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Because life goes on
von

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Nicht Fleisch und Blut, das Herz macht uns zu Vätern und Söhnen (Friedrich von Schiller)

Hier also nun noch ein kleines Spin-off zu Shimo no Hana – Comme un Cristal de Glace – ich habe lange mit mir gerungen, ob ich Kizuna fertig stellen und hochladen soll oder ob ich es nicht einfach unvollendet und in den Tiefen meiner Festplatte vermotten lasse…
 

Ich hoffe, Kizuna gefällt euch und über eure Meinungen würde ich mich natürlich sehr freuen ^.~
 

Gewidmet ist der Oneshot meinen treuen Kommischreiberinnen von Shimo!
 


 

★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★~♬~★~♩~★~♪~★~♫~★
 

Unruhig knetete eine zierliche 15-Jährige ihre Finger und sah sich rastlos um. Hüftlanges, braun gefärbtes Haar, in das mit dem Kreppeisen kleine Locken eingearbeitet waren, fiel über ihre schmalen Schultern. Sie pustete sich den Pony aus den Augen und fing an mit ihren Haaren herum zu spielen, während sie ein paar Schritte auf und ab ging, um mit ihrer Nervosität fertig zu werden. An ihre geschulten Ohren drangen die Klänge eines Kawai Flügels.
 

"Das klingt verdammt gut! Dagegen komme ich nie an…"
 

Ihre langgliedrigen, sehnigen Finger ließen von ihrem momentanen Spielzeug ab und wandten sich der weißen Bluse zu, die sie trug. Mehrmals zupfte sie daran herum und fragte sich, wie schnell ihr Herz wohl noch schlagen würde, ehe es wie ein Motor vor Überhitzung den Geist aufgab.

„Hör auf, dich so nervös zu machen“, erklang dicht hinter ihr eine nur allzu bekannte Stimme und sie spürte zwei starke Hände auf ihren Schultern.

„Du verstehst das nicht, Papa!“, jammerte sie und drehte sich um, um ihn anzusehen. Neben ihm stand ihre Mutter und lächelte sie aufmunternd an.

„Egal wie es ausgeht, wir sind stolz auf dich, Ran!“

„Du kannst den Song im Schlaf, was soll schon schief gehen?“ Ihr Vater, pragmatisch wie eh und je .

„Darum geht es nicht! Das ist Onkel Yoshikis Song – ich will es nicht vermasseln!“
 

„Außerdem hat er mich ständig kritisiert und förmlich in der Luft zerrissen…“
 

„Das wirst du nicht“, versuchte es Kouki erneut, stieß bei dem Teenager aber auf taube Ohren.

Es war 10 Jahre her, seit Ran als Fünfjährige das erste Mal eine Woche alleine bei ihrem Onkel gewesen war und dieser dabei ihr Talent fürs Klavierspielen entdeckt hatte. Da sie Spaß daran gehabt hatte, förderte er es nach besten Wissen und Gewissen und nun stand sie hier: bei einem der angesehensten Wettbewerbe in Japan für junge Nachwuchspianisten, der alle zwei Jahre von der Firma Kawai ausgetragen wurde. Der Entscheidungstag war angebrochen und die wenigen, noch verbliebenen Teilnehmer, unter denen auch sie war, obwohl sie nicht damit gerechnet hatte, da sie bei Chopins Nocturne einige kleinere Fehler gemacht hatte, mussten alle noch ein Stück aus dem 20. oder 21. Jahrhundert ihrer Wahl vortragen. Sie war die letzte Starterin und nach ihr würde das Endergebnis dann feststehen. Ran wäre froh, wenn sie Yoshiki an ihrer Seite hätte, aber das war nicht möglich, denn als er sie zu dem Wettkampf angemeldet hatte, hatte noch keiner geahnt, dass er nicht dabei sein können würde, da er im Krankenhaus lag.
 

Im vergangenen Jahrzehnt war einiges passiert - negatives wie positives. Die Bandscheibenvorfälle ihres Onkels in der Nacken- und Lendenwirbelsäule hatten sich trotz therapeutischer Maßnahmen immer weiter verschlimmert, sodass sie letztendlich auch zum Ende von X JAPAN geführt hatten. Nach dem Abschlusskonzert war er fast einen Monat lang in der Klinik gewesen und hatte sich zu Beginn so gut wie gar nicht bewegen können. Zum Ende hin war es besser geworden, aber auch nur unter Schmerzen - eine Operation hatte er jedoch abgelehnt, da ihm das Risiko größer als der Nutzen erschien. Nach seiner Entlassung hatte er sich stark aus der Öffentlichkeit zurückgezogen. Er kümmerte sich um seine beiden Firmen – Extacy Records und Japanese Music Agency -, komponierte Filmmusik und produzierte diverse Künstler, aber seither hatte er weder eine Bühne betreten noch sein Drumset angerührt. Dafür saß er oft stundenlang am Flügel und spielte, egal wie schmerzhaft die Sehnenscheidenentzündung in seinen Handgelenken war, oder wie sehr jede einzelne Bewegung weh tat. Je älter Ran wurde, desto häufiger saß sie in jenen Stunden neben ihm und lauschte oder spielte gemeinsam mit ihm. Anstatt wie früher die meiste Zeit in den Staaten zu verbringen, war er nun, sehr zur Freude seiner Nichte, häufig in Tokyo, sodass sie manchmal nach der Schule, aber definitiv am Wochenende bei ihm war, um über Stunden hinweg zu üben. Als sie in die Pubertät kam und Auseinandersetzungen mit ihren Eltern an der Tagesordnung standen – mehr als einmal bekam sie von ihrem Vater an den Kopf geworfen, sie würde Yoshiki in erschreckender Art und Weise ähnlich, was unter anderem ihr Verhalten in der Schule anbelangte – war seine Villa am Stadtrand von Tokyo ihr Zufluchtsort. Zwischen ihr und dem Pianisten gab es ein stummes Einverständnis: Er ließ sie machen, wenn sie ihn machen ließ. Denn ginge es nach Kouki, hätte sich Yoshiki schon längst unter das Messer gelegt - so musste er mit der Konsequenz leben, dass sein kleiner Bruder mehr oder weniger täglich vorbeikam, um nach ihm zu sehen und ihn zu betütteln und zu beglucken. Etwas, das der andere überhaupt nicht ausstehen konnte und ihn häufig zur Weißglut trieb. Ran versuchte natürlich auch, wenn sie bei ihrem Onkel war, ihm so viel es ging abzunehmen, da sie es ihm nur zu deutlich am Gesicht und an den Bewegungen ablesen konnte, wenn ihm einmal wieder jede Bewegung weh tat und er vor Schmerzen am liebsten aufschreien würde. Der Teenager war dabei jedoch wesentlich subtiler. Statt einem ‚Yoshiki, du gehörst ins Bett!‘ zog sie ihn einfach in sein Schlafzimmer und stürzte sich dann mit einer Knuddelattacke auf ihn – so war er auch im Bett und gegen Kuscheln hatte er noch nie etwas gehabt. Ähnlich war es, als ihr Vater erst vor wenigen Monaten wieder einen seiner glorreichen Einfälle gehabt hatte, die bei Yoshiki jedoch nicht wirklich ankamen. Erneut war er für knapp eine Woche bettlägerig gewesen, da die Schmerzen, die vom Bandscheibenvorfall in der Lendenwirbelsäule ausstrahlten, so massiv waren, dass er kaum mehr Gefühl in den unteren Extremitäten gehabt hatte. Jene äußerst eingeschränkte Bewegungsfreiheit hatte ihn furchtbar launisch und mürrisch gemacht, sodass Kouki, pragmatisch wie er war, schlicht und einfach einen Rollstuhl besorgt hatte. Natürlich war ihr Onkel überhaupt nicht davon begeistert gewesen - schließlich war er ‚kein verkrüppelter Krüppel!‘ Ran wusste, dass ihr Vater es nur gut meinte, aber sie kannte auch nur zu gut Yoshikis Stolz. Die nächsten Male, als sie also bei ihm war und es ihm wieder besser ging, schnappte sie sich das verhasste Gefährt und machte das Haus damit unsicher, um ihm so zu zeigen, dass er damit wesentlich mobiler war, wenn es ihm wieder schlechter ging und er so mehr machen konnte, als nur untätig im Bett herum zu liegen und darauf zu warten, dass die Schmerzen nachließen und die Taubheit in seinen Beinen, sowie die Gefühllosigkeit in seinen Fingern wieder verschwand. Wenige Wochen später, als sie nach der Schule direkt zu ihm ging, um für den Wettbewerb zu üben, benutzte er dann doch tatsächlich den unliebsamen Rollstuhl. Der Blick, den er ihr zuwarf, sprach Bände aber das war egal – Hauptsache, er lag nicht bewegungsunfähig im Bett und spielte den bissigen Kranken, gegen den sich die ganze Welt verschworen hatte! Zwar erleichterte das Prickeln in seinen Fingern, das sich anfühlte, als hätte er in eine Steckdose gelangt, nicht gerade das Anschieben, aber er war immer noch mobiler als ohne.

Der schwere Schlag kam dann vor wenigen Tagen, als sie bei ihm war und die Stücke für den Wettkampf durchspielte. Alles schien in Ordnung zu sein, doch als er in die Küche ging, um für sie beide etwas zum Trinken zu holen, erklang zunächst das Zerbrechen von Glas auf Fliesen und gleich darauf ein dumpfer Schlag, so als wäre ein Körper zu Boden gestürzt. Sofort war sie zu ihrem Onkel gerannt, der verzweifelt versuchte, wieder auf die Beine zu kommen, es aber beim besten Willen nicht schaffte – er hatte absolut kein Gefühl mehr. Ran war nahe daran in Panik zu verfallen, aber es reichte schon, wenn Yoshiki hysterisch wurde, was sie nachvollziehen konnte, da sie es an seiner Stelle auch gewesen wäre. Eiligst rief sie, gegen seinen Willen, einen Notarzt und anschließend Toshi an. Sie hatte relativ schnell herausgefunden, dass ihr Onkel seinem kleinen Bruder nur ungern Sorgen bereitete, weshalb sie in solchen Situation stets erst den Sänger anrief, so wie es ihr Vater ihr damals vor zehn Jahren eingebläut hatte. Die Diagnose, als der Pianist dann im Krankenhaus war, war niederschmetternd – Lähmung der unteren Extremitäten, sowie eingeschränkte Wahrnehmung der oberen, da die vorgefallenen Bandscheiben auf die jeweiligen Spinalnerven drückten. Jene Operation, die Yoshiki so lange vor sich her geschoben hatte, weil sie keine 100-prozentigen Erfolgsaussicht versprach, war nun unumgänglich, wenn man so viele Nervenzellen wie möglich retten und keine Querschnittslähmung riskieren wollte…
 

"Und unsere letzte Teilnehmerin ist Hayashi Ran", riss die Stimme des Ansagers sie aus ihren Gedanken. Mit Knien, die sich wie Wackelpudding anfühlten, trat sie hinaus auf die Bühne, ging bis zur Mitte, verbeugte sich und setzte sich dann an den Flügel. Ihr Herz hämmerte vor Aufregung gegen ihren Brustkorb und ihre Finger waren so feucht, dass sie wohl nur so über die Klaviatur schwimmen würden. Sie biss sich auf die Unterlippe und zwang sich zur Ruhe, was ihr nicht wirklich gelingen wollte. Bei den vergangenen Wettkampftagen hatte sie bei weitem nicht so starkes Lampenfieber gehabt. Vielleicht hätte sie doch auf ihren Onkel hören und ein anderes Lied wählen sollen… immer wieder hatte er kritisiert, dass sie sein Spiel nur kopiere und keine eigenen Gefühle in den Song hinein läge. Aber andererseits: sie wollte kein anderes spielen! Es musste eine Komposition aus dem 20. oder 21. Jahrhunderts sein und es sollte diese sein!
 

Ran wagte einen Blick in Richtung Jury und Publikum und spürte regelrecht die erwartungsvoll drein blickenden Augen auf sich. Kaum einer in dem Saal wusste wohl nicht, wer sie, aber vor allem, wer ihr Onkel war. Aus dem Programm ging hervor, welches Lied sie spielen würde und sicherlich fragten sich alle, wie es klingen würde: wie bei YOSHIKI oder anders? Der Erwartungsdruck der Leute, aber vor allem ihr eigener, lasteten schwer auf ihr. Sie war stolz auf ihre Herkunft und sie wollte dieser auch gerecht werden. Nicht umsonst hatte sie schließlich ihr ganzes Taschengeld in einen Friseurbesuch gesteckt, bei dem sie sich ihre langen Haare hatte blond bleichen lassen und anschließend noch kleine Locken mit dem Kreppeisen hatte einbrennen lassen. Hinterher war sie zwar völlig pleite gewesen, aber dafür sah sie ihrem Onkel in jungen Jahren zum Verwechseln ähnlich. Leider hatte sie sich nicht lange daran erfreuen können, denn die gebleichten Haare verstießen gegen die Schulordnung, weshalb sie suspendiert worden war, bis sie wieder eine anständige Haarfarbe hatte. Ihretwegen hätte das bis nach dem Wettbewerb sein können, aber ihre Eltern waren anderer Ansicht gewesen und drohten, sie abzumelden, wenn sie der Aufforderung nicht nachkäme. So hatten sich schlussendlich alle Beteiligten auf einen Braunton geeinigt - es war zwar kein Blond, aber die Familienähnlichkeit war auch so noch nur zu deutlich.
 

Sie wollte ihren Blick schon wieder auf den Flügel vor sich richten, als ihre Augen sich mit denen einer Person trafen, die ganz hinten saß. Zuerst glaubte sie Geister zu sehen, beziehungsweise schob es auf die Scheinwerfer, doch als sie fokussierte, war sie sich ganz sicher: Sie würde diesen einen Menschen unter tausenden erkennen und eben dieser eine schenkte ihr ein beruhigendes Lächeln und nickte ihr aufmunternd zu. Ohne es wirklich zu realisieren, erwiderte Ran es, wandte sich dann der Klaviatur zu, wischte ihre Finger an der Hose trocken und legte sie auf die weiß glänzenden Tasten.
 

"Ran… versprich mir, dass du nie gehst, ohne dich zu verabschieden!", hörte sie Yoshikis Worte in ihrem Kopf, die er ihr vor so vielen Jahren gesagt hatte, und die sie lange Zeit nicht verstanden hatte.
 

"Promise me you won’t leave!", klangen ihre eigenen Worte nach, die sie erst vor wenigen Tagen zu ihm gesagt hatte, kurz bevor er in den OP-Saal geschoben wurde. Doch ihr Onkel hatte sie nur schwach angelächelt und mit den Lippen ein "Goodbye" geformt.

Vor einigen Jahren hatten sie damit angefangen, sich auf Englisch zu unterhalten, damit Ran üben konnte…
 

‚And you, you never said goodbye.‘

Sie trug vielleicht nicht den Schmerz in sich, den der Verlust eines geliebten Menschen mit sich brachte, aber sie kannte zumindest die Angst. Als ihre Mutter von der Leiter gestürzt und für mehrere Stunden bewusstlos gewesen war, hatte sie befürchtet, sie würde nie mehr die Augen öffnen. Letztes Jahr war ihr Vater in einen Unfall verwickelt gewesen – außer ein paar Prellungen hatte er keine ernsthaften Verletzungen gehabt, aber als die davon erfahren und dies noch nicht gewusst hatte, hatten sich in ihrem Kopf Horrorszenarien abgespielt. Trotz aller Streitigkeiten, Auseinandersetzungen und Missverständnisse, liebte sie ihre Eltern und allein der Gedanke daran, auch nur einen von ihnen zu verlieren, trieb ihr Tränen in die Augen. Und natürlich Yoshiki… trotz aller medizinischen Fortschritte passierte es immer noch, dass ein Patient die Narkose nicht überlebte und er reagierte zudem noch auf diverse Medikamente allergisch, sodass auch ein anaphylaktischer Schock durchaus möglich wäre. Sie hätte nicht nur ihren Onkel, sondern auch ihren Mentor, ihren Lehrer, ihr Vorbild und ihren besten Freund verloren. Zudem hatte sie erst vor zwei Tagen ein Gespräch ihrer Eltern belauscht, in dem ihr Vater geäußerte hatte, dass es ihn nicht wundern würde, wenn sich sein großer Bruder das Leben nähme, wenn die Operation keinen Erfolg brächte, da er ohne seine Musik nichts mehr hätte, was ihn noch am Leben erhielte.
 

In diesem Moment auf der Bühne, als sie nur noch Yoshikis Blick auf sich spürte, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen, was seine Kritik immer bedeutet hatte. Der Song, den sie sich ausgesucht hatte, zeichnete sich durch den Schmerz im Spiel aus und Gefühle konnte man nicht nachahmen. Seit der ersten schlechten Bewertung von Yoshikis Seite aus, hatte sie stets versucht ihn so gut es ging zu kopieren, aber er hatte es stets bemängelt. Sie spielte das Lied perfekt, aber es war leer.

Mit dieser neuen Erkenntnis und dem Wissen, dass ihr Onkel doch noch da war, obwohl er eigentlich im Krankenhaus liegen sollte, da er frisch operiert war, atmete sie tief durch, schloss die Augen und schlug dann gleichzeitig mit der rechten Hand den Vierklang B-Dis-Fis-A und mit der linken ein B an. Die sanfte Melodie von Tears erklang.
 

"Sie ist nervös…"

"Kein Wunder, ich habe kein gutes Haar an ihr gelassen, wenn sie den Song gespielt hat", antwortete Yoshiki leise und ein Lächeln zierte sein Gesicht, als sein Blick den seiner Nichte traf.

"Sie scheint sich zu fassen…"

"Ich hoffe es, sie kann nicht ewig dort oben rumhocken und nichts tun!"

Kaum, dass er dies leise ausgesprochen hatte, erklang der Anfang von jenem Lied, in dem er den Tod seines Vaters verarbeitet hatte. Der Pianist schloss die Augen und ließ die sanften Klänge des Flügels auf sich wirken. Zufrieden öffnete er sie wieder, als er hörte, was er hatte hören wollen. Ran hatte endlich verstanden, was er die ganze Zeit von ihr gefordert hatte.

„Sie ist gut…“

„Bei mir als Lehrer…!“

„… ist es eher verwunderlich, dass sie einzelne Tasten anschlägt und nicht mit dem ganzen Unterarm auf die Klaviatur einprügelt…“

Kurz blies Yoshiki vor Entrüstung die Backen auf, ließ es dann aber auf sich beruhen und wandte seufzend seine Aufmerksamkeit wieder der Bühne zu.

„Lust, noch einmal selbst dort oben zu sein?“

„Ehrlich, Tosh? Ein wenig… aber die Zeiten sind vorbei… es ist Zeit, der nächsten Generation Platz zu machen…“
 

„Solche Worte aus deinem Mund, Yosh?!“, entgegnete Toshi kopfschüttelnd und legte eine Hand auf die Schulter seines besten Freundes, hinter dem er stand, und drückte sie leicht.

„Das Leben geht weiter… wenn es etwas gibt, das ich gelernt habe, dann das… wenn man in einer Sackgasse landet, dann geht man eben ein paar Schritte zurück und nimmt die nächste Abzweigung – irgendwie geht es immer weiter, Tosh… die Welt hat nicht stillgestanden, als mein Vater und hide starben und sie tat es auch nicht nach der Auflösung von X JAPAN… und ich schätze, auch jetzt wird sie sich weiterdrehen“, entgegnete Yoshiki leise und deutete an sich hinunter, wobei sein Blick aber nie von Ran und dem Flügel wich. Er war stolz auf sie, wie er es auf seine eigene Tochter wäre. Aus dem kleinen, manchmal bockigen Mädchen von damals war eine junge Frau geworden, die anfing ihren eigenen Weg zu gehen. Natürlich wäre es besser, wenn er im Krankenhaus liegen, sich schonen und keine unnötigen Risiken eingehen würde, aber sie dort oben zu sehen und zu hören, wie sie jenen Song spielte und interpretierte, den er vor so vielen Jahren geschrieben hatte, war es das wert.
 

Der Schlussakkord ertönte und erst jetzt wagte es Ran die Augen wieder zu öffnen. Als dieser verklungen war, begann das Publikum zu klatschen, aber für sie klang es genauso wie die anderen Beifälle. Ohne einen weiteren Gedanken mehr daran zu verschwenden, stand sie auf, verbeugte sich erneut und verließ die Bühne. Doch anstatt Backstage zu gehen, ging sie über eine kleine Treppe direkt in den Zuschauerraum hinunter, was ihr einige verwunderte Blicke einbrachte. Sie zwang sich langsam den Hauptgang hinunter zu gehen, an dessen Ende ihr Onkel saß.
 

Kinnlange, schwarze Haare, die von einigen grauen durchzogen wurden - nach seinem Rückzug aus der Öffentlichkeit hatte er mit dem Bleichen aufgehört -, braune, schmale Augen, hinter keiner Sonnenbrille versteckt, die ihren Blick die ganze Zeit hielten und ein angedeutetes Grinsen auf den Lippen; eine Halskrause sowie eine Schiene an der linken Hand, ein weißes Sweatshirt, das mindestens eine Nummer zu groß war und ausgewaschene Jeans… es war nicht der Yoshiki, der vor etlichen Jahren die Bühne verlassen hatte und den die meisten wohl in Erinnerung hatten. Es war schlicht und ergreifend ihr Onkel – ohne eine Meute Angestellter um sich herum, nur Toshi. Sie lächelte, als sie ihn sah, war er doch nach all den Jahren nur noch ‚Onkel Tosh‘. Was allerdings einem achten Weltwunder gleich kam und sie kurz stocken ließ, da sie ihren Augen kaum traute, war, worauf, besser gesagt, worin Yoshiki saß – einem Rollstuhl. Vor ein paar Wochen noch hätte er sich nie im Leben dazu ‚herabgelassen‘… vor allem nicht in aller Öffentlichkeit!
 

Eigentlich hatte sich Ran vorgenommen nicht zu rennen, einfach, weil es sich nicht schickte, aber auf den letzten Metern warf sie diesen Vorsatz doch noch über Bord. Zumindest an ihrem anderen, vor Freude nicht laut den Namen ihres Onkels zu quietschen, hielt sie fest - sie hatte ihn mit etwas ähnlichem schon einmal ziemlich in die Bredouille gebracht, das musste sie nicht noch einmal wiederholen. Bei ihm angekommen stürzte sie sich in seine Arme und drückte ihn so fest es ging, wobei jegliche Operationswunden erst einmal vergessen waren, bis...

"Ran…!"

"‘Tschuldigung!"

Augenblicklich ließ sie los, setzte sich dafür auf seinen Schoß, schlang die Arme lose um seinen Hals und kuschelte sich an ihn, so wie sie es oft als kleines Kind getan hatte.

"Schon okay", tat Yoshiki es ab und schlang seinerseits die Arme um sie, um sie leicht festzuhalten.

"Ich bin einfach nur froh, dass du da bist!"

"Merkt man", entgegnete Toshi grinsend und wuschelte ihr durch die Haare, woraufhin sie seine Hand wegschlug und kurz eine Schnute zog.

"Du solltest dir eine neue zulegen, gegen die bin ich seit Yosh immun", lachte der Sänger.

"Stimmt nicht! Sonst wärst du jetzt nicht mit mir hier!", widersprach der Pianist und schob die Unterlippe vor.

"Das war nur zu deinem Schutz."

"Stimmt! Was machst du eigentlich hier? Solltest du nicht im Krankenhaus sein? Laut Papa musst du dich doch noch mindestens vier Wochen schonen, ehe du mit der Reha anfangen kannst!", mischte sich Ran mit ein und richtete sich etwas auf, um Yoshiki besser ansehen zu können, der nur meinte, dass er sie hatte spielen sehen wollen.

"Yosh probte gerade den Aufstand, als ich vorbeikam, um ihn eigentlich zu besuchen", erklärte Toshi und schüttelte nur den Kopf. Hieß es nicht, dass im Alter die Vernunft kam?
 

"Ich bin froh, dass du da bist!", äußerte Ran und kuschelte sich wieder an ihren Onkel. Sie hatte in seinem Gesicht gesehen, dass er müde und erschöpft war, dass es ihn Kraft kostete, die er kaum hatte, hier bei ihr zu sein, aber sie war unendlich glücklich, dass er es trotz allem war.

"Ich auch…" Seufzend streichelte er über ihren Arm und hielt sie fest, während sich ein schelmisches Grinsen auf seine Züge schlich und er leicht den Oberschenkel anhob, wodurch sie kurz das Gleichgewicht verlor und erschrocken aufquiekte.

"Was…?" Sie brauchte einige Sekunden, um es zu realisieren, dann quietschte sie vor Freude auf, sodass sich etliche Leute im Publikum, die wie die anderen Teilnehmer auf die Verkündung des Ergebnisses warteten, zu ihnen drehten. Keiner wagte es jedoch die kleine Gruppe anzusprechen.

"Du kannst die Beine wieder bewegen!"

"Noch nicht ganz so, wie ich mir das vorstelle, aber ein Anfang ist immerhin gemacht…"

Statt einer Antwort umarmte sie ihn einfach und strahlte wie ein Honigkuchenpferd, so als ob sie diejenigen wäre, die nicht mit einer Querschnittslähmung rechnen müsste.
 

„Wo stecken eigentlich deine Eltern?“

„Ich schätze backstage…“

„Gut, dann kann mich Kouki nicht killen!“

Vor seinem inneren Auge sah Yoshiki seinen Bruder schon ausflippen, wenn er ihn sehen und in die Finger kriegen würde. Hoffentlich konnte Toshi schnell schieben!

„Wie war ich überhaupt?“

Ran hatte sich wieder aufgesetzt, sodass sie ihn direkt ansehen konnte.

„Gut, denke ich“, antwortete ihr Onkel, während dessen Freund ein ‚Spitze!‘ äußerte.

„Setz ihr nicht solche Flausen in den Kopf, Tosh! Das Ganze ist durchaus noch ausbaufähig und wenn du jetzt ‚Spitze!‘ sagst, dann kommt sie am Ende noch auf die Idee, sich auf ihren Lorbeeren auszuruhen!“

Augenblicklich entbrannte zwischen den beiden Freunden eine Diskussion über musikalische Erziehung, der Ran aber nicht wirklich folgte. Sie war mit der Kritik zufrieden, da sie wusste, dass ein ‚Sehr gut‘ von Yoshikis Seite aus etwas sehr seltenes war. Dazu war er viel zu sehr Perfektionist und das war ihr auch Recht so, denn nur so ging sie über ihre Grenzen hinaus und holte das allerletzte heraus.
 

Seufzend lehnte sie sich wieder gegen seine Brust und beobachtete das Treiben der Leute um sie herum. Ganz vorne an der Bühne konnte sie die Jury ausmachen, die anscheinend immer noch beriet.

„Wie lange brauchen die eigentlich noch?“

Anscheinend hatten Yoshiki und Toshi ihre Meinungsverschiedenheit über ihr Spiel beigelegt.

„Keine Ahnung… die letzten Tage ging es ziemlich schnell…“

„Du bist die Ungeduld in Person, Yosh!“

Manchmal klangen die beiden Freunde wie ein altes Ehepaar, was wohl kein Wunder war, wenn man fast sein ganzes Leben miteinander verbracht hatte.

„Apropos… du, Yoyo…“

Ran zog die letzte Silbe in die Länge und sah ihn aus großen Augen an.

„Oje, ich kenn den Tonfall… was hast du jetzt schon wieder angestellt? Ist es immer noch wegen der Haare?“ Er selbst hatte die Aktion ja niedlich gefunden, womit er aber so ziemlich alleine dastand.

„Naja… ich musste doch für den Wettbewerb üben und da hatte ich keine Zeit mehr für den Mathetest zu büffeln, von dem ich eh nicht wusste, dass er überhaupt stattfindet und…“

„Und ich soll es deinen Eltern beibringen, dass du es vermasselt hast?“, riet Yoshiki, der das bereits kannte.

„Ein bisschen was wusste ich ja… und ich kann die Prüfung noch einmal schreiben…“

„Welche Note?“

„E… immerhin kein F!“

„Deine Eltern wissen nichts?“

„Nein…“

„Dann sagen wir einfach gar nichts. Rettet uns beiden den Kopf und für die Nachprüfung lernst du einfach entsprechend!“

„Ich brauch aber eine Unterschrift von einem Erziehungsberechtigten…“

„Als könnte ich Koukis Unterschrift nicht fälschen…!“

Ein Grinsen breitete sich auf Rans Gesicht aus, als sie Yoshikis Plan verstand.

„Das ist Unterschriftenfälschung, Yoshiki!“

„Ist doch nur ein Wisch für die Schule“, tat dieser Toshis Einwurf ab und zuckte mit den Schultern.

„Richtig ist es trotzdem nicht!“

„Du musst es ja nicht mit deinem Gewissen vereinbaren“, entgegnete der Pianist und sein Gesichtsausdruck zeigte deutlich, dass der Sänger nichts daran ändern konnte.

„Danke, Yoshiki.“ Ran hauchte ihm einen Kuss auf die Wange und als sie ihre Aufmerksamkeit wieder in Richtung Jury wandte, merkte sie, dass sich diese nicht mehr beriet. Die Bekanntgabe der Gewinner stand also kurz bevor.

„Streng dich bei der Nachprüfung an – C ist Minimum oder ich nehm dich nicht mit nach Paris zum Shoppen!“

„Was?!“ Entrüstet drehte sie sich zu ihm und zog eine Schnute, „aber darauf freu ich mich schon das ganze Jahr!“

„Der Deal war, dass die Schule nicht unter der Musik leidet.“

Natürlich erinnerte sie sich nur zu gut daran, schließlich war es die Bedingung gewesen, unter der ihre Eltern dem Wettbewerb zugestimmt hatten.

„Okay, okay… ich seh, was ich tun kann“, gab sie sich geschlagen, da mit Yoshiki zu argumentieren sowieso sinnlos war.
 

Schließlich kam wieder Regung in den Wettbewerb und der Ansager trat auf die Bühne, um die Finalisten und Finalistinnen zu sich zu bitten. Eilig verabschiedete sich Ran von ihrem Onkel und reihte sich bei den anderen ein, die alle von hinter der Bühne gekommen waren. Am Abgang dorthin konnte sie ihre Eltern erkennen, die ihr einen fragenden Blick zuwarfen. Die ganze Zeit über hatten sie sich gefragt, wohin ihre Tochter nach dem Auftritt verschwunden war. Diese tat das Ganze jedoch mit einem entschuldigenden Lächeln in ihre Richtung ab und konzentrierte sich auf das, was gesagt wurde. Aber wirklich gelingen tat ihr das auch nicht, da sie viel zu nervös war, was sich darin zeigte, dass sie auf ihrer Unterlippe herum kaute und mit ihren Fingern herum spielte. Gemeinsam mit einem Mitglied der Jury begann der Moderator die Platzierungen von hinten her zu verkünden. Ein Teilnehmer nach dem anderen trat hervor, nahm eine Urkunde und einen Blumenstrauß entgegen. Der 15-Jährigen fiel schon einmal ein Stein vom Herzen, als ihr Name nicht zuerst genannt wurde. Als der Drittplatzierte jedoch aufgerufen wurde und nach vorne ging, um sich neben den anderen Sachen auch einen kleinen Pokal sowie einen Scheck abzuholen, wurde sie zunehmend unruhiger, da sie sich eigentlich diese Platzierung erhofft hatte. Das konnte also nur bedeuten, dass sie…
 

"Und nun kommen wir zu der Erst- und Zweitplatzierten. Es war ein Kopf-an-Kopf-Rennen, meine Damen und Herren, und wirklich nicht einfach, aber letztendlich ist die Jury zu dem Ergebnis gekommen, Hayashi Ran zur Siegerin zu küren!"

Es folgten noch weitere Worte, die zum Teil schon im Applaus untergingen und von denen sie nicht mehr wirklich etwas mitbekam, da sie viel zu sehr damit beschäftigt war, die Informationen zu verarbeiten. Sie hatte sich die Hände vor den Mund geschlagen und starrte nur mit aufgerissenen Augen zu ihrem Onkel, der genau in ihrem Blickfeld war und einen Gesichtsausdruck drauf hatte, als hätte er gerade selbst gewonnen. Irgendwo im Hintergrund vernahm sie auch die stolze Stimme ihres Vaters, der immer nur wiederholte, dass er es doch gewusst hätte.
 

Wirklich zu sich kam sie erst wieder, als der Ansager gemeinsam mit Kawai Hirotaka zu ihr kam, um ihr zu gratulieren und ihr den Gewinn zu überreichen. Irgendwie versuchte sie Blumen, Urkunde, Scheck und Pokal zu balancieren, während sie gleichzeitig die Verbeugungen erwiderte.

"Ran, wir alle waren von deiner Interpretation von Tears sehr angetan und möchten dich bitten, es noch einmal zu spielen", wandte sich der Firmenchef von Kawai an die Gewinnerin.

"Noch einmal… spielen?"

Etwas perplex sah sie die beiden älteren Männer an und bekam nur am Rande mit, wie die anderen bereits die Bühne wieder verließen. Ein einstimmiges Nicken brachte sie dazu zuzustimmen, ehe sie dann doch noch einmal zögerte.

"Wäre es vielleicht…" Sie war nahe an sie herangetreten und flüsterte ihnen eine Frage zu, auf welche sie sie erst äußerst überrascht ansahen, dann aber einwilligten. Ein Strahlen breitete sich auf ihren Gesichtszügen aus, ehe sie zuerst schnell wie der Wind Backstage verschwand, ihre Sachen dort ihren Eltern in die Hand drückte und dann auch schon wieder weg war, einmal über die Bühne und quer durch das Publikum zu ihrem Onkel rannte.
 

"Was tust du hier? Solltest du nicht spielen?", empfing Yoshiki sie äußerst verwundert.

"Nur mit dir!", antwortete sie und nahm seine Hand.

"Was?"

"Wir spielen zusammen!", entgegnete sie und zog an seinem Arm. Mehr reflexartig als gewollt, gab er diesem nach und stand auf. Es war seltsam, wieder auf beiden Beinen zu stehen, da er zwar endlich wieder Gefühl in ihnen hatte, die Koordination aber noch nicht wirklich da war. Dies merkte er auch nur zu deutlich, als er einen Schritt auf seine Nichte zu machen wollte und ins Straucheln geriet. Zu seinem Glück war Toshi sofort bei seiner Seite, um ihn festzuhalten und auch Ran ließ seine Hand los, um ihn zu stützen.

"Du musst dich schonen!", beharrte sein bester Freund und sah ihn eindringlich an, doch wie so oft ignorierte er ihn.

"Ran…"

"Bitte!", bettelte sie und bedachte ihn mit einem Blick, den er nur zu gut von seinem kleinen Bruder kannte, wenn diese etwas von ihm wollte - meistens, dass er mehr Rücksicht auf sich selbst nehmen sollte.

"Ran…"

"Ich habe gefragt und sie haben Ja gesagt! Komm schon, Yoyo… so wie bei dir zuhause am Flügel!"

"Ich war seit Jahren nicht mehr auf der Bühne, Ran-tan…"

"Es ist nicht der Tokyo Dome, das weiß ich, aber… bitte! Bittebittebitte!!!"

Angesichts dieser Argumentation konnte er nur schmunzeln und den Kopf schütteln, sodass er letztendlich nachgab und einwilligte, was seine Nichte nur zum Strahlen brachte. Im Grunde hatte er ihr noch nie etwas wirklich abschlagen können…

"Aber ich laufe da vor", fügte er noch hinzu und machte eine Kopfbewegung in Richtung Bühne - sein Stolz war schließlich noch nicht ganz den Bach hinunter gegangen und zudem war es ein kleiner Beweis an sich selbst, dass seine Willenskraft, die allein ihn früher schon durch so manches Konzert gebracht hatte, noch da war.
 

Es verstand sich von selbst, dass Ran und Toshi ihn festhielten, während sie langsam gemeinsam den Gang hinunter gingen. Mit jedem Schritt zitterten seine Beine vor Anstrengung mehr und er war froh den kräftigen Griff seines besten Freundes um seine schmalen Hüften zu spüren und in seine Nichte eine weitere Stütze zu haben. Ein Raunen ging durch das Publikum und auch den Juroren war die Überraschung ins Gesicht geschrieben, als sie mit eigenen Augen sahen, mit wem die Gewinnerin zurück auf die Bühne kam. Sie alle wussten, was Sache war, da der Notarzteinsatz in Yoshikis Villa von den Paparazzis nicht unbemerkt geblieben war. Auch wenn er schon seit Jahren im Hintergrund agierte und die Öffentlichkeit mied, ganz wurde er die Presse nie los und so war es nicht verwunderlich gewesen, dass am Tag nach seiner Einlieferung die Zeitungen voll davon waren, es die wildesten Spekulationen gegeben und seine Leute letztendlich eine kurze Pressemitteilung veröffentlicht hatten. Dies war nur noch ein weiterer Ansporn für ihn, die letzten Meter auf seinen eigenen Beinen zurückzulegen und nicht vorher schlapp zu machen. Nichtsdestotrotz war er äußerst glücklich, als er sich endlich auf die Klavierbank setzen konnte. Vor allem die vier Stufen auf die Bühne hoch, hatten ihm viel abverlangt, doch das versuchte er, wie schon früher, mit einem zurückhaltenden Lächeln zu überspielen. Normalerweise, wenn er Tears gemeinsam mit Ran spielte, saß er rechts, doch diesmal rutschte er auf die linke Seite hinüber, sodass ihn seine Nichte nur verwirrt ansah.

"Du spielst Lead, ich begleite", war seine einfache Erklärung, als sie sich zögerlich neben ihm niederließ und nur am Rande mitbekam, wie ihre Mutter ihren Vater beruhigte, das Publikum leise tuschelte und die Juroren sich an ihren Tisch zurückgezogen hatten.

"Aber sonst war es immer anders herum...“

"Das ist deine Bühne und nicht meine!", entgegnete er und sah sie aufmunternd an. Zudem traute er seinen Fingern, in denen es immer wieder unangenehm kribbelte, nicht so recht, sodass er nicht auf Risiko spielen wollte, nur um dann Rans großen Auftritt zu vermasseln.

"Singst du, Toshi?", wandte sich Yoshiki an seinen besten Freund, der bisher noch neben ihm gestanden hatte und nun verneinend den Kopf schüttelte.

"Das ist eure Bühne", war seine einfache Antwort und damit gesellte er sich zu Kouki und Chika, die ihren Mann am Arm festhielt und versuchte ruhig zu halten.

"Was macht mein Bruder hier?!"

"Erkläre ich dir später – dann kannst du auch ausflippen. Jetzt hör einfach nur zu!"
 

"Dann also wie immer, nur mit verdrehten Rollen?", fragte Ran flüsternd und wischte mit ihren Händen über ihre Hose. Obwohl es nun um nichts mehr ging, war sie furchtbar nervös und die plötzliche Stille, die im Saal herrschte, seit Toshi gegangen war, half nicht unbedingt, um ruhiger zu werden.

"Zähl bis vier vor und dann spielen wir", entgegnete Yoshiki und entledigte sich rasch der Handgelenksbandage, die er an der linken Hand getragen hatte. Sein eigener Blick und der seiner Nichte begegneten sich kurz, er lächelte ihr aufmunternd zu und sortierte seine Finger dann auf dem unteren Teil der Klaviatur.

"Eins…"

Trotz der Erklärung, die sie erhalten hatte, konnte die 15-Jährige den plötzlichen Rollentausch nicht wirklich nachvollziehen. Aber in 10 Jahren hatte sie vor allem eines gelernt, dass sie weiterzählen ließ: Vertrauen. Ihr Onkel würde sie nichts tun lassen, von dem er sich nicht sicher war, dass sie es schaffen würde.

"… Zwei…"

Inzwischen routiniert legten sich ihre langgliedrigen Finger auf die kalten Tasten und ihr rechter Fuß spielte probeweise mit dem Legato-Pedal. Sie atmete einmal tief ein und aus, biss sich kurz auf die Unterlippe und schloss dann die Augen - die Anspannung von eben war Konzentration gewichen.

"… Drei…"

Für einen Augenblick schielte Yoshik zu Ran hinüber und nickte leicht bei dem, was er sah. Seine Entscheidung mochte sie vielleicht verwirrt haben, aber sie war der Sache gewachsen – dessen war er sich sicher. Das, was er schon festgestellt hatte, als sie das erste Mal als Fünfjährige für mehrere Tage bei ihm gewesen war, hatte sich auch im vergangenen Jahrzehnt bewahrheitet. Sie konnte stur, bockig und respektlos sein, wenn sie etwas nicht interessierte, dann biss man bei ihr auf Granit und Nerven aus Draht waren wohl eine Grundvoraussetzung - doch wenn es darauf ankam, dann konnte man sich voll und ganz auf sie verlassen. Es war, wie er es auch schon zu Toshi gesagt hatte: Es war an der Zeit, die Fackel weiterzugeben, und er war sich sicher, dass Ran seine jetzige Geste, sie Lead spielen zu lassen, eines Tages verstehen würde.

"… Vier!"
 

ENDE
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Jaeba
2010-03-04T17:51:17+00:00 04.03.2010 18:51
... Ich weiß nicht, was ich sagen soll ...
Es ist einfach perfekt! Und noch mehr zu dieser Geschichte zu schreiben, wäre einfach fehl am Platz. Das ist wirklich ein perfektes Ende für die Story!
Die Gefühle sind wie immer gelungen rübergebracht worden und eines kann ich dir sagen:
Ich möchte Ran immer noch adoptieren. ^.~
Ich mag sie. ^^
Wie auch immer: Dies ist definitiv von der Sorte Ende, bei selbst ich nicht nach einer (weiteren) Fortsetzung jammer.
Deswegen bekommst du dieses Mal und nur ein "Freu mich schon auf eine neue Fanfic von dir" und kein "Hoffe, du schreibt 'ne Fortsetzung". :3

Bin gespannt, was wir sonst noch so aus deiner Feder zu lesen bekommen. ^.~
Liebe Grüße
JaeKang
Von:  Terra-gamy
2010-03-04T16:35:14+00:00 04.03.2010 17:35
Einfach toll^^
Alle Gefühle von Ran hast du mal wieder so gut dargestellt, dass man einfach nur mitfühlen und schmunzeln konnte.

Ich weiß nur nicht, ob Yoshiki in 10 sich nicht doch noch die Haare bleicht^^

Ich musste mir übrigens Vorstellen, wie Toshi mit Yoshiki im Rollstuhl vor Kouki flieht und Yoshiki, der Tempo magt feuert ihn an schneller zu sein^^ *gogo*
Von:  Kaoru
2010-03-04T15:59:44+00:00 04.03.2010 16:59
Ha, da ist sie ja^^ Und ich dachte schon, auf meiner Pers. Startseite steht 'Tei hat einen Kommi für BD hinterlassen', aber wieder nichts *mitZaunpfählenwink*

*sichräuspert*
Ich liebe die Stelle, wie sich Ran an das Klavier begibt und total aufgekratzt ist, bis sie Yosh sieht... Dieser unvernünftige Mistkerl!
Und ich hasse die Stelle, wie der Erzähler sagt, dass X nicht mehr existiert-.- Das hat was von Realität und ist es nicht schön, in seinen Träumen und Wünschen zu leben*schwärm* Wollen wir hoffen, dass es noch eine Weile bis zu dem Tag dauert und dass wir vllt noch mal was von ihnen live haben.
*grins*
'Wenn sie so spielen würde, wie du, dann würde sie mit den Armen auf die Klaviatur einhauen?'
Oh ja, wie viele Klaviere Yosh in seinem Leben schon vernichtet hat, möchte ich gar nicht so genau wissen^^;;
Ich habe mal so für mich festgestellt, dass du dir viel Mühe mit Toshi gibst- machst du das mit Absicht, damit er mir wieder sympathischer wird? Ich bin nachtragend und bleibe es auch, nur damit du es weißt*Armeverschränkt* Aber ich muss zugeben, dass deine Darstellung von ihm als loyalen Freund etwas hat. Niedlich, wie er Yosh besuchen wollte und der schmiss gerade mit iwelchen Gegenständen um sich, um aus dem KH entfliehen und zu Ran zu können- die Schwestern hatten bestimmt schon die Beruhigungsspritzen in der Hand^___^
Nya, und Kouki? Armer Yosh... sobald der von dem Klavierhocker wieder runter ist, kann der sich bestimmt eine richtig handfeste Standpauke anhören...
Süße, die Szenen zwischen Yosh und Ran*.*
Wie sie auf seinem Schoß saß und ihn umarmte... Hach, ich kann mir vorstellen, dass sie es genießt, mit ihm verwandt zu sein- auch wenn er bestimmt kein einfacher Mensch ist und garantiert sehr perfektionistisch^^ Ein wenig wie du:-p

Ähm... ich hab bestimmt wieder die Hälfte vergessen^^;;

Egal, sehr schöne Story und nun fällt es noch schwerer, die beiden wieder in Ruhe zu lassen^^
(Übrigens schönes Bild von Ran, man nimmt Yosh die Frau ab:-p)

*knuddel*


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