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Schreie der Nacht

von

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Weit war der Abend nun schon fortgeschritten. Um sie herum zuckten Lichter, laute Musik dröhnte durch den überfüllten Club und Aileen fühlte sich einfach nur fehl am Platze.

Was zum Teufel hatte sie nur geritten, als sie sich breitschlagen ließ, ihre beste Freundin hierher zu begleiten?

Gelangweilt nippte Aileen an ihrer Cola, sah all den Jugendlichen bei dem zu, was diese wohl tanzen nannten. Seltsame Zuckungen, merkwürdige Verrenkungen, dazu waren die meisten entweder betrunken oder auf Drogen. Bestenfalls auch gleich beides.

Irgendwo in der Menge erkannte sie gerade noch Becca – jene Person die Schuld daran hatte, dass sich Aileen hier langweilte. Becca schien ihre Freundin bereits vergessen zu haben, war sie doch intensiv damit beschäftigt, einen Drink nach dem anderen hinunterzustürzen und mit mehreren Jungs gleichzeitig zu flirten.
 

Mit einem entnervt klingenden Seufzen wandte sich Aileen um und versuchte sich zur Toilette durchzukämpfen. Natürlich war der schmale Gang dorthin regelrecht verstopft, offensichtlich wollte der halbe weibliche Teil der Clubbesucher zeitgleich das stille Örtchen in Anspruch nehmen.

„Ey, kannst du nicht aufpassen, oder was?“, fuhr ein ziemlich knapp bekleidetes Mädchen Aileen an, als sie sich vorbeidrängte. Aileen’s gemurmeltes „Sorry“ hatte sie wohl kaum mitbekommen, schließlich lästerte sie längst mit ihrem ziemlich betrunkenen Anhängsel und schrie Aileen einige besondere Blüten ihrer Wortwahl nach.

Diese verdrehte nur die Augen und rempelte sich weiter durch.
 

Warum auch immer der Toilettengang so verstopft war, wenn der Raum an sich wie ausgestorben wirkte, war wohl die letzte Frage, die Aileen sich stellte.

Fluchend stützte sie sich am Waschbecken ab und betrachtete ihr Spiegelbild.

Ihre langen, rotbraunen Haare hingen ihr wirr ins Gesicht und sahen aus, als hätten sie es dringend notwendig, gewaschen zu werden. Das Mädchen holte ein Haargummi aus der Tasche ihrer Jeans und band sich die Haare zu einem Pferdeschwanz. Dass sich eine Strähne jedoch nicht zurücknehmen ließ, störte sie.

Offenbar war sie zu kurz. Was nicht sein konnte.

Heute Morgen war diese Strähne noch genauso lang gewesen wie der Rest ihrer Haare. Warum zum Teufel war das jetzt nicht mehr so?

Erneut versuchte sie, ihre Haare ordentlich zusammenzubinden.
 

„Verdammt!“

Damit ließ Aileen es bleiben und ihre rotbraune Mähne offen. Momentan hatte sie einfach nicht die Geduld, sich mit solchen Kleinigkeiten groß auseinanderzusetzen.

In der schwarzen Tasche, die sie bei sich trug, kramte sie nach der kleinen, aufklappbaren Bürste, die sie immer eingesteckt hatte.

Hastig kämmte sie sich, verstaute die Bürste wieder und schreckte auf.
 

Nichts.

Nur der Vibrationsalarm ihres Handys.

Aileen holte es aus der Tasche und überprüfte den Grund für den Alarm.

Nur eine SMS. Von Becca.

Ach, Dame gedachte also doch noch, sich bei Aileen zu melden, wenn sie sie schon mitschleifte.
 

30.05.2009/ 23: 49

Von: Becca
 

heyyy wo bist du???

komm zur bar da sind n paar süße jungs!!

kiss becci
 

Oh ja. Wie toll. Ein paar süße Jungs an der Bar?

Meinte Becca nicht eher ein paar völlig besoffene, idiotische Typen, die nur dann als süß zu definieren waren, wenn man selbst die entsprechende Menge Alkohol intus hatte?

Mit einem Kopfschütteln löschte Aileen die Kurzmitteilung und blickte erneut kurz in den vollkommen verdreckten Spiegel.

Ihre blauen Augen blitzten nicht halb so übermütig wie sonst, die dunklen Ringe sahen auch nicht sehr gesund aus.

Natürlich, so war es immer nach einer anstrengenden Prüfungswoche. Nächtelanges Lernen und hinterher sah man aus wie wochenlang nicht geschlafen.

Schlaf. Ja, das war gut. Eine gute Idee, ein guter Ansatz.

Aileen würde jetzt einfach zu Becca gehen, ihr über die viel zu laute Techno-Musik zubrüllen, dass sie nun gehen würde und sie mit diesen Affen allein lassen.

Es war ohnehin kein guter Plan gewesen, sich hierhin mitschleppen zu lassen.
 

Ein entschiedenes Nicken zu ihrem Spiegelbild und Aileen drehte sich um, verließ den Raum.

Mittlerweile brauchte sie sich nicht mehr durchzukämpfen, diesmal musste sie nur aufpassen, über keine der am Boden liegenden estalten zu stolpern.

Die meisten schliefen vermutlich, anderen waren die lustigen Pillen, die sie eingeworfen hatten, wohl zuviel geworden.

Und da vorne kotze sich auch noch jemand regelrecht die Seele aus dem Leib.

Na wie wunderbar. Ekelhaft. Einfach nur ekelhaft.
 

„Heeeeey! Aileen! Da bist du ja, ich hab dich schon gesucht!“

Mit diesen Worten hängte sich Becca an Aileen. Sie kicherte unkontrolliert und zog Aileen zur Bar.

Mit einem leicht angewiderten Blick schüttelte Aileen Becca ab.

„Ich werd jetzt gehen, Becca,“, sagte sie, „ich muss langsam nach Hause, ich bin müde!“

Den letzten Teil musste sie brüllen.

Enttäuscht und ein wenig beleidigt winkte Becca ab und ließ ihre Freundin stehen.

Müde lächelnd drängte sich Aileen quer über die Tanzfläche zum Ausgang.

Es war so wahnsinnig heiß hier drin. Viel zu warm.
 

Erleichtert atmete Aileen tief ein, als sie den Club verließ.

Die kühle Luft hier draußen wirkte beruhigend. Doch hier war es definitiv etwas zu kühl.

Aileen fröstelte ein wenig und verfluchte sich in Gedanken dafür, keine Jacke mitgenommen zu haben. Ein Blick auf die Uhr ihres Handys und das Mädchen stellte fest, dass es bereits eins wurde. In einer knappen Viertelstunde.

Wie zum Teufel war die Zeit so schnell vergangen?
 

Ein wenig ungehalten machte sie sich auf den Heimweg.

Zurzeit war Vollmond und das war gut. In dieser Gegend gab es kaum Straßenlaternen, da war das Mondlicht wirklich hilfreich.
 

Wieder schreckte Aileen zusammen.

Wieder nichts. Nur das Klingeln ihres Handys. Nummer unterdrückt.

Sie hob ab und meldete sich mit einem genervten

„WAS?!“
 

Doch die Geräusche, die aus dem Lautsprecher klangen, waren nicht vollkommen identifizierbar. Laute Hintergrundmusik, was auf den Club von vorhin schließen ließ. Grölen, dass wohl von jemandem sehr betrunkenen stammte. Mädchenhaftes Kichern, das konnte nur Becca sein.

“Verdammt, was soll das?“, schrie Aileen, bevor sie auflegte.
 

Wieder klingelte das Handy. Wieder dasselbe Spiel. Noch einmal. Und noch einmal.

Langsam wurde es Aileen zu bunt.

Sie schaltete das Mobiltelefon auf lautlos und ließ es in die Tasche gleiten.
 

Wütend schritt sie aus, rannte einen kurzen Teil der Strecke.

Bis sie erneut nach der Zeit sehen wollte.

Sechsundfünfzig versäumte Anrufe. Und offensichtlich auch ein paar SMS.

Vermutlich waren diese von Becca, dennoch öffnete Aileen die Kurzmitteilungen. Es konnte doch auch etwas wichtiges sein.
 

31.05.2009/ 01:09

Von: Becca
 

Lauf. Lauf weiter. Bleib nicht stehen. Stehenbleiben ist ein Fehler.
 

31.05.2009/ 01:15

Von: Becca
 

Hihi, hab ich dich erschreckt?
 

31.05.2009/ 01:17

Von: Becca
 

So ist’s gut, lauf! Lauf nur weg.
 

31.05.2009/ 01:21

Von: Becca
 

Was ist los? Warum läufst du nicht?
 


 

Was zur Hölle sollte das? War Becca jetzt vollkommen übergeschnappt?

Fassungslos sah Aileen die letzte Mitteilung an.

Was ist los?

Warum

Läufst

Du

Nicht?

LAUF!
 

Der Klingelton durchbrach die Stille der Nacht.

Verdammt, was sollte das alles? Warum klingelte das Handy hörbar? Es war doch lautlos!

Wieder nahm Aileen das Gespräch an.

„VERDAMMT NOCHMAL! HÖRT ENDLICH AUF! Was soll das, lasst mich in Ruhe!“

Beinahe schon hysterisch schrie Aileen diese Worte.
 

Einen Moment blieb es still. Dann war ein Knacksen und ein schrilles Lachen zu hören.

„VERDAMMT REBECCA HÖR AUF!“
 

„Ich bin nicht Rebecca. Willst du Rebecca sprechen? Das tut mir leid. Das geht nicht.“

Die Stimme am Telefon war ruhig. Sehr ruhig. Als ob man zu Tee und Kuchen eingeladen werden würde.

„Rebecca ist zwar hier, aber gegenwärtig leider, leider nicht zu sprechen. Offenbar verträgt sie viel weniger als sie dachte. Dummes kleines Mädchen.“
 

„WER SIND SIE?“, Aileen kreischte nunmehr.

„ WER SIND SIE UND WOHER HABEN SIE BECCAS HANDY?“
 

„ Das tut nichts zur Sache. Wir werden uns bald kennenlernen, Aileen. Deine Haare sind schön. Sehr schön sogar. Ich mag deine Haare.“

Mit diesen Worten beendete der Unbekannte die Unterhaltung.
 

Die nächsten Minuten stand Aileen da. Wie angewurzelt.

Starrte das Display ihres Handys an.

Und warf es mit einem Schrei so weit weg, wie sie nur konnte.
 

LAUF!
 

Sie rannte.

Schnell. Noch schneller. Noch nie war sie so schnell gelaufen.

Schrie sie?

Sie wusste es nicht.

Das Mädchen hatte keine Erinnerung ob sie geschrien hatte.
 

Wer zum Teufel war dieser Unbekannte? Was sollte das alles?

Was zur Hölle hatte der Typ gemeint, als er über ihre Haare gesprochen hatte?

War das irgendein kranker Psycho?
 

Aileen lief eine lange Mauer entlang.

Wenn man zur Abenddämmerung hier entlang ging, hatte man einen wundervollen Blick auf den Sonnenuntergang, zumindest meistens.

Die Ziegel wurden in ein schönes rot getaucht, als gäbe es ihr langweiliges Alltagsgrau nicht. Doch jetzt sah man nichts davon. Mitten in der Nacht, im hellen Mondlicht wirkte die Ziegelmauer eher bläulich.

Kalt.
 

Keuchend blieb Aileen stehen. Ihre Kondition war noch nie die beste, was jetzt sehr deutlich zum Vorschein trat.

Das Mädchen richtete sich auf und sah sich um.

Nichts.

Niemand.

Kein Grund, so auszuflippen.

Da hatte sich jemand nur einen dummen Scherz erlaubt, nichts weiter.
 

Ja genau, das war es. Musste es sein. Konnte nicht anders sein.

Aileen lehnte sich an die Mauer und rutschte zu Boden.

Sie atmete tief ein und aus, versuchte sich zu beruhigen. Ließ den Blick schweifen.

Zwei Autos fuhren vorbei.

Noch ein Auto.

Eine Autotür knallte zu.

Schritte wurden hörbar.
 

Aileen sah in die Richtung, aus der sie die Schritte vermutete. Wahrscheinlich würden jetzt gleich Becca und die Jungs, die sie aus dem Club mitgeschleppt hatte, um die Ecke kommen und sie auslachen.

Lachen, weil Aileen so überreagiert hatte.

Beinahe erleichtert lächelte das Mädchen und stand auf.
 

Langsam ging sie in die Richtung aus der die Geräusche kamen, wollte den anderen entgegengehen.

Die Schritte wurden lauter.

Jemand kam um die Ecke.
 

Wie angewurzelt blieb Aileen stehen.

Schwarze Schuhe.

Schwarze Hose.

Ein langer, ebenso schwarzer Mantel.

Ein großer, breitkrempiger Hut verdeckte das Gesicht.
 

„Hallo, Aileen. Du hast schöne Haare.“
 

Etwas Metallisches blitze im Mondlicht auf.

Aileen registrierte gerade noch, dass es sich um ein Messer oder eine Schere handelte.
 

Dann rannte sie. Mit einem Aufschrei drehte sie sich noch in der Gehbewegung um und rannte.

Seitenstechen setzte ein und um ein Haar wäre sie gestolpert.

Da vorne war das Ende der Ziegelmauer. Dort war eine Straße, dort begann eine lange Häuserzeile.

Dort war Hilfe!
 

Hinter sich hörte sie die regelmäßigen, langsam bleibenden Schritte des Unbekannten. Er schien sich absolut nicht aus der Ruhe bringen zu lassen.
 

Aileen drehte sich im Laufen um, wollte sich vergewissern, dass ein gewisser Abstand zwischen ihr und diesem Typen war.
 

Im nächsten Moment spürte sie einen stechenden Schmerz.

Was war das?

Aileen hatte das Gefühl zu fliegen.

Irgendwo, ganz weit oben. So leicht. So hoch. Weit weg von hier.

Weit weg von dieser Ziegelmauer, weit weg von diesem Unbekannten.

Dann wurde alles schwarz.
 

„Mmh … wo bin ich?“

Das Mädchen versuchte, die Augen zu öffnen. Ihre Lider waren schwer.

Was war geschehen?

Der Club, Becca. Ganz dunkel, aber dennoch, sie erinnerte sich.
 

Der Unbekannte!

Mit einem Schrei fuhr Aileen hoch.

Erschrocken blickte ihre Mutter sie an.

„Aileen? Oh mein Gott, Aileen, du bist wach!“
 

„Mama?“

Was? Was zur Hölle machte ihre Mutter hier?

Zum ersten Mal sah sie sich um.

Aileen lag in einem völlig weissen Zimmer.

Neben ihr saß ihre Mutter, kalkweiss im Gesicht.
 

„Was ist passiert?“, fragte das Mädchen.

„Du hattest einen Unfall. Du bist in ein Auto gelaufen, der Fahrer hat dich sofort hierher ins Krankenhaus gebracht. Ich … ich hole schnell einen Arzt, ich bin gleich wieder da.“

Zerstreut verließ Aileen’s Mutter das Krankenzimmer.

Einige Minuten saß Aileen regungslos da. Versuchte zu verstehen, was sie gerade eben gehört hatte.
 

Sie nahm die Zeitung, die auf ihrem Bett lag, ihre Mutter hatte sie offensichtlich gelesen, bevor Aileen aufgewacht war.

Auf der Titelseite war das Bild einer Puppe zu sehen.

Der Perückenmacher hat wieder zugeschlagen! stand in großen Buchstaben darüber.

Aileen schlug die entsprechende Seite auf.
 

Der Perückenmacher hat wieder zugeschlagen!

In der Nacht vom 30.auf den 31. Mai wurde erneut ein junges Mädchen Opfer des sogenannten „Perückenmachers“.

Rebecca T., vermutlich gerade auf dem Heimweg, wurde brutal niedergeschlagen und ihre Haare kurz geschnitten.

Die Polizei vermutet, dass es sich um jemanden handelt, der aus den Haaren der Mädchen Perücken herstellt und verkauft.

Bisher schlug er seine Opfer nur bewusstlos, doch wird vielleicht bald ein Mord zu erwarten sein?

Rebecca T. ist auf dem Weg der Besserung und befindet sich aufgrund des Schocks in therapeutischer Behandlung.
 

Aileen legte die Zeitung beiseite.

Der Perückenmacher. War er tatsächlich der Unbekannte der letzten Nacht?
 

In diesem Moment öffnete sich die Tür und ein junger Arzt betrat das Zimmer.

Sie hörte, wie er ihre Mutter bat, kurz draußen zu warten.

Dann schloss er die Tür hinter sich und lächelte.
 

„Hallo Aileen!“



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Aila-San
2009-08-23T11:31:11+00:00 23.08.2009 13:31
glückwunsch. du hast den ersten platz in meinem WB gemacht.
die story hat mir sehr gefallen und du bist auch sehr gut auf die situation im vorgegebenen bild eingegangen. genau so hab ich mir das vorgestellt.
die geschichte ist sehr spannend und auch das ende ist klasse.
beide daumen hoch.

lg aila
Von: abgemeldet
2009-06-12T17:26:49+00:00 12.06.2009 19:26
Puh, was für eine Story.
Absolut spannend und total mysteriös irgendwie.
Du schaffst es gleich zu beginn, eine gewisse Atmospäre aufzubauen und hälst du Spannung aufrecht.
Das Ende ist ein recht offenes Ende, was sehr viel Raum für Spekualtionen lässt, besonders an dieser STelle!
Dies "Hallo Eileen" klang doch etwas mmh, bedenklich!
Ob der Azt der Perückenmacher ist?

Auf jeden Fall eine wirklich klasse FF! Hat mir viel Spass gemacht sie zu lesen! Vor allen, weil ich nur durch puren Zufall wegen des Wettbewerbs darauf gestoßen bin!

Liebe Grüße
butterfly81


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