymes Furcht witterte, doch gehorchte letztendlich.

Erneut umfing uns die Dunkelheit, doch diesmal konnte sie mir nicht bis ins Herz hineinkriechen, da mich die Fackel und Jaymes Anwesenheit davor bewahrten.

„Was war denn das fürn Vieh?“, erkundigte sich mein Schützling, als die Tür sich wieder geschlossen hatte.

„Dies war ein so genannter Wolfsmensch. Er gehört zum Stamm der Tierwesen“, antwortete ich kühl und sachlich und setzte mich wieder in Bewegung.

„Aber verdammt nochmal“, begehrte Jayme wieder auf, „Wo bin ich hier? Ich muss zur Schule zurück, sonst komm ich zu spät!“

Ich blickte ihm bedauernd in die Augen: „Verzeih, aber du wirst niemals zurückkehren önnen. Du wirst den Rest deines Lebens hier fristen. Hier, an einem Ort, an dem du niemals wieder die Sonne sehen wirst. Du wirst dich damit Abfinden müssen.“
 

Entsetzt schrie er auf und stürzte sich im selben Moment auf mich. Überrascht von der unglaublichen Kraft, die in dem Jungen steckte, ließ ich mich von ihm niederwerfen. Vielleicht war es auch einfach aufgrund der Tatsache, dass ich mich ohnehin gegen nichts zur Wehr setzte.

Rasch schloss er seine Finger um meinen Hals und brachte mich so zum Würgen.

„Du Spinner! Lass mich endlich hier raus, du verdammter Bastard! Ich will nach Hause und du wirst sofort diesem komischen Typen befehlen, dass er mich wieder nach Hause beamen soll. Sofort!“
 

Obwohl ich kaum mehr Luft bekam, sprach ich mit möglichst ruhiger Stimme zu ihm. „Das liegt nicht in meiner Macht. Meister Smyrdo nimmt von einem Diener wie mir keine Befehle entgegen. Wenn es dein Wunsch ist, kannst du mich hier und jetzt töten. Es wird weder mich noch sonst jemanden an diesem Ort stören. Aber wenn du mich jetzt umbringst, dann wirst du alleine sein. Niemand wird an deiner Seite stehen und dir erklären, was du wissen musst. Als du vorhin deinen Namen nanntest, hast du den Pakt geschlossen. Du kannst niemals wieder zurück nach Hause gehen.“
 

Er lockerte den Griff seiner Hände, doch seine geweiteten Augen blickten mich nun entsetzt an: „Nie wieder? Ich seh meine Freunde oder meine Familie echt nie wieder?“

Ich schüttelte den Kopf, dankbar dafür, dass ich nun etwas mehr Luft bekam. Schon zu lange war ich daran gewöhnt, mich nicht mehr gegen Gewalt zu wehren.

Nun löste er die Hände vollends von meinem Hals und ließ sich rücklings gegen die Wand sinken.

„Aber...“

Auch ich setzte mich auf, sog tief aber lautlos die Luft ein und sprach: „Glaube mir, für mich war es am Anfang genauso schwer wie für dich... Aber du wirst dich daran gewöhnen. Und jetzt komm, folge mir... Wir haben bereits zu viel Zeit verloren.“
 

Ich erhob mich un reichte ihm die Hand. Er zögerte jedoch, sie zu ergreifen und blickte mich misstrauisch an.

„Du bist doch dafür verantwortlich, dass ich hier bin, oder? Warum sollte ich dir folgen?“

Ich schüttelte leicht den Kopf: „Es tut mir wirklich Leid, Jayme... Aber ich bin nicht Schuld daran, dass du hier nun verweilen musst, auch ich bin unfreiwillig an diesem dunklen Ort. Wenn es nach meinem Willen ginge, müsste niemals wieder auch nur eine einzige Seele unser dunkles Schicksal hier teilen. Doch uns fragt niemand. Also bleibt uns nichts anderes zu tun, als unsere Bestimmung zu akzeptieren und zu versuchen, das Beste daraus zu machen.“
 

Mit diesen Worten wandte ich mich um und klaubte die Fackel auf, die zu Boden gefallen war, als er mich umgeworfen hatte. Dann erst setzte ich meinen Weg durch den Gang fort und hörte zu meiner Erleichterung, dass er aufstand und mir folgte. Die lange Zeit, die wir brauchten, um den Weg zurückzulegen, verbrachten wir schweigend.
 

Schließlich standen wir unter dem schwarzen Loch, durch das ich herunter gesprungen war.

Wenn man nicht dazu befugt war, gelangte man dort nicht mehr hinauf, sow ie Meister Smyrdo und der Wolfswächter, die man hier hinuntergeworfen hatte, ohne ihnen jemals die Rückkehr zu gestatten.

Als Jayme neben mir stand, umhüllte uns ein Luftstrom, begleitet von einem schwarzen Licht, das für kurze Zeit das rötliche Licht des Feuers erstickte. Ich reichte ihm rasch die Hand, die er nur zögernd ergriff. Sofort sog der Luftstrom uns beide nach oben.
 

Er gab ein lautes, überraschtes Keuchen von sich und schon setzten wir auf dem Boden der Wendeltreppe auf.

„Was warn das für ne kranke Scheiße?!“

Leise antwortete ich: „Das war der Bannzauber, der über dem Ort liegt, den wir soeben verlassen haben. Er stellt sicher, dass nur diejenigen diese Treppe erreichen, die dazu befugt sind. Aber mache dir keine Sorgen, du wirst nicht so bald wieder dorthin zurückkehren müssen.“

Ich wusste, dass all dies nur äußerst unbefriedigende Antworten für eine neugierige Selle wie ihn waren, doch immerhin war es mehr als das, was mir damals erzählt worden war. Mir war damals nur mit wütender Stimme befohlen worden, zu schweigen.
 

Nun begann ich, die ewig lange Wendeltreppe hinaufzusteigen, nur dass ich mich diesmal im Unterschied zu meinem letzten Hiersein an der Stelle des Mentors und nicht an der des Neuankömmlings befand. Wie schnell doch alles gekommen war.

Als ich gerade eben die Widerspenstigkeit und den Unwillen des Jungen gesehen und gespürt hatte, war wieder etwas in mir aufgeflammt, das ich längst vergessen geglaubt hatte: Der Hass auf diesen Ort, der Wunsch zu fliehen und die Angst, auf ewig hier bleiben zu müssen.
 

Doch ebenso schnell wie die Gefühle aufgekommen waren, hatte ich sie wieder in die Tiefen meiner Seele verbannt. Hier durfte man es sich nicht einmal erlauben, an solche Dinge zu denken, sonst erfuhr man bald solch schreckliche Strafen, dass man einen schnellen Tod vorziehen würde.

Plötzlich zerriss Jaymes Stimme wieder die vollkommene Stille der Tiefen: „Erklär mir doch mal, was das alles hier soll und wo ich bin...“

Er war ein wenig kleinlauter geworden, wie es den Anschein hatte. Entweder er hatte gemerkt, dass er mit Wut nichts erreichte oder er war noch weiter verunsichert.
 

„Gedulde dich bitte noch eine kleine Weile. Wir sind bald an einem Ort angelangt, an dem sich dies alles besser erklären lässt. Ich weiß, das fällt dir nicht leicht, aber jetzt ist nicht der passende Moment für solch umfangreiche Erklärungen.“

Darauf nickte er nur, auch wenn ich ihm ansehen konnte, dass er mit der Antwort nicht zufrieden war.
 

Nach etwa fünf weiteren Minuten stummen Aufsteigens kamen wir endlich an einem weiteren Gang an. Jayme keuchte laut, doch ich ließ mir meine Erschöpfung nicht anmerken. Kurz lehnte er sich an die Wand, um zu verschnaufen und ich nutzte die Situation aus, um im etwas Wichtiges zu erklären: „Die erste und wichtigste Lektion, die du an diesem Ort lernen und beherzigen musst, um zu überleben ist, dir niemals deine Gefühle, Emotionen und deinen körperlichen oder geistigen Zustand anmerken zu lassen!“

Jayme sah mich fragend an: „Wie meinst du das?“

„Du darfst dir weder Erschöpfung noch Schmerzen, nicht Leid, Missfallen oder gar Hass anmerken lassen. Wenn du deine Gefühle nach außen lässt, wirst du es sehr bald bereuen. Du darfst niemandem offenbaren, was du denkst oder fühlst, sonst könnte es dich das Leben kosten.“

Er nickte leicht, wenn er auch noch nicht verstand, was ich meinte.
 

„Doch mir kannst du Vertrauen schenken“, versuchte ich ihn aufzumuntern, „Du kannst immer mit mir reden. Mir ist bewusst, dass du mich noch nicht kennst und mich vielleicht auch hassen magst, weil du mich für dein Schicksal hierher gebracht zu werden verantwortlich machst, doch ich weiß wie du dich fühlst. Mir erging es damals ebenso. Jeder Mensch hier teilt dein Leid und deine Geschichte. Ich möchte dir zur Seite stehen, solange du mich brauchst. Also wann immer du einen Drang zu reden verspürst, komme zu mir!“

Und wieder nickte er, versuchte aber diesmal den Ansatz eines Lächelns, das allerdings sehr schief wurde.
 

Schnell setzten wir nun unseren Weg durch die Gänge fort, die langsam aber sicher heller wurden. Schließlich befestigte ich die Fackel, die uns bisher den Weg erleuchtet hatte, an einer leeren Halterung.

Eine weitere Treppe gingen wir hinauf und befanden uns dann in einem runden Raum mit etwa dreißig Schritt Durchmesser. Die Falltür, durch die wir gekommen waren, fiel zu und fügte sich nahtlos in den schwarzen Steinboden ein. Ich konnte hören, wie Jayme die Luft scharf einzog und sich fasziniert umsah. Ich konnte mir ein Lächeln nicht verkneifen, denn auch mir war es ebenso ergangen, als ich das erste Mal die düstere Schönheit der Halle von Kaleadan gesehen hatte. Sie war, im gegensatz zu vielen anderen Teilen des Turmes, schlicht gehalten und gänzlich schwarz. Ihr einziger Schmuck waren drei marmorne Gargylen, die sich um die drei filigran verzierten Säulen schlangen. Diese drei Gargylen unterschieden sich nur in ihren Augen.

Der erste Gargyl, Feldon genannt, hatte Smaragdaugen, der zweite Gargyl, Salderon, Rubinaugen und der dritte Gargyl, Naran, Saphiraugen.
 

Ich blickte Jayme an und sprach: „Wenn dich schon die Halle von Kaleadan fasziniert, dann warte nur, bis du die Gemächer der Meister oder die Eingangshalle erblickst. Diese sind noch weitaus prachtvoller.“

Von ihm gefolgt, öffnete ich die Tür bei der Säule Feldons und trat in den sich mir öffnenden langen Gang. An dessen Ende gelangten wir erneut in einen Rundraum, an dessen linker Seite sich eine Treppe nach oben wand.
 

„Wir sind da... Hier, die drittte Tür rechts. Dort wirst du deinen Schlafplatz finden.“

Ich öffnete die beschriebene Tür und sie schwang knarrend auf. Uns eröffnete sich der Bilf auf ein ärmliches Zimmer, auf dessen Boden sich etwa zehn Lager aneinander reihten, außerdem standen vier ramponierte Hölzschränke an den Wänden.

Dieser Raum stand im starken Gegensat zu der wunderschönen Halle von Kaleadan und so rümpfte Jayme die Nase und zog eine Augenbraue hoch: „Hier werde ich wohnen?“

„So ist es. Doch hier wirst du ohnehin nur nächtigen. Die restlichen Stunden wirst du an anderen Orten zugegen sein und deine Arbeiten verrichten.“

Nun betrat ich den Raum vollends und deutete auf ein Lager, das sich direkt neben meinem befand: „Hier, das ist deine Schlafstatt. Ich habe die meine hier drüben.“
 

Er setzte sich mit verschränkten Armen auf sein Lager und forderte ungeduldig: „Jetzt erklär aber mal! Ich hab immer noch keine Ahnung, wo ich hier bin und was ich hier soll!“

Langsam begann seine Art, meine Nerven zu reizen, doch ich versuchte, verständnisvoll und ruhig zu bleiben: „Übe dich noch ein wenig in Geduld. Gleich werde ich dir den Turm zeigen, sodass du es selbst sehen wirst.“

Obwohl er protestierte, ließ ich mich nicht erweichen. Ich wusste aus Erfahrung, dass die Neuen niemals glaubten, wo sie waren, wenn man ihnen nicht Beweise lieferte. So ging ich zu einem der Schränke und wühlte ein wenig in ihm herum.
 

Schließlich hatte ich gefunden, was ich gesucht hatte und wandte mich wieder zu ihm um.

„Das hier sollte dir passen.“

Ich hielt ihm ein schlichtes ärmelloses Oberteil aus Leinen und eine braune, weite Hose hin.

„Zieh es bitte an!“, forderte ich ihn auf.

„Aber warum?“, protestierte er und mustete die Kleidung.

„Deine Kleidung passt nicht hierher“, antwortete ich ihm und legte ihm die beiden Kleidungsstücke in den Schoß.
 

Seufzend besah Jayme sie sich noch einmal und hatte sich dann in wenigen Minuten umgezogen. Seinen Pullover und die Jeans sowie den Rucksack, den er bei sich trug und der offensichtlich seine Schulsachen beinhaltete, legte er auf sein Lager. Ich blickte sie bedauernd an. Bei seiner Rückkehr heirher würde er weder sie noch seine anderen Sachen vorfinden. Er würde sie niemals wieder sehen.
 

Als er sich umgezogen hatte und ich sein Erscheinungsbild kontrolliert hatte, verließ ich, von ihm gefolgt, das Zimmer, um ihn die Dienstbotentreppe hinauf zu führen. An mehreren Stellen führten Gänge in die verschiedenen Stockwerke, doch ich führte ihn jedes Mal höher hinauf. Schließlich mündete die Treppe in einen offenen Rundgang, der für die Verhältnisse dieses Ortes sehr hell war. Am Rand des steinernen Ganges konnte man über einen Vorsprung vom Turm hinunterblicken, auf die Umgebung, die sich darunter und darum erstreckte. Doch obwohl wir außerhalb des Gebäudes waren, wehte kein Wind, nicht einmal ein kleines, laues Lüftchen. Auch der Gruch blieb derselbe: modrig, dumpf und abgestanden. Von fern drangen die lauten Geräusche einer Truppe zu uns, die gerade über den inneren Hof marschierte. Ihre metallenen Stiefel schepperten unangenehm regelmäßig über den steinernen Boden.
 

Jayme zitterte leicht, die unheimliche Windstille musste wohl auch ihm aufgefallen sein. Der Himmel, den wir sehen konnten, war grau und bildete im keinen großen Kontrast zu dem grauschwarzen Turm hinter und unter uns.

Ich deutete auf die Brüstung am Rand des Rundganges und befahl ihm, dorthin zu gehen.

Langsam und unsicher schritt Jayme auf die Mauer zu und blickte hinunter. Seine Augen weiteten sich schreckerfüllt und seiner Kehle entwich ein leises Keuchen.
 

Ich trat zu ihm und ließ meinen Blick ebenfalls über die Gegend schweifen. Obwohl ich sie bereits so viele Male betrachtet hatte, erschreckte sie mich immer noch. Jedes Mal, wenn ich sie erblickte, entdeckte ich neue, schauerlichere Facetten an ihr.

Ich konnte den bitteren Unterton meiner Stimme nicht unterdrücken, als ich sprach: „Willkommen in der Hölle...“
 

Fortsetzung folgt in Kapitel 2 : Rivkoh - Der Führer der Ramuh

Rivkoh - Führer der Ramuh

Hallo, meine Lieben. Hier folgt nun das 2. Kapitel von Buch 1. Ich hoffe, ihr habt Spaß daran. Hier findet ihr die (hoffentlich genug) zensierte Version.
 


 

Rivkoh – Der Führer der Ramuh
 

Unser Blick fiel auf eine düstere, kalte und karge Landschaft, trist und eintönig. Es war eine Wüste aus schwarzem Sand, nur unterbrochen von einigen Büscheln grauen Grastes und schwarzen blattlosen, vertrockneten Bäumen, die ihre knorrigen Äste krumm und schief in den windstillen Himmel reckten. Graue Staubwohlen, von der hier oben herrschenden drückenden Hitze verursacht, fegten über den trockenen Boden und wirbelten den fruchtlosen Sand auf.

Im Osten, weit hinter der Schwarzen Wüste stemmten unereichbar fern dunkle Berge ihr düsteres, bedrohliches Antlitz in die Höhe, schwarzes Gestein, weder von Schnee noch von Pflanzen abgelöst.
 

Aus diesem Schattengebirge entsprang der sich durch die gesamte schwarze Wüste schlängenlnde Ashila, der Fluss des Blutes. Dieser viele hundert Schritt breite Fluss bestand der Legende nach aus dem Blut derjenigen, die einen Kampf gegen die Hölle gewagt hatten. Traurig und langsam bahnte sich der Strom seinen Weg durch die Ödnis, brachte weder Leben noch Fruchtbarkeit mit sich. Nur einige Tierschädel und vermutlich auch menschliche Schädel waren an seinen Ufern zu sehen, verdurstet und verhungert trotz der nahen Flüssigkeit, die zu trinken sie jedoch unfähig gewesen waren. Keine Brücke führte über den Ashila, kein Entkommen war möglich.
 

Doch das Schlimmste an der Umgebung hier stellte der Himmel dar, wenn man ihn überhaupt so nennen konnte. Er war eine dunkelgraue Fläche, nur durchbrochen von weißen Blitzen, die hier Tag und Nacht über das von keinem einzigen Stern erhellte Firmament oberhalb des Turmes zuckten.

Und direkt vor uns befand sich die Höllensonne. Doch dieses furchtbare Ding hatte den Namen „Sonne“ nicht verdient. Es war schwarz und sendete pulsierend, stets im gleichen Rhythmus, sein graues, Leben verschluckendes, dunkles Licht nach alles Seiten ab, ließ alles um sich herum verdorren und sterben. Wer zu lange in das Licht dieses schwarzen Sternes blickte, erblindete unweigerlich.
 

Wie mir berichtet worden war, war diese Höllensonne einst das Herz Satans gewesen, das Luzifer ihm herausgerissen und aus Vergnügen an Folter dazu verdammt hatte, für immer qualvoll schlagend seine Strahlen über die gesamte Hölle zu schicken und die Herrschaft des neuen Höllenfürsten mitzuerleben und tatenlos ertragen zu müssen, wie alles unter seinen Händen noch weiter verdorrte.

Ich legte Jayme eine Hand auf die Schultern, denn er hatte zu schluchzen begonnen. Mir erging es beim Anblick dieser Trostlosigkeit kaum anders, doch ich beherrschte mich: „Jayme, hör mir zu. Dieser Ort, Hölle genannt, ist trostlos und tot, aber dennoch gefährlich. Du darfst diese Gegend niemals unterschätzen. Sie mag zwar aussehen, als würde sie kein Leben bergen, doch dort leben Kreaturen, um einiges schrecklicher als die, die hier im Turm zu finden sind. Du darfst den Turm nicht verlassen oder du wirst sterben!“
 

Er konnte seinen Blick nicht vom Land des Todes abwenden,w ie gebannt starrte er auf die schwarze Wüste mit der bedrohlich darüber schwebenden Höllensonne. Dabei liefen Tränen seine Wangen hinunter, unkontrollier zuckte sein Körper unter seinen unbändigen Schluchzern.

Ich packte ihn nun fest an den Schulter und drehte ihn zu mir. Er durfte nun nicht in Selbstmitleid versinken, er durfte sich nicht aufgeben.

Doch er wandte den Blick erst von der Sonne ab, als ich ihn grob schüttelte. Kurz waren seine Augen blind, wie tot, als er mich ansah, doch dann kam der alte Galnz in sie zurück. Langsam nickte er.
 

Erleichterung durchflutete mich, denn Jayme hatte die erste Hürde genommen.

„Du darfst dich nicht aufgeben. So schrecklich dieser Ort auch sein mag, wir alle müssen lernen, durchzuhalten. Das ist deine zweite Lektion.“

Nachdem er genickt hatte, drehte ich mich wieder um und ging zurück zur Dienstbotentreppe, die ich, von Jayme gefolgt, wieder hinabstieg.

„Und das war echt kein Witz? Das mit der Hölle, mein ich“, fragte er nach einer kleinen Weile.

„Nein. Dieser Ort wird Tencendora genannt, das Wort für Hölle in der Sprache der Dämonen. Es ist wirklich die in der Bibel verkündete Hölle. Geführt wird sie von Luzifer, dem Höllenfürsten.“

Er schwieg betreten und ich konnte es ihm nicht verdenken. Die Tatsache, die ich ihm gerade eröffnet hatte, war so unglaublich wie sie wahr war.
 

Kurze Zeit später öffnete ich eine weitere Tür, die in das Turminnere führte. Wir betraten eine brechend volle Halle, den Speisesaal der Niederen.

In ihr tummelten sich die merkwürdigsten Kreaturen, die man sich vorzustellen imstande war, unter anderem Wolfsmenschen, Stierkreaturen und andere Vertreter der Mischwesen aus Tier und Mensch, die den Hauptteil der Armee der Hölle stellten. Auch befanden sich an einem Tisch am Rande noch eine Gruppe schwarzer Wesen, die so genannten Schattentode. Diese wabernden Gestalten blieben gerne unter sich und erfüllten die Aufgaben der Späher.

Ganz am Ende der Halle, nahe der Tür zu den Küchen, sah eine etwa dreißigköpfige Gruppe Menschen in schlichten Kleidern auf Bänken um zwei lange Holztische. Gerade eben hatte ein junger Mann uns bemerkt und machte die anderen darauf aufmerksam, dass Jayme und ich auf dem Weg zu ihnen waren.
 

Die Wolfsmenschen und anderen Tierwesen hatten sich jeweils in Rudeln zusammengefunden und speisten gemeinsam. Wenn man ihre Art der Nahrungsaufnahme denn überhaupt Spiesen nennen konnte. Die Wolfswesen hielten riesige Stücke teils rohen, teils gebratenen Fleisches in den Krallen und rissen mit ihren Hauern Fetzen von den blanken, manchmal auch unter ihren Zähnen laut splitternden Kochen. Der Anblick, gepaart mit den Geräuschen und dem Gestank der Verwesung und des ungewaschenen, verschwitzten Fells genügte, um einem Übelkeit zu bereiten. Ich jedoch war daran gewöhnt und achtete gar nicht mehr darauf, roch dieser Ort doch einfach nur noch auf eine beinahe erbärmliche Art und Weise nach Heimat für mich. Aber Jayme konnte sich nicht zurückhalten, drehte sich um und erbrach sich auf die grauen Steine.
 

Ich legte ihm die Hand auf die Schulter und deutete ihm an, dass er mir folgen sollte. Ich hatte leider keine Zeit, mich um seinen revoltierenden Magen zu kümmern, da ich nach dem Mittagessen bereits wieder meiner Arbeit würde nachgehen müssen. Und ausgerechnet heute stand etwas sehr Wichtiges an.

Sacht halt ich ihm wieder auf die Beine und führte den zitternden Jungen, der voller Ekel ausspuckte und sich dann den Mund abwischte, durch den Raum zu der Menschengruppe hin, die uns inzwischen neugierig beäugte. Sofort fiel mir eine nur zu bekannte Gestalt ins Auge. Seine schwarzen, kurz geschorenen Haare stachen aus der Menge hervor und seine blitzenden hellblauen Augen und sein aufrechter, selbstbewusster Sitz zeigten seinen ungebrochenen Willen, mit dem er sich zu unser aller Führer hochgearbeitet hatte... Rivkoh...
 

Ich ging sofort zu ihm, den sich inzwischen sträubenden Jayme am Unterarm gepackt und so leid es mir tat, etwas unsanft hinter mir herziehend.

Schnell deutete ich eine Verbeugung an: „Dies ist Jayme. Meister Smyrdo gab ihn in meine Obhut und er soll nun mit uns hier seine Aufgaben erfüllen. Jayme... dies ist Rivkoh, der Anführer der Ramuh, von denen du schon sehr bald ein Teil sein wirst.“
 

Rivkoh nickte kurz und musterte dann Jayme: „Du bist also der Neue. Ich hörte, dass Meister Belial Verstärkung orderte. Hat dir dein Mentor schon alles gezeigt?“

Er spuckte das Wort Menstor förmlich aus. Jayme blickte zuerst Rivkoh, dann mich verwirrt an, also antwortete ich für ihn: „Ich zeigt ihm seine Schlafstatt und die Außenwelt Tenceondoras. Außerdem erklärte ich ihm, wo er sich hier befindet. Desweiteren sah er die Halle von Kaleadan, wobei ich ihm jedoch von den anderen Gängen nicht weiter bereichtete. Zu mehr habe ich keine Zeit, da ich direkt nach dem Essen ein Aufgabe zu erledigen habe.“

Rivkoh kniff die Augen zusammen. Er wusste, worauf ich hinauswollte: Dass ich die Aufgabe, Jayme einzuweisen an jemand anderen weiterreichen oder wenigstens aufschieben wollte.

„Nein, du wirst nirgendwohin gehen. Du wirst den Neuen herumführen, sonst wird es dir sehr Leid tun!“ Er deutete bedrohlich an, dass er im nächsten Augeblick aufstehen würde, falls ich nicht gehorchen sollte.
 

Ich jedoch schüttelte den Kopf, war es mir doch nicht möglich, Jayme persönlich herumzuführen: „Nein, verzeih mir, Rivkoh, aber ich wurde von Lord Axis persönlich bestellt. Es ist das erste Mal, dass er dies getan hat. Ich habe mich dem Willen des Seneschalls zu beugen.“

Zähneknirschend hob Rivkoh, der noch immer auf einer der klobigen Hölzbänke saß, angewidert den Mundwinkel und sprach mit verächtlicher Stimme: „Dann verzieh dich und lass dich nicht eher sehen, als dass der Lord zufrieden ist. MALFARI!!!“
 

Seine laute, starke Stimme hallte durch den ganzen Saal und ließ für kurze Zeit sogar das Geschmatze einiger Tierwesen ersterben. Dann erhob sich ein kleines, schmales Mädchen mit blonden hochgesteckten Haaren und kindlicher Figur vom Nachbartisch und kam elegant zu uns herübergelaufen. Ihr Aussehen täuschte, sie war bereits weit über zwanzig Jahre alt, obwohl sie vielmehr so wirkte, als wäre sie noch nicht einmal volljährig.

„Ja, Rivkoh?“, fragte sie mit ihrer glockenhellen Stimme, die es sogar vermochte, jemanden aufzuheitern, selbst wenn dieser zu Tode betrübt sein sollte. Ich war froh, dass Rivkoh sie dafür ausersehen hatte, Jayme einzuführen, denn sie war mir seit einem Jahr eine gute Freundin gewesen. Sie hatte sich meiner vom ersten Tag an angenommen und mir geholfen.
 

„Du führst nach dem Essen den Neuen herum!“, befahl Rivkoh mit seiner kalten und tiefen Stimme. „Und kein Widerworte“, fügte er laut hinzu, als Malfari gerade den Mund öffnen wollte, um etwas zu antworten. „Ich weiß, dass du heute ausnahmsweise einmal nichts zu tun hast, Malfari! Also wirst du diesen... Wie heißt du noch mal?“, wandte er sich ruppig an Jayme.

Dieser kniff kurz die Augen zusammen und schien zu überlegen. Ich seufzte unhörbar. Es war bereits geschehen: Jayme hatte seinen wahren Namen vergessen. Bei mir hatte es damals weitaus länger gedauert, denn ich hatte noch nach zwei Wochen bei dieser Frage mit meinem wahren Namen geantwortet, der meinem Gedächtnis jetzt jedoch lange entschwunden war.

„...Ich... heiße J... Ju... Jayme...“, stammelt er und blickte zu Boden, die Stirn dabei vor Anstrengung gerunzelt.
 

„Also...“, fuhr Rivkoh fort, als wäre nichts geschehen. „Du wirst Jayme herumführen, Malfari. Unser hoher Herr hier muss einen Bsuch machen!“ Er lachte kalt und wandte sich dann wieder seinem Essen zu.

Malfari kam nun auf Jayme und mich zu und lächelte leicht: „Mach dir nicht daraus“, sagte sie fast unhörbar zu dem Jungen, „Wenn er nicht gerade aufgebracht ist, ist er eigentlich ganz umgänglich. Wie du jetzt schon gehört hast: Ich bin Malfari.“

Sie streckte ihm die Hand hin und Jayme ergriff sie nach kurzem Zögern. Ich musste lächeln, war er doch jetzt schon Malfaris Charme und ihrer Freundlichkeit erlegen. Das war aber auch nicht erstaunlich, sie war die Güte in Person, auch wenn man eine solche Persönlichkeit an einem Ort wie diesem eigentlich nicht erwarten sollte.
 

Zusammen mit Malfari kehrten wir an den Nachbartisch zurück und setzten uns gemeinsam auf die Bank. Langsam machte sich die Aufregung in meiner Magengegend breit. Immerhin sollte ich nun zum ersten Mal in meinem Leben einen Lord Tencendoras sehen und dann auch noch direkt einen der höchsten in der Rangordnung, den Seneschall persönlich. So gelang es mir kaum, das Essen, das vor mir auf dem Tisch lag, anzurühren.

„Wohin musst du eigentlich nachher?“, fragte Jayme, offensichtlich um seine Gedanken von dem abzulenken, mit dem er sich ohnehin bald würde auseinandersetzen müssen.

„Ich wurde von Lord Axis, dem Seneschall des Turmes, gerufen“, erwiderte ich und griff doch nach dem Stück Brot, das mir Malfari gerade eben auf den Teller gelegt hatte. Ich würde nach dem Mittagessen all meine körperliche und geistige Kraft benötigen, das wusste ich.
 

„Das ist eine sehr große Ehre“, fügte Malfari hinzu, „Auch wenn ich es Iry am liebsten ersparen würde.“

„Ersparen... Wie meinst du das?“, fragte Jayme. Am Klang seiner Stimme konnte ich erkennen, dass er bereits Vertrauen zu Malfari ggefasst hatte. Ich beneidete sie um ihre Gabe, sofort jedes Wesen für sich einzunehmen.

„Es ist schon gut“, hinderte ich Malfari unsanft an einer Antwort und fuhr dann zu Jayme gewandt fort: „Ich werde es dir noch erklären. Du solltest nun versuchen, etwas zu essen, auch wenn die Räumlichkeiten es denkbar schwer erscheinen lassen.“

Malfari lachte leise und schob Jayme inen Teller mit gebratenem Flisch und einem Stück Brot zu. Ein Teil des Fleisches war schwarz. Ich war mir nicht sicher, ob dies nur der Ruß des Feuers war oder ob es schlicht und einfach angebrannt war.
 

Den Rest der Mahlzeit schwieg ich und versuchte, mich mental auf meine erste Begegnung mit einem Lord vorzubereiten. Jayme gab sich Mühe, sich zu überwinden und etwas zu Essen, doch die Nahrungsmittel hier in Tencendora schienen ihm derart wenig zu munden, dass er nicht mehr als einen Kanten Brot hinunterbachte. Malfari versuchte die ganze Zeit, ihn dazu zu ermuntern, mehr zu essen und als sie schließlich einsah, dass er nicht konnte, holte sie ihm einen Becher frischen Wassers, den er durstig austrank.
 

Schließlich erhob ich mich, verabschiedete mich kurz und verwies Jayme auf ein späteres Treffen in den Schlafräumen, bei dem ich ihm alles Wichtige erklären wollte.

Bevor ich ging, bat ich Malfari noch, Jayme noch nicht in seine Aufgaben einzuweisen, sondern ihn nur durch den Turm zu führen. Dann wandte ich mich ab, da ich wusste, dass Jayme noch viele Fragen hatte, doch ich nicht mehr die Zeit hatte, sie zu beantworten. Ich musste mich beeilen, wenn ich nicht zu spät sein wollte. An der Tür drehte ich mich noch kurz um und blickte Jayme an, der weiterhin versuchte, etwas zu essen, auch wenn er aufgrund des widerlichen Geruches in diesem Raum, der Intensität all der Eindrücke, die auf ihn einstürmten und dem furchtbaren Anblick der Höllenlandschaft kaum etwas hinunterbekommen konnte.

In diesem Moment trafen sich unsere Blicke und ich lächelte ihm aufmunternd zu.

Dann war ich schon aus dem Raum.
 

~~~*********~~~
 

Doch nachdem ich um zwei Ecken gebogen war, hielt mich plötzlich jemand unsanft am Arm fest und im nächsten Moment war ich fest gegen die kalte Wand gedrückt. Ich sah auf und musste den Kopf in den Nacken legen, um der Person, die mich so brutal am Weggehen hinderte, in das junge, nur von einer Sorgenfalte an der Stirn gezeichnete Gesicht blicken zu können. Unhörbar keuchte ich aufgrund des Schmerzes in meinem linken Unterarm und bat dann: „Rivkoh! Bitte lass mich los, ich werde bereits in wenigen Minuten am Gemach von Lord Axis erwartet und muss mich noch vorbereiten.“

„Du wirst jetzt hier bleiben und mir zuhören!“

Seine eiskalte und wütende Stimme wurde in ihrer Wirkung noch von seinen vor Zorn zusammengekniffenen Augen verstärkt. Der Ausdruck, den sie hatten, ließ einen ahnenden Angstschauer durch meinen Körper fahren.
 

Ich nickte mit einem Kloß im Hals und er lockerte den Griff so, dass das Taubheitsgefühl in meiner Hand langsam verging. Wie ich aus Erfahrung wusste, hatte es keinen Sinn, sich gegen Rivkoh zu sträuben.

„So. Du bist erst ein Jahr hier, nimmst uns anderen Rang und Namen ab, nimmst uns die Ehre, einen Neuen auszubilden und bildest dir dann auch noch ein, zu Lord Axis zu gehen? Ich glaube, dir wurde schon zu lange nicht mehr klar gemacht, wie tief du in der Nahrungskette stehst!“
 

Ich wusste, was nun kommen würde. Seit mich Rivkoh vor etwas mehr als einem Jahr unten in Meister Smyrdos Kammer abgeholt hatte, hasste er mic hbis aufs Blut. Er war mein Mentor gewesen, der mir alles gezeigt und mich in alles eingeführt hatte, er war derjenige gewesen, dem ich eigentlich vertrauen sollte.

Doch er hatte mir niemals die Möglichkeit gegeben, dieses Vertrauen zu ihm aufzubauen, niemals hatte ich die Gelegenheit bekommen, ihm zu zeigen, wer ich wirklich war, niemals konnte ich mit ihm reden, so wie ich es gebraucht hätte. Niemals konnte ich mich ihm anvertrauen.
 

Ich wusste nicht, warum dies so war. Das Einzige, was ich wusste, war, dass er mich hasste und dies wohl auch immer tun würde. Warum er mich derart verabscheite, war mir nicht bekannt, hatte ich ihm doch meines Wissens niemals den Anlass dazu gegeben. Doch Tatsache war, dass er, wann auch immer er verstimmt sein sollte, seinen Ärger an mir ausließ.
 

Meine Stimme war ruhig, das Zittern meiner Seele drang glücklicherweise nicht bis zu ihr durch, als ich sprach: „Bitte, Rivkoh. Lord Axis wird nicht erfreut sein, wenn ich...“

Doch ich sah nur noch eine Faust auf mich zukommen und dann wurde mir kurze Zeit schwarz vor Augen. Ich spürte, wie das Blut aus meiner Nase lief und dann, wie Schläge über Schläge auf meinem Körper landete, auf Armen, auf Gesicht und auf dem Oberkörper.
 

Ich war Schmerzen gewohnt, körperliche und seelische, also verzog ich weder eine Miene, noch stieß ich irgeneinen Laut aus. Dies schien Rivkoh nur noch wütender zu machen. Immer schneller hagelten seine brutalen Schläge auf mich ein, bis sein Zorn schließlich abgeebbt war. Er ließ mich so liegen, wie ich war, auf dem kalten Steinboden, mit verdrehten Gliedern, blutbefleckten Gewändern und bereits jetzt unzähligen Blutergüssen und Platzwunden.

Im nächsten Moment verschwamm alles um mich herum und ich fiel in Ohnmacht, obwohl ich dagegen ankämpfte.
 

~~~*********~~~
 

Als ich meine Augen wieder aufschlug, drehte sich alles um mich herum und meine Kopfschmerzen waren fast nicht zu ertragen. Dennoch ließ ich keinen Schmerzenslaut über meine Lippen kommen. Ich blinzelte mehrmals, versuchte dadurch, endlich klarar zu sehen. Endlich gelang es mir, den Raum um mich Gestalt annehmen zu lassen: Die Schlafkammer der Ramuh.
 

Über mich hatte sich ein blondes Mädchen gebeugt und tupfte sanft mit einem nassen Tuch über meine Nase. Als sie sah, dass ich wach war, lächelte Malfari mich leicht an und ließ kurz von meinem Gesicht ab, das sie gerade verarztet hatte.

„Da hat Rivkoh sich ja mal wieder selbst übertroffen. Dieser Kerl ist doch unglaublich! Wenn die Art der Dämonen auf einen von uns abgefärbt hat, dann auf ihn.“

Während sie sprach, wurde ihr Lächeln zu einer zornigen Grimasse. Mit kräftigen Händen wusch sie den Lappen aus und ließ ihre unterdrückte Wut an ihm aus, indem sie jeden Rest Flüssigkeit aus ihm heraus presste. Hinter ihr konnte ich nun mit immer klareren Umrissen Jayme erkennen, der sich besorgt über mich beugte.

„Alles okay, Iry?“, fragt er.
 

Doch statt zu antworte, versuchte ich, mich hochzustemmen, was jedoch kläglich misslang, weil meine Arme zitterten. So fiel ich zurück auf mein Lager.

Malfari blickte mic hzornig an: „So geht das aber nicht. Du bleibst liegen, bis du dich erholt hast! Nein, nein. Diese Kerle!“

Sie wandte sich ab und fuhr fort den Lappen auszuwaschen.

Doch ein kleiner Protest war noch in mir: „Aber ich muss doch zu Lord Axis!“

„Nein, musst du nicht. Der Lord soll zwar äußerst ungehalten darüber sein, dass du nicht kommen konntest, aber als ich ihn über das Geschehene in Kenntnis setzen ließ, hat er sich zur Abwechslung mal von seiner gütigen Seite gezeigt und dir einen Aufschub bis morgen gewährt.“
 

Ich seufzte erleichtert und schloss kurz die Augen, doch dann öffnete ich sie voller Entsetzen wieder: „Du hast ihm doch nicht etwa berichten lassen, was genau mir widerfahren ist, oder?“

Sie lächelte traurig: „Nein, hab ich nicht. Aber ich weiß immer noch nicht, warum du nicht willst, dass jemand erfährt, dass es Rivkoh ist, der dich immer so übel zurichtet. Du bist ja auch der einzige, bei dem er das tut.“

„Willst du etwa damit sagen, dass das öfter passiert?“, wollte Jayme nun wissen. Er hatte einen völlig entsetzten Ausdruck auf dem Gesicht.
 

„Ja, natürlich. Ich sitze mindestens zwei Mal im Monat hier und hole Iry aus der Bewusstlosigkeit zurück... Aber er will nicht, dass wir jemandem erzählen ist, dass der ach so vorbildliche Rivkoh derjenige ist, der dafür verantwortlich ist.“

Ich schüttelte den Kopf, hörte aber sofort damit auf, als ich bemerkte, dasss die Kopfschmerzen dadurch nur noch stärker wurden.

„Nein... Ich will erst herausfinden, warum er so handelt. Er muss doch einen Grund dafür haben, denn kein Mensch würde solche Dinge grundlos tun.“

„Da kennst du aber Rivkoh schlecht“, protestierte Malfari. „Der fühlt sich hier in Tencendora so heimisch, dass er so etwas als reiner Freude an seiner Überlegenheit und Kraft tut.“

Doch dann ließ sie die Sache auf sich beruhen und fuhr fort, meine immer noch blutverkrustete Nase zu versorgen.
 

„Du solltest doch eigentlich Jayme herumführen. Warum bist du nun hier?“, wandte ich mich nun an Malfari, auch um vom Thema abzulenken.

„Ich wollte ihm gerade die Küchen zeigen, als wir sozusagen über dich stolperten. Wir konnten dich doch nicht einfach so liegen lassen.“

Sie lächelte und ich schüttelte leicht den Kopf. Dann wandte ich mich an Jayme: „Wenn es mir nachher besser geht, führe ich dich zu En...“

Doch bevor ich auch nur zu Ende sprechen konnte, hatte mic hMalfari unterbrochen und sagte in freundlichem, aber bestimmtem Tonfall: „Nichts da! Wenn ihn jemand herumführt, dann bin ich das. Du ruhst dich bis morgen aus.“
 

Als ich protestieren wollte, legte sie mir einen ihrer schlanken Finger auf die Lippen: „Shhh... Wie ich gehört habe, ist Lord Axis sehr 'anstrengend'. Du wirst deine ganze Kraft brauchen.“

Erneut wusch sie den Lappen aus und legte ihn dann über den Eimer. Sie war fertig mit dem Auswaschen der Wunden. Wie ich bemerkte, als ich über meine nackte Brust fuhr, hatte sie die blauen Flecke mit der speziellen Sharandasalbe behandelt, die schnelle Heilung und Verschwinden der Verfärbungen versprach. Ich nickte ihr dankbar zu und sie griff nach einer dünnen Decke, die neben meinem Lager lag. Schnell deckte sie mich zu und deutete dann Jayme an, mit ihr zusammen zu gehen.
 

Sie war schon aus dem Raum, als ich noch zu Jayme sagte: „Verzeih, dass du das mitansehen musstest. Ich sollte ja eigentlich auf dich Acht geben und nicht umgekehrt. Und es tut mir auch Leid, dass du nun hier an diesem furchtbaren Ort sein musst. Du bist so jung, wie wir alle hier. Wir alle verdienen ein Leben an einem Ort, von dem du kommst, der Erde. Wir alle wünschen uns, unseren Alltag wieder aufzunehmen, statt hier tagein tagaus im ewigen Dämmerlicht der Höllensonne schmoren zu müssen. Aber lasse dich nicht unterkriegen, weder von Rivkoh noch von einem der anderen hier.“

Er nickte leicht, dann folgte er Malfari aus dem Raum. Erleichtert schloss ich die Augen und war wenige Minuten später schon in das Reich meiner unruhigen und düsteren Träume geglitten.
 

~~~*********~~~
 

Eine Hand gleitet gierig über meinen unberührten Körper, liebkost meine warme, weiche Haut und streichelt über meine schmale Brust.

Ich keuche leise und schließe die Augen vor Erregung und Verlangen.

Meine eigenen Hände schnellen nach oben, zerren an dem engen Hemd, das den muskulösen Körper über mir bedeckt. Doch im nächsten Moment schließen sich dieselben Hände, die mich eben noch so liebevoll berührten, klammernd und fast schmerzend fest um mich, drücken mich nach hinten auf das Lager.

„Halt still! Nichts tun, wozu du nicht aufgefordert wurdest!“

Mit immer noch geschlossenen Augen nicke ich und kralle meine Finger fest in das weiße Laken.

Die harten Hände lösen sich wieder von meinen Schultern beginnen wieder, mich zu streicheln.

„Augen auf! Ich will dich sehen!“

Gehorsam und erwartungsvoll öffne ich die Augen. Ich blicke in die lustverschleierten hellblauen Augen, kann mich nicht mehr zurückhalten und kralle meine linke Hand in die kurzgeschorenen, tiefschwarzen Haare.
 

~~~*********~~~
 

Ich schreckte aus meinem Traum hoch, fuhr in die Höhe und blieb keuchend auf meinem Lager sitzen. Ich registrierte erst langsam, wo ich mich befand.

Einen Moment lang durchflutete mich die Erinnerung, dann gelang es mir endlich, sie wieder in die hintersten Ecken meines Denkens zu verbannen, wo sie für gewöhnlich war. Ich keuchte leise und fasste mir an den Kopf. Die Kopfschmerzen waren bis eben fast verschwunden, doch nun waren sie wiedergekehrt und plagten mich in einem schweren Anfall.
 

Ja, dieses Ereignis war kurz nach meiner Ankunft hier geschehen, auch wenn ich es am liebsten ungeschehen machen wollte. Es war passiert und es würde niemals wieder passieren. Dafür würde ich schon sorgen, ich würde nicht zulassen, dass jemand, der mir seit mehr als einem Jahr seelische und körperliche Verletzungen zufügte, mir jemals wieder... so nahe kam.

Bevor ich den Gedanken weiterspinnen konnte, legte ich mich wieder zu Bett. Ich wusste, wohin diese Gedankengänge führen würden und verspürte kein Bedürfnis, mehr als nötig darüber nachzudenken. Ich schloss die Augen und sofort ließen die Schmerzen nach. Schnell glitt ich in meinen Schlaf zurück, doch diesmal verlief er zu meiner Erleichterung traumlos.
 


 

Das war Kapitel 2. Ich hoffe, ihr hattet Spaß daran. Ich werde von Irys Traum auch noch einmal eine unzensierte Form, die nur um weniges länger ist hochladen, in einem seperaten Kapitel, das ich unter Adult stellen werde, da ich mir nicht sicher bin, inwiefern das schon unter Adult fällt.
 

Greetings

Lei

Rivkoh - Führer der Ramuh *unzensiert*

[Dieses Kapitel ist nur Volljährigen zugänglich]



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Kommentare zu dieser Fanfic (4)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  ReinaDoreen
2022-02-04T13:28:45+00:00 04.02.2022 14:28
SChade das die Geschichte nicht mehr fortgeführt wird.
LG reni
Von:  ReinaDoreen
2009-11-09T18:56:57+00:00 09.11.2009 19:56
Wieder ein sehr interessanter Teil. Du beschreibst sehr gut die Umgebund und die WEsen. WAs für eine Aufgabe haben die Menschen da eigentlich. Und genau so spannend ist es was wirklich in Rivkoh vorgeht, warum er Ivy immer wieder so verletzt.
Reni
Von:  ReinaDoreen
2009-10-26T19:23:18+00:00 26.10.2009 20:23
Das ist alles sehr spannend. Der Ort ist so gut beschrieben, das ich es mir sehr genau vorstellen kann. Die Handlung selbst ist ist faszinierend, weil es wirft so viele Fragen auf, aber es ist erst mal nichts offenbart. Warum sind denn die beiden dort, was für einen Zweck sollen sie erfüllen, Wieso ist es gefährlich, Emotionen zu zeigen?
Reni
Von:  heli222
2009-10-25T21:39:10+00:00 25.10.2009 22:39
HY!
Deine Geschichte hört sich bis jetzt sehr interessant an, obwohl ich sagen muss, du hast ein bisschen viel erzählt ohne das irgendetwas passiert!
Trotz dessen freu ichmich schon aufs nächste kap. ;-)



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