Zum Inhalt der Seite

Bora, Stein der Winde

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Der Hafen der Tausend Tränen

Das erste, was er spürte, als er aufwachte, war ein scharfer Schmerz der durch seine Schulter zuckte. Mit einem entsetzten und schmerzerfüllten Schrei warf er sich herum, was jedoch ein Fehler war, denn nicht nur seine Schulter tat weh, sondern es gab nicht eine Stelle seines Körpers, die nicht brannte, wie Feuer. Er hörte, wie jemand zwei, drei Schritte weit weg ging und dann die Stimme von Moritz sanft fragte: „Justin? Bist du wach? Was ist denn los?“

Leise wimmernd begann Justin, sich aufzusetzen und schaute seinen Vater gequält an.

„Nichts, was sich ändern ließe“, brummte er mit hoher Stimme, die wohl jeder Mensch hatte, der Schmerzen litt. Still vor sich hinkeuchend, ohne sich viel zu bewegen, senkte sich der Schmerz jedoch schnell auf ein erträgliches Maß herab. Jetzt erst konnte Justin aufschauen und sah, dass seine Eltern, seine Schwester, Blizzard und Melody um sein Bett herum standen und ihn fragend und besorgt musterten. Er versuchte, beruhigendes zu Lächeln, doch es verkam eher zu einem schmerzhaften Grinsen.

„Was ist denn los?“, fragte nun Ginny mehr als nur ein bisschen besorgt.

„Na ja, Jerry hat ärger bekommen“, erklärte er und sah, wie Moritz leicht zusammenzuckte und seine Mutter ihn verschreckt ansah, die anderen sahen eher verständnislos aus.

„Würdest du das bitter erklären?“, bat Melody deshalb.

„Na ja, ich weiß jetzt, wer der Kerl ist, den du gesehen hast, als du die Phönixe gefunden hast und das ist Jerry gewesen. Und na ja, der ist eben…“, wollte Justin erklären, doch Moritz unterbrach ihn: „Nun, wenn du wieder Erklärungen abgeben kannst, dann steh auf, wir wollten eigentlich schon lange los sein, Timo wartet sicherlich schon. Was auch immer du zu erzählen hast, das kannst du uns auch auf dem Weg berichten.“

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Justin widersprechen, dann jedoch nickte er und stand mit zusammengebissenen Zähnen auf. Während er sich anzog, machten Melody, Moritz und Blizzard sich fertig, um gleich aufzubrechen, sobald der Rotschopf fertig war. Moritz wurde die ganze Zeit mit Fragen bombardiert, hatte Melody doch gemerkt, das er zu wissen schien, wovon Justin sprach. Etwa eine halbe Stunde später waren sie auf den Weg zu ihrem Treffpunkt, bei dem Timo, Moon und Shadow wirklich schon ungeduldig warteten.

„Wo bleibt ihr denn alle so lange?!“, rief Timo schon vom Weiten.

„Wir hatten ein kleines… na ja, sagen wir mal… Problem!“, rief Justin zurück.

Timo runzelte die Stirn und blickte fragend zu Shadow, doch die zuckte nur mit den Schultern. Nur eine Minute später standen sie beisammen.

„Okay, dann wollen wir mal los, zum Feuerberg“, meinte Shadow.

„Flammenberg. Nur, ich bezweifle, dass das so einfach wird“, überlegte Melody.

„Inwiefern?“, wollte Moritz sogleich wissen und auch alle anderen schauten sie fragend an.

„Nun ja, der Flammenberg liegt nicht gerade um die Ecke. Ich weiß gar nicht, Moritz, kennst du ein Tor nach Äquadorea?“, wollte sie wissen.

„Wieso Äquadorea?“, wollte der mit einer unguten Vorahnung wissen.

„Na, weil der Flammenberg inmitten der Todeswüste auf Äquadorea liegt“, antwortete Melody in einem Ton, als wäre es das selbstverständlichste der Welt, das man so etwas wusste. War es für sie vermutlich auch.

„Was ist eigentlich ein Äquadorea?“, mischte sich Justin ein.

„Ich habe dir doch einmal erklärt, das Lävia aus drei Kontinenten besteht, oder? Der nördliche Kontinent, den ihr ja schon mehrmals besucht habt, mit dem Namen Polara, der Südliche Kontinent Artikis und der mittlere Kontinent Äquadorea“, erklärte Moritz.

„Ach so. Das heißt, wir müssen jetzt entweder ein Tor finden, das direkt nach Äquadorea führt oder einmal quer übers Meer fahren?“, hakte Justin nach.

„Genau“, nickte Melody.

„Wie lange dauert so eine fahrt übers Meer?“, wollte Timo darauf wissen.

„Nun, wenn alles glatt läuft, dann rechne mal mit zwei, drei…“, überlegte Melody.

„Nur drei Tage?“, fragte Blizzard verdutzt.

„Nein, keine Tage, Wochen“, antwortete Melody.

„…Drei Wochen, ja? Ich weiß nicht, haben wir eigentlich soviel Zeit?“, überlegte Moritz.

„Einen Augenblick“, sagte Justin, schloss die Augen und konzentrierte sich.

»Interessant«, sagte eine Stimme in seinem Kopf.

„Wie…?“, nuschelte Justin vor sich hin.

»Das du binnen der wenigen Stunden gelernt hast, wie du zu mir Kontakt aufnehmen kannst. Ich habe Jahre gebraucht, um heraus zu finden, wie ich dafür sorgen kann, dass wir uns in deinen Visionen treffen, aber ist ja egal. Tun dir die Schläge noch sehr weh?«

„Nein. Ja. Es geht, es ist auszuhalten. Dir muss doch der gesamte Körper wehtun, als würdest du im Feuer selbst sitzen.“

»Nein. Es hat auch Vorteile, wenn man ein und dasselbe Wesen ist, geteilt auf zwei Körper. Auch die Schmerzen verteilen sich, so gut wie diesmal hat es jedoch nie geklappt. Übrigens: ja, habt ihr. «

„Wie, was haben wir?“

»Genügend Zeit, um mit eine Schiff dorthin zu fahren. Ihr habt alle Zeit der Welt könnte man sagen, eigentlich könntest du auch jetzt erst einmal Schluss machen und seine Aufgaben in vier, fünf Jahren erst weiter machen. Auch wenn er wohl nicht so lange damit warten würde, die Welt zu verwüsten. Aber ich denke, er wird euch die Zeit lassen, bis zum Ende diesen Jahres. Aber ist ja egal, ihr habt auf jeden fall genug Zeit. Ich werde euch erwarten, am Hafen der tausend Tränen. Ich werde dir dort erzählen, wie wir noch schneller nach Äquadorea kommen können, aber bis dahin werde ich erst einmal versuchen, meine Flügel wieder auf Fordermann zu bringen, und meine Jagdstrategie soweit zu optimieren, das ich auch mal mehr fange, als eine kranke Maus.«

„Wie, Flügel? Jagdstrategie? Was meinst du?“

»Na, du hast doch seine Warnung gehört: Entweder er tötet mich oder er verwandelt mich in einen Vogel. Und bis ich einen Gegenzauber gefunden habe, der mir erlaubt, wieder als das, was ich eigentlich bin, durch die Welt zu laufen, werde ich als Vogel fliegen müssen. Nur das Vogeldasein will auch gelernt sein, das kann ich dir sagen. Nun gut, ich erwarte euch am Hafen der tausend Tränen.«

„Okay. Wir beeilen uns, dorthin zu kommen“, nuschelte Justin noch, sah dann wieder bewusst zu seinen Begleitern.

„Seid wann führst du Selbstgespräche?“, wollte Timo sogleich wissen.

„Tue ich nicht. Ich habe lediglich mit Jerry gesprochen“, antwortete Justin.

„Welcher Jerry?“, erkundigte sich Timo.

„Erkläre ich euch alles auf dem Weg. Wir müssen zum Hafen der tausend Tränen, hat er gesagt. Kennt einer von euch den Weg?“, fragte der Rotschopf.

„Ja, ich kenne ihn, aber ich weiß nicht, was wir da sollen. Der Hafen wurde von meinem Heer geschleift, dort legt schon lange kein Schiff mehr an“, antwortete Moritz.

„Wir sollen dorthin, hat Jerry gesagt, also werde ich auch dorthin gehen. Ob geschleift oder nicht, irgendetwas muss es da ja geben, sonst würde er uns nicht dorthin beordern“, war Justins Kommentar.

„Und wenn es eine Falle ist?“, fragte Shadow.

„Ist es nicht. Jerry kann nichts vor mir verheimlichen und er kann mich nicht belügen. Also ist es keine Falle, es ist nicht möglich, dass es eine ist. Und selbst wenn es nicht so wäre, würde er sich mit einer Falle selber mehr schaden, als uns“, war die Antwort des Rotschopfs.

„Okay, dann machen wir uns mal auf den Weg. Und du erklärst uns, wer Jerry ist und wie du mit ihm sprechen kannst und alles“, forderte Timo und Justin nickte.

Während sie alle zum Tor gingen, begann Justin zu erzählen, angefangen von dem, was Moritz ihm am vergangenen Abend eröffnet hatte, bis hin zu dem, was vergangene Nacht mit ihm geschehen war und warum er sich am Morgen kaum bewegen konnte. Es dauerte alles in allem etwa eine halbe Stunde, bis er geendet hatte, und in der Zeit waren sie am Tor angekommen, doch die anderen waren viel zu erstaunt von dem eben gehörten, als das jetzt so etwas interessant wäre. Sie alle mussten das erst einmal verdauen.

„Aber…“, brach dann Timo das Schweigen, „Dann ist die Legende um den Weltenretter, die uns Layla erzählte, nicht ganz richtig.“

„Nein, nein, sie stimmt schon, im gewissen maße. Sie sagte, dass die Legenden sowohl Zukunft als auch Vergangenheit sind, und dass die Geschichte sich zwar wiederholen, aber immer wieder kleine Abweichungen haben. Vielleicht ist Justin der erste Weltenretter, der einen Bruder hat“, überlegte Shadow.

„Könnte sein…“, stimmte Melody zu.

„Also irgendwie habe ich langsam aber sicher das Gefühl, das ich mit Wänden spreche“, knurrte Justin, „oder wie oft soll ich euch noch erklären, das ich nicht der Weltenretter bin? Mal ganz davon ab, ist das jetzt nicht auch so ziemlich egal? Lasst uns lieber gehen, sonst kommen wir womöglich gar nicht mehr an.“

Er nickte hinüber zum Tor.

Die anderen nickten und sie traten nacheinander hindurch. Auf der anderen Seite erwarteten sie schon ihre Reittiere. Moritz seufzte tief.

„Moon, Blizzard, ich glaube, es wäre besser, wenn ihr wieder nach Hause geht“, sagte er, nachdem er einen kurzen Augenblick überlegt zu haben schien.

„Wieso?“, wollte Blizzard sogleich wissen und auch Moon sah ihn fragend an.

„Weil du noch zu klein bist, Blizzard. Und du Moon, du kannst dich nicht in den Herrscherhäusern sehen lassen, weder in denen diesen Kontinentes, noch in denen auf Äquadorea“, stimmte Melody zu.

Moon dachte einen Augenblick lang nach, dann nickte sie.

„Ich denke, du hast recht. Ihr habt beide recht. Ich werde Blizzard zu seiner Mutter bringen und dann selber zu den Minotauren zurückkehren“, sagte sie.

„Aber ich will mit!“, rief Blizzard.

Justin kniete sich zu ihm hinab.

„Nein, diesmal bleibst du noch hier, aber dafür machen wir in zwei, drei Jahren etwas ganz tolles“, sagte er.

„Und was? Was soll den besser sein, als über das Meer zu fahren?“, brummte Blizzard.

„Nun, vielleicht ein Abenteuer, das nur wir beide bestreiten werden? Wir werden dorthin gehen, wo auch immer du hin möchtest, nur dieses eine mal bist du einfach fehl am Platz. Nicht zu klein, wie Melody meint, sondern einfach fehl am Platz. Du fällst mit deinen Ohren zu sehr auf und wir wissen nicht, wie sie reagieren werden, auf dem anderen Kontinent. Shadow und Timo wissen, wie sie sich am besten wehren, aber du kannst noch nicht mit Waffen umgehen und deine Zähne und Klauen helfen dir nicht, wenn sie mit einem Bogen auf dich zielen. Und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert. Deswegen werden wir noch einmal dorthin fahren, aber ein ander mal. Einverstanden?“, versuchte Justin den Jungen zu überreden und es klappte, denn nach einigen Sekunden, in denen Blizzard nachdachte, nickte er dann.

„Gut. Dann werden wir uns dann wieder sehen“, sagte Justin und lächelte dabei.

Blizzard nickte, trat dann zu Moon. Der folgende Abschied war kurz und so war die Gruppe wieder auf fünf geschrumpft.

Während die anderen ihre Reittiere fertig machten, holte Justin die beiden Feuervögel aus den beiden Rucksäcken und ließ sie auf Thunders Kruppe sitzen, während sie ritten. Es dauerte einige Tage, bis sie das Meer erreichten und an der Küste ritten sie weiter entlang, bis sie etwa fünf Tage später den verlassenen Hafen erreichten.

„Warum heißt er eigentlich „Hafen der tausend Tränen“?“, wollte Justin wissen, als sie nur noch ein kurzes Stück entfernt waren.

Erst antwortete ihm keiner und er fand sich schon damit ab, das es wohl keiner wusste, als Melody zu erzählen begann: „Man sagt, das der Hafen vor Jahren unter dem Wasser lag, er war bevölkert von Wesen des Meeresvolkes. Nixen, Sirenen, Meerjungfrauen, Kalmare und andere Wesen bevölkerten ihn, wie wir Elben unsere Dörfer oder wie die Elfen ihre Wälder, die Minotauren ihre Labyrinthe. Doch es kam ein Tag, an dem ein Herrscher eines der Küsten gelegenen Königreiche auch diese Stadt unter dem Wasser besitzen wollte, weil sie schöner war, als selbst die Stadt der Elfen in ihren prunkvollsten Zeiten. Und so stellte er ein Heer auf und griff die Stadt an, mehr noch, seine Zauberer hoben sie aus dem Meer herauf, sodass die Wasserwesen reihenweise starben. Sie konnten an der Wasseroberfläche ebenso wenig leben, wie wir im Meer. Und als das Heer des Königs sah, wie diese Wunderschönen Wesen eines nach dem anderen starb und sie sich das Meer, so weit das Auge auch blickte, rot färbte, von dem Blut der abgeschlachteten Meereswesen, da begannen sie alle zu trauern und sie trauerten viele Tage und Wochen, bis ihre Tränen das Meer wieder klar werden ließ. Sie hatten die Stadt gerne wieder unter das Wasser gebracht, doch leider ging das nicht und so blieb die Stadt Jahrelang unbewohnt, denn keiner wollte leben, wo Jahre zuvor so viele Wesen, so vollkommen sinnlos abgeschlachtet wurden. Doch irgendwann kam eine Gruppe ausgestoßener, die wussten, dass dieses Land keiner wollte und sie ließen sch hier nieder. Sie begannen Handel zu treiben und nach und nach wuchs und gedieh die Stadt, wurde bekannter und bekannter, in ganz Lävia und aufgrund seiner Vergangenheit nannte man den Hafen irgendwann nur noch den Hafen der tausend Tränen.“

Justin blickte sich nachdenklich um, denn mittlerweile waren sie angelangt, und fragte sich, ob die Geschichte wahr sein mochte. Er zweifelte eigentlich nicht wirklich, denn Lävia war immerhin das Reich der Träume, in denen die Legenden und Geschichten der Menschen Wahrheit wurden. Doch er konnte nicht lange nachdenken, denn schon nach kurzer Zeit stürzte sich ein Falke auf ihn hinab. Vor Schreck schlug er nach dem Vogel, verfehlte ihn jedoch.

»Du brauchst nicht nach mir zu schlagen!«, giftete eine Stimme in seinem Kopf.

„Jerry? Du bist das?“, fragte Justin, bevor ihm klar wurde, wie unglaublich dämlich diese Frage eigentlich war.

»Nein, ich bin der Weihnachtsmann. Auch schön brav gewesen, dieses Jahr? «, kam auch prompt die sarkastische Antwort.

„Woher weist denn du, was ein Weihnachtsmann ist?“, fragte Justin verdutzt zurück.

»Bist du so schwer von begriff oder tust du nur so? «, wollte sein Bruder wissen und landete dabei auf Thunders Hals.

„Wieso?“, war Justins Gegenfrage.

»Weil ich dir ja wohl schon oft genug erklärt habe das… ach, egal, ich habe jetzt keine Lust, das noch einmal zu wiederholen. Ließ es in meinen Gedanken nach, wenn du magst oder lass es, falls du von selbst drauf kommst. Ich habe ein Schiff für euch. Ein Schiff samt Mannschaft. «

„Wie kommt den ein Vogel zu einem Schiff?“

»Ganz einfach, durch Feli. Sie kann mich nämlich auch als Vogel verstehen, frag jetzt bitte nicht wie, das würde nämlich zu weit führen. Sie hat das auf jeden Fall arrangiert. Die brauchte auch nur einem alten Freund von mir eine Nachricht zukommen lassen. Er wird denken, du bist ich und lass ihn bitte in dem Glauben, sonst macht er vielleicht Dummheiten. Er wird euch auf jeden fall auf dem kürzesten und schnellsten Weg nach Äquadorea bringen«, erklärte Jerry.

„Und wieso soll das Schiff deines Bekannten schneller sein, als das eines anderen?“, wollte Justin weiter wissen.

»Ganz einfach, weil es anders gebaut ist. Es ist weniger dafür gedacht, Fracht zu transportieren, als vielmehr dazu, andere Schiffe zu verfolgen und zu entern. Es ist ein ehemaliges Piratenschiff, aber er betreibt damit Handel, für Leute, die schnell ihre Ware herbringen wollen, was natürlich entsprechend mehr kostet. Aber euch wird er umsonst rüber bringen und wenn er mucken macht, dann drohst du ihm einfach damit das, was du vor Jahren nicht getan hast, einfach nachzuholen, er weiß, was gemeint ist. Und übrigens, deine Fragen brauchst du nicht aussprechen, du brauchst sie nur denken«, erklärte Jerry.

„Wieso? Schnüffelst du etwa die ganze Zeit über in meinen Gedanken herum, oder was?“, nervte Justin weiter.

»Na, was hast du denn gedacht? Weist du, wie unglaublich interessant es ist, deine Gedankengänge zu verfolgen? Vor allem bin ich erstaunt darüber, wie schnell du an schmutzige Dinge denkst, wenn du Melody siehst…«, antwortete der Vogel, und obwohl er sich nicht einen Millimeter bewegte, sah er doch plötzlich aus, als würde er breit grinsen.

Justin dagegen wurde rot wie die sprichwörtliche Tomate.

»Ich glaube, ich werde in nächster Zeit das eine oder andere ändern müssen«, erklärte er seinem Bruder in Gedanken.

»Also so keusch werden, wie ein Mönch, ja? Na, dann viel spaß«, antwortete Jerry, dann machte er eine Bewegung, die wohl ein Nicken in eine Richtung sein sollte, »da geht es lang.«

„Aber meinst du nicht, dass er es merken wird, dass nicht du das bist?“, fragte Justin.

»Wenn du möchtest, dann kann ich auch die Kontrolle über deinen Körper übernehmen, dann wird er es gewiss nicht merken.«

„Du kannst WAS?! Wie… woher weist du das, dass das möglich ist?!“, quiekte Justin.

»Weil ich es einmal gemacht habe. War ein Versehen, damals hast du geschlafen und eigentlich wollte ich dir lediglich wieder ein Vision zukommen lassen, aber bevor du jetzt meckerst: du hast das auch schon einmal gemacht. Damals war ich als Falke unterwegs und du hast es im schlaf, vollkommen unbewusst gemacht, ich wäre dabei aber trotzdem fast abgestürzt und das wäre unser beider Ende gewesen«, antwortete Jerry darauf.

„Oh wow. Ich glaube, was uns beide anbelangt werde ich noch sehr viel lernen müssen…“, seufzte Justin.

»Jep«, war Jerrys einziger Kommentar dazu. Nach einem kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Und? Soll ich deinen Körper übernehmen? «

„Nein! Ganz gewiss nicht! Du brauchst mir nur sagen, was ich sagen und tun soll, das reicht!“, rief Justin.

»Ist gut, du brauchst nicht zu schreien, immerhin höre ich dich auch vollkommen ohne Worte! «, brummte Jerry.

„Oh, ja… hab ich vergessen, tut mir leid“, meinte Justin.

»Ist ja schon gut. Wir sind übrigens da, das dort ist sein Schiff. «

Justin sprang von Thunders Rücken und betrachtete das Schiff. Es war nicht groß, sah aber durchaus hochseetauglich aus. Vielleicht 20 Meter, so schätzte er die Länge. Ein Mann trat an die Reling und schaute auf sie hinab.

„Wer seid ihr?“, rief er von oben, „Und was wollt ihr hier?“

Moritz setzte dazu an, etwas zu antworten, doch Justin hielt ihn mit einer Geste zurück und wiederholte dann das, was Jerry ihm sagte.

„Aber, aber, Käpt’n, sie werden mich doch nicht schon wieder vergessen haben!“, rief er hinauf.

Der Mann legte den Kopf schief und schaute auf die hinab, dann schien er zu erschrecken und rief mit veränderter, jetzt vollkommen schleimiger Stimme: „Oh, Oh, Falkenlord! Ich habe euch von hier oben nicht erkannt und euch schon viel früher erwartet! Ich dachte, ihr kommt nicht mehr, sonst hätte ich euch natürlich einen herzlicheren Empfang bereitet!“

„Schon gut, schon gut. Wann kann das Schiff auslaufen und wie lange werden wir ungefähr brauchen, bis nach Äquadorea?“, rief Justin auf Jerrys geheißen hin nach oben.

„Wir können sofort auslaufen, sobald eure Tiere an Bord sind. Und ich weiß zwar nicht, was ihr in Äquadorea wollt, aber rechnet mal mit so eine bis zwei Wochen, länger nicht“, war die Antwort und der Kapitän deutete ein paar Männern, eine Planke zum Langesteg hin zu machen. Währendessen saßen Justin und die anderen ab, von ihren Einhörnern und Jerry flatterte auf Justins Schulter. Sie führten nacheinander ihre Tiere an Deck und dann in den Laderaum, wo es extra für Pferde eine Art Stallung gab. Einer der Matrosen zeigte ihnen ihre Kajüten und kaum waren sie wieder an Deck, legte das Schiff auch schon ab.

„Wer, wenn ich fragen darf, sind eigentlich eure Begleiter?“, wollte Kapitän nach einiger Zeit wissen, während sie so da standen.

„Nein, du darfst nicht fragen“, knurrte Justin so böse, wie es irgend ging. Ihm fiel es schwer, die Rolle von Jerry zu übernehmen, doch langsam aber sicher fand er sich ein.

Der Kapitän trat einen Schritt zurück, betrachtete aber dennoch die anderen eingehend. Beim Anblick Melodys wurden seine Augen groß und er verneigte sich vor ihr: „Lady Melody! Wie schön, euch einmal persönlich kennen zu lernen, hörte ich doch schon so unglaublich viel von euch, der schönsten der Elben, nein, der schönsten Frau Polaras!“

Melody nickte, blieb aber stumm, wusste sie doch sehr genau, das sie nun, da sie erkannt war, sich auch wieder so zu benehmen hatte, wie die Herrin des Elbenreiches im hohen Norden: nämlich wie eine regelrechte Göttin.

Der Kapitän blickte weiter und als er Moritz erkannte, trat er mehrere Schritte zurück.

„Der schwarze Ritter“, hauchte er.

Doch sie alle ignorierten ihn einfach. Keine hatte Lust, ihm zu erklären, das er nicht solche Achtung zu haben brauchte und so war es deutlich leichter, einfach gar nichts zu sagen oder zu machen.

Nach einiger Zeit, in der sie einfach nur stumm alle beieinander an der Reling standen und auf das Meer hinausschauten, deutete Justin ihnen, das sie mitkommen sollten, unter Deck. In seiner Kajüte, die um einiges größer war, als die der anderen, setzten sie sich nieder und er erklärte seinen Freunden, warum er getan hat, was er getan hat, nämlich Jerry gespielt.

„Das heißt, wir alle sollten dich jetzt behandeln, als wärst du Jerry“, stellte Moritz fest.

„Genau. Nur hast du dir schon mal Gedanken gemacht, was ich sagen soll, wenn er wissen will, warum ich nicht in Begleitung meines Heeres umher ziehe, sondern nur mit diesen vieren?“, Justin schaute seinen Bruder fragend an.

»Es steht ihm nicht zu, irgendetwas zu fragen. So, wie du vorhin reagiert hast, war das schon gut. Er soll uns nur rüber bringen, keine Fragen stellen, keine Forderungen stellen, nichts und das wirst du ihm wohl mehrfach deutlich machen müssen«, antwortete Jerry.

„Und warum habe ich einen Falken in meiner Begleitung und reite nicht mein übliches Pferd? Warum benehme ich mich vollkommen anders, warum gehe ich nicht mit meinem Mitmenschen um, als wären sie der letzte Dreck?“, wollte Justin bissig wissen.

»Oh nein, oh nein, Justin, da denkst du in die falsche Richtung! Er wird nicht fragen, was ich in deiner Begleitung zu suchen habe, weil es keine Seltenheit ist. Ich stand mit meinem Männern immer über Falken in verbinden, nie habe ich einen Adler genommen. Deswegen nennt er mich auch immer den „Falkenlord“ er wird denken, ich sei deine „Brieftaube“. Und reiten tue ich auf Thunders Bruder, Demon, und der sieht deinem Tier zum verwechseln ähnlich, das wird ihn also auch nicht weiter wundern. Und auch ich weiß, was Mitleid heißt und auch ich benehme mich nicht, unter meinen Männern, wie das größte Aas, nein. Frag unseren Vater, er wird dir bestätigen, das man ein Heer nur auf zwei weisen führen kann, nämlich indem man soviel Angst verbreitet, das keiner von ihnen mehr zu widersprechen wagt oder indem man mit ihnen gut umgeht, auf ihre Wünsche hört, ihnen klar macht, das jeder einzelne von ihnen wichtig für das ganze ist. Anders als Moritz habe ich sie nie terrorisiert, meine Männer folgten mir schon immer, weil sie es wollten, nicht weil sie mussten, wie es bei Moritz so manches mal der Fall war. Und du vergisst schon wieder, dass wir Brüder sind. Wir benehmen uns immer auf gewisse Weise identisch. Und wenn es wieder erwartend doch zu einer heiklen Situation kommen sollte, dann werde ich ja sowieso auf deiner Schulter sitzen und dir zuflüstern, was du tun sollst. Er wird nichts merken, da bin ich mir sicher. Und selbst wenn: wir beide haben Mittel und Wege, ihn dazu zu bringen, trotzdem das zu tun, was wir ihm sagen. Und zwar nicht nur Argumente mit dem Schwert. Auch, wenn du es mir nicht zu glauben scheinst, aber ich versichere dir: ich bin nicht der böse Junge, für den du mich zu halten scheinst«, erklärte Jerry und Justin schaute ihn mit seltsamen Gesichtsausdruck an.

„Doch“, sagte er nach einer Weile, „doch, ich glaube dir das. Einfach, weil ich weiß, dass es so ist, aus keinem anderen Grund. Du kannst mich nicht belügen, ebenso wenig, wie ich dich belügen könnte.“

Jerry nickte.

„Weist du eigentlich, das es so aussieht, als würdest du Selbstgespräche führen, wenn du mit Jerry sprichst?“, bemerkte Melody nach einigen Sekunden des Schweigens.

„Weiß ich. Aber ich kann mich nicht daran gewöhnen, mit jemanden zu sprechen, ohne etwas zu sagen“, antwortete Justin mit einem Seufzen.

»Das macht aber auch nichts. Ich habe nämlich auch die schöne Angewohnheit, ständig mit meinen Botenbringern zu reden, auch wenn keiner der Falken mir je antworten konnte oder vielmehr, ich diese Antwort nicht verstehen konnte«, sagte Jerry, bevor Justin auch dies als Argument verwenden konnte, warum diese ganze Aktion einfach schief gehen musste.

„Hör auf, in meinen Gedanken zu schnüffeln“, war Justins Antwort darauf.

»Bei manchen Dingen braucht man nicht deine Gedanken lesen zu können, um zu wissen, was du denkst«, widersprach Jerry.

»Gott, ich hasse dich jetzt schon«, knurrte Justin. Ihm ging es langsam aber sicher auf die Nerven, dass Jerry ihm immer und überall widersprach.

»Weiß ich«, antwortete der Vogel.

„Mann! Jerry! Du nervst! Widersprich mir doch nicht immer!“, fauchte der Rotschopf.

»Tut mir ja leid, aber ich bin es gewohnt, andere zu verbessern, wenn ich es kann, da wirst du dich dran gewöhnen müssen«, antwortete Jerry und wie schon einmal schien er plötzlich breit zu grinsen.

„Oder du gewöhnst es dir ab“, knurrte Justin.

»Würde auch gehen, mache ich aber nicht«, antwortete Jerry.

Sein Bruder brummte etwas unverständliches, musste dann aber laut loslachen.

„Oh man“, seufzte er und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, sah dabei seine mehr als nur verdutzten Begleiter an, „irgendwie ist das schon merkwürdig, ich meine, ich sitze hier und streite mich mit einem Falken.“

»Stimmt nicht, nicht mit einem Falken, sondern-«, wollte Jerry wieder einmal widersprechen, doch Justin ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen.

„Oh doch, du bist ein Falke. Zumindest im Moment. Aber was willst du eigentlich auf der Reise fressen? Ich meine, gut Mäuse fangen wirst du hier wohl nicht können.“

»Nein, kann ich nicht und frisches Fleisch ist mir zwar lieber, aber im Notfall werde ich mich auch an dem Fleisch gütlich tun, das sie hier an Bord haben. Es wird schon gehen, es ist ja immer irgendwie gegangen«, war die Antwort.

„Okay, wenn du meinst.“

„Also ich bezweifle, das ich mich je daran gewöhnen werde“, murrte Moritz plötzlich.

„Woran denn?“, wollte Justin wissen.

„Na, an diese einseitigen Gespräche. Von uns hört ja keiner deinen Bruder, für uns ist es so, als würdest du allein sprechen. Und ich werde mich daran nicht gewöhnen können, das weiß ich jetzt schon“, war die Antwort und die anderen drei nickten zustimmend.

»Na ja, braucht er auch nicht, wenn du endlich mal daran denkst, das du auch gar nichts zu sagen brauchst, um dich mit mir zu verständigen«, bemerkte Jerry.

„Ach, halt deine Fresse“, knurrte Justin und Moritz runzelte die Stirn.

„Nein, nicht du Moritz, sondern Jerry!“, erklärte Justin der diese Geste richtig gedeutet hatte.

„Das wird noch was werden“, seufzte Melody, stand auf und reckte sich ausgiebig.

„Ich werde wieder an Deck gehen“, sagte sie.

Auch die anderen standen auf und gemeinsam traten sie wieder an Deck.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (0)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.

Noch keine Kommentare



Zurück