Zum Inhalt der Seite

Bora, Stein der Winde

von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Beginn

„Noch ein letzter Schlag, dann habe ich ihn...”, nuschelte Justin vor sich hin und zermarterte wie ein Besessener den Kontroller seiner Konsole. Er hackte auf ihr herum, als ginge es um sein Leben. Dann, plötzlich, schrie er auf, wie ein verwundetes Tier.

„Nein! Das kann doch nicht wahr sein, das geht doch nicht!”, quiekte er, als auf dem Bildschirm groß die Worte „Game Over” zu lesen waren. Verstört betrachtete er ihn, als auf der Treppe schnelle Schritte zu hören waren. Die Tür zu seinem Zimmer wurde aufgestoßen und seine Schwester kam wie ein Wirbelsturm herein gerauscht, ihr braunes Haar flatterte um sie herum und verlieh ihr ein wildes Aussehen.

„Justin! Was schreist du denn hier schon wieder so, als ob du Abgestochen wirst?”, keifte sie ihren Bruder wütend an.

„Ach Gottchen, Helenchen, reg dich doch nicht so auf! Außerdem: Was geht’s denn dich an, was ich in meinem Zimmer mache?”, zickte Justin und stellte sich so vor dem Bildschirm, das seine Schwester nicht sehen konnte, was darauf ablief.

„Sehr viel, Fuchsie, denn ich versuche gerade Hausaufgaben zu machen, das geht aber nicht, wenn du alle fünf Minuten schreist wie am Spieß “, antwortete das Mädchen mit gefährlich gesenkter Stimme.

Abermals näherten sich Schritte.

„Was ist denn hier wieder los?”, wollte Ginny wissen, als sie herein kam.

„Helene nervt!”, beschwerte sich Justin sofort.

„Stimmt doch gar nicht! Du machst doch hier Terror, während ich Hausaufgaben machen will!”, widersprach seine Schwester entrüstet.

„Helen, Justin, mich interessiert nicht im Ansatz, wer von euch angefangen hat, oder auch nicht, ich will, dass ihr beide ruhig seid! Überhaupt, Helen, du bist ganze acht Jahre älter, du solltest dich über die Eskapaden deines Bruders hinweg setzten können”, fand Ginny.

Justin nutzte seinen kleinen Sieg in diesem, wohl ewig währenden, Geschwisterkampf und streckte seiner Schwester die Zunge heraus.

„Und du, mein Kleiner, du solltest ein wenig Rücksicht auf deine Schwester nehmen!”, meinte seine Mutter daraufhin streng.

„Genau Fuchsie! Nimm mal endlich Rücksicht auf andere!”, triumphierte Helen.

„Halt deine Klappe, Helenchen “, fauchte Justin.

„Nein, Helen! Nenne ihn doch nicht immer Fuchsie und Justin, deine Schwester heißt auch nicht Helenchen! Mein Gott, warum könnt ihr euch nicht endlich mal vertragen, ihr seid doch Geschwister!”, fand Ginny.

„Das musst du der sagen, nicht mir!”, verteidigte sich Justin.

„Ich sage es euch beiden!”

„Die Kuh muss doch nur endlich mal ausziehen! Mit dreiundzwanzig noch immer zu Hause wohnen! Gibt es etwas dümmeres?!”, wollte Justin wissen.

„Nun, da muss ich dir ausnahmsweise recht geben. Ich in deinem Alter Helen, war schon ausgezogen und durfte mich um dich kümmern...”, meinte Ginny.

„Hey, jetzt lenkt doch nicht vom Thema ab!”, erboste sich Helen.

„Ach genau, stimmt ja. Hast du heute eigentlich keinen Nachmittagsunterricht?”, wollte Ginny von Justin wissen.

„Doch, klar habe ich, aber ist doch noch viel zu früh, ich habe bestimmt noch...”, Justins Blick war auf die Uhr gefallen, die auf seinem Schreibtisch stand und er hatte festgestellt, das er nur noch zehn Minuten hatte, bevor der Unterricht begann.

Er stürzte zur Tür, die Treppe hinab, stieß die Haustür auf und rannte, als seien tausend Teufel hinter ihm her. Justin war auch alles andere als unsportlich, aber auch für einen Hochleistungsläufer wäre es wohl nahezu unmöglich gewesen, noch rechtzeitig in der Schule zu sein.

Und doch schaffte er es vor dem Klingeln. Damit hörte seine Glückssträhne jedoch auf, denn vor der Schultür stand seine Nachbarin Sally und schien ihn schon zu erwarten.

„Hey Juss! Da bist du ja endlich, ich muss dir was ganz wichtiges erzählen! Weist du, was die Carmen aus der 6.6 gemacht hat?! Das glaubst du mir nicht, die hat...”, fing das blonde Mädchen sofort zu plappern an.

„Tut mir leid, Sal, aber ich habe gerade keine Zeit, um mit dir zu sprechen, ich muss in die Klasse, bevor es zur Stunde...”, die Schulglocke unterbrach ihn.

„Okay, ich bin zu spät...”, seufzte er.

„Oh, ich komme ja auch zu spät!”, bemerkte Sally und ging mit solcher Seelenruhe davon, als hätte sie alle Zeit der Welt, während Justin die Gänge und Treppen zu seinem Klassenraum entlang rannte. Als er bei seiner Klasse angekommen war, klopfte er nicht erst vorher an, sondern stieß gleich die Tür auf und blieb keuchend stehen.

„Entschuldigen sie, Frau Chang, ich wurde aufgehalten...”, erklärte er schwer atmend.

„Nun, Herr Malek, schön, dass sie mal wieder die Unterrichtszeiten selbst definieren”, antwortete seine Lehrerin sarkastisch.

„Aber das lag doch nicht an mir, sondern Sally aus der Zwei hat mich aufgehalten!”, verteidigte sich Justin.

„Das ist mir egal. Du hast die Verantwortung zu tragen, wenn du zu spät kommst. Jetzt setz dich und sei still”, befahl Frau Chang.

Der Rotschopf murrte etwas unverständliches, setzte sich dann aber brav hin. Eine Weile folgten alle dem Unterricht, denn fragte sein Tischnachbar Timo aus dem Mundwinkel: „Warum warst du denn so spät? Ich meine, Sally tut dich doch sonst nur kurz aufhalten. Kannst sie ja mittlerweile ganz gut abwimmeln.“

„Ich habe noch 'Dragons World' gezockt. Ich hätte beinahe den Endboss besiegt... “, flüsterte Justin zurück.

Timo warf ihm einen kurzen, aber sehr erstaunten Blick zu.

„Wie hast du denn das geschafft?”, wollte nun einer der Jungen vor ihm wissen.

„Ganz einfach, Rob, ich habe solange gespielt, bis ich so weit war. Hat zwar eine ganze Weile gedauert, aber na ja. Ich hätte ihn auf jeden fall fast besiegt, ein Schlag hat mir noch gefehlt”, antwortete Justin flüsternd nach vorne.

„Gut, dann kannst du mir bestimmt weiter helfen, oder?”, fragte ein anderer Junge neben ihm.

„Klar. Ich habe beide Wege gespielt, mit beiden Charakteren. Wo brauchst du denn Hilfe, Luke?”, wollte er wissen.

„Kurz nachdem man zwischen der Lichtseite und der Dunkelseite wählen kann. Da kommt doch so ein Rätsel, und das kann ich nicht lösen”, antwortete Luke.

„Welche Seite hast du denn gewählt? Die Rätsel sind nämlich unterschiedliche”, antwortete Justin.

„Ich habe die Lichtseite gewählt. Das Rätsel ist voll schwer”, beschwerte sich Luke.

„Nein, das ist ganz leicht. Zumindest, wenn man „Herr der Ringe“ oder „Der kleine Hobbit“ gelesen hat. „Sagt euren Namen und tritt ein” heißt es ja. Du musst aber nicht den Namen deines Charakters eingeben, sondern du musst „euren Namen” eingeben”, war die einfache Erklärung.

„Und wenn man die Schattenseite gewählt hat? Was ist dann die Lösung? Da komme ich nämlich nicht weiter”, meldete sich ein weiterer Junge von vorne.

„Ganz einfach, Leo. Des Rätsels Lösung ist Mensch”, antwortete Justin.

„Hä? Aber warum? Seid wann haben Menschen drei Beine?”, erkundigte sich Leo.

„Ganz einfach. Der Morgen des Tages ist die frühste Kindheit, wo die Babys noch auf allen vieren krabbeln. Der Tag ist etwa unser Alter, wo wir eben auf zwei Beinen gehen. Und der Abend ist der Lebensabend, wo die Alten auf einem Stock gestützt durch das Leben springen”, erklärte er.

„Eigentlich voll logisch... Das ich nicht von selbst darauf gekommen bin, ist ja echt...”, antwortete Leo.

„Tja, ich bin eben besser als du, in dem Spiel. Aber Leute, ich bin geschockt. Ihr seid ja noch ganz am Anfang. Das wird alles noch viel, viel schwerer”, meinte Justin.

„Noch schwerer? Das geht doch kaum noch!”, zischte Luke.

„Oh doch, das wird noch richtig heftig. Und wenn ich das so sage, dann meine ich das auch so, das wisst ihr ja”, antwortete er.

„Schön, dass sie nicht nur die Unterrichtszeiten selbst definieren, sondern auch das Fach, Herr Malek”, unterbrach Frau Chang das Gespräch.

„Nein”, nuschelte er genervt und verdrehte die Augen, „jetzt macht sie mich alle...”

„Ab vor die Tür. Dort schreibst du... sagen wir mal… dreihundertmal Ich darf im Unterricht nicht reden . Los, Abmarsch “, knurrte die Lehrerin.

Wortlos stand der Rotschopf auf und ging vor die Tür, wo er den Rest des Unterrichtes verbrachte und seine Strafarbeit machte, doch irgendwann war die Schule aus und wie üblich ging er mit Timo, Sally, Nadja, seine Ex-Freundin, und Charly, eine andere sehr gute Freundin, nach Hause.

„So Leute, wer kommt mit mir zum Reiten?”, wollte Nadja sogleich wissen.

„Sorry, aber dann bin ich erst um zehn oder elf Uhr zu Hause und ich habe noch zu tun”, erklärte Timo.

„Tja, du hast dir halt die falschen Eltern ausgesucht. Du hättest welche nehmen sollen, die hier in der Gegend wohnen, wie wir alle. Außer Nadja meine ich jetzt, aber einen Reitstall hier in der Gegend zu errichten wäre auch ein wenig dumm, weil hier nicht so viel Platz ist“, fand Charly.

„Kommst du mit?”, wollte Nadja sogleich von der Brünette wissen.

„Nein, tut mir Leid, aber ich muss heute Babysitten gehen. Der beste Babysitter Job, den ich bisher hatte, ich kriege einen ganzen Zehner pro angefangene Stunde!”, freute sich das Mädchen.

„Sally? Justin? Was ist mit euch?”, fragte Nadja, hatte jedoch keine großen Hoffnungen mehr.

„Ich habe keine Lust. Ein andermal vielleicht”, antwortete Sally.

Das blonde Mädchen schaute Justin bittend an.

„Tut mir Leid, aber du solltest eigentlich wissen, dass ich Donnerstag nach dem Nachmittagsunterricht grundsätzlich nie Zeit habe. Dann muss ich nämlich zu Swena. Sonst aber jeden anderen Tag liebend gerne”, antwortete der.

„Hä? Du sitzt noch immer beim Psychiater rum? Ich meine, das ist doch schon fast zwei Jahre her, mittlerweile solltest du das aber überwunden haben”, fand Timo.

Justin schaute seinen Freund traurig an, dann wurde er wütend, über diese unbedachten Worte.

„Timo, halt deine Klappe! Ich weiß nämlich nicht, was dich meine Probleme angehen! Und nur weil du Frederyc nicht mochtest, heißt das noch lange nicht, dass alle Menschen deiner Meinung sind! Du verstehst so was einfach nicht, weil dir so was doch noch nie passiert ist! Also warte, bis eben dies der Fall ist, und dann kannst du noch mal so was sagen, verstanden?!”, fuhr er seinen Kumpel an.

Seine Freunde schauten ihn verblüfft an und Justin rauschte ohne ein Wort des Abschieds einfach davon.

„Was war das denn?”, fragte Timo perplex.

„Volltrottel”, kommentierte Sally.

„Hä? Wieso?”, wollte der Junge verwirrt wissen.

„Weil du mittlerweile wissen solltest, dass er bei diesem Thema sehr Empfindlich ist”, erklärte Nadja seufzend.

„Ja, aber nach fast zwei Jahren noch? Ist das nicht ein bisschen übertrieben?”, fragte Timo.

„Nein, nicht mal im Ansatz. Immerhin hat er Marina und Frederyc sehr gern gehabt. Die Beiden waren seine besten Freunde. Stell dir mal vor, du musst mit ansehen, wie deine besten Freunde überfahren werden? Das würdest du auch nicht so schnell verkraften“, meinte Nadja erklärend.

„Wahrscheinlich wird er das nie ganz überwinden. Deswegen, das war von dir verdammt rücksichtslos”, meinte Charly.

„Ja, genau, macht mich her alle nur fertig, ist schon gut so”, knurrte Timo.

Dann trottete er den Weg hinab zur Bushaltestelle, ließ die anderen schlicht stehen. Nadja folgte langsam.

Vision

Justin warf sich auf sein Bett. Er war wütend und traurig zugleich, denn Timo hatte ihn an ein Erlebnis erinnert, das er sehnlichst vergessen wollte. Nun aber musste er die ganze Zeit nur daran denken. Immer wieder erschienen vor ihm dieselben Szenen. Wie er und seine geliebte Rei in der Eisdiele saßen und darauf warteten, das es Nachrichten vom verbleib Frederycs gab. Dann kam Gino. Er sah traurig aus und die Beiden machten sich auf das schlimmste gefasst.

Der Eisdielen Besitzer wurde immer trauriger, während er den beiden erzählte, dass eine Leiche gefunden wurde. Sie war bis zur Unendlichkeit verbrannt, aber Alter, Größe und Geschlecht stimmten mit Frederyc überein. Rei brach in Tränen aus, während Justin nur schlucken konnte. Er konnte nicht Weinen, obwohl er es wollte. Das, was er fühlte war so schrecklich, dass es ihm selbst die Tränen nahm. Rei dagegen schlurzte hemmungslos. Irgendwann standen die Beiden auf und wollten gehen. Nach Hause und irgendwie mit dem Tod ihres besten Freundes fertig werden. Eine Weile gingen sie zusammen, doch dann trennten sich ihre Wege. Rei war kaum hinter der Ecke verschwunden, da hatte Justin das nagende Gefühl, das etwas Schreckliches passieren würde, wenn er sie jetzt alleine ließ und er rannte los, um sie einzuholen. Er lief so schnell, wie er noch nie gelaufen war, doch als er um die Ecke bog, war es zu spät. Er sah noch, wie der Laster Rei erfasste und sie davon schleuderte. Ein trockenes Knacken war so hören, mehr nicht. Er brauchte nicht zu dem Mädchen zu gehen, um zu wissen, dass sie nicht mehr lebte. Der Aufprall auf den harten Beton hatte ihr das Genick gebrochen und wahrscheinlich auch alle anderen Knochen im Leib. Aber ein längerer Anblick war ihm verschont geblieben, er war Ohnmächtig geworden. Das Nächste, was er bewusst wahr genommen hatte, war, das er in seinem Bett lag und irgendjemand irgendetwas mit ihm getan hatte, was, das konnte er im nachhinein nicht mehr sagen, doch die Bilder hatten ihn seid damals verfolgt.

Mit einem Ruck setzte Justin sich auf und schüttelte gequält den Kopf. Er wollte es vergessen und nie mehr daran erinnert werde, doch die Geister der Erinnerung ließen ihn nicht mehr los. Sie hielten ihn fest und ließen ihn die schlimmsten Stunden seines Lebens immer und immer wieder durchleben. Er sprang auf, stürzte die Treppe hinab in die Küche. Seine Mutter saß am Tisch und schnitt Kartoffeln für den Eintopf, den es zum Abendbrot geben sollte. Er warf sich ihr an den Hals und schlurzte bitterlich.

„Was hast du, Justin?”, fragte Ginny besorgt, denn normalerweise scheute Justin solche Art von Berührungen.

„Rei...”, schlurzte er lediglich und seine Mutter wusste Bescheid.

Sie drückte ihren Sohn fest an sich, solange, bis er sich beruhigt hatte, dann setzte sich Justin seiner Mutter gegenüber an den Küchentisch.

„Soll ich dir helfen?”, fragte er mit Tränen getränkter Stimme.

„Nein, ist schon gut. Aber ich glaube, du solltest Frau Sommer anrufen und sagen, dass du heute nicht kommst. Ich denke, das ist besser. Oder meinst du nicht?”, wollte Ginny wissen.

„Doch… du hast mal wieder recht… Hast du was dagegen, wenn ich mir den Eintopf nachher warm mach und jetzt für ein paar Stunden mit Rex spazieren gehe?”, erkundigte er sich.

Seine Mutter verneinte und so machte Justin sich auf den Weg zu Gino. Rex war nämlich sein Hund, nicht der von Justin. Er hätte selbst sehr gerne einen Hund gehabt, aber da Helen eine Tierhaarallergie hatte, hatte er keinen eigenen bekommen, obwohl er wirklich oft und lange gebettelt hatte.

Justin hörte schon von weitem Rex’ aufgeregtes Gebell und als er vor der Tür stand, da brauchte er nicht klopfen, denn Ginos Tochter Gianna machte auf, noch bevor er ganz da war und drückte ihm Rex’ Leine in die Hand.

„Bring ihn bitte nicht allzu spät nach Hause”, bat sie noch, dann ging die Tür zu und Justin blieb verdutzt stehen.

„Dir auch Tschüss”, sagte er zur Tür, drehte sich um und machte sich auf den Weg. Er hatte vor, durch den Wald zu gehen, denn dies war sein Lieblingsweg. Rex sprang um ihn herum, wie ein junges Reh. Justin liebte es, dem Hund dabei zu zuschauen, doch dann blieb er plötzlich wie angewurzelt stehen, denn

um ihn herum eine tobte auf einmal eine Schlacht. Gepanzerte Ritter auf gepanzerten Pferden, die versuchten, einander vom Pferd zu stoßen, damit das eigene Ross den Kopf des Gegners besser zertrümmern konnte.

Überall war nur das Klagen und Wimmern der Sterbenden zu hören, die Kampfesschreie der Kämpfer und das schrille Wiehern der Schlachtpferde. Verwirrt und verblüfft schaute sich Justin um. Wo war er bloß so plötzlich gelandet? Doch dann sah er etwas, was ihn alles wirklich alles vergessen ließ.

Ein Ritter auf einem gepanzerten Pferd hatte einem Ritter auf einem pechschwarzen, aber vollkommen ungepanzerten Hengst den Helm vom Kopf geschlagen. Unter diesem Helm war ein Gesicht zum Vorschein gekommen, das seinem so ähnlich war, wie nur irgendwie möglich. Dasselbe feuerrote Haar, dieselben meerblauen Augen, dieselbe Gesichtsform. Alles war absolut gleich!

Es war, als wäre er selbst es, der den schwarzen Hengst herumriss und mit seinem Schwert auf die Gegner ein hiebte, als wäre er selbst es, der sich schreiend auf seine Feinde stürzte, wie ein Racheengel, nur geboren um zu töten.

Und einen Augenblick lang glaubt er es wirklich. Er glaubte, dieses Gestalt zu sein, auf dem Rücken des Rappen, er spürte, wie das Adrenalin durch seine Blutkreislauf fuhr, er spürte, wie das Schwert in seiner Hand auf Widerstand in Form von Metall, Fleisch und Knochen traf, er spürte, wie der Körper des Hengstes unter ihm bebte vor brutaler Freude über dieses Blutbad um sie herum. Und er spürte seine eigene Freude am Töten.

Ebenso plötzlich, wie er auf das Schlachtfeld gekommen war , stand er wieder im Wald. Ihm war, als sei mehr als eine halbe Stunde vergangen, aber als er auf seine Uhr schaute sah er, das es vielleicht zwei Minuten waren. Kreidebleich geworden drehte er um. Er wollte jetzt einfach nur noch nach Hause...

Morgens am See

Genervt und wütend stapfte Justin die Treppe hinab. Mit einem Ruck riss er die Haustür auf und Nadja, die davor stand, machte einen Hüpfer nach hinten.

„Was ist?”, knurrte er missgelaunt.

„Ähm... wir waren doch... verabredet...”, meinte sie und schaute ihn verschreckt an.

„Aber doch nicht so früh! Es ist ein Samstag! Da steht doch niemand um acht Uhr bei jemand anderem auf der Matte!”, giftete Justin.

„Wie kommst du auf acht? Es ist halb zehn und wir hatten uns um neun verabredet!”, verteidigte sich Nadja.

„Aber seid acht Uhr morgens tut hier irgendjemand Sturmklingeln”, knurrte der Rotschopf.

„Das war ich nicht, um acht habe ich Maxi geputzt und hab ihn dann auf die Weide gebracht”, verteidigte sie sich.

„Dann war irgendwer anders so dämlich, eineinhalb Stunden Sturm zu klingeln. Wie dem auch sei, komm rein, ich muss mich noch fertig machen, wie du siehst hab ich bis vor kurzem noch gepennt… oder es wenigstens versucht…”, erklärte er.

Während Nadja sich in die Küche setzte, machte Justin sich fertig. Schnell zog er sich ein Shirt über den Kopf, schlüpfte in eine Hose und Bürstete grob und mehr schlecht als recht seinen roten Wasserfall aus Haar.

„Wo sind denn eigentlich Helen und Ginny?”, wollte Nadja wissen, während Justin, nun fertig angezogen und zurecht gemacht, ihre Hündin Collie ausgiebig begrüßte.

„Keine Ahnung, die sind schon länger weg, sonst wären die ja zur Tür gerannt. Aber ich frage mich, wer das war...”, überlegte Justin, nun nicht mehr ganz so schlecht gelaunt.

„Vielleicht Sally, die kam mir nämlich gerade stinksauer entgegen. Sie wäre mir fast ins Gesicht gesprungen, als ich wissen wollte, ob du da bist”, bemerkte Nadja.

„Nein, nicht mal Sally hat so eine große Macke, eineinhalb Stunden zu klingeln. Obwohl... ausschließen sollte ich es nicht”, stimmte er zu.

„Meinst du nicht, das deine Mutter dich umbringt, wenn sie den Boden sieht?”, fragte sie und deutete auf die Fliesen, die nicht mehr weiß waren, sondern braun von langem Fell der Colliehündin.

„Kann schon sein, aber Helens Niesattacken sind das wirklich alle mal wert “, war Justins Kommentar, das er mit einem breiten Grinsen zum besten gab.

„Wenn du meinst... ich mische mich da besser nicht ein. Nehmen wir Rex mit?”, wollte sie wissen.

„Nein, Gino fährt heute weg und nimmt seinen Hund mit. Deswegen nur du, ich und Collie. Und so ganz nebenbei hab ich immer noch nicht verstanden, weswegen du eine Colliehündin Collie nennst”, bemerkte der Rotschopf plötzlich.

„Immerhin passt der Name! Vergessen kann man ihn auch nicht und besser als Lassie ist er sowieso “, erklärte sie.

„Okay, da hast du recht, aber sonst... Na ja egal, lass uns losgehen. Sonst ist es Mittag, bevor wir auch nur das Haus außer Sichtweite haben und das muss ja nicht sein”, fand er.

Die Beiden machten sich auf den Weg. Über Gott und die Welt redend gingen sie zum See, Collie immer vor ihnen her laufend. Beim See angekommen schauten sie leise auf das Wasser hinaus. Die Sonne ließ es glitzern und eine leichte Briese kräuselte es. Ein Angler angelte nicht weit von ihnen und ein paar Kinder spielten auf dem Steg bei den Segelbooten. Ein paar Segler durchpflügten das Wasser. Ein ganz normaler Sommermorgen. Doch ganz plötzlich starrte Justin auf eine Stelle in der Nähe der kleinen Insel mitten im See, als würden dort Geister tanzen.

„Nadja, siehst du das auch?”, fragte er entgeistert.

„Was denn? Meinst du die Kinder? Wenn die dort nicht bald verschwinden, dann fallen sie bestimmt noch ins Wasser”, antwortete diese.

„Nein, ich meine nicht die Kinder, ich meine das da, was bei der Insel im See schwimmt”, quiekte Justin.

Nadja folgte verwirrt seinem fast schon entsetzten Blick.

„Ich weiß nicht, was du meinst... ein paar Enten auf der Insel, aber sonst doch nichts Besonderes und schon gar nichts, worüber man so einen Aufstand macht”, fand sie.

„Aber... du siehst es echt nicht?”, hackte Justin nach.

„Nein, egal was du meist, ich sehe nichts Besonderes”, antwortete sie.

„Dann... bilde ich mir das ein. Anders kann es nicht sein... das, was ich sehe, das ist einfach unmöglich, also ist die einzige vernünftige Erklärung, das ich es mir einbilde...”, nuschelte er.

„Wieso, was siehst du denn?”, Nadja war neugierig geworden.

„Ich sehe dort...”, er sprach nicht weiter, denn er war nicht mehr am See, sondern stand in einer Halle, gebaut aus weißem Stein. Große Fenster ließen helles Sonnenlicht herein fluten, aber es gab nichts in diesem Raum, was ihn blendete. Er sah, dass vor dem größten der Fenster ein Wesen stand, doch er konnte nicht sagen, ob ein Junge oder ein Mädchen, ein Kind oder ein Greis. Das Licht verwischte die Konturen einfach zu sehr. Es, was auch immer es war, stand einfach nur da und schaute aus dem Fenster. Doch dann drehte es sich um und kam auf Justin zu. Es wurde immer deutlicher, aber erst als das Wesen vor ihm stand konnte er erkennen, was es war. Ein Mädchen, etwa in seinem Alter und ein wenig kleiner. Ihr Haar ging ihr weit unter die Hüften und war so schwarz, als hätte jemand an der Stelle ein Stück aus der Wirklichkeit geschnitten. Sie wurden auf Tallieenhöhe mit einem goldenen Reif zusammen gehalten, was dem Anblick einen Hauch von Seltsamkeit verlieh. Bei der Farbe der Haare hatte man das Gefühl, sie würden schlicht und ergreifend alles verschlucken, was in ihre Nähe kam. Ihren Rücken zierten große, schneeweiße Schwingen, die somit einen krassen Gegensatz zu dem nichtsfarbenem Haar bildete. Ihre Augen waren kastanienbraun und so tiefgründig, wie ein Brunnen in der Wüste. Sie hielten einen fest, egal wie sehr man sich auch wehrte, und zugleich wusste Justin auch, dass er in ihnen ertrinken würde, wie in einem Meer aus Tränen und enttäuschter Hoffnung, wenn er sie noch länger anschauen würde. Sie sah traurig aus, und doch glomm ein Funken Hoffnung in ihrem Blick. Sie setzte dazu an, etwas zu sagen, doch bevor ein Wort ihre Lippen verließ, war Justin wieder am See.

„Oh mein Gott!”, keuchte er.

„Was ist denn?”, wollte Nadja wissen.

„Ich habe einen Engel gesehen...”, nuschelte Justin.

Nadja schaute ihn verblüfft an: „Was hast du gesehen?”

Justin schüttelte denn Kopf: „Vergiss es. Es ist nicht wichtig.”

Sie schaute ihn zweifelnd an. Einer plötzlichen Eingebung folgend drehte er sich um. Ein Fremder stand da und beobachtete die Beiden. Trotz der spätsommerlichen Wärme trug er einen Mantel und einen Hut. Außerdem noch eine Sonnenbrille. Justin schaute ihm direkt in die Augen. Ihre Blicke hielten einander fest in ihren Bann. Selbst wenn er gewollt hätte, hätte Justin nicht wegschauen können. Erst Nadja löste diesen Bann.

„Hey, was ist los, Juss?”, fragte sie.

Er schluckte und schaute nun sie an.

„Nichts... mir... geht es nur nicht so gut... ich glaube, ich gehe besser nach Hause...”, meinte er.

„Wenn du meinst... kommst du dann vielleicht nachher noch mal vorbei bei mir? Wenn es dir wieder besser geht?”, fragte sie.

Justin nickte: „Ja, wenn es mir wieder gut geht…“

Dann machte er sich schnell auf den Weg nach Hause. Dort legte er sich ganz gegen seine Gewohnheit auf das Sofa im Wohnzimmer. Eine Weile starrte er die Decke an und überlegte, was mit ihm los sei, das er solch merkwürdigen Dinge sah. Diese Visionen hatte er schon immer gehabt, doch waren sie früher immer gekommen, wenn er geschlafen hatte, nicht wenn er wach gewesen war. Außerdem waren sie normalerweise nicht so sinnlos, sondern so, das sie durchaus in der Wirklichkeit geschehen konnten.

„Das muss doch irgendetwas bedeuten...”, brummte er vor sich hin.

Mit einem Seufzer setzte er sich auf und griff nach dem Telefon.

Während es tutete begann er, das Wohnzimmer ein wenig sauber zu machen. Das war ein Tick von ihm, immer wenn er telefonierte, begann er damit, irgendetwas sauber zu machen. Dann klickte es.

„Ja, Swena Sommer am Apparat, wer dort?”, fragte eine Stimme.

„Hallo Swena. Ich bin es, Justin. Sag mal hast du heute Zeit? Ich brauche jemanden zum Reden”, sagte er.

„Oh, hallo! Ja, ich habe heute Zeit und habe schon gedacht, ich muss mich heute langweilen. Wo wollen wir uns treffen und wann?”, wollte Swena wissen.

„Am besten bei einem Eis in der Eisdiele, so gegen... drei Uhr?”, fragte er.

„Okay, ist in Ordnung. Bis dann”, verabschiedete sich Swena.

„Ciao”, meinte auch Justin. Dann legte er auf und schaute, was er sich zum Mittagessen machen konnte.

Unterhaltung

Justin beobachtete die Menschen um sich herum. Es machte ihm Spaß zu sehen, wie sie unter seinem Blick nervös wurden, manche sogar gingen, nur um nicht Opfer von Justin nächsten Streich zu werden. Nebenbei aß er noch ein großes Eis. Gerade hatte er sich ein zweites bestellt, da tauchte Swena auf.

„Bin ich zu spät?”, fragte sie, weil Justin schon da saß und die Kellnerin schon einen leeren Eisbecher wegbrachte.

„Nein, bist du nicht. Ich war schon um halb hier, weil ich es zu Hause nicht mehr ausgehalten habe”, erklärte Justin und reichte Swena die Karte.

„Dann ist ja gut. Mal schauen, was bestelle ich denn...”, für die nächsten fünf Minuten studierte sie die Eiskarte genau und bestellte.

„Gut. Wie geht’s dir eigentlich, Justin?”, fragte sie dann.

„Danke, gut”, antwortete er.

„Das freut mich, ich habe schon gedacht, du bist krank oder so, weil du Donnerstag nicht gekommen bist”, meinte sie lächelnd.

„Ja, vorgestern ging es mir nicht so gut”, erklärte er.

Ein kurzes Schweigen folgte.

„Nun, worüber wolltest du mit mir reden?”, fragte Swena dann, bevor das Schweigen peinlich werden konnte.

Justin nahm sein Eis von der Kellnerin in Empfand und aß erst einmal ein bisschen, hauptsächlich, um Zeit zu gewinnen.

„Ich... hatte vor kurzem wieder zwei Visionen. Schnell hintereinander an zwei verschiedenen Tagen”, sagte er dann ernst.

„Das ist doch nichts Ungewöhnliches bei dir”, fand sie.

„Ja, an sich nicht. Nur sonst habe ich sie nicht so schnell hintereinander, sondern es sind mehrere Tage, meistens sogar Wochen oder Monate dazwischen. Und auch die Art, wie ist sie bekam war merkwürdig... und der Inhalt sowieso.”

Swena sah nachdenklich aus.

„Was war den an der Art so anders als sonst?”

„Ich hatte sie, während ich wach war. Sonst träume ich so etwas nur, aber diesmal war ich wach. Ich stand da, beschäftigt mit etwas und dann war sie plötzlich da...”

„Das ist in der tat merkwürdig... Und der Inhalt? Was hast du gesehen?”

„Nun, ich ging durch den denn Wald, mit Rex und dann war ich auf einem Schlachtfeld. Ich schaute mich um, überall kämpften Ritter. Pferde stiegen und wieherten, Männer schrieen vor Schmerz und Angst. Hund, gepackt in Stachelbewehrten Rüstungen zerfetzten Fleisch... Und dann stand er da. Ein Kerl, der genauso aussah wie ich. Es war, als würde ich in einen Spiegel schauen. Er ritt als einziger einen Hengst, der nicht durch eine Rüstung geschützt war, aber das schwarze Fell hatte keinerlei Verletzungen. Das Blut an ihm war vom Feind, nicht von ihm selbst. Die schwarze Rüstung des Typen war auch über und über von Blut bespritzt. Von seinem Schwert troff der Lebenssaft wie Wasser. Und er sah ihm so unglaublich ähnlich... wie... ein Zwilling... mit dem einem Unterschied, das er noch nie in seinem Leben lachen durfte. Sein Leben bestand bisher nur aus Kampf, Tod und unendliche Qualen. Freundschaft und Liebe sind Fremdworte für ihn... so etwas hat er genauso wenig erfahren, wie ich einen Krieg miterleben musste, am eigenem Leib...”, Justin verstummte.

Auch Swena sagte lange Zeit kein Wort.

„Das hast du alles erfahren, indem du ihn angeschaut hast?”, fragte sie dann.

„Nein... ich habe es gewusst. Ich weiß, wer er ist, ich weiß alles über ihn, denn er ist ich. Und zugleich auch wieder nicht. Ich... weiß nicht, wie ich es erklären soll... es ist einfach, als kenne ich ihn schon mein Leben lang, als wären wir verbunden auf Ewigkeit und als wäre er mir doch so fern und unbekannt, wie ein Fremder...”, antwortete Justin.

„Wie als wäre er dein bester Freund und ein vollkommen Fremder zugleich, oder wie?”, hakte Swena nach.

„Ja... nein... es ist schwer zu erklären...”

„Das merke ich schon, denn sonst hast du nicht sonderlich große Probleme damit, mir zu erklären, was du meinst. Aber nun gut. Die Schlacht drum herum wundert mich ein wenig, sie scheint keinerlei Bedeutung zu habe. Ich meine, in Wirklichkeit gibt es so was ja nun nicht mehr. Außer auf entsprechenden Festen, aber da werden sie gewiss nicht so blutig vorgehen.”

„Das ist ja eines dieser merkwürdigen Dinge. Sonst sind die Visionen so, dass sie durchaus passieren können... ich meine, sie passieren ja auch immer. Aber diese ist einfach... unmöglich...”

„Das stimmt. Nun ja, was war mit deiner zweiten Vision?”

Wieder aß Justin erst etwas, um Zeit zu gewinnen.

„Nun, die hatte ich heute Morgen am See. Ich war mit Nadja spazieren und plötzlich war ich in einer Halle, die war ganz weiß. Nur weiße Wände und es gab große Fenster”, Justin griff zu dem Rucksack, den er mitgenommen hatte uns zog einen Skizzenblock hervor, denn reichte er Swena. Die schlug die erste Seite auf.

„Das Bild hier?”, fragte sie.

Justin nickte.

„Ganz recht. So in etwa sah die Halle aus. Auf der nächsten Seite ist eine Skizze von dem Wesen, das ich in der Halle gesehen habe.”

Swena schlug die Seite um.

„Ein Engel...”, flüsterte sie.

„Ja, ein Engel. Leider ist die Zeichnung nicht einmal annähernd so wunderschön, wie sie in Wirklichkeit war...”

Swena schaute sie Zeichnung noch eine Weile an, dann gab sie Justin den Block zurück.

„Nun, was geschah in der zweiten Vision?”, fragte sie sachlich.

„Also, ich stand in der Halle und da sah ich vor einem der Fenster einen Schatte. Der kam auf mich zu, wurde nach und nach zu diesem Engel. Ihre Augen sind in so einem wunderschönen kastanienbraun gewesen und man dachte, durch sie schaut man in die Unendlichkeit... und ihre Haare... das schwärzeste Schwarz, das du je gesehen hast, das wäre nur grau im vergleich... so schwarz, wie das Nichts. Wie das reine Nichts. Und im Kontrast dazu ihre Schwingen. Oh mein Gott, ich würde mein Leben geben, um eine dieser Federn in den Händen halten zu dürfen! Sie waren weißer als Schnee... so unglaublich rein und weiß... ihr Körper sah… unendlich zerbrechlich aus... und sie… war traurig... so unendlich traurig, als könnte sie nie in ihrem Leben lachen, nie überhaupt irgendein Gefühl empfinden können. Nur das Gefühl der Trauer... ich hätte sie am liebsten in den Arm genommen und getröstet, ihr gezeigt, das sie nicht traurig sein muss, denn egal was passiert, es gibt immer einen Ausweg... aber ich konnte nicht... und sie muss weiterhin traurig sein... und…”, flüsterte Justin.

Swena war verblüfft. Sie hätte nie gedacht, dass etwas, das kaum mehr als ein Traum war solche Gefühlsausbrüche in Justin hervorrufen konnte. Sie sagte nichts. Keiner sagte etwas.

„Nun, wollen wir doch mal ein wenig analytisch vorgehen. Für die Schlacht habe ich keinerlei Ideen, was dein Unterbewusstsein damit ausdrücken wollte, aber vielleicht ist der Engel so etwas die Marina? Hältst du das für möglich?”

„Hey, du bist hier die Psychologin, also frag nicht mich! Aber um auf deine Frage zu antworten: glaube ich nicht. Ich glaube, das hat alles gar nichts mit meiner Vergangenheit zu tun. Wahrscheinlicher ist die Zukunft, oder meinst du nicht? Die anderen Visionen hatten auch immer etwas mit der Zukunft zu tun, nie mit der Vergangenheit.”

Swena nickte langsam und nachdenklich.

„Natürlich, das ist auch möglich... sogar ungleich wahrscheinlicher, also was quatsch ich da für einen Müll? Aber worauf in deiner Zukunft könnte das hinweisen?”

„Ich habe keine Ahnung, ich bin kein Hellseher”, meinte Justin.

„Na ja, wie man es sieht. Aber lass uns trotzdem einfach mal überlegen... Die Schlacht könnte starke Veränderung oder Tod bedeuten. Vielleicht stirbt einer deiner Bekannten, Verwandten oder Freunde? Oder es kommen ganz viele neue hinzu. Und das du im Prinzip dich selbst gesehen hast sagt vielleicht, das du selbst dafür verantwortlich bist, was sich verändert, und was nicht. Und der Engel sagt vielleicht aus, dass du ein Mädchen kennen lernen wirst, in das du dich verliebst...”

Justin schaute sie zweifelnd an.

„Glaube ich nicht. Ich könnte meine Rei nämlich nie vergessen oder mich gar mit einer anderen abfingen. Ich habe einfach absolut keine Ahnung... das ist doch alles so sinnlos... hätte es wenigstens den Hauch eines Sinnes, aber nicht einmal den hat die ganze Sache...”

„Ach, lass den Kopf nicht hängen, es wird sich schon alles aufklären, du musst nur lange genug warte”, Swena war fest überzeugt von dem, was sie sagte.

„Ja, kann sein...”, meinte Justin.

Er war schon seid einer kleinen Weile nicht mehr mit dem Gespräch beschäftigt, sondern er fühlte sich beobachtet und versuchte heraus zu finden, von wem. Unauffällig beobachtete er seine Umgebung und als er zufällig in einem der Spiegel schaute, die fast überall hingen, da sah er auch, wer ihn beobachtete. Der Mann vom See. Wieder hatte er Hut, Sonnenbrille auf und Mantel an. Justin schaute auf seine Armbanduhr.

„Ich muss nach Hause. Ich habe noch Hausaufgaben zu erledigen”, log er und zahlte seine beiden Eisbecher. Nur mit einem knappen „Tschüss” verabschiedete er sich und ging dann. Vor der Eisdiele suchte er eine Stelle, von der aus er den Ausgang beobachten konnte, ohne selbst gesehen zu werden. Er musste nicht lange warten, da kam auch schon der Fremde heraus. Er schaute in die Richtung, in die Justin gegangen wäre, wenn er nach Hause gegangen wäre, und schien nachzudenken. Dann ging der Fremde in die endgegengesetzte Richtung davon. Justin lächelte herausfordernd vor sich hin.

„Ja, mein guter, ich nehme deine Herausforderung an”, nuschelte er und folgte seinerseits dem Fremden. Der ging eine Weile sichtlich Ziellos umher, blieb dann und wann stehen, um etwas genauer in Augenschein zu nehmen. Er schien nicht zu bemerken, dass er verfolgt wurde oder er ließ sich nichts anmerken. So genau wusste Justin das nicht, aber gleichwie, er folgte dem Unbekannten weiter auf dem Fuße. Der hatte sich wohl plötzlich doch ein Ziel ausgesucht, denn nun ging er schnurstracks zu einer Gasse. Justin wusste, dass es eine Sackgasse war und wartete vor dem Eingang, denn bald würde der Fremde zurückkommen, es sei denn, er konnte fliegen, was Justin aber stark bezweifelte. Es vergingen fünf Minuten, ohne das der Kerl wieder zurückkam. Verwundert ging er zu dem Rand der Gasse und schaute hinein. Auf halber Höhe machte sie einen Knick und neugierig ging er zu dieser Abzweigung, aber auch dort sah er den Fremden nicht. Es war, als hätte der Kerl sich in Luft aufgelöst. Verblüfft und verwirrt machte Justin sich auf den Weg nach Hause.

Der Traum vom Engel

„Seid gegrüßt, Weltenretter”, ertönte eine Stimme hinter Justin.

Noch bevor er sich ganz herumgedreht hatte, wusste er, wen er sehen würde. Der schwarzhaarige Engel stand hinter ihm. Sie war so wunderschön, wie auch damals, als er sie das erste Mal gesehen hatte und genauso unendlich traurig, doch der kleine Funke Hoffnung in ihren Augen war größer geworden. Ihre Stimme war wundervoll und sie sprach in einer Sprache, die er noch nie zuvor gehört hatte und doch verstand er sie, als hätte er sie von klein auf gelernt. Es hörte sich an, wie ein wunderschönes, unendliches Lied.

„Warum kann ich dich verstehen?”, fragte er und war verblüfft, das er unbewusst dieselbe Sprache gewählt hatte.

„Weil jedes Wesen einst diese Sprache konnte, doch die meisten haben vergessen, das es sie gibt. Es ist die Sprache der Unsterblichen. Ich könnte nicht in deiner Sprache mit dir Sprechen und du würdest meine nicht verstehen, darum lasst uns dieser Sprache bedienen”, bat der Engel.

„Sprache der Unsterblichen? Also Wesen, wie du eines bist?”, wollte er wissen.

„Nein. Meine Art lebt lange, ungleich länger als die meisten Völker meiner und eurer Welt, aber nicht unendlich lange. Die wenigsten Wesen sind wahrhaft unsterblich. Viele Wesen, der ihr diese Fähigkeit bezichtigt sind es nicht. Nur sehr langlebig. Es hat nun einmal alles ein Ende“, erklärte der Engel.

„Welche Wesen sind denn dann wirklich unsterblich?”, wollte Justin wissen.

„Wesen, die schon dann lebten, lange bevor unsere Muttersmütter lebten und auch dann noch leben werden, wenn unsere Kindeskinder lange von dieser Welt entschwunden sind. Wesen, für die selbst mein Leben nur ein Augenblick in der Unendlichkeit ist. Wesen wie die Herrin selbst, oder eine ihrer Schwestern”, antwortete sie.

„Die Herrin? So etwas wie Gott?”

„Ja. Ihr nennt es Gott, bei uns ist es die Herrin.“

„Also ein weiblicher Gott. Bei euch scheint es ja nicht so zu sein, das nur die Männer die Macht hatten, für eine lange, lange Zeit”, stellte Justin fest.

„Doch, das ist bei nahezu jedem Volk so gewesen, und wird auch in Zukunft noch so sein. Aber der Unterschied ist, das mein Volk die Frauen nie als minderwertige Wesen angesehen hat, sondern als... das, was sie sind. Denn was würden ihre männlichen Artgenossen tun, wenn die Frauen ihnen nicht das Essen bereiten, die Kleider nähen, den Nachwuchs gebären und aufziehen würden? Mein Volk wusste schon immer, das sie voneinander abhängig sind, und darum haben sie uns nie so schlecht behandelt, wie es bei euch einst üblich war”, antwortete der Engel.

Justin schwieg dazu. Eine kleine Weile sagte niemand etwas.

„Warum hast du mich hergeholt?”, fragte er dann.

„Ich möchte euch um etwas bitten. Das Böse hat zwei der Schwerter in seinem Besitz, aber noch keinen der Steine. Korona ist in Sicherheit, weil sie nicht wissen, wo er ist, aber sie wissen, dass ich Bora habe und sie wollen ihn haben, zumal sich ja auch schon Drachenwind in ihrem Besitz befindet. Und um Bora zu schützen möchte ich euch bitten, ihn an euch zu nehmen und mit eurem Leben zu schützen”, bat sie.

„Wie, was? Das geht mir jetzt ein bisschen zu schnell! Was ist Korona und was ist Bora? Welche Schwerter?”, wollte er wissen.

„Ich erkläre es euch. Alles auf der Welt wird von den vier Elementen beeinflusst. Alles besteht aus diesen vier Elementen und jedes der Elemente wird von einem Stein und einem Schwert symbolisiert. Bora zum Beispiel, der Stein der Winde besteht aus Wind, aus Luft, aus dem, was wir atmen, was immer um uns ist. Genauso wie die Klinge Drachenwinds. Es gibt vier Steine und die dazugehörigen Schwerter. Da wären Bora und Drachenwind, die seinem Besitzern die Macht der Winde verleihen, Korona und Phönixfeuer, die der Schlüssel zur Herrschaft des Feuers sind, Zoran und Nixenwasser, die euch alle Wasser gehorchen lässt und Ferrum und Golemerde, die euch die Erde selbst zu eurem Verbündeten macht. Aber Bora ohne Drachenwind hat nur die Hälfte der Macht der Winde, genauso wie Drachenwind ohne Bora. Sie ergänzen einander, nur mit einem der beiden Stücke hat man auch nur die halbe Macht. Und so hat das Böse Phönixfeuer und Drachenwind, aber nicht Korona und Bora. Wo Korona ist, wissen sie nicht, aber wo Bora ist, das wissen sie. Bora darf ihnen aber nicht in die Hände fallen, denn sonst beherrscht das Böse den Wind, und der Wind ist ein mächtiger Verbündeter! Deswegen möchte ich euch bitten, Bora an euch zu nehmen. Hier ist es nicht sicher, bei euch schon”, erklärt sie.

„Aber warum soll dieser Stein bei mir sicherer sein, als bei dir? Immerhin bist du der Götterbote, nicht ich. Wenn der Stein nicht einmal bei einem Engel sicher ist, wie soll er das dann bei mir sein?”, ereiferte sich Justin.

Das Mädchen lachte leise.

„Ich? Eine Dienerin der Herrin? Ihr habt schon merkwürdige Vorstellungen, Mylord! Nein, ich bin kein Engel. Ich bin eine Elbe, die das Pech hatte, der Magie mächtig zu sein. Meine Schwingen sind nur ein Zeichen, um andere meine Macht erkennen zu lassen. Aber verglichen mit euch bin ich nur ein Glühwurm im vergleich zur Sonne, ein Tropfen im vergleich zum Meer, ein Nichts”, erklärte sie.

„Wie um alles in der Welt kommst du darauf, dass du weniger Wert seiest, als ich?”, wollte er wissen.

„Weil ihr der Weltenretter seid und ich nur die Herrin des nördlichen Elbenreichs”, antwortete sie.

„Warum Weltenretter? Ich verstehe nicht, was du damit sagen willst.”

„Der Weltenretter ist jemand, der das Böse abwenden wird. Er wurde meinem Volk vor Jahrhunderten prophezeit und der seid ihr, da sind wir uns sicher. Ihr seid es, ihr müsst es sein, nur ihr habt die Macht, das Böse zu zerschlagen, bevor es das Gute zerschlägt.”

„Nein! Ich verstehe das nicht, wie kommst du auf mich? Ich bin nicht mal in der Lage, einen Toaster zu bedienen, warum soll ich dann dieser Weltenrettertyp sein?”, ereiferte sich Justin.

Das Mädchen kam hatte bisher ein paar Meter Abstand gehalten, jetzt trat sie vor Justin und schaute lange in seine Augen.

„Ihr seid ein Traumseher. Alle Tiere sind euch wohl gesonnen. Und... nein... egal. Ich bin mir auf jeden Fall sicher, auch wenn ihr der Meinung seid, das ihr es nicht sei könnt, warum auch immer”, sagte sie.

Eine Weile schauten die Beiden einander nur in die Augen. Justin schossen tausend Gedanken durch den Kopf.

„Wie ist dein Name?”, fragte er dann.

„Man ruft mich Melody. Ich bin, wie vorhin schon erwähnt, die Herrin über das nördliche Elbenreich”, antwortete sie.

„Du bist doch kaum älter als ich, warum herrscht du schon über ein Land?”, fragte er.

„Ich bin nicht älter als ihr, ich bin jünger. Ich bin vierzehn. Leider habe ich keine Zeit, euch noch mehr zu erklären. Ich muss gehen. Bitte, nimm Bora an dich... äh, an euch meinte ich... ich vergas mich für einen Augenblick”, entschuldigte sie sich.

„Das macht nichts, ich habe nichts dagegen, wenn du mich duzt. Das tu ich ja auch schon die ganze Zeit über. Natürlich werde ich deinen Wunsch erfüllen”, Justin lachte leise und vollkommen humorlos, „wenn nicht dir, wem dann? Ja, ich nehme den Stein an mich und werde ihn mit meinem Leben verteidigen. Aber... werden wir uns irgendwann Wiedersehen?”, fragte er.

„Vielleicht...”, antwortete Melody und nahm Justins Hand.

Ihre Haut fühlte sich warm und weich an und ließ Justins Herz rasen. Melody legte etwas in ihr hinein und schloss sie.

„Pass gut auf den Stein auf, denn von ihm hängt das Leben aller Wesen ab”, erklärte sie eindringlich.

Justin nickte feierlich. Dann zog er plötzlich Melody so eng an sich, wie es ging und umarmte sie fest.

„Junge, was ist los?”, fragte seine Mutter und schüttelte ihn kräftig.

Verschlafen schaute er sie an.

„Was ist los?”, nuschelte er.

„Das frag ich dich. Du hast geschrieen, Justin”, antwortete Ginny.

„Geschrieen? Ich habe geschrieen? Ich weiß nicht mehr, was ich träumte, ich hatte wohl einen Albtraum”, murmelte er.

Das stimmte nicht, denn er erinnerte sich an seinen Traum, oder was auch immer es war, aber warum er im Schlaf geschrieen hatte, das konnte er sich nicht erklären und bevor ihn seine Mutter mit irgendwelchen Fragen löcherte, die er doch nicht beantworten konnte, blieb er lieber bei einer kleinen Notlüge.

„Aber jetzt ist wieder alles in Ordnung?”, fragte seine Mutter.

„Ja, aber sag mal, haben wir eigentlich noch irgendwo Fotos von Papa?”, fragte er einer plötzlichen Eingebung folgend.

„Ja, natürlich, aber warum fragst du?”, wollte Ginny verwundert wissen.

„Ich weiß nicht, ich habe irgendwie das Gefühl, das es... wichtig sein könnte, ein Bild von ihm vor Augen zu habe, keine Ahnung, warum, aber... ich kann mich nicht mehr an sein Aussehen erinnern...”, flüsterte er.

Es stimmte ihn traurig, das sagen zu müssen, den Justin hatte seinen Vater sehr geliebt. Es schmerzte ihn, das er sich an das Aussehen einer solch wichtigen Person in seinem Leben nicht mehr erinnerte. Überhaupt war es wohl Justin gewesen, der am meisten unter dem Tod seines Vaters gelitten hatte. Mit ihm hatte sich der Junge immer viel besser verstanden, als mit seiner Mutter.

„Holst du mir eines?”, bat er.

Ginny nickte und ging. Justin schaute noch einen Augenblick durch die offene Tür auf den Flur hinaus, dann öffnete er seine Hand. Ein silbergrauer, leicht transparenter Stein in der Form eines Drachen lag in seine Hand. Er betrachtete es solange, bis er die Schritte seiner Mutter hörte, dann ließ er ihn unter seiner Bettdecke verschwinden. Wortlos, mit traurigem Blick reichte Ginny ihrem Sohn das Foto. Auf ihm war Justins Vater abgebildet, in seiner Pilotenuniform. Vor ihm stand Helen und lächelte und auf dem Arm trug er Justin. Sie alle lachten. Dass dieser Mann nur weniger Stunden später abstürzen und sterben sollte, das ahnte noch niemand. Justin schluckte schwer und gab seiner Mutter das Foto wieder, nachdem er es sich genau eingeprägt hatte. Die Tränen konnte er nur noch mühsam zurückhalten. Ginny lächelte traurig, als auch sie das Bild betrachtete.

„Es trifft immer die Falschen...“, murmelte sie.

Sie sah ihren Sohn an und dachte an jenen Tag zurück. Stunden, bevor sie diesen grausigen Anruf erhalten hatte, da hatte Justin schon geweint. Er hatte es gewusst, lange vor allen anderen. Das Flugzeug hatte kaum vom Boden abgehoben, da hatte er schon geweint und als man ihn gefragt hatte, weswegen, da hatte er geantwortet, weil er Papa nicht mehr sehen würde. Niemand hatte verstanden, was er damit sagen wollte und niemand hatte ihm wirklich zugehört. Justin war eben nur ein kleiner, fünfjähriger Junge gewesen, dem hört man doch nicht zu, vor allem nicht, wenn er solchen Unsinn erzählte. Aber selbst wenn sie ihrem Sohn zugehört hätte, hätte das nicht viel gebracht. Er war noch zu jung gewesen, um zu erklären, warum das Flugzeug abstürzen würde. Ginny stand auf.

„Wir sollten schlafen, auch wenn morgen Sonntag ist”, fand sie und ging ohne ein weiteres Wort.

Justin wartete, bis er hörte, wie sie ihre Zimmertür schloss, dann stand er auf, machte Licht an und betrachtete den Stein genauer. Zu guter letzt holte er ein Stück Schnur hervor, mit dem er sonst immer seine Haare zusammenband, und befestigte den Stein daran.

„Das sollte vorerst halten”, murmelte er und band sich die Schnur um den Hals. So ging er schlafen.

Bedrohung im Wald

Rex, bei Fuß! Lauf doch nicht so schnell! Wir haben doch Zeit genug!”, rief Justin dem Hund nach.

Der sprang schweifwedelnd vor ihm herum und bellte lautstark.

„Ja, bleib ruhig, Dicker!”, lachte der Rotschopf.

Rex bellte noch lauter und sprang noch ungestümer umher.

„Ist ja gut, ist ja gut! Bleib ruhig!”, lachte der Junge.

„Genau, bleib ruhig”, sagte eine Stimme hinter ihm und eine Klinge erschien an seinem Hals.

Justin sog scharf die Luft ein.

„Schrei und du bist einen Kopf kürzer”, drohte die Stimme.

Der Justin hielt unwillkürlich die Luft an.

„Gut so. Ich nehme die Klinge weg und du drehst dich langsam um. Kein schreien, keine hastigen Bewegungen, sondern bleib ganz normal. Solange du nichts unüberlegtes tust passiert weder dir etwas, noch deinem Hund”, erklärte die Stimme.

„Ist gut”, murmelte der Rotschopf.

Die Klinge verschwand von seinem Hals. Er drehte sich langsam um, wie ihm geheißen und schaute in das Gesicht eines Mannes Anfang zwanzig. Die Sonnenbrille war weg und auch den Hut trug er nicht. Nicht einmal den Mantel hatte er an, sondern normale Kleidung und doch erkannte Justin ihn sofort.

„Brav so”, lobte der Fremde.

Seine Augen waren blau, wie die Justins, sein Haar jedoch schwarz wie die Nacht.

„Was wollen sie?”, erkundigte sich der Junge, vom Schwert uneingeschüchtert.

„Nicht viel. Ich denke, Melody hat dir mittlerweile Bora übergeben. Und wenn nicht wird sie es bestimmt noch tun. Nun, wie dem auch sei. Halte dich von den Toren und der anderen Welt fern. Sie werden riechen, dass du Bora hast und sie haben den Auftrag, den Stein der Winde unter allen Umständen in ihre Fänge zu bekommen und den, der den Stein vorher hatte zu töten“, erklärte der Mann knapp, „also bleibe hier, komme was wolle. Versprich es, Justin.“

„Woher kennen sie meinen Namen, wieso spionieren sie mir hinterher?”, fragte dieser.

„Nicht jetzt, nicht hier. Ich werde mich wieder bei dir melden, dann erkläre ich dir alles, aber jetzt ist es am wichtigsten, dass du mir dieses Versprechen gibst! Also versprich es, versprich, das du den Toren nicht zu nahe kommst”, der Fremde ließ nicht locker.

„Welche Tore denn bitteschön?!”, nervte Justin weiter.

„Du wirst sie erkennen, wenn du eines findest. Halte dich von ihnen fern und gehe unter keinen umständen durch! Los, versprich es!”, drängte der Fremde aggressiv.

„Ich habe keine Ahnung, wovon du eigentlich sprichst!”, antwortete Justin.

„Mein Gott, versprich es einfach und halte dich dran!”, rief der Kerl.

„Aber warum soll ich so etwas versprechen?! Das ist unlogisch!”, fand der Rotschopf.

Der Unbekannte seufzte tief. Dann hob er ruckartig den Kopf und lauschte angestrengt, ließ dabei aber Justin nicht aus den Augen.

„Ich kann nicht länger bleiben, er darf nicht wissen, dass ich hier bin, sonst bin ich Tod. Tu mir den Gefallen und versprich es einfach”, bat er.

„Nein! Nicht, wenn ich nicht weiß, was ich eigentlich genau verspreche!”, der Junge blieb stur.

„Okay. Es gibt Tore, durch die kommt man in andere Welten und du sollst einfach nur versprechen, dass du nie, wirklich nie durch so ein Tor gehst! Am besten kommst du nicht mal in ihre Nähe!”

„Hä? Tore in andere Welten? Du hast doch einen Sprung in der Schüssel...”

„Ja, okay, dann versprich es halt einem Bekloppten, aber versprich es endlich!”

„Ja, okay, schon versprochen”, meckerte Justin.

Der Fremde sah unendlich erleichtert aus.

„Danke... Das war wichtig für mich. Leb wohl und pass auf dich auf”, meinte er zu Abschied und sprang dann in das dichte Unterholz des Waldes, ohne ein weiteres Wort der Erklärung abzugeben. Justin schaute diesem merkwürdigen Kerl nach.

„Komischer Kauz”, fand er.

Rex legte den Kopf schief und bellte zustimmend.

„Egal, lass uns nach Hause gehen”, fand der rothaarige Junge.

Geheimnis

„Justin, vor die Tür”, befahlt Frau Chang.

„Aber warum denn?!”, wollte der Junge verblüfft wissen.

„Weil du gequatscht hast, deshalb”, knurrte die Lehrerin. Sie hasste Widersprüche.

„Aber ich habe Rob doch lediglich erklärt, wie die Aufgabe geht!”, verteidigte er sich.

„Dann geht eben ihr beide raus und du schreibst mir bis zum Ende der Stunde einen Aufsatz, warum man seinen Lehrern nicht zu widersprechen hat!”, meinte Frau Chang schlagfertig.

Justin widersprach nicht, denn sonst hätte er Nachsitzen riskiert und an einem Montag, an dem man sowieso noch Nachmittagsunterricht hatte auch noch ein oder zwei Stunden länger in der Schule bleiben musste ja nicht sein. So nahm er sich einfach seinen Füller, einen Block und ging hinaus, während Robert seine Lehrerin ängstlich ansah.

„Los, hinterher!”, fuhr die ihn an.

Er sprang auf und folgte Justin schnell.

„Oh mein Gott, wie kannst du dich mit unserem Klassendrachen eigentlich immer so anlegen?! Die da drinnen haben jetzt nichts mehr zu lachen... du weist doch, dass sie Widersprüche nicht mag”, tadelte Robert.

„Schon mal auf die Idee gekommen, das ich gerade deswegen immer widerspreche?“, wollte Justin mit einem grinsen wissen, „außerdem ist sie nicht so schlimm, man muss nur wissen, wie man mit ihr umgehen muss, dann ist sie lieber als ein Lamm. Außerdem ist es unfair, uns rauszuschmeißen, obwohl ich dir nur die Aufgabe erklärt habe.”

Robert seufzte.

„Ich hoffe, wir können bald wieder rein...”, murmelte er.

„Ich nicht, ich habe besseres zu tun, als mir ihr Gequatsche anzuhören”, antwortete Justin und schrieb fleißig drauflos.

„Was schreibst du denn da so voller Hingabe? Doch nicht wirklich deine Strafarbeit?”, erkundigte sich Robert.

„Nein, natürlich nicht! Was hältst du denn von mir!“, entrüstete sich Justin, „ich habe wie gesagt besseres zu tun. Ich mache eine Liste, was ich alles brauche.”

„Wie, was du alles brauchst? Willst du ihr einen Streich spielen oder was?”

„Ach Quatsch Streich. Nein, ich muss ein paar dingen auf den Grund gehen.”

„Welchen dingen? Und warum machst du dazu eine Liste?”

„Die verstehst du sowieso nicht, Rob. Das verstehe ich ja selbst nicht, deswegen will ich ja herausfinden, was dahinter steckt.”

„Ach, und dazu brauchst du Taschenlampen und jede Menge Batterien, ja?”, fragte Robert mit einem Blick auf die Liste.

„Hab ich je behauptet, hier in der Gegend gewissen dingen auf den Zahn zu fühlen?”

„Du willst abhauen?!”

„Noch lauter, dann weiß es jeder“, Justin warf seinem Freund einen wütenden Blick zu.

„Bist du noch ganz frisch im Kopf? Deine Mutter wird sich Sorgen machen!”

„Das ist mir schon klar, aber ich muss wissen, was dahinter steckt, das ist wichtig für mich… und vor allem muss ich… sie wieder sehen. Verrätst du mich?”

Robert druckste ein wenig herum.

„Ich weiß nicht, ich meine, das ist gefährlich und... nein, ich werde dich nicht verraten, aber ich finde es nicht gut, was du machst. Aber wirst du dich dann regelmäßig melden, damit ich weiß, dass es dir gut geht?”

Justin nickt und lächelte aufmunternd.

„Das ist schon klar. Ich werde auch versuchen, so schnell wie möglich zurück zu kommen”, versprach er.

„Mir wäre es trotzdem lieber, wenn du gar nicht erst gehen würdest...”

Aufbruch in der Nacht

Justin schob den Brief, denn er geschrieben hatte in einen Umschlag und legte ihn auf sein Bett, dann machte er seine Fenster auf und schaut nach unten. Im Wohnzimmer brannte kein Licht mehr, das war ein gutes Zeichen. Ein sehr gutes sogar. Er nahm seinen Rucksack und kletterte auf das Dach. Das hatte er schon oft getan, auch nachts, deswegen war das kein wirkliches Problem. Er schaute auf seine Armbanduhr. Gerade mal ein Uhr morgens. Es würde kaum etwas los sein, auf den Straßen. Er sprang geschickt wie eine Katze vom Dach und huschte los. Über den Zaun zum Wald hin kletterte er und verschwand im Unterholz. Bei Nacht würde ihn hier kaum jemand sehen, denn er hatte nicht grundlos schwarze Kleidung ausgesucht und eine schwarze Mütze auf dem Kopf, das sein rotes Haar verdeckte. Er musste bis zum nächsten Morgen in der nächsten Stadt sein und zwar zu Fuß, denn er konnte es sich nicht erlauben, von irgendjemanden gesehen zu werden. Justin war schon eine ganze Zeit gelaufen, als er ein Geräusch hörte, das ihn aufhorchen ließ. Es war eine art Grunzen und Schnaufen. Er versuchte herauszufinden, woher das Geräusch kam, doch es wollte ihm nicht gelingen, es schien von allen Seiten zugleich zu kommen. Er schaute um sich, doch er sah nichts Verdächtiges. Plötzlich stürzte sich ein Ungetüm aus Fell, Klauen und Zähnen auf ihn. Justin konnte nicht einmal schreien, so schnell war das Monster über ihn und schnürte ihm die Luft ab. Er schloss angstvoll die Augen und wartete darauf, dass ihm das Ungeheuer die Kehle zerfetzte, doch stattdessen fuhr etwas Nasses durch sein Gesicht. Vorsichtig öffnete er die Augen und schaute in das pelzige Gesicht eines Hundes, der ihn mit seiner großen, rosa Zunge abschleckte. Justin schob den Hund mit einiger Mühe von sich herunter, stand auf und betrachtete das Monster, das freudig um ihn herum sprang. Der Hund war riesig, ein anderes Wort wäre schlicht untertrieben gewesen. Er ging Justin mit dem Kopf schon an die Hüfte, und er schien dabei noch recht jung zu sein. Das Fell des Hundes war fast länger als Justins Haar und bei der Dunkelheit gar nicht mehr zu sehen. Die Augen des Ungetüms schauten ihm bernsteinfarben entgegen und die Zähne blitzen weiß.

„Ach du meine Güte, wer bist du denn?”, fragte Justin das Tier.

Der Hund bellte freudig. Der Rothaarige kniete sich zu ihm hinab und tastete das Fell nach einem Halsband oder etwas ähnlichem ab. Als er nichts fand begann er damit, unter dem Fell regelrecht zu graben, doch auch das brachte keinen Erfolg.

„Tja, ein Halsband scheinst du ja nicht zu haben... hast du überhaupt einen Besitzer?”

Er beantwortete die Frage gleich selbst, denn auch wenn der Hund ein Herrchen hatte, dann kein besonders guter, denn er war unterernährt und struppig. Außerdem stank das Vieh bestialisch.

„Bist ein Streuner, stimmts?”

Der Hund bellte zustimmend.

„Na dann, mach dich wieder auf die Socken, ich habe leider nichts für dich. Ich bin ja jetzt auch so etwas wie ein Streuner.”

Der Hund legte den Kopf schief.

„Los, verschwinde!”

Justin ging los und beachtete den Hund nicht weiter. Der folgt ihm, munter mit der Rute wedelnd. Eine Weile ging das so, dann hatte Justin die Nase voll und versuchte das Tier zu verscheuchen, aber der Hund blieb ihm auf den Fersen, egal was er tat.

„Du willst mit mir kommen, was?”, fragte er irgendwann

Der Hund bellte.

„Okay, dann nehme ich dich halt mit. Futter musst du dir aber alleine fangen, ich kann nicht jagen. Und du brauchst einen Namen, auf den du auch hören musst...”

Er überlegte. Der Hund setzte sich und kratzte sich ausgiebig das ganze Fell.

„Hast flöhe, wie? Genau! Das ist es, ich nenne dich Floh!”

Der Hund bellte begeistert.

„Schön, das er dir auch gefällt, aber ich muss mit dem Zug fahren... das heißt, ich muss dich irgendwie halbwegs sauber kriegen... na komm Floh, hier in der nähe ist eine Quelle, da werde ich dir den ärgsten Dreck runter schrubben.”

Der Hund wedelte begeistert mit seiner Rute.

Falko

Deine Fahrkarten bitte, junger Mann”, ein Kontrolleur weckte Justin aus seinem tiefen schlaf.

„Was?“, murmelte er schlaftrunken und schaute verschlafen zu dem Mann hoch.

„Deine Fahrkarte“, wiederholte der.

„Ja, ist gut”, gähnte der Rotschopf und suchte seinen Fahrschein aus seinem Rucksack, den reichte er dem Mann.

„Bist du alleine unterwegs?”, fragte dieser während er den Fahrschein kontrollierte.

„Wieso?”, fragte Justin, nun gleich hellwach.

„Nun, eigentlich ist ja Schule und du solltest eigentlich dort sein und nicht im Zug schlafen... Oder schwänzt du?”, erkundigte sich der Mann.

Justin wusste, eine falsche Antwort und er hatte eine Menge Ärger am Hals.

„Er ist mit mir unterwegs”, erklärte eine Stimme, bevor er antworten konnte.

Ein junger Mann, kaum älter als Justin trat zu ihnen. Der Rotschopf erkannte den Typen sofort. Es war Falko, ein junger Student, der bei ihm ganz in der nähe wohnte. Helen war ganz gut mit ihm befreundet, darum war Falko auch schon häufiger zum Essen da gewesen.

„Aha und sie sind?”, wollte der Kontrolleur wissen.

„Ich bin Falko, sein großer Bruder”, antwortete er.

Der Mann glaubte ihm das sofort, denn auch Falko hatte rotes Haar und blaue Augen, wenn auch beides ein wenig dunkler als Justin.

„Ach so und warum sind sie beide während der Schulzeit unterwegs?”, erkundigte sich der Mann.

Nun wusste Falko sichtlich nicht weiter, aber da hatte Justin eine Idee.

„Wir kommen nicht aus Deutschland. Bei uns zu Hause sind noch Ferien und wir sind nur hier, um Oma zu besuchen”, erklärte er.

„Aber sie fahren doch ein ganzes Stück weiter, als ihr Bruder”, meinte der Kontrolleur zu Falko.

„Ja, das ist richtig, ich soll Justin ja auch nur bei unserer Großmutter abliefern, dann fahre ich weiter zu einem Freund, der hier in Deutschland wohnt”, berichtete Falko.

„Dann ist ja gut...”, der Kontrolleur trottete von dannen, warf jedoch vorher noch beiden einen prüfenden Blick zu.

„Danke, du hast mir den hintern gerettet, Falko”, bedankte sich Justin sofort.

„Ist mir klar, aber mich würde auch mal interessieren, was du hier jetzt machst, so ganz alleine und während du eigentlich Schule hast”, wollte nun auch Falko wissen.

„Sagte ich doch, ich fahre zu Oma”, meinte der Rotschopf.

„Nein, tust du nicht. Ich weiß von Helen, das ihr beide gar nicht wisst, wer eure Großeltern sind und vor allem würde Ginny dich nie ganz allein und während der Schulzeit fahren lassen, also jetzt bitte die Wahrheit.”

„Die würdest du mir eh nicht glauben.”

„Kommt auf einen Versuch an würde ich sagen”

„Wenn du meinst, also...”, knapp erzählte Justin, was sich in den letzten Tagen alles ereignet hatte. Falko schwieg dazu.

„Du glaubst mir nicht, richtig?”

„Nun... es hört sich sehr unglaubwürdig an, aber... ich habe irgendwie das Gefühl, das du die Wahrheit sagst. Nun ja... Du willst jetzt diese Elfe finden, hab ich das richtig verstanden?”

„Ja und nein. Ich will sie finden, das ist richtig, aber sie ist keine Elfe, sondern eine Elbe. Das ist ein Unterschied. Elfen sind nämlich so etwas wie Waldgeister, Elben sind... So eine Art Kriegervolk. Sie können meisterhaft mit dem Bogen umgehen, wie Zwerge mit ihren Äxten. Verstehst du, was ich meine?”

„Woher weist du das?”

„Ich habe nachgeforscht. Ich will einer Elbe ja nicht gegenüber treten, ohne zu wissen, was der Unterschied zu den Elfen ist.”

Falko lachte.

„Na dann, frohes schaffen.”

„Wirst du mich verraten?”, wollte Justin wissen.

„Eigentlich müsste ich es ja, aber... wer sind denn sie? Sie kommen mir so seltsam bekannt vor, aber ich weiß nicht, wo wir uns mal getroffen haben könnten.”

Justin wusste, was Falko damit sagen wollte.

„Noch mal Danke.”

„Kein Problem, aber ich will natürlich auch etwas von dir.”

„Und was?”

„Du wirst mir von deinen Abenteuern erzählen. Und du musst gesund zurückkommen!”

Justin nickte: „Das ist doch klar, ich kann das Mama ja nicht antun, das sie auch mich noch verliert. Papa reicht vollkommen.”

„Da hast du Recht. Also, bleib gesund und schreibe dir am besten alles auf, was du erlebst, damit du es mir erzählen kannst”, meinte Falko.

Abermals nickte Justin und wollte gehen, weil der Zug gleich an seiner Haltestelle ankommen würde.

„Ach, noch eine Sache“, hielt Falko ihn doch noch einmal zurück.

„Ja?“, fragte der Rotschopf und legte fragend den Kopf schief.

„Woher willst du eigentlich wissen, dass dies hier der richtige Weg ist?“, erkundigte sich der Student.

„Ganz einfach, ich spüre es. Ich weiß, wenn ich auf dem richtigen Weg bin und ich weiß, wann es der Falsche ist. Hört sich merkwürdig an, ist aber so. Bora führt mich“, antwortete Justin und bevor Falko noch etwas sagen konnte, sprang er aus dem Zug, Floh hinterher.

Telefonat

Ja, Timo Lux am Apparat, wer dort?”, meldete sich der schwarzhaarige Junge und seine Stimme war voller Erwartung.

„Ich bin’s, Robert”, tönte es aus dem Telefon.

„Ach du bist es”, murmelte Timo enttäuscht.

„Ja, ich bin es. Timo, ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr mit ansehen, wie ihr euch alle Sorgen macht. Ich weiß, wo Justin ist”, meinte der Junge.

„Was, wie bitte?! Warum hast du das denn nicht früher erzählt und wo ist er?! Los, spuck es endlich aus!”, keifte der Schwarzhaarige los.

„Na ja, ich hatte versprochen, niemanden etwas zu sagen, deshalb schwieg ich bisher und ganz genau weiß ich es auch nicht, ich weiß nur, wo er hinwollte. Er kann aber schon Kilometer weiter sein, vielleicht hat er am Ende auch einen ganz anderen Weg gewählt, das alles weiß ich nicht genau, aber er wollte Richtung Rosenfelden und dort finden, was auch immer er sucht. Er meinte, dass Bora, was auch immer das sein soll, ihm diese Richtung gewiesen hätte. Von dort aus wollte er sich dann zu Fuß auf den Weg machen”, erklärte Robert.

„Ist schon gut. Jetzt weiß ich wenigstens, in welche Richtung er ist...”, murmelte Timo, versuchte dabei nicht allzu sehr enttäuscht zu klingen, doch es blieb bei einem Versuch.

„Tschau”, sagte Robert und legte auf.

Auch Timo legte nachdenklich auf.

„Na dann will ich ihm mal folgen, ich kann meinen besten Freund ja nicht alleine lassen”, nuschelte er dann.

Das Tor in eine Neue Welt

Etwas nasses weckte Justin aus seinem Schlaf. Er öffnete die Augen und hatte jede menge Hundesabber im Gesicht.

„Na vielen Dank, Floh, dann brauche ich mich wenigstens nicht waschen, was?”, murrte er und schälte sich aus seinem Schlafsack.

„Kalt...”, jammerte er sofort, denn es war mittlerweile fast Oktober. Seinen Hund störte das nicht, aber er hatte kein so dickes Fell, deswegen fror er erbärmlich.

„Ich hätte doch ein paar dicke Pullis mitnehmen sollen. Ich glaube, in der nächsten Stadt kaufe ich ein paar”, sagte er zu dem Hund.

Der antwortete mit einem Bellen und Justin lachte.

„Du bist mit weitem Abstand der intelligenteste Hund, den ich jemals getroffen habe...”, meinte er.

Wieder bekam er ein Bellen zur Antwort.

„Na ja, egal. Lass uns weiter gehen. Ich habe das Gefühl, wir sind fast am Ziel...”

„Justin!”, rief eine Stimme hinter ihm.

Blitzschnell drehte der Rotschopf sich um und schaute angestrengt in den Wald. Floh knurrte. Dann sah er Timo, der durch das Unterholz lief.

„Hey, was machst denn du hier?!”, rief Justin ihm verblüfft entgegen.

Er machte ein paar Schritte in Richtung seines Freundes. Dann sah er, dass Timo nicht alleine angelaufen kam. Sally folgte ihm auf dem Fuße. Lächelnd wartete er auf die Ankunft seiner Freunde, doch statt ihn zu begrüßen nahm Timo seinen Freund am Kragen und drückte ihn gegen einen Baum.

„Hey, was soll das denn?!”, keuchte Justin.

„Vollidiot! Hast du eine Ahnung, was für Sorgen sich alle machen?! Einfach mal eben abhauen, ja? Du hast sie doch nicht mehr alle!”, fauchte Timo und auch Sally zeterte wie ein Rohrspatz.

Justin konnte zur Antwort nur keuchen, denn Timo schnürte ihm die Luft ab. Floh knurrte immer lauter.

„Lass los”, würgte Justin hervor.

Timo ließ ihn los, jedoch sah man ihm an, dass es nur widerwillig war. Der Rotschopf sog eine Weile nur keuchend die Luft ein.

„Wollest du mich erwürgen?!”, fragte er dann wütend.

„Nein, ich wollte dir klar machen, wie scheiße ich es finde, das du einfach ohne ein Wort abgehauen bist! Wir haben uns Sorgen gemacht!”

„Tut mir ja Leid, aber es musste sein...”

„Aber doch nicht ohne jemanden Bescheid zu sagen! Deine Mutter weint sich die Augen aus! Die denkt doch, du wärst schon von irgendeinem Wildschwein aufgeschlitzt worden, oder irgendein Bekloppter hätte wer weiß was mit dir angestellt!”

„Ist gut jetzt, Timo! Das ist mir doch alles klar! Aber es geht nun einmal nicht anders! Ich muss einfach wissen, was hier los ist, was hier gespielt wird! Warum ich er mich verfolgt, und was mit ihr ist!”

„Wen meinst du?! Du wirst doch von niemanden verfolgt und wer soll denn sie sein?!”

Justin seufzte.

„Soll ich es euch erklären? Soll ich euch erzählen, was los ist?”

„Wir bitten drum”, fauchte Sally.

„Okay. Okay, ich erzähle es euch, aber, egal wie unglaubwürdig es euch erscheinen mag, es ist wahr. Er war da und sie auch. Vor allem sie. Ihr werdet es mir nicht glauben, was weiß ich jetzt schon, aber okay, hört zu”, murmelte Justin.

„Schieß los”, drängte Timo und Justin begann zu erzählen. Er erzählte alles und Sally und Timo hörten gespannt zu. Nach einiger Zeit endete Justin.

„Das ist jetzt nicht dein Ernst, oder?”, fragte Timo.

„Doch, aber ich wusste, das ihr mir nicht glauben würdet, es ist mir aber auch egal”, meinte Justin, „ich werde mich jetzt wieder auf den Weg machen. Ich habe das Gefühl, das ich bald da bin, wo ich meine antworten finde. Deswegen kann ich nicht mit euch zurückkommen.”

Timo seufzte.

„Man, ich kann dich doch jetzt nicht einfach wieder weiterlaufen lassen. Du bist ja total neben der Rolle, ich meine, wenn du an einen solchen Schwachsinn selber glaubst? Ich weiß nicht, was ich tun soll...”

„Ich auch nicht, aber ich muss weiter. Ich bin doch schon fast da...”

„Ich habe eine Idee”, meldete sich Sally, „wollen wir es nicht so machen, eine Woche begleiten wir Justin und wenn wir bis dahin nichts gefunden haben, dann kommst du mit uns zurück, okay?”

Justin dachte kurz nach, dann nickte er.

„Wir werden etwas finden, also kann ich auf deinen Vorschlag eingehen und wenn doch nicht, dann würde ich noch ewig so weitersuchen. Also ist es schon ganz gut so... aber jetzt lasst uns gehen”, meinte er.

„Gut. Auf die eine Woche kommt es jetzt sowieso nicht mehr an. Also, dann führe uns mal dahin, wo auch immer du hin willst”, höhnte Timo.

Wortlos stand Justin auf und zog den Stein unter seinen Klamotten hervor, schloss die Augen und bleib eine Weile einfach nur so da stehen. Floh beobachtete ihn gespannt, Sally und Timo leicht verwirrt.

„Dort lang”, sagte dann Justin und zeigte in Richtung Norden. Der schwarze Hund sprang sofort begeistert los und die Jugendlichen folgten, ein wenig langsamer.

„Woher hast du eigentlich diesen Monsterhund”, wollte Timo wissen.

„Er ist mir zugelaufen, in jener Nacht, als ich losgegangen bin. Ich bin ihn nicht mehr losgeworden und da er kein Halsband oder ähnliches hatte dachte ich mir, nimmst du ihn einfach mit. Dann hast du einen Begleiten, der wenigstens nicht widerspricht”, erklärte Justin.

„Ach so”, meinten Sally und Timo im Chor.

Sie gingen schweigend den ganzen Tag über. Sally jammerte schon über schmerzende Füße und auch Timo war schon ganz außer Atem, weil Justin immer und immer schneller wurde. Er kam seinem Ziel näher, das wusste er und wie ein jedes Wesen unwillkürlich schneller wird, wenn es sich nach einem langen Tag seinem Haus nährt, so wurde auch Justin immer schneller.

Dann, es wurde schon Nacht, standen die drei vor einem Tor, inmitten des Waldes. Weit und breit gab es kein Zaun, nur dieses Tor, gebaut aus Stein und umrahmt von wildem Efeu.

„Was soll den das? So ein Tor, wie bei irgendeinem alten Schloss, aber so ganz ohne Zaun? Und dann hier, wo sowieso niemand herkommt? Ich bin verwirrt...”, meinte Sally und ging herum, um das Gebilde.

„Diese Tore meinte er... meinem Versprechen zufolge sollte ich nicht hier sein, aber ich muss wissen, was hier los ist...”, murmelte Justin.

Er trat ganz an das Tor heran und befühlte und betrachtete es, strich über den Stein. Sein Hund stand neben im und schaute neugierig.

„Wir müssen hier durch”, sagte er dann.

„Und was soll das bringen? Ich meine, auf der anderen Seite ist genauso ein Wald, wie hier”, meinte Sally.

„Dann können wir ja durch gehen”, fand Justin und machte einen Schritt durch den Torbogen und war verschwunden.

Timo und Sally wurden kreidebleich.

„W-wo ist er hin?!”, quiekte Sally.

„I-ich weiß nicht!”, antwortete Timo mit hoher Stimme.

Die Beiden starrten sich verschreckt an. Dann hüpfte auch der Hund hindurch und war ebenso verschwunden.

Die Beiden Jugendlichen keuchten.

„Was ist hier los?!” Sallys Stimme war kaum noch hörbar, so hoch sprach sie.

Plötzlich schwebte Justins Kopf vor den beiden.

„Kommt ihr?”, fragte er breit grinsend.

Die Beiden anderen vielen fast in Ohnmacht. Justin trat zu ihnen zurück und schob seine Freunde kurzerhand durch das Tor. Sie standen in einem Raum, der vollkommen leer war. Es gab nur drei Türen, alle drei geöffnet. Die, durch die sie hierher gelangt waren und zwei weitere, durch die sie zwei unterschiedliche Landschaften sahen. Die eine schien das Ergebnis einer Apokalypse zu sein. Die Bäume waren schwarz von Ruß eines Feuers, das noch nicht weit zurückliegen konnte, das Gras trocken und verdorrt und die Erde verbrannt. Der Fluss, der war verdreckt und rot von Blut der vielen Wesen, die an diesem Wasserlauf schon ihr Leben lassen mussten. Die andere Landschaft war das genaue Gegenteil. Das Gras war grün und saftig, die Kronen des Waldes waren ebenfalls grün vom vielen Laub, der Fluss war glasklar.

„Da lang”, sagte Justin nach kurzem Überlegen und zeigte auf die apokalyptische Landschaft.

Seine Beiden menschlichen Begleiter waren noch immer ganz weg, vollkommen beschäftigt, mit ihren Gedanken, während Justin regelrecht aufblühte. Der Rotschopf schien sich über gar nichts zu wundern, es war eher so, als wäre so etwas Alltag für ihn. Er zog seine Freunde einfach mit sich, doch statt das sie in der Albtraumlandschaft landeten, standen sie auf einer Lichtung mitten im Wald, ähnlich der, von der sie losgegangen waren. Timo und Sally begannen nun auch langsam zu akzeptieren, was geschehen war.

„Es ist unmöglich und doch wahr...”, murmelte Sally.

„Ich weiß nicht, irgendwie...”, nuschelte Timo.

„Ich habe das Gefühl, nach langer Zeit endlich nach Hause zu kommen”, sagte Justin und seine Augen leuchteten wie die eines Kindes am Weihnachtsabend.

„Ja, ich auch... wie als hätte ich... das gefunden, was ich schon seid Jahren gesucht habe... Wie als würde ich hierher gehören und wirklich nur hierher...”, murmelte Timo zustimmend.

„Ich wünschte, mir ginge es wie euch, aber mir ist so, als wäre ich hier vollkommen fehl am Platz...”, meinte Sally.

„Ihr seid hier alle drei fehl am Platz”, antwortete eine Stimme und der Mann, der Justin verfolgt hatte, trat aus dem Dickicht. Anders als beim letztem mal trug er nicht normale Kleidung, sondern welche aus festem Leder und Leinen und sein Haar war diesmal nicht schwarz, sondern karottenrot.

„Du hast dein Versprechen gebrochen, Justin...”, murmelte er enttäuscht.

„Nein, ich habe das gefunden, was ich seid meiner Geburt schon suche”, antwortete der Rotschopf.

„Wenn du meinst... du kannst trotzdem nur von Glück reden, das ich hier bin, Faivers Leute und Faiver selbst hätten dich und deine Freunde in der Luft zerfetzt, wenn es anders gewesen wäre”, meinte der Mann.

„Kann schon sein, aber ich habe keine Angst vor dem Tod”, antwortete Justin.

„Ach, und deswegen bringst du unbeteiligte in Lebensgefahr? Außerdem, wer keine Angst vor dem Tod hat, der stirbt zuerst”, bemerkte der Fremde.

„Das weiß ich. Aber ich habe keine Angst vor dem Tod, denn es gibt für mich keinen wirklichen Grund zum Leben. Die Gründe, die ich einst hatte hat mir der Tod schon genommen und zwar vor einiger Zeit”, erklärte Justin.

„Dann begib dich trotzdem nicht in Gefahr, denn auch wenn du den Tod nicht fürchtest gibt es Andere, die kaum etwas mehr fürchten, als dich zu verlieren, und wenn der Tod selbst dir deine Gründe des Lebens schon genommen hat, dann nimm diese Gründe nicht auch anderen Leuten. Aber egal, ich kann dich nicht hier lassen und zu meinem Meister bringen erst recht nicht, er würde dich sofort töten und dein Tod ist mit weitem Abstand das Letzte was ich will...”, überlegte Justins gegenüber.

„Warum liegt dir soviel an meinem Leben?”, fragte der.

„Das kann und will ich dir jetzt noch nicht beantworten. Irgendwann wirst du es erfahren, aber nicht jetzt. Faiver, bring mir ein paar Pferde, ich weiß, wohin ich sie bringen werde”, befahl der Unbekannte.

„Und wohin? Wie ist überhaupt dein Name?”, wollte Justin wissen.

„Ich bringe euch zu einer alten Bekannten von dir, Justin. Und meinen richtigen Namen kann ich euch nicht verraten, oder vielmehr, ich will es nicht. Nennt mich den „schwarzen Ritter”, das tun die meisten”, antwortete der Fremde.

Ein merkwürdiges Wesen trat in diesem Moment aus dem Unterholz. Es sah aus wie eine art Fuchs, nur dass das Wesen hier aufrecht ging, Luchsohren besaß und einen Eselsschweif hatte. Es führte vier Pferde am Zügel, zwei Rappen, einen Schimmel und ein sandfarbenes Tier. Einen der Rappen reichte er an den Ritter weiter, die anderen Drei an Justin, Sally und Timo. Der schwarze Ritter saß auf und forderte die Drei dazu auf, es ihm gleichzutun, doch keiner machte Anstallt, seiner Handbewegung folge zu leisten.

„Was ist? Sind euch die Pferde zu groß? Könnt ihr nicht reiten?”, fragte er.

„Ich habe keine Lust von dir irgendwo hin verschleppt zu werden”, murrte Justin.

Der Ritter lachte.

„Na dann. Ist mir egal, Faiver, hilf ihnen doch einfach mal in den Sattel. Und seinen Hund tust du am besten auch oben anbinden, sodass er nicht herunterfällt. Ich glaube nämlich kaum, das dieses Monster die Ausdauer und Schnelligkeit hat, mit unseren Pferden mitzuhalten”, befahl der Ritter und diese Fuchswesen hob erst Sally in den Sattel, dann Timo und zuletzt Justin und Floh, dann band er den Hund so mit Stricken fest, das er nicht fallen konnte, jedoch auch sehr unbequem auf dem Pferd lag. Zu guter letzt gab er den Pferden einen kräftigen Schlag auf den Hinter, woraufhin die Drei los galoppierten, als sei der Teufel hinter ihnen her. Der Ritter folgte in einem genauso schnellen Tempo. Er beobachtete mit einem breitem Grinsen, wie sich die Drei in die Mähne ihrer Pferde verkrallten und war verblüfft, als er sah, das Justin sich hoch kämpfte und es schaffte, fast normal zu Reiten. So ging es eine ganze Weile in einem irrwitzigen Tempo quer durch die Landschaft, dann lenkte der Ritter sein Pferd ganz nahe an das Justins.

„Ab hier wird Faiver auf euch acht geben, aber er wird nicht so freundlich sein, wie ich, also tut mir den gefallen und seid lieb. Ich werde bald wieder zu euch stoßen, dann könnt ihr weiter die Teufel spielen”, erklärte er und galoppierte dann im gestrecktem Galopp davon, ohne auf eine Antwort zu warten.

Viele Stunden folgten darauf, in denen sie einfach nur dahin jagten. Die Drei waren schon kurz davor aus dem Sattel zu fallen, vor Erschöpfung, als nach einer langen Nacht der Morgen dämmerte. Der Ritter kam ihnen entgegen und deutete dem Fuchswesen, die Pferde anzuhalten. Die Tiere schienen sich nicht einmal sonderlich angestrengt zu haben, obwohl sie die ganze Nacht im gestreckten Galopp zurückgelegt hatten.

„Okay, ihr könnte euch jetzt ein paar Stunden ausruhen”, meinte er und die drei Jugendlichen fielen regelrecht aus dem Sattel. Sie schliefen auf der Stelle ein, kaum das sie sich hingelegt hatten. Der Ritter lächelte väterlich.

„Morgen haben sie garantiert einen riesen Muskelkater”, meinte er zu Faiver.

Das Fuchswesen nickte, eine menschliche Geste, die bei diesem Wesen sehr fehlplaziert wirkte, und begann damit, die Pferde abzusatteln. Der schwarze Ritter setzte sich zu den Dreien und beobachtete sie beim schlafen. Als er zu Justin schaute trat ein besonderer Ausdruck in seine Augen. Doch auch er konnte kaum noch die Augen offen halten. Mit einem Blick verständigte er sich mit Faiver und legte sich dann auch nieder, um zu schlafen.

Ankunft in der Elbenfeste

Heller Sonnenschein weckte Justin. Das Erste, was der Junge bewusst wahrnahm war, das ihm alles wehtat. Sogar Stellen, von dem er nicht gewusst hatte, dass sie einem schmerzen können. Stöhnend richtete er sich auf und schaute sich um.

„Muskelkater vom feinsten, stimmts?”, fragte die Stimme des schwarzen Ritters und als Justin über seine Schulter nach hinten schaute sah er den Mann auch, er schon fleißig die Pferde striegelte.

„Untertrieben”, murrte er unwillig und der Ritter lachte.

„Oh ja, ich weiß noch ganz genau, wie ich mich nach meinem ersten Ritt über eine so lange Zeit gefühlt habe”, meinte er feixend.

„Aha”, gab Justin zur Antwort.

„Ich merke schon du hast kein Interesse an einer Unterhaltung mit mir... Nun, wie dem auch sei, wir müssen bald weiter, ihr habt einen ganzen Tag geschlafen”, erklärte der Mann.

Justin stöhnte auf. Alleine der Gedanke, noch mal so lange zu reiten und das mit seinem Muskelkater, und er könnte schreien vor Schmerz.

„Tut mir leid, aber das kann ich euch leider nicht ersparen. Aber sobald wir in der Feste sind könnt ihr drei euch ausruhen, solange ihr wollt”, versprach der Ritter.

Justin murmelte etwas Unverständliches und legte sich dann noch einmal hin. Doch er war gerade wieder halb eingedöst, als der Mann ihn grob am Arm rüttelte.

„Los, aufstehen, wir müssen weiter”, meinte er.

Es dauerte eine ganze Weile, bis die drei sich dazu durch gerungen hatten, wirklich aufzustehen und sie bereuten es alle drei sofort. Dann hob Faiver sie wieder in den Sattel und ihnen war nach heulen zumute. Die Tortur ging weiter. Den gesamten Tag ritten sie. Gegend Abend kamen sie dann bei einer riesigen Mauer an.

„Wie wollen wir denn da rüber?”, fragte Sally.

„Rüber wollen wir gar nicht. Es gibt ein Tor, dort können wir durch”, erklärte der Ritter.

Plötzlich legte sich ein Schatten auf den kleinen Trupp und als sie nach oben schauten sahen sie einen geflügelten Wolf. Ein kleines Mädchen, vielleicht acht Jahre alt saß auf seinem Rücken des Wesens. Der Wolf landete sanft auf dem Boden.

„Hier bist du! Ich habe dich schon überall gesucht!”, rief das Mädchen dem Ritter zu.

„Aja? Und warum, wenn ich fragen darf?”, erkundigte sich dieser.

„Nun, weil der...”, in dem Moment hatte das Mädchen Justin, Timo und Sally gesehen.

„Da sind die ja!”, rief sie und schaute wieder zum Ritter, „das ist hier aber nicht der richtige Weg zum Meister! Wo willst du sie hinbringen?”

„Dorthin, wo sie vor dem Meister sicher sind. Ich habe eigene Pläne mit ihnen”, erklärte der Ritter ruhig.

„Das heißt, du verrätst uns? Oh Junge, du weist doch, was das heißt, für deine Familie! Ich an deiner Stelle würde das nicht machen”, meinte das Mädchen.

„Janne, das verstehst du nicht. Ich habe meine Gründe, so vorzugehen”, erklärte der Ritter.

„Ach, und dein Familie ist dir egal, wenn du nur das bekommst, was du willst, oder wie?”, erkundigte sich das Mädchen.

„Glaube mir, wenn alles so klappt, wie ich es mir vorgestellt habe, dann wird meiner Familie nichts geschehen und wir sind endlich frei und zwar wir beide”, erklärte der Ritter.

„Und wenn es nicht klappt? Nein, das ist viel zu riskant. Wenn du die drei jetzt zum Meister bringst, dann werde ich ihm nichts davon sagen, aber wenn du es nicht tust, dann zwingst du mich dazu, ihm alles zu berichten”, drohte Janne.

„Brauchst du nicht mehr, mein Täubchen”, ertönte eine weitere Stimme von oben.

Erschrocken starrten gleich wieder alle hinauf. Ein Drache flog dort, auf seinem Rücken ein alter Mann.

„Schitt”, murrte der Ritter unwillig.

„M-meister”, stotterte Janne.

„Ich habe es gewusste, mein lieber. Mir war von der ersten Sekunde an klar, dass du mich bei der ersten sich bietenden Gelegenheit verraten würdest. Du hättest mir ohne zu zögern dein Schwert in den Rücken gerammt, nicht wahr? Du hast Wochen, Monate, Jahrelang nur darüber nachgedacht, wie du mich am schmerzvollsten umbringst, stimmts? Du hast lange auf eine Gelegenheit wie diese hier warten müssen, hab ich recht?”, säuselte der Alte dem Ritter zu.

„Ja. Ich musste wirklich lange warten... und dann so was... “, murrte dieser.

„Nun, du kannst mir deine Loyalität beweisen indem du mir sagst, wer der Drei Bora hat. Oder du kannst dafür sorgen, das sie alle sterben müssen, die drei, Janne, du, deine Freunde in der anderen Welt, deine Familie... alle eben”, meinte der Alte.

„Ich werde es dir nicht sagen...”, der Ritter lachte humorlos, „ich hatte ganze zehn Jahre Zeit, dich kennen zulernen. Selbst wenn ich jetzt tue, was du willst wirst du sie alle umbringen, deswegen schweige ich.”

Der Mann seufzte.

„Ich hatte gehofft, dass du mehr Vernunft besitzt. Immerhin habe ich das, was dir etwas bedeutet immer in Ruhe gelassen. Du solltest mir also vertrauen, mein Bester”, fand er.

„Tz! Du hast dein Versprechen doch nur gehalten weil du mich gebraucht hast! Du kannst Drachenwind nicht führen, aber sobald du Bora hast ist das kein Problem und du brauchst mich nicht mehr, also wirst du alle, die dir nichts mehr bringen kurzerhand umbringen. Oh Theo, hältst du mich wirklich für so dumm? Vergiss es einfach, ich werde dir nichts sagen, egal was du wissen willst”, meinte der Ritter.

„Nun, wenn du es so willst… Janne, versuche du deinen Freund zur Vernunft zu bringen”, befahl der Alte.

Das kleine Mädchen dachte kurz nach, dann schüttelte sie entschieden den Kopf.

„Nein. Es heißt ja, wenn man nichts riskiert kann man nichts gewinnen, deswegen riskiere ich alles und hoffe damit auch alles zu gewinnen”, erklärte sie.

„Schön, okay...”, murrte der Alte unwillig.

Er ließ seinen Drachen landen und sprang von seinem Rücken. Dann zog er ein Schwert, das sofort Flammen schlug. Auch der Ritter sprang von seinem Pferd und zog seine Kling, aber anders als das seines Gegners war es ein kleiner Sturm, der entfacht wurde. Die Beiden gingen ohne Umschweife aufeinander los und schlugen aufeinander ein, als würde es kein Morgen mehr geben. Justin Timo und Sally verfolgten den Kampf sichtlich interessiert, Janne jedoch sah ängstlich aus. Sie wusste, von diesem Kampf hing ihrer aller Zukunft ab, den drei Jugendlichen war das weniger klar. Sie waren einfach nur fasziniert, denn nie zuvor hatten sie gesehen, wie zwei Leute mit einem Schwert aufeinander ein hiebten und wie bannend dieses Schauspiel sein konnte, das wussten sie dementsprechend noch weniger. Keiner der vier Zuschauer bemerkte, dass sich der Drache derweil von hinten näherte. Das Monster war einfach da und schlug sie alle vier weg wie als wären sie einfach ein Haufen Puppen. Das sich dabei keiner ernsthaft verletzte, das kam einem Wunder gleich. Stöhnend blieben sie liegen, der Schlag war hart gewesen und sie waren ein ganzes Stück geflogen bevor sie noch härter aufgekommen waren. Dann jedoch sah Justin, dass das Band, mit dem er den Stein um den Hals getragen hatte, gerissen war und der Stein selbst nun ein Stückweit von ihm entfernt lag. Und das der Drache darauf zuging. Wie von einer Hornisse gestochen sprang er in die Höhe und rannte zu dem kleinen Stein, denn er wusste plötzlich, dass der Drache ihn unter keinen Umständen bekommen durfte! Er schnappte das kleine Ding dem Drachen vor der Nase weg, der spie eine Feuersäule hinter ihm her, die Justin zwar nur streifte, aber seine Kleider und seine Haut verbrannte. Schmerzvoll schrie er auf, rannte jedoch weiter. Der Drache folgte ihm und jagte immer mehr und mehr Feuer hinter ihm her. Seine Freunde und Janne konnten nur daneben stehen und gar nichts tun, denn was sollten sie schon gegen einen ausgewachsenen Drachen ausrichten?

„Wir müssen irgendetwas tun!”, rief Sally dennoch voller Verzweifelung.

„Wir können aber nichts machen, das ist immerhin ein Drache und noch dazu der Stärkste und Gefährlichste der Gegend hier”, antwortete Janne ruhig.

„Wir müssen ihm trotzdem helfen!”, schrie Timo. Just in diesem Augenblick erwischte ein Feuerstrahl den rothaarigen Jungen ganz und Justin blieb wie Tod am Boden liegen. Erschrocken hielten die drei Zuschauer die Luft an, doch der Rotschopf rührte sich keinen Millimeter mehr. Fassungslos ging Timo ein paar Schritte auf ihn zu, konnte nicht glauben, was gerade geschehen war, dann wurde er mit einem mal unglaublich wütend. Nie zuvor war er in seinem Leben so wütend gewesen, er nahm nichts mehr um sich herum wahr, er wollte nur noch eines, den Drachen umbringen. Er spürte nicht, wie sich ein kleiner Sturm um ihn entfachte und sich sein Körper veränderte. Seine Ohren wurden lang und bewegten sich seitlich an seinem Kopf hoch, seine Finger wurden Klauen und seine Zähne Dolche. Auf seinem Rücken wuchsen zwei große Fledermausschwingen und seine Augen wurden zu denen einer Katze. Ohne etwas davon wahrzunehmen stürzte er sich auf den Drachen und schlug und kratzte, wie vom Teufel besessen. Der Drache war mehr verdutzt als das es ihm wirklich weh tat oder er gar verletzt wurde, doch das nahm Timo in seinem Rausch nicht wahr. In der Zeit kämpften der Ritter und der alte Mann verbissen weiter. Sie waren in etwa gleich stark, weswegen beide nichts von Justin, Timo und dem Drachen mitbekamen. Ihre ganze Aufmerksamkeit galt dem jeweiligen Gegner. Sie gönnten einander eine kurze Atempause, in der sie sich beide misstrauisch beäugten.

„Janne!”, rief der Ritter, ließ den alten Mann dabei jedoch nicht eine Sekunde aus den Augen.

Das Mädchen antwortete nicht, sie hatte ihn zwar gehört, war aber über Timos Aussehen noch zu verblüfft um ihm zu antworten, doch der Ritter wusste, das sie ihn gehört hatte.

„Janne, bitte versuch irgendeinen Zauber um uns hier wegzubringen!”, rief er in der normalen Sprache, der Menschensprache, nicht in der Sprache der Unsterblichen, weswegen der alte Mann ihn nicht verstand. Doch er konnte sich denken, was der Ritter gerufen hatte und noch wütender als zuvor griff er wieder an. Janne warf einen kurzen Blick zu den beiden.

„Er hat recht”, murmelte sie, „hier können wir nicht bleiben, hier wird es zu gefährlich...”

Sie schloss die Augen und konzentrierte sich.

„Wohin?!”, rief sie dem Ritter nach einer Weile zu.

„Die Feste!”, rief dieser zurück und wich einem schlag seines Kontrahenten aus.

Janne senkte den Kopf ein wenig und plötzlich war überall helles Licht. Das Nächste, was man wieder sehen konnte war eine große Halle, gebaut aus weißem Stein. Durch große Fenster flutete Licht herein wie ein Wasserfall. Justin, der bewusstlos gewesen war, kam langsam wieder zu sich und auch Timo erwachte aus seinem Rausch. Sally schaute sich verblüfft um. Janne keuchte und der Ritter ging in die Knie vor Erschöpfung. Der Kampf war nur kurz gewesen, doch zugleich auch sehr kräfteraubend. Langsam setzte Justin sich auf und Timo tat es Sally gleich und schaute sich verwundert um.

„Wo sind wir hier?”, wollte Sally wissen, „und was machen wir hier?”

„Und wie sind wir hierher gekommen?”, fragte Timo.

Nun schaute auch Justin sich um, aber nur kurz.

„Das ist sie”, bemerkte er.

„Das ist was?”, erkundigte sich Timo.

„Die Halle aus meinem Traum. Wo ich diesen Stein bekommen habe”, antwortete der Rotschopf.

Erst jetzt vielen Timo und Sally auf, das es Justin gut zu gehen schien. Sie liefen beide zu ihm hin.

„Dir ist nichts passiert?”, fragte Sally besorgt, doch sie bekam keine Antwort.

Justin schaute einmal kurz durch den Raum, aber er schien nicht zu finden was er suchte und so wandte er sich dem Ritter zu.

„Wie Sally schon fragte: Wo sind wir hier und warum sind wir hier?”

Der Ritter keuchte noch immer, aber sein Atem beruhigte sich zusehends.

„Warte...”, stieß er hervor, „gleich kann ich dir antworten...”

Noch ein paar Minuten vergingen, dann hatte er sich wieder erholt, im Gegensatz zu Janne, die mittlerweile auf dem Boden eingeschlafen war. Der Ritter stand auf.

„Nun, dies ist die Feste der Elben, genauer der Festsaal. Hier werden große Bälle veranstaltet. Aber das dürfte euch gerade nicht sonderlich interessieren. Wir sind hier, weil wir hier vorerst in Sicherheit sind. Die Drachen kommen nicht hierher, sie haben Angst vor der Magie, die diesen Ort umgibt. Aber Theo wird sie bestimmt bald dazu gebracht haben, doch Hier aufzutauchen. Er will unbedingt Bora habe. Aber es wird dauern und das ist gut, denn Zeit ist das wohl kostbarste Gut, was wir hier haben. Und wie wir hierher gekommen sind kann Janne euch besser erklären, aber wie ihr seht ist sie ganz erschöpft, also lasst euch vorerst gesagt sein, das es ein Zauber war. Aber ich weiß nicht einmal welcher, die Magie war noch nie mein Spezialgebiet”, erklärte er.

„Aha”, machte Justin.

Die Tür am anderen Ende des Saals öffnete sich und Melody trat herein. Sie war noch schöner als Justin sie in Erinnerung gehabt hatte und Sally und Timo brauchten nur kurz in sein Gesicht schauen um zu wissen, wer sie nur sein konnte. Sie sagte nichts, sie trat einfach nur zu den fünfen.

„Guten Tag Melody”, begrüßte der Ritter sie.

Die Elbe nickte ihm nur zu, dann betrachtete sie eingehen erst Sally, dann Timo. Bei seinem Anblick trat verblüffen in ihre Mimik, nur kurz jedoch, dann hatte sie sich wieder in der Gewalt. Sie sagte dennoch noch immer nichts, sondern begann damit, Justin von Kopf bis Fuß zu mustern.

„Guten Tag”, meinte dieser und grinste verlegen. Ihm war es sichtlich unangenehm, dass sie ihn so anstarrte und ihm kam auch wieder ins Bewusstsein, was das letzte gewesen war, was er getan hatte, als er dieses wunderschöne Wesen das letzte mal gesehen hatte.

„Herzlich willkommen”, begrüßte sie nun auch verbal alle Anwesenden.

Dann jedoch irrte ihr Blick wieder zu Timo. Sie warf dem Ritter einen langen, fragenden Blick zu, der zuckte nur mit den Schultern. Nun fand auch Justin endlich die Zeit, seinen Freund ein wenig genauer in Augenschein zu nehmen. Er vergas vor verblüffen sogar das Atmen.

„Was ist den mit dir passiert?!”, quiekte er.

Timo schaute seinen Freund verwirrt an.

„Wie, was soll den mit mir passiert sein?”, fragte er.

„D-Du hast Flügel! Und so ganz merkwürdige Ohren!”, rief Justin.

„Was willst du?”, Timo war nun restlos verwirrt. „Du hast wohl zuviel Feuer abgekriegt.”

„Nein, du hast wirklich...”, er wandte sich Melody zu, „hast du irgendwo einen Spiegel?”

Die Elbe nickte und deutete Timo, sie zu begleiten, doch nicht nur Timo folgte ihr, auch der Ritter, Sally und Justin trotteten hinterher. Melody führte sie durch lange Gänge zu einem Raum, der, anders als der Festsaal, richtig wohnlich eingerichtet war. Es gab einen kleinen Tisch auf dem eine Schale mit frischem Obst stand, ein paar Stühle um den Tisch herum, mehrere, gemütlich aussehende Sofa, einige Sessel, einen Kamin in dem munter ein Feuer prasselte und viele Bilder an den Wänden. Es waren fast alles Landschaften, ab und an aber auch mal ein edel aussehender Jagdhund oder ein Pferd, das stolz seinen Schweif hob. An einer Seite hingen in regelmäßigen Abständen große Spiegel, die den Raum noch ein wenig größer wirken ließen. Timo trat sofort an einen der Spiegel heran und erschrak als er sich selbst sah.

„Was ist das denn?!”, quiekte er erschrocken auf, griff über seine Schulte und zog an einem der Flügel, mit der anderen Hand betastete er seine Ohren.

„Ein Chito”, murmelte Melody leise.

„Ein was?”, hakte Justin nach.

Melody ignorierte ihn.

„Meinst du wirklich?”, fragte der Ritter nach.

„Ja. Aber nicht irgendeiner. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber er könnte Dragonwing sein. Er sieht Night sehr ähnlich. Ein Chito ist er aber in jedem Fall”, antwortete sie auf seine Frage.

Der Ritter dachte nach.

„Er sieht Night wirklich erstaunlich ähnlich. Er könnte es tatsächlich sein”, überlegte er.

„Wer, wie, was, wo, wann? Könnte mich mal jemand aufklären?”, fragte Timo, noch immer entsetzt über sein Aussehen.

„Ich erkläre es euch”, bot der Ritter an, „es ist so, vor Jahrtausenden gab es hier einst Milliarden über Milliarden Chito. Sie waren ebenso zahlreich wie die Menschen in der Welt, aus der ihr kommt. Doch dann setzte die Weltenwandlung ein und die Chito starben wie die Fliegen. Am Ende war kaum mehr als eine Hand voll übrig, unter ihnen auch die Vorfahren Moons und Nights. Der Chitobestand blieb über Jahrhunderte hinweg relativ konstant, doch dann begann der Krieg um das Erbe des ehemaligen Reichsherren und die Chito kamen abermals am schlechtesten bei weg. Es sind seid damals nur noch so wenige übrig, das man wahrlich großes Glück braucht, um einen zu finden. Sie gelten bei manchen Völkern sogar als Glücksbringer, ihrer Seltenheit wegen, ähnlich wie bei euch die vierblättrigen Kleeblätter. Aber nun, die Zeit des Krieges war in etwa die Zeit, als du geboren wurdet. Nein, nicht in etwa, es war genau diese Zeit, denn Moon, die... sagen wir mal die Königin der Chito, die hatte damals einen Sohn zur Welt gebracht. Sie und Night wusste, das er sterben müsste, wenn sie ihn bei sich behielten und so gaben sie den Jungen in die Obhut der Hochelfe Layla. Was diese mit dem Jungen tat, das weiß niemand, außer ihr selbst. Aber du, du könntest der Sohn von Moon und Night sein. Es ist nicht unmöglich, im Gegenteil, es ist sehr wahrscheinlich, dass du es bist.”

„Aber das geht doch gar nicht! Ich habe doch meine Eltern!”, rief Timo.

„Doch Timo, das geht sehr wohl”, überlegte Justin.

„Hä? Wieso? Das geht gar nicht”, schmollte der Schwarzhaarige.

„Doch, Marie ist doch lediglich ein halbes Jahr jünger als du! Ich habe mich schon immer gefragt, wie das gehen soll, dass ihr Geschwister seid, obwohl zwischen euch nur ein halbes Jahr liegt. Das sind mindestens zwei Monate zu wenig”, fand Justin.

„Dann kann es doch aber genauso gut sein, das Marie Adoptiert ist”, verteidigte sich Timo verbissen.

„Klar ist das möglich, aber wer weiß. Es ist im Prinzip auch egal, du bist ein Chito, das steht fest und mehr brauchen wir gar nicht wissen. Wer deine Eltern sind oder eben auch nicht, das kannst du zu Hause viel besser Regel”, fand der Ritter.

Ein kurzes Schweigen folgte, dann hörte man deutlich das Knurren von drei hungrigen Mägen. Justin, Timo und Sally liefen rot an während der Ritter und Melody lachten.

„Ich glaube, ich sage Jack, er soll etwas ordentliches zu Essen machen”, erklärte Melody und verließ den Raum. Der Ritter grinste breit. Die drei Jugendlichen schauten überall hin, nur nicht in seine Richtung.

„Ach Leute, das muss euch doch nicht peinlich sein”, fand der Ritter, er bekam jedoch keine Antwort.

„Okay, wenn ihr meint, das Anschweigen etwas bringt, dann macht es, aber lasst uns trotzdem schon mal zum Speisesaal gehen”, meinte er und trat aus dem Raum heraus.

Sally, Timo und Justin folgten ihm. Der Ritter führte sie durch einige Gänge, dann waren sie in einem Raum, der von einem riesigen Tisch beherrscht wurde.

„Setzt euch”, meinte der Ritter und verließ dann den Raum wieder.

„Wo will er denn hin?”, erkundigte sich Timo.

„Ich nehme mal an, Janne holen”, antwortete Justin und trat an den Tisch und setzte sich. Seine Freunde taten es ihm gleich und so saßen und warteten sie. Nach kurzer Zeit kehrte der Ritter zurück und auch er setzte sich.

„Ihr werdet eine ganze Weile hier bleiben, sobald sich Janne erholt hat werden sie und ich jedoch gehen, wir haben nämlich noch einiges zu erledigen. Nach dem Essen zeige ich euch eure Zimmer”, erklärte er.

Justin, Sally und Timo nickten.

„Wenn ihr etwas nicht wisst, dann fragt und auch wenn euch manche Dinge nicht richtig vorkommen, nimmt es einfach hin. Es hat schon alles seine Richtigkeit”, fuhr er fort.

„Was sollte uns denn hier nicht richtig vorkommen?”, fragte Sally neugierig.

„Nun, hier ist es üblich, dass die Diener und Dienerinnen bestraft werden, wenn sie etwas falsch machen. Mischt euch nicht ein, wenn sie geschlagen werden, das hat so seine Richtigkeit. Und es ist ihnen auch untersagt, die Gäste des Hauses anzusprechen. Zwingt sie bitte nicht, ihre Befehle zu missachten. Wenn Jack nämlich auch so schon schlecht gelaunt ist kann es sein, das er ihnen die Zunge herausschneidet”, erklärte der Ritter.

„Das ist grausam”, fand Justin und seine Freunde nickten zustimmend.

„Ja, da habt ihr recht, aber es ist hier so üblich. Respektiert einfach die Sitten eines anderen Volkes”, bat der Ritter.

„Ich werde dir nichts versprechen, aber ich werde es versuchen”, antwortete Justin.

„Genau, ein Versprechen gibt es nicht, aber wir werden unser bestes geben”, meinte auch Sally und Timo nickte einfach.

„Nun, das ist mehr als das wozu ich mich am Anfang durchringen konnte, also will ich mich damit mehr als zufrieden geben”, meinte der Ritter.

„Ich habe noch ein paar Fragen an dich”, meinte Justin.

„Dann frag. Ich werde dir aber nicht alles beantworten. Einfach deshalb, weil es Dinge gibt, die ihr jetzt noch nicht erfahren sollt. Nach und nach werdet ihr ausnahmslos alles herausfinden, aber für manche Dinge ist jetzt noch nicht die Zeit dazu”, erklärte der Ritter.

„Okay... ich möchte aber wissen, was ihr damit gemeint habt, dieses ganze Gerede um deine Familie und was meintest du damit, dass du dich am Anfang zu noch weniger durchringen konntest?”, wollte Justin wissen.

Bevor der Ritter antworten konnte ging die Tür auf und ein paar junge, blonde Elben kamen herein. Sie trugen Platten und Schüsseln stellten alles wortlos auf dem großen Tisch ab und gingen dann wieder. Als alle gegangen waren und niemand mehr kam deutete der Ritter den Dreien, mit dem essen anzufangen.

„Aber sollen wir nicht noch auf Melody warten? Oder auf Janne?”, fragte Justin.

„Janne schläft und Melody wird später kommen. Es wäre eine Beleidigung an die Köche, wenn ihr das Essen kalt werden lasst”, erklärte der Ritter und die drei Jugendlichen ließen sich das nicht zweimal sagen, sondern hauten rein, als hätten sie seid Wochen hungern müssen.

„Könnt ihr essen und gleichzeitig auch zuhören?”, wollte der Ritter nach einer Weile wissen.

Justin nickte sofort, Timo und Sally hatten nicht einmal seine Frage mitbekommen.

„Okay, dann will ich nämlich deine Frage beantworten. Also, es ist so, ich stamme nicht aus dieser Welt. Ich wurde auf der Erde geboren und bin dort aufgewachsen. Ich habe lange dort gelebt, war verheiratet und hatte Kinder, doch dann ist Theo aufgetaucht. Er hat gewusst, dass ich einer der wenigen bin, die Drachenwind führen können. Die Höllenschwerter können nämlich nicht von jeden beliebigen geschwungen werden, sondern nur von einer Familie des jeweiligen Elements. Ich stamme aus der Familie derer, die Boras Macht nutzen und Drachenwind führen kann. Theo stammt aus der Familie, die das Feuer in sich haben. Er kann aber mit Drachenwind nichts anfangen, es sei den, er hat Bora, aber das wird jetzt zu kompliziert. Er wusste auf jeden Fall, das ich Drachenwind führen kann und deswegen brauchte er mich. Er wusste aber auch, das ich ihm nicht einfach so helfen würde, immerhin wollte er ja, das ich tausende Elben umbringe und das alles. Also musste er ein... durchschlagendes Argument finden. Er hat damit gedroht, er würde meine Familie töten, wenn ich ihm nicht helfe. Das war natürlich sehr durchschlagend und so befolge ich seid zehn Jahren schon seinen befehlen”, erzählte der Ritter.

„Ach so. Aber hast du denn keine Angst, dass er deine Familie jetzt umbringt?”, erkundigte sich Sally die mit einem Ohr zugehört hatte.

„Doch, klar, aber ich will trotzdem nicht ewig nach seiner Laune tanzen müssen, also muss ich dieses Risiko eingehen. Außerdem werde ich die vermutlich sowieso nicht wieder sehen”, murmelte der Mann.

„Du hast in Nordstadt gelebt, nicht wahr?”, fragte Justin.

Der Ritter schaute ihn verblüfft an.

„Woher weist du das?”

„Meinst du, ich bin dumm? Ich werde von so einem merkwürdigen Kerl verfolgt, da ist doch klar, das ich wissen will, wer das ist! Ich habe den Tag in der Eisdiele den Spieß einfach umgedreht und dich verfolgt”, antwortete Justin.

Der Ritter schaute den Rotschopf erst verblüfft an, dann lachte er schallend.

„Kluger Junge”, grinste er, „ und weil ich mich so gut auskannte hast du geschlussfolgert, das ich in Nordstadt gewohnt habe. Dazu muss ich aber sagen, einerseits hast du Recht, andererseits liegst du aber auch total daneben. Ich habe tatsächlich mal eine zeitlang in Nordstadt gewohnt, doch nur fünf Jahr lang, die ersten Jahre nach der Geburt meiner Tochter. Die meiste Zeit habe ich jedoch in Wolfendorf gewohnt, wo ich auch meine Frau kennen lernte.“

„Ach so ist das. Gut, dann nächste Frage: was ist mit Janne? Sie sieht aus, als wäre sie vielleicht acht Jahre alt, aber sie benimmt sich nicht so”, meinte Justin.

„Ja, das Stimmt. Nun, es gibt viele verschiedene Welten, nicht nur die Beiden, die ihr schon kennt. Sie kommt aus einer Welt, in der ich noch nie war und ihr vermutlich auch nicht. Her nachdem, welchem Volk man angehört, macht Lävia alles Mögliche mit uns. Janne wird zwar immer älter, aber ihr Körper entwickelt sich zurück. Ich altere nur sehr langsam, Timo, du wirst höchstwahrscheinlich in etwa dem selbem Tempo älter werden, wie bisher auch, Sally, was bei dir sein wird weiß ich nicht, denn die Menschen, die hierher kommen leben in der Regel nicht lange genug, als das irgendetwas sichtbar wäre, was das Alter anbelangt. Justin, du wirst vermutlich wie ich nur langsam Altern”, überlegte der Ritter.

„Wie kommst du darauf?”, wollte Timo prompt wissen.

„Nun, du bist ein Chito, und deswegen wird diese Welt keine Einflüsse auf dich haben”, antwortete der Ritter.

„Und wie kommst du bei Justin drauf?”

„Nenn es männliche Intuition.”

„Wie ist eigentlich dein richtiger Name?”, fragte Justin in so beiläufigem ton, das der Ritter fast geantwortet hätte, doch dann grinste er nur.

„So neugierig wie ihr darauf seid werde ich ihn euch nicht verraten.”

„Och bitte!”, rief Sally.

„Nein! Vielleicht später einmal, ich lasse euch gerne etwas zappeln.”

„Das ist fies”, murrte Justin.

„Ich weiß. Habt ihr noch mehr Fragen?”

„Ja”, kam sofort die Antwort von den beiden Jungen.

„Und welche?”

„Was bitteschön sind Chito, ich meine, was zeichnet sie aus und alles”, wollte Timo wissen.

„Na ja... Chito können nicht schwimmen, sie sind nämlich Wesen der Winde. Das Wasser ist so was wie ihr natürlicher Feind. Außerdem haben einzig die Chito die Fähigkeit, einem Drachen wirklich gefährlich zu werden, jetzt mal von den Steinen und den Höllenschwertern abgesehen. Ich glaube, viel mehr kann ich dir nicht erzählen, ich bin einem Chito noch nie begegnet. Vor dir meine ich”, erklärte der Ritter.

„Okay, jetzt erkläre mir bitteschön, was der Weltenretter ist und was es mit diesen Steinen auf sich hat und das alles”, bat Justin.

„Oh, das ist jetzt sehr kompliziert. Also der Weltenretter ist an sich einfach nur eine Legende, aber dieses Reich hat die Eigenschaft, Legenden wahr werden zu lassen. Es gibt mehrere Fassungen der Legende, aber die, die als richtig gilt, die kennen nur die Elfen im Silberwald, das heißt, die wirst du erst erfahren können, wenn du einer Elfe begegnest. Aber ich habe natürlich auch schon einige Versionen gehört und die grob Zusammengefasst besagt, das die Herrin einem Menschen die Göttermacht verleiht, der verfällt dieser Kraft und stürzt die gesamte Welt ins Unglück und nur der Weltenretter kann diesen Gott bezwingen. Natürlich muss er den dunklen Mächten nicht ganz alleine entgegentreten. Laut Legende hat er mehrere Begleiter, den Herrn der Donner, den Prinzen der Chito, die Mächtigste aller Elben, den Herrn der Schatten und noch einige weitere”, erzählte der Ritter.

Die Tür ging auf und Melody trat ein. Wortlos setzte sie sich zu den vieren. Während Justin aß betrachtete er sie genau.

„Schmeckt es euch?”, fragte die Elbe nach einer Weile.

„Großer Lob an den Küchenchef”, kommentierte Sally während sie weiter futterte.

Die Elbe nickte: „Werde ich Jack ausrichten.”

Dann herrschte wieder Schweigen. Zumindest kurz. Justin zog den Stein hervor, den er sich wieder um den Hals gebunden hatte.

„Ich habe mal eine Frage an dich, Melody”, meinte er.

Sie schaute ihn nur an.

„Wie konntest du mir den Stein geben, ich meine, ich lag zu Hause in meinem Bett und du warst hier. Da sind doch viele Kilometer zwischen gewesen.”

„Bora ist der Wind”, antwortete Melody als würde das alles erklären.

„Und du bist ein Traumseher”, fügte der Ritter hinzu.

„Genau, nächste Frage, was ist ein Traumseher?”

„Ausnahmsweise mal etwas leichtes. Traumseher sind Wesen, die in ihren Traumen bestimmte Dinge sehen. Sie sehen zum Beispiel, was sich vor Jahrhunderten an einem bestimmten Ort abgespielt hat, oder was in Jahrhunderten an einen bestimmten Ort sein wird. Oder was in der Gegenwart an einem anderen Ort oder einer anderen Welt geschieht wird. Du hattest diese Gabe schon immer, doch erst in den letzten Jahren ist sie so intensiv geworden.”

„Heißt das denn dann nicht, dass im Prinzip jeder ein Traumseher sein kann? Ich meine, niemand wird alle Welten kennen, deswegen kann doch jeder Traum das sein, was sich woanders gerade abspielt”, überlegte Justin.

„Interessante Überlegung, aber nein. Sicher, es gibt unglaublich viele Welten, aber auch ein Traumseher kann nur die Welten sehen, die mit seiner eigenen verbunden sind. Zum Beispiel, hier könntest du in deinen Träumen sehen, was sich in Jannes Welt abspielt, in deiner eigenen Welt wäre das jedoch nicht möglich, weil es von deiner Welt kein Tor in Jannes Welt gibt, von hier aus aber schon. Verstehst du?”

„Natürlich, ist ja nicht schwer”, antwortete Justin. Dann wandte er sich wider Melody zu.

„Sag mal, weißt du, wie der Ritter mit richtigem Namen heißt?”, fragte er.

„Er hat mir einen genannt, aber ob das wirklich sein richtiger ist weiß ich nicht”, antwortete sie.

„Und welchen hat er dir genannt?”, wollte er weiter wissen.

„Ja, genau, einfach mal die Bekannten fragen”, lachte der Ritter.

„Du kannst ihn uns auch selber sagen”, konterte Sally.

Der Ritter lachte.

„Ja, ich hab schon verstanden, ihr werdet unter keinen Umständen locker lassen. Okay, mein richtiger Name ist Moritz.”

Justin schaute verdutzt.

„Echt, du heißt Moritz?”

„Ja, ist das ein Problem?”

„Nein, an sich nicht, es ist nur so das... ich weiß nicht, das was du uns erzählt hast weist wahnsinnig viele Parallelen mit jemanden auf, den ich mal gekannt habe, dieser Jemand ist nur vor zehn Jahren verstorben”, erklärte Justin.

„Aha. Und jetzt meinst du, ich habe alles gelogen oder dieser Jemand hat seinen Tod einfach nur vorgetäuscht oder wie?”

„Das hab ich nicht gesagt!”

„Aber gedacht.”

„Ja und nein... sagen wir mal so, ich habe es gehofft. Dieser Jemand hat mir sehr viel bedeutet.”

Darauf herrschte wieder einmal Schweigen.

„Nun, mein Name ist auf jeden fall Moritz, wenn ihr wollt könnt ihr mich so nennen”, bot der Ritter an. Ein nicken folgte seinen Worten.

„Nun, ist okay... aber noch eine letzte Frage: Was kommt jetzt als nächstes? Ich meine, was sollen wir den jetzt tun, was kommt als nächstes?”, wollte Justin wissen.

„Nun sobald Janne wieder okay ist werden sie und ich uns auf den Weg machen und schauen, was als nächstes angehen sollte. Solange bleibt ihr hier und ruht euch aus, vielleicht sollte Jack euch auch Reitunterricht geben, eure Reitkünste waren ja nicht unbedingt prickelnd”, meinte Moritz.

„Überlass das am besten einfach mir”, sagte Melody.

Okay, wenn du meinst. Ich zeige euch dann am besten eure Zimmer, kommt mit”, sagte Moritz und die drei standen auf und folgten ihm.

Meinungsverschiedenheit

„Zwei Monate”, murmelte Timo.

„Was ist mit zwei Monaten?”, erkundigte sich Justin.

„Zwei Monaten sind Moritz und Janne nun schon weg”, antwortete er.

„Ja und? Sie sagten doch, dass es dauern wird”, fand Justin.

„Kann ja sein, aber ich will trotzdem wissen, wo die beiden jetzt sind, und was sie tun”, murrte Timo.

„Ich nicht. Es interessiert mich nicht. Ich bin zufrieden so wie es ist”, erklärte Justin, nahm die Bürste, die neben ihm lag und begann damit, Floh durchzubürsten. Der Hund war vor einiger Zeit einfach so daher getrottet gekommen.

„Ich will trotzdem wissen, wo sie sind”, murmelte Timo.

In just diesem Moment ging die Tür auf und Janne kam herein gelaufen.

„Hey ihr beiden”, begrüßte sie die Jungen.

„Wenn man vom Teufel spricht”, war Justins Kommentar.

„Dann kommt er angelaufen”, fügte Timo hinzu.

Janne sah verwirrt aus. Melody, Sally und Moritz kamen dazu.

„So Leute, jetzt kommt etwas auf euch zu”, begrüßte Moritz die Jungen.

„Wie, was denn?”, fragte Timo gleich neugierig.

„Wir werden Theo und die Drachen angreifen”, eröffnete Moritz.

„Warum?”, fragte Justin gleich.

„Ganz einfach, wir müssen Theo sein Schwert abnehmen. Wenn wir Phönixfeuer haben, dann kann er mit Korona nicht mehr viel anfangen, sollte er es jemals finden heißt das. Der Wind selbst ist in Sicherheit, weil wir sowohl Bora haben, als auch Drachenwind und die Erde und das Wasser sind beide auch vorerst nicht in Gefahr, weil niemand weiß, wo sich Steine und Schwerter befinden. Im Klartext: Es geht derzeit nur um den Wind und das Feuer. Nun, wie dem auch sei, wir müssen entweder Korona vor ihm finden, oder ihm Phönixfeuer abnehmen, da ihm das Schwert abnehmen leichter ist, werden wir genau dies machen”, erklärte Moritz.

„Müssen wir da mitkommen?”, wollte Justin wissen.

„Also Sally und Timo nicht, du schon. Ich kann Theos Schwert nicht berühren, genauso wenig wie alle anderen, das können nur Theo und du, weil du der Weltenretter bist”, antwortete Moritz.

Justin seufzte.

„Wann geht es los?”, wollte er wissen.

„Na, so bald wie möglich. Die meisten von Theos Leuten haben mir gehorcht und nicht ihm, das heißt, wir haben viele Verbündete. Mit welchen Waffen kannst du umgehen?”, erkundigte sich Moritz.

„Mit gar keiner”, war die Antwort.

„Mit keiner? Was habt ihr denn hier die zwei Monate gemacht?”

„Na, reiten gelernt”, antwortete Sally.

„Und eure Waffenfertigkeit wurde schlichtweg vernachlässigt, ja? Toll, dann müssen wir euch das erst einmal beibringen, das ist wichtig, sonst habt ihr hier keinerlei Chancen zu überleben”, meinte Moritz.

„Na dann sollten wir wohl am besten gleich beginnen”, fand Janne.

„Genau. Also hoch mit den müden Knochen und mir nach“, forderte der Ritter sowohl Justin, als auch Sally und Timo auf.

„Warte, Moritz“, hielt Janne ihn noch kurz zurück, „ich denke, Sally ein Schwert oder eine Axt in die Hand zu drücken ist keine allzu gute Idee und da keiner von ihnen mit Waffen umgehen kann, bezweifle ich jetzt einfach mal, das irgendjemand sich die Mühe gemacht hat, dem jungen Prinzen das Fliegen beizubringen, von der Magie ganz zu schweigen. Deswegen wäre mein Vorschlag, das Jack Sally unter seine Fittiche nimmt und ihr den Bogen erklärt, Melody wird Timo das Fliegen beibringen, ich werde die Magie übernehmen und zwar bei allen dreien und du wirst das Handhaben der Schwerter lehren, sowohl bei Justin, als auch bei Timo.“

Moritz dachte einen Augenblick lang sichtlich über den Vorschlag nach, dann nickte er.

„Du hast recht. Justin, komm mit, beginnen wir sofort mit dem Schwert“, er nickte in richtung Tür und mit einem letzten Blick zu seinen Freunden folgte der Rotschopf dem Ritter. Sie gingen in einem Raum, von dessen Existenz Justin bisher nichts wusste. Es war wohl so eine art Waffenkammer, zumindest waren überall Schwerter, Schilder, Äxte, Hellebarden und so weiter. Moritz schaute sich jedes der Schwerter genau an, nahm dann zwei an sich und legte sie zur Seite. Als nächstes betrachtete er die Schilder und suchte auch von denen zwei aus. Einen drückte er Justin in die Hand, der im ersten Augenblick laut keuchte, da der Schild deutlich schwerer war, als er erwartet hatte. Moritz runzelte viel sagend die Stirn.

„Wenn du dich bei dem Schild schon so anstellst, dann sollten wir vielleicht erst einmal Krafttraining machen. Das Schwert ist nämlich noch einmal ein ganzes Stück schwerer“, meinte er.

„Was? Noch schwerer? Wie soll ich denn damit kämpfen lernen?“, wollte er wissen.

„Irgendwie musst du das halt schaffen. Aber sieh es so, die richtig schweren Schwerter wirst du nur zum Training bekommen, die Leichten in einem richtigem Kampf“, antwortete Moritz mit einem so dreckigem Grinsen, das Justin ihm am liebsten den Schild ins Gesicht gerammt hätte.

„Warum muss ich dann mit einem solch schweren Schwert das Kämpfen lernen, wenn ich letzten Endes eh nur die leichten habe?“, wollte er genervt wissen.

„Ganz einfach. Die verschiedenen Völker dieser Welt nutzen verschiedene Schwerter und jetzt einfach mal theoretisch angenommen, du kämpfst in einer Schlacht gegen ein Volk, das die schwere Sorte Schwerter nutzt. Du kämpfst, dein eigenes Schwert zerbricht, wird dir aus der Hand geschlagen oder ähnliches. Kurz, es ist weg, du kannst nichts mehr damit anfangen. Aber du hast die Möglichkeit mit dem Schwert eines Feindes zu kämpfen. Wenn du nicht mit schweren Schwertern kämpfen kannst bist du trotzdem Tod, da du es jetzt aber lernen wirst, weist du wenigstens, dich deiner Haut zu erwehren. Verstanden?“, erklärte Moritz.

„Ja, habe ich“, murrte Justin. Ihm passte es trotzdem nicht, dass er mit diesen Monstern von Schwertern kämpfen soll.

„Lass uns runter gehen, hier kann man nicht ordentlich kämpfen“, bestimmte Moritz und nahm die beiden stählernen Waffen und seinen eigenen Schild mit, während Justin genervt mit seinem eigenem Schild folgte.

Im Hof angekommen schaute sich Moritz suchend um.

„Auch hier ist nicht der perfekte Ort, ich denke, wir sollten in den Wald reiten, oder wenigstens aus der Feste hinaus“, meinte er und wandte sich in Richtung der Stallungen. Schnell waren zwei Pferde gesattelt und sie ritten in einem flotten Trab davon.

„Hat es einen Grund, dass du diese beiden Monster gewählt hast“, wollte Justin in der Zeit wissen, in der sie ritten.

Moritz hatte nicht zwei der leichten, wendigen Elbenpferde gewählt, wie Justin eigentlich gedacht hatte, sondern zwei große, schwere Hengste, die alles andere als wendig waren, die seiner Ansicht nach eher für Feldarbeit taugten, den für einen flotten Ritt. Dennoch waren die beiden erstaunlich schnell.

„Natürlich. Was die Ausbildung meiner Schützlinge anbelangt mache ich nie etwas grundlos, Justin. Sie sind vielleicht nicht so wendig wie die Elbenpferde, vielleicht auch nicht so schnell, aber dafür sind sie um einiges stärker und es ist schwerer, sie aus der Ruhe zu bringen. So vorteilhaft die Elbenpferde bei der Überbringung von Botschaften, bei Hinterhalten, bei Jagden auch sind, in einer Schlacht haben die Tiere nichts zu suchen. Das einzige Pferd, das dir in einer Schlacht bessere Dienste tut, als diese beiden es könnten, das sind gar keine Pferde, sondern Einhörner. In ihnen vereinen sich die stärken beider Arten, denn sie sind schnell und wendig, aber überaus stark und unerschrocken. Jedoch wirst du kaum ein Einhorn finden, das dich freiwillig in die Schlacht trägt, denn Einhörner verabscheuen den Tod. Es sind Wesen des Lichtes, Wesen des Lebens, sie sind nicht dafür gemacht, anderen Tod und Unheil zu bringen. Aber lass dir eines gesagt sein: Falls du es jemals schaffst, das ein Einhorn dir treu ergeben ist, alles tut, was auch immer du von ihm verlangst, dann hast du nichts mehr auf Erden zu fürchten, nicht einmal den Tod“, erklärte Moritz.

„Man sagt, Einhörner können mit ihrem Horn Tote wieder zum Leben erwecken, meinst du das damit?“, erkundigte sich Justin.

„Nein, das können sie keineswegs. Sie sind nicht das, was wir aus der Menschenwelt immer denken, das sie sind. Sie gehören ohne Zweifel zu den mächtigsten Geschöpfen die es gibt und einige unserer Legenden sind auch wahr, den mit ihren Hörnern können sie Kranke heilen, sie können Wunden binnen Sekunden schließen lassen, sie können wahre Wunder vollbringen, doch sie können nicht über das Leben bestimmen. Das kann alleine die Herrin. Nein, ich meinte eigentlich, das ein Einhorn, das dir treu ergeben ist, sein eigenes Leben für deines geben wird, sollte es die Situation erfordern. Jedoch nur, wenn du es niemals gezwungen hast, dir treu zu sein. Einhörner darf man nicht zwingen, ebenso wenig, wie man sie einfangen und in einen Käfig sperren darf. Nicht, wenn sie es nicht wollen. Das macht sie wahnsinnig, es lässt ihr Strahlen verblassen und ihre Unsterblichkeit schwinden. Das schrecklichste, das du einem solchen Wesen antun kannst. Und deshalb tue es auch nicht, niemals, egal was die Zukunft auch immer bringen mag“, hielt Moritz seinen nächsten Vortrag. Die restlichen fünf Minuten, die sie dahintrabten, verbrachten sie schweigend, dann jedoch hielt Moritz seinen Hengst an und deutete Justin, abzusitzen. Er selbst warf erst seinen Schild und die Schwerter ins Gras, dann glitt auch er an der Seite des Tieres hinab, nahm ihm Sattel und Zaumzeug ab und legte dieses ebenfalls ins Gras.

„Warum tust du das“, fragte der Rotschopf weiter. Er verstand so vieles nicht, was Moritz mit einer solchen Selbstverständlichkeit tat und musste deswegen immer und immer wieder fragen.

„Wir werden hiermit eine Weile beschäftigt sein, und warum sollen die Pferde in der Zeit gesattelt und gezäumt irgendwo stehen, wenn sie genauso gut weiden können oder sich im Schatten eines Baumes ausruhen“, war die Antwort.

„Weiden? Was sollen sie denn weiden? Hier ist doch überall Schnee“, widersprach der Rotschopf.

„Das sind sie gewohnt. Sie finden trotzdem immer etwas zu fressen“, war die Antwort.

„Werden sie nicht davon laufen?“, Justin wusste zwar, das Elbenpferde niemals davon liefen, das sie immer kamen, wenn ihr Herr nach ihnen rief, aber diese beiden waren weder Elbenpferde, noch waren sie ihre Herren.

„Sie werden nicht davon laufen, nicht vor dir Justin“, meinte Moritz.

„Wie meinst du das?“, erkundigte sich der Rotschopf weiter, doch Moritz antwortet nicht mehr auf diese Frage, sondern er deutete Justin, der sein Pferd mittlerweile auch abgezäumt hatte, eines der Schwerter aufzunehmen und den Schild am Arm zu befestigen. Mit einer solchen Leichtigkeit und Selbstverständlichkeit einer alltäglichen Begebenheit machte er es selbst, und Justin bemühte sich zwar, es ihm nachzumachen, doch der Schild war wahrlich nicht der leichteste und das Schwert konnte er nur mit Mühe überhaupt in der Hand halten.

Moritz seufzte tief und viel sagend.

„Okay, ich habe das Gefühl, dass das so nicht mehr viel werden kann. Du kannst dein Werkzeug nicht einmal richtig halten“, meinte er.

„Werkzeug?!“, keuchte Justin darauf.

„Natürlich Werkzeug. Das Werkzeug eines Ritters, eines Schwertkämpfers. Als was hättest du es denn bezeichnet?“, wollte er wissen.

„Als Mordinstrumente irgendwelcher Männer, die der Ansicht sind, das sie damit rechenschaftes tun“, war Justins staubtrockene Antwort.

Moritz schaute ihn einen Augenblick lang nachdenklich an.

„Du hast recht. Es sind Mordinstrumente und jene, die sie benutzen tun es in dem Glauben, das sie etwas Gutes damit tun, was sie eigentlich nicht tun. Aber sie wissen es nicht besser. Das ist ja das Problem eines jeden Volkes. Es gibt immer welche, die so sehr davon überzeugt sind, das sie das Richtige tun, das sie nicht mehr nach rechts und links schauen, das sie nicht mehr sehen, wie viel Leid sie anderen damit antun, mit dem, was sie für richtig halten. Es gibt auch immer welche, die sehr wohl wissen, das es Falsch ist, was sie tun, die es aber trotzdem weiterhin beharrlich tun, weil sie sich nicht trauen, es nicht zu tun. Es gibt wahrscheinlich kein Volk in keiner Welt, das jemals vollkommen ohne Krieg und nur mit dem natürlichen Tod ausgekommen ist. Man gewöhnt sich an dieses Wissen Justin. Mehr noch, irgendwann ist es einem egal, man tut einfach nur alles, um sein eigenes Überleben zu sichern, und eventuell, wenn man nicht ganz so sehr auf sich selbst bezogen ist, dann eben das seiner Liebsten. Es ist egal. Du wirst lernen, mit diesen Mordinstrumenten umzugehen, wie du dieses Können, das du danach haben wirst einsetzt, das ist dann deine Sache, und da werde ich dir nicht rein sprechen“, beendete Moritz seine neuste Ansprache.

„Ja, Papi“, knurrte Justin, dem es auf die Nerven ging, dass der schwarze Ritter nicht einfach einmal kurz, schnell und bündig sprechen konnte, sondern immer und immer wieder so weit ausschweifen musste.

Anders jedoch, als er erwartet hatte, fragte Moritz nicht, wie er die beiden Worte meinte, er schaute ihn auch nicht fragend an, nicht einmal ein Stirnrunzeln schien Justin ihm entlocken zu wollen, sondern der Blick seines Gegenüber füllte sich mich einem solchen seelischem Schmerz, als hätte Justin mit diesen zwei Worten dem Ritter mehr angetan, als er es mit jeder Waffe gekonnt hätte und dies verwirrte ihn zutiefst.

„Lass das Schwert liegen, üben wir erst einmal, wie du dich alleine mit dem Schild verteidigen kannst, denn auch das ist nicht so einfach, wie die meisten denken. Man braucht schnelle Reaktionen und muss auch in etwa erahnen können, wo der Feind als nächstes hinschlägt“, erklärte der Ritter stattdessen.

Justin hob langsam den Schild und befestigte ihn an seinem Arm, so gut das irgend möglich war, jedoch war das reich verzierte Kriegeswerkzeug alles andere als leicht, und so musst Justin noch seine zweite Hand dazu nutzen, den Schild überhaupt richtig zu halten. Moritz seufzte tief, als er dies sah, dann jedoch nahm er sein Schwert fester und griff Justin an. Aus reinem Selbsterhaltungsinstinkt heraus überstand Justin die nächste halbe Stunde ohne größere Verletzungen, denn nicht einmal ruckte er den Schild aus Wissen in eine bestimmte Richtung, sondern jedes mal aus reinem Instinkt. Und dennoch hatte er nach dieser ersten Trainingsstunde das Gefühl, das drei voll beladene Lastwagen über ihn dahin gefahren wären. Sein Arm schmerzte, als hätte er ihn über Stunden mit voller Kraft gegen eine Metallstange geschlagen und er war froh, dass er noch die Hand öffnen und schließen konnte. An ein Heben des Unterarms war nicht einmal mehr zu denken. Moritz war definitiv alles andere als zimperlich mit ihm umgegangen.

„Wenn du auch schon langsam im Kopf bist, bei so was, dann hast du doch außerordentlich gute Instinkte“, meinte er anerkennend, als er nun da stand und Justin musterte, der sich darum bemühte, den Schild abzulegen, ohne sich dabei unnötigerweise noch mehr Schmerzen zu verursachen.

„Ich bin müde, ich mag nicht mehr, mir tut alles weh“, jammerte der Rotschopf.

„Tut mir ja leid, Justin, aber ich wollte wissen, wie gut du das hinbekommst. Wenn du jetzt auch irgendwann einmal stark genug sein wirst, den Schild an einem Arm zu halten, dann brauche ich mir keine Sorgen mehr zu machen, ob du durch pure Unfähigkeit im Umgang mit Schildern geköpft wirst. Du darfst dich jetzt eine halbe Stunde ausruhen, dann geht es mit dem Schwert weiter“, beschloss Moritz.

Justin schaute ihn entsetzt an.

„Wie bitte?!“, kreischte er, „Ich kann meinen Arm kaum bewegen und dann soll ich mit diesem Monster eines Schwertes weiter machen?!“

„Ganz genau“, antwortete Moritz mit einem Grinsen. Dann wurde er aber wieder ernst.

„du hast instinktiv die richtige Seite für den Schild ausgesucht, ein Rechtshänder trägt das Schwert in der rechten Hand und den Schild am linken Arm, also wirst du gleich nur die Rechte brauchen“, meinte Moritz.

„Das mag ja so sein, aber ich kann nicht mehr! Moritz, ich bin fix und fertig, wollen wir nicht morgen weiter machen? Ich fühle mich, als hätte mich ein verrückter Zugfahrer mit seiner Lok überrollte!“, jammerte Justin.

„Darauf wird dein Feind auch keine Rücksicht nehmen, das garantiere ich dir, also gewöhne dich daran. Sei lieber froh, das ich dir überhaupt die Pause gelassen habe, ich hätte dich auch gleich weiter vornehmen können“, erwiderte der Ritter hart.

„Ach, und wegen den paar Minütchen soll ich dir jetzt huldigen und dir auf ewig dankbar sein, oder was?“, erkundigte sich der Rotschopf bissig.

„Nein, aber die Idee finde ich nett. Kannst ja gleich damit anfangen“, war die Antwort.

„Eigentlich solltest du Sklavenhändler werden, viel besser behandelst du mich auch nicht“, knurrte Justin.

„Das mache ich auch noch so nebenher, da verdient man nicht schlecht mit, mein Guter“, konterte Moritz ein weiteres mal.

„Warst du zu deinen anderen Schüler genauso fies? Hattest du überhaupt jemals andere Schüler, oder bin ich gerade dein Versuchkaninchen, was das lernen betrifft?“, erkundigte sich Justin, doch bevor der Ritter auch nur an eine Antwort denken konnte fügte er hinzu, „wenn ich das Kaninchen bin, dann lass dir eines gesagt sein, als Lehrer bist du eine Niete.“

Moritz lachte kurz auf und antwortete dann: „Zu dir bin ich noch freundlich, mein Guter, weil du noch von größter Wichtigkeit sein wirst, in dieser Geschichte des Lebens. Ich kann nicht riskieren, dass du jetzt schon, beim Training, stirbst. Meine anderen Schüler hatten es viel schlimmer als du.“

„Noch schlimmer? Was hast du denn mit denen gemacht, ihnen zusätzlich Ketten angelegt, mit schweren Eisenkugeln dran?“, knurrte der Rotschopf.

„Nein, das wäre ja zu langweilig. Was ich mit den anderen gemacht habe, das erzähle ich dir ein ander mal. Auf mit dem müden Knochen, es geht weiter“, meinte der schwarze Ritter und nahm nun seinerseits den Schild und befestigte ihn an seinem linken Arm.

Justin stand mühsam auf und versuchte, das Schwert aufzuheben, doch mit einer Hand schaffte er es kaum vom Boden hoch, und die zweite Hand konnte er immer noch nicht richtig nutzen.

„Justin simulieren bringt bei mir nichts“, mahnte Moritz.

„Ich simuliere nicht, ich kriege das Schwert wirklich nicht hoch“, knurrte Justin und der Ritter runzelte viel sagend die Stirn.

„Es geht echt nicht“, knurrte Justin, „mit deinen Hieben hast dazu es geschafft, meinen Arm zu lähmen.“

„Justin“, sagte Moritz mit einem tiefen Seufzer, „Justin, ich gehe schon beinahe zu sanft mit dir um, aber wenn du weiter so sehr am jammern bist, dann schmeiße ich meine ganze Freundlichkeit über Bord, und dann werde ich keinerlei Rücksicht mehr auf so etwas nehmen. Tu, was auch immer du meinst, damit dein Arm wieder ordentlich funktioniert. Du hast eine Stunde zeit. Nach dieser Stunde werde ich keinerlei Rücksicht mehr auf dich nehmen, komme was wolle.“

Mit wütendem blitzen in den blauen Augen drehte sich der Ritter um und stürmte davon. Justin schaute ihm noch einen Augenblick lang nach. Moritz hatte mit seinem Worten im Prinzip nur eines ausgedrückt, viel ihm auf, und das gefiel Justin ganz und gar nicht. Alles was der Ritter gesagt hatte drückte nur eines aus, und zwar, das er den Rotschopf für einen Jammerlappen hielt, für eine Memme, ein kleines Kind, das schon heulte, lange bevor die Wespe auf seinem Knie zu stach, lange bevor der Arzt seine Spritze rausholte. Und das machte ihn wütend. er hatte eigentlich vorgehabt, so lange zu jammern, bis Moritz einlenkte und ihn in Ruhe ließ, doch mit diesen wenigen Worten hatte der Ritter es geschafft, Justins Einstellung grundlegend zu ändern. Nun war er fest entschlossen, ihm zu beweisen, dass er nicht war, für das Moritz ihn augenscheinlich hielt. Er trat an das Schwert heran und nahm es am Schaft hoch. Seine Hand und sein Arm taten noch immer zu sehr weh, als das er das Schwert wirklich hochbekommen hätte, aber er probierte es weiter. Erst fünf Minuten, bevor die Stundenfrist vorbei war ließ er das Schwert, das er mittlerweile nicht nur hoch bekam, sondern auch schwingen konnte, endlich ins Gras sinken und ließ sich schwer atmend auf einen Stein nieder. Als Moritz fünf Minuten später wieder auftauchte, hatte sich sein Atem so sehr beruhigt, das nichts mehr von seinem eignen Training kündete.

Wortlos nahm Moritz den Schild und befestigte ihn an seinen Arm und deutet Justin, das Schwert zu nehmen. Der stand auf, trat an die Waffe heran, hob es hoch und schwang es mit solcher Kraft und solchem Geschick, das Moritz vor verblüffen zurückwankte, als der Schild und das Schwert aufeinander prallten.

„Vor einer Stunde konntest du die Waffe nicht einmal anheben, und nun das…“, knurrte er, dabei blitze aber kein Zorn in seinen Augen, wie es bei vielen anderen Männern der Fall gewesen wäre, sondern der Stolz.

Justin verstand nicht, wieso, aber es machte für ihn keinen Unterschied, für ihn war in diesem Augenblick nur wichtig, das er den schwarzen Ritter gezeigt hat, das er kein Schwächling war.

„Okay, ich danke, das soll es für heute gewesene sein“, fand Moritz während Justin schon dabei war, sich innerlich auf den nächsten Angriff vorzubereiten.

„Hä? Wieso das den?“, wollte Justin verwundert wissen.

„Warum nicht?“, brummte Moritz.

„Weil du mich vorhin total fertig gemacht hast, weil du unbedingt weitermachen wolltest, aber ich nicht!“, machte Justin den Mann drauf aufmerksam.

„Ja, das war vor einer Stunde“, meinte Moritz.

„Trotzdem!“, meckerte Justin, „Du kannst nicht einfach im Minutentakt deine Meinung ändern!“

„Natürlich kann ich. Justin, ich kann nahezu alles. Ich soll es nur nicht. Zumindest nicht, wenn es nach dir geht“, antwortete Moritz und blitze Justin dabei belustet an.

Der war allerdings sauer. Er hatte sich eine Stunde lang gequält, nur um dieses dämliche Schwert hochzuheben, und dann kam der Kerl einfach so, von wegen, lass uns mal Schluss machen.

„Ich verkneife mir jetzt einfach mal das, was ich sagen will“, knurrte Justin, schmiss das Schwert zu Boden und ging zu seinem Pferd. Schnell war das Tier gesattelt. Er kletterte hinauf und lies das Tier dann los galoppieren. Was Moritz hinter ihm mit dem anderem Pferd und den Schilden und Schwertern tat, das wusste er nicht, und es interessierte ihn auch nicht. Binnen kurzer Zeit war er wieder in der Elbenfeste. Er zäumte seinen Hengst ab, brachte ihn in den Stall und verschwand dann in sein Zimmer.

Trainingsstunde und Erzählung

Justin, du hältst dein Schwert falsch“, knurrte Moritz grinsend.

„Pech gehabt“, gab Justin brummend zurück.

„Okay, wenn du meinst… Aber so, wie du es im Augenblick hältst, wirst du nicht lange gegen mich bestehen können“, antwortete Moritz giftig.

„Ich kann mich nur wiederholen: Pech gehabt. Du bist es, der unbedingt will, das ich lerne, wie man anderen Leuten die Köpfe einschlägt, nicht ich“, knurrte Justin.

„Die Diskussion hatten wir schon einmal!“, rief Moritz und sprang mitten im Wort los, ohne in irgendeiner weise vorher angedeutet zu haben, dass er gleich angreifen würde. Mit seiner Klinge hiebt er auf Justin ein, der geschickt parierte. Er hatte erstaunlich viel gelernt, in der kurzen Zeit, in der er nun im Schwertkampf unterrichtet wurde, mittlerweile konnte er sich seiner Haut gegen nicht allzu starke Gegner schon wirksam erwehren. Jedoch hatte er nicht in mindesten eine Ahnung, woher sein Talent kam, im Gegensatz zu Moritz. Den schien es nicht sonderlich zu wundern, das sein junger Schüler binnen weniger Wochen besser war, als die meisten anderen nach Jahren harten Trainings.

Justin übte sich eine Augenblick lang noch in der Verteidigung, dann, als Moritz nur für den Bruchteil einer Sekunde ihm eine Chance lies, nutze er sie und hiebt mit seinem Schwert auf seinen Lehrer ein, den er mit Leichtigkeit zurückdrängte. Moritz spielte wieder mit ihm. Er lies sich zum Spaß von seinem jungen Schüler zurücktreiben, brachte sich zum Spaß in Situationen, in denen Justin wirklich fast gewann, doch gab es nicht eine Sekunde, in der Justin wirklich eine Chance hatte. Moritz war zu gut. Noch. Er hatte das höchste seines Könnens erreicht, er konnte sich nicht mehr verbessern. Justin war jetzt schon bald so gut wie er und noch lange hatte er nicht all sein Können ausgeschöpft. In wenigen Jahren würde Justin der Bessere sein, das stand ohne jeglichen Zweifel fest und so spielte sein Lehrer mit ihm, so lange er es noch konnte, ohne sich selbst dabei ernsthaft zu gefährden.

Justin machte es wütend, dass er nicht ernst genommen wurde, aber das machte ihn nicht kopflos. Er hämmerte mit seiner Waffe auf seinen Lehrer ein, nutze jede vermeintliche Schwäche in der Abwehr, jede kleine Ablenkung und Moritz spielte mit. Doch beschloss er in just den Augenblick, da Janne zu ihnen stieß, das es genug war, und sie sich beide eine kleine Pausen verdient hätten, und so macht er dem Spiel binnen weniger Augenblicke ein Ende, indem er auf Justin eindrosch, wie von Sinnen und ihn zurückdrängte, ihm zum Schluss die Waffe aus der Hand prellte und die Klinge an den Hals seines Schülers hielt, so nahe, das ein winziges Rucken reichen würde, Justin zu verletzen, jedoch hielt er seine Waffe so still, das nichts dergleichen geschah.

„Angeber“, kommentierte Janne das eben gesehene.

„Ich darf das“, war Moritz grinsende Antwort während er Justins Schwert einsammelte und beide in Verwahrung nahm. Er hatte lediglich einmal den Fehler gemacht, Justin die Klinge gleich wieder in die Hand zu drücken, was der sofort für eine Revanche nutzt hatte, die Moritz jedoch vollkommen unvorbereitet getroffen hatte, das es für einen winzigen Augenblick so aussah, als könnte Justin gewinnen. Er hatte es nicht geschafft und sich angewöhnt, selbst die Schwerter in Verwahrung zu nehmen.

„Was führt dich her, Janne?“, erkundigte sich Moritz.

„Nichts von Wichtigkeit, ich wollte lediglich einmal sehen, wie sehr er dich fertig macht“, grinste das Mädchen.

„Da bist du leider ein halbes Jahr zu früh dran“, antwortete Moritz.

„Ein halbes Jahr? Wohl eher ein halbes Jahrzehnt“, warf Justin ein.

„Nein, wenn ich sage eine halbes Jahr, dann meine ich auch ein halbes Jahr. Justin, du bist nach sechs Wochen Training so gut, wie die meisten nach zwei oder drei Jahren. ein halbes Jahr dieses Training weiter und Janne wird einen wirklich spannenden Kampf zu sehen bekommen“, antwortete Moritz.

„Ein Kampf, in dem du fertig gemacht wirst? Ja, das wäre es ja“, griente sie.

„Ich wurde schon oft genug von anderen fertig gemacht, und es gibt immer welche, die besser sind, als ich. Die gab es schon immer, und die wird es auch immer geben“, gab sich Moritz bescheiden.

„Der Meister des Dämonenheers, nicht wahr?“, erkundigte sie sich.

„Oh ja, er ist der Beste der Besten. Keiner kann es mit ihm aufnehmen. Noch nicht“, antwortete Moritz und warf dabei einen viel sagenden Blick zu Justin hinüber, der nur verständnislos zurückblicke.

„Was bitte ist das Dämonenheer?“, erkundigte er sich.

„Das ist eine Streitmacht. Keiner weiß, wo ihr Stützpunkt liegt, keiner weiß, was sie wirklich sind, aber Elben sicher nicht. Vor allem nicht ihr Anführer. Er nennt sich Falkenlord, aber keiner weiß, wieso. Er ist mit weitem Abstand der beste Schwertkämpfer dieser Welt, dabei dürfte er kaum älter sein als du. Er reitet immer auf einem ungepanzerten Hengst der so schwarz ist, wie das Nichts und so schnell wie der Wind. Er wütet unter seinen Feinden wie ein Teufel und nichts kann ihn verletzten, geschweige denn töten. Er hat angeblich mit einem Heer, das keine hundert Mann zählte ein anderes Heer das die hundertfache Übermacht hatte geschlagen, obwohl er restlos im Nachteil war. Auf dem Schlachtfeld fand man am Ende nur die Toten des Feindes, nicht einer seiner Männer war gefallen, nicht eines seiner Pferde verletzt. Manche halten ihn für einen boten der Hell, den sie einst sandte, um allen Wesen ihre Vergänglichkeit zu demonstrieren. Keiner weiß etwas Genaues über ihn, keiner weiß, was wahr ist und was erfunden“, erzählte Moritz.

„Er ist es…“, murmelte Justin.

„Wer ist wer?“, wollte Janne verwundert wissen, doch Justin schüttelt den Kopf. Er wollte ihr nicht von seinem Erlebnis im Wald erzählen. Doch die Beschreibung passte so gut wie nur irgend möglich. Er konnte sich nicht irren, in seiner Vision hatte er diesen uminösen Falkenlord gesehen. Nein, er hatte ihn nicht nur gesehen, er war der Falkenlord gewesen. Allerdings war das unmöglich, denn der Falkenlord existierte bereits und so konnte er es nicht sein. Und trotzdem wusste er, dass er es irgendwie doch war. Irgendwie.

Angriff auf die Drachenfeste

„Moritz?”

„Ja, was ist Justin?”

„Ich will nicht.”

„Wie, du willst nicht?”

„Ich will nicht mit. Ich kann so was nicht, ich meine, wer weiß schon, was passieren wird und ich kann so etwas nicht...”

„Du sollst Theo nicht angreifen. Dazu bist du nicht gut genug, auch nicht nach drei Monaten Training. Du hältst dich die ganze Zeit über im Hintergrund, du sollst lediglich das Schwert schnappen und dann verschwinden wir wieder.”

„Ich weiß, das hast du mir schon häufiger erklärt, aber ich habe trotzdem Angst, dass es dann doch anders kommt.”

„Brauchst du nicht. Ich werde auf dich acht geben.”

„Es geht doch gar nicht um mich. Ich will nicht, dass irgendjemand zu Schaden kommt, wer ist egal.”

„Ach Justin... du bist einfach zu lieb für diese Welt. Dass wirklich niemand zu Schaden kommt kann ich dir nicht versprechen, aber wenn du jetzt kneifst, dann wird es so ausgehen, das er irgendwann Korona bekommen wird und das wiederum bedeutet, das tausende Menschen sterben müssen. Alle die, die ihm in Weg sind und das sind nicht wenige. Das Feuer ist nämlich überall und er wird es beherrschen können.”

„Das heißt, entweder sterben nur ein paar oder ganz viele.”

„Genau.”

„Aber ein einziges Leben ist genauso viel Wert, wie Tausende.”

„Ach Justin... Das dir so etwas jetzt erst einfällt. Wir sind fast da.”

„Na ja, ich hatte auf dem Flug eben viel Zeit zum Nachdenken...”

„Nächstes mal fliegst du allein auf einem Greif, dann hast du weniger Zeit zum denken.”

„Wenn du mir vorher erklärst, wie das geht, also wie man so ein Vieh zu steuert, dann fliege ich gerne alleine.”

„Gut, dann wird es nächstes mal so gemacht. Und nur so nebenbei bemerkt: Du kannst jetzt sowieso keinen Rückzieher mehr machen.”

„Ja, das habe ich mir schon gedacht und auch befürchtet. Wie kommt ihr eigentlich alle darauf, dass ausgerechnet ich der Weltenretter bin?”

„Weil bei dir die Elemente zusammenkommen.”

„Wie meinst du das?”

„So wie ich es sage.”

„Verstehe ich nicht...”

„Kannst du auch nicht. Noch nicht. Dazu müsstest du nämlich ein paar Dinge über deine Eltern und Großeltern wissen, die du garantiert nicht weißt. Aber bei Zeiten wirst du alles erfahren.”

„Ach, und wann kommen diese Zeiten? Ich meine, ich bin schon seid einem halben Jahr von zu Hause weg, seid fünf Monaten hier. Langsam aber sicher möchte ich wissen, was hier gespielt wird und dann nach Hause...”

„Kann ich gut verstehen, ich will auch wieder nach Hause. Ich bin immerhin schon seit zehn Jahren hier...”

„Ja, so lange will ich unter keinen Umständen hier bleiben.”

„Warum nutzt du deine traumseherischen Fähigkeiten eigentlich nicht um zu sehen, wie das alles hier ausgehen wird?”

„Ich kann nicht beeinflussen, was ich sehe. Ich sehe einfach etwas.”

„Klar kannst du es beeinflussen. Du musst es doch nur wollen.”

„Woher willst denn du das wissen? Ich meine, ich bin doch hier der Traumseher, oder etwa nicht?”

„Ja klar, aber ich hatte eben diese Macht auch einmal. Vor langer, langer Zeit.”

„Hast du sie denn nicht mehr?”

„Nein. Sie ist mit der Zeit geschwunden. Weist du, woher du diese Macht hast?”

„Weil sie mir verliehen wurde.”

„Nein. Es ist so, jeder ist ein Traumseher, solange er noch klein ist, aber nach und nach verlieren die Menschen diese Fähigkeit und wenn sie erst verschwunden ist, dann kann man sie auch nicht wiedererlangen.”

„Warum verschwindet sie? Wird das bei mir auch passieren?”

„Bei dir nicht, nein. Bei dir ist sie immer stärker geworden, je älter zu warst. Bei dir wird sie nicht verschwinden, sondern sie wird immer mächtiger werden, aber bei den anderen verschwindet sie.”

„Aber warum?”

„Weil sie ihre Fantasie verlieren. Jedes Wesen ist magisch, selbst in der Welt, aus der wir beide kommen. Der Unterschied ist, das die Magie hier sich deutlich macht, durch Zauberei und ganz besonderen Fähigkeiten. In unserer Welt ist es so, dass unsere Magie darin liegt, die Zukunft zu sehen oder die Vergangenheit. Oder andere Welten. Alles in unseren Träumen. Aber die Menschen haben diese Macht nur solange sie auch an die Magie glauben. Solange sie daran glaube, das es etwas anderes, unfassbares gibt, solange dürfen sie ihre Träume behalten. Wenn sie jedoch ihren Glauben verlieren, verlieren sie zugleich auch ihre Träume.”

„Das heißt, wenn man Erwachsen ist und nicht an Zaubereien glaubt, dass man auch nicht mehr träumen kann?”

„Nein, so hab ich das nicht gesagt. Sie träumen weiter, aber sie träumen nur noch aus dem Unterbewusstsein. Sie sehen nicht mehr das wahre Gesicht der Welt. Aber es gibt viele Erwachsene, die noch an den Zauber glauben, unbewusst. Sie spüren in ihren Träumen, ob es einem ihrer Liebsten schlecht geht. Verstehst du, wie ich das meine?”

„Ich glaube schon...”

„Das ist gut.”

„Aber es verwirrt mich. Ich habe nie an so was wie Zauberei geglaubt, bis ich zum ersten Mal wirklich hier war...”

„Doch Justin, das hast du. Du hast es nur nicht bewusst getan. Wie die meisten Menschen. Sie glauben an Magie, tun es aber unbewusst. Die wenigsten sind in der Lage, es sich auch wirklich einzugestehen.”

„Aber wenn fast alle Menschen an Magie glauben, dann sind sie ja doch alle Traumseher.“

„Nein, eben nicht. Es gibt viele Menschen, die unbewusst an die Magie glauben, aber es sind wenige, und du wirst sie nie erkennen können. Und die Bezeichnung „Traumseher“ ist eigentlich auch nur den Wesen vorbehalten, die nicht nur in ihren Träumen sehen, was geschieht, sondern dies alles auch richtig deuten können. So wie du damals als Kind wusstest, das dein Vater sterben wird. Du hast den Traum, der dir dies offenbarte, richtig gedeutet, so wie du deine Träume immer richtig deutest. Das macht dich in erster Linie zum Traumseher. Alle anderen sind etwas ähnliches, sie sehen zwar in ihren Träumen, aber sie verstehen nicht. Und das sind eben die Menschen, die unbewusst an die Magie der Welt glauben. Ich glaube, ich verwirre dich gerade, kann das sein?“

„Ja, jetzt verwirrst du mich in der Tat. Aber woher weißt du eigentlich davon, das mein Vater Tod ist und woher weißt du, das ich wusste, was geschehen würde?“

„Oh Justin, ich weiß alles über dich! Ich weiß Dinge, die dich Betreffen, die nicht einmal zu selbst weißt! Da bleibt mir so etwas doch nicht verborgen.“

„Weist du was, Moritz?”

„Was denn?”

„…Nichts, nichts, nur... gerade habe ich etwas gefühlt... und das… war merkwürdig.”

„Behalte dieses Gefühl tief in deinem Herzen. Und wenn du alles weist, dann sprich es aus.”

„Weist du, was ich meine?”

„Ich kann es mir denken...”

Plötzlich rutschte Justin auf dem Rücken des Greifen ein Stück vor und schmiegte sich an Moritz. Er brauchte in diesem Moment die Nähe zu jemandem, den er vertrauen konnte und da war Moritz hier der Einzige. Der warme Körper spendete ihm Trost in diesem Moment. Und Moritz lächelte stumm vor sich hin.

„Wir landen gleich”, meinte er nach einer Weile.

Justin nickte. Der Greif flog immer tiefer, dann kam er hart auf dem steinigen Boden auf.

Der Rotschopf ließ Moritz los und beide sprangen zu Boden. Janne kam ihnen gleich entgegen gelaufen.

„Hey ihr zwei, wie war der Flug?”, fragte sie.

„Lang”, war Justins Kommentar.

„Nun, er war nicht uninteressant”, fand Moritz.

„In wie fern?”, erkundigte sich Janne.

„Nun, wir hatten ein interessantes Gespräch über das Traumsehen”, erklärte Moritz.

„Na dann wach mal schnell auf, wir haben nämlich ein kleines Problem”, gab das Mädchen zur Antwort.

„Was? Welches?”, fragte Moritz sofort.

„Ein Erkundungsflug hat gezeigt, dass Theo zusammen mit Phönixfeuer im Thronsaal ist. Das heißt: im Herzen der Burg. Und das Beste kommt noch”, erklärte sie mit düsterem Gesicht.

„Susi sitzt neben ihm”, vermutete Moritz.

Janne nickte.

„Wer oder was ist Susi?”, wollte Justin sogleich wissen.

„Der Drache, mit dem du schon mal die Bekanntschaft gemacht hast”, antwortete Janne.

„Also müssen wir uns etwas einfallen lassen. Vor den Beiden gleichzeitig aus ihrer Festung zu entkommen ist nämlich so ohne weiteres nicht möglich”, meinte Moritz.

Janne nickte zustimmend.

„Vielleicht sollte man den Drachen einfach weglocken”, schlug Justin vor.

„Das ist klar, aber wie?”, wollte der Ritter wissen.

„Na ja, keine Ahnung, mit Drachen kenn ich mich nicht aus, also solltest du besser nicht mich fragen”, war Justins Antwort.

„Tu mir den Gefallen und enthalte dich deiner besserwisserischen Sprüche, auf die habe ich gerade keinen Nerv”, knurrte Moritz.

Der Rotschopf zuckte mit den Schultern und ging dann. Hier war ein regelrechtes Lager aufgerichtet worden und er wollte sich ein wenig umschauen, war er doch noch nie in so etwas gewesen. Er trottete eine Weile ziellos umher. Überall um ihn herum waren Greifen und große, kräftige Männer.

„Was macht denn so ein Würstchen wie du hier?”, fragte eine Stimme und eine Hand packte ihn grob an der Schulter, als er gerade an einer Ansammlung Zelte und einem besonders großem Feuer vorbei ging.

Justin schaute über die Schulter in das Gesicht eines kräftigen, bärtigen Mannes der allerdings ein ganzes Stück kleiner war, als er.

„Ich schaue mich nur um”, antwortete der Rotschopf.

„Du solltest aber nicht hier sein. Woher kommst du?”

„Warum sollte ich nicht hier sein?”, Justin war verwirrt.

„Das ist hier kein Spielplatz für halbwüchsige Burschen, die in ihrem Leben sich noch nie die Hände schmutzig machen mussten”, fand der Mann.

„Glaub mir, ich bin nicht freiwillig hier.”

„Ach, haben dich deine Freunde gezwungen oder wie?”

„ Ja, so in der Richtung.”

„Dann solltest du aber schnell wieder zurück zu deinen Leuten rennen, bevor der schwarze Ritter dich sieht. Er kann es nicht ausstehen, wenn sich Knirpse, die hier nichts zu suchen haben einfach einschleichen. Dem Letzten hat er den Kopf abgeschlagen”, erklärte der Mann.

„Er hat WAS?!”, Justin war sichtlich entsetzt.

„Das weiß doch jeder! Der schwarze Ritter ist bis weit über die Grenzen diesen Kontinentes hinaus als ein Monster bekannt. Der Junge war kaum älter als du.”

„Justin! Komm her!”, rief Moritz in dem Moment über den Platz.

„Ich muss zu ihm”, meinte Justin und versuchte sich aus dem Griff des Mannes zu winden.

„Dann bist du Tod, Junge“, erklärte der Mann.

„Justin, jetzt komm endlich!”, rief Moritz abermals.

„Also wenn dieser Justin sich nicht sputet, dann war es das, mit seinem Leben”, meinte der Mann.

Justin verdrehte die Augen.

„Na, denn du mich nicht los lässt, dann kann ich schlecht hingehen zu ihm”, bemerkte er.

„Hä? Ich verstehe nicht”, meinte der Mann.

„Lass mich einfach gehen oder komm mit und Bettel um mein Leben, aber lass mich endlich zu ihm”, brummte Justin.

„Wie... ich verstehe immer noch nicht...”, der Mann sah irgendwie hilflos aus, fand Justin.

Er seufzte tief und zerrte den Mann dann kurzerhand mit sich, da dieser ihn partout nicht loslassen wollte.

Als Moritz und Janne diese komische Formation sahen, da lachten beide laut los.

„Was ist das denn?”, fragte Moritz mit leuchtenden Augen.

„Der Typ hat mich vor dich gewarnt und wollte mich nicht mehr loslassen”, antwortete Justin.

Der Mann starrte Moritz voller entsetzten an.

„Ihr wollt den Jungen doch nicht...”, murmelte er ängstlich.

„Lass den Jungen los”, befahl Moritz dem Mann mit ruhiger Stimme und noch immer grinsend.

„Aber Herr, ihr wollt ihn doch nicht umbringen?”, fragte dieser ängstlich und zog Justin ein wenig zurück.

„Ihn was? Nein, Justin nicht, aber wenn du dich nicht auf der Stelle woanders hin begibst, dann wird es dir an den Kragen gehen”, erklärte Moritz im Plauderton.

„Das wirst du nicht! Sonst hast du nämlich ein riesen Problem! Was ist das überhaupt für eine Geschichte, das du einen Jungen geköpft hast, nur weil der in dem Lager war?”, wollte Justin wissen.

„Ein Spion. Oder meinst du wirklich, ich bring grundlos jemanden um?”, fragte Moritz.

„Zutrauen würde ich es dir”, antwortete Justin eiskalt. Man sah Moritz deutlich an, dass ihn das tief traf. Er schaute Justin noch einen Moment lang traurig an, dann ging er wortlos davon.

„Das war fies”, knurrte Janne.

„Aber es war die Wahrheit”, antwortete Justin.

„Vielleicht. Aber das ausgerechnet du ihm das sagst… Und du kannst mir glauben, das damals war nicht wirklich ein umbringen. Der Junge hatte keine Seele mehr. Der Feind hatten ihm erst einem Seelenfresser zum fraß vorgeworfen und ihn dann als Spion hergeschickt. Er war nur noch eine leblose Hülle, er war schon nicht mehr am Leben gewesen. Moritz hat noch nie jemanden umgebracht, wenn es sich irgendwie vermeiden ließ. Nicht mal das Kommando, irgendjemanden zu töten hat er gegeben. Er ist mit weitem Abstand der friedliebendste Heerführer, den es jemals gab, in diesem Land!”, keifte Janne.

„Aber er hat doch schon tausende umgebracht, weil sie ihm nicht gehorchten!”, mischte sich der Mann ein.

„Verschwinde Zwerg. Das geht dich alles nichts an”, befahl Janne und der Mann verkrümelte sich, nicht jedoch, ohne noch einen letzten verunsicherten Blick in die Runde geworfen zu haben.

„Und, was war mit den tausenden, die ihm nicht gehorcht haben?”, griff Justin auf.

„Die hat er gehen lassen. Theo gegenüber musste er sich skrupellos geben, in Wirklichkeit hat er die Männer aber gehen lassen. Nicht einer von denen ist umgekommen, zumindest nicht durch Moritz’ Hand. Und glaubst du wirklich, auch nur einer von diesen Männern hier ist hier, weil er dazu gezwungen wurde? Moritz hat sie dazu gebeten, niemanden gezwungen”, erklärte das Mädchen.

„Aber warum tut er dann noch immer so, als wäre er eine Monster?”, wollte Justin wissen.

„Man kann kein Heer führen, ohne das es einem gehorcht. Er braucht Respekt und den kann er sich eben nur so sichern. Durch schlechte Gerüchte oder durch das wirkliche töten der Leute. Ihm sind die Gerüchte lieber, deswegen tut er noch immer so gewissenlos”, antwortete Janne.

„Aber warum schockt es ihn so, wenn ich ihm sage, das ich es ihm einen Mord zutrauen würde? Ich meine, kann ihm doch egal sein, was ein Fünfzehnjähriger von ihm denkt”, fand Justin.

„Es ist ihm auch egal. Normalerweise, aber du erinnerst ihn an seinen Sohn. Und welcher Vater will schon von seinem Sohn hören, das er ihn für einen Mörder hält?”, Janne schaute Justin noch einen Moment lang tadelnd an, dann ging auch sie davon und Justin blieb allein stehen. Er dachte darüber nach, was Janne ihm erzählt hatte. Er kam sich mies vor, dass er so zu Moritz gewesen war und nahm sich vor, sich bei der nächsten Gelegenheit zu entschuldigen. Dann ging er zu einem der Greifen um zu warten, das es weiter ging. Er musste nicht lange warten, schon nach einer viertel Stunde kamen Moritz und Janne zurück. Janne sprang auf den Rücken ihres geflügelten Wolfes, der Tim hieß und Moritz sprang auf den Rücken eines der Greifen. Von oben zog er Justin hinauf.

„Also hör zu: Ein paar werden draußen bleiben und die Drachen ablenken, wir werden mit einer kleinen Eskorte ins Innere fliegen und direkt zum Thronsaal hin. Dort angekommen werden wir Theo irgendwie das Schwert abnehmen, wahrscheinlich indem der Greif ihn angreift und so ablenkt, bevor er sich Phönixfeuer nehmen kann, um mit ihm zu Kämpfen. Du schnappst dir dann das Schwert und ab die Post, verstanden?”, erkundige sich Moritz.

„Ja, ist alles klar. Aber es gibt noch was anderes”, meinte Justin.

„Und was?”

„Nun, es tut mir Leid, was ich eben gesagt habe. Das war nicht richtig von mir...”

Moritz lächelte.

„Ist schon gut. Schon längst vergessen.”

Dann gab er das Zeichen, das alle los fliegen sollten.

Ein regelrechter Schwarm Greifen erhob sich und flog auf das Schloss zu. Moritz hielt seinen Greif direkt in der Mitte um möglichst unauffällig zu wirken, direkt vorm Schloss spaltete er sich mit einer kleinen Gruppe ab und flog ins Innere. Jetzt erst verstand Justin, warum sie die ganze Zeit über auf einem der kleineren Greifen geflogen waren, obwohl es viel größere und dementsprechend auch stärkere gegeben hätte. Der Kleine war schnell und wendig, fast unmöglich zu schnappen von einem der Drachen. Außerdem passte er auch durch die schmaleren Gänge, sogar solche, durch die die Drachen nicht mehr könnten, sodass sie die Verfolger immer schnell abgeschüttelt hatten. Janne blieb immer dicht bei ihnen. Moritz und sie kannten sich im Inneren des Schlosses fabelhaft aus, was nun deutlich zu gute kam. Innerhalb von wenigen Minuten waren sie im Thronsaal Angelangt. Theo war sichtlich verdutzt, als plötzlich Janne, Moritz und Justin herein geflogen kamen, doch er fing sich schnell wieder. Er griff zu seinem Schwert, zog es und wehrte den Angriff des Greifen mühelos ab.

„Mist...”, knurrte Moritz, „so werden wir nicht weiter kommen...”

Er warf Janne einen kurzen Blick zu, dann sprang er mitten im Flug vom Rücken der geflügelten Chimäre und stürzte sich mit gezücktem Schwert auf Theo.

„Was hat er denn jetzt vor?”, wollte Justin schreiend von Janne wissen.

„Etwas, das nicht gut gehen kann!”, war die geschrieene Antwort.

Ein plötzlicher Feuerstrahl von einem weißen Drachen, der eben herein gekommen war, ließ Justins Greif eine schnelle Bewegung machen und Justin zu Boden fallen. Noch benommen vom Sturz hob der Drache ihn auf und schnüffelte an ihm herum, wie ein Hund an einem Baum. Nach kurzer Zeit schien er genug gerochen zu haben und ließ Justin abermals fallen. Der wurde von Moritz aufgefangen, der die Szene aus dem Augenwinkel verfolgt hatte und sofort von Theo abgelassen hatte. Er fing den Rotschopf auf und rannte zurück zu ihrem Greif, der mittlerweile gelandet war. So schnell wie noch nie saß er auf dem Rücken des Tieres und deutete, den Rückzug anzutreten. Die Chimäre und der geflügelte Wolf flogen los und sammelten die anderen Verbündeten unterwegs ein. Schon nach wenigen Minuten hatten sie das Schloss verlassen und waren auf den Rückweg. Die Gruppe sprengte sich langsam auf.

„Wo wollen die alle hin?”, fragte Justin, der nun wieder langsam zu sich kam. Der erste Sturz vom Rücken des fliegenden Greif hatte ihn benommen werden lassen.

„Nach Hause. Sie waren nur für diesen Angriff hier, aber der ist ja leider fehlgeschlagen. Na ja, was soll’s, es kann ja nicht immer alles glatt gehen. Wir hatten keine Verluste und dir geht es gut, das ist die Hauptsache”, fand Moritz.

„Was tun wir als nächstes?”, fragte Janne von ihrem Wolf aus.

„Abwarten. Wenn wir Glück habe bringt uns die Zukunft noch eine weitere Chance. Wir müssen einfach abwarten was passiert”, antwortete Moritz.

„Das heißt, wir fliegen jetzt wieder zur Elbenfeste?”, fragte Justin.

Moritz nickte.

„Ganz genau. Von dort aus werden wir dann planen.”

„Also ist die Feste so was wie unser Hauptquartier?”

„Du hast es erfasst”, rief Janne.

Dann herrschte für den Rest des Weges Ruhe, man hörte nur das Rauschen des Windes. Im Innenhof der Feste wurden sie schon erwartet.

„Und? Wie ist es gelaufen?”, wollte Timo sogleich neugierig wissen.

„Nicht gut. Wir haben das Schwert nicht bekommen”, erklärte Moritz.

„Wieso, was ist passiert?”, fragte Sally.

Während sie in den Elbenfestsaal gingen erzählte Moritz was vorgefallen war.

„Das ist ja gehörig schief gelaufen”, meinte Timo.

„Ja und nein. Die Bedingungen waren einfach zu schlecht. Hätten wir Theo vollkommen unerwartet gegenüber gestanden, dann hätten wir Phönixfeuer jetzt, aber na ja. Sich ärgern bringt jetzt auch nichts mehr, also lasst uns abwarten.”

„Wie, was soll das heißen? Habt ihr ihn denn nicht auch überrascht, mit eurem Angriff?“, fragte Timo verwundert.

„Nein. Normalerweise lehnt er sein Schwert gegen die Wand, wenn er es nicht mehr braucht, aber er hatte es um gegurtet. Das heißt, dass er entweder gerade gekommen ist, gerade gehen wollte, oder irgendetwas uns verraten hat, sodass er genug Zeit hatte, Phönixfeuer wieder zu nehmen. Wahrscheinlich haben die Drachen ihn bescheid gegeben, die haben auch mich nämlich keinen sonderlich verblüfften Eindruck gemacht“, erklärte Moritz.

Timo und Sally nickten und Justin stand auf.

„Ich bin müde, ich werde schlafen gehen”, erklärte er und ging. Auf dem Gang traf er Melody, die nicht bei der kleinen Lagebesprechung dabei gewesen war. Wie immer sah sie auf schwer zu beschreibende Art und Weise traurig aus. Justin viel auf, das er sie noch nie hat lachen hören, oder auch nur lächeln. Es war, als könnte sie nicht anders, als immer nur traurig aus zu sehen, als hätte sie das Lachen verloren und nicht wieder gefunden.

„Guten Abend”, begrüßte er sie, doch die Elbe nickte nur und ging weiter.

Sie sprach nur mit Justin wenn es nötig war und auch dann nie mehr als einige Worte. Nur eben die, die unbedingt ausgesprochen werden müssen.

„Warte mal, Melody”, bat der Rotschopf.

Sie wandte sich um und schaute ihn an.

„Habe ich irgendwann einmal etwas Falsches getan oder so? War es die Umarmung, als wir uns das Zweite Mal trafen?”, fragte er.

Sie verneinte lediglich.

„Was dann? Ich verstehe es nicht, warum bist du so?”

„Ich bin wie ich bin”, war ihre antwort.

„Aber ich verstehe es nicht. Du bist immer traurig, wirklichen lachen kannst du doch schon gar nicht mehr. Warum ist das so?”

„Es gibt nichts zu lachen in meinem Leben. Alles was mir Freude brachte hat mir das Schicksaal genommen. Die Herrin will nicht, dass ich lachen kann.”

„Aber das ist doch Schwachsinn! Warum soll ein Gott, der sich um etwa eine Milliarde verschiedener Wesen kümmern muss wollen, dass du nicht lachen kannst? Ich glaube kaum, dass du ihr wichtig genug erscheinst für so was”, meinte Justin.

„Kann sein, aber warum soll ich lachen? Es gibt nichts, was mir Freude macht.”

„Hast du denn keine Freunde? Niemand, der dir hilft, wenn es dir schlecht geht? Niemand, der da ist, wenn du etwas auf dem Herzen hast? Der dich einfach nur mag, egal was ist und was du tust?”

„Wenn ich Hilfe benötige hilft mir Jack, wenn ich jemandem zum reden brauche, spreche ich mit einer der Zofen. Warum sollte es mir schlecht gehen? Mir wird doch jeder Wunsch von den Augen abgelesen. Und Freunde hatte ich, aber sie haben mich verlassen. Alle verlassen mich. Ich werde immer in Einsamkeit leben müssen...”

„Vielleicht ist es ja das, was dich so traurig macht. Reichtum ist nicht alles im Leben. Viele die meinen, sie seien Reich sind in Wirklichkeit arm, denn sie haben nichts in ihrem Leben, was ihnen wirklich etwas bedeutet. Und was deine Freunde betrifft: Sie waren nie wirklich deine Freunde, denn wahre Freunde halten zu einem, komme was wolle. Egal ob in guten Zeiten oder in schlechten. Sie sind immer für einen da und nur der Tod kann sie einen nehmen und manchmal nicht einmal der. Melody, ich würde gerne mit dir befreundet sein, wenn du es nur zulassen würdest und ich bin mir sicher, es geht Timo und Sally genauso wie mir.”

Melody schaute zu Boden.

„Selbst wenn ich es zulassen würde, ihr würdet mich doch irgendwann verlassen. Wie alle, die mir etwas bedeuten...”

„Das ist Schwachsinn. Ich könnte dich niemals verlassen, selbst wenn ich wollte...”, Justin drehte sich um und ging weiter.

„Justin?”

„Ja?”, fragte er über die Schulter.

„Meinst du das ernst?”

Er lächelte.

„Natürlich. Ich meine alles Ernst, was ich sage, und ich glaube, ich habe nie irgendetwas ernster gemeint als dies”, erklärte er und als er über die Schulter zurückschaute sah er Melody zum ersten Mal wirklich lächeln. Es wirkte ungeschickt, wie der Gang eines kleinen Kindes, das erst noch lernen muss, wie man läuft, aber es war ein Lächeln und dieses Lächeln stand der Elbe um Klassen besser, als ihr sonst so trauriges Gesicht. Und es erfüllte Justins Herz mit nie gekannter Wärme. Ohne darüber nach zu denken, fasste er zu der Stelle, an der er Bora trug und erschrak. Der Stein war nicht mehr da. Er tastete seinen ganzen Körper ab, zog sogar seinen Pullover aus und schüttelte ihn kräftig durch, doch der Stein blieb verschwunden.

„Was ist?”, fragte Melody.

„Bora ist weg”, antwortete Justin durch zusammen gebissene Zähne. Er begann auf allen vieren auf dem Boden herumzukriechen und suchte den ganzen Weg ab, Melody half ihm dabei tatkräftig.

So kamen sie in den Festsaal zurückgekrabbelt.

„Was sucht ihr?”, wollte Moritz sogleich wissen, nachdem er erst einmal laut aufgelacht hatte, über diese merkwürdige Formation.

„Ich habe Bora nicht mehr!”, rief Justin verzweifelt. Panik machte sich in ihm breit.

„Was?!”, rief Moritz entsetzt und jede Heiterkeit war wie weggewischt.

Wie auf Kommando krabbelte auch er auf den Boden herum. Sally und Timo taten es ihnen gleich. So suchten sie alle Gänge, Ecken und Winkel ab. Mehrere Stunden suchten sie alle, dann gaben sie es auf. Verzweifelt und erschöpft saßen sie im Elbenfestsaal.

„Tut mir Leid”, murmelte Justin.

„Nein Justin, das muss es nicht, das hätte jeden passieren können”, widersprach Moritz.

„Außerdem konntest du nichts dafür, das muss passiert sein, als du fast bewusstlos warst, als du vom Greif gefallen bist. Ich denke, Susi hat die den Stein abgenommen und gegen einen Drachen kommt niemand an”, stimmte Janne zu.

„Trotzdem, das hätte nicht passieren dürfen!”

„Nein, Justin, hör auf damit, das nutzt jetzt wirklich nichts mehr! Überlegen wir lieber, was wir jetzt tun”, fand Moritz.

„Was können wir denn tun?”, wollte Sally wissen.

„Na ja, einfach mal so anfragen, ob die Bora gefunden haben geht ja leider nicht...”, überlegte Timo.

„Wir müssten genau wissen, wo Bora jetzt ist, wenn wir Glück haben, ist es auf den hin- oder Rückflug verloren gegangen, wenn wir richtig Pech haben, dann im Thronsaal selbst”, überlegte Moritz.

„Und wie finden wir das raus?”, wollte Sally wissen.

„Gar nicht. Also wir nicht, aber es gibt eine Möglichkeit”, meinte Moritz und schaute dabei Justin auf undefinierbare Art und Weise an.

„Mir gefällt dein Blick nicht”, war dessen Kommentar dazu.

„Keine Angst, ich habe nichts schlimmes mit dir vor, aber du kannst herausfinden, wo Bora liegt”, antwortete Moritz.

„Ja, so was in der Richtung hast du schon einmal gesagt”, erinnerte Justin.

„Es ist aber auch so”, Moritz seufzte tief, „ich glaube, dir zu erklären, wie das geht, wird verdammt schwer, so verbohrt wie du bei dieser Sache bist. Nun ja, ich versuche es trotzdem, nachher aber erst.”

„Und was wird, wenn ich nichts sehe? Oder etwas, was uns allen nicht gefällt?”, erkundigte sich Justin.

„Dann meucheln wir dich”, antwortete der Ritter trocken und mit ernstem Gesichtsausdruck.

Justin schaute ihn entsetzt an.

„Mein Gott, was sollen wir denn dann schon tun? Ich meine, du kannst doch nichts dafür. Wir werden dich dann natürlich nicht den Hals umdrehen und dich ertränken, wie einen jungen Hund, das werden wir auch nicht tun. Wir müssen uns dann eben irgendetwas einfallen lassen”, erklärte Moritz.

„Das sollten wir vielleicht auch so, als eine Art Notfallplan”, fand Janne.

„Ja, Plan B falls Plan A schief geht, schon klar”, meinte Sally.

„Ich finde die Idee nicht schlecht. Ich meine, irgendetwas müssen wir auch dann tun und es ist doch besser, wenn wir dann schon einen Reserveplan haben”, meinte Timo.

„Hey, ihr denkt ja richtig mit!”, lobte Moritz.

„Tja auch wir haben was im Kopf”, antwortete Timo.

„Das war mir schon klar, aber bisher habe ich davon noch nicht so viel mitbekommen. Aber egal. Komm mit Justin, wir müssen gewisse Vorkehrungen treffen”, fand Moritz und die Beiden gingen.

Verrat

„Und was tun wir jetzt?”, wollte Janne wissen.

„Warten bis er hier ist”, war Justins Antwort.

„Wie, kommt er hierher?”, fragte Sally.

„Das habe ich doch grad erzählt. Er will bestimmt Drachenwind, dann hat er doch die volle Macht des Windes”, erklärte Justin.

„Also im Klartext: Wir können nur warten und hoffen, das sich noch mal alles zum Guten wendet”, fasste Moritz zusammen.

„Genau”, stimmte Janne zu.

„Hast du vielleicht gesehen, wie das alles ausgeht?”, fragte Timo.

„Nein. Ich sah nur, dass er hierher kommt und dass er Bora hat, dann bin ich aufgewacht”, antwortete Justin.

„Na dann sollten wir uns auf den Angriff der Drachen vorbereiten”, meinte Moritz.

„Da stimme ich zu, so ganz unvorbereitet haben wir doch keinerlei Chancen”, meinte Janne.

„Also los, machen wir uns ans Werk”, forderte Moritz auf.

„Nicht mehr nötig.”

Wie auf Knopfdruck drehten sich alle herum und da saß der Drache auf einem der riesigen Fensterbrett eines der noch riesigeren Fensters und Theo stand vor ihm.

„Buh“, machte er und grinste breit.

Alle sprangen auf.

„Och, ihr könnt ruhig sitzen bleiben, du brauchst mir nur Drachenwind geben”, meinte Theo an Moritz gewannt.

„Vergiss es”, knurrte dieser.

„Na dann”, Theo zuckte mit den Schultern und zog ein Lederband hervor, an dessen Ende Bora baumelte.

Ein scharfer Wind blies ihnen entgegen. Der Drache schaute verblüfft auf den Stein. Er brummte etwas, nahm dann Theo hoch.

„Hey, Susi, was soll das?!”, rief der verwirrt.

Der Drache nahm Bora in seine Klauen, ließ den verdutzten Theo fallen und flog davon. Alle Anwesenden schauten dem Drachen verblüfft nach, keiner konnte so recht verstehen, was gerade eben vorgefallen war.

„Was war das denn?”, fragte Justin verwirrt.

„Ich habe keine Ahnung...”, antwortete Moritz verdutzt.

„Ähehehehehe...”, machte Theo, dem plötzlich sehr bewusst war, das er inmitten des feindlichen Landes stand, aber keinerlei Schutz mehr vorzuweisen hatte.

Moritz ging mit aller Seelenruhe zu dem alten Mann und packte ihn so fest, das Theo keinerlei Chancen hatte, sich aus dem Griff zu winden.

„Hab dich”, grinste der Ritter.

Die Anderen kamen zu ihm.

„Was war das denn”, wollte Sally wissen.

„Wenn ich das wüsste”, murmelte Theo.

„Ach, wie schön! Susi hat sich gegen seinen „Herren” gestellt. Das gefällt mir außerordentlich gut”, kommentierte Moritz.

„Ja, aber das der Drache gegen Theo arbeitet heißt leider noch lange nicht, das er für uns arbeitet”, gab Janne zu bedenken.

„Stell dir vor, das ist mir auch in den Sinn gekommen”, antwortete der Ritter.

„Und was tun wir jetzt?”, wollte Timo wissen.

„Na, den Drachen verfolgen”, meinte Justin als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.

„Das einzige Problem dabei wird sein, das Susi garantiert im Drachenreich ist. Und wer keinen Drachen als Weggefährten hat, der verirrt sich schnell dort, da wirkt nämlich so ein Zauber, dass nur Drachen sicher durch das Land kommen”, meinte Janne.

„Na dann besorgen wir uns doch einen, Theo hat bestimmt genug davon”, meinte Justin.

„Wenn es so leicht wäre. Die Drachen haben doch nie diesem alten Knacker gehorcht, sondern immer nur Susi und das bedeutet, wir sind gerade vollkommen Drachen los”, gab Moritz zu bedenken.

„Sollte trotzdem kein Problem sein, einer meiner Verbündeten ist ein Drache”, meldete sich erstmals Melody zu Wort.

„Echt? Das ist gut, das heißt, es sollte keinerlei Probleme geben”, meinte Justin.

„Die Betonung setzten wir am besten auf sollte. Die Elbenfeste hat leider kein Verlies, was tun wir also mit Theo?”, fragte Moritz.

„Na mitnehmen”, gab Sally zur antwort.

„Was dümmeres ist dir jetzt so auf die Schnelle nicht eingefallen oder wie?”, erkundigte sich Timo.

„Urteile doch nicht vorschnell, ich finde die Idee gar nicht so dumm”, verteidigte Moritz das Mädchen.

„Inwiefern?”, fragte Janne.

„Na ganz einfach, wenn die Drachen, die uns begegnen, werden Hunger haben, dann geben wir ihnen Theo zum fressen, er ist zwar schon ein wenig zäh, aber sie werden ihn trotzdem mögen”, erklärte Moritz mit kindlichem Grinsen und die anderen gaben einen kleinen, lachenden Laut von sich, nur Theo blieb still dun wurde blass im Gesicht.

„Jetzt mal im Ernst, was hast du wirklich mit ihm vor?”, wollte Janne wissen.

„Na ja, ich denke, Susi wird ihm schon häufiger mal mitgenommen haben und vielleicht kann er uns dann irgendwie nützlich sein, mit dem Wissen, das er dann hoffentlich noch hat”, antwortete der Ritter.

„Und wie wollen wir ihn transportieren, ohne das er uns abhaut?”, löcherte Timo.

„Fesseln”, rief Justin.

„In Ketten legen”, stimmte Sally zu.

„Nein, wir nehmen einfach deinen Hund mit, Justin und wenn er zickt, dann darf das Monster ihn fressen, dann tut er bestimmt, was wir wollen”, scherzte nun Janne.

„Alles nicht schlecht, aber leider nicht so leicht durchführbar. Janne, kennst du nicht einen passenden Zauber?”, wollte Moritz wissen.

„Nein, nicht das ich wüsste”, war die Antwort.

„Und du, Melody?”, fragte Timo.

Die Elbe verneinte.

„Und was ist, wenn ich euch freiwillig begleite?”, erkundigte sich Theo.

„Damit du uns hinterrücks erstechen kannst? Vergiss es, mein Guter. Und jetzt komm nicht, von wegen, so etwas würdest du nie tun, das stimmt nämlich nicht. Vergiss niemals, ich hatte ganze zehn Jahre Zeit, dich kennen zulernen. Wenn es dir irgendetwas nutz, dann würdest du deine Großmutter an den Teufel verkaufen, also das läuft nicht”, antwortete Moritz.

„Aber irgendetwas müssen wir doch mit ihm machen”, sagte Sally.

„Ich habe eine Idee. Wir sperren ihn einfach im Turm ein. So haben das die Ritter im Mittelalter gemacht. Wir brauchen nicht einmal Gitter. Nur eine Tür, die allem standhält, was er tun könnte. Wenn er nämlich versucht, aus dem Fenster zu springen bricht er sich mindestens beide Beine, wahrscheinlich aber gleich das Genick”, erklärte Justin.

„Also ich finde die Idee gut”, stimmte Timo zu.

„Finde ich auch, so machen wir es”, fand auch Moritz.

„Na denn, Melody, hol deinen Bekannten und ab die Post”, meinte Justin.

Die Elbe nickte und verschwand.

Shadow

Der Morgen, an dem sie aufbrechen wollten war verregnet. Es hatte Monate gedauert, den Drachen ausfindig zu machen und mittlerweile war es Frühling. Sie saßen alle beisammen im Elbenfestsaal und seid geraumer Weile saß Timo über ein Stück Papier gebeugt da und schrieb irgendetwas, strich wieder etwas durch, schrieb von neuem. Justin trat neugierig zu ihm hin.

„Was rechnest du denn die ganze Zeit?”, fragte er.

„Ich rechen aus, den wievielten wir haben”, antwortete der Schwarzhaarige.

Er machte ein paar Striche auf einem Blatt Papier.

„Hast du es?”, fragte Sally neugierig.

„Ja, der neunzehnte April, wenn ich mich nicht verrechnet habe”, meinte er.

„Ist doch eigentlich egal”, fand Justin.

„Ja, solange wir jetzt endlich mal los können ist es wirklich egal. Wann kommt denn dieser Drache endlich?”, fragte Moritz Melody.

„Er wollte heute ankommen”, konnte sie nur antworten.

In diesem Augenblick kam der Elb Jack herein.

„Cloud ist da”, sagte er lediglich.

Melody, Moritz, Justin, Janne, Sally und Timo gingen in den Hof, wo ein weißer Drache stand. Jedoch sah er anders aus, als die Drachen, denen sie bisher begegnet waren.

„Hallo Cloud”, begrüßte Melody ihn.

„Seid gegrüßt, Herrin der Elben”, grüßte auch der Drache.

„Der hat ja Fell!”, stellte Timo begeistert fest.

„Ja, irgendwie schon”, stimmte Sally zu.

„Also mir ist es so bei weitem lieber, als wenn er Schuppen hätte, mit geschuppten Weißen habe ich so meine schlechten Erfahrungen”, meinte Justin.

„Ich finde, dass er trotzdem merkwürdig ausschaut, mit dem ganzen Fell überall”, erklärte Sally.

Der Drache schaute die drei verwundert an.

„Wer sind sie?”, wollte er wissen.

„Das sind Bekannte. Aus der anderen Welt, deswegen nimm ihnen bitte nicht übel, dass sie leicht verwundert sind, über dein Aussehen, sie sind bisher nur geschuppten Drachen begegnet”, erklärte Melody.

Sally trat zu dem Drachen.

„Also irgendwie siehst du aus, wie Fuchur”, meinte sie.

„Wie wer?”, erkundigte sich Cloud.

„Fuchur. Das ist eine Gestalt aus einem Buch, das es in unserer Welt gibt. Es heißt „Die unendliche Geschichte” “, erklärte Justin.

„Aja? Und ich sehe so aus, wie dieser Fuchur, meinst du?”

Sally nickte: „Ja! Fuchur hat auch so ein wuscheliges Fell und ist auch weiß. Er ist ein Glücksdrache.”

„Ein was?”, Melody sah sichtlich verwirrt aus.

„Das ist ein Drache, der Glück bringt, wenn er über das Land fliegt. So steht es in der Geschichte”, erklärte Justin.

„Lassen wir das, das führt sowieso zu nichts. Außerdem ist viel Zeit vergangen, vielleicht zu viel, wir sollten los”, mahnte Moritz.

„Da hast du recht. Cloud, können wir gleich aufbrechen?”, wollte Melody wissen.

„Wir? Heißt das, du willst mitkommen?”, wollte Justin wissen.

„Ja, aber nur, wenn ihr nichts dagegen habt”, antwortete sie.

„Nein, natürlich nicht!”, war die einstimmige Antwort.

„Gut, aber lasst uns endlich aufbrechen!”, mahnte Moritz abermals.

„Ja, bleib locker”, fand Sally.

Moritz knurrte etwas unverständliches. Er brauchte nur eine Kopfbewegung machen und sofort gehorchten alle und kletterten auf die Rücken der Greifen, die ebenfalls schon im Hof standen. Alle, außer Janne, die wie immer auf ihrem Wolf flog. Der Weg war weit, jedoch deutlich kürzer, als sie alle angenommen hatten, denn schon nach etwa einem Monat standen sie an der Grenze zum Reich der Drachen.

„Ich denke, hier ist es besser, nicht mehr zu fliegen, denn im Flug sehen uns die Drachen zu schnell”, erklärte Moritz und ließ die Greifen frei, nachdem die anderen zugestimmt hatten.

„Wollen wir noch ein wenig Wandern, bis es Nacht ist, oder schlagen wir sofort unser Lager auf?”, wollte Sally wissen.

„Ich weiß nicht, was ist euch lieber?”, wollte Moritz von der Gruppe wissen.

„Wir wandern noch ein Stück”, wollte Justin.

„Ich denke, es ist besser, wenn wir jetzt schon unser Lager aufschlagen, dann müssen wir es nicht in der Dunkelheit tun”, war Timos Meinung.

„Ich stimme mit Timo überein”, erklärte Melody.

„Ich auch, ich denke, ob wir jetzt noch ein paar Stunden früher oder später ankommen macht auch keinen unterschied mehr”, meinte Sally.

Und Justin widersprach der Übermacht der Meinungen nicht. So begannen sie damit, ihr Lager auszuschlagen. Es war schon dunkel, als er sich wieder meldete.

„Seid mal alle ruhig”, sagt er plötzlich.

„Warum? Was ist denn, hast du etwas Verdächtiges gehört?”, fragte Janne und lauschte sofort in die Nacht hinein.

„Ich weiß nicht, kann sein, dass es nur der Wind war, der in den Bäumen bläst, aber irgendetwas habe ich gehört”, meinte der Rotschopf zur Antwort und fast schon geisterhafte Stille bildete sich, als die Anderen ebenfalls zu lauschen begannen.

Ein leises, kaum hörbares Rascheln durchdrang die Stille. Timo und Justin warfen sich einen Blick zu und deuteten den Anderen, das sie sich nicht rühren sollten, dann gingen beide auf das Geräusch zu. Sie teilten sich auf dem Weg zu einem Busch und jeder kam von einer anderen Seite um das Gestrüpp herum, doch auf halber Höhe wurde Timo von einem schwarzen Schatten angegriffen. Das Wesen, was auch immer es war, warf ihn zu Boden und kratzte und biss auf den armen Jungen ein, als wären die Beiden Todfeinde. Timo war im ersten Moment viel zu verdutzt darüber, um sich zu wehren, denn er hatte nicht mit einem Angriff gerechnet. Auch Justin schaute im ersten Moment einfach nur verblüfft, dann stürzte er sich jedoch mit in das Getümmel und nach kurzer Zeit hatten die Beiden Jungen den Schatten bezwungen, bevor die Anderen eingreifen mussten. Justin verdrehte den Arm des Wesens so, das es sich nicht mehr wehren konnte und schob es hinaus ins Licht des aufgehenden Vollmondes, denn bisher waren sie im Schatten eines großen Baumes gewesen.

Das, was er da festhielt war ein Chito. Wie Timo hatte er katzenhafte Ohren und die Flügel einer Fledermaus. Seine Kleider waren wie die von Moritz aus Leder und hatten ihn vor den scharfen Krallen Timos geschützt. Das Haar war kurz und haselnussbraun, die Augen groß und sahen aus, wie die einer Katze. Selbst die Pupillen waren geschlitzt und die Iris leuchteten in einem smaragdenen Grün Der Chito fauchte Justin an.

„Wer ist das denn?”, fragte Moritz verwundert.

„Na, ein Chito”, antwortete Justin besserwisserisch, aber auch er war verwundert. Wer erwartete auch schon ein solches Wesen in einem Reich voller Drachen? Zumal sie ja alle wussten, das Chito generell alles andere als häufig auftauchende Wesen waren.

„Das ist uns schon klar”, gab Sally zur antwort.

„Aber was macht sie hier, wie heißt sie und wo kommt sie her?”, fragte Timo.

„Sie? Das ist doch ganz klar ein Er”, widersprach Janne.

„Nein, das ist ein Mädel, da bin ich ganz sicher”, antwortete Timo.

„Und wieso?”, wollte Justin wissen, „ich hätte ihn jetzt auch als Kerl eingeordnet. So wie er zuschlagen kann…”

„Nein, es ist eine sie, das hab ich gespürt”, gab Timo zurück.

„Also wirklich, Timo, da grapscht man doch nicht!”, tadelte Sally entrüstet.

„Durch das Leder würde er gar nichts spüren”, verteidigte Moritz den Chito.

„Aber wie hat er es dann gespürt?”, wollte Janne wissen.

„Na ja... ich weiß es einfach...”, Timo zuckte mit den Schultern, „so wie Justin den Weg hierher kannte, obwohl er ihn niemals zuvor gegangen war.“

„Wie wäre es, wenn ihr einfach fragt?”, knurrte der Chito und versuchte sich aus Justins Griff zu winden.

„Oh, genau, gute Idee”, lobte Justin, packte dabei noch fester zu.

„Na dann, bist du ein Junge oder ein Mädchen?”, erkundigte sich Sally.

„Natürlich ein Kerl, oder hört sich ein Mädel so an, wie ich?”, brummte er.

„Stimmt, das muss man zugeben, er hört sich echt an, wie ein Kerl...”, stimmte Justin zu.

„Ja, okay, dann habe ich mich halt getäuscht, kann doch jedem mal passieren”, murrte Timo.

„Bleiben trotzdem noch genug Fragen offen. Wer bist du und was machst du hier?”, fragte Moritz.

„Ich wohne hier”, fauchte der Chito, „was dagegen?“

„Hier? Im Drachenland? Wie soll denn das gehen?”, erkundigte sich Janne.

„Es geht gut. Ich bin hier aufgewachsen, ich kenn mich hier aus und die Drachen tun mir nichts”, antwortete er.

„Und wie heißt du?”, fragte Justin.

„Shadow”, antwortete der Chito.

„Shadow? Der Name hört sich geil an!”, fand Sally begeistert.

„Kann sein. Nur, was machen wir jetzt mit ihm, ich kann ihn nicht ewig so festhalten, er ist stark”, erklärte Justin.

„Kannst mich ja auch los lassen”, meinte Shadow.

„Nein, das geht ja nicht, weil wir damit rechnen müssen, dass du dann wahrscheinlich gleich wieder tobst”, überlegte Janne.

„Genau, nächste Fragen, warum hast du die Beiden überhaupt angegriffen?”, wollte Moritz wissen.

„Weil ihr Feinde seid! Alle, die mit den Drachen zu tun haben sind böse, sie sind meine Feinde”, knurrte Shadow.

„Aber wir haben doch nichts mit den Drachen zu schaffen, Cloud ist eine Ausnahme, er bringt uns zu Susi, damit wir Bora wieder bekommen”, erklärte Justin.

„Ihr steckt mit den Drachen nicht unter einer Decke und sie haben den Windstein?”, hakte Shadow nach.

„Du hast es kapiert”, lobte Sally.

„Kann ich euch das auch glauben?”, murmelte Shadow.

„Kannst du“, antwortete Justin und der Chito schaute ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an.

„Ich kenne dich, aber das kann nicht sein. Du bist zu jung, er müsste jetzt schon viel älter sein“, murmelte er vor sich hin und Justin schaute ihn fragend an.

„Nun, ich vertraue darauf, dass ihr die Wahrheit sagt, entschuldigt mein Handeln. Es diente nur der Selbstverteidigung, hatte nichts mit euch zu tun“, sagte der Chito dann laut.

„Gerade eben hast du noch gesagt, das die Drachen dich in ruhe lassen“, bemerkte Janne.

„Tun sie auch im großen und ganzen, aber Ausnahmen bestätigen eben die Regel“, antwortete Shadow bissig.

„Ich glaube, du kannst ihn loslassen, Justin”, überlegte Moritz.

Der Rotschopf tat wie ihm geheißen und der Chito begann damit, seine Handgelenke zu massieren. Durch das Training hatte Justin mittlerweile einen harten Griff drauf

„Ich glaube, du kannst uns sogar helfen, Shadow”, meinte Janne, „das heißt, wenn du uns helfen willst.“

„Wenn es den Drachen schadet bin ich dabei”, gab der zurück.

„Das ist gut. Du kannst doch bestimmt die Drachenzauber, oder?”, erkundigte sich Moritz.

„Ja, aber nicht sehr gut, die Drachen töteten meinen Vater, bevor er mir alles beibringen konnte”, erklärte er.

„Welche kannst du denn?”, wollte Janne wissen.

„Den Fänger und den Töter”, war die Antwort.

Janne und Moritz schauten ihn verblüfft an.

„Die Beiden Schwersten kannst du, aber die ganz leichten nicht, oder wie?”, fragte letzteres.

„Ja und? Warum braucht ihr eigentlich mich für die Zauber, ihr habt doch auch einen Chito”, Shadow deutete auf Timo.

„Ja, schon, aber der kann noch nicht mal richtig fliegen, also mit den Zaubern lassen wir da besser”, fand Sally.

„Hey, ich kann sehr wohl richtig fliegen!”, widersprach Timo sofort entrüstet.

„Genau, und ich bin der Osterhase”, grinste Justin.

„Danke, fallt mir doch alle gleich in den Rücken”, knurrte Timo.

„Sei doch nicht gleich beleidigt”, fand der Rotschopf.

Timo streckte ihm die Zunge raus.

„Okay, jetzt habt euch wieder alle lieb und lasst uns weiterfragen”, unterbrach Moritz die Beiden.

„Ja, okay, dann frag mal”, gab Justin zurück.

Moritz warf Justin einen mahnenden Blick zu, dann gehörte seine ganze Aufmerksamkeit wieder Shadow.

„Also, wir wollen einfach nur Bora wieder zurückbekommen Hast du eine Idee, wo Susi es hingebracht hat?”

„Also Susi hat es wohl seinem Herren gebracht”, war Shadows antwort.

„Wie, welchen Herren?”, Janne war sichtlich verwundert.

„Na, der Todesgott”, antwortete Shadow in einem Ton, als würde das schon alles erklären.

„Welcher Todesgott?”, erkundigte sich Justin.

„Genau, welcher Todsgott?”, wollte Moritz wissen.

„Ihr habt noch nie etwas vom Todesgott gehört?”, Shadow war erstaunt.

„Nein, wer oder was ist das?”, fragte Janne.

„Er ist der, den die Herrin sich als Gemahl auserkoren hat. Ein Mensch aus der anderen Welt. Sie hat ihn unvorstellbare Macht gegeben und er ist ihr erlegen. Er nutzt seine Macht, um die Drachen zu befehligen, doch das reicht ihm nicht. Er will die Elemente beherrschen, deswegen lässt er seine Drachen überall nach den Schwertern und den Steinen suchen. Meines Wissens nach ist Bora aber erst der erste Stein, den er hat und von den Schwertern hat er gar keines”, erklärte der Chito.

„Ich weiß gerade nicht, ob ich jubeln oder in Tränen ausbrechen soll...”, war Moritz Kommentar.

„Geht mir genauso...”, antwortete Janne.

„Dann brecht lieber in Tränen aus, einem Gott den Stein abnehmen ist fast unmöglich”, Shadow zuckte mit den Schultern.

„Weist du, wo der Gott sich aufhält?”, fragte Moritz.

„Klar. Wenn er nicht bei der Herrin ist, dann ist er bei den Drachen im Schloss”, erklärte Shadow.

„Okay, dann nichts wie hin, zum Schloss”, meinte Janne.

„Aber die Nacht sollten wir uns ausruhen”, fand Moritz.

Die anderen nickten.

„Shadow?”, wandte sich Janne noch mal an den Chito.

„Ja?”, fragte er.

„Wirst du uns begleiten?”

Er nickte.

„Ja und sei es nur, um einen meiner Artgenossen zu schützen”, erklärte er und deutete auf Timo, „auch Unfähigkeit muss bewahrt werden.“

Abgesehen von Timo entlockte dieser eine Satz allen einen riesigen Lacher.

„Das war jetzt so richtig fies“, griente Justin und die anderen nickten zustimmen, was jedoch keinen davon abhielt, noch breiter zu grinsen…

Ein Spiel

„Ist der Weg noch sehr weit?”, wollte Sally wissen.

„Ja”, antworteten Shadow und Cloud gleichzeitig.

Sally brummte zur Antwort etwas unverständliches und schaute auf ihr schmerzenden Füße. Sie war die viele Bewegung nicht mehr gewohnt, denn in der Elbenfeste hatte sie sich kaum bewegen müssen.

„Ach, Jammer nicht, Sal”, fand Justin. Er war noch genauso gut gelaunt wie am Morgen und ging damit allen auf die Nerven.

Timo dagegen gähnte kräftig.

„Hätten wir nicht noch ein bisschen länger schlafen können?”, wollte er wissen.

Moritz schaute ihn an, als wäre Timo nicht mehr ganz richtig im Kopf.

„Noch länger?! Das war doch schon viel zu lange!”, rief er entrüstet.

Timos neuerliches Gähnen machte deutlich, was er von Moritz’ Antwort hielt.

Shadow lachte.

„Ihr seid schon ein merkwürdiger Haufen”, fand er.

„Ach, wirklich? Findest du?”, hakte Justin nach.

„Ja, allerdings.”

Justin lachte: „Machen wir echt einen so schrägen Eindruck auf dich? Und das jetzt schon, wo wir noch gar nicht richtig losgelegt haben?”

Shadow nickte. Justin grinste frech, doch dann erregte etwas seine Aufmerksamkeit und zum zweiten mal innerhalb kürzester Zeit legte er lauschend den Kopf auf die Seite.

„Was ist?”, fragte Moritz sogleich.

„Ich dachte, ich hätte einen Schrei gehört”, meinte Justin, „war aber wohl falscher Alarm.”

„Nein, war es nicht, da hat jemand geschrieen”, meinte Shadow.

„Wieso bist du dir da so sicher?”, wollte Sally wissen.

„Chito haben normalerweise sehr gute Ohren”, erklärte er.

„Ach so. Die Betonung aber deutlich auf normalerweise”, überlegte Justin mit einem vielsagenden Seitenblick auf Timo, der zum dritten mal gähnte.

„Aber ist ja egal, wer auch immer da geschrieen hat, wir müssen ihm helfen”, fand der Rotschopf.

„Das wäre Selbstmord, hier in der Gegend hat man nur Grund zum schreien, wenn auch etwas wirklich Gefährliches da ist”, erklärte Shadow.

„Ja, gerade deswegen!”, Justin ging ein Stück des Weges zurück und schaute seine Begleiter erwartungsvoll an, doch niemand schien ihm helfen zu wollen.

„Hey, Leute, was ist los? Da braucht jemand Hilfe und ihr wollt es einfach so ignorieren?”, versuchte Justin am Gewissen seiner Gefährten zu Appellieren.

Shadow seufzte: „Okay, ich helfe dir.”

„Ich auch”, meinte Timo und trat zu ihnen.

„Und wir warten hier und sammeln später eure Reste auf, aber beeilt euch mit dem Sterben”, knurrte Moritz.

Justin steckte ihm die Zunge raus, dann liefen die drei Jungen in die Richtung, aus die der Schrei gekommen war. Schon nach einiger Zeit waren sie am Rande einer Schlucht abgekommen. Sie schauten hinab und sahen Susi und ein junges, braunhaariges Mädchen. Ihre Kleider hingen in Fetzten und ihre Schwingen waren blutverschmiert.

„Was ist das denn? Auch eine Elbe?”, fragte Timo, als er sie sah.

„Bestimmt. Wohl so was ähnliches wie Melody”, antwortete Justin.

„Ist doch egal, was sie ist, sie ist auf jeden Fall verletzt und Susi ist nicht gut gelaunt. Das heißt, sie wird nicht mehr lange zu leben haben”, erklärte Shadow.

„Und was tun wir jetzt am besten?”, wollte Timo wissen.

„Ganz einfach. Sobald Susi weg ist holt einer von euch Beiden sie dort raus”, antwortete Shadow. Dann stieß er sich ab und flog auf den Drachen zu, bevor einer der anderen Beiden etwas sagen konnte. Wie ein Racheengel stürzte er sich mitten im Flug auf das weiße Ungeheuer. Der war im ersten Moment verwirrt über die plötzliche Störung, aber schon nach wenigen Sekunden stieß er einen Feuerstrahl in Richtung Shadow, aber der Chito wich geschickt aus, stürzte sich dann wieder auf den Drachen. Wie eine nervende Fliege, die einem partout nicht in ruhe lassen möchte So lockte er das Ungetüm nach und nach weg und schon bald waren sie außer Sichtweite. Justin stürzte sofort die Schlucht hinunter.

„Hey du”, sagte er zu dem Mädchen, die schaute ihn verwirrt und ängstlich an.

„Komm mit, solange Susi nicht da ist”, forderte Timo sie auf, denn auch er war die Schlucht hinab gelaufen.

„Aber ihr gehört doch auch zu den Drachen!”, rief die Brünette ängstlich.

„Nein, im Gegenteil, wir arbeiten gegen die Drachen, deswegen hat Shadow ihn auch weggelockt, damit wir dich befreien können”, erklärte Justin knapp.

Das Mädchen schaute ihn noch kurz unsicher an, dann folgte sie den beiden Jungen. Sie liefen aber nur ins Unterholz zurück, um dort auf Shadows Rückkehr zu warten. Sie befürchteten schon, dass der Chito gefangen wurde, doch bevor sie sich auf die Suche nach ihm begeben konnten, kam er aus dem Dickicht hervor.

„Weg hier”, waren seine einzigen Worte und die anderen sprangen sofort darauf an, sodass sie nun zu viert zu ihrer Gruppe zurückkehrten. Die wartete schon gelangweilt auf die Rückkehr der drei Jungen, Sorgen hatte sich augenscheinlich keiner gemacht

„Na, Rettungsaktion erfolgreich verlaufen?”, fragte Moritz schon von weitem.

Das Mädchen blieb plötzlich wie angewurzelt stehen. Ihre Augen wurden immer größer.

„Melody!”, rief sie und sprang der schwarzhaarigen Elbe in die Arme.

Die sah verwirrt aus und schob das Mädchen ein Stück von sich weg und betrachtete sie.

„Kennen wir uns?”, fragte sie dann.

Die Jungen warfen sich untereinander einen fragenden Blick zu. Das Mädchen schaute verwundert.

„Erkennst du mich denn nicht mehr? Okay, ist schon eine ganze Zeit her, dass wir uns das letzte Mal gesehen haben, aber du musst dich doch an mich erinnern!”, fand sie.

„Aber ich weiß nicht, wer du bist. Überhaupt habe ich mit so gut wie niemanden der außerhalb der Elbenfeste lebt, überhaupt etwas zu tun”, erklärte Melody.

„Aber ich bin es doch! Melody! Du kannst doch mich nicht einfach vergessen! Das geht einfach nicht!”, rief das Mädchen.

„Wie heißt du denn eigentlich?”, wollte Sally wissen.

„Na, Kit natürlich!”, war die Antwort des Mädchens.

Auf Melodys Gesicht machte sich verblüffen breit.

„Kitty? Bist das wirklich du?”, fragte sie ungläubig.

„Ja, wer denn sonst?”, Kit schaute die Elbe mit strahlenden Augen an.

Melody umarmte das Mädchen stürmisch.

„Was ist denn jetzt kaputt?”, fragte Justin verwundert über diese plötzliche Begeisterung, aber er erhielt nur ein Schulterzucken zur Antwort.

„Wer ist sie?”, wollte nun auch Timo wissen.

Melody ließ Kit los.

„Meine kleine Schwester”, antwortete sie, dabei sah sie so glücklich aus, wie noch nie.

„Du hast eine Schwester?”, nicht nur Sally war verblüfft über diese Nachricht.

Melody nickte.

„Ich unterbreche das glückliche Beisammensein nur ungern, aber wir sollten vielleicht weiter”, mischte sich Shadow ein und auch der Drache Cloud gab ein zustimmendes Brummen von sich.

„Da hast du recht, euer Beisammensein tun wir besser feiern, wenn es genug Zeit dazu gibt, also Abmarsch”, kommandierte Moritz.

Brav, aber dennoch mit sichtlichem Widerwillen, gingen alle weiter. Es dämmerte schon, als Shadow ihnen deutete, stehen zu bleiben.

„Wir sind gleich da”, erklärte er.

„Schon?”, fragte Timo verblüfft.

Keiner antwortete ihm. Sie traten aus dem Unterholz und vor ihnen erhob sich die Burg der Drachen.

„Okay, wie soll es jetzt weitergehen?”, fragte Janne.

„Einfach gehen”, antwortete Shadow.

„Genau, damit sie uns einfangen”, meinte Sally sarkastisch.

„Was wollt ihr sonst machen? Hier warten und hoffen, das der Todesgott selbst herkommt und euch den Stein freiwillig gibt? Ich glaube kaum, dass er das tun wird”, erklärte der Chito aggressiv.

„Ich muss sagen, da hast du recht, aber wir können da doch schlecht einfach reingehen, ohne Plan und alles. Das wäre meinem Erachten nach nicht sonderlich intelligent”, fand Melody.

„Genau, also was tun wir jetzt”, Moritz wandte sich der Truppe zu.

Alle dachten sichtlich angestrengt nach

„Ich glaube das erledigt sich gerade von selbst”, sagte Justin dann nach einer Weile und deutete in Richtung der Burg.

Ein junger Mann, etwas im Alter von Justin und Timo, ritt auf sie zu. Er kam Justin unbeschreiblich bekannt vor, aber er konnte das Gesicht trotzdem nicht einordnen. Das nachtschwarze Haar war lang, aber nicht so lang wie das des rothaarigen Jungen, die Augen glänzten kalt und silbern wie der Vollmond. Bora trug er um den Hals, der Windstein hob sich stark von der schwarzen Kleidung ab. Er ließ sein schwarzes Pferd anhalten und stieg ab.

„Der Todesgott”, flüsterte Shadow, doch er hätte es nicht sagen müssen, alle hatten instinktiv gespürt, wer dort vor ihnen stand.

„Ich habe euch erwartet”, sprach der junge Mann, kaum war er bei ihnen Angleangt

Justin ging ihm ein paar Schritte entgegen.

„Ach, wirklich? Sicher weist du dann auch, weswegen wir hier sind, oder?”, fragte er.

Der Todesgott nickte.

„Natürlich, Justin. Du willst Bora. Glaube mir, ich würde dir den Stein sofort geben, aber dann kann ich mein Vorhaben nicht mehr beenden. Deswegen wirst du warten müssen, bis ich Bora nicht mehr benötige. Du kannst mir natürlich auch helfen, dann geht es schneller”, bot er an.

„Helfen? Wobei denn?”, Justin wirkte selbstsicher, dabei bebte er innerlich vor Angst.

„Na, dabei, aus dieser unfreundlichen Welt voll Leid und Tod ein Spiel zu machen. Jeder hier soll glücklich sein. Und wer ist glücklicher als beim Spiel mit einem guten Freund?”

Justin schaute nachdenklich zu Boden.

„Wie?”, fragte er dann.

„Mithilfe der Elemente. Dir zu erklären, wie das geht wäre viel zu kompliziert, ein Mensch wie du würde es niemals begreifen”

„Schön und gut, die Welt zu einem besseren Ort zu machen, aber was ist mit denen, die mit der jetzigen Welt zufrieden sind, so wie sie ist? Die, die nicht wollen, dass sie zu einem Spiel wird? Was tust du mit denen?”

„Die dürfen sich dann in der Totenwelt ihre Wünsche erfüllen.”

Justin lachte bitter.

„Vergiss es. Mal ganz davon abgesehen, dass ich einer der wäre, die du dann umbringen würdest, finde ich, dass man der Evolution nicht ins Handwerk pfuschen darf. Sie hat die Welt bestimmt nicht Grundlos so gemacht, wie sie ist. Also werde ich dich gewiss nicht machen lassen, was du willst. Gib mir Bora wieder”, forderte er.

„Das kann ich aber nicht so ohne weiteres tun, aber ich habe eine Idee, machen wir ein Spiel daraus! Wir spielen um den Windstein.”

„Aber ich will nicht spielen! Ich will den Stein haben!”, Justin wurde wütend.

„Du hast aber keine andere Wahl, mein Lieber. Entweder spielen wir, oder du wirst Bora nicht mehr wieder sehen”, meinte der Todesgott.

Justin knurrte etwas unverständliches.

„Okay, ich habe anscheinend keine andere Wahl. Was für ein Spiel willst du spielen?”

Der junge Mann lachte.

„Du und deine Freunde, ihr sollt einfach alle meine Aufgaben lösen. Mehr nicht. Wenn ihr es schafft, dann bin ich so etwas wie der Endboss. Sieh es als eines der Rollenspiele, die du so gerne spielst”, meinte er mit einem lächeln um die Mundwinkel.

Man sah Justin deutlich an, dass es hinter seiner Stirn arbeitete.

„Was passiert, wenn ich sozusagen „Game Over” gehe?”, fragte er.

„Dann bist du Tod, du hast keine Ersatzleben und speichern kannst du auch nicht. Aber ich mache es dir auch nicht allzu schwer. Ich muss jetzt leider wieder gehen, aber wenn du willst, dann tritt ein”, forderte der Todesgott den Rotschopf auf und trat einen Schritt zur Seite. An der Stelle, wo er gestanden hatte, erschien ein schwarzes Loch in der Luft.

„Wenn du dort durchgehst, dann gelangst du in den ersten Level und das ist wirklich nicht schwer, aber du kannst danach nicht mehr zurück. Ebenso wenig, wie deine Freunde, sollten sie dich begleiten. Sobald sich jemand dir anschließt, gibt es kein entkommen mehr vor unserem Spiel, außer dem Ende, und das kann bitter enden. Du hast nur eine Stunde Bedenkzeit, dann schließt sich das Tor”, erklärte er.

„Was tust du, wenn ich nicht durchgehe?”, wollte Justin noch wissen.

„Meinen Heeresführer erschlagen und glaube mir, das wird auch dir nicht gut bekommen. Außerdem müssen dann auch noch deine Freunde dran glauben, aber ich bin dann noch so gnädig, das du zuerst sterben wirst und den Tod deiner Freunde nicht mehr miterleben musst”, antwortete der Todesgott, während er auf den Rücken seines Pferdes kletterte und dann im gestrecktem Galopp davon fegte.

Justin ging wieder zu seinen Begleitern.

„Habt ihr alles gehört?”, fragte er bloß.

„Natürlich. So weit weg ward ihr ja nicht und laut genug habt ihr auch gesprochen. Aber dir schien nicht ganz klar gewesen zu sein, dass du mit einem Gott gesprochen hast”, fand Moritz.

„Doch. Das war mir jede Sekunde über klar, aber irgendwie habe ich gewusst, dass er mir nichts tun würde, egal, was ich getan hätte”, antwortete Justin.

„Sei froh, dass es auch so war”, fand Timo.

„Bin ich, das kannst du mir glauben. Aber da ihr alles gehört habt, helft mir. Was soll ich tun?”, Justin ließ sich zu Boden fallen, landete mit einem dumpfen Laut im Gras.

„Ich an deiner Stelle würde das Spiel auf Leben und Tod spielen”, antwortete Moritz.

„Ja, so hast du wenigstens die Chance, zu überleben”, stimmte Timo zu.

Justin nickte.

„So ähnlich habe ich auch gedacht...”, murmelte er.

„Warum redet ihr nur darüber, was Justin tun soll, was wollt ihr denn tun?”, mischte sich Melody ein.

„Da hat sie Recht”, fand auch Shadow, „und deswegen will ich euch verraten, was ich tun werde.”

Die Blicke richteten sich auf den Chito.

„Ich werde dich begleiten, Justin. Egal, was du tun wirst, ich werde dich begleiten”, meinte er.

„Aber du kennst ihn doch kaum, warum willst du dein Leben aufs Spiel setzen für jemanden, den du nicht einmal kennst?”, erkundigte sich Sally misstrauisch.

„Nun, er sieht jemandem unglaublich ähnlich, den ich mal gekannt habe. Vor allem die Augen, aber es ist schon mehr als zehn Jahre her. Der Mann damals war schon älter als du jetzt, Justin, also kannst du es nicht sein, aber du siehst ihm so unglaublich ähnlich und deswegen will ich dich begleiten und dich als eine art Stellvertreter für den Mann vor ein paar Jahren ansehen. Er hat mir das Leben gerettet und ich will mich Revangieren. Außerdem will ich mein Schicksaal alleine bestimmen, und es nicht vom Erfolg oder Misserfolg einer einzigen Person abhängig machen”, erklärte Shadow.

Justin warf einen kurzen Blick zu Moritz, der bemerkte ihn aber sofort.

„Ich muss dich enttäuschen, Justin, ich bin nicht der Kerl, von dem Shadow spricht. Ich kann es nicht sein, denn Shadow sagte, vor mehr als zehn Jahren, ich weiß aber seid gerade mal zehn Jahren von diesem Ort”, meinte der sofort.

Justin zuckte mit den Schultern.

„An sich ist es mir egal, war ja auch nur ein flüchtiger Gedankensprung. Aber ich find es gut, dass du mich begleiten willst, Shadow”, erklärte er.

„Justin, das, was du mir vor einiger Zeit sagtest, das will ich dir nun zurückgeben”, erklärte Melody plötzlich.

Justin lächelte wissend, die anderen sahen verwirrt aus.

„Was hat er denn zu dir gesagt?”, wollte Sally wissen und deutlich schwang die Eifersucht in ihrer Stimme mit.

Justin schüttelte den Kopf und deutete der Elbe mit einer Geste, nichts zu verraten.

„Das ist und bleibt unser kleines Geheimnis. Auf jeden Fall wären wir somit schon zu dritt”, meinte er.

„Zu viert. Ich werde dich nämlich auch begleiten”, korrigierte Moritz.

Sally und Timo warfen sich einen kurzen Blick zu.

„Wir sind auch dabei”, erklärten sie.

Janne und Kit schauten in die Runde.

„Okay, wir sind dann wohl zwangsläufig auch mit von der Partie”, erklärten die Beiden, sahen aber nicht allzu begeistert aus.

„Auf mich werdet ihr verzichten müssen, ich habe anderweitig zu tun, aber ich bin mir sicher, dass ihr alle Abenteuer überstehen werdet”, erklärte Cloud, der die ganze Unterhaltung still mitverfolgt hatte. Nachdem er kurz zum Abschied genickt hatte, stieß er sich von der Erde ab und flog davon

„Okay, dann lasst uns gehen”, sagte Justin.

Sie standen auf und traten nacheinander durch das Tor, nicht wissend, was sie erwarten würde…

Basiliskentreffen

Shadow schleppte sich immer weiter. Schon seid Stunden quälte er sich durch die Hitze einer wüstengleichen Landschaft. Um ihn herum war nur Stein und ab und an ein verdorrtes Büschel Gras. Das letzte mal, dass er etwas getrunken hatte, war schon Stunden her. Shadow war an Ende seiner Kraft. Er stolperte und viel hin, doch er versuchte gar nicht erst, wieder hoch zu kommen, sondern er blieb einfach liegen, eine ganze Weile, dann hörte er das Geräusch von Klauen auf trockenem Stein und als er sich auf den Rücken drehte, war hinter ihm etwas, was nach einen Löwen aussah, doch hatte dieses Exemplar, wie er selbst, die Flügel einer Fledermaus und die Reißzähne eines Säbelzahntigers. Den Skorpionenschwanz machte das Bild der Chimäre perfekt, es war ein Manticor, der dort stand. Shadow hatte so ein Wesen vor langer Zeit schon einmal gesehen und so wusste er, das er, wenn das Wesen jetzt angriff, nicht mal die Idee einer Chance hatte, doch der Manticor sah nicht so aus, als wolle er ihn zum Mittagessen verspeisen. Er trat zu dem Chito und schnüffelte interessiert. Shadow schloss die Augen um auf sei Ende zu warten, doch das Wesen biss nicht zu. Im Gegenteil, er stupste den Jungen auffordernd an, was Shadow zu einem unwilligen Grunzen verleitete, zu mehr jedoch auch nicht. Doch der Manticor gab nicht so einfach auf, sondern stupste ihn weiter an. Shadow versuchte nun doch, sich noch einmal hoch zu kämpfen, doch er schaffte es nicht. Plötzlich hob der Manticor lauschend den Kopf und sprang dann davon. Shadow sah einen Schatten, der sich über ihn beugte, dann sah er auch dieses Monster, vor dem selbst der Manticor geflohen war. Er hatte so ein Wesen noch nie zuvor gesehen und doch wusste er, dass es ein Basilisk war. Sein Vater hatte häufig von diesem Wesen erzähle. Es erinnerte an ein Huhn, zumindest der Kopf, der Körper war dagegen der einer Schlange. Die geschlitzten Pupillen waren auf ihn gerichtet und Shadow schluckte schwer. Er wusste, dass das Schlangenwesen nicht so „harmlos” sein würde, wie der Manticor und er wusste, das er ihm nicht direkt in die Augen schauten durfte. Aus dem Augenwinkel sah er, wie sich das Schwanzende hob und sich blitzschnell auf ihn zu bewegte. Das Letzte, was er bewusst wahrnahm war, dass er durch die Luft geschleudert wurde und hart aufkam, dann versank die Welt um ihn herum in schwärze.

Frauengespräch

Sally warf einen vorsichtigen Blick über die Kante, bereute es jedoch gleich wieder. Es ging wirklich sehr tief hinunter. So tief, dass sie den Boden nicht sah, den er verschwand hinter einem Dunstschleier. Sie kroch wieder in die Mitte des Plateaus. Seufzend schaute sie sich um. Sie hatte keine Lust, noch viel länger hier oben zu bleiben, doch wie es aussah hatte sie keine andere Wahl. Runter klettern ging nicht und fliegen konnte sie ja auch nicht.

„Sally!”, rief eine ihr bekannte Stimme und als sie sich umschaute sah sie Melody, die auf sie zugeflogen kam.

„Oh Melody! Endlich treffe ich mal hier jemanden!”, rief Sally der Elbe entgegen, die landete geschickt.

„Geht mir genauso, ich fliege schon seid Stunden hier herum. Überall nur solche Plateaus und sonst nichts. Da unten bin ich noch nicht gelandet, weil ich mir dachte, von hier oben habe ich einen besseren Ausblick”, antwortete sie.

„Gut, das du nicht runter geflogen bist, wer weiß, wie lange ich hier oben sonst noch hätte sitzen müssen. Bringst du mich runter? Ich fühle mich hier oben nämlich extrem unwohl, ich habe Höhenangst”, erklärte das blonde Mädchen.

„Ich weiß nicht, ob ich das schaffe, aber ich versuche es”, antwortete Melody und nahm Sally unter die Achseln. So versuchte sie zu fliegen und schaffte es auch irgendwie, aber immer nur Plattform zu Plattform, immer tiefer hinab, bis sie irgendwann den Erboden sahen. Nach mehr als zwei Stunden konnte Melody dann Sally endlich auf der Erde absetzen

„Wie kann man sich das nur freiwillig antun?”, fragte die, nachdem sich ihr Magen ein wenig erholt hatte und sie nicht mehr so ganz grün war, um die Nase herum

„Nun, ich fliege schon seitdem ich ganz klein bin, da kann man gar keine Angst vor großen Höhen entwickeln. Ansonsten wäre es so, als hättest du einen Vogel mit Höhenangst, und so etwas gibt es sicherlich nicht”, fragte Melody.

Sally nickte, zitterte dabei jedoch munter weiter. Ihre Beine fühlten sich immer noch an, wie aus Gummi.

„Wir sollten losgehen, vielleicht finden wir die Anderen irgendwo”, überlegte die Elbe und das Mädchen nickte, trotz zitternder Knie. Eine ganze Weile gingen sie still nebeneinander her.

„Du, Melody, ich habe einmal eine Frage an dich”, meinte Sally dann.

„Ich stehe dir für alle Fragen offen”, antwortete die.

„Nun, also, ich wüsste ganz gerne… wie stehst du eigentlich zu Justin?”, fragte die Blondine. Melody schaute sie verwundert an.

„Warum interessiert dich das?”, wollte sie ihrerseits wissen.

„Na ja… einfach nur so. Also, wie stehst du zu ihm?”

Melody zuckte mit den Schultern.

„Ich weiß nicht genau. Nun, er ist ein guter Freund, aber sonst... ich mag ihn”, überlegte sie.

„Und mehr ist da nicht?”, Sally schaute die Elbe unendlich erleichtert an.

„Nein, was soll da denn auch sonst sein?”

„Nichts, nichts”, winkte das Mädchen sogleich ab.

Melody schwieg eine Weile dazu, doch irgendwann brach sie ihrerseits das Schweigen.

„Du liebst ihn, nicht wahr?”, fragte sie dann.

Sally schaute die Elbe nahezu entsetzt an.

„Nein! Natürlich nicht! Ich mag ihn auch einfach nur so, als guten Kumpel”, das blonde Mädchen wurde rot und schaute weg.

„Na gut, wenn du meinst”, Melody lächelte still vor sich hin.

„Mal was anderes, was ist denn das da vorne?”, fragte Sally, eigentlich eher, um vom Thema abzulenken, und zeigte auf eine felsene Wand mit einem dunklen Fleck.

„Ich habe keine Ahnung. Könnte es eine Höhle sein?”, Melody legte einen Zahn zu, denn sie war neugierig.

Beim näher kommen sahen sie, das es tatsächlich eine Höhle war. Vor dem Eingang blieb sie stehen.

„Ich denke wir sollten uns hier eine Weile ausruhen, bevor wir schauen, was genau in diese Höhle auf uns lauert”, fand Melody.

Sally nickte zustimmend und die ungleichen Wesen gingen hinein in das Dunkle, nur ein paar Meter weit, doch sie waren schon nach diesen wenigen Schritten nicht mehr in einem Gang aus rohem Fels, sondern sie standen in einer Halle. Verwundert schauten die Beiden sich um. Eine Frau stand da und die Mädchen gingen zu ihr.

„Seid gegrüßt”, ihre Stimme war unbeschreiblich, ebenso wie ihr Gesicht. Es war unmöglich, ihr Alter zu bestimmen, denn sie wirkte jung, wie ein Mädchen von kaum zehn Jahren und zugleich unendlich alt, wie eine Greisin, die weit mehr als hundert Sommer gesehen hatte.

Melody neigte den Kopf zur Begrüßung, Sally schaute nur erwartungsvoll.

„Wo sind wir hier?”, wollte sie wissen.

„In meinem Heim”, war die antwort der Frau.

„Warum? Und wer sind sie?”, wollte Melody sogleich wissen.

„Ich bin... nun, ihr würdet mich als Gott bezeichnen. Die Bezeichnung ist nicht ganz richtig, aber es kommt dem, was ich wirklich bin doch recht nahe. Ihr seid hier, weil es nicht sein darf, das ihr durch mein verschulden in Gefahr geratet”, antwortete die Frau.

„Das verstehe ich nicht, du hast damit doch gar nichts zu tun”, meinte Sally.

„Sally! Nicht so unhöfflich!”, tadelte Melody.

Die Frau lachte: „Lass sie. Es ist in Ordnung so.”

Melody sah nicht begeistert aus, doch sie widersprach nicht.

„Nun, es ist so, ich habe ihn zum Gott gemacht, ohne mir über mögliche Konsequenzen Gedanken zu machen. Deswegen ist es meine Schuld, dass ihr nun diese Probleme habt”, erklärte die Frau.

„Und warum macht ihr ihn dann nicht wieder normal? Zu einem gewöhnlichem Elben, Menschen, oder was auch immer er vorher gewesen sein mag?”, wollte Sally sogleich weiter wissen.

„Weil das nicht ganz so einfach ist, wie du zu meinen scheinst. Es ist sehr kompliziert, zu kompliziert, um euch das zu erklären, also nehmt es bitte einfach so hin, wie es ist. Ich kann nichts weiter tun. Der Einzige, der ihn wieder zu dem machen kann, was er einst war, ist der Weltenretter selbst”, erklärte die Frau.

„Und jetzt sollen wir hier bleiben oder wie?”, fragte Melody.

„Ja und nein. Ich werde euch alle zusammen holen, eure Freunde Janne und Kit sind schon hier. Wenn ihr alle hier seid, dann werden wir überlegen, was weiter geschehen soll. Wir alle zusammen”, antwortete der Göttin.

„Wo sind meine Schwester und Janne?”, erkundigte sich die Elbe.

„Kommt mit”, forderte die Frau auf und brachte die beiden in einen Saal.

Shadows wahres Wesen

Timo spritzte sich noch ein wenig Wasser ins Gesicht, dann machte er sich wieder auf dem Weg. Er hoffte, dass er bald einem seiner Freunde begegnen würde. Ganz alleine durch diese Halbwüste zu laufen behagte ihm gar nicht, aber er wusste auch nicht, wie lange er warten müsste, bis jemand kam, also machte er sich selbst auf den Weg und hoffte, bald jemanden zutreffen. Er war schon wieder mehr als eine halbe Stunde gelaufen, als er ein Wesen sah, das er von einer Zeichnung her kannte, ein Manticor. Das Wesen sprang davon, als wäre der Teufel selbst hinter ihm her, was Timo wunderte, denn solch ein großes Wesen mit so vielen Zähnen und Klauen konnte eigentlich nicht viele Feinde haben und solche, das es in Panik davonrannte, waren wohl nicht hier in einer solch heißen Gegend zu Hause. Zumindest würde das für ihn keinen Sinn ergeben. Timo überlegte kurz, dann ging er in die Richtung, aus die der Manticor gekommen war. Nachdem er wieder eine kurze Zeit gelaufen war, sah er etwas, das einer Schlange ähnelte, doch sie hatte keinen gewöhnlichen Schlangenkopf, sondern den eines Hahns und zu seinem Schwanzende lag Shadow. Timo schluckte und ging schnell alle Möglichkeiten durch, die er hatte und das waren nicht viele, wie er bedrückt feststellte. Ohne noch mehr Zeit mit nachdenken zu verschwenden, zumal er sowieso zu keiner besseren Lösung kommen würde, hob er einen Stein auf und warf ihn auf das Schlangenwesen.

„Los! Verschwinde! Mach dich vom Acker, lass Shadow in Ruhe!”, schrie er zusätzlich die Schlange an und warf noch einen Stein. Zu seiner großen Verblüffung zischelte das Wesen nur kurz in seine Richtung und schlängelte sich dann eiligst davon. Timo verschwendete keinen weiteren Gedanken daran, warum das Wesen geflohen war, sondern ging zu Shadow, bereitete sich innerlich schon darauf vor, den Chito Tod aufzufinden, doch Shadow lebte. Kurzerhand hievte Timo sich den Jungen auf den Rücken und machte sich auf den Weg zurück zur Quelle, denn Shadow hatte ein paar tiefe Kratzer und als Sohn von zwei Ärzten wusste er, das man Wunden am besten sofort auswusch, damit sie sich gar nicht erst entzündeten. Außerdem sah man Shadow deutlich an, das er nicht soviel Glück gehabt hatte wie Timo, der Chito musste schon seid vielen Stunden umher geirrt sein, ohne etwas getrunken zu haben. Nach einiger Zeit war er dann bei seinem Ziel Angleangt. Er legte Shadow in das seichte Wasser und zog ihm seine Klamotten aus. Als Shadow fast nackt vor ihm lag, starrte Timo ihn fast schon entsetzt an, denn Shadow war definitiv kein Junge, sondern ein Mädchen. Sie hatte zwar keine reichlich bestückte Oberweite, aber es reichte, um wenigstens dies zweifelsfrei festzustellen. Beschämt machte er sich dennoch an die Arbeit, ihre Wunden auszuwaschen, kam dabei jedoch nie auch nur in die Nähe bestimmter Körperpartien. Als dies erledigt war, legte er sie in den Schatten und deckte sie mit ihrer Kleidung zu, suchte dann etwas, womit er Wasser schöpfen konnte, damit Shadow etwas trinken konnte. Nach einiger Zeit fand er im Schatten eines großen Felsen ein großes Blatt. Er schöpfte Wassers und als er es dem Mädchen vorsichtig zu trinken gab, schlug sie die Augen auf und schaute ihn mit einem Blick an, der deutlich machte, dass sie nicht wirklich etwas sah. Sie trank gierig und schnell und als nichts mehr da war, bat sie mit schwacher Stimme nach mehr, doch Timo vertröstete sie auf später.

„Wenn du jetzt zuviel auf einmal trinkst, dann wird dir schlecht davon, also warten wir besser eine Weile. Ich bringe dir schon noch etwas, wenn ich denke, dass es in Ordnung ist”, erklärte er mit sanfter Stimme.

Shadow nickte schwach und schloss wieder die Augen. Binnen weniger Sekunden war sie eingeschlafen. Timo setzte sich neben sie und beobachtete sie im Schlaf. Mehrer Stunden schlief sie tief und fest vor Erschöpfung, dann wachte sie wieder auf und Timo gab ihr erneut etwas zu trinken. Mittlerweile hatte sich Shadow wieder soweit erholt, das sie sich langsam aufsetzen und gegen einen Felsen lehnen konnte, dabei jedoch verrutschten ihre Kleider und Timo schaute sofort mit rotem Gesicht in jede beliebige Richtung, nur nicht in ihre.

„Warum hast du gelogen?”, fragte er nach einer Weile.

Shadow wusste sofort, was er meinte und versuchte auch gar nicht erst, etwas abzustreiten, zumal es sowieso keinen Sinn gemacht hätte.

„Deinetwegen”, erklärte sie.

Timo schaute sie nun doch verwundert an.

„Warum wegen Mir? Ich habe aber nichts gegen Mädchen”, meinte er.

„Das weiß ich jetzt auch, aber, nun, bei unserem Volk ist es üblich, dass die weiblichen Chito immer benachteiligt und unterdrückt werden. Sie sind nur dazu da, um ein wenig Spaß zu haben… du verstehst?”, als Timo nickte fuhr sie fort, „Es störte mich, das mich immer alle nur als... Objekt betrachteten und manchmal war ich nicht einmal das. Für manche war ich so etwas wie der Inbegriff der Unsittlichkeit, einfach nur, weil ich in meiner Familie die Erstgeborene bin.”

„Was ist denn so schlimm daran, das älteste Kind zu sein?”, fragte Timo.

„An sich nichts, nur es gilt als große Schande, wenn das erstgeborene Kind ein Mädchen ist. Viele Chito bringen ihre Kinder sogar um, nur weil sie das falsche Geschlecht haben. Ich hatte großes Glück, das meine Mutter mich nicht im nächsten See ertränkt hat”, erklärte Shadow.

„Ach, und du dachtest, ich wüsste das alles und würde dich deswegen auch nur wie ein Stück Dreck behandeln, allenfalls wie ein Ding, mit dem man nur seinen Spaß hat und dann nicht mehr beachtet, habe ich das richtig verstanden?”, hakte Timo nach.

Shadow nickte.

„Und als du dann wusstest dass ich davon gar nichts weiß? Warum hast du dann nichts gesagt?”, wollte der Schwarzhaarige wissen.

„Weil nicht mal meistens andere Chito diejenigen sind, die mich so behandeln. Es sind Elben, Magier, Ritter. Ich wusste nicht, wie deine Begleiter reagiere würden”, antwortete Shadow.

„Okay, das verstehe ich. Ich würde es auch nicht gut finden, wie sonst was behandelt zu werden”, überlegte Timo.

Shadow schloss die Augen.

„Wie soll es denn dann jetzt weitergehen? Wirst du es den anderen sagen?”, fragte sie und in ihrer Stimme schwang eindeutig die Angst mit.

„Ja, aber hab keine Angst. Ich werde nicht zulassen, dass dich irgendjemand anders behandelt, als er es sonst auch getan hätte und ich denke Justin und vor allem Sally werden mir da begeistert helfen.”

Timo lachte kurz auf.

„Justin regt sich ja schon auf, wenn irgendein Kerl einen riesen Aufstand macht, weil er nicht neben einem Mädchen sitzen will. Er sitzt zwar auch neben keinem, aber das liegt wohl eher daran, dass sich die Mädchen fast die Augen ausgekratzt haben, weil sie alle neben ihm sitzen wollten.”

Shadow lächelte vor sich hin.

„Ihr seid alle so anders. In eurer Welt scheinen solche Dinge selbstverständlich zu sein. Ich meine, dass Männer und Frauen gleichgestellt sind”, überlegte sie.

Timo nickte: „In dem Land, wo Sally, Justin und ich wohnen, da ist es auch so, es ist sogar eines der Grundgesetze, aber nicht in jedem Land sieht es so aus. Es gibt Länder, wo Frauen nur ganz verschleiert auf die Straße gehen dürfen, sie haben dort kaum Rechte. Ich denke, dass es falsch ist. Den meisten Männern aus meiner Heimat ist es nicht einmal bewusst, dass es nicht überall so ist, wie in dem Land, aus dem ich Stamme. Unsere Lehrerin hat uns mal gefragt, welches der Grundgesetzte uns am wichtigsten ist, total auffällig dabei war, das fast nur die Mädchen eben dieses Gesetzt der Gleichheit der Geschlechter als so wichtig gesehen haben.”

„Warum? Warum war den Jungen dieses Gesetz nicht so wichtig?”, fragte Shadow.

„Ich denke, weil sie es nicht anders kennen. Es war von jeher so, das die Männer das sagen hatten und die Frauen sputen mussten, ihnen war nie so bewusst, was für ein schlechtes Leben das andere Geschlecht vor etwa zweihundert Jahren noch geführt hat. Dabei ist das doch so idiotisch! Frauen können nahezu alles genauso gut, wie Männer, vieles sogar besser!”

Shadow lächelte ihn wieder an.

„Ich finde gut, dass du so denkst”, meinte sie.

„Ich wurde so erzogen. Ich kenne es nicht anders und ich bin froh, dass es so ist”, stimmte Timo zu.

Shadow schloss seufzend die Augen und ließ sich zur Seite weg auf den Boden fallen. Mit einer Geste deutete sie Timo, dass er zu ihr kommen soll, was der schwarzhaarige auch tat Er setzte sich neben sie und wie selbstverständlich kuschelte sie sich an ihn, schnurrte dabei, wie ein Katze. So schlief sie nach einiger Zeit ein und auch Timo krauelte sie nur noch kurze Zeit hinterm Ohr, dann forderte der anstrengende Tag sein Recht und auch er schlief ein.

Als die beiden Stunden später aufwachten, lagen sie nicht mehr auf hartem Stein, sondern in einem weichen Bett. Sie krabbelten heraus und schauten sich verwundert im Raum um.

„Wo sind wir hier?”, fragte Shadow.

„Ich weiß nicht”, antwortete Timo, „aber ich glaube, wir sollen uns die sauberen Sachen anziehen.”

Er deutete auf die Kleiderstapel, der auf einem Stuhl in der Ecke lag. Shadow nickte und bedeckte ihre Blöße nun wieder vollständig mit Kleidern, während Timo, immer noch peinlich berührt vom Anblick der nackten Chito, beharrlich in eine andere Richtung blickte.

„Sag mal, kann es sein, das es dir peinlich ist, mich nackt zu sehen?”, fragte die, als sie vollkommen angezogen vor ihm stand.

„Ja”, antwortete der Schwarzhaarige knapp, aber wahrheitsgemäß.

„Ist mein Körper so hässlich, das du ihn nicht sehen magst?”, bohrte Shadow, ganz nach Frauenart, beharrlich weiter.

„Nein nein, das liegt nicht an dir, es ist nur so, du-“, er stockte kurz, denn es war ihm peinlich, das kommende auszusprechen, er tat es aber dennoch, „-bist das erste Mädchen, das ich so ganz ohne was sehe, das ist mir unangenehm.“

Shadow grinste frech.

„Dann sollten wir das vielleicht einmal ändern”, meinte sie und tat so, als wolle sie sich die eben erst angezogenen Klamotten gleich wieder ausziehen.

„Nein, muss nicht sein”, antwortete Timo hastig und trat schnell an ihr vorbei, um sich ebenfalls umzuziehen, wobei er sich jedoch von ihr wegdrehte, als er zu seiner stark misshandelten Hose kam.

„Okay, jetzt verschone ich dich noch, aber das holen wir nach”, drohte sie.

„Außerdem bist du nicht der erste Kerl, den ich nackt sehe, du brauchst dich für deine Blöße also nicht zu schämen, ich bin den Anblick gewohnt“, fügte sie feixend hinzu, nickte dann jedoch ernst in Richtung Tür.

Timo versuchte abschließend noch einmal, einer Tomate Konkurrenz zu machen, dann nickte er jedoch und gemeinsam traten sie durch die Tür.

„Hey ihr zwei, endlich wach?”, begrüßte Sally die beiden freudestrahlend.

„Ja, aber wo sind wir eigentlich hier? Und was machen wir hier, wie sind wir hergekommen?”, Timo hielt sich erst gar nicht lange auf, mit irgendwelchen Begrüßungen, sondern kam gleich zum wesentlichen, nämlich zu seinen Fragen, während er sich neugierig umblickte, in der Halle.

„Ich erkläre es euch”, meinte Janne und fing auch gleich damit an.

Moritz' Erinnerungen

Justin schaute nach oben. Der Himmel schien aus seinen Wolken alles heraus zu holen, was es herauszuholen gab, denn es goss schon seid Stunden wie aus Eimern. Er konnte kaum zwei Meter weit sehen, doch langsam schien der Regen nachzulassen. Er erkannte immerhin schon, dass er die Stadt, in der er sich befand, keine aus der magischen Welt war, sondern aus seiner. Es waren die üblichen Vorstadthäuschen mit den üblichen Wagen vor der Tür, die üblichen, penibel gepflegten Vorgärten hinter den üblichen, sauberen Straßen. Eine bilderbuch Straße, wie man sie so oft in amerikanischen Filmen und Serien sah, in der es im das beschauliche Leben einer Vorstadtfamilie ging. Er hatte solche Filme nie gemocht. Doch wie es ihm schon häufiger passiert war, hatte er das Gefühl, das ihm alles hier vertraut war und doch war er sich sicher, nie zuvor hier gewesen zu sein. Besonders das Haus, vor dem er stand, weckte diesen Eindruck mit aller Gewalt. Er hatte es einmal gesehen, aber er wusste nicht mehr wann oder wo das gewesen war. Mit einem Seufzer senkte Justin den Kopf wieder und schaute sich um. Wo sollte er nun hingehen? Er konnte so ziemlich überall hin, keines der Häuser war abgeschlossen gewesen, er hatte es versucht, aber in ihnen drin war auch niemand. Wo seine Freunde waren, das wusste er natürlich auch nicht. Wahllos ging er also einfach wieder in eine Richtung los. Er würde schon irgendwohin kommen, wenn er nur lange genug lief. Auf einmal sah er eine Gestalt durch den Regen. Er ging schneller und nach und nach erkannte er, dass es Moritz war, der dort stand und wie hypnotisiert auf ein Haus schaute.

„Moritz”, Justin trat neben ihn und legte seine Hand auf die Schulter des Mannes, der zuckte zusammen.

„Musst du mich so erschrecken?”, schnappte er barsch.

„Nein, wollte ich auch gar nicht. Ich dachte, du hättest mich kommen hören”, antwortete der Rotschopf wahrheitsgemäß.

„Hab ich aber nicht”, murrte der Mann unwillig.

„Was ist denn? Komm ich ungelegen?”, erkundigte sich Justin.

„Nein, nicht wirklich, eher im Gegenteil. Wer weiß, wie lange ich hier sonst noch gestanden hätte”, antwortete Moritz.

„Ist etwas Besonderes an dem Haus?”, fragte Justin und schaute es sich genau an.

„Ja, aber erkennst du es nicht?”, der Ritter schaute den Rotschopf fragend an.

Der betrachtete das Gebäude eingehend, kam aber zu keinem Schluss, zumindest zu keinem, der ihm nennenswert weitergeholfen hätte.

„Es kommt mir bekannt vor, aber so ziemlich jedes Gebäude hier kommt mir bekannt vor”, war seine Antwort.

„Natürlich, was habe ich denn auch anderes erwartet, wie sollte es auch anders sein? Natürlich kennst du das Dorf, du hast hier immerhin einige Jahre gelebt”, antwortete Moritz.

„Hab ich?”, Justin schaute den Mann fragend an.

„Ja. Das ist Wolfendorf. Allerdings ein paar Jahre, bevor du geboren wurdest. In diesem Haus hier habe ich die schönsten Jahre meines Lebens verbracht”, erklärte der.

„Hier hast du gewohnt?”, Justin schaute sich das Haus noch einmal ganz genau an.

„Ja, hier habe ich gewohnt. Eine sehr lange Zeit. Seitdem ich meine Frau geheiratet hatte. Wir sind hierher gezogen. Ich kann mich daran erinnern, als wäre es erst gestern gewesen”, antwortete Moritz.

Justin schaute ihn an.

„Erzähl mir etwas von der Zeit. Ich möchte es gerne hören. Wie hast du deine Frau kennen gelernt?”

Moritz nickte.

„Wenn du möchtest. Es ist schon Jahre her, sie war neu hergezogen, in diese Stadt. Wir hatten uns zufällig getroffen, als wir beide einen Mondscheinspatziergang unternahmen. Wir verliebten uns schnell ineinander, doch meine Eltern mochten sie nicht und ihre Eltern hatten auch viele Gründe gegen eine Beziehung mit mir. Doch das hat uns nicht weiter interessiert, nicht wirklich. Wir trafen uns trotz des Verbotes unserer Eltern. Heimlich, damit niemand etwas merkte. Das änderte sich auch nicht, als wir schon achtzehn waren, neunzehn, zwanzig. Sie war drei Jahre älter als ich, aber das hat mich nie gestört, denn sie hat sich nie benommen als wäre sie etwas besseres, nur weil sie älter war, im Gegenteil. Je älter sie wurde, desto mehr benahm sie sich, wie ein Schulmädchen. Aber dann kam dieser eine Tag, dieser eine Tag, der unser beider Leben grundlegend veränderte und nicht zum Schlechten, wie ich finde. Auch jetzt im Nachhinein bin ich froh, dass es so gekommen ist. Sie erzählte mir, dass sie ein Kind erwarten würde. Als sie mir das sagte war für mich sofort eines klar. Egal, was meine Eltern sagen würden, egal, was meine Freunde davon hielten, ich würde sie nie alleine lassen, vor allem nicht in einer solchen Situation. Ich machte ihr einen Antrag, den sie mit Tränen in den Augen annahm. Ihre Eltern wären alles andere als begeistert darüber gewesen und meine auch nicht, das wussten wir, darum beschlossen wir, dass wir uns entscheiden mussten. Ich weiß nicht, ob es ihr schwer viel, ihren Eltern einfach den Rücke zu kehren, mir hat es jedoch nie leid getan. Ich habe es nicht eine Sekunde lang bereut. Wir heirateten und zogen hierher, drei Monate nach unserer Hochzeit brachte sie unser erstes Kind zur Welt. Ein Mädchen. Wir lebten glücklich zusammen und an unserem neunten Hochzeitstag wurde dann auch unser Sohn geboren. Die folgenden fünf Jahre waren die schönsten meines Lebens, doch ein solches Glück kann nicht ewig anhalten und so kam dann der Tag, der wohl schrecklichste meines Lebens. Ich flog nach Amerika oder besser, ich sollte dahin fliegen, aber Theo tauchte plötzlich im Cockpit auf. Alles blieb still, es war, als hätte er die Zeit angehalten. Er drohte mir, wenn ich ihn nicht begleiten würde, dann würde er meine Frau, meine Tochter und meinen Sohn umbringen. Ich überlegte nicht lange, um sie zu schützen begleitete ich ihn. Widerwillig und es gab keine Sekunde, in der ich mir nicht ausmalte, wie ich ihn den qualvollsten Tod bereiten konnte. Und dennoch gab es auch in dieser Zeit kleine Lichtblicke, ab und an aber bin ich immer mal wieder in meine Welt zurückgekehrt, ohne, das er davon wusste, um zu sehen, ob er auch wirklich sein Versprechen hielt. Dabei konnte ich sie drei wenigstens ab und an mal sehen. Nicht oft, aber es reichte, um mich das alles ertragen zu lassen…”, erzählte er.

Justin hatte gespannt gelauscht. Nun schaute er Moritz fragend an.

„Aber warum hast du dich nie gemeldet, wenn du da warst? Mam war todtraurig. Du hättest ihr doch sagen können, das es dir gut geht, warum hast du es nicht getan?”, wollte er dann vorwurfsvoll wissen

„Weil ich nicht wollte, das sie sich Sorge macht. Wenn ich mich irgendwann mal nicht hätte melden können, weil etwas dazwischen gekommen wäre, dann hätte sie sich nur wieder riesige Sorgen gemacht und das wollte ich ihr ersparen. Wann hast du es gemerkt?”

„Geahnt habe ich es schon als du das erste mal von deiner Vergangenheit gesprochen hast, aber sicher war ich mir als du sagtest, das deine Eltern Mam nicht mochten und Mams Eltern dich nicht. Ich bin nämlich wohl der so ziemlich einzige Junge in Wolfendorf, der seine Großeltern nicht kennt. Aber selbst wenn du das nicht gesagt hättest, wäre ich drauf gekommen. Ich denke, es gibt nicht viele Kinder, die eine acht Jahre ältere Schwester haben und noch dazu am neunten Hochzeitstag der Eltern geboren wurden”, antwortete Justin.

Moritz lächelte.

„Du bist schlau geworden, wie ein Fuchs”, lobte er.

„Weiß ich. Aber die meisten aus Nordstadt wäre es wohl lieber, wenn ich nicht so schlau wäre”, grinste Justin seinen Vater an.

Der lachte.

„Kann ich mir vorstellen. Deine nervenden Sprüche verfluche ich ja auch schon mittlerweile”, meinte er.

Nun lachte Justin.

„Tja, so bin ich halt...”

Moritz nickte und schaute Justin väterlich an.

„Stimmt, so bist du und du sollst auch gar nicht anders sein. Ich könnte nicht stolzer auf dich sein, als ich es sowieso schon bin.”

Eine Weile lächelten die beiden sich noch an.

„Ich glaube, wir sollten langsam mal die anderen suchen”, überlegte dann Justin.

„Kannst Recht haben, also los”, nickte Moritz.

„Sag mal, warum hast du es mir eigentlich nicht früher gesagt?”, fragte Justin nach einer Weile des stummen nebeneinander her Gehens.

„Ich glaube, weil es mir selbst erst einmal bewusst werden musste und dann, später wohl, weil ich nicht angreifbar werden wollte und um dich zu schützen. Es gibt nichts in der Welt, womit man mich besser zu etwas „überreden” kann, als wenn man mit der Gesundheit von Helen, Ginny oder dir droht und wenn einer unserer Feinde mitkriegt, wer du bist, dann kann das Konsequenzen haben, auf die ich dankend verzichte”, antwortete Moritz.

„Und warum hast du es dann doch getan?”, wollte der Rotschopf weiter wissen.

„Ganz einfach, weil ein Vater seine Gefühle nicht einfach verstecken kann oder was meinst du, warum ich nach Möglichkeit versucht habe, dir aus dem Weg zu gehen? Weil es mir Spaß gemacht hat ganz sicher nicht. Ich habe versucht, mir nichts anmerken zu lassen und nach Möglichkeit dir gegenüber neutral zu bleiben, dich weder zu bevorzugen, noch besonders grob zu dir zu sein”, erklärte Moritz.

„Deswegen hat es dich auch seinerzeit so sehr getroffen, als ich sagte, dass ich dir einen Mord zutrauen könnte, nicht wahr?”

Moritz nickte: „Ja und das ist echt hart, so etwas ausgerechnet von seinem eigenen Fleisch und Blut gesagt zu bekommen.“

„Das tut mir noch immer Leid, jetzt noch mehr als vorher...”

„Muss es nicht mehr. Wirklich nicht.”

Justin nickte, jedoch nicht sehr überzeugt von diesen Worten, doch dann deutete er nach vorne.

„Da ist etwas”, meinte er.

Moritz nickte: „Hab ich schon vor einiger Zeit bemerkt.”

Sie gingen direkt drauf zu und langsam aber sicher entwickelte sich das etwas zu eine art Tor, ähnlich dem, durch die sie in das Labyrinth gekommen waren. Sie traten nach kurzem Zögern hindurch und standen in einer art Halle. Neugierig schauten sie sich um.

„Wo sind wir hier?”, wollte Moritz wissen.

„Was fragst du mich das? Du bist hier der, der seid zehn Jahren hier lebt”, antwortete Justin.

„Glaub mir, nicht mal zehntausend Jahre würden reichen, um alle Geheimnisse dieser Welt zu ergründen. Alleine die Magie an sich würde schon mehrere Jahrhunderte in Anspruch nehmen! Ich kenne mich hier nicht einmal halb so gut aus, wie du zu meinen scheinst”, widersprach Moritz.

Justin zuckte mit den Achseln und trat an eine der vielen Türen. Er öffnete sie, ohne sich vorher Gedanken über mögliche Konsequenzen zu machen und wurde belohnt, denn sein Hund sprang ihm regelrecht in die Arme.

„Hey Floh! Was machst denn du hier?”, rief er begeistert.

Der Hund bellte wie verrückt und sprang herum wie ein junges Kitz.

„Seid wann hast du eigentlich einen Hund? Helen hat doch eine Tierhaarallergie”, überlegte Moritz.

„Ja, hat sie auch, deswegen hat mir Mam auch nie einen Hund erlaubt. In der Nacht, als ich hierher kam, ist er mir zugelaufen”, antwortete Justin. Er wuschelte Flohs Fell und schaute in den Raum, den er zuvor geöffnet hatte. Es war ein großer Saal, mit ein paar Betten, doch es befand sich nichts Lebendes in ihm. Er schloss die Tür und wandte sich der Wand rechts neben ihm zu, denn an dieser Wand befand sich keine weitere Tür. Er ging zur ersten Tür und öffnete sie wieder einfach so und ein weiteres mal wurde er belohnt, denn seine ganzen Freunde saßen in diesem Raum und unterhielten sich.

„Hey Leute!”, rief Justin begeistert.

Wie auf Kommando schauten alle in seine Richtung.

„Na endlich! Ich dachte schon, du willst gar nicht mehr kommen”, meckerte Timo zur Begrüßung, doch dabei grinste er aber, sodass Justin wusste, das der Tadel nicht ernst gemeint war.

Moritz trat an ihm vorbei in den Raum.

„Wo sind wir hier und warum sind wir hier?”, fragte er als er sich zu ihnen setzte.

Justin quetschte sich zwischen ihn und Timo, wobei der versuchte, ein wenig wegzurutschen, da sowohl Moritz als auch Justin durchnässt waren, bis auf die Knochen.

„Und was ist mit euch passiert?”, fügte der Rotschopf hinzu und schaue von einem zum anderen. Bei Shadow stutzte er, denn sie trug nicht wie sonst ihre ledernde Kleidung, sondern typische Elbenkleidung, die ihre Figur deutlich betonte und nicht wie bisher, verhüllte.

„Du hast dich verändert, Shadow. Du siehst so... weiblich aus”, bemerkte er mit einem grinsen.

Das junge Mädchen wurde rot und schaute weg. Es war ihr peinlich, dass sich wieder einmal die gesamte Aufmerksamkeit auf sie konzentrierte, wie es während des Wartens mehrfach passiert war.

„Ja, zu Shadow kommen wir später, erst mal eure Fragen. Also, wir sind hier, weil die Göttin dieser Welt etwas von uns will, keine Ahnung, um was es sich handelt, und wir sind hier in ihrem... Haus könnte man sagen”, erklärte Timo.

„Das war die Kurzfassung, die lange Version erzählen wir euch einander mal”, mischte sich Melody ein.

„Na dann bin ich ja gespannt, was eine Göttin von uns will. Euch geht es aber gut, oder?”, vergewisserte sich Justin.

„Ja, wir sind alle okay. Mittlerweile wieder muss man aber sagen”, antwortete Janne.

„Warum wieder?”, fragte Justin misstrauisch.

„Shadow wurde von einem... was war das?”, Timo schaute Shadow fragend an.

„Ein Basilisk. Eine Schlange mit Hahnenkopf, der lebende Wesen zu Stein werden lassen kann”, erklärte Shadow.

„Genau! Also, ein Basilisk hatte sie angegriffen und die Sonne hat ihr auch zu schaffen gemacht, aber mittlerweile seht ihr ja, geht es ihr wieder gut”, erklärte Timo.

„Und was war bei euch?”, wollte Sally wissen, „ihr seid nämlich nass, wie die Fische.“

Justin und Moritz schauten sich vielsagend an.

„Och, wir haben lediglich eine interessante Unterhaltung geführt und sind dabei ein wenig im Regen stehen geblieben, mehr nicht”, grinste Justin.

„Ach, und worüber habt ihr gesprochen?“, wollte Timo gleich wissen.

„Verrate ich euch vielleicht einander mal. Das muss nämlich jetzt erst einmal sacken”, erklärte Justin.

„Hä? Wieso das denn? War das so schrecklich, was auch immer ihr da besprochen habt?”, erkundigte sich Janne.

„Nein, an sich nicht, aber egal. Verschieben wir das auf einander mal”, winkte Moritz ab.

„Wenn du meinst. Aber vielleicht sollten wir der Herrin bescheid geben, das nun alle hier sind”, überlegte Kit, doch dies erübrigte sich, denn in diesem Moment ging die Tür auf und die Göttin kam herein.

„Herzlich willkommen”, sagte sie und trat an die sitzende Gruppe heran.

Justin stand langsam wieder auf und trat ihr entgegen.

„Hallo”, meinte er freundlich und neigte leicht den Kopf. Die Göttin musterte ihn unverhohlen kindlicher Neugierde und Justin erwiderte ihren Blick mit überlegener Gelassenheit.

„Was wollt ihr von mir?”, fragte er dann mit formaler Tonlage.

„Ihr verliert wohl nicht gerne Zeit, wie?”, die Herrin lachte leise.

„Nein, warum auch”, erwiderte er.

„Nun, dann will ich euch erklären, was ihr hier macht. Wie ich einigen von euch schon erklärt habe, seid ihr hier, weil es nicht sein kann, das ihr in Gefahr seid, weil ich gehandelt habe, ohne mir vorher darüber Gedanken zu machen, welche Konsequenzen mein tun haben könnte. Aber was geschehen ist, ist nun einmal geschehen, sich darüber ärgern bringt nun nichts mehr. Dennoch gibt Wege, ihn wieder zu dem zu machen, was er war”, erklärte sie.

Justin schaute sie fragend an.

„Worum geht es hier gerade bitte?“, erkundigte er sich.

„Um den Todesgott“, kam die Antwort von Janne.

„Gut, dann… Ja, ich glaube, dann weiß ich, worauf ihr hinaus wollt. Ihr glaubt alle wieder einmal, ich bin dieser Weltenretter, was ich gar nicht verstehe, aber nun gut. Auf jeden fall bin ich wohl der einzige, der ihn wieder normal machen kann, stimmt es oder hab ich recht?”, fragte er genervt.

Die Herrin schaute verblüfft.

„Ja, so etwas Ähnliches wollte ich sagen”, nickte sie.

„Also langsam entwickelt sich das alles hier zu einem schlechten „Rette-die-Welt“-Roman, so einer voller Klischees, den keiner lesen will, weil man die ganze Handlung schon vorher kennt“, brummte er genervt.

„So und wie soll ich das machen, ihn wieder zur Vernunft zu bringen?”, fragte der Rotschopf dann mit sarkastisch anmutender Stimme.

„Tja, das ist so, es...”, sie war verunsichert.

„Es ist zu kompliziert, um es mir zu erklären, ich verstehe schon”, brummte Justin.

„Nein, nein, so ist es nicht, es ist vielmehr so, nicht einmal ich und meine Schwestern wissen alles. Ich sagte, die Bezeichnung „Göttin“ kommt dem, was wir sind schon ziemlich nahe, aber wir sind keine wirklichen Götter. Ich weiß selber nicht genau, wie ihr ihn wieder zu dem machen könnt, was er einst war, ich weiß nur, das du es kannst. Irgendwie”, erklärte sie.

„Okay, okay”, murmelte Justin. Er ging ein paar Schritte durch den Raum, drehte dann um und kam zurück.

„Ich habe mal eine Frage, ein Frage an euch alle”, meinte er dann.

„Schieß los”, meinte Sally.

„Na ja, du und Timo, ihr seid wohl weniger gemeint, aber warum glaubt ihr eigentlich, ich sei dieser Weltenretter? Ich bin es nicht, ich kann es nicht sein, ich bin einfach zu gewöhnlich für so etwas! Wie kommt ihr darauf?!”, Justin beobachtete die Reaktionen der Anwesenden ganz genau.

„Nun, weil einfach alles daraufhin deutet. Deine Vorfahren hatten alle einst die Macht, eines der Elemente zu beherrschen. Deine Mutter hat die Machte der Erde, des Wassers und sie ist ein Nachfahre von Theo, also liegt ihr auch das Feuer inne. Und dein Vater hat die Macht der Winde innewohnend”, erklärte die Herrin.

„Mag sein, aber ich habe noch eine Schwester. Die kann es doch sein oder muss es ein Junge sein?”, lauerte er.

„Nein, natürlich hätte es genauso gut ein Mädchen sein können, aber es gibt noch andere Dinge. Dein Geburtstag ist der Tag der Sommersonnenwende, alle Tiere der Welt sind dir wohlgesonnen, denn du hast die Macht, sie zu verstehen, oder besser, du wirst die Macht bald haben. Und du bist ein Traumseher, ein mächtiger Traumseher. Immerhin träumst du nicht nur, was geschah, geschehen wird oder in dem Moment geschieht, sondern du bist dort. In gewisser weise“, antwortete sie.

Justin schaute zu Boden.

„Ich bin es trotzdem nicht“, meinte er.

„Aber es ist so. Es kann nur so sein. Selbst wenn es dir nicht gefällt. Am besten findest du dich damit einfach ab”, fand sie.

„Nein! Ich bin es doch nicht, ich bin es nicht und ich werde es nicht sein! Sie ist es, sie wird es sein, nicht ich!“, ereiferte sich Justin.

„Sie?“, fragte Moritz hinter ihm, „Helen oder wer?“

„Nein, nicht Helen. Nicht ich und auch nicht Helen, sie ist noch nicht geboren, es wird noch Jahre vergehen, bis auch nur ein Wesen auf Erden auf die Idee kommt, das es sie gibt, aber sie wird es sein, nicht ich“, antwortete Justin, diesmal deutlich ruhiger, sachlicher.

Mit einem Seufzer ließ er sich wieder neben Moritz fallen. Er lehnte sich an seinen Vater und schloss die Augen.

„Wer wird sie sein?“, fragte dieser neugierig.

„Ich weiß es nicht, ich weiß nur, dass sie mächtig ist und ihre Macht wächst von Tag zu Tag, jede Stunde im Totenreich macht sie mächtiger. Sie hat hunderte von Jahren geschlafen, in ihrer eigenen Welt im Reich der Hell und jetzt erwacht sie langsam. Bald wird sie wieder auf die Erde zurückkehren, mächtiger den je, und nichts wird sich ihr in den Weg stellen, aber sie wird nicht böse sein, denn nichts auf Erden ist böse. Sie wird es sein, die die Elemente beherrscht, sie wird es sein, die ihr alle jetzt schon als Weltenretter feiert, nicht ich“, antwortete der Rotschopf und sah erschöpft aus.

„Aber nein, die Seele des Weltenretters ist bereits auf die Erde zurückgekehrt und sie lebt in dir, Justin“, widersprach die Herrin.

„Nein, das tut sie nicht, den noch verbleibt sie in einem Dämmerschlaf, aus dem sie zögernd nur erwacht. Ich weiß, dass es so ist, und wenn ihr mir nicht glauben wollt, dann lasst es eben. Wenn es euch glücklich macht, dann werde ich die Rolle spielen, die ihr für mich ausgedacht habt, auch wenn es nicht die meine ist“, antwortete Justin

„Aber es ist deine Rolle im Gefüge der Welten. Justin, ich bin doch hier das Wesen, das ihr als Göttin bezeichnet, also muss ich es eigentlich besser wissen, als du“, widersprach die Herrin.

„Nein. Ihr meint es besser zu wissen, weil ihr euch als Göttin fühlt, aber das tut ihr nicht. Ihr spürt in mir große Macht und die lässt euch glauben, ich sei das, was ihr in mir seht, aber das ist ein Trugschluss. Ich bin ihre Vorhut, ich bin ihr Lehrer und ihr Beschützer, ich werde sie auf ihre Aufgabe vorbereiten, aber ich werde sie nicht bewältigen. Und weil es so ist, das ich sie vorbereite auf das, was sie erwartet, gab sie mir ein wenig ihrer Kraft, nicht mal annährend soviel, wie sie haben wird, und doch genug, das ich verstehen kann, wie man mit ihr umgeht, um es dann ihr beizubringen. Das, was ihr in mir spürt, ist ein Bruchteil ihrer Macht, aber nicht meine“, erklärte Justin und diesmal nickte die Herrin.

„Okay. Das mag alles stimmen, aber das ist im Moment eigentlich gar nicht weiter von belang. Sie wird es sein, die ihn, den Todesgott, wie ihr ihn nennt, wieder auf die richtige Seite holt, aber er hat jetzt schon große Macht und du sagtest, es wird noch Jahre dauern, bis sie geboren wird. Solange muss irgendjemand ihn aufhalten, schwächen, sein Spiel mitspielen. Solange, bis sie, wer auch immer sie sein wird, das Finale einleiten kann. Wirst du wenigstens diese Aufgabe übernehmen?“, fragte sie.

„Natürlich, denn dies ist mein Schicksaal, seid langem. Ich werde ihr die Zeit verschaffen, die sie braucht, um von mir zu lernen. Und diese Aufgabe werde ich übernehmen, denn niemand kann vor seinem Schicksaal fliehen“, nickte Justin.

„Okay. Dann bleibt ein paar Tage hier, um euch zu erholen und dann geht. Ihr habt diese Möglichkeit jederzeit”, meinte sie.

„Okay. Ein paar Tage werden wir die Ruhe genießen und dann weiter spielen, in seinem Spiel aus Tod und Verzweiflung…“, nickte Justin.

Charly und Thunder

„Wo sind wir hier?”, fragte Shadow.

„Ich weiß nicht... ist mir an sich auch egal. Wir müssen nämlich schon wieder die anderen suchen”, murrte Justin unwillig.

„Stimmt. Sally ist weg, Moritz ist weg, Kit, Janne. Nur wir vier”, meinte Timo und schaute nacheinander Justin, Shadow und Melody an.

„Also ich denke, bevor wir die Anderen suchen sollten wir ersten herausfinden, wo wir hier überhaupt sind. Sonst macht das alles keinen wirklichen Sinn”, ging Shadow praktisch an die Sache heran.

„Da hast du Recht, aber kennt sich einer von euch hier aus? Ich mich nämlich nicht. Ich war nämlich bisher nur in der Elbenfeste oder in der näheren Umgebung, es sei den, ich wurde zu einem Fest oder einem Ball eingeladen, aber dann war ich bei meinen Gastgebern an sich auch nur im Hause”, erklärte die Elbe.

„Ich habe auch keine Ahnung, ich habe meinen Wald schon lange nicht mehr verlassen. Das letzte mal vor mehr als zehn Jahren, als meine Eltern noch lebten. Damals habe ich meinen Vater begleitet”, erklärte Shadow.

„Tja und wir beide kennen uns hier sowieso nicht aus”, beendete Timo.

„Moritz müsste hier sein, oder Janne. Die kennen sich gut hier aus und zwar im ganzen Land”, überlegte Justin.

„Da die Beiden aber nicht da sind sollten wir wohl einfach drauflos gehen. Irgendwo müssen wir ja hinkommen”, fand Shadow und ging einfach los, querfeldein über die Steppe die sich in alle Himmelsrichtungen erstreckte. Die Anderen folgten ihr.

„Ich habe eine Idee”, meldete sich Timo nach einiger Zeit.

„Ich auch. Macht ihr drei mal einen kleinen Erkundungsflug und sagt mir, wo ich entlanglaufen muss”, meinte Justin, denn er war der einzige, der keine Flügel besaß.

„Genau das war mein Vorschlag, aber ich glaube, ich bleibe lieber bei dir, ich bin noch nicht so gut im fliegen”, fand Timo.

„Dann ist doch das hier das Beste, was dir passieren kann, Übung macht nämlich den Meister. Also komm mit”, forderte Shadow ihn auf.

„Ich will aber nicht! Mir reicht es, als ich beim lernen schon ständig abgestürzte bin, da muss ich das hier nicht auch noch haben” quengelte Timo.

Mit trotziger Miene fügte er hinzu: „Außerdem können wir Justin nicht so einfach alleine lassen, irgendjemand sollte hier bleibe und ihm Gesellschaft leisten.”

„Da hast du zwar recht, aber die Gesellschaft wird nicht die deine sein”, beschloss Shadow und zog Timo kurzerhand in die Luft. Sie war sehr kräftig und hatte deswegen kaum Probleme, obwohl Timo zappelte wie verrückt und nicht vorzuhaben schien, ebenfalls seine ledernen Schwingen zu nutzen. Doch irgendwann sah er ein, das sein zappeln nichts brachte und er folgte Shadow widerwillig.

Justin lachte leise vor sich hin.

„Du bist ziemlich Schadenfroh, was? Dabei ist das doch dein Freund”, fand Melody.

Justin schaute sie verdutzt an, dann lachte er laut los. Die Elbe schaute ihn verwirrt an.

„Was ist so lustig?”, fragte sie dann.

„Diese Formulierung... in meiner Welt sagten man dazu Kumpel. Ein Freund ist jemand, mit dem man zusammen ist, den man liebt, verstehst du?”, Justin lachte noch immer leise.

„Nein, genau genommen verstehe ich das nicht so ganz”, antwortete sie.

„Ist ja auch egal”, Justin schaute nach oben und beobachtete Shadow dabei, wie sie versuchte, Timo ein paar Tricks zum fliegen beizubringen.

„Ich wünschte, ich könnte das auch...”, murmelte er.

„Was? Fliegen?”, Melodys schaute ihn fragend an.

„Ja. Das wünsche ich mir schon seitdem ich ganz klein bin. Seid ich denken kann ist das mein größter Wunsch. Mein Vater war Pilot, er ist oft geflogen, er hat mich auch einmal mitgenommen. Leider wirklich nur einmal, damals hat er sich die Maschine eines Freundes ausgeliehen. Damals merkte ich, wirklich frei sind allein die Vögel, denn sie trotzen selbst der Schwerkraft”, er seufzte tief.

„Aber du bist doch schon geflogen. Auf dem Greifen.”

„Ja, an sich schon, mit dem Flugzeug fliegen ist es ja ähnlich, aber ich will ja nicht mit irgendwelchen Hilfsmitteln fliegen, sondern mit meinen eigenen Flügeln. Wie ein Vogel”, Justin streckte seine Arme zur Seite, wie als würde er seine Flügel ausbreiten.

Melody lachte.

„Weist du, manchmal werden Träume ja wahr”, meinte sie.

„Ich weiß, aber leider nur meine nicht. Ich werde nie fliegen können, ich bin eben kein Vogel”, er seufzte missmutig und schaute hinauf in den tiefblauen Himmel.

„Justin, du musst an deine Träume glauben, sonst werden sie sich nie erfüllen. Und du bist hier an dem Ort, an dem die Träume wahr werden. Hier ist das Land, das dir alle Wünsche erfüllen kann. Du bist ein Sohn der Winde und deswegen bin ich mir sicher, das du irgendwann einmal den Wind spüren wirst, der dort oben weht”, Melody deutete gen Himmel.

Justin murmelte etwas, was sie nicht verstand.

„Was sagtest du?”, erkundigte sie sich.

„Nichts, nichts, es hatte keine Bedeutung, vergiss es”, antwortete Justin.

„Hey ihr zwei!”, rief Shadow von oben.

„Was ist?!”, rief der Rotschopf ihr zu.

„Ich habe eine Stadt gesehen! Schwenkt ein wenig nach rechts ab, dann geht ihr direkt rauf zu!”, antwortete die Chito und flog wieder ein Stück voraus zu Timo.

Die Beiden korrigierten ihre Richtung. Vor ihnen lag ein Hügel, deswegen konnten sie die Stadt nicht sehen.

„Eines weiß ich, das hier ist nicht mehr mein Reich”, meinte Melody als sie fast oben waren.

„Wie kommst du darauf?”, wollte Justin wissen.

„Weil es hier viel zu warm ist. In meinem Reich ist es selbst im Sommer ein wenig kühler. Es liegt ja auch sehr weit oben im Norden”, antwortete Melody.

„Stimmt, das wollte ich dich schon mal fragen, ich habe immer nur Schnee gesehen. Liegt in deinem Reich selbst im Frühling und im Herbst Schnee? Sogar im Sommer?”, fragte der Rotschopf.

„Ja. Sogar im Sommer. Aufgrund eines Zaubers kann der Schnee nicht schmelzen. Deswegen ist es auch das einzige Reich in dieser Welt, wo die Schneeblume wachsen kann. Sie braucht nämlich das ganze Jahr über Schnee. Es gibt sie nur in hohen Gebirgen oder weit oben im Norden oder unten im Süden. Aber selbst im Süden und im Norden schmilzt der Schnee manchmal in besonders warmen Sommern. Nur in meinem Reich nicht, dort liegt er immer”, erklärte die Elbe.

„Das find ich stark! Im Hochsommer Rodeln gehen, das muss voll Spaß machen, aber, dann kann man ja auch nie mit kurzen Klamotten raus, weil es ja dann auch immer zu kalt ist. Schwimmen gehen geht auch nicht und wann pflanzt ihr etwas an? Getreide und Obst und Gemüse?”

„Du hast mir nicht richtig zugehört”, tadelte Melody, „ich sagte, das der Schnee nicht schmilzt, aber wenn es warm wird, dann wärmt sich der Schnee mit. Er bleibt nicht kalt, sondern wird warm, er schmilzt nur einfach nicht. Schwimmen gehen und kurze Sachen tragen, das kann man schon, wenn es nur warm genug ist. Getreide und ähnliches wird einfach in den Schnee gepflanzt, es sind nämlich besondere Pflanzen, sie überstehen selbst bitterste Kälte.”

„Aber warum können dann diese Schneeblumen wachsen, wenn sie doch die Kälte brauchen?”, Justin war verwirrt.

„Sie brauchen nicht die Kälte, sondern den Schnee selbst. Er ist so etwas wie die Erde für andere Pflanzen, aber die Schneeblume blüht nicht oft. Nur alle hundert Jahre und bald ist es wieder soweit”, Melodys Augen leuchteten.

„Warum freust du dich so auf die Blumen?”, wollte Justin wissen.

„Das hat etwas mit der Tradition meines Reiches zu tun. Es ist so, dass die roten Schneeblumen das Zeichen wahrer Liebe sind, sie sind aber auch unglaublich selten. Die Männern suchen diese Blumen, wenn es ein Mädchen gibt, das sie lieben und wenn es wirkliche, wahre Liebe ist, die er empfinden, dann blüht sie weiter, solange, bis seine Liebe erlischt, dann verwelkt sie. Es gibt sogar Geschichten, wo die Blume noch lange nach dem Tod des Mannes noch geblüht hat, in all ihrer Pracht. Manche blühen auch heute noch, so sagt man, auf dem Grab der Verstorbenen”, Melodys Augen leuchteten immer mehr.

„Ach, und du hoffst, das dir jemand so eine Blume schenkt, ja?”, Melody nickte und Justin lachte.

„Warum lachst du mich aus? Meinst du, mir würde nie jemand eine solche Blume schenken?”, fragte sie gekränkt.

„Nein, ich lache nicht über dich. Im Gegenteil. Ich finde die Idee an sich schon wunderschön. Nein, ich lache, weil es wohl kein Mädchen auf der Welt gibt, die nicht mit strahlenden Augen von dieser Geschichte sprechen würde und es nicht eine, die sich nicht über so eine Blume freuen würde. Aber man kann sich doch nie sicher sein, das die Männer die Blume wirklich gesucht haben. Es gibt bestimmt ein paar, die damit das ganz große Geld machen wollen und die Blumen suchen und sie dann verkaufen”, überlegte Justin.

„Nein. Man kann die Blume nur an eine Person weiter geben und nur an eine, die man vom ganzen herzen liebt. Wenn sie jemand verkaufen würde, dann würde sie binnen Sekunden welken”, erklärte Melody.

Justin nickte nachdenklich. Die Beiden waren mittlerweile fast bei der Stadt Angleangt.

„Also ich hoffe vom ganzen Herzen, das ich eine bekomme und sie in aller Blüte stehen wird, bis zu meinem Tod”, meinte Melody, „und vielleicht sogar noch Jahre später.“

Justin schwieg dazu. Beide standen nun direkt vor dem Eingang zur Stadt. Justin hielt Ausschau nach Timo und Shadow. Die Beiden kamen angeflogen. Shadow landete elegant direkt neben Justin, Timo wollte es ihr nachmachen, hatte aber zuviel Schwung und landete nicht auf den Füßen, sondern legte sich lang. Seine drei Freunde konnte sich das lachen kaum verkneifen. Timo stand wieder auf und brummte etwas vor sich hin. Justin schluckte um nicht laut los zu prusten.

„Wir sollten reingehen”, fand er und biss sich auf die Lippen.

„Ja, lach dich doch Tod”, knurrte Timo, denn ihm war das alles keineswegs entgangen.

Nun konnten sie alle wirklich nicht mehr an sich halten und alle drei prusteten laut heraus. Es dauerte eine ganze Weile, bis sie sich beruhigt hatten und Timos Laune war in der Zeit immer schlechter geworden.

„Tut mir leid”, japste Justin, „aber das sah so komisch aus, wie du versucht hast, Shadow nachzuahmen.”

„Komisch?“, wollte Melody wissen, „ich fand das eigentlich eher ziemliche niedlich, wie ein kleines Kind, das seinen Eltern unbedingt etwas nachmachen möchte.“

Timo zeigte beiden die kalte Schulter. Er ging durch das Tor und wurde regelrecht überrannt. Ein junges Mädchen mit braunem Haar stieß mit ihm zusammen und viel hin. Sie hatte nicht aufgepasst, aber trotzdem fauchte sie Timo sogleich an: „Kannst du nicht aufpassen, wo du hinrennst!?”

Timo wollte schon zum Gegenschlag ausholen und seine ganze schlechte Laune an dem Mädchen auslassen, als er sie erkannte. Verdutzt schaute er sie an.

„Charly?”, fragte er.

Auch das Mädchen schaute ihn nun genauer an, während sie sich den Dreck von der Kleidung klopfte.

„Kennen wir uns?”, fragte sie genervt und ziemlich bissig.

Justin und die beiden Mädchen traten zu den Kontrahenten.

„Hey Charly, was machst du denn hier?”, rief der Rotschopf sogleich begeistert.

Das Mädchen schaute nun zu ihm und ihr Gesicht hellte sich auf.

„Justin! Hier steckst du also!”

„Wie, wo soll ich sonst sein?”, erkundigte sich der Rotschopf.

„Na, vielleicht zu Hause! Mein Gott, du kannst doch nicht einfach mal so sagen, ich habe keinen bock mehr, also hau ich ab!”, fauchte Charly.

„Hab ich auch nicht, ich hatte gute Gründe, aber was machst du eigentlich hier?”, wollte er wissen.

„Ich bin zufällig hier, ich... Ach, hier ist nicht der richtige Ort, um so etwas zu besprechen”, fand das Mädchen. Sie schaute noch einmal zu Timo.

„Vor allem nicht mit solchen ungehobelten Kerlen”, fauchte sie.

Justin lachte: „Dieser ungehobelte Kerl kann nun echt nichts dafür, das du ihn über den Haufen rennst. Außerdem kannst du ihn auch mit Vornamen ansprechen.”

Charly schaute ihn verwundert an.

„Ah ja, wenn du ihn mir verrätst, dann schon”, meinte sie.

Wieder lachte Justin.

„Hey, komm schon, so sehr hat sich Timo auch nicht verändert”, grinste er, „nur seine Ohren ein wenig, die Flügel, Haare ein bisschen länger, seine Kleidung…“

Er deutete mit einer Geste, das er noch eine ganze eile so hätte weitermachen können.

Charly starrte Timo an.

„Nein, gar nicht”, meinte sie sarkastisch, „das ist hier aber niemals Timo! Der sieht viel zu cool aus, für den Verlierer von zu Hause.”

Shadow, Melody und Justin lachten abermals laut los, während Timo wütend schnaubte.

„Kannst mir glauben, das ist Timo, aber du hast recht, das ist nicht der richtige Ort für ein freudiges Wiedersehen”, Justin wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkel.

„Kommt mit, hier in der nähe ist ein Wirtshaus”, erklärte Charly und führte sie.

Im Gasthaus angekommen legte das Mädchen gleich los und wollte alles wissen. Justin erzählte kurzerhand einfach die ganze Geschichte von Anfang an, ab und an ergänzten Timo, Shadow und Melody etwas, was er vergessen hatte.

„So, jetzt berichte aber du, was dir passiert ist”, forderte er als er geendet hatte.

„Okay, hört zu. Ihr ward schon eine ganze Weile weg, übrigens glaubt man mittlerweile, dass ihr nicht mehr am Leben seid, aber ich soll ja erzählen, was los war. Also, ich war bei meiner Tante und bin dort spazieren gegangen und bei ihr gibt es einen großen Wald und da habe ich mich verlaufen. Durch Zufall entdeckte ich dort dieses komische Tor, aus Spaß bin ich durchgegangen und war dann plötzlich hier. Also hier, in dieser Welt. Eine Elbe ritt mich fast über den Haufen, als ich ankam und sie fragte was ich hier machen würde und alles. Ich erzählte ihr was geschehen war und seitdem lebe ich bei ihr, bis ich wieder irgendwie nach Hause kann. Etwa einem Monat ist das jetzt her”, erklärte Charly kurz und knapp.

„Okay. Frage, warum denken die, wir wären Tod?”, wollte Timo wissen.

„Weil ihr seid fast einem Jahr unauffindbar seid vielleicht?”, zickte Charly ihn an.

„Was ist mit unseren Eltern, geht es denen gut?”, fragte Justin.

„Nein, die sind allesamt mit den Nerven am Ende. Mittlerweile geht es wieder. Zumindest bei den Eltern von Sally und deinen Eltern, Timo. Sie hoffen noch immer, dass ihr bald wiederkommt, obwohl die Polizei schon meinte, dass ihr wahrscheinlich nicht mehr lebt. Richtig Tod erklärt wird man ja erst nach sieben Jahren, wenn keine Leiche auffindbar ist. Egal, auf jeden fall mach ich mir um deine Mutter richtig Sorgen, Justin. Die ist total mit den Nerven am Ende! Immerhin, erst kommt ihr Mann bei einem Flugzeugabsturz ums Leben und jetzt schwindet auch ihr einziger Sohn so auf einmal!”, tadelte das Mädchen.

Justin lächelte leicht.

„Dann wird die Freude doch umso größer. Ich hoffe nur, dass meine Mutter nichts Dummes macht”, meinte er.

„So was wie du nach Marinas Tod?”, fragte Charly.

„Genau. Ich habe nämlich eine wirklich erfreuliche riesen Überraschung für sie, aber erst einmal müssen wir unsere Aufgabe hier erledigen. Wie heißt die Stadt und welchem Reich gehört sie an?”, fragte der Rotschopf.

„Es ist das Reich der Blauen Zauberer. Die Stadt hier ist das Dorf am blauen Wasserfall. So hat Chantal mir das zumindest gesagt”, meinte Charly.

„Kannst du damit was Anfangen, Melody, weist du ungefähr, wo wir hier sind?”, wollte Justin wissen.

„Ja. Ich denke, wir sollte zurück zur Elbenfeste, vorerst. Von hier aus ist der Weg zwar nicht sonderlich weit, aber sehr gefährlich, wir müssen durch den Nebelsee”, antwortete sie.

„Ein See? Durch? Vergiss es, ich bin ein Chito”, machte Shadow aufmerksam.

„Ich weiß, aber es ist ja auch kein richtiger See, sondern so was ähnliches. Also, es ist kein Wasser drin, sondern wo eigentlich Wasser sein sollte ist Nebel, verstehst du?”, versuchte Melody zu erklären.

„Natürlich, ich bin ja nicht blöd”, antwortete Shadow hochnäsig.

„Auf jeden fall müssen wir durch diesen See oder wie? Wie weit ist es zu Fuß?”, fragte Justin.

„Zu weit, wir brauchen in jedem Fall Einhörner oder besser noch Elbenpferde”, meinte Melody.

„Pferde sollten kein Problem sein, Chantals Mann hat einen Stall voll. Er leiht euch ganz bestimmt ein paar”, überlegte Charly.

„Dann sollten wir vielleicht gleich los. Besser, wir verlieren möglichst wenig Zeit”, sagte Justin und stand auf.

„Hast recht, mir nach”, forderte Charly die Vier auf und führte sie zu einem Stall der ein wenig außerhalb der Stadt lag. Vor dem Haus waren ein paar Elben damit beschäftigt, ein Einhorn zu halten.

„Sie haben ihn!”, jubelte Charly als sie das sah.

„Sie haben wen?”, hakte Justin nach.

„Den da! Das ist ein Einhorn, den schon ganz viele versucht haben, zu fangen, aber kaum einer hat es geschafft und die, die es geschafft haben, denen ist er binnen weniger Minuten wieder ausgebrochen!”, erklärte das Mädchen und zeigte auf das Einhorn.

Justin betrachtete sich das Tier ganz genau aus der Ferne. Das Tier sah aus, als hätte jemand die Nacht selbst eingeschmolzen und aus ihr den Hengst gemacht. Das Horn und die gespaltenen Hufe waren aus einem dunklen Silber und blitzten wie die Sterne in der Nacht, der Hengst selbst war kräftig, man sah deutlich seine gut entwickelten Muskeln unter dem schwarzen Fell arbeiten und sah dabei jedoch so fein und zerbrechlich aus, wie es nur unter Einhörnern sein konnte. Das bemerkenswerteste an dem schwarzen Tier aber waren seine Schwingen. Er trug zwei wunderschöne, nachtschwarze Schwingen, mit dem sich das Tier zu wehren wusste. Die Männer schafften kaum, ihn zu halten. Das Einhorn wieherte schrill.

Justin schluckte.

„Sie müssen ihn freilassen”, murmelte er.

„Was? Warum? Weist du, wie viel das Vieh wert ist? Von dem Geld können Chantal und Tay mehr als zwei Jahre leben!”, ereiferte sich Charly.

„Wenn sie ihn nicht schnell wieder frei lassen, werden sie mehr verlieren, als jede Menge Geld”, prophezeite er.

„Und wieso? Will er sie einen nach den anderen aufspießen? Das Horn eines Einhorns ist empfindlich, er würde es sich nur abbrechen”, meinte Charly.

Justin antwortete ihr nicht mehr, sondern ging langsam auf das Gewusel zu. Er stand nur ein wenig hinter den Männern, als sich das Tier plötzlich beruhigte. Der Hengst stand da, mit bebenden ´Flanken und hoch erhobenem Kopf. Die Männer schnauften. Einer blickte sich um.

„Hey, was machst du hier?”, fragte er barsch.

Justin beachtete ihn nicht, sondern drängelte sich zu dem Hengst durch. Einer der Männer griff nach ihm und wollte ihn zurückhalten, doch er ging unbeirrbar einfach weiter. Erst vor dem Hengst blieb er stehen. Der entspannte sich sichtlich und Justin hob die Hand und strich vorsichtig und langsam über die Stirn des nachtenden Tieres. Das Fabelwesen ließ es geschehen und der Rotschopf lächelte ein wenig. Er trat langsam an die Seite des Hengstes und bevor ihn jemand daran hindern konnte, löste er die Stricke, die das Einhorn gefangen hielten. Oder besser, er wollte sie lösen, doch als die Männer sahen, was er vorhatte, rissen sie ihn grob zurück, bevor er auch nur einen Knoten öffnen konnte und stießen ihn weg.

„Verschwinde!”, knurrte einer ihn an, doch niemand hatte mehr die Zeit, sich um ihn zu kümmern, denn sofort begann de Hengst wieder zu toben. Justin stand erstaunlich still einfach nur daneben und beobachtete alles. Die Männer zerrten den Hengst in den Stall und sperrten ihn ein, Justin schaute weiterhin nur zu. Melody, Timo, Shadow und Charly traten zu ihm.

„Was sollte das denn gerade?”, fragte die Brünette wütend.

Einer der Männer kam auf sie zu.

„Würde mich auch interessieren. Wir habe Stunden gebraucht, den schwarzen Satan zu fangen und dann willst du dahergelaufener Knirps ihn einfach wieder frei lassen!”, knurrte er.

„Ihr solltet ihm seine Freiheit wiedergeben. In Gefangenschaft stirbt er, denn er ist nicht dafür geschaffen, gefangen in einem Stall zu stehen. Die Sehnsucht nach Freiheit wird ihn verzehren, denn er ist doch fast schon ein Gott und Götter darf man nicht einsperren. Er ist nicht für dich”, antwortete Justin ruhig.

„Der Satan und ein Gott? Nie! Das ist eher der Teufel!”, rief der Elb verächtlich.

„Muss ich dir Recht geben, Tay”, stimmte Charly zu.

„Was wollt ihr für ihn? Ich werde alles tun, was ihr von mir wollt, gibt mir nur dieses Einhorn”, meinte der Rotschopf plötzlich.

„Nein, nein, Junge. Ich habe schon einen Käufer. Er bezahlt mir mehr, als du in deinem ganzen Leben verdienen kannst. Das prachtvolle Tier wird der Reichsherr selbst der Herrin des Elbenreichs im Norden zum Geschenk machen”, erklärte Tay.

Justin warf Melody einen kurzen Blick aus dem Augenwinkel zu. Die verstand sofort, worum er sie bat.

„Dann könnt ihr mir das Tier auch gleich geben”, fand sie.

„Dir? Warum soll ich ihn dir geben? Ich glaube kaum, dass du das Nördliche Elbenreich regierst, der Reichsherr würde sich bestimmt nicht mit einer solchen Schlampe abgeben, wie dir. Nicht einmal von Adel bist du, sonst würdest du hier bestimmt nicht ohne Wachen umherlaufen”, erklärte Tay abfällig.

Melody sog scharf die Luft ein.

„Mit erinnert mich daran, Jack zu sagen, er solle dem Kerl den Kopf abschlagen sobald wir wieder zu Hause sind”, zischte sie wütend.

Tay schnaubte hochnäsig.

„Warum hast du sie eigentlich hergebracht, Charly?”, wollte er barsch wissen.

„Äh, ja, weil sie Pferde brauchen. Ich hatte gehofft, du würdest ihnen und mir ein paar leihen, ich möchte sie nämlich begleiten. Zwei von ihnen sind gute Freunde von mir”, erklärte sie.

Der Elb sah nicht sehr begeistert aus. Melody blitze ihn noch immer wütend an, drehte sich dann plötzlich um und ging.

„Kommt ihr? Mit solchen Trampeln will ich nichts zu tun haben”, fauchte sie.

Tay schaute ihr abfällig nach, dann stutze er.

„Warte, Mädchen, komm zurück”, befahl er, doch Melody bliebe lediglich stehen, aber auch das nur, um zu schauen, wo ihre Freunde blieben, nicht weil der Kerl es ihr befahl. Der ging mit schnellen Schritten zu ihr und riss grob ihre Hand hoch und musterte genau den Ring an ihren Finger. Er zog ihn sogar ab und betrachtete ihn noch eingehender, während Melody kochte vor Wut. Die anderen kamen zu den Beiden. Tay wurde kreideweiß im Gesicht.

„Oh Herrin, warum muss nur mir das passieren?”, murmelte er.

„Weil du ein Trottel bist vielleicht”, knurrte Melody herablassend.

„Es tut mir Leid, ich wusste wirklich nicht, das ihr es seid, ihr seht so anders aus, als an jenem Tag, als ich euch das letzte Mal sah!”, erklärte Tay und Panik verzerrte seine Stimme.

Melody nahm ihn den Ring aus den Händen und steckte ihn wieder auf ihren Finger.

„Lasst uns gehen, wir werden sicher noch einen anderen Stall finden, wo man uns die Pferde mit Freude leihen wird”, meinte sie mit hochnäsigem Ton.

„Nein, nein, ich werde euch die Pferde geben, ich werde sie euch schenken!”, Tay fürchtete um sein Leben, denn er hatte gehört, was Melody in ihrer Wut zu ihren Freunden sagte.

Melody gab einen abfälligen Laut von sich, sah ganz so aus, als wollte sie sich abermals einfach umdrehen und davon stolzieren, doch dann trat Justin zu ihr und flüsterte ihr etwas ins Ohr. Sie schaute ihn leicht verwundert an, dann nickte sie.

„Okay. Ihr lasst das Einhorn frei und dafür vergesse ich die unschöne Szene am Anfang”, bot sie an.

Tay überlegte kurz, doch sein Leben war ihm wichtiger und so willigte er ein. Er ging zum Stall, die Anderen warteten.

„An dem Hengst scheint dir ja eine Menge zu liegen”, meinte die schwarzhaarige Elbe plötzlich.

„Wie man es sieht. Leid getan hat er mir schon vorher, aber als ich ihn genauer betrachtete hatte ich wieder so ein Gefühl und da ich in den letzten Monaten gelernt habe, das es besser ist, auf meine Gefühle zu hören tat ich es auch dieses mal, mehr ist da nicht bei. Aber irgendwie war das gerade merkwürdig”, fand er.

„Was denn?”, erkundigte sich Timo.

„Ich konnte verstehen, was er gesagt hat. Er hat die Männer angeschrieen, sie sollen ihn loslassen”, antwortete Justin nachdenklich.

„Das Einhorn? Das hat doch nur gewiehert”, fand Charly.

Shadow schaute hoch zur Sonne.

„Wie alt bist du heute geworden?”, fragte sie dann.

„Hä, wie?”, nicht nur Justin schaute sie verwirrt an.

„Na, die Herrin sagte, du hast am Tag der Sommersonnenwende Geburtstag und die ist heute. Das kann man gut an der Sonne erkennen”, erklärte die Chito.

Justin dachte nach.

„Der Tag der Sommersonnenwende, also der einundzwanzigste Juni. Heute ist Sommeranfang und heute hätten meine Eltern Hochzeitstag und heute ist mein Geburtstag, da hast du recht. Sechzehn Jahre alt bin ich heute geworden”, murmelte er vor sich hin.

„Nun, dann ist es vielleicht nicht mehr ganz so merkwürdig”, überlegte Melody.

„Inwiefern?”, hakte Timo nach.

„Es ist so, laut den Geschichten der Elben hat der Weltenretter die Macht, die Sprachen jener zu verstehen, die die Sprache der Unsterblichen verlernt haben. Das sind zum Bespiel die Tiere, Pferde, Hunde, Katzen. Wesen, die nichts sagen können, zumindest nichts, was wir verstehen würden. Einhörner gehören eigentlich nicht dazu, sie können die Sprache der Unsterblichen, zumindest meistens, aber du scheinst mehr Macht zu haben als in den Geschichten”, meinte Melody.

„Wie kommst du darauf?”, fragte Charly.

„Weil er nicht nur die Sprache derer kann, die die Sprache der Unsterblichen nicht können, sondern er kann anscheinend auch die Sprachen, die nur eine bestimmte Art spricht. Also wenn das zutrifft, dann würde er es zum Beispiel auch verstehen, wenn Melody in der Elbensprache spricht, obwohl sie ja die Sprache der Unsterbliche kann. Habt ihr das halbwegs verstanden?”, erkundigte sich Shadow.

„Ja, ich schon”, meinte Justin. Er schaute zu Melody: „Sag mal was auf Elbisch.”

Sie schaute ihn verdutzt an.

„Auf was? Elbisch?”, sie lachte laut auf.

„Oh Justin“, meinte sie, „Elbisch, was soll das denn für ein Wort sein?“

„Na, die Elbensprache, die Sprache, die nur die Elben sprechen”, erklärte Justin ungeduldig.

Melody lächelte immer noch, sagte dann etwas in einer merkwürdigen, unbekannten Sprache.

„Ich habe dich verstanden, Melody. Ich habe verstanden, was du sagtest!“, rief Justin begeistert.

Melody nickte lächelnd.

„Warte mal, heißt das, der kann jetzt alle Sprachen der Welt? Alle sprachen, die es gibt?”, wollte Timo wissen.

„Verstehen wohl schon, aber wie es mit Sprechen aussieht ist dann wohl doch noch eine andere Frage”, meinte Shadow dazu.

„Das ist ja stark!”, Charly war sichtlich begeistert.

„Werden wir sehen”, fand Justin.

Tay kam mit dem Einhorn heraus, ein paar andere Männer führten ein paar Pferde.

„Die sind für euch, Lady Melody. Ich schenke sie euch. Alle”, erklärte Tay. Das schwarze Einhorn blieb still stehen, als wüsste er, dass er bald wieder frei sein würde.

Justin nahm dem Elben den Strick aus der Hand, führte den Hengst ein wenig weg und löste dann den Knoten.

„Tu das, was du am besten kannst und renne”, sagte er und ging ohne einen weiteren Blick zurück zu seinen Freunden.

„Ich werde sie begleiten”, sagte Charly gerade zu Tay, „vielleicht komme ich so nach Hause.”

Tay nickte und lächelte ihr aufmunternd zu.

„Recht so. Es ist besser, wenn du nicht weiter hier bleibst. Ich werde es Chantal sagen, wenn du es ihr sagst, dann überredet sie dich nur, das du doch bleibst”, meinte er und deutete einem der Männer Charly eines der deutlich edleren Pferde zu geben.

Shadow, Timo und Justin würdigte er nicht einen Blickes, er wandte sich stattdessen an Melody.

„Mylady, ich hoffe, ihr kommt nach Hause und ihr freut euch über die Pferde. Ich wünsche euch alles Gute auf Erden”, erklärte er demütig und deutete einem weiteren Mann mit nur einem Blick, Melody eine edle, schneeweiße Stute zu geben. Die nahm das Pferd zwar entgegen, gab es jedoch an Shadow weiter und machte so deutlich, dass sie noch immer wütend war. Sie nahm den Männern auch nacheinander die anderen Pferde ab und verteilte sie, sie selbst behielt einen Fuchs mit Fell so rot wie Justin Haare. Sie saßen auf und ritten los, einzig Melody bedanke sich nicht mehr und würdigte keinem der Männer auch nur einen letzten Blick.

„Weiß auch nur einer, wo es lang geht?”, fragte Timo nach einer Weile.

Shadow zuckte zur Antwort mit den Achseln, Melody ignorierte ihn einfach, Charly schüttelte den Kopf und Justin ritt, tief in Gedanken versunken, einfach so vor sich hin. Timo seufzte.

„Leute, es hat keinen Sinn, einfach so drauflos zu reiten, ohne die Richtung zu kennen”, fand er.

„Timo, sei ruhig”, fauchte Melody, „ich kenne den Weg, also folg mir einfach.”

„Ja, reg dich mal wieder ab! Wir können wirklich nichts dafür, dass dieser Kerl so dämlich ist, also mach uns doch nicht so an”, knurrte er.

Melody antwortete einfach nicht, sie ritten einfach stumm weiter. Es wurde schon langsam Nacht, als Justin sie bat, anzuhalten.

„Wieso, was ist denn?”, wollte Timo wissen. Justin deutete gen Westen, dorthin, wo die Sonne langsam aber sicher hinterm Horizont verschwand. Ein schwarzes Einhorn mit silbernem Horn und Hufen und großen, nachtschwarzen Schwingen stand da und beobachtete sie. Der Rotschopf sprang vom Rücken seines Pferdes und ging zu dem Hengst.

„Warum folgst du uns?”, fragte er als er vor dem Tier stand.

»Ich möchte euch begleiten«, antwortete das Einhorn.

„Wieso? Ich verstehe nicht…”, meinte Justin.

»Mein Schicksaal ist es, dich zu begleiten«, schnaubte der Rappe.

„Und gegen das Schicksaal kommt man nicht an, ich weiß”, er schaute zu Boden.

»Genau. Ich werde dich begleiten. Steig auf«, forderte der Hengst.

„Ich soll auf dir Reiten?”, er machte einen abwehrenden Schritt zurück, „das kann ich nicht! Es ist ein unverzeihbarer Frevel, ein Einhorn zu reiten!”

Der Hengst schnaubte: »Der wäre es nur, wenn du mich reiten würdest, wenn ich es nicht will, aber ich bitte dich sogar darum.«

Justin schaute sich unsicher um.

„Bist du sicher?”, fragte er.

»Ja«, das Tier stellte sich seitlich zu den Rotschopf, »steig endlich auf.«

Der Rotschopf schluckte schwer, nickte dann. Er kletterte auf den Rücken des Einhorns. Erst wusste er nicht, wohin mit den Beinen, denn die Flügel behinderten ein wenig das bequeme sitzen, doch dann hatte er eine halbwegs passende Position gefunden.

„Wie heißt du eigentlich?”, wollte er dann wissen.

»Nennt mich, wie es euch beliebt, denn mich nennt sowieso jeder, wie er es will«, antwortete das Einhorn und setzte sich in Bewegung. Sein Schritt war kraftvoll und dennoch federleicht. Kein vergleich zu einem anderen Pferd.

„Okay. Ich habe zwar keine Ahnung, wie ich nun nennen soll, aber mir wird schon etwas einfallen”, meinte der Junge und hielt sich an der langen, nachtschwarzen Mähne fest. Nachdenklich murmelte er ein paar Namen vor sich hin.

„Ich hab es! Thunder! Der Name ist passend, find ich”, rief er.

»Okay. Dann nennt mich Thunder«, stimmte das Einhorn zu.

Der Hengst trat zu jedem einzelnem Pferd und rieb kurz seine Nüstern an den der Anderen.

„Wieso reitest du jetzt ihn?”, wollte Timo wissen.

„Er wollte es so. Aber ich denke, wir machen uns wieder auf den Weg, das heißt, wenn du fertig geschmust hast, Thunder”, bemerkte der Rotschopf.

»Was heißt hier schmusen? Ich habe lediglich die Anderen begrüßt. Auf der Art der Einhörner. Ich muss mich doch mit meinen Reisegefährten bekannt machen oder würdest du mit jemand Reisen, den du nicht einmal im Mindesten kennst und dementsprechend nicht vertrauen kannst? Ich nicht«, verteidigte sich der Rappe.

„Ist ja schon gut, schon in Ordnung, ich habe nichts gesagt”, meinte Justin.

„Was hat er gesagt?”, wollte Charly wissen.

„Vergesst es, lasst uns lieber los reiten”, redete sich der Junge heraus.

Die Anderen nickten zustimmend.

Der Nebelsee

Das also ist der Nebelsee?”, fragte Timo.

Melody nickte: „Ganz recht. Dort müssen wir durch, das ist der schnellste Weg.”

Sie standen vor einer art See, doch statt des Wassers ist er mit weißem Nebel gefüllt.

„Da verlaufen wir uns drinnen”, prophezeite Charly pessimistisch, „und wenn nicht das, dann verlieren wir einander.“

„Nicht unbedingt”, meinte Justin. Er ließ Thunder zu Shadows Pferd gehen, nahm ihr die Zügel aus der Hand und knotete sie an das Zaumzeug Timos. Dann nahm er dem die Zügel aus den Händen und befestigte sie an Charlys Pferd, nahm der die Zügel aus den Händen und knotete sie an Melodys Pferdetrense und zu guter letzt befestigte er die Zügel von Melodys Fuchs an Thunders Trense.

„So verlieren wir uns nicht und wenn Thunder in der Lage ist, einfach nur geradeaus zu laufen, dann ist doch alles in Ordnung”, fand er.

„Ja, aber nur, wenn dein Rappe wirklich einfach nur geradeaus laufen kann”, meinte Charly.

Justin ignorierte sie und deutete dem Hengst, sich in Bewegung zu setzten und so setzte sich die gesamte Karawane in Bewegung.

Sie ritten lange durch den Nebel, dann lichtete sich dieser langsam.

„Wir sind fast durch”, meinte Justin.

„Stimmt, du hast recht, aber ich bin trotzdem pitschnass”, meinte Shadow missmutig, denn sie hasste kaum etwas mehr, als das Wasser.

„Was erwartest du, wenn du durch den Nebel reitest?”, fragte Timo und schüttelte sich so, das die Tropfen aus seinem Haar flogen.

Thunder stieg den Hang hinauf und trat dann endgültig aus dem Nebel, doch das war ein Fehler, denn sogleich stürzte sich ein Monster wie Justin es noch gesehen hatte auf die Zwei. Thunder sprang erschrocken zur Seite und weil die Bewegung zu schnell kam, stürzte der Rotschopf schwer vom Rücken des Hengstes. Eines der Monster nahm ihn sofort in die Mangel, sodass Justin nur noch keuchen konnte. Die Anderen kamen auch aus dem Nebel und wurden ebenso von den Monstern angegriffen. Justin zappelte und wehrte sich nach Kräften, doch das Ungeheuer mit einem schlangenartigen Schweif drückte diesen immer nur noch fester zu. Justin konnte nicht einmal mehr keuchen. Das Monster war dabei ihn zu erwürgen. Dann, plötzlich, ließ es ihn los und Justin stürzte abermals schwer zu Boden. Kurz blieb er hocken und sog hektisch die Luft ein, dann sprang er blitzschnell auf, zog sein Schwert und hiebte auf das Ungeheuer ein, als es wieder nach ihm griff. Was mit seinen Freunden war das bekam er nicht mit, denn er war zu sehr damit beschäftigt, sich selbst zu verteidigen, denn nun griff ihn auch noch ein zweites Monster an. Justin wich geschickt aus und hiebte in der gleichen Bewegung zu, doch die Klinge prallte ab, wie als hätte er auf Stahl gehauen. Er biss sich auf die Lippe und sprang wieder weg, als er aus dem Augenwinkel eine schnelle Bewegung sah. Knapp verfehlte ihn die Klaue eines weiteren Monsters. Justin schlug wieder blind in die Richtung und diesmal traf er sogar, die Klinge fraß sich tief in das Fleisch des Wesens. Justin erwartete, es verzweifelt aufschreien zu hören, doch plötzlich war es so, als hätte die Zeit angehalten. Verwundert schaute er sich um, ebenso wie seine Begleiter.

„Was ist denn jetzt los?”, wollte Charly wissen.

„Es ist noch nicht die richtige Zeit. Ihr schafft es ja kaum, gegen diese Monster anzukommen. Ihr solltet erst einmal üben und das tut ihr besser nicht hier”, sagte eine körperlose Stimme. Nein, sagen war das falsche Wort, es war vielmehr so, als würden sie es plötzlich einfach nur wissen. Nicht einmal so, als würde jemand seine Gedanken auf sie übertragen, sondern sie wußte es einfach. Dann wurde es schwarz um sie herum.

Zu Hause

Justin stöhnte leise. Ihm taten stellen im Körper weh, von denen er nicht einmal gewusst hatte, das sie existieren. Er blinzelte, doch das helle Licht blendete ihn und so zog er es vor, mit geschlossenen Augen einfach nur liegen zu bleiben. Er ruhte sich noch ein wenig aus, hoffte, dass die Schmerzen abklingen würden, doch das war nicht der Fall. Langsam setzte er sich auf und blinzelte wieder, solange, bis er etwas sehen konnte.

„Na, endlich wach?”, fragte eine vertraute Stimme, doch Justin konnte sie nicht gleich einordnen. Er schaute sich um und war überrascht, sich in seinem Zimmer in Nordstadt wieder zu finden. Neben seinem Bett saß seine Mutter und lächelte ihn überglücklich an.

„Warum bin ich wieder hier und nicht in der Elbenfeste?”, murmelte er.

„Was sagst du? Was ist denn eine Elbenfeste”, fragte seine Mutter mit sanfter Stimme.

Justin schüttelte leicht den Kopf.

„Vergiss es”, war seine Antwort.

„Geht es dir gut, mein Schatz?”, fragte sie besorgt.

„Ja, natürlich, aber was ist passiert?”, wollte der Rotschopf wissen.

„Das frage ich dich! Wo warst du? Du warst ein ganzes Jahr lang weg! Wie vom Erdboden verschluckt!”, Ginny stiegen die Tränen in die Augen als sie an das vergangene Jahr dachte.

Justin schaute weg.

„Tut mir Leid, aber ich musste weg. Es war nie geplant gewesen, so lange weg zu bleiben. Ich wollte nur herausfinden, was das alles auf sich hatte, aber es hat länger gedauert und ich weiß noch immer nicht alles”, murmelte er.

„Aber wo warst du? Justin, du siehst halb verhungert aus und hast überall Narben und andere Wunden. Wo um alles in der Welt bist du gewesen?”, seiner Mutter liefen die Tränen über die Wangen und tropften auf Justin Hand.

„Nein. Das würdest du mir sowieso nicht glauben. Also, ich kann es dir nicht erzählen, aber es ging mir gut, das vergangene Jahr. Fast schon besser, als in der Zeit davor”, Justin hatte nicht die Kraft, seiner Mutter in die Augen zu sehen.

„Okay. Ich merke schon, du willst nicht darüber reden”, Ginny nahm ihren Sohn unvermittelt in die Arme. Der ließ es geschehen, doch er konnte seiner Mutter nicht mehr in die Augen schauen, als sie ihn losließ und anschaute.

„Sind Timo, Sally, Charly und Moritz auch wieder hier?”, fragte er.

„Ja, Sally ist schon vor euch hier wieder aufgetaucht. Sie war putzmunter als sie die Straße runter gelaufen kam, als wäre nie etwas gewesen. Timo und Charly wurden mit dir zusammen im Wald gefunden, ihr ward alle drei Ohnmächtig. Timo und Charly sind schon seid einer geraumen Weile wieder wach und gehen auch zur Schule und alles. Ihnen geht es gut, aber wer ist bitteschön Moritz?”, fragte Ginny.

„War er denn nicht bei uns? Eigentlich hätte er doch auch hier sein müssen. Oder hast du ihn einfach nicht erkannt?”, überlegte Justin.

„Nun, ihr ward alleine, mal abgesehen von diesem Kerl, der dich vor einem Jahr mit einem Schwert bedroht hat”, erklärte Ginny.

Nun schaute Justin sie doch direkt an.

„ Du hast ihn also wirklich nicht erkannt? Wo ist er?”, wollte er nun wissen.

„Im Gefängnis in Untersuchungshaft”, antwortete seine Mutter.

„Er ist wo?!”, rief Justin entsetzt.

„Er ist, wo er hingehört, immerhin hat er dich bedroht. Es gab Zeugen”, erklärte sie.

Ihr Sohn gab einen missmutigen Laut von sich.

„Sag mir bitte, dass das nicht wahr ist”, seufzte er.

„Doch, es ist wahr. Gott sei Dank ist es wahr”, meinte sie überzeugt.

„Und wo ist sein Schwert?”, Justin wusste, dass das Schwert allein in die Hände seines Vaters gehörte, denn nur der wusste, wie man mit eben diesem umging. Außerdem wusste er auch, das Drachenwind Moritz’ viel bedeutete, warum auch immer.

„Das Schwert ist im Museum in Frenscen. Es wird in den nächsten Tagen in ein größeres Museum gebracht, aber bis dahin haben sie es in Frenscen ausgestellt”, antwortete Ginny.

Justin stöhnte unwillig.

„Nein, nein, nein, das kann alles nicht wahr sein! Wann wollen sie Drachenwind, also das Schwert, wann wollen sie es wegbringen?”, fragt er.

„Ich glaube heute Abend oder morgen früh”, war die Antwort.

Der Rotschopf sprang aus seinem Bett und zog sich schnell um. Dass die Klamotten, die er nun trug ihm mittlerweile zu klein waren, das registrierte er nur am Rande. Er sprang die Treppe hinab, ohne seine Mutter zu hören, die ihn versuchte, zurückzuhalten. Er rannte die Straße hinunter zur Bushaltestelle, wo er ungeduldig wartete.

Plötzlich trat jemand von hinten zu ihm.

„Na, auch endlich wieder wach?”, Timo schlug ihn freundschaftlich auf die Schulter.

„Gut, das du hier bist, ich brauche dein Hilfe”, überfiel Justin seinen Freund sogleich, ohne sich vorher mir Höflichkeitsfloskeln aufzuhalten.

„Ja, dir auch einen guten Morgen. Was ist los?”, fragte der Schwarzhaarige.

„Erkläre ich dir im Bus auf den Weg nach Frenscen”, winkte der Rotschopf ab, den in diesem Augenblick kam der Bus und bevor Timo widersprachen konnte, hatte er ihn auch schon mit hineingezogen. Ohne auf Timos Protest zu achten suchte er Sitzplätze und zog seinen Freund einfach neben sich.

„Justin, was ist den los?”, Timo fand das nicht lustig, regelrecht entführt zu werden.

„Moritz sitzt im Knast und Drachenwind, sein Schwert, liegt im Museum und wenn wir nicht riskieren wollen, das Moritz tobt, dann sollten wir erst einmal Drachenwind haben, bevor wir ihn raus holen”, erklärte Justin knapp.

„Klingt einleuchtend, ich habe aber noch ein paar Fragen: Wie willst du Drachenwind aus dem Museum schaffen und wie willst du Moritz aus dem Gefängnis holen?”, wollte Timo wissen und kam so gleich auf die Kernprobleme zu sprechen.

„Genau dazu brauche ich ja deine Hilfe, zumindest was das Schwert anbelangt. Ich kann keine Zauber, also musst du Drachenwind irgendwie verschwinden lassen. Wie genau wir das anstellen werden wir dann vor Ort klären. Und was mit Moritz wird ist im Moment eher Nebensache, der kann warten nur, das Schwert wird bald woanders ausgestellt und dann kommen wir gar nicht mehr ran, deswegen muss es schnell gehen. Verstehst du?”, fragte Justin.

„Ich bin ja nicht doof”, antwortete Timo, „aber ist dir schon mal aufgefallen, dass deine Klamotten nicht so ganz passen? Die sind zu kurz.”

Timo ging zu den normalen Problemen eines Jugendlichen über, nämlich das Aussehen.

„So wie du rumrennst bist du für die Leute im Museum sowieso der potenziell eheste Verbrecher. Und hast du in den letzten Tagen auch mal unter der Dusche gestanden? Du stinkst wie als hättest du auf einem Misthaufen gepennt”, mäkelte er weiter.

„Ich hatte noch keine Zeit, ausgiebig shoppen zu gehen oder mal eben unter die Dusche zu springen, als ich hörte, was mit Moritz ist, da bin ich einfach gleich losgesprungen”, erklärte der Rotschopf mit einem Achselzucken.

„Man merkt es”, Timo rümpfte demonstrativ die Nase und Justin lachte.

„Über mein Aussehen mache ich mir erst wieder Gedanken, wenn das hier abgehakt ist. Vorher habe ich ja doch keine Ruhe und Zeit, um mich auf andere Dinge zu konzentrieren”, meinte er grinsend.

„Wie Schule zum Beispiel? Weist du wie weit wir hinterher hinken? Wenn wir Glück habe, dann haben wir in jedem Fach bestenfalls eine fünf”, der Schwarzhaarige fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut.

„War mir klar. Aber das geht schon irgendwie. Es muss einfach irgendwie gehen. Mit Schule und das alles. In dem vergangenem Jahr habe ich eines besonders gelernt: denk nicht zuviel über die Zukunft nach, es kommt ja doch anders”, erklärte Justin seine Meinung.

„Merke ich schon”, antwortete Timo spitz.

Justin lachte wieder, dann hielt der Bus in der Stadt Frenscen. Die Jungen stiegen aus und machten sich auf die Suche nach dem Museum, denn sie kannten sich in der Stadt nicht aus und waren auch noch nie im Museum gewesen. Doch nach einigen Stunden des Suchens hatten sie dann doch das richtige Gebäude gefunden. Timo bezahlte den Eintritt und Justin begann sofort, alle Säle nach dem Schwert zu durchforsten. Erst im letzten Ausstellungssaal hatten sie Erfolg. Drachenwind lag in einer Vitrine und wurde von einigen Leuten bewundert.

„So, und wie kriegen wir das Ding da jetzt raus?”, wollte Timo wissen.

„Scheibe einschlagen”, war Justin Antwort.

„Was dümmeres ist dir wohl nicht eingefallen, oder wie?”, der Schwarzhaarige zweifelte langsam daran, das Justin noch alle Tassen im Schrank hatte.

„Doch, klar ist mir was dümmeres eingefallen, aber mit Scheibe einschlagen wird funktionieren, da kannst du sicher sein. Willst du die Stromzufuhr kappen oder lieber die Scheibe einschlagen?”, wollte der Rotschopf mit Unschuldsmiene wissen.

„Was hat das jetzt alles mit der Stromleitung zu tun?”, Timo konnte seinem Freund nicht folgen.

„Na, wenn es keinen Strom gibt, dann gibt es auch keinen Alarm. Kein Alarm bedeutet, wir schlagen die Scheibe ein, nehmen das Schwert und du lässt es durch einen Zauber verschwinden, verstanden oder noch mal für doofe?”, Justin setzte das liebenswürdigste Lächeln auf, das er zustande brachte.

Timo zweifelte eine Sekunde lang ernsthaft an dem Verstand seines Gegenübers, doch als er merkte, dass der das genau so meinte, wie er es sagte, gab er sich geschlagen.

„Okay, wir machen, was du vorschlägst. Du schlägst die Scheibe ein”, meinte er dann.

Justin nickte und zeigte seinen Freund auch gleich, wie sie einen Stromausfall verursachen konnten.

„In der Zeit, bevor das Notstromarregat anspringt wird es hier zappenduster sein, die Zeit nutzen wir”, erklärte er. Timo nickte und dann ging alles ganz schnell und wie durch ein Wunder verlief sogar alles nach Plan. Timo unterbrach die Stromzufuhr und setzte durch einen Zauber auch das Notstromarregat kurz außer Kraft, sodass es die Alarmanlage nicht ansprang, während Justin so leise wie möglich die Scheibe zerschmetterte und Drachenwind herausnahm. Im Dunkeln übergab er es Timo, der wieder seine magischen Fähigkeiten einsetzte und das Schwert unsichtbar machte. Justin hatte nämlich nicht einen Zauber lernen können, den Janne ihm hatte beibringen wollen. Er hatte schlichtweg einfach kein Talent zur Magie. Timo dagegen hatte schnell begriffen und auch Shadow hatte ihm den einen oder anderen Trick beigebracht und so musste eben Timo zaubern.

Kaum war Drachenwind nicht mehr zu sehen, ging auch schon das Licht an Niemand befand sich mehr im Ausstellungssaal und so machten sich die Jungen schnell aus dem Staub. Aufatmen taten sie aber erst einige Zeit später, als sie im Bus nach Hause saßen.

„So was mach ich nie wieder”, versicherte Timo.

Justin nickte.

„Müssen wir wohl auch nicht. Ich habe keine Ahnung, weswegen manche unserer Altersgenossen fast schon gerne irgendetwas stehlen”, seufzte er.

„Jetzt erklär mir aber mal, wie du nun Moritz aus dem Knast holen willst?”, nervte Timo weiter.

„Ich weiß noch nicht so genau. Auch nicht, was dann weiter geschehen soll, das wird die Zeit uns bestimmt von sich aus zeigen. Also: Einfach abwarten”, erklärte Justin mit einem Achselzucken.

Der Schwarzhaarige verdrehte die Augen, sagte aber nichts dazu.

„Meinst du, das schaffst du allein?”, wollte er wissen.

„Ja, klar, natürlich, wenn du willst, dann kannst du gehen. Aber tust du mir einen gefallen?”

Timo hatte schon eine ungefähre Ahnung, wie die Bitte seines Kumpels aussehen mochte, deswegen wich er aus: „Ich weiß nicht, ob meine Eltern das so toll finden, wenn ich plötzlich mit einem Schwert nach hause komme.”

„Ist mir klar, sollst du auch nicht. Könntest du bei mir zu Hause vorbeigehen und das Schwert ins Gartenhaus legen? Unter die Sitzbank, damit meine Mutter es nicht findet. Ich hol es dann nämlich später, aber jetzt kann ich damit weiß Gott nichts anfangen, die auf der Wache würden mich dann nämlich wohl gleich in die Psychiatrie stecken, wenn ich mit einem Schwert da ankommen würde”, erklärte Justin.

„Okay, das ist einleuchtend. Ja, ist in Ordnung, ich fahre bei dir vorbei”, Timo stand auf und ging zur Tür, denn er war bei der entsprechenden Haltestelle Angleangt.

„Auf wieder sehen”, rief er zum Abschied seinem Kumpel zu.

Justin nickte lediglich und wartete dass der Bus weiter fuhr. Nach einer viertel Stunde war er endlich dort Angleangt, wo er hin wollte. Er sprang aus dem Bus und betrat die nahe gelegene Polizeiwache. Er redete stundenlang auf die Beamten ein, versuchte seine gesamten Überredungstricks und setzte seinen bettel Blick auf, doch keiner ließ sich erweichen. Im Gegenteil, nach einiger Zeit wurde es den Beamten zu bunt und sie schmissen Justin regelrecht raus. Der brummte wütend vor sich hin, dann hatte er jedoch eine andere Idee. Er kletterte über den Zaun, der das Gefängnisgelände umgab und schlich zu jeder Zelle und fragte flüsternd: „Moritz? Bist du hier?”

Er wollte fast schon aufgeben, denn es gab noch ein Obergeschoss, aber da kam er nicht so ohne weiteres hoch, doch dann meldete sich Moritz ebenso flüsternd.

„Na endlich, ich dachte, ich finde dich gar nicht mehr”, maulte Justin, „aber was auch immer du tust, tu es weiter, lass dir nicht anmerken, das du mit mir sprichst.”

„Was machst du eigentlich hier?”, wollte Moritz wissen.

„Dich rausholen. Ich habe versucht, die Beamten zu überreden, doch die haben mir, glaub ich, nicht mal richtig zugehört. Aber ich weiß jetzt nicht, was ich tun soll. Ich kann dich doch nicht einfach so befreien, wie soll ich das machen?”, Justin hüpfte wie auf heißen Kohlen.

„Weist du zufällig, ob Janne hier in der Gegend ist? Sie könnte mir nämlich ohne weiteres helfen, aber bei dir bin ich mir da nicht so sicher”, Moritz gab ein paar merkwürdige Laute von sich.

„Was wird dir eigentlich genau vorgeworfen?”, wollte Justin wissen.

„Das ich dich bedroht und entführt habe und nicht nur dich, sondern auch Timo, Sally und Charly. Im Moment wird untersucht, ob da etwas dran ist. Wurdest du noch nicht befragt?”, Moritz schien verwundert.

„Nein, aber ich bin auch erst seid ein paar stunden bei Bewusstsein. Was für eine Geschichte hast du ihnen erzählt, unsere Geschichten müssen sich decken”, fand der Rotschopf.

„Was das anbelangt, das ich dich bedroht habe hab ich ihnen noch gar nichts erzählt, mir ist nämlich keine glaubhafte Geschichte eingefallen. Und bei den Entführungen habe ich erzählt, dass ihr mir einfach so entgegen gekommen seid. Ihr ward schon so verwahrlost und ich wollte euch wieder in die Zivilisation bringen”, erklärte Moritz.

„Ach, du als Retter der Jugend ja? Nein, ist aber in Ordnung die Geschichte. Dann können wir nämlich erzählen, wir hätten uns verlaufen”, nickte Justin.

„Dann ist ja alles klar. Aber geh jetzt besser nach Hause, deine Mutter macht sich doch bestimmt wieder Sorgen”, meinte Moritz.

Der Rotschopf nickte, dann verschwand er ebenso leise, wie er gekommen war.

Wiedersehen

Justin rubbelte sich das Haar trocken während er die Treppe nach unten ging. Es tat gut, nach so langer Zeit mal wieder richtig sauber zu sein. Er war kaum die Treppe ganz unten, als seine Mutter aus dem Wohnzimmer nach ihm rief. Justin ging zu ihr und auf dem Sofa, seiner Mutter gegenüber, saß ein Polizist.

„Guten Tag”, grüßte Justin höfflich.

Ginny seufzte als sie ihn sah, oder vielmehr, als sie sah, das sogar seine größten Klamotten kaum noch passten.

„Wir müssen morgen unbedingt in die Stadt, du bist nämlich ganz schön gewachsen, mein lieber. Aber egal, Herr Schmidt hat ein paar Fragen an dich”, erklärte sie.

Justin setzte sich auf den Boden und schaute den Polizisten erwartungsvoll an: „Ich höre. Was wollen sie wissen?”

„Nun, erst mal, wo du das vergangene Jahr eigentlich warst. Warum bist du überhaupt ausgebüxt und wer ist der andere Mann, der in der Begleitung von dir und deinen Freunden war?”, wollte der wissen.

„Also das letzte Jahr, auch wenn sie es mir nicht glauben, ich habe mich verlaufen. Ich habe diesen Mann gesucht, weil ich ihn noch ein paar Fragen stellen wollte und da hab ich mich einfach verlaufen. Ich war eine zeitlang nicht mal mehr in Deutschland. Bevor sie fragen, ich bin nicht zu anderen Menschen gegangen, weil ich ja den Mann gesucht habe und da wollte ich es nicht riskieren, das mich irgendwer nach Hause schleppt. Und dieser Mann, das war Moritz, mittlerweile ist er ein guter Freund von mir”, antwortete Justin.

„Warum hat dieser Moritz dich kurz vorher mit dem Schwert bedroht?”, wollte Herr Schmidt wissen.

„Hat er gar nicht. Das Schwert ist nicht mal echt gewesen. Bestand aus Holz, das hatte er geschnitzt. Ich war erstaunt, dass es so echt aussah und habe ihn gebeten, mir auch eines zu machen”, erklärte Justin.

„Und was wolltest du ihn dann fragen?”, Herr Schmidt wollte Justin wohl unbedingt in einen Widerspruch verwickeln.

„Etwas zu meinem Träumen. Er ist so etwas wie ein Landstreicher und ich wusste, wo er hin wollte und auf welchem Weg und das alles und so konnte ich ihm folgen”, Justin zuckte mit den Schultern.

„Was hat das alles mit deinen Träumen zu tun?”

Justin unterdrückte einen genervten Seufzer. Ihm gingen die Fragen auf die Nerven, trotzdem blieb er freundlich und sachlich.

„Nun, meine Träume. Meine Träume sind merkwürdig und ich versuche einfach nur zu verstehen, was dahinter steckt. Auch wenn es sich unglaubwürdig anhört, aber es ist so, das viele meiner Träume ein paar Tage später Wirklichkeit werde...”

Herr Schmidt runzelte die Stirn.

„Da fällt mir ein, heute war ein rothaariger Junge da, der unbedingt wollte, das dieser Moritz freigelassen wird. Warst du das?”, fragte er dann noch.

„Ja. Immerhin ist er mein Freund und wer sieht schon gerne seinen unschuldigen Kumpel im Knast rum hocken?”, Justin schaute den Polizisten direkt in die Augen. Er wusste, dass die wenigsten Menschen seinen Blick standhalten konnten, auch wenn er nicht verstand, wieso, doch er bekam die gewünschte Wirkung, der Polizist stand auf und ließ keinen Zweifel aufkommen, dass er nun gehen würde.

„Ich werde noch ein paar Dinge prüfen müssen, aber wenn deine Geschichte stimmt und von deinen Freunden bestätigt wird, dann spricht nichts dagegen, das dein Kumpel bald wieder frei ist”, erklärte er zum Abschied, dann ging er.

Justin lächelte triumphierend, dann flitzte er ans Telefon und berichtete seinen Freunden, was für eine Geschichte er erzählt hatte. Wenn die Anderen nämlich etwas anderes erzählten, dann war sicher, dass er sich die Geschichte nur ausgedacht hat, beziehungsweise, seine Freunde sie sich ausgedacht hätten und das würde die Sache nur unnötig verkomplizieren. Als er nach einer halben Stunde herum telefonieren endlich auflegte, meldete sich auch Ginny mal zu Wort.

„Warum hast du Herrn Schmidt angelogen?”, wollte sie wissen.

„Weil mir die Wahrheit sowieso niemand glauben würde, zumindest nicht ohne Beweise und ich kann es nicht beweisen”, erklärte der Rotschopf.

„Versuch es doch einfach mal. Vielleicht glaubt dir ja doch jemand”, fand seine Mutter.

Justin ließ sein rotes Haar fliegen.

„So was glaubt mir keiner. Nie im Leben. Vielleicht ein Kleinkind, aber niemand, der noch richtig im Kopf ist”, meinte er.

„Versuch es. Erzähl mir die Geschichte, so abwegig sie auch sein mag. Ich möchte sie hören”, Ginny ließ nicht locker.

„Okay, okay, aber ich sage dir vorher, dass du es mir nicht glauben wirst”, warnte der Junge und begann zu erzählen. Er erzählte alles, nur eine Sache ließ er aus, nämlich sein Gespräch mit Moritz im Regen. Seine Mutter schaute ihn dabei immer ungläubiger an. Nach mehr als einer Stunde endete Justin dann. Erst schwieg seine Mutter. Sie dachte darüber nach, was sie gehört hatte und ihr Sohn wollte ihr Zeit lassen.

„Das hört sich wirklich...”, Ginny fand das richtige Wort nicht, also half Justin ihr auf die Sprünge.

„Hört sich wirklich erstunken und erlogen an? Vollkommen ausgedacht, von einem kranken Hirn, das schon vor langer Zeit abgesackt ist, in das Reich der Drachen und Feen? Ja, so hört es sich an, aber so ist es nicht. Ich wusste, dass du mir nicht glaubst. Niemand würde das”, meinte er.

„Tut mir leid, aber so etwas kann ich einfach nicht glauben. Also erzähl mir bitte, was wirklich geschehen ist”, bat Ginny.

„Das war, was wirklich ist. Sobald Moritz hier ist kann ich es dir sogar beweisen, denn ich kann die Magie nicht nutzen, aber Moritz kann es. Zwar auch nicht sonderlich gut, aber er kann es”, erklärte Justin.

Ginny seufzte tief.

„Du hast eine eigenartige Art zu sprechen”, bemerkte sie.

„Kann sein. Ich habe mich den Sitten der anderen Welt angepasst und sie sprechen eben ein wenig… das ist es!”, Justin sprang begeistert auf, „Sprache! Die Sprache der Unsterblichen! Du hast sie bestimmt noch nie gehört, geschweige denn gelernt und du wirst sie trotzdem verstehen!”

„Wie kann ich eine Sprache verstehen, die ich noch nie zuvor gehört habe?”, wollte seine Mutter wissen.

„Weil dies die Sprache ist, die jedes Lebewesen versteht. Nur die wenigsten haben sie verlernt, aber du kannst sie! Du musst sie können, denn ich kann sie ja auch!”, Justin war Feuer und Flamme.

„Jetzt rein theoretisch, es gibt diese Sprache, wieso bist du dir so sicher, das ich sie dir vererbt habe, und nicht dein Vater?”, warf Ginny ein.

„Klar, kann schon sein, dass Moritz sie mir vererbt hat, aber wenn ich jetzt anfangen würde, dir zu erklären, warum du und nicht er, dann würde das wohl ein wenig zu weit führen. Also egal, lassen wir es auf einen Versuch ankommen”, winkte Justin ab.

„Okay, dann versuch dein Glück”, seine Mutter zuckte mit den Schultern.

„Aber immer doch”, grinste Justin in der Sprache der Unsterblichen und Ginnys Augen wurden immer größer vor stummen Staunen, denn sie hatte ihn verstanden. Wie Justin vor einem Jahr hatte sie diese Sprache noch nie zuvor gehört.

„Na? Verstehst du mich?”, die Frage war vollkommen überflüssig, denn man sah die Antwort überdeutlich in Ginnys Gesicht geschrieben.

„A-aber das ich doch nicht möglich!”, rief sie aus.

„Doch, es ist möglich. Hörst du ja”, Justin machte es unbändige Freude, seine Mutter so verblüfft zu sehen.

In dem Moment schrillte das Telefon. Justin ging ran und Timo lieferte ihm einen ausführlichen Bericht darüber, was bei ihm herausgekommen war. Nur wenige Sekunden, nachdem der Rotschopf aufgelegt hatte, schrillte es erneut. Diesmal war es Moritz, der mit, von Begeisterung triefender, Stimme erklärte, dass er wieder frei war. Justin hängte ein und hüpfte sofort wieder los und ließ seine noch immer verblüffte, fast schon entsetzte Mutter alleine. Mit dem Bus holte er Moritz ab.

„Endlich, ich dachte, ich komme nie mehr daraus”, murmelte der.

„Tja, jetzt bist du es endlich. Ich bin gespannt, was Mama für ein Gesicht macht, wenn sie dich sieht”, Justin konnte vor Vorfreude kaum noch ruhig sitzen, doch Moritz schien sich unwohl zu fühlen.

„Du, ich glaube, ich sollte nicht mit dir kommen”, erklärte er.

Justin schaute seinen Vater verwundert an: „Aber warum denn nicht? Das bist du Mama doch schuldig, nachdem du dich so lange nicht mehr gemeldet hast!”

„Kann schon sein, aber wir werden wohl noch einmal weg müssen und ich will nicht, das sie sich dann wieder so traurig wird. Außerdem war ich zehn Jahre weg! Justin, das eine so unglaublich lange Zeit! Sie hat mich doch bestimmt schon längst vergessen...”

Moritz schaute aus dem Fenster als er bitter hinzufügte: „Oder gegen einen anderen ausgetauscht. Nein, ich werde nicht mit dir kommen, einfach weil es besser ist.”

Justin schaute Moritz fassungslos an.

„Das meinst du jetzt nicht ernst. Sag mir, dass das nur ein Scherz war”, forderte er, doch Moritz verneinte.

„Moritz! Auf diesen Moment habe ich mich gefreut, seitdem ich auch nur die entfernteste Vermutung hatte, wer du bist! Das kannst du mir nicht antun!”, rief er.

Ein paar der Fahrgäste im Bus drehte sich zu den Beiden um.

„Tut mir leid, aber ich komme nicht mit. Noch nicht. Wenn es vorbei ist, wenn alles vorbei ist, dann erst will ich sie wieder sehen”, murmelte Moritz.

Justin stand auf und sprang ohne ein weiteres Wort zu sagen aus dem haltenden Bus. Er war enttäuscht, hatte er sich doch schon so lange darauf gefreut, das er endlich wieder in einer vollständigen Familie hat leben sollen und nun zerplatzte dieser Wunsch wie eine Seifenblase, einfach weil sein Vater nicht wollte. Den Rest des Weges ging er zu Fuß. Erst am späten Nachmittag kam er zu Hause an. Voll kindlicher Enttäuschung ging er auf sein Zimmer ohne seine Mutter oder seine Schwester auch nur wahrzunehmen. Seine Mutter holte ihn einige Zeit später zum Abendbrot. Mittlerweile hatte er seine Enttäuschung abgeschüttelt und gab sein bestes, sich wieder so zu benehmen, wie er es sonst auch tat. Es gelang ihm, außer vielleicht die Kleinigkeit, das er sich nicht ständig mit seiner Schwester stritt. Die war viel zu glücklich, ihren Bruder wieder zuhaben, als das sie auf seine spitzen Bemerkungen oder Neckereien einging. Sie waren schon eine Weile beim essen, als es an der Haustür klingelte. Justin sprang auf, schneller als das eine der beiden Frauen auch nur daran denken konnte, und lief zur Tür. Er machte auf und sein Vater schaute ihm entgegen. Wortlos trat der Rotschopf nach draußen und zog die Tür so zu, das er zwar noch rein konnte, aber man von drinnen nicht hören konnte, was draußen gesprochen wurde.

„Du hier? Ich dachte, du wolltest Mama nicht mehr wieder sehen”, meinte Justin in bewusst verletzendem Tonfall und der verfehlte seine Wirkung nicht. Moritz zuckte unmerklich zusammen.

„Wollt ich auch nicht, aber was du gesagt hast, und vor allem, wie du es gesagt hast, das hat mir keine Ruhe gelassen”, erklärte der.

„Aha, und deswegen hast du dir auch ein paar Stunden Zeit gelassen, ja?”, der Rotschopf blieb abweisend.

Moritz druckste ein wenig herum: „Na ja, das lag daran, das ich schon lange nicht mehr hier war und da habe ich... den Weg nicht gleich gefunden...”

Justin lachte laut los und es dauerte eine Weile, bis er sich wieder beruhigt hatte, dann machte er die Tür auf und deutete Moritz mit einer einladenden Geste, einzutreten. Er ging in die Küche während Moritz sich kurz im Flur umsah.

„Wir haben einen... na ja, Gast ist wohl das falsche Wort...”, Justin überlegte, dann kam ihm die richtige Idee.

„Genau! Wir haben einen Geist zum Abendbrot.”

Er grinste breit über das verwunderte Gesicht von Helen und Ginny. Moritz schaute über seinen Kopf hinweg scheu in die Küche.

„Wer ist denn das?”, fragten die Beiden sofort.

Justin zog seinen Vater ganz in die Küche und erklärte: „Das ist Moritz, der „Geist”.”

„Warum Geist? Ich finde, der sieht noch ganz Lebendig aus”, meinte Helen und musterte Moritz scharf. Dass sie ihren Vater vor sich hatte, das merkte sie nicht, Ginny dagegen sah da schon um einiges nachdenklicher aus.

„Er kommt mir jetzt, bei genauerem hinsehen, irgendwie bekannt vor...”, meinte sie.

Justin lachte, Moritz fühlte sich sichtlich unwohl in seiner Haut.

„Natürlich kommt er dir bekannt vor, Mama”, grinste der Rotschopf, „Du bist immerhin seid vierundzwanzig Jahren mit ihm verheiratet! Das heißt, wenn ich mich jetzt nicht verrechnet habe.”

Ginny zog die Augenbraun hoch: „Das geht nicht, ich bin nämlich seid elf Jahren Witwe, falls es dir entfallen sein sollte.”

Justin lachte.

„Das glaubst du”, grinste er.

„Justin, rede keinen Schwachsinn, das da ist nie im Leben Papa! Ich meine, selbst wenn Papa noch leben würde, der da ist viel zu jung dazu, der ist doch kaum älter als du”, meldete sich Helen zu Wort.

Justin lachte und wandte sich an Moritz: „Los, sag du auch mal etwas! Lass doch mich nicht die ganze Zeit reden!”

„Na ja, was soll ich sagen.“ Moritz zuckte die Achseln. „Juss hat recht, aber ich glaube, ich fange einfach ganz von vorne an, das ist leichter”, er begann seine Geschichte zu erzählen und zwar auf eben dieselbe Weise, wie er sie Justin erzählt hatte. Helen und Ginny hörten zu, aber sie schienen nicht sonderlich überzeugt.

„Das sollen wir jetzt glauben ja?”, fragte Helen und schüttelte missbilligend den Kopf.

„Justin, warum quälst du mich so? Du weist ganz genau, das mir dein Vater fehlt, warum tust du mir das an?”, fragte Ginny traurig.

Moritz schwieg.

„Erzähl etwas, was nur du wissen kannst, beweise ihnen, das du nicht lügst”, forderte Justin ihn auf.

„Ich bin doch schon am überlegen, aber… ich weiß!”, Moritz stand von seinem Stuhl auf, auf den er sich während des Erzählens gesetzt hatte, und flüsterte Ginny etwas ins Ohr.

Diese sog scharf die Luft ein und starrte ihn ungläubig an.

„Aber da-das ist doch... nicht möglich...”, murmelte sie.

Justin wusste zwar nicht, was Moritz ihr gesagt hatte, aber es hatte sie von der Wahrheit überzeugt. Er stand auf und zog Helen kurzerhand mit sich, als er die Küche verließ. Er schloss die Tür und sagte mit einem Augenzwinkern zu seiner verdutzten Schwester: „Die Beiden haben sich sicher eine Menge zu erzählen. Wir sollten sie echt nicht stören.”

Matheprobleme

Justin, Timo und Charly standen beieinander. Sie versuchten verzweifelt zu dritt die Matheaufgabe zu lösen, Robert stand da neben und grinste breit, den dies war eine der leichtesten Aufgaben. Die Drei jedoch kamen nicht auf die Lösung.

„Okay, Rob, schieß los, wie rechnet man das?”, Justin hatte keine Lust mehr.

„Ganz einfach”, grinste der und schrieb den Rechenweg auf. Doch auch das verstand keiner der Drei wirklich. Sie hatten ja auch den Stoff des gesamten Schuljahres nicht gelernt.

„Wie sollen wir denn so die Prüfung schaffen?” Charly verzweifelte fast. „Ich will nicht sitzen bleiben!”

„Ich doch auch nicht, ich meine, das gibt riesenstress mit meinen Eltern!”, stimmte Timo zu.

„Hey, du solltest mal ganz ruhig sein! Immerhin kann dir Marie erklären, was wir durchgenommen haben! Helen hat nämlich von solchen Aufgaben keine Ahnung und meine Mutter hat versucht, den Satz des Pythagoras bei einem Kreis anzuwenden”, beschwerte sich Justin.

„Dann frag doch Moritz, der müsste eigentlich ganz gut in Mathe sein, Piloten müssen doch auch immer jede Menge rechnen”, gab der Schwarzhaarige zurück.

Justin winkte ab: „Wer weiß, wo der wieder ist! Der verschwindet morgens bevor ich aufstehe und kommt abends wohl nur wieder, weil er es sich wohl nicht verkneifen kann, mit meiner Mutter rumzumachen.”

„Ach, hat deine Alte also doch noch einen gefunden? Ist dieser Moritz cool? Wie wahrscheinlich ist es, das er dein Stiefvater wird?”, Lukas war dazu getreten.

„Ich muss euch enttäuschen Leute, Moritz wird nicht mein Stiefvater, weil das ziemlich unlogisch wäre, wie kann nämlich mein Vater zugleich auch mein Stiefvater sein?”, Justin grinste frech als er die verblüfften Gesichter seiner Kumpel sah.

„Spinnst du oder so? Ich meine, es sollte doch eigentlich niemand besser wissen als du, das dein Alter mausetot ist”, meinte Robert.

„Ja, ich weiß, aber das ist auch eine längere Geschichte, erzähl ich euch ein ander mal. Sagt mir lieber, wie ich den Stoff innerhalb von zwei Wochen aufholen soll und das in sämtlichen Fächern!”, der Rotschopf brachte sein Problem auf den Punkt.

„Vielleicht Nachhilfe oder so”, überlegte Nadja, die nun auch dazu kam.

„Ach, und welcher Lehrer bringt uns den Stoff innerhalb von zwei Wochen so gut bei, dass wir die Prüfung bestehen?”, wollte Charly wissen.

„Keine Ahnung. Fragt doch diesen Studenten, der immer mal wieder auftaucht, diesen Falko”, meinte Lukas.

„Ach ja, Falko... dem muss ich ja auch noch meinen Bericht abliefern”, Justin rieb sich unbehaglich die Nase.

„Hä? Was für ein Bericht?”, die Umstehenden sahen alle verwirrt aus, selbst Charly und Timo, denn sein Treffen mit Falko hatte Justin schon lange schlichtweg vergessen.

Der Rotschopf berichtete knapp und mit wenigen Worten, was damals vorgefallen war, das brachte Lukas auf die Frage, vor der sich die drei schon die ganze Zeit gefürchtet hatten.

„Wo ward ihr denn nun eigentlich die ganze Zeit gewesen?”

Die Drei drucksten ein wenig herum.

„Also naja...”, fing Timo an. Dann hatte er eine Idee, wie er sich ganz leicht um die Antwort mogeln konnte: „Das wollte Charly doch unbedingt erzählen!”

Charly war verblüfft, über soviel Dreistigkeit, doch sie lernte schnell: „Ich? Wie kommst du denn darauf! Das war Justin gewesen, der hatte drauf bestanden, alles zu erzählen! Und zwar haarklein, der war doch ganz versessen darauf!”

Justin schaute kopfschüttelnd seine beiden Begleiter an.

„Okay, dann erzähl ich es halt. Also, ganz kurz und knapp, wir haben uns verlaufen. Ende des Interviews, ich beantworte keine weiteren Fragen”, meinte er mit einem breiten Grinsen.

Das seinen Mitschülern die Fragen auf der Zunge brannten, das sah man deutlich, doch in diesem Moment klingelte es und Justin gab ihnen keine Gelegenheit, noch etwas zu sagen.

Pläne zur Rückkehr

Knapp und mit unverschämt viel Glück bestanden die drei die Prüfungen am Ende doch noch und wurden in die zehnte Klasse versetzt, doch ihre Sommerferien konnten sie nicht genießen, denn sie mussten den Stoff nachholen, damit sie wieder mitkamen, im Unterricht. Wenn sie also mal nicht mit Lernen beschäftigt waren - was nur sehr selten vorkam -, dann waren sie bei Nadja auf dem Hof, den alle drei hatten ihre große Leidenschaft zu Pferden entdeckt. Vor allem Justin war fasziniert von einem jungen Hengst. Das Tier war kein Fohlen mehr, aber auch noch nicht ausgewachsen, vielleicht zwei Jahre alt. Sein Fell war weißer als Schnee, doch die Mähne und der Schweif schwärzer als die Nacht. Das Fohlen hatte einmal einen schwarzen Stern auf der Stirn gehabt, doch aus irgendeinem Grund war dieser - anders als üblich - einfach mit der Zeit verschwunden. Justin liebte es, dem Tier zuzuschauen, wie es über die Wiese galoppierte und es war schnell! Es erinnerte ihn auf unheimliche weise an Thunder. Von der Mutter des kleinen Schimmels erfuhr er auch, weswegen. Thunder war der Vater des kleinen, wundervollen Tieres. Was Justin aber sehr freute war, das er seine Fähigkeit, die Sprache der Tiere zu sprechen nicht verloren hatte und so führte er Stunde um Stunde Gespräche mit Angel, die Mutter des Hengstes, Collie, Max und den anderen Tieren des Hofes. Er erfuhr viel, zum Beispiel, dass die Tiere ihre eigenen Namen hatten, wie sie sich untereinander ansprachen. Sie übernahmen nur in den seltensten fällen de Namen, die die Menschen ihnen gaben. Collie war so ein Fall, aber auch der einzige auf dem Hof. Angel wurde nämlich von den Menschen immer als Blacky bezeichnet. Und ihr Fohlen als Donner, obwohl er unter seinesgleichen einen viel passenderen Namen hatte. Sternentänzer nämlich. Justin gewöhnte es sich an, die Tier bei ihren richtigen Namen zu nennen, was diese sehr schätzten. So flog die Zeit dahin. Ab und an tauchte auch Moritz plötzlich auf und verschwand genauso plötzlich wieder. Einmal jedoch hatte er Floh dabei und er half seinem Sohn fleißig mit, seine Mutter zu überreden, dass der Hund bleiben durfte. So vergingen die Wochen und in den Herzen Justin, Charlys und Timos hatte bald nur noch ein Wunsch Platz: Sie wollten wieder zurück. In ihrem Kopf hatte nichts anderes mehr Platz. Sie sprachen über kaum etwas anderes und verbrachten schlaflose Nächte damit, Pläne zu schmieden, wie sie wieder zurück kommen konnten, dorthin, wo die Sterne hell schienen, wie tausender kleiner Sonnen, und ihr Licht nicht von abertausenden Lampen überstrahlt wurde, wo man Stunde um Stunde über Felder und Wiesen reiten konnte, ohne auch nur einem Menschen zu begegnen, wo einfach alle Träume, die je ein Mensch hatte und die je ein Mensch haben wird, die Realität waren. Und selbst wenn sie einmal schliefen verfolgte sie ihr Wunsch bis in die tiefsten tiefen ihres Traumes. So setzten sie sich eines Nachmittags mit Moritz zusammen und erklärten ihm, was los war. Der wurde nachdenklich.

„Ich verstehe, was ihr meint...”, erklärte er dann.

„Geht es dir etwa genauso?”, wollte Charly wissen.

„Oh nein, weiß Gott nicht! Ich habe genug von der anderen Welt. Nein, so ging es mir, als ich dort gefangen war, gefangen durch Theos drohen. Aber ich verstehe trotzdem, was ihr meint”, murmelte er.

„Und was sollen wir dagegen tun? Moritz, ich drehe hier noch durch! Es ist, als würde jede Sekunde hier mein Herz immer ein Stück weiter aus mir herausreißen! Es ist eine Qual hier zu sein”, erklärte der Rotschopf.

„Dann bleibt wohl nur noch eines. Wir sollten wieder zurück. Das wird aber nicht so ganz leicht”, meinte Moritz.

„Ja, letztes Mal mussten wir einen ganzen Monat laufen”, stöhnte Timo.

„Wie bist du seinerzeit eigentlich immer mal wieder hierher gekommen?”, wollte Justin wissen.

„Durch ein Tor das hier ganz in der Nähe ist, durch einen Zauber unsichtbar. Es führt aber direkt in die Burg von Theo. Und von Janne weiß ich, dass eben diese gerade besetzt ist. Von einem Rudel Mantica. Und mit diesen Ungeheuer ist nicht zu spaßen, das kann ich euch flüstern. Richtige Monster. An diesen gilt es vorbei zukommen, ohne gefressen und in der Luft zerfetzt zu werden. Und das ist nicht leicht”, meinte Moritz.

„Was sind Mantica?”, wollte Charly wissen.

„Eine art Löwe mit einem Schweif eines Skorpions und den Schwingen eines Drachen. Mantica ist aber die Mehrzahl, Manticor wird euch sicher mehr sagen”, meinte Justin.

„So einen hab ich schon einmal gesehen, als wir in diesen Labyrinthen unterwegs waren”, meinte Timo.

„Kannst du uns nicht durch das Schloss bringen, ohne das wir einem Manticor begegnen?”, wollte der Rotschopf wissen.

„An sich schon. Problematisch sind nur ein paar wenige Augenblicke. Es gibt nämlich viele, wirklich viele Geheimgänge, von denen zum Teil nicht einmal Theo etwas weiß. Nur manchmal muss man den Gang eben wechseln und wenn wir durch das Tor kommen müssen wir auch erst einmal ein Stück schutzlos laufen, denn in dem Raum selbst und in den umliegenden Räumen gibt es keine Gänge. Sonst ist da aber kein Problem bei”, meinte Moritz.

„Na dann… wann wollen wir los?”, fragte sein Sohn sofort.

„Desto früher, desto besser, oder nicht? Ich würde sagen, gleich Morgen früh”, meine Charly.

„Mir ist es egal, ich habe genug Zeit”, meinte Moritz.

„Dann Morgen. Charly hat nämlich Recht. Früh ist besser als spät”, stimmte Timo zu.

Justin lachte leise.

„Was ist? Warum lachst du?”, wollte Charly sogleich wissen.

„Jetzt mal ganz ehrlich, Moritz, als Vater bist du eine Niete. Immerhin erlaubst du mir, dass ich die Schule schwänze”, grinste der Junge.

Moritz zuckte mit den Schultern.

„Kommt drauf an, aus welcher Sicht man es betrachtet. Ich ermögliche es dir lediglich, dass du deine eigenen Wege gehst und selbst entscheidest. Ich ermögliche dir ausserdem noch Selbstverwirklichung”, grinste er zurück.

„Ja, genau, das würde ich jetzt auch sagen”, meinte Justin lachend.

Moritz gab einen halb lachenden Laut von sich: „Schön, das deine gute Laune wieder da ist. So bist du wenigstens nicht mehr der Miesepeter in Person.”

Justin grinste darauf lediglich.

Falko und die Manticas

Hier. Ich wäre nie darauf gekommen, dass hier ein Tor ist”, meinte Justin.

„Wir sind etwa Milliarden mal hier vorbei gekommen, aber haben nie gemerkt, dass hier so ein Tor ist, das ist unglaublich!”, fand Timo.

„Aber wirklich”, meckerte Charly.

„Was meint ihr, warum es um den Schneewittchenwald so viele Geschichten gibt, um Morde und alles? Natürlich sollte niemand hierher kommen, damit niemand aus versehen in die andere Welt kommt. Manchmal geschieht es dennoch, aber die Leben dann meist nicht lang genug um überhaupt zu merken, das sie nicht mehr hier sind. Egal, alle man durch”, kommandierte Moritz.

„Warum verschließt man denn dann die Tore nicht einfach?”, wollte Charly wissen, während sie durch das Tor schritt.

„Ganz einfach, weil dann niemand mehr durchkönnte. Nur der Weltenretter selbst könnte sie dann wieder öffnen. Aber wenn man die Tore schließen würde, dann würde das gesamte Gleichgewicht der Welten auseinander brechen. Diese Welt hier braucht nämlich das bisschen Magie, das durch die Tore kommt und die andere Welt braucht dafür das nicht-magische dieser Welt. Es würde gar nichts mehr gehen, ohne dieses Gleichgewicht. Und wenn angenommen diese Welt hier sich selbst zerstört, durch diese geschlossenen Tore, wäre es so, das erst diese Welt und dann die andere Welt zerstört würde. Und wenn die beiden Welten nicht mehr existieren wäre es dann so, dass die anderen Welten, die diese Beiden ebenfalls noch brauchen auch zerstört würden. Es gäbe eine Kettenreaktion und die hätte zur Folge, dass bald keine Welt mehr existieren würde. Und somit kein Leben. Alles würde vom Nichts beherrscht. Versteht ihr?”, Janne schaute die drei fragend an. Sie war ebenso plötzlich aufgetaucht, wie Moritz manchmal.

Sie gingen durch und wie auch beim letztem mal standen sie wieder in dem Raum von dem zwei Wege abzweigten. Moritz deutete ohne zu zögern nach Rechts. Justin ging voran durch das Tor, raus kam er in einer großen Halle. Er hatte erwartet, dass sie vollkommen leer war, doch das war sie nicht. Ein Manticor saß da und putze sich wie eine riesige Katze. Erschrocken machte der Rotschopf einen Schritt zurück, stieß dabei gegen Timo, der kurz hinter ihm durch das Tor kam. Der stolperte ein paar Schritte nach hinten und fiel dann hin. Das erweckte die Aufmerksamkeit der Raubkatze. Sie schaute zu den beiden Jungen und fauchte leise. Justin spannte sich, um im Notfall schnell zur Seite springen zu können, doch der Manticor machte keine Anstallt, sich auf sie zu stürzen, er schaute lediglich. Nach und nach traten auch Charly, Janne und zuletzt auch Moritz durch das Tor. Sie blieben sofort wie angewurzelt stehen, doch keiner kam auf die Idee, sich wieder umzudrehen und zurück zulaufen. Der Manticor legte fragend den Kopf schief. Justin schluckte und trat ihm entgegen.

„Hallo”, meinte er, „Wir wollen dir nichts tun, wir wollen lediglich hier vorbei. Wir wollen nach draußen, verstehst du, was ich sagen will?”

»Ich verstehe dich sehr gut, denn ich verstehe die Sprache der Unsterblichen. Ich bin lediglich nicht in der Lage, sie zu sprechen«, antwortete das katzenartige Wesen.

„Das ist schon okay, ich verstehe dich auch so. Ich war mir nicht so sicher, dass auch du mich verstehst. Lässt du uns unbehelligt ziehen? Wir wollen euch wirklich nichts Böses”, erklärte Justin.

»Du verstehst meine Sprache? So etwas trifft man leider nicht allzu oft unter den Menschen. Obwohl ich sagen muss, dass du kaum Ähnlichkeit hast, mit einem Menschen«, fand der Manticor.

„Wie meinst du das? Warum soll ich einem Menschen nicht ähnlich sein?”, wollte der Junge wissen.

Der Manticor schaute Moritz eine Weile an, bevor er antwortete.

»Du bist ein Mischling. Nicht rassig. Du bist, was er ist. Ein Wesen, den meinem sehr nahe. Aber nicht nur. Du bist auch den Elben ähnlich und ein klein wenig auch den Menschen«, erklärte das Wesen.

„Ich verstehe nicht, was du meinst. Erklärst du es mir?”, fragte Justin.

„Fly meint, das du wohl so etwas wie eine Mischung aus Mensch, Elb und den Manticareitern bist”, sagte eine bekannte Stimme von der Seite her.

Wie auf Knopfdruck war der Manticor für ein paar Sekunden uninteressant. Sie alle schauten zu dem jungen Mann, der in der Tür stand.

„Hallo ihr alle”, grinste Falko.

„Was machst denn du hier?!”, rief Justin verblüfft.

„Bei den Mantica leben, seid einer Weile schon. Wer sind deine Begleiter, Justin?”, erkundigte der.

„Das sind Charly, Timo, Janne und Moritz”, antwortete Justin sofort.

„Aha. Was macht ihr hier? Ich meine, das Tor führt doch direkt nach Nordstadt. Bist du etwa den ganzen Weg wieder zurück oder wie oder was?”, wollte Falko wissen.

»Du kennst sie?«, mischte sich der Manticor Fly ein.

„Ja, ich kenne sie, ist schon in Ordnung. Ich bin eigentlich auch eher hier, weil ich dir sagen wollte, das Kara etwas von dir will und du solltest sie nicht warten lassen”, erklärte der junge Mann dem Katzenwesen, Fly trottete auch sogleich davon.

„Okay, schieß los, Justin, was war in dem vergangenem Jahr? Was hast du erlebt? Und wie hast du die da kennen gelernt?”, Falko deutete auf Justins Freunde.

Der Rotschopf fing sogleich zu erzählen an und Falko hörte interessiert zu. Ab und an fügte noch einer etwas dazu oder stellte etwas anderes Richtig.

„Das ist ja interessant”, fand Falko, „Justin der Weltenretter. Ich finde, das passt richtig gut zu dir.”

„Wie oft denn noch? Ich bin es nicht!”, antwortete der Junge genervt und warf Moritz einen bösen Blick zu, denn der hatte diese „Kleinigkeit“ nämlich erwähnt.

„Nein, schon klar“, die Stimme des jungen Studenten troff vor Sarkasmus und Justin hatte auf einmal unbändige Lust, ihm seine Faust ins Gesicht zu pflanzen, was er dann aber doch nicht tat.

„Glaub doch, was du willst“, knurrte er stattdessen.

Falko grinste ihn frech an, dann nickte er, als wäre er zu einem Schluss gekommen.

„Nun, was wollt er nun tun, jetzt, da dieser Zauberer, oder was auch immer er ist, Bora hat?“, wollte er wissen.

„Nun, wir werden alles daran setzten, das wir den Stein wiederbekommen. Komme was wolle, denn wenn wir es nicht schaffen, dann will ich nicht wissen, was weiter geschieht”, mischte sich Moritz ein.

„Und wie?“, erkundigte sich der Student weiter.

„Das wissen wir noch nicht. Das werden wir aber wohl erst dann sehen können, wenn wir die Situation haben. Es bringt nichts, alles im Voraus bis ins kleinste Detail zu planen, wenn es am Ende sowieso anders kommt, als man es sich vorstellt. Und es wird anders kommen, denn nichts geschieht so, wie man es sich vorstellte“, antwortete Justin.

„Wisst ihr was, Leute? Wenn ihr nichts dagegen habt, dann begleite ich euch. Ich denke nämlich, die Mantica könnten hilfreiche Verbündete sein”, überlegte Falko plötzlich.

„Da stimme ich dir voll und ganz zu. Sie sind große Raubkatzen, die dazu fliegen können, sie sind in jedem fall mächtige Verbündete”, nickte der Rotschopf.

„Nein, nicht die Mantica! Ich hasse diese Monster! Die haben schon mal versucht, Tim zu fressen! Und mich gleich mit! Falko ist okay, aber die Mantica bleiben hier!”, rief Janne entsetzt.

„Da stimme ich dir zu, gegen dich habe ich keinerlei Einwände, Falko, aber ich will nicht, dass da ein Mantica mitkommt. Die Biester sind gefährlich”, stimmte Moritz zu.

„Aber sie können uns weit mehr helfen, als jedes andere Volk dieser Welt, denn es gibt kaum solch mächtige Wesen, wie sie!“, widersprach sein Sohn.

„Das mag sein, Justin, aber ich habe oft genug schlechte Erfahrungen mit ihnen gemacht, ich will sie nicht ständig in meiner Nähe wissen, ständig fürchten zu müssen, das sie mir bei der nächsten Gelegenheit die Kehle aufreißen, einfach weil es ihnen spaß macht!“, verteidigte Moritz seinen Standpunkt.

Falko zog vielsagend eine Augenbraue hoch und meinte: „Und so was gehört dem Volk der Manticareiter an?“

Justin war ihm einen eisigen Blick zu, denn ihm gefiel es ganz und gar nicht, wenn der junge Student einfach so seine Familie beleidigte, aber er sagte nichts.

„Okay, okay, lassen wir die Mantica hier, nur Fly nehme ich mit“, lenkte Falko dann ein, „doch ohne Fly gehe ich nicht, das ist nämlich mein bester Freund. Doch ihr braucht keine Angst vor ihm zu haben, er ist nämlich wirklich harmlos, er tut keiner Fliege was zuleide, wäre es anders, hätte er euch vorhin schon in der Luft zerrissen.“

„Muss das echt sein? Mit dem Monster?”, meinte Moritz noch ein letztes mal.

„Ja, das muss sein. Ich kann natürlich auch hier bleiben, aber ich kann mir wirklich gut vorstellen, dass ihr meine Hilfe und vor allem die von Fly brauchen könnt”, fand Falko.

„Das kann ich mir auch gut vorstellen”, mischte sich nun Timo ein.

Charly nickte zustimmend.

„Okay, ich habe schon verstanden. Mit diesem Monster, aber auch nur wenn es mir nicht zu nahe kommt, verstanden!”, giftete Janne. Man merkte ihr an, dass sie wirklich Panik vor den Katzenwesen hatte.

„Schon okay. Ich werde Fly von dir fern halten. Noch etwas, was ihr zu beklagen habt?”, wollte der Student wissen.

Zur Antwort gab es nur ein allgemeines Kopfschütteln, obwohl das von Moritz und Janne nicht sehr überzeugend aussah. Falko, der sich mittlerweile hingesetzt hatte, sprang auf.

„Wann wollen wir los?”, fragte er und sprühte dabei nahezu vor Tatendrang.

„Am besten wohl sofort”, fand auch Justin und stand ebenfalls auf.

Falko ging voraus, die Anderen folgten.

„Sag mal, wie bist du denn eigentlich her gekommen?”, wollte Justin plötzlich von Falko wissen, während er zielgerichtet die Gänge entlang ging.

„Ach, das ist schnell erzählt, ich habe dieses Tor gefunden als ich was für einen befreundeten Biologiestudenten besorgt habe. Ich bin dann später noch einmal wieder gekommen und durch gegangen, einfach nur zum Spaß und bin dann halt hier gelandet. Ich habe mich mit Fly angefreundet und bin jetzt regelmäßig hier, wenn ich keine Vorlesungen habe und so was”, war die Antwort.

„Bevor oder nachdem wir uns im Zug getroffen hatten?”, der Rotschopf beobachtete den jungen Mann ganz genau.

„Weit davor”, antwortete dieser breit grinsend, „sonst hätte ich dir damals doch nicht ein Wort geglaubt.”

„Hab ich mir gedacht. Warum hast du nicht gleich etwas gesagt, dann hätte ich mir einen Monat herumirren sparen können”, brummte der Junge.

„Weil ich dachte, trotz deiner Geschichte hältst du mich für nicht ganz richtig, ich meine, ganz ehrlich: Wer würde das auch nicht denken? Eine Welt voll mit Drachen, Mantica, Einhörnern, Elfen, Feen! Es gibt hier Wesen, die in keiner Geschichte unserer Welt vorkommen! Die Chito zum Beispiel. Über sie findet man in keinem Märchenbuch, in keinem Buch über Mythen und Legenden etwas. Wer glaubt schon, das diese Welt existiert, wenn er nicht selbst dort war?”, Falko brachte es auf den Punkt.

„Stimmt, du hast recht, aber ich wünschte, es gäbe mehr Menschen, die diese Welt hier sehen dürften”, fand Justin.

„Ich nicht. Ich bin froh, dass die Menschen, die hierher kommen so gut wie keine Chance haben, jemals wieder zurück zukehren”, mischte sich Moritz ein.

„Diese Ansicht ist grausam”, fand Timo.

„Kann schon sein, aber ich teile diese Ansicht im vollem Umfang”, erklärte Falko.

„Aber warum?”, wollte Charly wissen.

„Nun, stell dir einmal vor, ein Unternehmer erfährt von dieser Welt. Das Erste, was der macht ist doch, alle Einhörner zu fangen und mit ihnen die Elfen, Elben, Phönixe und alle anderen. Er würde sie in Zoos ausstellen und das wäre ihr aller Tod. Ihr wisst sicher, dass man ein Einhorn nicht fangen darf. Es stirbt in Gefangenschaft, es muss frei sein. Und die Elfen, in unseren Städten würden auch sie sterben, denn sie brauchen einen gesunden Wald, kristallklares Wasser und vor allem die Magie dieser Welt. Sie würden alle sterben. Und selbst wenn man sie nicht fangen würde, man würde diese Welt hier ebenso ausbeuten wie unsere. Man würde die Bäume fällen, die Wiesen in Felder umwandeln, die Straßen asphaltieren und mit Autos drauf fahren, Schienen bauen, Kraftwerke und all das Andere, was unsere Welt zerstört”, erklärte Moritz.

„Das macht Sinn, aber es ist trotzdem irgendwie traurig. Ich meine, etwas so wundervolles wie diese Welt sollte man schon einmal sehen dürfen”, fand Justin.

„Aber so ist es besser. Für alle”, fand Falko.

„Kommen wir aber mal zu einer anderen Sache. Früher haben hier die Drachen gelebt, und wenn du von dem Tor schon so lange weist, wie bist du dann immer und immer wieder hier durch gekommen, ohne das sie dich angegriffen haben“, erkundigte sich Moritz mit lauerndem Unterton.

„Keine Ahnung“, antwortete Falko gleichmütig.

„Wie, was meinst du damit?“, hakte Moritz nach.

„Ich meine es so, wie ich es sage. Ich weiß es nicht. Sie haben mich nie angegriffen, im Gegenteil, sie hatten Respekt vor mir, manchmal waren sie auf verwirrt, mich zu sehen. Ich habe es nie verstanden, aber es interessiert mich auch nicht sonderlich. Hauptsache ich bin am Leben, oder nicht?“

Moritz nickte langsam.

„Ich verstehe es zwar auch nicht, aber nun gut. Vielleicht haben sie dich für einen meiner Männer gehalten oder so, wer weiß.“

„Das kann sein“, antwortete Falko und stieß ein Tor auf.

Sie führten die Unterhaltung nicht weiter, als sie ins Freie traten. Justin blieb plötzlich stehen und sog gierig die frische, saubere Luft ein. Moritz lachte leise über seinen Sohn und auch Falko grinste breit. Timo und Charly atmeten ebenso wie Justin mehrmals hintereinander tief ein und aus.

„Wunderbar, wieder hier zu sein.”

„Wie man es nimmt. Ich wäre jetzt um einiges lieber zu Hause”, gab Moritz zurück.

Sein Sohn zuckte gleichgültig mit den Schultern. Er ging los, doch Falko rief ihn noch einmal zurück.

„Warte, Justin! Du willst doch nicht wirklich, den ganzen Weg zu Fuß gehen, oder?”, fragte er.

„Wieso? Was spricht denn dagegen?”, wollte der Rotschopf wissen.

„Das es vielleicht sehr weit ist, bis zur Elbenfeste?”, schnappte Moritz.

„Genau, deswegen werdet ihr reiten. Es gibt nämlich ein paar Pferde hier”, meinte Falko.

Er ging in einen Stall neben dem Burgeingang.

Kayla

„Wo sind wir den hier?”, wollte Justin wissen.

„Das Dorf unter der Elbenfeste. Warst du nicht schon einmal hier?”, erkundigte sich Moritz.

„Kann sein, ich weiß es nicht mehr”, erklärte der Rotschopf und auch Timo zuckte nur mit den Schultern, Charly fragte erst keiner.

„Wann werden wir bei der Elbenfeste ankommen?”, fragte Falko.

„Morgen Mittag, ich denke nämlich, dass wir die Nacht hier bleiben sollten und morgen früh wieder Weiterreiten”, meinte Moritz, traf damit aber nicht nur auf Zustimmung. Timo und Justin wäre es am liebsten gewesen, wenn sie gleich weiter geritten wären, aber sie fügten sich der Mehrheit. Sie gingen in ein Gasthaus um dort zu essen und über Nacht zu bleiben. Während des gesamten Abends jedoch waren beide Jungen, vor allem aber Justin, nicht in der Lage, einfach nur still zu sitzen. Auch den Abend über ging er jedem auf die Nerven und die ganze Nacht über konnte er nicht schlafen. Früh am nächsten Morgen stand er auf und schlich sich aus dem Gasthaus.

Trotz der frühen Stunde war schon ein reger Betrieb auf den schmalen Straßen der kleinen Stadt. Es hieß zwar Dorf, aber es war keines, wie Justin schnell festgestellt hatte und zwar schon am voran gegangenen Abend Er schlenderte durch die Straßen und schaute sich die Stände an, die um ihn herum aufgebaut waren. Einer erregte seine Aufmerksamkeit ganz besonders. Es war ein Stand, an dem Schmuck verkauft wurde. Neugierig und aufmerksam betrachtete er die ausgestellten Stücke.

„Sind die Edelsteine echt?”, wollte er wissen.

Der Verkäufer lachte: „Echt? Die hier? Ganz gewiss nicht, die hätte mir schneller jemand gestohlen, als ich sie hinlegen könnte. Nein, nein, das sind keine echten. Die sind wertlos, nur dazu gedacht, den Leuten zu zeigen, was für Stücke ich habe. Die echten bekommen meine Kunden, nachdem sie bezahlt haben.”

Justin zuckte mit den Achseln.

„Hätte ja sein können”, grinste er, dann schaute er sich die Schmuckstücke weiter ganz genau an. Besonders ein Ring gefiel ihm. Er nahm ihn hoch und betrachtete ihn ganz genau. Es war ein Silberring in dem ein dunkelblauer Stein eingearbeitet war, der, her nachdem, wie die Sonne darauf fiel, in vielen verschiedenen Blautönen schimmerte.

„Wundervoll”, murmelte er, „sieht der Echte auch nur halb so wundervoll aus, wie dieses Schmuckstück?“

„Sicher doch, sogar noch tausend mal schöner, würdig, alleine einer Königin. Es ist mein bestes Stück. Willst du ihn haben?”, fragte der Mann.

„Kommt drauf an, wie viel willst du?”

Der Verkäufer dachte kurz nach, dann sagte er: „Acht Goldlinge und vier Silberlinge.”

„Mächtig teuer“, murmelte Justin.

„Der Stein ist den Preis wert“, erklärte der Verkäufer.

„Okay, sagen wir sechs Goldlinge und acht Silberlinge”, feilschte Justin.

„Sieben Goldlinge und fünf Silberlinge”, forderte der Verkäufer.

Justin dachte kurz nach, dann nickte er.

„Bin gleich wieder da”, erklärte der Verkäufer und ging. Nach kurzer Zeit kam er wieder und Justin gab ihm das Geld, erhielt dafür den Ring.

Der Verkäufer hatte nicht zuviel versprochen, der Ring war wirklich ungleich schöner, als das Ausstellungsstück, denn im hellen sonnenlicht schimmerte er in mehr Blautönen, als Justin jemals gesehen hatte, ja mehr, als er sich bisher hatte vorstellen können. Es reichte von einem eisigen weißblau bis hin zu einem samtenen schwarz in der Farbe des Nachthimmels und das Silber war so blank poliert, das es funkelte, wie silbernes Mondlicht. Wahrlich einzig einer Königin würdig. Oder einem Engel.

„Danke”, sagte er und ging weiter.

Er steckte den Ring in seine Tasche und freute sich darauf, ihn derjenigen zu geben, für den er bestimmt war. Und wer das war, für den hatte er schon ganz konkrete Vorstellungen.

Er war noch nicht lange gegangen, als vor ihm eine erboste Stimme zu hören war: „Haltet die Diebin!”

Ohne lange darüber nachzudenken machte er einen Schritt zur Seite, hinein in eine Gasse und als ein junges Mädchen vorbei sprang, zog er sie zu sich in die Gasse. Er hielt ihr den Mund zu, damit sie nicht schrie. Ein Mann rannte vorbei, er hatte das Mädchen wohl verfolgt und im dichten treiben auf den Straßen nicht mitbekommen, dass sie in der Gasse verschwunden war. Justin war damit beschäftigt zu schauen, ob jemand ihn gesehen hatte, aber es nahm keiner Notiz von ihm. Keiner außer dem Mädchen. Und der schien es nicht zu gefallen, das Justin sie noch immer festhielt, obwohl das schon nicht mehr nötig war, sie biss fest zu. Justin schrie laut auf und ließ das Mädchen los, diese machte gleich einen Sprung weg von ihm und fauchte.

„Ja, gern geschehen, dass ich dich gerettet habe”, knurrte der Rotschopf.

Das Mädchen fauchte neuerlich und der Junge nutzte die Gelegenheit, um sie genauer zu betrachten. Sie hatte sehr langes, struppiges, braun-schwarzes gestromtes Haar und leuchtend Smaragdgrüne Augen. Sie war fast zwei Köpfe kleiner als er obwohl sie ebenso alt schien. Als sie ihre Zähne bleckte wie ein Hund sah Justin, dass ihre Schneidezähne länger waren, als bei normalen Menschen und weiß wie Schnee. Ihre Finger waren bewehr mit langen, scharfen Klauen. Sie war Barfuss und ihre Kleidung halb zerfetzt, unzählige blaue Flecken und Schrammen verunstalteten ihre sonnengebräunte Haut.

„Okay, ich gehe, wenn es das ist, was du willst”, zickte er das Mädchen an, drehte sich um und ging ohne ein weiteres Wort. Er war schon wieder ein ganzes Stück gelaufen, als er über die Schulter nach hinten blickte und sah, dass das Mädchen ihm folgte. Er blieb stehen und drehte sich zu ihr um.

„Na, willst du mitkommen oder was?”, fragte er sie.

Er sah, wie ihren Ohren zuckten und sie nachdenklich den Kopf wog. Dann gab sie einen Laut von sich, das einem miauen glich. Sie war anscheinend eine art Katzenmädchen.

„Komm her, ich mag es nicht, wenn man mir hinterher läuft, wie ein Hund. Geh neben mir oder verschwinde”, meinte er.

Sie schaute sich abschätzend um, suchte augenscheinlich nach eine art Fluchtweg aus der Situation, doch dann schaute sie mit ihren Smaragdaugen direkt in seine Meerblauen und kam angesprungen. Wie eine Katze schmiegte sie sich an ihn und rieb ihren Kopf an seiner Brust. Justin wollte ausweichen, ihm war die Geste unangenehm, aber er wusste, dass sie das als Ablehnung angesehen hätte, deswegen tat er es nicht.

„Können wir gehen?”, fragte er nach einer Weile, woraufhin das Mädchen schnurrend nickte.

Während sie sich in Bewegung setzten, versuchte der Rotschopf ein wenig über das Mädchen herauszubekommen, indem er sie befragte, doch sie antwortete lediglich mit Gesten, einem Fauchen, Schnurren oder anderen, tierischen Lauten, die für Justin jedoch keinen Sinn ergaben. Er verstand sie zwar, aber die Anordnung der Worte hatte keinen Sinn, seiner Ansicht nach zumindest. Das Mädchen schien nie das Sprechen gelernt zu haben, war wohl auch sonst sehr vernachlässigt worden. Sie hätte eine wahre Schönheit sein können, wenn man sie nur einmal ordentlich abschrubbte, bürstete und ihr saubere Sachen zum anziehen gab. Es war schon fast Mittag, als er wieder im Wirtshaus ankam. Moritz wartete schon auf ihn.

„Wo um alles in der Welt bist du gewesen?!”, rief er schon vom Weitem, Justin antwortete aber erst, als er vor seinem Vater stand.

„Ich konnte nicht schlafen, also bin ich ein wenig durch die Stadt gelaufen, und da ist mir das Mädchen entgegen gekommen”, erklärte er.

Moritz blickte zu dem Mädchen und sein Blick verfinsterte sich.

„Was ist?”, fragte Justin sogleich, den ihm war Moritz’ Blick nicht entgangen, doch der hielt sich nicht lange mit einer Antwort auf, sondern ging barsch auf das Mädchen zu und holte die Hand aus, um sie zu schlagen, doch sie war schneller. Bevor Moritz ganz ausholen konnte, war sie schon zur Seite gesprungen und rannte nun zu Justin um sich hinter ihm zu verstecken und Moritz anzufauchen.

„Was soll das denn?!”, rief Justin wütend.

„Verscheuch sie, Kayla bringt uns nur unnötige Schwierigkeiten!”, antwortete Moritz und schaute das Mädchen so feindselig an, wie es irgend ging.

Justin verstand das nicht.

„Warum soll ich sie verscheuchen, sie hat doch nichts getan! Okay, sie ist eine kleine Diebin, aber sonst hat sie nichts gemacht”, widersprach er.

„Das mag sein, aber sie muss trotzdem weg von hier, bevor irgendjemand mitbekommt, das sie hier ist”, knurrte Moritz.

„Aber warum, was hat sie dir getan, warum soll sie uns Schwierigkeiten machen, ich verstehe nicht, wie du darauf kommst”, jammerte Justin.

„Ja, das merke ich. Wenn sie weg ist, dann erkläre ich es dir, ich will nämlich nichts mit ihr zu tun haben, ich habe keine Lust auf Ärger, also mach was du willst, aber bring sie nicht in unsere Nähe”, befahl sein Vater und ging wieder ins Gasthaus.

Justin war verwirrt über diese heftige Reaktion, dann wandte er sich dem Mädchen zu.

„Verstehst du das? Ich nicht...”, meinte er, doch das Mädchen sah ein wenig traurig aus. Sie gab Justin durch Laute und Gesten zu verstehen, dass es ihr Leid tat, was geschehen war und bevor er etwas sagen konnte, war sie schon weg gesprungen. Der Rotschopf blieb verwirrt zurück. Dann ging er ins Wirtshaus, um seinen Vater zur Rede zu stellen.

„Ich erkläre es dir”, seufzte der.

„Dann mach mal, wo sind eigentlich die Anderen?”, Justin fiel auf, das sie ganz allein waren, vom Wirt selbst abgesehen.

„Na ja, wir können dich nicht einfach hier lassen und eigentlich wollten wir ja schon am Morgen los, und da du nicht da warst und wir nicht wussten, wo du warst, haben wir beschlossen, erst Morgen weiterzureisen. Aber nun zu Kayla. Hab ich dir schon mal erklärt, wie das hier mit der Regierung abläuft?”

Als Justin verneinte, fuhr er fort: „Also, das ist so. Es gibt hier drei Kontinente und in jedem Kontinent gibt es so etwas wie einen Alleinherrscher, den Reichsherren. Der ist so was wie der Vorsitzende der normalen Landesherren, so was wie Melody. Die herrschen halt über ihre Reiche, dürfen aber keine neuen Gesetze erlassen oder höhere Abgaben fordern oder ähnliches, ohne die Einverständniserklärung des Reichsherrn. Die drei Reichsherren bilden eine art Rat, auch sie dürfen keine neuen Gesetzte machen, ohne die Einverständniserklärung der anderen Beiden.”

„Und was hat das jetzt alles mit dem Mädchen zu tun?”, wollte er wissen.

„Dazu wollte ich gerade kommen”, meinte Moritz, „es ist nämlich so, das der Reichsherr natürlich, wie so ziemlich jeder andere Mann hier, die eine oder andere Geliebte hat. Kayla ist die Geliebte des Reichsherren und es gibt Gerüchte, das er sie heiraten wird, wenn er Melody nicht haben kann. Weist du, was er mit einem Mann gemacht hat, der Kayla nur einmal schräg angeschaut hat?”

Justin konnte es sich denken: „Die Augen ausgestochen?”

„Ja, und dazu wurde den armen Kerl heißes Wachs in die Ohren gegossen, seine Zunge herausgeschnitten und ihm wurden beide Hände abgehackt. Weil er das Mädchen angeschaut hat, mehr nicht”, erklärte Moritz.

„Dafür, das keiner sich traut, sie auch nur anzuschauen war sie aber ziemlich verwildert und ich denke, als Geliebte eines so mächtigen Mannes, wie es dieser Reichsherr sein muss, war sie ziemlich ärmlich”, fand Justin.

„Ja, weil ihr Vater sie nicht sonderlich gut behandelt. Sie ist eben nur ein Mischling und noch dazu ein Mädchen, die braucht man nicht gut zu versorgen”, erklärte Moritz ironisch.

„Und warum tut der Reichsherr nichts dagegen, wenn sie doch seine Geliebte ist?”, wollte sein Sohn wissen.

„Weil es so ist: niemand Fremdes darf dem Mädchen etwas tun, aber bei ihrem Vater ist das was Anderes. Er bringt ihr ja lediglich gehorsam bei, so redet er sich zumindest heraus.”

„Und warum wolltest du sie dann schlagen und warum haben die anderen in der Stadt sie gejagt?“, Justin war leicht verwirrt.

„Weil sie die Namen ihrer Peiniger nicht kennt und der Reichsherr eben nicht hier ist. Er hätte mich dafür sofort köpfen lassen und ihre Jäger würden auch schon am Galgen hängen. Es machen einfach die Umstände aus“, erklärte Moritz.

„Du sagtest, es gibt Gerüchte, er wolle das Mädchen heiraten, wenn Melody ihn abweist. Darf sie das überhaupt?”

„Nein, eigentlich nicht, aber er weiß, das er ihren Körper besitzen kann, aber nicht ihr Herz. Das muss er erobern und nur eine Frau, dessen Herz ihrem Mann auch gehört wird treu bleiben. Das weiß er und er kann es eben nicht durchgehen lassen, wenn seine Frau ihm untreu wird, aber er will sie auch nicht umbringen lassen. Deswegen muss er versuchen, sie so zu erobern. Und sie macht es ihm schwer, er hat ihr nämlich schon einen Antrag gemacht, als sie kaum zwölf Jahre alt war, aber sie hat immer und immer wieder abgelehnt. Übrigens würde ich es keinem Anderen anraten, sie zu begehren, denn er wird vermutlich jeden umbringen lassen, der es schafft, ihr Herz zu erobern. Der Reichsherr selbst, oder keiner”, mischte sich der Wirt auf einmal ein. Moritz blick sprach Bände. Er wandte sich dem Wirt zu.

„Eigentlich müsste ich ihnen jetzt die Ohren und die Zunge abschneiden, denn was wir besprechen war nicht für ihre Ohren bestimmt und auch nicht dazu, dass sie es überall herumerzählen”, knurrte er.

„Ihr habt so laut gesprochen, dass ich nicht umhin kam, mit anzuhören, was ihr miteinander flüstert und ich habe lediglich meine Meinung zum Besten gegeben. Und wenn ihr mir die Ohren und die Zunge abschneidet, dann werde ich der Herrin selbst berichten, was ihr mir antatet und ihr solltet ihrer fürchten! Seid den letzten Monaten ist sie nämlich erbarmungslos und vollkommen ohne Gewissen, eine regelrechte Tyrannin”, erklärte der Wirt schlagfertig.

Moritz wollte etwas erwidern, doch Justin kam ihn zuvor: „Melody, eine Tyrannin? Erbarmungslos und vollkommen ohne Gewissen? Wie kommt ihr denn darauf?”

„Weil es so ist. Sie hat Jack, der sich sonst so gut wie alles erlauben kann, fast erhängen lassen, nur weil der ihr erklärte, dass ihre Kleidung unvorteilhaft für ihre Figur war”, erklärte der Wirt.

„Aber wieso? Wie kann sie sich in den letzten Monaten so stark verändert haben?”, wollte Justin verwundert wissen.

„Nun ja, man munkelt, dass ihr heimlicher Geliebter sie hat sitzen lassen. Ob es stimmt, oder nicht, das weiß keiner so genau.”

Justin sog scharf die Luft ein.

„Ihr was?”, fragte er scharf.

„Ihr heimlicher Liebhaber. Keiner weiß, wer er ist oder sein könnte. Man erzählt verschiedenen Geschichten über ihn. Die einen sagen, es sei ein junger Prinz aus einem fernen Land, andere sagen, er sei aus ihrer Gefolgschaft. Die Dritten behaupten, sie hätte keinen, aber ich bin mir sicher, irgendeinen wird sie bestimmt haben. Sonst hätte sie den Antrag des Reichsherren sicherlich schon angenommen”, erklärt der Wirt mit einem Achselzucken und ging wieder seiner Arbeit nach. Moritz grinste breit.

„Sie bedeutet dir etwas, hab ich Recht?”, fragte er.

Justin schaute weg.

„Und wenn? Ist das jetzt noch von Bedeutung?”, fragte Justin.

„Wieso soll es nicht von Bedeutung sein? Es ist ein Gerücht, Justin, ein Gerücht. Nicht mehr, nicht weniger. Es musst nicht so sein, und selbst wenn: Was macht das schon? Wenn sie dir etwas bedeutet, dann wirst du weiter um sie buhlen, auch wenn sie einen Anderen hat. So wie es alle Männer tun und immer getan haben. Und wer weiß, wer der Geliebte von ihr ist, wenn es ihn überhaupt gibt”, erklärte Moritz.

„Ist es eher so, das die Gerüchte hier wahr sind oder sind sie eher unwahr?”, wollte Justin noch wissen.

„Es kommt immer auf die Sache als solche an. Aber bei so etwas ist meistens etwas Wahres dran. Wenn es um die Herrscherhäuser geht wird in der Regel sehr gut recherchiert und die Herrscher vergessen nur zu gerne einmal, dass ihre Zofen und Diener anwesend sind und zudem auch noch gerne tratschen”, erklärte sein Vater.

Justin blick wurde finster. Er stand auf und ging zur Tür.

„Wo willst du denn jetzt schon wieder hin?”, fragte Moritz.

„Kayla suchen. Ich will es nicht zulassen, dass sie von jedem nur ausgenutzt wird”, erklärte der Angesprochene.

„Und was genau willst du dagegen tun?”, wollte sein Vater wissen.

„Na, sie mitnehmen. Dieser Reichsherr braucht ja nicht wissen, dass sie bei uns ist”, fand Justin.

Moritz’ Augen verdunkelten sich.

„Bist du Wahnsinnig? Wenn er wieder im Dorf ist und sein Freudenmädchen nicht mehr da ist, dann wird er das gesamte Land absuche lassen, um sie zu finden und früher oder später wird er sie finden! Er wird es als Beleidigung auffassen, dass wir sie mitgenommen haben und dementsprechend auch handeln! Außerdem kannst du ihn nicht beide ausspannen!”, rief er. Justin setzte sich ihm gegenüber wieder hin, sah ihm tief in die Augen.

„Na und? Ist mir doch egal! Ich will nicht, dass sie von allen immer nur ausgenutzt wird! Und wenn ich wirklich dieser Weltenretter bin, wie ihr alle glaubt, obwohl ich euch tausendmal schon sagte, das ich es nicht bin, dann wird er es nicht wagen, seine Hand gegen mich zu erheben, weil ich doch der Einzige bin, der die Welt retten kann, oder nicht? Ich denke, auch so ein mächtiger Mann wird an seinem Leben hängen. Und ich habe nicht vor, ihm Kayla auszuspannen, ich will sie nur mitnehmen, mehr nicht”, erklärte Justin.

„Schon möglich, aber selbst von dir wird er sich so etwas nicht gefallen lassen, es ist, als würdest du ihm einen Schlag ins Gesicht verpassen und wenn er dir das durchgehen lässt, dann verliert er sein Gesicht und es gibt kaum etwas schrecklicheres für einen solche mächtigen Mann. Niemand würde ihn mehr ernst nehmen”, versuchte Moritz noch einmal seinen Sohn zur Besinnung zu rufen.

„Pech gehabt”, war jedoch der einzige Kommentar von Justin.

Er stand auf und wollte gehen, doch ein plötzlicher Schwindelanfall ließ ihn noch einmal auf den Stuhl sinken. Er wartete einen Moment, in dem Moritz ihn verwundert musterte, aber nichts sagte, dann stand er abermals auf und stand ein weiteres mal nicht dort, wo er eigentlich hätte stehen müssen. Er stand in einer großen Halle mit vielen Fenstern, die aber gebaut war aus großen, groben Steinquadern. Vor ihm stand der junge Mann, den er ein Jahr zuvor an jenem Tag im Wald sah, damals auf dem Schlachtfeld, getragen von seinem nachtschwarzen Teufelspferd. Ein Stück weiter, direkt an der Wand stand ein Thron auf dem ein junger, schwarzhaariger Mann saß.

„Was führt dich zu mir?“, fragte er den Rothaarigen, der schüttelte den Kopf.

„Das weist du ganz genau“, antwortete er.

„Nein, tue ich nicht, Herr der Dämonen“, war die bissige Antwort.

„Mit Dämonen habe ich nichts am Hut, und das wisst ihr“, der Rothaarige schüttelte abermals den Kopf, kniff dabei die Augen zu und verzog das Gesicht.

„Was hast du? Ein Schwächeanfall? Kann ein Dämon einen Schwächeanfall haben?“, erkundigte sich der Schwarzhaarige herablassend.

„Nein, kein Schwächeanfall. Ich bin ja nicht ihr“, antwortete der Rothaarige verächtlich.

„Wenn du meinst… Was wollt ihr also nun von mir? Ich weiß es nämlich nicht“, war die Entgegnung.

„Ihr müsst mir nicht beweisen, dass ihr dumm seid, das weiß ich auch so. Du weißt, was ich will, gib es mir freiwillig, oder lass es sein. Bekommen werde ich es in jedem fall, der einzige Unterschied ist der, wie viele Männer du am Ende noch zum Quälen hast. Du weißt sehr genau, das du mir nichts entgegen zusetzen hast, und meinem Heer der Schatten sowieso nicht“, erklärte der Rothaarige. Er maß den Schwarzhaarigen noch einmal mit einem verächtlichen Blick, dann drehte er sich um.

„Du verschwindest jetzt schon? Hast wohl doch Angst vor mir!“, rief der ihm nach, doch der Rothaarige machte lediglich einige unsittliche Gesten mit der Hand und zwar, ohne sich noch einmal um zu blicken. Der Schwarzhaarige wurde erst blass, dann rot vor Zorn, doch er schluckte all die Worte, die ihm sichtlich auf der Zunge lagen, hinab und sagte nichts mehr, schaute dem Rothaarigen nur noch hasserfüllt nach.

Dieser blieb kurz stehen, als er an Justin vorbeikam und murmelte aus dem Mundwinkel: „So, jetzt kennst du ihn. Ärgere ihn ruhig sosehr du nur kannst, er hat uns nichts entgegen zu setzen.“

Verwirrt schaute Justin den jungen Mann nach, blickte sich dann einmal im Kreis um, doch niemand stand in seiner unmittelbaren Umgebung, und da niemand Notiz von ihm nahm, war er sich auch ziemlich sicher, das er von niemanden gesehen wurde. Er wollte dem Rothaarigen hinterher eilen, um zu sehen, ob die Worte auch wirklich ihm galten, ihn so viele Dinge fragen, falls dies möglicht war, doch er machte einen strauchelnden Schritt und stand wieder im Wirtshaus.

Moritz stand neben ihm und schien schon mehrfach auf ihn eingeredet zu haben.

„Justin, war ist los, sag es doch endlich!“, rief er gerade und man sah ihm an, das er der Panik nahe war.

„Nichts, nichts“, Justin wollte seinem Vater nicht erzählen, was gerade geschehen war, er hatte das Gefühl, das es falsch gewesen wäre. So schüttelte er nur einmal den Kopf und ließ den besorgten Mann stehen, um sich auf die suche nach Kayla zu machen. Er hatte zwar keine Ahnung, wo er sie suchen sollte, doch er wollte sie finden und wenn es sein musste, würde er jeden einzelnen Stein in dieser Stadt umdrehen um sie zu finden. An seine Vision mochte er nicht mehr denken, nur noch an Kayla, und wo sie sein könnte. Doch er brauchte nicht suchen. Er war vielleicht ein paar Meter gegangen, als Moritz ihn hinterher geeilt kam.

„Okay, ich merke schon, ich kann dich nicht davon abbringen”, seufzte er, „aber wir müssen bis morgen früh fertig sein, also werde ich dir helfen, damit wir rechtzeitig weiter kommen.”

Justin nickte dankbar. Wie sich herausstellte, wusste Moritz ganz genau, wo das Mädchen wohnte, wie ihre familiären Verhältnisse waren und noch unendlich viele andere Informationen. Das Mädchen war nämlich kein normales Mädchen, sie war ein Mischling aus Elb und Chito, eine Mischung, die nur selten zustande kam. Das erklärte ihr katzenhaftes Aussehen und auch ihr Reaktionsvermögen, ihr gutes Gehör und alles andere. Sie konnte kaum sprechen, weil sie es nie gelernt hatte, ihr Mutter war kurz nach ihrer Geburt gestorben und ihr Vater hatte sich nicht darum gekümmert, wie es seiner Tochter ging, das er sie überhaupt in sein Haus aufgenommen hatte war mehr, als die meisten Anderen getan hätten. Deswegen war sie mehr von seinen Haustieren, seiner Hündin und seinen Katzen, aufgezogen wurde. Der Reichsherr hatte sie gesehen, als er einmal auf der Durchreise gewesen war. Er hatte sie zu sich genommen, als sein Freudenmädchen und als er weiter gezogen war, da hatte ihr Vater erst erkannt, was sie für ihn bedeuten konnte: eine wahre Grube der Macht und des Reichtums und so hatte er sie nicht gehen lassen, als sie es wollte, sondern zwang sie immer wieder dazu, zu ihm zurückzukehren.

„Du weist aber ziemlich viel über sie”, meinte Justin lauernd, als Moritz geendet hatte.

„Ja. Theo hatte mir einmal den Auftrag erteilt, alles über die herauszufinden und ob sie ihn helfen konnte, bei seinen Plänen, aber wie sich herausstellte war sie für ihn absolut nutzlos”, antwortete der. Dann blieb er stehen und deutet auf eine Hütte.

„Dort wohnt sie?”, fragte Justin.

Moritz nickte.

„Ich glaube, es ist am Besten, wenn du mir das Reden überlässt”, meinte er.

„Ist okay, solange sie nur mit uns kommen kann”, erklärte Justin.

„Das wird sie, sei dir da mal sicher“, antwortete sein Vater. Er klopfte und schon nach einigen Augenblicken machte ein Mann die Tür auf. Er sah aus, wie ein Alkoholiker und roch auch so. Seine Zähne waren schwarz, sein vermutlich hellblondes Elbenhaar war dunkel vor Dreck, außerdem stank er erbärmlich. Justin musste sich stark zusammen nehmen, um sich nicht zu übergeben.

„Ist Kayla hier?”, fragte Moritz mit genervter, auch ein wenig gelangweilter Stimme.

„Ja, aber was wollt ihr von ihr?”, fragte der Mann frech.

„Sie mit uns nehmen”, knurrte Moritz.

„Warum?”, der Fremde schien sie nicht herausgeben zu wollen.

„Geht dich nichts an, also frag nicht”, erklärte Justins Vater giftig.

„Wer ist dein Auftraggeber?”, wollte der Fremde dennoch wissen.

„Die Lady Melody. Sie will Kayla sehen, weswegen geht dich nichts an, gib sie raus oder ich nehme sie mir mit Gewalt und das, mein guter, das bedeutet deinen Tod”, Moritz war wieder ganz in seiner Rolle als rücksichtsloser Ritter und Kaylas Vater schien es zu beeindrucken. Zumindest nickte er daraufhin, ging ins Haus und kam mit Kayla wieder. Die sträubte sich gegen den harten Griff ihres Vaters, so sehr, das sie gar nichts mehr um sich herum wahrnahm. Der Mann schubste sie in Richtung Moritz’, schloss dann die Tür, ohne noch ein Wort zu sagen.

Kayla fauchte wütend die Tür an, dann schaute sie zu Moritz rauf und machte einen erschrockenen Satz weg von ihm. Knurrend saß sie da, bereit zum Angriff.

„Kayla, du brauchst keine Angst haben”, meinte Justin und ging zu dem Mädchen.

Die schaute ihn fragend an, dann rieb sie freudig ihren Kopf an seinem Arm.

„Na, komm, gehen wir”, meinte Justin freundlich und sofort sprang Kayla auf und folgte ihm. Sie gingen zurück zum Wirtshaus. Dort versuchte Justin, sich auf verschiedene Art und Weise, mit Kayla zu verständigen und langsam aber sicher verstand er, was sie ihm sagen wollte. Es war schon spät, als die Anderen kamen. Moritz erklärte ihnen, was vorgefallen war. Alle nahmen Kayla freudig in die Gruppe auf, auch wenn niemand wirklich verstand, was sie ihnen sagen wollte.

Zurück in der Elbenfeste

Es war der Abend des nächsten Tages, sie waren endlich bei der Elbenfeste angleangt. Als sie in den Hof geritten kamen, wurde sie sogleich von Jack voll Freude begrüßt. Er deutete einen anderen Elben, sich um die Pferde zu kümmern und auch um Fly und dann führte er die kleine Gruppe in den Speisesaal, wo sie erst einmal kräftig zulangten, vor allem Kayla. Die schien noch nie vorher so viel und so gut gegessen zu haben, falls sie überhaupt etwas schmeckte, so schnell, wie sie alles in sich hineinschlang. Dann, nachdem alle satt waren, wurde besonders Justin unruhig.

„Wo ist Melody?”, wollte er wissen.

„Sie ist in ihrem Zimmer, aber lasst sie um der Herrin willen in ruhe! Sonst müssen alle wieder unter ihr Leiden, so wie ihre Launen sind, seitdem ihr weg seid”, erklärte Jack.

Justin war sichtlich enttäuscht, am liebsten wäre er trotzdem einfach zu ihr gegangen, doch er blieb sitzen.

„Und wo ist Shadow? Und Kit?”, fragte Moritz.

„Kit ist nicht hier, sie ist auf einer Reise, ins Reich des goldenen Himmels. Shadow müsste noch mit Silberflügel unterwegs sein”, erklärte der Elb.

Plötzlich hörte man, wie eine Tür aufgerissen wurde, irgendwo im Schloss. Das stapfen einer wütenden Person folgte.

„Jack?! Wo bist du, komm her!”, schrie eine Stimme, die Justin deutlich als die Melodys identifizierte, obwohl sie zum ersten Mal, seitdem er sie kannte, Zorn in ihr mitschwang.

Das Elbenmädchen kam in den Speisesaal gestürzt, ihr sonst so anmutiges Gesicht war vor Wut verzerrt, ihre Schwingen waren weit ausgebreitet und jede Feder gesträubt.

„Jack! Wie oft soll ich dir denn noch sagen, das du meine Schreibtisch in ruhe zu lassen hast!”, keifte sie den Elben an.

„Aber ihr selbst habt mir heute Morgen aufgegeben, ihn aufzuräumen!”, verteidigte sich der, doch Melody machte lediglich eine abwehrende Bewegung.

„Du solltest mein Zimmer in Ordnung bringen, von meinem Schreibtisch hab ich gar nichts gesagt”, fauchte sie, „Also, wo hast du meine Schreibfeder hingetan?!”

„Dort, wo sie hingehören, in die oberste Schublade der linken Seite”, erklärte Jack.

Melody spießte ihn noch einmal mit Blicken auf, dann ließ sie selbigen abschweifen und bemerkte erst jetzt die Anderen. Sie sagte nichts, doch etwas in ihrem Blick änderte sich. Sie ging wieder, ohne ein Wort des Grußes. Alle warfen sich einen verblüfften Blick zu.

„Ich denke, ihr solltet alle ein wenig schlafen, ihr seid sicher müde”, meinte Jack in die Stille hinein.

Obwohl ihnen allen sichtlich die Fragen auf der Zunge brannten, stellte sie keiner, denn sie spürten nun alle, wie müde wie waren, denn sie waren schon vor Sonnenaufgang los geritten. Sie gingen alle auf ihre Zimmer, Justin warf sich in seinem sofort auf sein Bett und dachte nach. Schon nach wenigen Sekunden begann er zu frieren, obwohl es im Zimmer weiß Gott nicht kalt war. Er verkroch sich unter einer dicken Decke, die er aus einem der Schränke kramte.

Als Timo etwa eine Stunde später hereinkam, stutzte er.

„Hey, Juss, was ist los?”, fragte er sogleich verwundert.

„Mir ist kalt”, murmelte der Rotschopf und vergrub sich noch tiefer unter seine Decke.

„Kalt?”, Timo schaute seinen Freund zweifelnd an. Ihm war alles andere als kalt, im Gegenteil, er schwitzte fast.

„Ja, frag mich aber nicht, wieso. Ich weiß es nicht“, antwortete Justin.

„Vielleicht wirst du ja krank”, überlegte Timo.

„Kann sein. Warum bist du eigentlich gekommen?”, fragte der Rotschopf.

„Brauch ich etwa einen Grund?”, wollte sein Kumpel wissen.

In dem Moment klopfte es und ohne auf ein „Herein” zu warten, trat Jack herein.

„Entschuldigt die Störung, aber Shadow ist gerade gekommen”, erklärte er und ging auch gleich wieder.

Timo folgte ihm sofort, Justin dagegen musste erst einmal mit sich selbst kämpfen, denn einerseits wollte er seine Freundin begrüßen, andererseits wollte er aber auch in seinem warmen Bett bleiben. Er entschied sich für eine Mittellösung, er ging mit Decke.

Im Stall angekommen musste er erst einmal dem Schweif eines riesengroßen Tieres ausweichen, das er als Greifen identifizierte. Es war ein riesiges Tier, größer als ein gewöhnlicher Greif und dabei von der Farbe der Nacht. Das schwarze Tier beobachtete Timo, der weiß war, wie die sprichwörtliche Wand, aus seinen blutroten Augen, dabei zog es die Klauen seiner Hinterläufe ein und aus, wie eine Katze. Die Vorderklauen scharten ungeduldig, Fell und Federn waren gesträubt. Sein Blick war wütend, ebenso wie der Shadows, die neben dem Monster stand und Timo beobachtete. Irgendwann deutet sie dem Greifen, das es genug sei. Das Tier drehte sich um und ging. Nun hatte Justin freien Blick auf Shadow und er konnte kaum glauben, dass sie es war, die dort stand. Sie trug ein enges, Figur betonendes Kleid in dem typischen Grün der Elben und ihr sonst so kurzes Haar fiel nun schulterlang herab und betonte ihre Weiblichkeit. Erst jetzt viel Justin auf, wie hübsch das junge Mädchen eigentlich war.

„Sehr schöne Begrüßung”, murmelte Timo und atmete erleichtert auf.

„Keine Begrüßung, sondern eine Strafe!”, knurrte sie. Justin schien sie nicht zu bemerken, genauso wenig wie Timo. Sie baute sich vor dem schwarzhaarigen Jungen auf.

„Das war meine Strafe dafür, dass du einfach verschwunden bist!”, giftete sie und schaute ihm in seine braunen Augen. Dann fiel sie ihm um den Hals.

„Dummkopf”, murmelte sie, „ich habe dich doch vermisst.”

Timo erwiderte ihre Umarmung, ging sogar noch ein Stück weiter, indem er Shadows Kopf ein wenig hob und sie küsste.

Justin lächelte ins sich hinein. Er wollte nicht stören, so schlich er leise aus dem Stall und macht sich auf den Weg, in sein Bett. Ihm war trotz der Decke kalt geworden, warum wusste er noch immer nicht. Als er so durch die Gänge lief, hörte er, wie hinter ihm eine Tür aufging. Er wusste genau, welche Tür es war, doch er hielt nur kurz im Schritt inne.

„Justin, warte doch bitte”, rief die sanfte Stimme Melodys.

Er blieb stehen, doch er drehte sich nicht um. Er hörte ihre Schritte näher kommen und hinter ihm stoppen. Er wollte sich umdrehen und sie umarmen, ebenso wie es Shadow gerade eben bei Timo getan hatte, doch er tat es nicht.

„Bist du böse auf mich?”, fragte sie. Der Rotschopf deutete ein Kopfschütteln an, mehr nicht.

„Warum bist du dann so abweisend?”, wollte sie wissen und er hörte, dass sie fast weinte. Ihm tat das in der Seele weh, doch er bleib noch immer, wie er war. Er versuchte alle Emotionen aus seiner Stimme zu verbannen, doch ein leichtes Zittern konnte er nicht unterdrücken, als er fragte: „Was ist los mit dir? Ich habe auf dem Weg hierher viele schreckliche Geschichten gehört, über dich. Du hast dich verändert und nicht zu guten. Warum?”

Er hörte, wie sie anfing, zu weinen und er spürte, wie sein Herz schier in tausend Stücke zersprang.

„Warum, Melody, warum?”, fragte er noch einmal.

Er wusste, das er nur jetzt eine Antwort bekommen würde und auch nur, wenn er stark blieb und sich nicht umdreht, bis er sie hatte.

„Weil, weil...”, murmelte sie, brach dann aber ab.

„Ja? Ich höre dir zu, warum?”, fragte er, diesmal sogar ohne ein zittern. Melody antwortete nicht, aber er spürte, wie sie den Kopf senkte. Er machte einen Schritt, er spürte, das diese eine Bewegung ihr unendliche Schmerzen bereitete, doch er durfte nicht nachgeben, es musste etwas dahinter stecken, das sie so geworden war, wie er gehört hatte, das sie war und erst jetzt viel ihm auf, wie unglaublich wichtig ihm diese Antwort war, auch wenn er nicht wusste, warum. Vielleicht, weil er wissen wollte, ob sie wirklich einen Anderen liebte.

„Nein, nein, bleib hier!”, rief sie und schlurzte.

„Dann sag es mir. Oder zeigst du hier nur dein wahres Gesicht?”

„Nein, nein!”, schrie Melody auf, wie ein verwundetes Tier, „Nein! Es ist doch alles nur deinetwegen! Weist du eigentlich, wie groß meine Sorge war? Ich konnte nicht schlafen, ich konnte nicht essen, ich hab mir nur Sorgen gemacht, den ganzen langen Tag und die ganzen, noch längeren Nächte! Ich konnte nur daran denken, dass du tot sein könntest! Ich hatte Angst um dich, mehr noch als vor alles andere, um das ich mich je sorgte… ich hatte Todesängste, dich nie wieder sehen zu können! Justin, ich...”

Sie sprach nicht weiter, sie drehte sich um und lief den Gang hinab in ihr Zimmer. Jetzt endlich konnte Justin dem Drängen seines Herzens nachgeben, er drehte sich um und hatte sie binnen weniger Sekunden eingeholt. Er schloss sie ihn seine Arme, so fest, als wolle er sie nie wieder los lassen. Er sagte nichts, kein Wort des Vorwurfs oder der Entschuldigung, doch das war in diesem Augenblick auch nicht nötig, es reichte, dass er sie in seine Armen hielt. Eine ganze Weile standen sie so da, dann ließ Justin Melody los. Sie warf ihm einen scheuen Blick zu, Justin lächelte aufmunternd. Sie nahm ihn an der Hand und zog den Rotschopf in ihr Zimmer. Mit einem Lächeln voll Freude auf den Lippen schloss sie die Zimmertür ab. Dann galt ihre volle Aufmerksamkeit nur ihm, ihm allein...

Ohnmacht

Es war der Abend des darauf folgenden Tages. Shadow, Timo, Moritz, Justin und Janne saßen zusammen in einer der unzähligen großen Hallen. Janne und Moritz überlegten gemeinsam, wie es nun weitergehen konnte, Justin saß einfach nur da und starrte ins Leere und Timo und Shadow warfen sich viel sagende Blicke zu und ließen ab und an ein einzelnes Wort vernehmen, was beide zum kichern brachte.

„Sagt mal, weiß einer von euch, wo der Gartenzwerg ist?”, wollte Moritz nach einer Weile wissen.

Shadow und Timo blickten ihn verdutzt an, Justin legte sich auf die Seite und rollte sich zusammen, wie es kleine Kinder zum Schlafen zu tun pflegen.

„Wen suchst du? Welcher Gartenzwerg denn?”, fragte Timo lachend.

„Na Falko. Der sieht doch so aus, als wäre er irgendwann einmal eingelaufen, ich meiner, der ist sicherlich kaum größer als eineinhalb Meter”, erklärte Moritz.

Timo und Shadow lachten, bis ihnen die Tränen kamen, während Justin gar keine Regung zeigte. Moritz verdrehte die Augen.

„Das heißt wohl nein. Hilfst du mir suchen”, fragte er an Janne gewand. Die nickte und gemeinsam verließen sie die Halle.

Shadow und Timo lachten noch immer.

„Der ist gut! Gartenzwerg! Der Spitzname passt aber auch, wenn man sich Falkos Haare als Mütze vorstellt”, meinte letzteres grinsend.

„Ja, genau, Haare kann man das auch nennen. Ich meine, der sieht aus, als wäre er durch einen Windkanal geflogen”, fand das Chitomädchen.

Timo wusste zwar nicht, was sie damit meinte, aber er war schon vor einiger Zeit an einem Punkt angelangt, wo er über alles gelacht hätte, was Shadow oder irgendein andere sagte, doch seine Heiterkeit fand einen jähen Abbruch, als sein Blick auf Justin fiel. Der hatte sich nämlich noch mehr zusammengekrümmt und sein Gesicht war schmerzverzerrt, ein leise stöhnen war zu vernehmen.

„Oh mein Gott, Justin! Was ist mit dir?”, fragte Timo besorgt und war mit einem Satz bei seinem Kumpel.

„Bauch… schmerzen...”, brachte der leise und unter großer Anstrengung hervor.

„Hast du Jacks Abendessen nicht vertragen, oder was?”, wollte Timo wissen, doch er bekam keine Antwort. Er schaute Shadow an.

„Bleibst du hier?”

Sie nickte und Timo lief los um Moritz zu suchen. Der saß mit dem Rest der Gruppe und Jack zusammen in der Küche.

„Moritz, du solltest dir mal ganz schnell Justin ansehen, dem geht es gar nicht gut”, erklärte Timo, kaum das er in der Küche stand, mit sorgenvollem Blick.

Melody sprang sofort auf und lief los, die Anderen folgten ein wenig langsamer. Binnen weniger Augenblicke hatte sie die Halle erreicht und eine woge der Eifersucht durchströmte das Elbenmädchen, als sie sah, das Shadow Justins Kopf in ihren Schoss gebettet hatte, doch bevor sie etwas sagen konnte, schob Moritz sie zur Seite und kniete neben seinem Sohn.

„Sehr schlimm?”, fragte er voll Sorge.

Justin nickte mit zusammengebissenen Zähnen. Moritz wandte sich zu Jack.

„Weist du, was man tun kann?”, fragte er den Elben, der nickte. Wortlos ging er und kam mit einer Flasche und einem Löffel zurück. Er flößte Justin drei Löffel der Flüssigkeit ein und wartete dann, doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Justin ging es weiterhin schlecht. Mehr noch, vor seinem Auge verschwamm die Wirklichkeit immer und immer mehr, und statt des Saales sah er nun immer deutlicher eine wunderschöne, verschneite Winterlandschaft. Es war nicht der nördliche Kontinent, den Justin sah, und schon gar nicht Melodys Reich, denn am weiten Himmel war das nordlicht, die Aurora nicht zu sehen. Außerdem herrschte hier tiefste Nacht, während es im Elbenreich im hohen Norden Sommer war und damit die Mitternachtssonne schien. Hier war Winter und ein kalter Wind blies den Schnee vor sich hin und ließ so alles hinter einem weißen Schleier verschwinden. Und doch, obwohl Justin nicht sah, was um ihn herum war, stemmte er sich mühevoll in die Höhe und lief los, einfach hinein, in den Sturm. Wie von einer unsichtbaren Macht geleitet, fand er seinen Weg, er wusste, das es die richtige Richtung war, und das er nicht mehr lange laufen musste, und er hatte recht. Nur wenige Sekunden später blieb er stehen. Vor ihm lag eine Gestalt im Schnee, eine Gestalt, die ihm so unendlich vertraut war, obwohl er sie nicht kannte. Es war der sein mysteriöses Ebenbild, was dort lag, inmitten des Schnees der dunkelrot war, von seinem Blut. Ein Messer steckte im Bauch des Anderen und er atmete nur noch schwach. Justin wusste, das er nicht mehr lange leben würde, wenn ihn nicht jemand fand, denn dieser Schneesturm war todbringend, für alle, die ihn durchquerten und sich dabei verliefen, und er war noch viel todbringender für jemanden, der durch großen Blutverlust geschwächt waren. Justin setzte sich neben seinem Ebenbild in den Schnee. Er konnte nichts anderes tun, weder Hilfe holen, noch einfach von diesem Ort verschwinden, als sei nichts geschehen, und so blieb er sitzen. Er wollte dem jungen Ritter Gesellschaft leisten, sein Begleiter in den Tod sein, falls niemand ihn hier fand, falls es nötig sein sollte, obwohl der Andere ihn wohl nicht einmal wahrnahm. Das dachte Justin zumindest, denn plötzlich schlug er die Augen auf und schaute genau in Justins Gesicht, genau in seine Augen und Justin sah ein Erkennen in dem Blick, ein Erkennen, das ihm sagte, das der Andere wusste, das er hier war, und das es ihm unendlich viel bedeutete.

„Tut mir leid…“, murmelte er plötzlich mit schwacher Stimme. Justin wusste was er sagte, obwohl er die Worte selbst nicht gut genug hörte, um sie zu verstehen.

„Ich… hätte ihnen… nicht trauen dürfen…“

Justin verstand nicht, was die Worte bedeuten sollten, doch er spürte, dass sie wirklich ihm galten. In dem Moment hörte er ein Klingeln, irgendwo in der Ferne. Er stand auf, und schaute sich um, doch sehen konnte er nichts. Nein, im Gegenteil. Um ihn herum wurde es immer dunkler und dunkler, bis tiefste Nacht in seinen Gedanken herrschte und er nichts mehr wahr nahm…

Fremde Gedanken

Bist du wach?“, erkundigte sich die vertraute Stimmte Moritz’.

Justin stöhnte leise, denn nicht nur sein Bewusstsein war zurückgekehrt, sondern auch der Schmerz und doch war er nicht einmal halb so stark, wie er einst gewesen war.

„Ja, ich bin wach“, antwortete er und setzte sich langsam auf. Wieder griff die Schwärze nach ihm, wollte ihn ein weiteres mal in die Bewusstlosigkeit ziehen, doch er widerstand und bleib wach. Doch obwohl er der Sieger dieses Kampfes war, legte er sich wieder hin. Er wollte seine Kräfte schonen für die Stunde, an der er sie bitter nötig haben würde und die würde kommen, das war gewiss.

„Geht es wieder?”, fragte die sorgenvoll Stimmte Melodys. Sie stand außerhalb seines Gesichtsfeldes, doch er wusste, dass sie da war.

Er nickte schwach.

„Was war los?”, fragte Moritz und betrachtete seinen Sohn voll Sorge, doch der zuckte nur mit den Schultern, soweit dies im liegen möglich war.

„Ich weiß nicht, was los war, aber jetzt ist es weg“, erklärte er.

„War dass das erste mal, das so etwas geschehen ist?“, fragte sein Vater gleich weiter.

„Ja, es war das erste mal“, antwortete Justin, in Gedanken jedoch schon wieder ganz woanders.

„Nein, es war nicht das erste mal. Du vergisst den Abend unserer Ankunft”, erinnerte Timo.

„Wie meinst du das?”, fragte Melody sogleich alarmiert, doch sie bekam keine Antwort.

„Stimmt, dann war es ist nicht das erste mal. Seid wann hast du das, Justin?”, wollte Moritz von seinem Sohn wissen.

„Die Visionen, oder das ich Schmerz dabei spüre?“

„Das du es fühlst“

„Seid dem Tag, als ich die erste Vision hatte. Die erste, die ich hatte, wenn ich wach war. Seitdem ich ihn einmal gesehen habe. Anfangs war es noch sehr schwach, kaum wahrnehmbar. Ein kalter Hauch während ich in der Sonne stand, oder das plötzliche, leichte Aufflackern von Wut. Es ist mit den Monaten immer stärker geworden, doch so stark wie eben war es noch nie“, überlegte Justin.

„Eben? Du warst drei Tage lang bewusstlos“, stellte Timo richtig.

„Drei Tage lang? Mir kommt es vor, als wären nur wenige Stunden vergangen“, meinte Justin.

„Nein, Tage ist es her. Aber erzähl mir bitte ein bisschen mehr von diesem Gefühlen, die nicht die deine zu sein scheinen und die du dennoch hast“, bat Moritz und ein seltsamer Ausdruck trat in seine Augen. Justin wusste nicht, was er bedeuten mochte, aber er gefiel ihm nicht, denn er deutete Geheimnis, und er wollte einfach nicht, dass Moritz ein Geheimnis vor ihm hatte, zumindest nicht solch eines.

„Na ja, was soll ich erzählen“, antwortete er mit einigen Sekunden Verspätung, „Es ist so, das ich manchmal Dinge weiß, die ich eigentlich nicht wissen kann oder Geschichten, Landschaften, Gesichter, sie kommen mir bekannt vor, obwohl ich sicher bin, diese Personen nie zuvor gesehen zu haben. Und dann habe ich auch immer und immer wieder Gedanken, die nicht meine sind. Es ist so, als würde mich ein anders Wesen… fernsteuern, jeden Schritt lenken, den ich tue, jeden Gedanken, den ich zu denken habe, mir erst einmal vorsagen, aber zugleich weiß ich, was diese Person, die mich fernsteuern versucht, was sie denkt, was sie fühlt. Ich habe manchmal auch das Gefühl, das ich weiß, wo sie ist, das ich, wenn jemand eine Karte vor mir ausbreiten würde, das ich ganz genau sagen könnte, an welchem Ort er ist. Anfangs war es, wie gesagt, immer nur schwach, der Hauch von etwas, das da ist, aber es wird stärker. Und bald wird dieses fremde Bewusstsein mich ebenso sehr beeinflussen können, wie mein eigenes Bewusstsein es im Moment tut, das weiß ich. Aber dieses wissen macht mir keine Angst, obwohl sie es tun sollte.“

Justin schaute aus einem der Fenster. Erst eben, beim erzählen war ihm aufgefallen, das er in seinem Turmzimmer in der Elbenfeste lag, und nicht unten, in einem der Säle.

Moritz derweil nickte, als würde er verstehen.

„Weist du, was das zu bedeuten hat?”, wollte Timo auch sogleich wissen.

„Sagen wir es so: ich habe eine Vermutung, aber sie muss nicht wahr sein. Es muss nicht so sein, wie ich denke, genau genommen ist es sogar fast unmöglich, dass es so ist. Ich brauche Gewissheit, bevor ich euch davon erzählen kann, sonst beschwöre ich etwas herauf, was lieber im verborgenem verweilen sollte”, erklärte er.

Keiner sagte etwas dazu.

„Ich denke, wir sollten schlafen gehen”, fand Falko plötzlich und deutete nach draußen. Die Sonne schien zwar, aber sie stand sehr niedrig, es musste also schon eine späte Stunde sein, bei der sie alle beisammen saßen.

„Ich weiß nicht, können wir Justin alleine lassen? Ich meine, falls noch einmal so etwas ist”, überlegte Shadow besorgt.

„Selbst wenn, ihr könntet dann auch nichts tun”, antwortete Justin.

„Da hast du zwar recht, aber ich kann bestimmt nicht schlafen, wenn ich weiß, das du in deinem Bett liegst und dich dort quälst, also irgendwer sollte wirklich bei dir bleiben”, widersprach Moritz.

„Ich bleibe heute Nacht hier”, meinte Melody plötzlich.

Shadow und Timo warfen sich einen kurzen, vielsagenden Blick zu, dann lachten sie.

„Ich weiß nicht, was grad so lustig ist”, knurrte Moritz.

„Siehst du Melodys Blick nicht?”, wollte Timo wissen.

„Doch, aber ich verstehe nicht, was daran so lustig ist“, antwortete der während Melody rot wurde. Sie verstand, worauf Timo hinaus wollte.

„Nun ja, Melody scheint etwas anderes unter „Aufpassen“ zu verstehen, als wir”, erklärte Falko mit einem breiten Grinsen, denn auch er hatte verstanden.

Nun verstand auch Justins Vater, was gemeint war und bedachte seinen Sohn und Melody mit einem vielsagenden Blick.

„Dann sollten wir aber nicht weiter stören, sondern auch schlafen gehen“, meinte er, nun auch breit grinsend und stand auf. Nacheinander scheuchte er alle aus dem Zimmer, außer Melody und Justin natürlich, denn den Beiden wünschte er mit einem sanften lächeln und einem deutlich belustetem Funkeln in den Augen, eine gute Nacht…

Das Rätsel

„Weist du, wo wir eigentlich hinwollen?”, fragte Falko Justin.

„So mehr oder weniger. Wieso, hat es dir Moritz nicht erzählt?”, wollte der wissen.

„Nein, nicht so wirklich. Also, wo geht es nun hin?”, nervte Falko.

„Nun ja, der Todesgott hat den Stein und den haben wir bei der Drachenburg getroffen. Deswegen geht es nun in Richtung der Drachenburg, auch wenn mir nicht so ganz klar ist, wie wir da hin wollen, ohne uns zu verlaufen. Nicht einmal Shadow kennt sich vollkommen mit der Umgebung aus und sie ist dort geboren und aufgewachsen. Nur mit einem Drachen kann man dort ohne Probleme überall hin, aber wir haben keinen”, antwortete Justin.

„Ach so”, man sah, das es hinter Falkos Stirn arbeitete.

„Was gibt es zu tuscheln, Jungs?”, wollte Shadow wissen und ließ ihren Greif neben den Beiden landen.

Justin ließ Thunder - der war am Morgen aufgetaucht, wie als hätte er gewusst, dass er gebraucht wurde - ein Stück weit weg gehen, er wollte nicht zu nahe an Silberflügels Klauen reiten.

„Nun, wir überlegen gerade, wie wir zur Drachenburg kommen sollen, wenn wir keinen Drachen haben, der uns führt”, erklärte Justin.

„Moritz meinte zu mir, er wüsste einen Drachen, der uns helfen kann und zwar einer, der am Rand des Drachenlandes lebt. Der wird uns wohl führen können”, erklärte Shadow.

„Kommt das nur mir so vor oder kennt Moritz überall jemanden, der uns weiterhelfen kann?”, wollte Falko wissen.

„Nein, das Gefühl hab auch ich. Aber er lebt ja schon seid zehn Jahren hier und die meisten Verbündeten Theos haben nicht Theo als ihren Anführer gesehen, sondern Moritz. Eigentlich sollten wir auch dafür dankbar sein, so haben wir wenigstens nicht allzu große Schwierigkeiten”, fand Justin.

„Ja, da hast du vollkommen recht”, stimmte Shadow zu. Sie ließ Silberflügel wieder in die Lüfte steigen, denn da Greifen Löwenklauen an den Hinterbeinen und Vögelklauen an den Vorderbeinen hatten, liefen sie nicht sonderlich gerne. Justin deutete Thunder, das er zu Moritz traben sollte.

„Brauchen wir noch lange?”, fragte er ungeduldig.

„Ja, aber nur, weil wir einen Umweg machen müssen, an Logis Höhle vorbei. Ich würde alleine Reiten, aber ich kann euch nicht ohne Aufsicht lassen”, erklärte sein Vater

„Was heißt denn hier „ohne Aufsicht“ lassen? Wir sind alle keine kleinen Kinder mehr, Falko ist schon zwanzig, Shadow ist in dieser Gegend aufgewachsen! Die kennen sich hier garantiert besser aus, als du und wir können alle sehr gut auf uns selber Aufpassen”, fand Justin.

„Das mag sein, aber es geht nicht um die Gegend hier, sondern um die Drachen. Ich weiß nicht, inwiefern sich Falko gegen Drachen verteidigen kann und auch bei Shadow bin ich mir nicht so sicher. Ich denke, sie hat in erster Linie hier überlebt, weil sie Auseinandersetzungen aus dem Weg gegangen ist, sich unauffällig verhalten hat und eher geflüchtet ist, als sich mit den Drachen anzulegen. Ich weiß, wie man sich einem Drachen gegenüber verhalten sollte, immerhin habe ich zehn Jahre lang Zeit gehabt, es zu lernen. Deswegen will ich euch nicht alleine lassen, also müsst ihr mitkommen, ob ihr nun wollt oder eben nicht”, erklärte Moritz, was für Justin durchaus einleuchtend klang.

Und trotzdem fraß ihn die Ungeduld schier auf. Dabei wusste er nicht einmal, woher diese Ungeduld kam, fürchtete er sich doch eigentlich eher vor der Begegnung mit dem Todesgott. Und auch diese Furcht verstand er nicht, denn vor dem Gott selbst hatte er keine Angst. Nur vor dem Treffen mit ihm. Moritz spürte diese Ungeduld, doch er konnte nichts dagegen tun. Und so führte er sie mehrere Stunden durch die Umgebung, durch Wälder und über Felder, bis er dann am Rande eines Waldes anhielt.

„Ihr bleibt hier, ich werde Logi holen und dann machen wir uns auf den direkten Weg zur Burg”, gab Moritz Anweisung und verschwand dann.

„Und was machen wir jetzt den Rest der Zeit, bis er wiederkommt?”, wollte Timo wissen, während er Moritz hinterher schaute und hielt sein Elbenpferd neben Thunder. Justin schaute sich in der Gruppe um.

„Shadow, was ist?”, fragte er dann, denn das Chitomädchen schien etwas sagen zu wollen.

„Sagt mal, macht es euch etwas aus, wenn ich mal für eine Stunde oder auch für zwei, kurz verschwinde?”, fragte sie.

„Ich weiß nicht, ob es klug ist, wenn du dich jetzt von der Gruppe entfernst, vielleicht ist Moritz auch nur kurz weg, dann wäre es besser, wenn du hier wärst, damit wir gleich weiter können”, meinte Falko.

„Ja, ich weiß, aber ich muss weg, ich habe etwas wichtiges zu erledigen. Ich werde mich beeilen”, versprach das Mädchen und ohne dass jemand sie zurückhalten konnte ließ sie Silberflügel in die Luft steigen und flog davon.

Falko schaute ihr nach und man sah im deutlich an, das er mit dieser Aktion nicht einverstanden war.

„Weist du, wo sie hin will?”, wollte Justin von Timo wissen.

„Warum fragst du mich?”, erkundigte der sich und schaute ihn verblüfft an.

„Weil ich nicht blind bin. Also, weist du es?”, fragte der Rotschopf.

„Nein, ich hab absolut keine Ahnung, aber was sollte denn der Spruch „weil ich nicht blind bin”?”, der Schwarzhaarige sah leicht irritiert aus und auch ein wenig ertappt, wie Justin fand.

„Na ja, eure Begrüßung den einen Tag im Stall war ja nun nicht gerade gleichgültig”, grinste er.

Timo wurde ein wenig blass.

„Ach, das, nun, was sollte ich denn machen, wenn sie mir um den Hals fällt”, erklärte er in einem typisch-coolen Tonfall.

„Wenn du meinst”, antwortete sein Kumpel und blitze ihn aus dem Augenwinkel an. Was er dachte konnte Timo nur erraten, doch man konnte es ziemlich deutlich an dem Gesicht des Rothaarigen ablesen, vor allem als Justin auch noch vielsagend zu grinsen begann.

Melody drängte ihre Rappstute zwischen die Beiden.

„Kann mich mal jemand aufklären?”, wollte sie wissen und auch Falko hörte interessiert zu.

„Mach ich nachher”, antwortete Justin mit einem lächeln.

Nun war es Timo, der lachte.

„Find ich ja interessant”, meinte er mit einem vielsagenden auf Melody.

„Da gibt es nichts interessant zu finden”, gab der Rotschopf zurück.

„Wenn du meinst”, antwortete Timo bewusst mit genau demselben Wortlaut, den Justin zuvor benutzt hatte.

Diese lachte zur Antwort laut auf, sprang dann von Thunders Rücken.

„Also was ihr macht weiß ich nicht, aber ich weiß, was ich mache, während wir hier warten müssen”, meinte er und wühlte in seiner Tasche bis er einen ledernen Lappen gefunden hatte, dann zog er sein Schwert und begann es zu polieren. Auch Falko, Melody und Timo checkten ihre Waffen durch, putzten sie bis sie glänzten und striegelten dann ihre Reittiere. Sie striegelten fast eine ganze Stunde, solange, bis das Fell der Rappstute, und vor allem das Thunders so sehr glänzten, das man das Gefühl hatte, das man sich spiegeln konnte, wie in einem nachtenden Spiegel. Kaum hatten sie das Putzzeug weggelegt, kam auch schon Moritz zurück, wie als hätte er auf genau diesen Augenblick gewartet, doch nun ritt er nicht auf seinem Elbenpferd, sondern auf einem feuerrot geschuppten Drachen.

„Logi?”, war Justin einzige Frage, die jedoch ziemlich unnötig war, den Moritz hatte die ganze Zeit von einem Drachen gesprochen und ihn Logi genannt. Und doch stellte er die Frage, einfach um überhaupt etwas zu sagen.

„Ja, aber wo ist Shadow?”, wollte Moritz seinerseits wissen.

„Weg”, antwortete Falko einsilbig.

„Wirklich? Wäre ich nie drauf gekommen”, antwortete Justins Vater sarkastisch.

„Wir wissen nicht, wo sie hin ist, sie ist einfach weg. Gesagt hat sie nur, dass sie etwas wichtiges erledigen muss und so bald wie möglich wieder hier sein wird. Also warten wir noch ein wenig, ich denke, sie kommt gleich”, erstattete Justin Bericht.

Moritz atmete scharf aus.

„Na ja, ich hoffe, das ihr wenigstens nichts passiert und hier alleine lassen können wir nicht, also müssen wir wohl oder übel warten”, überlegte er.

„Und worauf?”, fragte Shadows Stimme aus dem Wald und nur kurz später kam sie selber aus dem Unterholz gesprungen.

„Wo ist Silberflügel?”, erkundigte sich Timo.

„Der muss etwas für mich erledigen, was ich nicht geschafft hätte, ohne die nächsten Tage weg zu sein”, antwortete Shadow.

„Also wird dein Greif jetzt mehrere Tage weg sein?”, fragte Falko.

„Genau, aber wollen wir nicht jetzt gleich los?”, fragte sie.

Moritz deutete Logi wortlos, sich in Bewegung zu setzen. Wo Shadow gewesen ist, das fragte er nicht, denn er hatte an ihrem Blick erkannt, das es sowieso keinen Sinn gehabt hätte. Sie hätte einfach nicht geantwortete. Die Anderen folgten ebenso wortlos, doch sie waren kaum ein paar Schritte geritten als Justin anhielt. Er hatte ein merkwürdiges Gefühl, die ganze Zeit über schon und als er sich nun auf dem Einhornrücken umdrehte, stand dort der Todesgott.

„Ich dachte nicht, dass wir uns so schnell wieder sehen”, sagte er.

„Tja, dann wusste ich wohl mehr”, war Justins Antwort.

„Du bist ja auch ein Traumseher, ich nicht”, erwiderte der Gott.

„Dafür aber ein Gott, und die wissen in der Regel mehr, als jeder normale Mensch jemals in seinem Leben. Aber das tut hier und jetzt nicht zu Debatte oder irre ich mich da?”, wollte der Rotschopf wissen. Er spürte, wie sich seine Gefährten hinter ihm bewegten und deutete ihnen, einfach still stehen zu bleiben.

„Nein, da hast du recht. Das tut hier und jetzt nichts zur Debatte”, stimmte der Schwarzhaarige zu.

„Du weist, was ich will, also gib es mir. Ich kann es mir auch selber holen, das ist kein Problem, aber ich denke, so ist es leichter, oder nicht?”, drohte Justin ganz unverhohlen was sein Gegenüber zum lachen brachte.

„Du drohst mir? Einem Gott? Soll ich lachen? Du kannst mir doch nichts anhaben. Nicht einmal mit allen deiner Verbündeten gemeinsam und selbst wenn du mich besiegen solltest, dann wird dass das Ende deines Lebens sein, den mit meinem Tod endet auch dein Leben, das vergesse niemals, Justin. Aber Bora werde ich dir nicht übergeben, das wäre ja langweilig, wenn das Spiel hier schon zu ende sein sollte. Nein, wir machen das anders. Ich werde dir ein paar Aufgaben stellen, die du nach und nach lösen musst. Als erstes ein Rätsel, denn ich will wissen, wie Klug du bist. Also höre gut zu, ich werde es nur einmal sagen. Was ist das, es ist hier und zugleich auch nicht, es wiegt nichts und doch ist es unglaublich schwer, es ist nirgendwo und überall, wir alle brauchen es und doch hat jeder Angst vor ihm. Was meine ich?”, der Todesgott lächelte Justin zu. „Sobald ihr es wisst kommt zu dem Ort, den das zweite Rätsel nennt. Ich werde auf euch warten, wo die Nacht auch am Tage herrscht und wo alles Leben seinen Anfang nahm. Hier ist der Ort, wo nur des Lichtes Widersacher die Herrschaft hat und nur kaltes Feuer brennen darf. Sie sollten nicht zu schwer sein, für deinen Verstand, zumal ich weiß, dass du gerne Rätsel löst. Und nun, auf wieder sehen.”

Mit diesen Worten verschwand er und es war, als wäre er nie da gewesen. Justins Freunde und Begleiter verloren kein Wort über die kurze Begegnung, was hätten sie auch sagen sollen? Nein, sie begannen gleich damit, das Rätsel zu lösen.

„Er hat bei seinem ersten Rätsel nur Gegenteile genannt, ist euch das aufgefallen?”, fragte Timo.

„Das macht es ja so schwer”, antwortete Shadow.

„Das Zweite ist aber auch nicht so ganz ohne”, fand Melody.

„Aber sie sind lösbar, wir müssen nur richtig nachdenken”, meinte Justin und sprang von Thunders Rücken. Grübelnd ging er hin und her.

„Vielleicht sollten wir eine Nacht drüber schlafen”, überlegte Falko.

„Nein, wenn wir das zweite Rätsel lösen, dann können wir uns schon mal auf den Weg machen und in der Zeit der Reise auch noch das Andere lösen, also, wo ist es immer dunkel, auch wenn überall sonst die Sonne lacht?”, ging Justin die Sache anders an.

„In einer Höhle, aber es gibt unzählige Höhlen, da können wir suchen bis wir umkippen”, antwortete Moritz.

„Dann überlegen wir doch weiter, der Teil „Wo alles Leben seinen Anfang nahm”, das könnte auf Wasser hindeuten”, meinte Timo.

„Was hat der Anfang des Lebens mit Wasser zu tun?”, wollte Melody verwundert wissen.

„Nun, ich weiß nicht, wie es hier war, aber bei uns war es so, das es früher, vor ein paar Milliarden Jahren nur Wasser gab und in diesem riesigen Meer hat sich das Leben entwickelt. Irgendwann kamen die ersten Lebewesen aus dem Meer und formten ihre Kiemen zu Lungen um, um zu Luft auch ohne Wasser zu atmen. Aus diesen Urzeitwesen entwickelten sich dann während der Evolution alle möglichen Tiere. Selbst heute ist die Evolution noch nicht abgeschlossen und sie wird es wohl auch nie sein”, erklärte Falko.

„Dann könnte es sein, das mit dem Teil das Wasser gemeint ist, aber dann wahrscheinlich Salzwasser, kein Süßwasser”, überlegte Shadow.

„Da hast du recht, gibt es außer dem Meer hier noch Salzwasser?”, fragte Justin.

„Ja, in der Schattenhöhle und das könnte das letzte Teil des Rätsels sein, denn die Schatten waren schon immer die größten Widersacher des Lichts und sie werden es wohl auch immer bleiben und sie haben in einer Höhle immer die Macht, da es kein Licht gibt. Ich denke, die Schattenhöhle ist gemeint”, nahm Shadow Stellung.

„Denk ich auch. Kennst du den Weg?”, wollte Moritz wissen.

„Ja, natürlich, sie ist sogar hier in der Gegend, im Elfenwald”, antwortete das Chitomädchen.

„Dann reiten wir doch mal da hin”, fand Falko.

Moritz nickte und so machten sie sich auf den Weg. Justin sah dabei höchst unzufrieden aus.

„Was ist denn?”, fragte Melody ihn deshalb.

„Na ja, mich stört etwas, aber ich weiß nicht was. Egal, wird schon richtig sein”, antwortete Justin, doch er glaubte selbst nicht an seine Worte.

„Man wird es sehen, aber das andere Rätsel. Hast du schon eine Ahnung?”, wollte sie weiter wissen.

In dem Moment blies eine Böe ihnen entgegen. Justin dachte eine Sekunde lang nach, dann wurden seine Augen immer größer und er begann voller Begeisterung zu nicken.

„Jetzt ja!”, rief er.

„Was ist denn?”, wollte Moritz wissen und schaute über die Schulter zurück.

„Der Wind, der Wind! Das ist die Lösung, der Wind, er ist hier, überall, aber wir nehmen ihn nicht wahr und deswegen kommt es uns manchmal so vor, als würde er nicht existieren! Der Wind scheint nichts zu wiegen, aber in Wirklichkeit ist er unheimlich schwer! Der Wind ist doch überall, aber für uns ist er nirgendwo. Wir alle brauchen den Wind, die Luft zum Atmen, aber wir haben Angst vor Stürmen, Tornados und so weiter! Es ist der Wind, es kann nichts anderes sein!”, rief Justin begeistert.

„Stimmt, das klingt vollkommen einleuchtend. Also müssen wir nur noch zu der Höhle”, meinte Shadow.

„Genau”, nickte Justin.

Im Silberwald

Sie brauchten etwa zwei Tage bis sie beim Elfenwald ankamen. Alleine Shadow sah diesen Wald nicht zum ersten Mal und so staunten sie allesamt über die Schönheit des Waldes. Die Blätter an den Bäumen waren golden und saftig grün, die Stämme waren silbern und braun, überall glitzerte und glänzte es als würde überall Goldstaub zu Boden fallen. Mitten durch die Bäume führte ein Pfad, diesen ritten sie entlang während sie die Bäume bestaunten.

„Hört ihr das auch?”, wollte Timo nach einer Weile wissen.

„Wenn du mir sagst, was du meinst, kann ich dir sagen, ob ich es auch höre”, antwortete Justin.

„Das Lachen, Gekicher, das Geflüster”, erklärte Timo.

Justin löste mühsam seinen Blick von dem Wald und schaute seinen Kumpel an.

„Jetzt wo du es sagst höre ich es auch. Was ist es nur?”

„Das sind die Feen die hier leben”, erklärte Shadow, „aber ignoriert sie besser vorerst, sonst werden wir sie nicht mehr so schnell los. Feen sind sehr anhängliche kleine Biester. Und wenn sie euch jemals fragen, ob ihr ihre Freunde seid, dann sagt in jedem fall ja, eine Fee kennt nämlich nur Freund und Feind und so klein sie auch sind, ihr Feind wollt ihr sicher trotzdem nicht sein. Es ist zumindest nicht ratsam.”

„Wieso, was können die Wesen denn schon tun, wenn sie so klein sind, wie du sagst?”, wollte Falko wissen.

„Sie beherrschen Zauber und sie sind Waldgeister, sie können den Wald selbst gegen dich aufhetzen. Außerdem sind sie gute Freunde der Waldnymphen und der Elfen und mit solchen Wesen ist nicht zu spaßen”, erklärte nun Moritz weiter.

„Na dann”, Falko hatte sichtlich wenig Lust, dieses Gespräch weiter zu führen und auch die anderen nicht und so ritten sie bis zum Herz des Waldes ohne das einer von ihnen auch nur ein weiteres Wort sagte. Dann kamen sie an. Eine Höhle auf einer Lichtung im Elfenwald.

Justin sprang von Thunders Rücken.

„Shadow, Timo, Melody, kommt mit”, forderte er, „Moritz, Falko, bleibt ihr hier. Ich möchte, dass der Fluchtweg frei bleibt. Ich traue dem Todesgott nicht.”

Moritz nickte.

„Ich auch nicht. Beeilt euch aber bitte trotzdem, mir ist nicht wohl bei dem Gedanken, euch alleine gehen zu lassen”, erklärte er ernst.

Justin nickte, dann ging er in die Höhle, die beiden Mädchen und Timo folgten ihm.

„Shadow?”, fragte Justin nach einer Weile.

„Ja?”, antwortete die.

„Kannst du noch irgendetwas sehen? Oder du Melody? Ich sehe nämlich nichts mehr, nur noch Schatten, die sich hier um mich herum bewegen”, erklärte er.

„Okay, dann gehe ich vor, ich brauche nichts zu sehen, um mich zurechtzufinden. Die Finsternis selbst zeigt mir den Weg”, antwortete sie und Justin spürte, wie etwas an ihm vorbei ging, ohne das er sah, was es war, mehr noch, ohne das er überhaupt sah, das dort etwas ging. Das verwirrte ihn, denn er sah Timo und Melody sehr wohl, wenn sie sich bewegten. Shadow dagegen war vollkommen unsichtbar für ihn.

„Shadow, ich sehe nicht, wo du dich hinbewegst, sag mir bitte den Weg”, bat er darum.

„Du siehst mich nicht?”, fragte sie und ein Anflug von Verwirrung schwang in ihrer Stimme.

„Nein, nicht einmal einen Schatten”, antwortete er. Plötzlich nahm etwas seine Hand, ein stück Haut, warm und weich, schmiegte sich in seine Handfläche. Plötzlich spürte er, das diese Hand, die nun die seine hielten, wie geschaffen dafür waren, zu töten, und zwar so langsam und grausam, wie eine Katze ihre Beute erlegte. Zum ersten mal wurde ihm bewusst, wie gefährlich Shadow eigentlich war und wie glücklich er sich schätzen konnte, sie nicht zur Feindin zu haben, denn diese Hände würden jeden Feind erbarmungslos auslöschen, der ihr auch nur entfernt unterlegen war. Doch sie war nicht seine Feindin und das Chitomädchen führte ihn sicher durch die Finsternis und das so schnell, das er bald spürte, wie Melody und Timo hinter ihnen zurückblieben.

„Shadow, warte kurz, die anderen Beiden bleiben hinter uns zurück”, machte Justin sie darauf aufmerksam.

„Ich weiß, aber wir haben sowieso bald die ganze Höhle durch, wenn wir zurückgehen können wir sie einsammeln”, erklärte sie.

„Aber gibt es hier keine Abzweigungen, wo sie sich verirren könnten?”, fragte er verwundert.

„Nein und selbst wenn, ich kann sie hier jederzeit finden, denn die Dunkelheit und die Schatten sind meine Verbündeten so wie deine die Tiere sind. Sie helfen mir, wenn ich sie um Hilfe bitte und wenn ich versuche, ihnen meinen Willen aufzuzwingen, dann wehren sie sich dagegen, ebenso wie es bei dir und deinen Verbündeten ist“, antwortete sie

„Sicher? Ich meine, es muss nicht sein, das wir sie hier drinnen verlieren”, fand Justin.

Er spürte, das Shadow vor ihm nickte.

„Da hast du recht, aber sei unbesorgt, und wie gesagt, wir sind sowieso fast da”, erklärte sie.

In just diesem Augenblick traten sie in eine Art Halle. Hier herrschte leichtes Dämmerlicht, sodass Justin sehen konnte, dass er vor einem riesigen See stand. Das schwarze Wasser bewegte sich leicht, obwohl kein Windhauch wehte.

„So, das ist das Ende, das ist der Salzwassersee im Herzen der Schattenhöhle”, erklärte das Chitomädchen.

„Aber hier ist niemand”, murrte Justin.

„Stimmt. Nichts, absolut gar nichts. Niemand hier, meinst du, wie haben das Rätsel doch falsch verstanden?”

„Ja, so wie es scheint schon, also lass uns zurückgehen”, fand Justin und drehte sich um.

Shadow nickte und nahm ihn wieder an die Hand. Genauso sicher, wie sie ihn auf den Hinweg geführt hatte, brachte sie ihn nun zurück. Unterwegs sammelten sie Timo und Melody ein. Sie brauchten nicht ganz so lang nach draußen, wie sie zum See gebraucht hatten, denn nun hielten sie einander die Hände und kamen schneller voran.

Kaum eine Stunde später traten sie aus der Höhle heraus.

„Und?”, fragte Moritz sogleich.

„Hier sind wir falsch, es war niemand da. Wir haben das Rätsel nicht richtig gelöst”, erklärte Shadow.

„Aber was war der Denkfehler?”, fragte sich Falko.

„Das mit dem Feuer bestimmt. Wir hätten in der Höhle auch eine Fackel entzünden können und sie hätte gebrannt, es hieß aber, dass nur kaltes Feuer dort brennen kann“, antwortete Justin.

„Aber was soll kaltes Feuer sein? Ich meine, Feuer ist doch immer heiß”, warf Timo ein.

„Das wissen wir selber”, fuhr Shadow ihn an.

Timo zickte kurz zurück aber ein mahnender Blick Moritz’ ließ beide still werden.

„Kaltes Feuer, kaltes Feuer”, Justin dachte angestrengt nach, „es kommt mir bekannt vor, wenn mir doch nur einfallen würde, woher.“

„Und wenn kein Feuer gemeint war, sondern bloß Licht?”, überlegte Melody laut.

Sie alle schauten die Elbe an.

„Glaube ich nicht”, fand Moritz, sein Blick war missbilligend, doch hinter Justins Stirn arbeitete es sichtlich. Er schaute Melody lange einfach nur an, ohne ein Wort zu sagen und auch ohne sie wirklich zu sehen und dann, plötzlich, stieß er mit einem zischen die Luft aus.

„Was ist? Ist dir etwas eingefallen?”, fragte Shadow sogleich.

„Ja. Melody, ich finde, du hast vollkommen recht. Es ist kein Feuer gemeint, sondern bloß Licht. Ich weiß nicht, wie es hier ist, aber in unseren Meeren gibt es Fische die in sehr großer tiefe leben und auch dort unten brauchen sie Licht, weswegen sie so etwas wie Lampen an ihrem Körper haben. Sie leuchten, aber sie werden nicht heiß dabei. Vielleicht könnte das so gemeint sein? Das er uns in großer Tiefe eines Salzwassersees erwartet?”

„Das könnte sein, dann wart ihr mit der Höhle aber doch gar nicht so falsch, dann müsst ihr einfach ein wenig schwimmen gehen”, fand Falko.

„Nein, nein, nein, ich denke nicht, dass sich der See in einer Höhle befinden soll, sondern es ist einfach so, das in großer tiefe auch kein Licht da ist. Ich denke, dass es mehr so gemeint ist. Das heißt, wir brauchen einen tiefen Salzwassersee”, meinte Justin.

„Das kann dann doch nur der Nachtsee sein, oder?”, vermutete Moritz.

„Sehe ich genauso, aber ich denke, wir sollten erst einmal hier bleiben, bei den Elfen”, fand Shadow.

„Da gebe ich dir uneingeschränkt recht, ich bin Hundemüde”, erklärte Justin.

„Dann kommt mit, kommt mit! Wir werden euch führen, werden euch führen!”, rief ein Stimmchen und eine kleine Fee schwirrte aus dem Unterholz hervor.

Justin hatte noch nie zuvor eine Fee gesehen, doch er hatte sie sich anders vorgestellt. Er hatte gewusst, dass Feen klein und feingliedrig sind, doch diese hier sah aus, wie eine zarte Blume die bei dem geringsten Luftstoß regelrecht zerfetzt werden würde. Die Flügel des kleinen Wesens waren nicht die einer Libelle, wie oft gesagt wird, sondern die eines Schmetterlings. Sie schillerten in den schönsten Farben und bei jedem schlag entfachten sie einen funkelnden Wirbel aus Goldstaub. Die Haare der Fee waren Grünlich-Silber und etwa taillienlang. Die kleinen Augen des Wesens waren von einem saftigen grün mit ein wenig schwarz was sie aussehen ließ, wie zwei kleine, von innerem Feuer lodernde Smaragde.

„Warum willst du uns führen? Wir finden den Weg auch alleine”, fand Shadow.

„Nein, werdet ihr nicht, werdet ihr nicht. Die Elfen haben sich ins das Herz des Silberwaldes zurückgezogen, ihr werdet sie nicht finden, im Herz des Waldes werdet ihr sie nicht finden. Aber ihr müsst, ihr müsst, denn der Weltenretter muss die Legende von Layla selbst erfahren, von Layla selbst hören”, erklärte die kleine Fee.

„Dann führe uns, wir werden dir folgen”, beschloss Moritz. Das schillernde und funkelnde Wesen flog an Justins Seite durch den Wald und erklärte ihnen den Weg. Justin beobachtete sie dabei ununterbrochen, hatte ihr Anblick ihn doch sofort in seinen Bann gezogen. Die Fee lachte.

„Habt ihr noch nie eine wie mich gesehen?”, fragte sie, den ihr war keineswegs entgangen, das sie unentwegt beobachtet wurde, bei jedem Flügelschlag, bei jedem Atemzug.

„Nein, so etwas wie dich sah ich noch nie”, antwortete der. Wieder lachte die Fee.

„Warum nicht? Beobachtest du die Natur nur so wenig? Wir sind überall, überall wo die Blumen blühen, denn aus jeder Blume wird auch eine Fee geboren. Sie lebt mit der Blume und stirbt mit ihr, wenn es Zeit ist. So wie die Elfen aus Bäumen geboren werden und mit ihnen sterben. Sie hüten die Bäume, wir die Blumen. Wie ist dein Name?”, wollte das kleine Wesen wissen.

„Justin. Habt ihr auch Namen?”, erkundigte er sich.

„Aber gewiss doch. Mich nennt man Snowflower. Schneeblume. Ich wurde nämlich aus einer roten Schneeblume geboren. Aber das ist schon annähernd zweihundert Jahre her, meine Blume pflückte nämlich einst ein mächtiger Mann und schenkte sie Layla. Die Blume welkte nie und als er dann starb pflanzte Layla sie auf das Grab des Mannes. Dort blüht sie auch heute noch, tief im Wald, wo nie jemand hinkommt. Wahrscheinlich wird sie ewig blühen, wenn nicht jemand kommt und sie bricht und an jemanden gibt, den er nicht liebt”, antwortete Snowflower.

Justin wirkte auf einmal unruhig. Er erinnerte sich noch gut an das, was Melody ihm vor ein paar Monaten erzählte.

„Was ist denn mit dir?”, wollte die Fee wissen.

Justin flüsterte ihr etwas zu. Das Wesen schaute ihn aus großen Augen an.

„Aber natürlich! Aber als erstes musst du zu den Elfen, Layla will dir die Legende erzählen. Das ist wichtig, denn nur die Elfen kennen die wahre Version”, erklärte sie.

Justin nickte und lächelte vor sich hin während sie durch den Wald ritten. Nach einigen Stunden hörten sie plötzlich ein Rascheln.

„Die Elfen kommen”, erklärte Snowflower und ließ sich auf Justins Schulter nieder.

Sie alle schauten sich suchend um und plötzlich sprang ein Wesen aus den Wipfeln der angrenzenden Bäume mitten in die Gruppe rein. Erschrocken machten die Reittiere einen Satz zur Seite, was die Gruppe für einen kurzen Moment ablenkte. Justin merkte, das genau dies der Sinn der Sache war, wären sie Feinde gewesen, wären sie nun binnen Sekunden überwältigt gewesen. Die Elfen schauten sich um.

„Snowflower, eine der Feen erzählte uns, das du kommst”, sagte eines der Wesen.

Wie er es zuvor mit der Fee tat, betrachtete Justin die Elfen ganz genau. Sie sahen vom Körperlichen her aus, wie die Fee, genauso feingliedrig und zerbrechlich, doch hatten sie keine Flügel. Sie hatten fast weiße Haut, langes, fast weißes Haare und blassblaue Augen. Ihre Kleider waren leicht wie ein Windhauch und fast durchsichtig. Sie hätten genauso gut nackt da stehen können, einen wirklichen Unterschied hätte das nicht gemacht.

„Seid gegrüßt”, sagte Moritz förmlich.

„Herzlich Willkommen im Silberwald”, sagte eine der Elfen, „Lady Layla erwartet euch schon.”

Bevor einer noch etwas sagen konnten, nahmen sie die Tiere an den Trensen und führten sie den restlichen Weg. Im Herz des Waldes, im Dorf der Elfen angekommen, wurden sie von einer Elfe begrüßt, die sich auf unbeschreibliche Weise von den anderen unterschied. Sie sah nicht wirklich anders aus, sie strahlte einfach nur eine gewisse Würde und Weisheit aus.

„Seiet gegrüßt, Weltenretter”, begrüßte sie Justin förmlich. Erst danach wandte sie sich den Anderen zu und begrüßte sie, einen nach dem anderen, einem nicht klar erkennbaren Rangfolge folgend, denn anders als bei den Elben, schien Melody keine Sonderstellung zu haben. Nach Justin schien Shadow die Wichtigste zu sein, vielleicht, weil sie den Elfen schon bekannt war. Und auch Timo war wichtiger als sie, ebenso Moritz. Einzig Falko schien ihr dennoch unterlegen zu sein, denn er wurde als letzter begrüßt

„Es ist eine Ehre für mich und mein Volk, das ihr hier seid und ich hoffe, dass wir euch die Nacht über beherbergen dürfen.”

„Genau deswegen haben wir uns überhaupt auf den Weg hierher gemacht”, erklärte Justin. Die Elfe nickte und deutete ihnen, ihr zu folgen.

„Um euere Reittiere werden sich die Anderen kümmern. Ich denke, ihr seid hungrig. Ich werde für euch ein Mahl machen lassen.”

Sie führte die die sechs in eine der Hütten, die das Dorf bildeten und verschwand sofort wieder, um alles Wichtige in die Wege zu leiten.

Snowflower kicherte unentwegt was ihr den ein oder anderen verwunderten und auch missbilligenden Blick einbrachte.

„Warum lachst du?”, fragte Melody schließlich.

„Ach, darf ich euch leider nicht erzählen, das habe ich versprochen”, kicherte die Fee.

Bei diesen Worten grinste Justin vor sich hin, denn er hatte eine gewisse Ahnung, dass sie ihr kleines, geflüstertes Gespräch meinte.

„Hab ich was verpasst?”, fragte Moritz darauf verwirrt.

„Nein, Snowflower und ich haben nur etwas besprochen. Unser kleines Geheimnis. Und sie scheint sich ja schon irrsinnig darauf zu freuen, wenn ich es endlich lüfte, was?”, er schaute die Fee an, die nickte.

„Aber natürlich!”, Snowflower war ganz begeistert, „ aber nicht nur deswegen lache ich!”

„Nicht?”, Justin schaute sie verblüfft an.

„Nein, natürlich nicht! Nein, ich finde nur den Blick interessant, den Sassy dir zugeworfen hat, Justin”, lachte sie.

„Sassy? Wer ist das denn? Eine Fee, wie du, oder eine Elfe?”, wollte Timo wissen.

„Eine Halbelfe”, erklärte das schillernde Wesen und lachte wieder glockenhell auf.

„Eine Halbelfe? Wie geht denn das, ich meine, die Elfen werden doch von den Bäumen geboren”, erinnerte sich Justin verwirrt daran, was die Fee selber erzählt hatte.

„Da habt ihr Recht, Mylord, aber eine Elfe kann sich auch genauso fortpflanzen, wie die Elben, Menschen, Zauberer und was es hier sonst noch so gibt”, erklärte die Elfe, die gerade wieder zurückkehrte. Sie überlegte kurz.

„Aber wir wählen diesen Weg nur selten. Wir können ihn nur selten wählen, es verirren sich nicht allzu oft Menschenwesen in unsere Elfenwälder. Und wenn doch, so haben sie meist zuviel Achtung und Ehrfurcht vor unsereins, als das sie so etwas auch nur zu denken wagten”, fügte sie dann hinzu.

„Gibt es denn keine männlichen Elfen?”, fragte Timo.

„Nein. Ebenso wie es keine männlichen Feen gibt. Überhaupt sind Waldgeister nur in den seltensten fällen männlichen Geschlechts. Sowie bei den Zentauren nur die wenigsten weiblich sind”, erklärte sie.

„Wie heißt ihr überhaupt?”, fragte Moritz.

„Mein Name ist Layla, ich bin die Hochelfe der Meinigen und die Wächterin des Silberwaldes”, war die Antwort.

„Ach so, so etwas wie die Chefin hier”, stellte Timo fest.

„Wenn ihr es so nennen wollt, dann ja”, nickte Layla.

Eine weitere Elfe betrat den Raum und brachte eine Platte voll Früchten und Beeren.

„Greift zu”, sagte Layla.

Das ließen sich die Sechs nicht zweimal sagen und während sie aßen, unterhielten sie sich ein wenig.

„Warum nennt ihr den Wald eigentlich Silberwald? Auf mich wirkt er mehr golden und grün, den silbern”, meinte Justin.

„Er war silbern. Vor vielen, vielen Jahren, als auch ich noch jung war. Kaum mehr als ein Kind. Er ist erst im laufe der Jahre golden geworden, doch seinen Namen behielt er immer bei, ebenso wie er ihn immer behalten wird. Der Name beschreibt sein wahres Wesen.”

„Aha…“, machte Justin verwirrt. Er verstand nicht, was die Elfe damit sagen wollte.

„In einem einzigen Namen steckt mehr Macht, als den meisten bewusst ist. Selbst der größte Schrecken verliert seine Wirkung, wenn man nur seinen wahren Namen weiß. Oder er verstärkt ihn ins unermessliche, das kommt immer darauf an“, erklärte Melody, „deswegen ändern wir Elben unsere Namen auch, wir nehmen einen an, der nicht mehr unser wahres Wesen beschreibt, einer, der nicht jedem sagt, was wir wirklich sind, sondern der nur das sagt, was er auch sagen soll. Wir nutzen unseren Namen, um uns selbst zu etwas anderem zu machen, um uns anders wirken zu lassen. Wer unseren richtigen Namen kennt, der kennt auch unser wahres Wesen und das kann unser verderben sein. Jeder von Rang und Macht ändert seinen Namen, um nicht angreifbar zu sein. Jeder, außer den Wesen, deren wahre Namen ihre Macht steigern, ihr Ansehen erhöhen und nicht schwächen.“

„Ach so…“, Justin sah immer noch leicht verunsichert aus, denn er verstand nicht, wie ein Name, nichts anderes als ein Wort, jemanden Macht, in welcher Weise auch immer, verschaffen konnte.

Shadow schien ihm anzusehen, das er es nicht verstand und so erklärte sie, was Melody versucht hat, auf ihre unverständliche Weise auszudrücken.

„Stell dir mal vor, du bist ein herzensguter Mensch, willst aber von anderen Respekt, Ansehen und Gehorsam haben, ohne jedoch viel dafür tun zu müssen. Dann gib dir einfach einen Namen, der Schrecken verbreitet, nimm einen Namen, der den Leuten Angst macht, wenn sie ihn nur hören, einfach weil der Klang selbst Unheil verkündend ist. Du wirst in jedem fall mehr Angst vor jemandem haben, der den Namen Dark hat, als vor jemanden, der auf den Namen Sunny hört, einfach weil du mit dem Namen Dark einen finsteren, fiesen Charakter verbindest, mit Sunny jedoch eher einen Charakter, der fröhlich ist. Es sind Psychotricks, mehr nicht“, erklärte sie.

Plötzlich räusperte sich Moritz, um die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen.

„Wolltet ihr uns nicht die wahre Legende vom Weltenretter erzählen?”, fragte er.

„Ja, aber ich habe gedacht, ihr wollt erst essen, aber wenn ich zugleich erzählen soll, werde ich das natürlich tun”, bot Layla an.

„Da hab ich aber vorweg noch eine Frage, woher habt ihr diese Legende? Wer hat sie euch erzählt?”, erkundigte sich Justin.

„Das weiß keiner mehr. Die Legende des Weltenretters ist schon so alt wie der Wald, so alt, wie der Mond, so alt wie das Meer… so alt, wie die Welt selbst. Keiner weiß mehr, wer sie uns erzählte und auch nicht, warum. Vielleicht war es ja auch ein anderer Weltenretter”, antwortete eine Elfe, die herein getreten war. Auch sie unterschied sich von den anderen, sie war nicht ganz so blass, ihre Kleider waren die eine Elbe und ihr Haar und ihre Augen hatten einen kräftigen Ton.

„Wie, es gab schon einmal einen Weltenretter?”, fragte Justin verblüfft.

„Natürlich. Das Weltgeschehen wiederholt sich. Die Prophezeiungen sind auch zugleich die Geschichten der Vergangenheit. Natürlich, etwas ändert sich bei den Geschichten, aber es sind eher Kleinigkeiten. Man erzählt sich zum Beispiel, dass der alte Weltenretter eine junge Frau war. Ein rothaariges Mädchen, in eurem alter, als die Hell selbst sie zu sich holte”, antwortete die Halbelfe.

„Das ist Sassy, meine Tochter”, stellte Layla das Mädchen vor. Die setzte sich zu ihnen.

Das Mädchen schaute nacheinander alle an, bei Justin blieb ihr Blick länger hängen und ein seltsamer Glanz trat in ihre Augen. Und sie lächelte. Melodys Blick durchlöcherte die Halbelfe dabei fast. Sassy schaute fast schon beschämt zu Boden.

„Nun, wir werden euch zuhören, Layla. Ich denke auch, dass es nicht nur mich interessieren wird, wie die Legende bei eurem Volke lautet”, fand Moritz.

„Nun gut, dann hört zu...

Das Schicksaal selbst wird die Welten in Gefahr bringen und sie zugleich auch wieder abwenden. Am Tag der Frühjahrstagundnachtgleiche wird der baldige Todesgott geboren werden und er wird mit dem Lehrer, Freund und mächtigsten Verbündeten des Weltenretters aufwachsen, wie mit einem Bruder. Doch die Herrin selbst wird ihn zum Gott erheben und er wird der Versuchung der Macht erliegen, die ihm gegeben ist. Er wird ein Heer aus Finsternis schaffen, ein Heer, in dem alles böse der Welt vereint ist. Ein Heer, das für Tod und Leid stehen wird, das selbst die Götter fürchten werden, denn ein Feind, für den der Tod etwas gutes ist, trauert nicht um den Verlust eines Lebens, auch dann nicht, wenn es sein eigenes ist und jemand der nichts mehr zu verlieren hat, ist der schlimmste Feind, den man sich nur denken kann. Diesen Heer, geführt vom wahr gewordenem Bösen, wird die Welt über Jahre hinweg tyrannisieren, bis zum Tag, an dem das Nordlicht, die Aurora, besonders hell erstrahlt, denn an diesem Tag wird der Weltenretter selbst geboren. Sein Lehrer wird ihm fast zwanzig Winter über alles beibringen, was er wissen muss und dann wird er sich dem Heer des Todesgottes stellen, doch nicht alleine. Der Weltenretter wird Verbündete haben. Aus acht Völkern wird sein eigenes Heer bestehen, wenn er in die Schlacht zieht, ums Schicksaal der Welt. Das Volk der Einhörner wird seine Verbündeten tragen und mit ihren Hörnern unendlich vielen Wesen das Leben nehmen, die Mantica und ihre Reiter werden aus der Luft den Angriff führen. Die Elfen werden die Verletzungen der Verwundeten heilen, die Drachen werden den Himmel mit ihrem Feuer unüberwindlich machen. Die Minotauren werden dem Heer den Weg weisen, durch die großen Labyrinthe, die letzten Chito werden dem Retter nicht von der Seite weichen und das Volk der Elben wird der mächtigste Verbündete sein. Doch wie der Kampf ausgehen wird, das kann allein das Schicksaal entscheiden. Eines jedoch hat jeder Ausgang der entscheidenden Schlacht gemein: ihm, dem Weltenretter, wird die wichtigste Person genommen, die es in seinem Leben gibt und sie wird ihm für immer genommen.”

Layla beobachtete jeden einzelnen der Gruppe genau und nahm jedes noch so kleine zucken wahr, während das Ende wie ein unheil verkündendes Omen im Raum stand.

„Ich bin es nicht”, sagte Justin dann nach einigen Minuten des Stillschweigens.

„Was bist du nicht?”, wollte Layla wissen.

„Der Weltenretter. Ich kann es nicht sein, es gibt einfach kaum parallelen. Eigentlich gar keine. Ich kann es nicht sein...”, antwortete er und schaute der Elfe dabei unverwandt in die Augen. Diese hielt seinem Blick nur einige Sekunden lang stand.

„Du bist es dennoch, Justin, es kann nicht anders sein“, widersprach Moritz.

„Ach, und wo bitteschön findest du irgendetwas, das auf ich deutet? Kanntest du jemals den Todesgott? Ich meine, du bist mein Lehrer, also müsstest du ihn eigentlich kennen, tust du aber nicht. Der Todesgott herrscht auch nicht seid annährend zwanzig Jahren über sein Heer, er selbst lebt nicht einmal so lange, da bin ich mir sicher. Der Tag, an dem die Aurora besonders hell leuchtet, von Melody weiß ich, das dies nur an ihrem Geburtstag, also an Weihnachten der Fall ist, ich habe aber sechs Monate früher Geburtstag. Und mein „tolles“ Heer, das besteht aus einem einzelnem Einhorn, ein paar Mantica, einer Elbe und zwei Chito. Ein sehr schlagkräftiges Heer, wirklich”, erklärte Justin sarkastisch.

Moritz schüttelte den Kopf: „Da magst du recht haben, aber nicht alle Prophezeiungen erfüllen sich so, wie man sie sich erzählt. Auch dieses mal kann es so sein. Justin, füge dich doch einfach seinem Schicksaal und… ach!“

Genervt stand er auf und ging einfach, bevor jemand etwas sagen konnte. Justin schaute ihn nach, wurde langsam auch wütend, weil ihm einfach niemand glauben wollte, dabei hatte dieses Geschichte nun wirklich keinerlei parallelen zu seinem Leben oder irgendwelche Andeutungen, die auf ihn wiesen. Nachdenklich nahm er einen Apfel der rot und golden schimmert.

„Golden wie der Tag und Rot wie das Blut”, murmelte er, „doch auf dem Tag folgt die Nacht, und auf das Blut der Tod.”

Seine Freunde schauten ihn verwundert an, ebenso wie Layla. Sie sagten nichts zu seiner Meinungsverschiedenheit mit seinem Vater, was sollten sie auch sagen? Sie waren alle der gleichen Meinung, wie Moritz, das sah man ihnen deutlich an.

„Was meinst du?”, fragte Shadow schließlich.

„Ich weiß, was mich erwartet... ich muss es nicht tun, aber ich habe beschlossen, mein Schicksaal anzunehmen, um das ihre zu schützen”, sagte er und schaute dabei tief in Gedanken versunken auf den Apfel.

„Wie meinst du das?”, wollte Timo verwirrt wissen, doch Justin schüttelte den Kopf.

„Du wirst es verstehen. Ihr werdet es alle verstehen... aber nicht jetzt... nicht heute, nicht morgen. Vielleicht in einem Jahr, vielleicht aber auch in zehn... nein, ich bin nicht der Weltenretter, aber ich weiß, wer es ist... wie ich euch schon mehrfach sagte”, antwortete Justin und biss in den Apfel.

Mit einem grinsen fügte er hinzu: „Aber ich werde euch nicht sagen, wer es ist.”

Niemand außer ihm grinste, oder lächelte auch nur. Seine Worte hatten sie alle verstört. Sie wussten, dass er die Wahrheit sagte, und es erschreckte sie, es machte ihnen Angst, dabei konnte nicht einer genau sagen, was ihn an seinen Worten so sehr verstörte.

„Wir sollten schlafen”, fand Falko nach einer Weile des Schweigens.

Ihnen allen lief ein kalter Schauer über den Rücken, bei den Gedanken an die finstere Nacht, in der Justin Worte unheilschwanger im Raum stehen würden und doch gaben sie ihm recht. Es war Zeit zum schlafen und so stand Layla auf, nickte ihnen noch einmal zu und ging, Sassy im Schlepptau. Nur einen Moment später kamen wieder zwei Elfen und brachten ihnen Decken. Sie legten sich hin und waren binnen weniger Minuten eingeschlafen. Sie merkten nicht einmal, dass es schon weit nach Mitternacht was, als auch Moritz endlich wiederkam und sich schlafen legte...

Gespräch am Morgen

Es war früher morgen, als Timo aufstand. Alle anderen schliefen noch, aber er hatte einen Albtraum gehabt. Denn hatte er schon seid Monaten jede Nacht. Er verlief immer gleich und er wachte immer an der gleichen Stelle auf. Er ist in seinem Traum noch ein Baby, kaum älter als ein paar Tage. Ein Chito hält ihn im Arm. Sie lief vor etwas davon, aber Timo erfuhr nie, vor wem oder wohin, oder warum. Die rannte einfach nur und drückte dabei ihr Baby schützend an sich. Er sah um sich herum das flackern von Feuer und er glaubte die Hitze zu spüren, die sich um ihn herum ausweitete. Und er spürte, wie etwas Feuchtes auf ihn niederprasselte. Er wusste nicht, ob es Regen war, oder aber die Tränen der Chito. Dann, plötzlich, brach ein Inferno von Flammen um ihn herum aus, sie beide wurde von schwarzem und rotem Feuern eingeschlossen, ein weißer schatten, der gespenstisch vom Feuer erleuchtet wurde, senkte sich nieder und an dieser Stelle wachte er immer schweißgebadet auf. Er hatte noch niemanden von diesem Traum erzählt. Er wusste, dass es etwas bedeuten musste, da der Traum immer wieder kehrte, aber er wusste nicht, was es war. Timo ging in den Stall. Er begann damit, eines der Pferde zu striegeln und das mehr, als eine Stunde, bis das Fell des Tieres so sehr glänzte, das man meinte, sich in ihm spiegeln zu können.

„Bald hat das arme Wesen kein Fell mehr, wenn du es weiterhin so striegelst”, erklärte eine Stimme hinter ihm.

Es war die sanfte Stimme einer Elfe und bevor er sich noch herumgedreht hatte, wusste er auch, welche es war.

„Wie lange seid ihr schon hier und beobachtet mich, Lady Layla?”, wollte er wissen.

„Lange genug um zu wissen, dass euch etwas beschäftigt. Prinz Dragonwing, wollt ihr mir nicht erzählen, was es ist? Ich kann euch vielleicht helfen”, antwortete Layla.

Timo schaute sie verblüfft an, den am Abend zuvor, als sie ankamen hatte Layla ihn mit Timo angesprochen und seinen anderen, seinen richtigen Namen, den hatte niemand verwandt. Woher kannte ihn also Layla? Seine Frage musste sich deutlich auf seinem Gesicht widerspiegeln, denn die Hochelfe lächelte.

„Ihr seht eurem Vater fast schon unheimlich ähnlich. Night hat auch nachtendes Haar, aber ging es doch mehr ins braune, als das eure. Und auch er hat braune Augen, aber eher die einer Katze, während eure mich an ein Kitz erinnern. Aber eure Gesichtszüge sind die eurer Mutter ähnlich, ebenso eure Stimme. Man sieht eure Verwandtschaft zu den beiden nur allzu deutlich, mein Prinz. Ich müsste schon von Blindheit und Taubheit geschlagen sein, um nicht zu wissen, wer ihr seid, zumal Moon eine meiner besten Freundinnen war. Also, wollt ihr mir nicht erzählen, was euch bedrückt?”, fragte Layla noch einmal.

Timo dachte einen Moment lang nach, dann nickte er und erzählte Layla von dem Traum. Diese schwieg erst eine Weile und betrachtete ihn nachdenklich.

„Meint ihr, das der Traum etwas bedeutet?”, fragte Timo, als ihn das Schweigen schier zu erdrücken schien.

Layla zögerte noch einem Moment, dann verneinte sie.

„Nein. Es ist deine Vergangenheit, die du siehst, mehr nicht. Die Chito, das müsste Moon sein, und das Inferno um sie herum zeigt mir, das es sich um ihren Todestag handelt. In deinem Traum siehst du, was sich zugetragen hatte. Ich war dabei, soll ich es dir erzählen, was ich sah?”, fragte Layla.

Timo nickte und nach einem wink der Elfe setze er sich zu Boden, ebenso wie Layla selbst.

„Nun, es war so, zu der Zeit deiner Geburt gab es auf diesem Kontinent Krieg. Der Reichsherr, wie ihr diesen Stand nennt, der war gestorben, ohne einen Erben zu hinterlassen. So begannen die mächtigen Herren der Reiche Krieg zu führen, jeder gegen jeden, alle Bündnisse wurden nichtig erklärt und Freundschaften oder Blutverwandtschaft bedeuteten nichts mehr. Ein Reich war mächtiger als die anderen und riss die Macht an sich. Eine Weile herrschte so Frieden im Reich, wobei herrschte das falsche Wort ist, denn Frieden ist da, doch er herrscht nicht. Doch der neue Herr des Landes herrschte nicht gut über sein Volk und so beschlossen einige Völker, sich zu verbünden und ihn zu stürzen und dann sollten sie abstimmen, welche Familie als nächstes regieren dürfte. Jede Stimme sollte gleichwertig zählen, die eines armen Bauers ebensoviel, wie die eines reichen Herren. Nun, einer der wichtigsten Widerständler damals war dein Vater, Night. Es war fast schon klar, dass er die Wahl gewinnen würde, denn Night verstand sich gut, mit jedem der Herrscher der verschiedenen Reiche, nicht nur mit ihren Herrschern, sondern auch mit dem einfachen Volk, denn er war unparteiisch und er würde niemanden bevorzugen. Deswegen wurde gejagt, von dem Mann, der damals herrschte, gejagt in die entlegensten Winkel der Welt, über alle Kontinente hinweg. In dieser Zeit wurdest du geboren, der einzige Thronerbe der Chito und somit der einzige Erbe Nights. Deswegen begann er, auch dich zu jagen. Moon und Night flüchteten gemeinsam mit dir, sie wollten eine Weile untertauchen, doch ihr wurdet verraten. Der Herrscher schickte Drachen aus, euch zu stellen und zu töten, egal wie. Ich begleitete euch drei damals, als wir plötzlich von einem Drachen angegriffen wurden. Wir liefen in verschiedene Richtungen davon, denn ein einzelner Drache kann uns ja nicht alle verfolgen und das tat er auch nicht, er folgte nur Moon und dir. Als ich das merkte, versuchte ich natürlich, ihr zu helfen, doch als ich bei ihr ankam, da sah ich nur noch, wie ein Flammeninferno sie einschloss. Der Drache hielt euch beide für Tod, und machte sich auf die Jagd nach Night, den er dann später auch zur Strecke brachte, aber in dem Moment war mir das ziemlich egal, ich lief zu Moon. Sie lebte noch, aber sie hatte solche Verbrennungen, dass sicher war, dass sie sterben würde und das wusste ich. Dir jedoch war kaum etwas passiert, sie hatte dich mit ihrem Körper geschützt und mit ihrem letzten Atem bat sie mich, dass ich mich eurer annehmen solle...”, endete Layla.

„Und... warum war ich dann in der anderen Welt, wenn ihr euch um mich kümmern solltet?”, fragte Timo sogleich.

„Nun... ich bin eine Elfe und Elfen sind anders als andere Wesen. Wir sind fast unsterbliche Wesen und etwas Unsterbliches hat nicht gerne etwas um sich herum, das nur so kurzlebig ist, wie ein Elb oder ein Chito. Sie hätten dich nie geduldet, deswegen bat ich einen jungen Mann, dass er sich um dich kümmern möge, und er tat es mit Freuden. Ich kenne bis heute nicht seinen Namen, doch hege ich die Vermutung, dass es der schwarze Ritter war, der euch zu den Menschen brachte, auch wenn er zu dem Zeitpunkt ungleich jünger aussah”, antwortete Layla.

„Moritz? Wie kommt ihr auf Moritz?”, wollte der junge Chito weiter wissen.

„Nun, der Mann sah dem Weltenretter unglaublich ähnlich, aber Justin kann zu dem Zeitpunkt kaum älter gewesen sein, als ihr. Also kann er es nicht gewesen sein. Da der schwarze Ritter, als sein Vater, ihm am ähnlichstem sieht, kann es nur er gewesen sein. Oder seht ihr das anders?”, Layla schaute den schwarzhaarigen Jungen fragend an.

„Nein... aber ich habe trotzdem noch andere Fragen. Die Feen. Sie leben doch lediglich so lange, wie die Blumen, von der sie geboren wurden. Also auch nicht allzu lange, aber warum duldet ihr sie, aber nicht Wesen, wie mich?”, löcherte er weiter, „und woher wisst ihr überhaupt, dass Moritz Justins Vater ist? Auch dies erwähnte niemand.“

„Ganz so ist es nicht, Prinz Dragonwing. Die Feen unterscheiden sich von euch, wenn eine Fee wird, ähnlich einem Phönix, immer und immer wieder geboren. Eine Fee zu töten ist fast unmöglich. Ihr nicht. Wenn ihr stirbt, dann wird eure Seele in das Reich der Hell einkehren. Die Seelen der Feen und auch die der Elfen, die werden sich erneut in den ewigen Kreislauf einfügen, solange, bis es auf Erden keine Pflanzen mehr gibt. Denn Feen werden von Blumen geboren, Elfen von Bäumen und jede andere Pflanze hat ein Wesen, das nur durch sie leben kann. Ich weiß nicht, ob du verstehst, was ich dir damit sagen will, denn es ist schwer etwas jemanden zu erklären, was für einem selbst selbstverständlich ist”, antwortete Layla.

„Und die Verwandtschaft zwischen dem baldigem Lehrer und seinem Vater ist mehr als nur offensichtlich, finde ich. Sie gehen miteinander vertrauter um, als sie es tun würden, wären sie lediglich befreundet und…“, die Elfe lachte leise, „eines haben wohl alle Kinder gemein, nämlich die Art und Weise, wie sie sich ihren Eltern gegenüber verteidigen. Außerdem wäre ich eine schlechte Hochelfe, wenn ich Wesen in meinen Wald ließe, über die ich nichts weiß.“

„Okay, wenn ihr meint. Ich kann mir so mehr oder weniger denken, wie ihr das meint, weswegen ich nicht hier bleiben kann, aber noch etwas: warum der baldige Lehrer?“

„Weil ich ihm glaube, was er sagte. Er ist nicht der Weltenretter, aber er wird sein Lehrer sein. Auch ich kenne den wahren Weltenretter, und seine Zeit ist noch nicht gekommen. Nein, Justin wird ihm lediglich die Zeit verschaffen, die er braucht, um zu lernen, auch wenn Justin dabei etwas kostbares verlieren wird.“

„Das verstehe ich nicht so ganz.“ Timo runzelte die Stirn.

„Es hätte mich gewundert, wenn es anders gewesen wäre. Ihr seid gewiss nicht dumm, Prinz, aber dies ist etwas, was ihr nicht verstehen dürft, noch nicht. Erst wenn die Zeit reif ist“, erklärte die Elfe.

„Warum hängt eigentlich immer so unendlich viel von der Zeit ab?“, wollte Timo leicht genervt wissen.

„Weil sie etwas ist, was niemand lenken kann, was seinen eigenen Willen besitzt. Das einzige Element, das keinen Herren hat, außer sich selbst.“ Layla stand unvermittelt auf und ging ohne ein weiteres Wort und Timo schaute ihr nur einen Moment lang nach, überlegte, ob er sie wohl irgendwie gekränkt haben mochte, dann striegelte er jedoch die Pferde weiter.

Nach kurzer Zeit trat plötzlich Shadow wortlos neben ihn und streichelte dem Pferd die Nüstern.

„Das tut mir leid”, sagte sie, nachdem sie noch ein paar Sekunden hat verstreichen lassen.

„Was meinst du?”, wollte Timo wissen und versuchte zu lächeln, doch es misslang kläglich, denn in Gedanken war er wieder zu dem zurückgekehrt, was ihm im Grunde am meisten beschäftigte.

„Stell dich nicht dumm, ich weiß ganz genau, wie sehr du hofftest, deine wirklichen Eltern zu treffen, obwohl alle meinten, sie seien Tod. Layla hat deine ganze Hoffnung zunichte gemacht. Ich weiß ganz genau, wie du dich fühlst”, antwortete sie und schaute betroffen zu Boden.

„Und warum?”, wollte Timo sogleich wissen.

„Weil ich dieselbe Hoffnung hegte, nachdem Susi meine Eltern angriff. Ich hatte bis zuletzt die Hoffnung, das die beiden doch irgendwie überlebt hatten, aber als ich hörte, was ein Wanderer mir erzählte, da war die gesamte Hoffnung zunichte gemacht. Aber, nun, das mag grausam klingen, aber sei froh, das du deine Eltern nicht kennst”, sagte Shadow und man sah ihr dabei nur allzu deutlich an, wie ungern sie dies sagte.

„Ja, das klingt wirklich grausam. Warum sagst du es, wenn du weißt, dass es grausam ist?”, wollte Timo wissen.

„Gewiss nicht grundlos. Nun, deine Eltern waren die Herrscher der Chito, meinst du wirklich, sie hätten dir freie Wahl gelassen, bei deinen Freunden und bei deinen Beziehungen? Du hättest dich mit Leuten abgeben müssen, die dir von Grund auf zuwider sind und du hättest irgendein Chitomädchen heiraten müssen, das du unter umständen nicht mal ausstehen kannst, sie hätten dich gezwungen. Du hättest keine Wahl treffen können, dafür gibt es einfach zu wenig Chito. Sie hätte von hohem Ansehen sein müssen und du hättest nichts mehr zu lachen gehabt. So hast du freie Auswahl, sie braucht nicht einmal ein Chito sein. Es hat nämlich sowieso keinen Sinn, wenn du dich jetzt regelrecht opferst, um unsere Art zu erhalten. Wir sind nur noch sehr wenige, die Chito werden aussterben. Zumindest in ihrer reinen form, Mischlinge wird es wohl immer geben, doch es ist ein Unterschied. Wir sind zwei der letzen reinblütigen unserer Art. Wir sind einfach zu wenige, als das es uns wieder in solch großer Zahl geben würde, wie einst”, antwortete sie.

„Nicht unbedingt. In meiner Welt ist es so, dass es nur drei gefangene Hamster gab und die haben sich so gut vermehrt, dass es nun in tausenden Haushalten einen Hamster gibt”, antwortete Timo.

Shadow lachte schnaubend.

„Ja, das kann schon sein, aber das ist dennoch ein himmelhoher Unterschied. Ein Hamster hat ein anderes Bewusstsein, als wir. Ein Hamster sucht sich nicht endlos lange aus, mit welchem Artgenossen es seine Nachkommen hat, oder wie viele. Wir tun das schon und genau das ist unser Verhängnis, verstehst du? Nur das allein. Deswegen ist es nun vollkommen egal, mir wem du dich einlässt, die Chito wird es so oder so nie wieder geben. Zumindest nicht in der Popularität, wie einst. Deine Eltern hätte dies nicht wahrhaben wollen und dich einfach gezwungen. Sei froh, dass es sie nicht mehr gibt”, fand das Mädchen.

„Das kann ja sein, aber wie kommst du darauf, dass sie mich bei der Wahl meiner Freunde hätten manipulieren wollen? Wen von ihnen wäre denn nicht gut genug gewesen?“, fragte er aggressiv

„Ich“, antwortete Shadow.

„Wie kommst du denn darauf? Ausgerechnet dich hätten sie nicht gemocht? Einen der wenigen Artgenossen? Ich glaube, deine Phantasie geht mit dir durch“, knurrte er abfällig.

„Nein, tut sie nicht. Die Herrscherhäuser, mein lieber, sind immer gleich. Geduldet ist nur, wer ihre Etikette beherrscht, wer selber von hohen Ansehen ist, wer in praktisch jeder Hinsicht perfekt ist. Bin ich aber nicht, im Gegenteil. Ich bin ein Mädchen und dazu noch die Älteste. Das allein reicht schon aus, um als größte Schande in der Geschichte der Chito zu gelten. Meinst du wirklich, sie hätten dich, als Prinz, mit jemandem wie mir befreundet sein lassen? Moritz hätten sie begrüßt, Melody mit Handkuss aufgenommen, Justin wahrscheinlich vergöttert! Mich hätten sie davon gejagt, wenn ich nicht schnell genug gewesen wäre, vermutlich sogar noch einmal eingefangen um mich im nächsten Bach zu ertränkt…“, Shadows Stimme, anfangs im sachlichem Ton, hatte immer mehr angefangen, vor Bitterkeit und unterdrücktem Hass zu zittern und erst jetzt viel Timo auf, was für ein Los das Mädchen mit ihrem Leben eigentlich gezogen hat. Sie tat ihm Leid und obwohl es ihn störte, das sie so über seine Elter sprach, die sie ebenso wenig kannte, wie er, war ihm dennoch klar, das sie die Wahrheit sagte, und das er im Grunde seines Herzens eigentlich gar nicht mehr wollte, die beiden jemals zu treffen. Shadow war ihm ungleich wichtiger, als zwei Wesen, die schon seid Jahren Tod waren, die er nie würde kennen lernen, und mit denen er lediglich zwei dinge gemein hatte. Zum einen die Rasse, zum anderen das, was er als „Familie“ bezeichnet hätte müssen, wäre er bei ihnen aufgewachsen.

Shadow strich dem Pferd noch einmal über die Nüstern, ihre Hand zitterte dabei und obwohl sie versuchte, nicht in Timos Richtung zu sehen, sah er dennoch, das sie weinte, dann ging sie ohne ein weiteres Wort.

Ember

Layla brachte sie alle bis zum Waldrand, doch sie machte nicht einen Schritt weiter.

„Weiter werde ich euch nicht begleiten. Ich verlasse meinen Wald nämlich nur, wenn es unbedingt nötig ist”, erkläre die Elfe

„Ist gut. Danke für alles, was ihr für uns getan habt, Lady Layla”, verabschiedete sich Justin. Layla nickte freundlich.

„Mögen euch die Geister der Elemente immer beistehen. Viel Glück, auf eurem weiterem Weg”, sagte sie und der Trupp wendete die Pferde und sprengte davon.

Schon nach kurzer Zeit übernahm Shadow die Führung, denn sie kannte den Weg von allen am besten. Sie war schon oft beim Nachtsee gewesen, ihr Vater hatte sie unzählige male mithin genommen.

„Ich glaube nicht, dass wir heute noch ankommen werden”, sagte das Mädchen am Mittag, als die sieben eine kleine Rast einlegten. Justin, der gerade dabei war, Snowflower aus seiner Tasche heraus zusuchen - die Fee hatte nämlich den ganzen Weg über dort drinnen gesessen und forderte nun mit aller Macht ihr Recht, nach frischer Luft - schaute sie fragend an.

„Wir sind doch erst seid ein paar Stunden unterwegs, wie willst du das denn jetzt schon wissen?”, fragte er.

„Weil wir häufiger von den Elfen her aufgebrochen sind und wir habe es nicht einmal geschafft, rechtzeitig vor Sonnenuntergang am See zu sein. Zumindest nicht, wenn wir gegen Mittag erst hier waren. Und wir kommen ja alleine durch die schiere Größe unserer Gruppe nur recht langsam voran, deswegen bin ich mir sicher, dass wir frühestens morgen ankommen können”, antwortete Shadow.

„Und wo wollen wir dann die Nacht verbringen? Ich habe keine Lust, eine ganze Nacht hier draußen zu übernachten, zumal es nach Regen aussieht”, bemerkte Timo und schaute gen Himmel, wo sich langsam aber stetig schwarze Regenwolken sammelten.

„Ich weiß nicht, wir haben es mir immer im freien bequem gemacht”, überlegte Shadow.

„Ich weiß aber, dass es ein Dorf gibt, das ganz in der Nähe liegt, dort wohnt eine gute Freundin von mir, Ember. Ich denke, bei ihr können wir eine Nacht unterkriechen”, meldete sich Moritz zu Wort.

Falko nickte und wandte sich Shadow zu: „Sag mal, warum warst du denn schon so häufig bei diesem Nachtsee, und wer sind wir?”

„Wir, das sind mein Vater und ich. Kennst du dich ein wenig mit den Meinigen aus? Nur dann kann ich dir erklären, was wir hier getan haben”, erkundigte sich das Mädchen, als Falko den Kopf schüttelte, seufzte sie.

„Nun, dann von Anfang. Also, Chito sind so etwas wie... ein Medium, so würdet ihr es wohl nennen. Nun, die Chito sind vor einigen Jahrtausenden mal einen Bund mit den verschiedenen Geistern eingegangen, was genau der Grund war und was von den Geistern und den Meinigen gefordert wurde das weiß heutzutage keiner mehr, aber es gibt auch heute noch Chito, die sind die Nachfahren der Bünder, wie sie genannt werden und diese Nachfahren haben die Aufgabe, die Bündnisse regelmäßig zu erneuern. Nun, mein Vater war Dark, er hatte die Aufgabe, das Bündnis der Schatten zu erneuern und meine Mutter war Rainbow, sie hatte das Bündnis des Regens und ich bin die Erstgeborene, das erste Kind meiner Eltern und deswegen war von vornherein klar, das ich irgendwann das Bündnis der Schatten weiterführe. Um mich darauf vorzubereiten, hat mich mein Vater oft mitgenommen, zum Nachtsee, denn der See ist der Ort, an dem das Bündnis geschlossen wurde und immer wieder... aufgefrischt wird”, erklärte Shadow.

„Und warum das Bündnis der Schatten und nicht das des Regens? Immerhin bist du ein Mädchen, da wäre es doch an sich logischer, wenn du das Bündnis deiner Mutter übernimmst, oder nicht?”, hakte Falko nach.

„Das Bündnis der Väter ist das „wichtigere”, stimmt’s Shadow?”, fragte Timo.

Shadow nickte: „Genau so ist es. Aber ich denke, wenn du jemanden kennst, der hier lebt, dann solltest du voran reiten, Moritz.“

Moritz nickte und lies seinen Drachen vor den Reittiere der anderen fliegen. Die Nacht brach schon über das Land herein, als sie in der Ferne ein Dorf ausmachen konnten. Das Wissen, das sie es sich alle nun bequem machen konnten, wenn sie nur endlich da waren, ließ sie alle noch ein wenig schneller reiten und so waren sie auch bald da.

„Ich denke, wir sollten den restlichen Weg zu Fuß zurücklegen. Ich glaube kaum, das es allzu viele Leute gibt, die begeistert davon sind, wenn wir mit einem Manticor und einem Drache hierher kommen“, erklärte Moritz und sprang von Logis Rücken, als sie noch eine halbe Stunde Fußweg entfernt waren und so machten sie sich auf den Weg. Während sie durch das Dorf gingen, merkte Justin, dass etwas ihm folgte. Er widerstand der Versuchung, sich umzudrehen, aber er spitzte die Ohren. Er war so damit beschäftigt, nach ihrem Verfolger zu horchen, das er nicht einmal mitbekam, wie Moritz stehen blieb und in ihn hineinlief.

„Au! Moritz!“, giftete er los, sein Vater schaute ihn jedoch eher verwirrt an.

„Pass doch auf, wo ich hinlaufe!“ knurrte Justin und Moritz wandte sich kopfschüttelnd wieder dem Haus zu, vor dem er stehen geblieben war.

„Hier wohnt sie, Ember“, erklärte er.

„Dann klopf“, forderte Falko, doch Moritz zögerte, also trat Shadow mit einem Seufzer an ihm vorbei und pochte mehrmals laut gegen die Tür. Eine hübsche, junge Frau öffnete. Mit einem unwilligen Zucken ihrer Katzenohren musterte sie die Ankömmlinge kurz aber genau. An Moritz’ Gestallt blieb ihr Blick hängen und ihre Augen verengten sich.

„Moritz, du hier? Hätte ich nicht gedacht“, erklärte sie eiskalt.

„Bevor du anfängst hier herum zu jammern, Ember, ich hatte meine Gründe. Ebenso wie ich Gründe habe, jetzt hier zu sein“, erklärte dieser, schaute Ember jedoch nicht, sondern sein Blick war zu Boden gerichtet.

„Ja, das hab ich mir gedacht“, brummte die Chitofrau unwillig, machte dann aber Platz und deutete ihnen, ins Haus zu kommen. Justin nutzte die Gelegenheit, einen Blick über die Schulter zu werfen, ohne das es auffiel, doch was er sah ließ ihn einen Moment lang den Atem stocken. Vollkommen fassungslos drehte er sich um und atmete fast im selben Moment erleichtert auf. Er hatte für einen Augenblick gedacht, hinter ihm stünde der Ritter seiner Visionen, doch er hatte sich geirrt. Nicht der Ritter, der ihm so sehr ähnelte stand dort, sondern ein Junge. Ein Chito mit flammendrotem Haar und eisblauen Augen. Er schien rein körperlich noch nicht alt zu sein, doch in seinem Blick lag etwas, was mit seinem jungen, kindlichen Körper so krass im Widerspruch stand, wie es nur irgend möglich war und obwohl sein Ausdruck so unglaublich erwachsen wirkte, sah Justin auch ein glitzern in seinen Augen, das kindliche Neugierde verriet und auch die reine Lebensfreude. Der Kleine lehnte den Kopf schief und ging dann selbstbewusst an ihnen vorbei ins Haus hinein, ohne auch nur ein Wort gesagt zu haben und mit einem lächeln folgte Justin. Melody schaute ihn verwundert an, sie war an der Tür stehen geblieben, durch die die anderen gegangen waren. Justin ging zu ihr, doch als sie etwas fragen wollte, schüttelte er fast unmerklich den Kopf und sie beide gingen zu den anderen und setzten sich. Der Junge saß ebenfalls schon da und flüsterte seiner Mutter etwas zu, was der Rotschopf nicht verstand und so wie Shadow guckte, verstand sie es auch nicht, trotz ihrer scharfen Katzenohren. Dann setzte er sich wieder hin und musterte jeden einzelnen der Gruppe mehr als nur eingehend.

„So, dann schieß mal los, Moritz, warum bist du wieder hier?“, wollte Ember wissen und ihr Blick sagte dabei eindeutig, das sie nicht begeistert war, von der Tatsache, das er nun hier saß.

„Nun, ich dachte, wir könnten vielleicht eine Nacht hier verbringen. Morgen in aller frühe werden wir weiter ziehen“, erklärte er, doch es war mehr als nur deutlich, das er eigentlich etwas anderes hätte lieber sagen wollen.

Ember schien das ebenso zu merken, denn sie schaute ihn einen Augenblick lang fragend an, dann nickte sie, jedoch mehr für sich, als für die anderen.

„Das kommt drauf an“, erklärte sie.

„Und worauf“, wollte Falko sogleich wissen.

„Was du mir noch zu sagen hast“, erklärte sie, ignorierte dabei Falko.

„Etwas, was die andern nichts angeht. Sie wissen nichts davon und ich will es ihnen auch nicht erzählen“, erklärte Moritz, schaute dabei zu Boden.

Alle anderen schauten ihn verwundert an. Ember nickte abermals, diesmal entschlossener. Sie stand auf und deutete Moritz, mitzukommen. Alle anderen schauten den beiden fragend nach, doch Justin hatte etwas, was ihn mehr interessierte, als die Geheimnisse seines Vaters. Der Junge. Er schaute sofort wieder zu ihm hin.

„Wer bist du?“, wollte er wissen.

Die eisblauen Augen, bei deren Blick der Rotschopf unwillkürlich fröstelte, schienen sich in ihn hinein zu bohren und alle seine Gedanken lesen zu können. Diese Augen machten Justin Angst, zugleich aber konnte er sich keine schöneren Augen vorstellen, für diesen Jungen. Sie hatten etwas geheimnisvolles an sich, etwas, das an eine eisige Winternacht denken ließ, und an den Tod, der in einer solchen Nacht lauerte, zugleich aber auch etwas aufgeschlossenes, kindliches, das unglaublich anziehend wirkte. Und das machte ihm Angst.

„Ich heiße Blizzard“, antwortete der Junge.

Blizzard. Ein Name, der besser nicht zu ihm passen könnte, vor allem zu seinen Augen.

„Ein interessanter Name. Und ein passender. Ich bin Justin“, nickte der Rotschopf und lächelte dem Jungen zu. Der erwiderte mit einem breiten Grinsen und in seinen Augen blitze der Schalk. Die beiden verstanden sich vom ersten Augenblick an, das sah man deutlich, alleine an der Art und Weise, wie sie einander anschauten. Es schien so, als hätten sie einen Seelenverwandten in dem jeweils anderem gefunden, erkannt, ohne jemals mit ihm gesprochen zu haben, jemals ihm begegnet zu sein und so begannen sie auch sogleich, miteinander zu sprechen, als kannten sie sich schon ewig.

„Ich hoffe, ich bekommen nachher keinen Ärger“, begann der Junge.

„Wieso?“, fragte Justin sogleich neugierig.

„Ach, ich habe ins Gemüsebeet meiner Mutter Schnecken geworfen und vorher ihre Enten eingesperrt, damit sie die Schnecken nicht fressen können“, erklärte Blizzard frech grinsend und Justin lachte auf.

„Hast du schon mal eine Herde Schafe oder Ziegen in den Garten geholt? Der Effekt ist ungleich genialer“, erklärte er augenzwinkernd.

„Das muss ich echt mal ausprobieren, ich meine, bei den Schnecken kriegt meine Mutter ja schon fast einen Nervenzusammenbruch, aber wenn ich dann mit den Ziegen komme. Vermutlich bringt sie mich dann gleich um, aber wenigstens war es lustig. Weist du, was auch lustig ist? Ich habe mal einen scharfen Wachhund vor der Haustür angebunden und meine Mutter konnte dann nicht mehr rein!“, erzählte Blizzard mit leuchtenden Augen.

„Oh, oh, das ich auch nicht schlecht, was aber auch ganz lustig ist, wenn du mit einem Hund dort spielst, wo deine Mutter die saubere Wäsche aufhängt, am besten noch, wenn es besonders heiß und staubig ist oder besonders matschig, weil es zuvor regnete. Wen sie die Sauerei sieht, dann geht sie an die Decke, das sag ich dir…“, nickte Justin und seine Augen leuchteten mit denen Blizzards schier um die Wette.

Wahrscheinlich wäre ein solcher Austausch von Streichideen noch eine ganze Weile so weiter gegangen, wenn in dem Moment nicht Moritz und Ember zurückgekommen wären.

Moritz schaute nur zu Boden, er schien sich nicht zu trauen, irgendjemanden in die Augen zu sehen, Ember dagegen sah zufrieden aus.

„Ihr könnt heute Nacht hier bleiben“, erklärte sie, dann sah sie, wie Blizzards Augen leuchteten und sie runzelte fragend die Stirn.

„Was hast du wieder angestellt, Blizzard?“, fragte sie misstrauisch und prompt verengten sich ihre Augen wieder nach Katzenart zu schmalen schlitzen.

„Gar nichts!“, rief der Junge.

„Und warum siehst du dann so unglaublich zufrieden aus?“, lauerte sie, als sie jedoch sah, das auch Justins Augen so sehr leuchteten, schien sie verunsichert.

„Die beiden haben eine höchst interessante Unterhaltung geführt, als ihr nicht da wart“, erklärte Melody, noch immer mit einem verwunderten Ausdruck auf dem Gesicht. Sie hatte anscheinend nicht gedacht, das Justin jemand war, dessen größtes Hobby das Streiche spielen war. Ember runzelte die Stirn, man sah ihr an, dass sie nicht verstand und auch nicht verstehen wollte, was Melody meinte.

„Nun, okay. Ich hoffe nur für dich, das du dich gut benimmst, Blizzard, wir wollen unseren Gästen ja nicht zeigen, wie ungezogen du wirklich bist, nicht wahr?“, knurrte sie, woraufhin Justin lachte.

„Nun, ich denke, das haben wir während dieser Unterhaltung zu genüge erfahren“, erklärte er augenzwinkernd.

„Oh ja“, stimmte Shadow zu und lächelte dabei und auch Falko nickte. Einzig Melody wirkte immer noch geknickt.

Ember schien zu dem Schluss zu kommen, dass sie gar nicht weiter wissen wollte, was hier abgegangen war, und setzte sich kommentarlos zu ihnen.

„Wer seid ihr eigentlich alle?“, fragte sie dann.

„Mein Name ist Justin und das sind Melody, Shadow, Timo, Falko und Snowflower“, stellte der Rotschopf alle vor und zeigte auf die entsprechenden Personen, Snowflower zog er dazu extra aus seiner Tasche, wo sich die Fee hineingekuschelt hatte, um dort zu schlafen. Nun rieb sie sich müde die Augen und schaute sich gähnend um.

„Gut. Ich bin Ember und das ist mein Sohn, Blizzard“, erklärte sie, dann wandte sie sich Shadow und Timo zu, den die beiden schienen ihr am meisten aufzufallen, wohl weil sie ihr Artgenossen waren.

„Shadow und Timo. Timo ist ein ungewöhnlicher Name, für einen Chito und Shadow. Dein Name lässt mich darauf schließen, das du etwas mit dem Schattenwächter zu tun hast?“, fragte sie.

„Da hast du recht, ich habe etwas mit dem Schattenwächter zu tun, ich bin der Schattenwächter“, erklärte Shadow.

„In wie fern?“, erkundigte sich Ember.

„Dark war mein Vater und ich bin die erstgeborene Nachkomme von ihm, als er starb wurde ich zur Schattenwächterin“, antwortete das Chitomädchen.

Embers Blick verdüsterte sich und als wie wieder sprach, war ihre Stimme merklich kühler, als noch zuvor: „Ich wusste nicht, das Dark eine Gefährtin hatte. Wer war sie?“

„Rainbow, meine Mutter“, auch Shadows Stimme war eine Nuance kühler. Während die anderen nicht wussten, was sie von dieser anbahnenden Eiszeit halten sollten, sah man in Timos Augen das aufblitzen von Wut.

„Ausgerechnet“, murmelte Ember und ihre Stimme klang auf merkwürdige Art und Weise gehässig, dann jedoch wandte sie sich Timo zu und ihre Stimme wurde wieder neutral.

„Und warum hast du einen solch merkwürdigen Namen? Aus welcher Familie stammst du eigentlich?“, erkundigte sie sich weiter, doch Timo antwortete nicht, sondern schaute Ember ebenso kalt an, wie sie zuvor Shadow. Das schien Ember zu irritieren, denn sie schaute Hilfe suchend zu Moritz, der jedoch wich ihrem Blick wieder aus, was Justin mehr als alles andere zeigte, das sein Vater aus irgendeinem Grund ein schlechtes Gewissen hatte. Dann schaute sie wieder zu Timo, der immer noch nicht antwortete. Justin warf ihm einen fragenden Blick zu, denn so etwas war eigentlich gar nicht seine Art, mit Fremden umzugehen. Timo fing den Blick auf.

„Ich muss mal kurz raus, mir geht es nicht so gut“, erklärte er mit zitternder Stimme, stand auf und beim vorbeigehen stand auch Justin auf, den er den Wink verstanden hatte, und folgte Timo. Zu seiner Verwunderung sprang auch Blizzard auf und folgte ihnen nach draußen. Timo sah darüber nicht gerade glücklich aus, aber er sagte nichts.

„Was ist den los, warum bist du Ember gegenüber so abweisend?“, fragte Justin gleich, kaum hatte Blizzard die Tür geschlossen.

„Weil sie Shadow gegenüber so ist“, brummte der.

„Und warum ist sie Shadow gegenüber so?“, wollte Justin ungeduldig wissen, doch es war nicht Timo, der antwortete, sondern Blizzard.

„Weil sie die Erstgeborene ist und ein Mädchen“, erklärte er.

Justin schaute ihn nur verständnislos an, woraufhin der Junge fort fuhr.

„Unter Chito ist es so, das es praktisch das Grausamste ist, was es gibt, wenn das erstgeborene Kind ein Mädchen ist. Mädchen können nicht die Aufgaben der Väter übernehmen und die brauchen eben einen Erben. Deswegen hat es sich so eingebürgert, das es als große Schmach gilt, als erstgeborenes Kind ein Mädchen zu haben“, erklärte er.

„Shadow hat erzählt, das es sogar Chitofrauen gibt, die ihre Töchter ertränken, nur weil sie die Ersten waren“, fügte Timo hinzu.

„Und Mama ist auch ein Chito, deswegen sieht sie eure Freundin wahrscheinlich auch als… minderwertig an. Ein Geschöpf, das gar keine Existenzberechtigung hat“, erklärte Blizzard in einem fast beiläufigem Ton.

„Dann müssen wir etwas tun, das sie sieht, das sie Shadow genauso zu behandeln hat, wie andere Mädchen auch“, fand Justin.

„Hast du auch schon eine Idee, wie das gehen soll?“, erkundigte sich Timo woraufhin Justin langsam nickte.

„Ja und nein. Du könntest deine Stellung, die du innehast ausnutzen, um ihr klar zu machen, das du das nicht gerne siehst“, überlegte der Rotschopf.

„Schieß los“, forderte Timo.

„Nun, sie wird höchstwahrscheinlich dir gegenüber sehr viel Achtung und Respekt entgegenbringen, wenn sie erfährt, wer du bist. Das musst du ihr sagen und am besten gleich darauf deutlich machen, wie du Shadow gegenüber stehst. Vielleicht sogar ein wenig übertrieben, also ein wenig zu nahe an ihr sitzen, als das es als gute Freundschaft durchgehen könnte, ihr gegenüber ein bisschen zu zuvorkommend sein oder so. Dann denke ich, wird sie es sich zweimal überlegen, Shadow gegenüber wieder so giftig zu sein“, erklärte Justin und wandte sich Blizzard zu. „Du wirst es deiner Mutter doch nicht sagen, oder?“

Der kleine Junge verneinte.

„Dann sollten wir wieder zurückgehen“, fand Justin und sie gingen wieder rein.

Das Bild hatte sich geändert, als sie wiederkamen. Ember sah zufrieden aus, während Shadow fast zu kochen schien, vor Wut, die sie jedoch mühsam zu unterdrücken versuchte. Einzig ihre Augen machten klar, wie es in ihrem Inneren wirklich aussah. Timo setzte sich dorthin, wo er zuvor auch gesessen hatte, neben Shadow und auch Blizzard nahm seinen ursprünglichen Platz zwischen Timo und Melody wieder ein.

„Entschuldigen sie, aber mir ging es nicht so gut“, erklärte Timo formell.

„Aber jetzt ist wieder alles okay?“, erkundigte sich Ember.

„Ja, ist es“, nickte Timo, „aber ich habe ihre Fragen noch nicht beantwortet. Nun, Timo ist nur der Name, den mir meine Zieheltern gaben. Mein richtiger Name ist Dragonwing und ich bin der Sohn von Moon und Night.“

Embers Blick veränderte sich, ohne dass Justin sagen konnte, was es war, das dort erschien.

„Und das soll ich dir glauben, ja?“, wollte sie wissen.

„Mir ist egal, ob sie es mir glauben oder nicht. Layla selbst bestätigte es mir und ich wüsste keinen Grund, dass sie mich anlügen sollte. Ich weiß nicht, ob es stimmt, aber ich glaube der Hochelfe“, erklärte Timo.

„Ja, das merke ich. Nun, dann kannst du mir dich sicher auch sagen, in was für Tiere sich die beiden verwandeln?“, erkundigte sich Ember lauernd.

Timo schaute sie verwirrt an.

„Wie, verwandeln?“, er hatte sichtlich keine Ahnung, wovon die Chitofrau sprach. Hilfe suchend schaute er zu Justin, Melody und zu Shadow.

„Chito haben die Fähigkeit, ihr äußeres einem Tier anzugleichen. Jeder Chito kann sich in eine Tier verwandeln, das ihren Eigenschaften am meisten entsprich, wer zum Beispiel gut fliegt, der wird zum Vogel, wer schnell läuft, der wird eine schnelle Raubkatze und so weiter. Es gibt praktisch niemanden, der weiß, was Moon und Night wurden, wenn sie Tieren waren. Nur sehr enge Vertraute wissen es, obwohl die meisten von denen auch schon Tod sind. Es war ihnen zu gefährlich“, erklärte Shadow sofort.

„Genau. Ich weiß es, aber ich bezweifle, das du es weist, Timo“, sie sprach den Namen so verächtlich aus, das er fast schon einer Beleidigung gleichkam.

„Aber Timo kann das gar nicht wissen, seine Eltern wurden umgebracht, als er noch ganz klein war!“, ereiferte sich Melody.

„Das ist sein Problem, wenn er es weiß, dann glaube ich ihn, wenn nicht, dann glaube ich ihm nicht“, erklärte Ember gehässig.

Timo schaute sie an, dann schloss er die Augen und dachte nach. Er versuchte, seinen Traum in allen Einzelheiten in sein Gedächtnis zu rufen und es vergingen sicherlich zehn Minuten, wenn nicht mehr, in denen Timo einfach nur still dasaß und alle anderen ihn fragend anschauten.

„Du weist es nicht“, stellte Ember fest und klang dabei ausgesprochen zufrieden.

„Ein Falke“, war Timos Antwort.

„Wie?“, Embers Ohren zuckten und sie legte fragend den Kopf auf die Seite.

„Meine Mutter wurde ein Falke. Ein Wanderfalke um es genau zu machen. Ein ausgesprochen schönes Tier, das jedoch ein wenig kleiner war, als andere Wanderfalken“, erklärte er und schaute dabei Ember direkt an, in ihrem Gesicht konnte man jedoch nicht ablesen, ob er recht hatte, oder nicht.

„Und mein Vater wurde zu einem Hirsch. Ein nachtschwarzer Hirsch mit einem silbernen Geweih. Mutter saß meistens auf seiner silbernen Krone“, Timo und Ember schauten sich eine Weile einfach nur an, ohne das es jemandem möglich war, in ihren Gesichtern zu lesen, dann nickte Ember.

„Entschuldigt, dass ich an eurem Wort gezweifelt habe, Prinz Dragonwing“, sagte sie und senkte dabei den Blick zu Boden.

„Woher hast du das gewusst?“, fragte Falko verblüfft.

„Ich habe es vor langer Zeit in meinem Traum gesehen“, erklärte der Junge und ließ dabei seine Pinselohren hängen.

„Kein Traum, sondern dein Unterbewusstsein erzählte dir die Geschichte deiner Vergangenheit“, meldete sich Justin zu Wort.

Timo zuckte mit den Achseln: „Es kommt dasselbe bei raus.“

„Da hast du recht, es kommt dasselbe bei raus“, stimmte der Rotschopf zu.

„Aber ich möchte nicht, dass du mich siezt, Ember. Ich bin nicht wichtiger, als jeder andere hier, in diesem Raum“, wandte sich Timo wieder der Gastgeberin zu.

„Nun, es gibt Leute in diesem Raum, die schon unwichtiger sind, als ihr, nein, als du“, fand Ember und ihr Blick huschte kurz hinüber, zu Shadow, doch Timo verneinte. Er rutschte ein Stück zu Shadow und legte seinen Arm um sie, was sich das Mädchen gefallen ließ, wie die anderen fast schon erstaunt zur Kenntnis nahmen, mehr noch, sie drückte sich ein wenig an Timo, bemüht, das es möglichst niemandem auffiel.

„Nein. Nein, es gibt keinen hier im Raum, der unter mir stehen würde, vor allem nicht Shadow, im Gegenteil! Wenn sie nicht wäre, dann wüsste ich praktisch nichts über das Volk der Chito, allenfalls, dass es existiert. Sie hat mir alles beigebracht und ich wüsste nicht, was wir alle ohne sie tun sollten, also egal, was du gegen sie hast: Vergiss es, behandle Shadow genauso, wie du mich behandelst, oder Justin, oder Melody, oder irgendeinen anderen, vielleicht nicht besser, aber auf keinen fall schlechter“, erklärte der und drückte Shadow fest an sich, was Justin wohl mehr als alle vertrauten Gesten der beiden untereinander deutlich machte, wie die beiden wirklich zueinander standen und selbst wenn Justin nach jener Begrüßung an dem Tag, als sie aus der Menschenwelt zum zweiten mal nach Lävia kamen noch auch nur den geringsten Zweifel gehabt, so wäre er hiermit vollkommen und unwiderruflich ausgemerzt gewesen. Und auch jeder andere hier sah mit solcher Deutlichkeit, das die beiden weit mehr wahren als lediglich Artgenossen oder gute Freunde, als sie es alle wohl je vermutete hatten. Auch Ember schien das nun zu begreifen und sie sah nun alles andere als zufrieden aus, sondern man sah ihr Unbehagen deutlich an. Sie schien nicht zu wissen, wie sie damit umgehen sollte und am Ende stand sie auf, nuschelte etwas und verdrückte sich. Timo hielt Shadow noch einen Moment lang fest, dann wandte sie sich aus seinem Griff und ging nach draußen, Timo folgte ihr nach einem kurzem zögern.

Falko sah von einem zum anderen, sagte jedoch nichts und Moritz sah noch immer teilnahmslos zu Boden. Nach einer Weile des Schweigens stand er dann auf und ging wortlos aus dem Raum. Er war wohl nur deshalb noch einige Momente sitzen geblieben, um Timo und Shadow die Möglichkeit zu geben, ihm aus dem Weg zu gehen. Blizzard stand auch auf, erklärte, er wolle seiner Mutter helfen und ging auch und als Falko merkte, wie fehl er im Moment am Platz war, verzog auch er sich irgendwohin.

„Hast du es gewusst?“, wollte Melody nach einigen Minuten wissen.

„Was, das die beiden sich unheimlich gern haben, oder das sie praktisch schon ein Paar sind?“, fragte Justin zurück.

„Wie die beiden zueinander stehen“, meinte Melody.

„Ja. Das hab ich gewusst. Lange schon“, antwortete er und starrte dabei vor sich hin.

Melody rückte zu ihm hin: „Willst du mir auch sagen, woher?“

„An jenem Tag, als wir wieder hierher kamen, da ist er runter in den Stall, um Shadow zu begrüßen und ich bin ihm nach. Da ist ziemlich deutlich geworden, wie sie zueinander stehen“, erklärte er.

„Ah ja? Interessant. Wenn ich mir vorstelle…“, überlegte Melody, doch sie sprach nicht aus, was sie sich vorstellte und Justin hakte auch nicht nach. Er legte seinen Arm und die Elbe und zog sie ganz nah an sich heran, wie Timo es zuvor mit Shadow getan hat. Er sagte nichts und sie sagte auch nichts, während sie sich an ihn lehnte. So saßen sie eine ganze Weile da, bis Blizzard schließlich zurückkehrte, erst dann brachten sie wieder ein wenig Abstand zueinander.

Eingeständnisse

„Willst du dich über mich lustig machen?“, Timos Stimme hätte bissig klingen sollen, doch sie tat es nicht. Es war nichts weiter als eine Frage, die zu stellen er leid war.

„Weil du Shadow gern hast?“, Justin ließ sich neben seinen Freund auf den Felsen hinabsinken, ohne ihn anzuschauen, und schaute hinauf zum nächtlichen Himmel.

„Weil ich sie liebe. Die anderen tun es“, erklärte Timo.

„Und warum soll ich mich darüber lustig machen, wen du liebst und wen nicht? Nur weil es die anderen tun?“

„Ja“, Timos Stimme klang bitter.

Justin gab einen lachenden Laut von sich: „Ich bin nicht wie die anderen. Das solltest du eigentlich mehr als jeder andere wissen.“

„Ich weiß, aber dir muss es doch genauso absurd vorkommen.“

„Und warum soll es absurd sein, das du sie liebst? Nur weil die anderen nicht sehen, was sie wirklich ist?“, fragend schaute Justin Timo an.

„Nein, sondern weil es ausweglos ist.“

„Nichts ist ausweglos“, fand der Rotschopf und schaute wieder hinauf zu den Sternen.

„Dies hier schon.“

„Warum?“

„Weil wir wieder gehen werden, wenn dieses…“, er suchte sichtlicht nach einem Wort, „Abenteuer geschafft ist. Wir werden wieder zurückkehren, in unsere Welt, und Shadow wird nicht mitkommen.“

„Nein, das wird sie nicht“, stimmte Justin zu, dann herrschte eine weile Schweigen, bis er die Stille wieder durchbrach.

„Ich fand das mutig von dir.“

„Was?“, Timo schaute fragend zu Justin.

„Das du es so deutlich gemacht hast. Ich glaube, ich an deiner Stelle hätte nicht so offen zu meiner Liebe Shadow gegenüber stehen können. Wenn ich sie lieben würde, heißt das.“

„Ich fand das dumm. Damit habe ich den Schmerz des Abschieds nur noch verstärkt.“

„Das kann sein und doch fand ich es mutig. Aber warum eigentlich?“

„Warum was?“, auch Timo schaute nun wieder hinauf zu den Sternenhimmel.

„Warum Shadow?“

„Warum denn nicht? Sie gehört meiner Art an, sie ist hübsch, klug, mutig…“, er machte eine Geste, die deutlich machte, das er beliebig lange so fortfahren könnte, „Sie ist einfach etwas Besonderes. Du kennst das doch. Wenn jemand etwas besonderes ist. Wie Marina.“

„Ja, Rei war etwas Besonderes.“

Eine Weile schwiegen die Jungen wieder, schauten stumm hinauf zum Sternenhimmel.

„Timo? Wie wäre es, wenn wir einfach hier bleiben würden? Egal was kommt, wenn wir einfach für immer hier bleiben würden?“, fragte dann Justin.

„Aber warum willst denn du hier bleiben wollen? Moritz wird sicherlich wieder zurückgehen und ich werde es wohl auch. Es gäbe niemanden mehr, der dir wirklich etwas bedeutet, der mit dir hier wäre“, überlegte Timo.

„Doch, Melody wäre hier“, murmelte Justin und Timo schaute ihn sogleich verblüfft an.

„Melody?“, vergewisserte er sich und Justin nickte.

„Aber wie… seid wann?“, wollte Timo wissen.

„Seitdem ich sie das erste mal sah. Seit jenem Tag gab es keine Augenblick in meinem Leben, in dem ich ihr Gesicht aus meinem Gedanken bannen konnte, an dem ich nicht an sie gedacht habe. Ist es dir nie aufgefallen?“

„Nein, ist es nicht. Weiß sie es denn?“

„Natürlich weiß sie es und das macht es ja alles so schwer. Ich will nicht mehr fort von hier, nie mehr, einfach nur, weil sie hier ist.“

Timo lachte leise: „Wie schön, das es nicht nur mir so geht.“

„Nein, es geht nicht nur dir so“, murmelte Justin. Einen Augeblick lang saß er noch da, dann stand er auf.

„Wir sollten schlafen gehen, morgen wird sicher wieder ein anstrengender Tag“, meinte er. Er wartete, dass Timo aufstand und zusammen gingen sie zurück zu Embers Haus.

Der Zaubererturm

Vielen Dank, für deine Gastfreundschaft, Ember“, bedankte sich Justin höflich.

„Ach, ist doch gern geschehen. Wenn ihr wieder einmal hier in der Gegend seid, dann könnte ihr auch gerne wieder einmal herein schneien“, erklärte die junge Frau mit einem Lächeln.

Blizzard trat neben sie. Er sah nicht begeistert aus, machte den Eindruck, als wolle er etwas sagen, würde sich nur nicht trauen. Eine Weile druckste er herum, während sich die anderen, einer nach dem anderen, von Ember verabschiedete.

„Ähm, Mama, Justin?“, hob er dann seine Stimme und die beiden angesprochenen sahen ihn fragend an.

„Ich möchte mitkommen“, erklärt Blizzard und schaute dabei zu Boden, als erwarte er jeden Augenblick ein Donnerwetter.

„Mitkommen? Mit uns?“, vergewisserte sich Justin und klang dabei keineswegs abgeneigt. Blizzard nickte. Ember sah dagegen alles andere als begeistert aus, doch sie schaute nachdenklich zu Boden, dann nickte sie.

„Okay, wenn du willst, Blizzard, und wenn ihr nichts dagegen habt, dann geh mit ihnen“, ließ sie sich erstaunlich schnell auf diesen Vorschlag ein.

Justin schaute fragend zu seinen Freunden und Weggefährten.

„Ich glaube nicht, dass wir ihn mitnehmen sollten, er ist noch zu jung“, sprach sich Falko sogleich dagegen aus.

„Ein Chito ist in dem Alter schon ungleich reifer als Elben oder Menschen“, widersprach Shadow, „deswegen habe ich nichts dagegen, das er mit will.“

Timo nickte zustimmend.

„Moritz?“, wandte sich Justin seinem Vater zu, der noch immer ein wenig abwesend wirkte und, ganz gegen seine Gewohnheit, die ganze Zeit über kaum ein Wort hat fallen lassen.

„Ich enthalte mich“, sagte er auch jetzt lediglich.

„Dann kannst du mitkommen, Blizzard, ich bin nämlich auch dafür“, erklärte Justin mit einem breiten Grinsen und so hatte die Gruppe ein neues Mitglied. Der Junge ritt mit Justin auf Thunder und den Rest des Weges bis hin zum Nachtsee hatten sie in nicht einmal einem Tag hinter sich gebracht. Doch dort angekommen stellte sich ihnen die nächsten Fragen: Wo war der Todesgott und waren sie hier überhaupt richtig?

Justin sprang von dem Rücken des schwarzen Hengstes und ging hinab zum schwarzen Wasser. Auf einem Stein ließ er sich nieder und tauchte seine Hand sacht in das kühle Nass. Ein Glitzern ging von dem Punkt aus, wo er seine Hand hatte und erweiterte sich über den ganzen See, bis es überall funkelte und glitzerte. Seine Gefährten traten zu ihm und sie beobachteten die Wasseroberfläche verträumt.

„Schön, das ihr schon hier seid“, sagte eine Stimme hinter ihnen.

Langsam erhob sich der Rotschopf aus der Hocke, drehte sich um und ging zielstrebig auf den Todesgott zu, der plötzlich hinter ihnen aufgetaucht war.

„Wir haben des Rätsels Lösung“, erklärte Justin ohne umschweife, „es ist der Wind.“

Der Gott nickte langsam: „Das ist richtig, es ist der Wind. Aber dies war natürlich nicht eure einzige Aufgabe. Drei noch, dann werden wir gegeneinander Kämpfen und wenn ihr mich in diesem Kampf fair besiegt, dann werdet ihr Bora erhalten. Wenn ihr mich aber nicht besiegen könnt, dann wirst du zu meinem Diener, Justin. Du und deine Freunde natürlich auch. Für sie werde ich nämlich sicher bis dahin auch interessante Aufgaben finden und sei es als Fenris’ Futter.“

Justin schaute unsicher zu seinen Freunden hin, doch keiner schien in irgendeiner Weise zu zweifeln, dass er es nicht schaffen könnte. Allein Blizzard sah verwirrt aus, kannte er doch noch nicht die ganze Geschichte. Justin hatte nur die Zeit gefunden, ihn einen Teil zu erzählen, während sie reisten, doch er wandte sich vollkommen entschlossen wieder dem Gott zu.

„Okay. Was sind die drei Aufgaben?“, fragte er.

„Die erste besteht darin, Merlin aus dem Labyrinth der Minotauren im Westen zu befreien. Der schwarze Ritter kennt den Weg, es ist das Labyrinth bei Chakyu’s Turm. Als zweites werdet ihr in die Menschenwelt reisen und dort die Phönixe finden und wieder zu ihren Artgenossen in die diese Welt geleiten, ihr werdet also den Flammenberg bereisen müssen. Die dritte Aufgabe wird sein, dass ihr das Volk der Zentauren befreit, ihr werdet sie im Dämonenwalde finden. Wenn ihr alle drei Aufgaben in genau dieser Reihenfolge erfolgreich besteht, dann werdet ihr zur Elbenfeste zurückkehren, ich werde euch dort mitteilen, wo und wann unser kleines Spiel seinen Höhepunkt haben wird. Wenn ihr aber auch nur eine der Aufgaben nicht in der Reihenfolge macht oder sie nicht ganz vollendet, dann werden euch drei neue Aufgaben gestellt, drei, die nicht so leicht sind. Verstanden?“, der Todesgott legte fragend den Kopf auf die Seite.

Justin nickte ohne ein Wort zu sagen.

„Gut. Dann macht euch auf den Weg, das Labyrinth ist eine ganze Strecke weit entfernt“, erklärte der Gott und verschwand so plötzlich, wie er aufgetaucht war, indem er sich einfach nur umwandte.

„Wie weit ist es, bis zu diesem Turm?“, wollte Justin sogleich wissen.

„So weit, das wir besser keine Zeit verlieren sollten. Wir werden sicherlich mehrere Wochen unterwegs sein. Das heißt, wenn wir schnell vorankommen, wenn nicht, dann rechnet mit mehreren Monaten“, antwortete Moritz.

„Dann los“, fand Justin und sie machten sich auf den Weg. Alles im allem brauchten sie drei Wochen, wobei sie selten rasteten und bis tief in die Nacht hinein weiterritten. Sie aßen in der Regel auf dem Rücken ihrer Reittiere, das sparte Zeit, denn Justin hatte das drängende Gefühl, das ihnen nicht mehr allzu viel Zeit blieb. Doch irgendwann war der Turm in Sicht und in der Ferne strahlte er feuerrot in der untergehenden Sonne. Mit dem letzten Licht des Tages ritten sie in den kleinen Hof, der sich vor dem Eingang erhob.

„Chakyu?! Bist du hier irgendwo?!“, rief Moritz über den Hof. Eine ganze Weile ereignete sich nichts weiter, dann trat ein Elb aus dem Turm. Wie die meisten Elben war sein Haar lang und hellblond, fast weiß, seine Augen jedoch nicht ebenso hellblau, sondern hell bernsteinfarben, was Justin unwillkürlich an eine Schneeeule denken ließ.

„Chakyu! Hallo, alter Freund, wie geht es dir?“, begrüßte Moritz den Elb und hämmerte ihm seine Hand auf die Schulter.

Der Elb tat es ihm gleich und sagte Augenzwinkernd: „Hallo, Ritter der Nacht, lange nicht mehr gesehen. Mir geht es gut, besser als ein Elb zu hoffen wagen kann. Und dir? Was führt dich eigentlich her, nichts Schlechtes hoffe ich doch!“

„Leider doch. Ich hörte, der alte Merlin sei von den Minotauren gefangen genommen worden?“, Moritz sah den Elb forschend an.

„Nein, nicht der alte Merlin, sondern seine Schülerin, die jung Merlin. Obwohl so jung ist sie nun auch nicht, im Gegenteil. Sie war ziemlich alt, als der Meister zustimmte, sie auszubilden. Wahrscheinlich tat er es auch nur, weil sein Reich einen neuen Magier braucht, er wusste, dass seine Zeit bald kommen würde“, erklärte Chakyu, „aber was hat das mit deinem Erscheinen zu tun, alter Freund und wer sind die Leute in deiner Begleitung?“

„Nun, wir haben nicht die Zeit, dir die ganz Geschichte zu erzählen, also hier die Kurzfassung: Der Todesgott hat Bora in seinen Fängen und wir versuchen den Stein zurückzubringen. Dabei stellt er uns die Aufgabe, dass wir Merlin befreien sollen, deswegen sind wir hier. Meine Begleiter sind die Herrin der Schatten, Shadow, Darks Tochter, der Freund der Mantica, Falko, der Prinz der Chito, Dragonwing, die Herrin des Nördlichen Elbenreiches, Melody und niemand geringeres als mein Sohn Justin, der seine Bestimmung als Weltenretter erfüllt“, erklärte Moritz schnell.

„Tue ich nicht! Und du hast Snowflower und Blizzard vergessen“, fügte Justin hinzu und deutete auf den kleinen, rothaarigen Jungen mit den großen Pinselohren und zog die Fee aus seiner Tasche. Moritz wischte seinen Widerspruch mit einer Handbewegung einfach beiseite.

„Oho, eine interessante Gesellschaft, aber ich merke schon, die Zeit drängt für euch, aber heute ist es zu spät, um aufzubrechen. Ich werde euch morgen zu den Labyrinthen bringen. Merlin werden die Minotauren sicher nichts tun, wenn es eine Aufgabe für euch ist, sie zu befreien, also wir sie auch noch einen Tag warten können, oder seht ihr das anders?“, erkundigte sich Chakyu und stieß damit auf keine Ablehnung. So trotteten sie alle in den Turm und der Elb bereitete ihnen etwas zu essen. Keinem König würdig, aber dennoch nicht schlecht und so war am Ende nicht mehr über, als ein paar Krümel, die ein paar Vögel aufpickten, die zahm, wie sie waren, durch das offene Fenster geflattert kamen. Nach einiger Zeit begann Justin sich mit ihnen zu unterhalten, einfach nur über belanglose Dinge, um des Unterhaltens willen, nicht mehr. Dann legten sie sich zum Schlafen nieder, jeder dort, wo er gesessen hatte, denn der Boden war ausgelegt mit Teppichen und Matten und Chakyu erklärte, das die anderen Zimmer nicht wirklich bewohnbar waren, sodass dies die beste Lösung war. Es verging einige Zeit, doch der Rotschopf konnte nicht einschlafen, sosehr er es auch versuchte. Er hörte das leise schnarchen von Moritz, Chakyu und Falko, die binnen weniger Minuten schon fest schliefen, vernahm, wie sich Blizzard, der schon während des essens fast eingeschlafen wäre, in seinem Traum hin und her warf, hörte das leise Murmeln von Snowflower, die in ihrem Traum vor sich hinredete und Geschichten erzählte, von Zeiten, lange vor dieser, als die Fee selbst noch jung war. Er hörte auch, wie zwei Gestalten aufstanden und sich aus dem Raum schlichen und den Umrissen zufolge waren es Timo und Shadow, die nach so langer Zeit des ewigen Aufeinanderhockens mal wieder ein wenig Zeit für sich haben wollten. Justin lächelte vor sich hin. Es freute ihn, dass sein bester Freund jemanden gefunden hatte, den er so sehr mochte, wie das Chitomädchen. Dann, nach etwa einer halben Stunde, nachdem die beiden Chito hinaus geschlichen waren, sah er, dass noch eine Gestalt aufstand und sich ans Fenster setzte.

„Kannst du auch nicht schlafen?“, flüsterte er der Gestalt zu, während er sich aufsetzte.

„Nein. Du auch nicht, wie?“, flüsterte Melodys Stimme zurück.

Justin stand auf, nickte zur Tür hin und fragte: „Lust auf einen kleinen Mondscheinspatziergang?“

Melody antwortete nicht, stand stattdessen auf und schlich leise zur Tür, Justin folgte.

„Was meinst du, wo Shadow und Timo sind?“, fragte sie, nachdem er die Tür hinter sich zugezogen hatte.

„Ich denke im weichem, warmen Heu des Pferdestalls“, antwortete Justin schulterzuckend.

„Und was meinst du, was sie da machen?“, fragte Melody unschuldig.

„Nun, ich denke mal nicht, dass sie einfach nur ein wenig quatschen werden. Den Rest überlasse ich einfach meiner Fantasie, die macht daraus sicher etwas Interessantes“, feixte Justin.

Melody lachte leise, hakte sich dann bei Justin unter und ließ sich von ihm nach draußen führen. Wie der Rotschopf vermutet hatte, hörten sie aus dem Pferdestall gedämpfte Geräusche, die eindeutig nicht von den Pferden stammten und grinsend schlichen sie vorbei.

„Wäre eigentlich mal ganz interessant, da Mäuschen zu spielen“, griente Justin, als sie den Hof verlassen hatten und den Weg entlanggingen, den sie ein paar Stunden zuvor genommen hatten.

„Ich kann dich ja mal in eine verwandeln, dann kannst du es sicher machen oder du fragst morgen früh die Pferde, die werden dir sicher sagen, was sich zugetragen hat. Das heißt, wenn du das nicht auch lieber deiner Fantasie überlassen möchtest“, erklärte Melody, was Justin ein kleines Lachen entlockte.

„Ich finde ist toll, das die beiden sich gefunden haben“, erklärte er nach einer weile Stolz.

„Als wäre es dein verdienst, was? Aber ich finde das nicht toll, ich meine, wer weiß, wie lange ihr noch hier bleiben werdet. Vielleicht nur noch ein paar wenige Tage und je näher die beiden einander kommen, desto schmerzhafter der Abschied“, meinte Melody traurig.

„Ja, da hast du leider recht, aber lass uns nicht jetzt schon an Abschied denken, sondern uns lieber an der Zeit erfreuen, die wir noch haben, solange wir sie noch haben“, fand der Rotschopf.

„Da hast du recht…“, murmelte Melody.

„Aber?“, fragte Justin, denn sie hatte in einem Ton gesprochen, der nahezu immer ein „aber“ mit sich zog.

„Aber es bringt auch nichts, wenn wir vor der Wahrheit die Augen verschließen und hoffen, dass sie einfach nicht eintrifft, nur weil wir uns keinerlei Gedanken machen, über sie“, erklärte Melody.

„Das mag richtig sein, aber es bringt genauso wenig, wenn wir uns jetzt alle deswegen verrückt machen und am Ende eine Lösung finden, mit der wir alle Leben können und zufrieden sind“, Justin hob abwehrend die Arme, „Nein, ich habe noch keine gefunden, aber es kann doch möglich sein, das wir noch eine finden. Und wir werden gewiss noch eine ganze Weile hier bleiben, immerhin müssen wir noch drei Aufgaben bewältigen.“

„Wovon eine in deiner Welt verlagert wird“, warf Melody ein.

„Dann eben drei Aufgaben, in dessen Zeit wir noch zusammenbleiben können“, wischte Justin ihr Argument beiseite.

Melody nickte, sah dabei aber traurig aus.

„Ach Gott, was ist den?“, fragte Justin und schaute sie mitleidig an.

„Ich will nicht, dass du gehst. Weder jetzt noch nach den drei Aufgaben, noch sonst irgendwann“, murmelte Melody und Tränen liefen ihr glitzernd über die Wagen.

Justin nahm sie in den Arm. Auch er wollte nicht gehen, doch er hatte beschlossen, sich darüber erst dann Gedanken zu machen, wenn es so weit war und das war es jetzt noch nicht. Und er hoffte, das es auch nie soweit kommen würde, das sich alle Probleme einfach in Luft auflösten, egal wie, doch er wusste zugleich auch, das es nicht so einfach werden wird. Eine ganze Weile standen die beiden so da, Arm in Arm in einer mondbeschienenen Nacht, ganz allein auf einer Straße die zu einem Turm führte, der inmitten von nirgendwo stand.

„Würde diese Nacht doch niemals enden…“, murmelt Melody.

„Sie wird nicht enden, den es endet nichts“, sagte Justin leise, dann hob er Melody hoch, wie man es mit einem kleinem Kind tat, das man ins Bett bringen möchte, und trug sie hinüber zu dem kleinen Wäldchen, das in der Nähe wuchs. Er legte sie in ein Bett aus weichem Moos, legte sich zu ihr und während um ihnen herum die Geräusche der Nacht an ihr Ohr drangen, ließen sie die Stunden verstreichen, indem sie einfach nur ineinander verschlungen dalagen und lauschten. Irgendwann war die Nacht jedoch vorbei und der Osten begann sich rot zu färben, während sie beide dem frühen Zwitschern der Vögel lauschten. Erst am späten Morgen machten sie sich auf den Rückweg. Als sie in den Hof kamen, begrüßte Falko sie mit einem breiten Grinsen.

„Na, auch eine solch schöne Nacht gehabt, wie unsere beiden Turtel-Chito?“, fragte er feixend.

„Eine schöne Nacht ja, aber auf andere weise, als Timo und Shadow“, erklärte Justin mit einem leichten Lächeln auf den Lippen.

„Wenn du meinst…“, sagte Falko, grinste aber noch ein klein wenig breiter.

Melody und Justin lächelten sich kopfschüttelnd an, dann gingen sie hinüber zum Stall, wo sie einen grinsenden Moritz trafen.

„Machst du dich auch über Timo und Shadow lustig?“, wollte Justin wissen.

„Nein, im Gegenteil. Ich finde das irgendwie ganz niedlich, wie ich die beiden heute Morgen hier vorgefunden habe“, erklärte seine Vater, bückte sich nach etwas und grinste noch breiter.

„Timo? Ich glaube, ich hab deine zweite Socke gefunden!“, rief er grinsend durch den Stall, woraufhin der schwarzhaarige Junge seinen Kopf aus einer der Boxen steckte und ihn mit Blicken aufzuspießen versuchte, wobei er jedoch sein rotes Gesicht mehr und mehr an eine Tomate erinnerte.

Er knurrte unwillig etwas, woraufhin Moritz ihm die Socke zuwarf, die er geschickt auffing und wieder in der Box verschwand.

„Gott, macht das spaß, ihn damit aufzuziehen“, griente Moritz und sah dabei aus, wie ein Schuljunge, dem ein besonders guter Streich gelungen war, was wiederum Justin zum Lachen brachte.

„Ihr seid gemein“, erklärte er grinsend, „stell dir mal vor, ich hätte mich ständig darüber lustig gemacht, wie du und Mam immer eure Sachen zusammensuchen musstet, wenn du mal eine Nacht zuhause warst!“

„Meinst du allen ernstes, das hätte mich in irgendeiner Weise gestört?“, fragte Moritz mit verblüffter Miene.

„Ja, hätte es dich“, erwiderte Justin schlicht und trat in die Box neben der von Moritz und begann damit, das schwarze Fell Thunders zu striegeln.

„Wo waren du und Melody eigentlich die ganze Nacht über?“, erkundigte sich sein Vater nach einer Weile.

„Ich wüsste nicht, was dich das angeht“, antwortete Justin, ohne in seiner Arbeit inne zu halten.

„Eine Menge würde ich sagen, ich möchte nämlich schon ganz gerne wissen, wie wahrscheinlich es ist, das sie meine…“, er grinste von einem Ohr zum anderen, „Schwiegertochter wird.“

„Unwahrscheinlich“, antwortete sein Sohn schlicht.

„Gefällt sie dir nicht? Sie ist doch ein hübsches Mädchen und charmant und intelligent obendrein, was willst du mehr?“, fragte Moritz verwundert.

„Gefallen schon, in einfach jeder Beziehung, aber mal ganz davon ab, das sie etwas besseres verdient hat, als mich, weiß ich gar nicht, ob ich sie wieder sehen werde, wenn dieses Abenteuer ein Ende hat“, antwortete Justin.

„Dann hoff ich mal, dass du sie wieder sieht, nicht, dass du am Ende nur so eine zickige Vettel abbekommst“, antwortete Moritz, grinste dabei jedoch nicht. Er sagte das in einem eher besorgten Tonfall, richtig nach Elternart, wie Justin fand. Der Rotschopf gab einen lachenden Laut von sich: „So dumm, mir eine wie Helen anzulachen, bin ich weiß Gott nicht.“

„Wollen wir es hoffen“, erwiderte Moritz, was Justin zu einem bald schon entsetzen Blick in seine Richtung veranlasste.

„Also Mam hätte mir gerade aufs härteste widersprochen“, meinte er.

„Wieso?“, erkundigte sich Moritz.

„Weil ich gerade Helen ziemlich beleidigt habe“, erklärte der Rotschopf.

„Das mag schon so sein, aber, wenn ich ehrlich bin, ich kann deine Schwester nicht sonderlich ausstehen. Weswegen ich dir auch uneingeschränkt recht gebe“, antwortete Moritz mit einem Lächeln.

„Du bist schon ein merkwürdiger Mensch…“, fand Justin.

„Ich weiß, ich weiß“, antwortete sein Vater Augenzwinkernd.

Bei den Minotauren

Das ist das Labyrinth der Minotauren?!“, keuchte Timo und schaute von einem Hügel aus hinab in ein Tal, das nur aus Felsen, Hecken, reißenden Flüssen und Mauern zu bestehen schien.

Chakyu nickte.

„In seiner Mitte, da hinten am Horizont, da ist ihre Burg, der Ort, an dem sie leben. Zumindest die höher gestellten, die Rangniedrigen nennen das Labyrinth ihr Heim. Sie kennen sich von klein auf praktisch perfekt in den Gängen aus, es ist schwer einen Teil des Labyrinthes zu finden, das sie nicht mit jeder noch so kleinen Erhöhung kennen. Der Minotauer, der sich am Besten in den Gängen auskennt, das ist der Chef. Wenn sich zwei in etwas gleichgut auskennen, dann wird derjenige Chef, der schneller ist, und wenn sie auch gleich schnell sind, dann erst kommt ihre Stärke zum Einsatz. Bei solchen Kämpfen gibt es aber nur sehr selten Tote, in der Regel dann, wenn einer der Kontrahenten zu stolz ist, um aufzugeben“, erklärte der Elb.

„Woher weist du das denn alle?“, wollte Justin verblüfft wissen.

„Nun, da sich Lady Melody in eurer Begleitung befindet nehme ich an, das ihr Jack kennt. Ich bin für denn Herrscher diesen Reiches in etwa das, was Jack in seinem Reich ist: Diener, Stallmeister, Koch, Berater… ein Mädchen für alles, könnte man sagen. Die Herrscher diesen Reiches muss sich natürlich mit seinem Volk arrangieren und das sind in diesem Fall zum Grossteil die Minotauren. Ich habe den alten Merlin immer begleitet, wenn er die Minotauren besuchte und war auch immer dabei, wenn der jeweilige Minotaurenchef im Turm zu besuch kam. Dabei lernt man so das eine oder andere über dieses höchst interessante Volk“, erklärte Chakyu achselzuckend.

„Und wie sollen wir da durchkommen?“, wollte Blizzard wissen.

„Wie wäre es, wenn wir einfach drüber hinweg fliegen?“, wollte Shadow wissen.

„Das wird nicht gehen. Das Labyrinth ist der Schutz der Minotauren. Sie haben einen von Merlins Vorgängern darum gebeten, das er den Himmel über ihrem Labyrinth mit einer Barriere versieht, die jede Gefahr abhält, damit sie keinen Lustangriff befürchten müssen. Ihr seht, es führt kein Weg drum herum, wir müssen durch das Labyrinth hindurch“, antwortete der Elb.

„Nur ohne Führer verirren wir uns garantiert und das würde heißen, dass wir auf dort drinnen verhungern, vielleicht auch verdursten, wenn wir an keinem der Flüsse vorbei kommen“, murrte Moritz.

„Genau“, nickte der Elb.

„Nun, vielleicht gehen wir erst einmal runter zum Eingang, vielleicht fällt uns ja da etwas ein“, schlug Justin vor.

Chakyu nickte und führte sie über verschlungene Pfade zu einem großen Tor, das in den Felsen hineingebaut war. Hier stand einer der Minotauren und beäugte sie misstrauisch, während sich der Trupp in einiger Entfernung nieder ließ.

„Warum fragen wir nicht einfach, ob er uns hindurchführt?“, wollte Justin wissen.

„Weil sie nur Wesen vertrauen, die ihre ureigene Sprache sprechen und auch verstehen“, antwortete Chakyu, „jemand anderen werden sie einfach nicht durchführen, aus Vertrauensmangel.“

Justin nickte nachdenklich.

„Warum haben die Merlin eigentlich entführt?“, wollte Falko nun wissen.

„Ich weiß es nicht. Sie haben es mir nicht gesagt und sie fordern auch nichts. Wahrscheinlich wollen sie sich einfach nicht dem Todesgott widersetzten“, meinte der Elb Schulter zuckend.

„Kann ich verstehen“, kommentiere Melody, was ihr verwunderte Blicke einbrachte.

„Wer will es sich denn bitteschön mit einem Gott verscherzen?“, verteidigte sie sich.

„Wenn man es so sieht hast du vollkommen recht“, stimmte Moritz zu.

In dem Moment stand Justin auf und ging hinüber zu dem Minotauer.

„Sei gegrüßt“, sagte er.

Der Minotauer legte den Kopf schief, was bei seiner Größe überaus merkwürdig aussah.

„Es tut mir leid, ich würde gerne in deiner Sprache mit dir kommunizieren, aber ich kann sie leider nicht sprechen. Lediglich verstehen tu ich sie ohne große Probleme“, erklärte Justin.

Der Minotauer grunzte etwas, dann sprach er mit tiefer Stimme: »Und wer bist du, der du unsere Sprache verstehen kannst, aber nicht sprechen?«

„Ich bin Justin. Viele hier bezeichnen mich als den Weltenretter, obwohl ich es nicht bin, so würde es vorziehen, wenn sie mich als kleinen, nervtötenden Bengel bezeichnen“, erklärte Justin grinsend.

»Ihr seid also der Legendäre Weltenretter? Was wollt ihr hier, was wollt ihr von dem Volk der Minotauren?«, wollte der einzelne Minotauer wissen.

„Nun, mir wurde eine Aufgabe gestellt. Ich soll Merlin wieder zurückbringen, zu ihrem Turm, nur das ist nicht möglich, wenn wir nicht durch das Labyrinth kommen, aber wir würden uns alle restlos verlaufen, in der Vielzahl der Gänge. Würdet ihr uns bitte hindurchgeleiten, und sei es nur einer von uns?“, bat der Rotschopf.

Der Minotauer überlegte, man sah ihm deutlich an, wie es hinter seiner Stirn arbeitete.

»Tut mir leid, aber ich kann nicht einfach sagen, dass dies in Ordnung geht oder nicht, das muss Minos entscheiden«, erklärte das Wesen.

„Das respektiere ich. Wir werden warten, bis ihr eine Entscheidung habt“, antwortete Justin, nickte zum Abschied einmal den Kopf und ging dann langsam und ohne hast du seinen Freunden zurück.

„Was habt ihr besprochen?“, wollte Chakyu sogleich wissen.

„Ich habe ihn gebeten, uns durch das Labyrinth zu führen und er hat geantwortet, dass er das bei Gelegenheit mit Minos absprechen wird“, fasste Justin kurz zusammen.

„Das heißt, das wir jetzt nur warten können, ja?“, erkundigte sich Shadow.

„Genau das heißt es“, antwortete Justin und legte sich ins weiche Gras, seinen Umhang zog er so hin, dass er seine Augen bedeckte.

„Was hast du denn jetzt vor?“, wollte Moritz verwundert wissen.

„Schlafen. Ich bin müde, ich habe vergangene Nacht kein Auge zugetan“, antwortete der Rotschopf gähnend.

„Warum denn nur“, stichelte Falko, doch Justin ignorierte ihn, war binnen weniger Augenblicke schon am dösen. Es war später Nachmittag, als ihn das leichte Beben der Erde weckte. Verschlafen schaute er auf und sah, wie zwei Minotauren auf sie zukamen. Langsam und ohne sonderliche hast an den Tag zu legen, stand er auf und wartete auf die Beiden, die sich nur langsam näherten. Auch seine Begleiter waren aufgestanden und schauten den Minotauren entgegen.

»Seid gegrüßt«, sprach der größere der Minotauren, wiederholte noch einmal in der Sprache der Unsterblichen.

„Auch ihr sollt gegrüßt sein“, antwortete Justin förmlich.

»Ihr seid jener, der einen der Meinigen darum bat, euch und eure Gefährten durch das Labyrinth zu geleiten?« , erkundigte sich der Große.

„Ganz recht, der bin ich. Gehe ich dann recht in der Annahme, das ihr Minos seid?“, erkundigte sich Justin.

»Ganz recht, eben der bin ich. Warum wollt ihr zu dem Schloss, das mein Volk bewohnt?«, erkundigte sich Minos.

„Ganz einfach, wir haben vom Todesgott selbst den Auftrag erhalten, das wir die junge Merlin befreien sollen“, erklärte Justin.

»Ach so… und ihr meint damit ihr alle ein Gemetzel unter den Meinigen veranstalten könnt, führe ich euch durch das Labyrinth?«, lauerte Minos.

„Nein. Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte sogar eher gehofft, dass wir uns friedlich einigen werden. Wir tun etwas für euch und dafür gebt ihr uns Merlin zurück. Mir ist nicht an einem Blutbad gelegen, sonst wäre ich auch nicht besser als jene, die ich vom ganzen Herzen verabscheue. Versteht ihr, wie ich das meine?“

»Natürlich, ich bin ja kein Tier«, knurrte der Minotauer.

„Das hab ich auch nie behauptet, aber so manch einer meines Volkes würde mich nicht verstehen. Da ich jedoch nicht mit euren Sitten vertraut bin, ist mir sehr daran gelegen, euch nicht versehentlich zu beleidigen, weswegen ich lieber nachfrage, bevor wir eines Missverständnisses wegen im Streit auseinander gehen“, erklärte Justin.

Minos dachte nach: »Eine wahrlich kluge Einstellung, obwohl ihr dabei Gefahr lauft, das ich den Eindruck erhalte, das ihr mich als weniger Intelligent anseht, nur weil ich eine Chimäre bin.«

„Selbst das dümmste Tier ist auf seine Weise Intelligent und ich muss sagen, dass eine Maus meist mehr Verstand hat, als ein ganzes Heer von Menschen“, antwortete Justin.

»Wie schön einen Mensch zu finden, der das genauso sieht«, nickte Minos, »doch nun zurück zu eurer Bitte. Nun, ich würde euch gerne weiterhelfen, doch das, was das Einzige ist, was ich begehre, das könntet ihr mir nicht geben.«

„Lasst es auf einen Versuch ankommen“, antwortete Justin schlicht.

»Nein, nein, es ist ein Ding der Unmöglichkeit, ihn zu finden, vergisst es. Oder, nun, ich kenne auch eure Gebote nicht und ich will euch nicht beleidigen, wen ich euch zurückweise«, der Minotauer sah unentschlossen aus.

„Mich vor den Kopf zu stoßen, da braucht es schon ein wenig mehr, als meine Hilfe zurück zu weisen“, erklärte Justin.

»Das mag sein, aber… nun gut, was ein Minotauer nicht kann, das kann vielleicht ein Mensch oder ein Elb. Oder ein Anhänger des Volkes der Manticareiter oder was auch immer ihr sein mögt. In den Hallen meines Volkes leben seit Jahren ein paar Chito. Vor langer, langer Zeit hatten sie ein Kind, einen Sohn, doch niemand weiß, was aus ihm wurde. Wollt ihr das für mich herausfinden? Ich kann sie beide nicht mehr traurig sehen«, erklärte Minos.

„Nennt mir den Namen desjenigen, den ihr sucht, und ich werde alles in meiner Macht stehende tun, ihn zu finden“, antwortete der Rotschopf.

»Es ist der Prinz der Chito, sein Name ist Dragonwing«, erklärte Minos.

Justin schaute ihn verdattert an, dann lachte er laut los.

»Lacht ihr, weil ihr versteht, was für ein schwieriges unterfangen ist?«, wollte Minos verwirrt wissen.

„Nein, im Gegenteil. Ich lache, weil ich etwas Schwieriges erwartet habe, dies aber alles ist, aber nicht schwer. Der Prinz der Chito, der wird heutzutage von allen Timo genannt und hat in der Menschenwelt gelebt. Dort war er schon immer einer meiner besten Freunde. Er begleitete mich hierher und… ach, machen wir es uns leichter“, fand Justin, drehte sich um und rief zu seinen Begleitern zurück: „Timo, komm her, dein Typ ist gefragt!“

Der Schwarzhaarige kam zögernd näher heran, neben Justin blieb er unsicher stehen.

„Das hier ist Dragonwing, der Prinz der Chito“, stellte der Rotschopf lächelnd vor.

Minos nickte: »Nun, es war gut, euch zu bitten. Kommt mit, ich werde euch alle zu Merlin bringen.«

Justin nickte und deutete den anderen, dass sie mitkommen sollten. Der Minotauer lief langsam durch das Labyrinth, sodass sie keinerlei Probleme hatten, mit ihm mitzuhalten, im Gegenteil, doch diese Langsamkeit, diese Gemütlichkeit machte ihnen auch klarer, als alles andere, wie sehr sie den Minotauren ausgeliefert waren, denn schon nach wenigen Augenblicken hatten sie die Orientierung restlos verloren. Wenn die Minotauren jetzt auf die Idee kommen würden, die Gruppe allein zulassen oder gar anzugreifen, hätten sie keinerlei Chancen gehabt, jemals wieder dieses Reich der tausend Wege lebend zu verlassen. Obwohl keinerlei Anzeichen dafür bestand, das die beiden Minotauren vor ihnen so etwas in der Richtung vorhatten, zerrte die Anspannung an den Nerven der Gruppe und auch nachdem sie das Labyrinth vollständig durchquert hatten, waren sie nervös, unsicher und sie wussten alle, das dieses Gefühl wohl erst dann weichen würde, wenn sie wieder außerhalb des Labyrintheswaren. Doch nun standen sie in der Mitte vor einer Burg. Zwei weitere Minotauren bewachten den Eingang, kreuzten ihre Hellebarden, die sie als Waffen bei sich trugen solange, bis Minos selbst eine Handbewegung machte, woraufhin sie die Waffen auseinander zogen. Minos knurrte etwas Unverständliches und die beiden Minotauren traten zeitgleich einen Schritt zurück und senkten die Köpfe. Minos nickte in Richtung Tür.

»Ihr werdet Merlin suchen müssen, sie hat sich irgendwohin verkrochen. Ich weiß nicht, wo sie steckt. Wenn ihr sie habt, dann erwarte ich euch in der großen Halle, fragt einfach, wo sie sich befindet. Einer meiner Leute wird euch hinführen«, ohne ein weiteres Wort wandte Minos sich wieder ab und ging wieder zurück ins Labyrinth. Die anderen traten mit einem unsicheren Blick auf die verbliebenen drei Minotauren in die Burg ein.

„Was hat der Minotauer zuletzt noch gesagt?“, erkundigte sich Moritz während er sich umschaute.

„Das wir die gute Merlin selbst finden müssen. Er weiß nicht, wo sie sich im Augenblick aufhält. Und danach sollen wir in die große Halle, wenn wir fragen, dann werden die anderen Minotauren uns weiterhelfen und uns den Weg zeigen“, erklärte Justin während er ein paar Schritte machte und sich dann hinhockte.

„Was suchst du?“, fragte Blizzard.

„Eine Maus oder etwas ähnliches, um sie zu fragen. Vielleicht können uns die kleineren Tiere helfen, aber wie sieht Merlin eigentlich aus?“, der Rotschopf schaute fragend zu Chakyu.

„Nun, sie ist älter, als die Magier normalerweise sind, wenn sie die Ausbildung beginnen. Sie hatte kurzes Haar und ganz auffällige Augen…“, der Elb dachte nach, was ihnen noch weiterhelfen könnte.

„Sie hat keine Katzenohren oder Flügel oder so?“, wollte Justin wissen.

„Nein, hat sie nicht“, antwortete Chakyu.

„Gut, dann ist sie leicht zu erkennen, machen wir uns auf die Suche, immer zwei würde ich sagen, dann schaffen wir das sicherlich am besten“, fand der Rotschopf.

„Gute Idee, Shadow, du nimmst Blizzard, Chakyu, du gehst mit Melody, Timo, du krallst dir am besten Falko und Justin, du kommst mit mir“, beschloss Moritz kurzerhand.

„Ach, und warum können wir uns das nicht selber aussuchen?“, wollte Shadow wissen.

„Weil ich es ganz bewusst vermeiden will, dass zwei die Suche starten, die sich zu gut verstehen, weil dann Merlin nur zu schnell vergessen ist“, schnappte Moritz.

„Ach, und deswegen schnappst du dir auch Justin, was?“, stichelte Timo.

„Das hat andere Gründe, ich habe noch etwas mit ihm zu besprechen“, zickte Moritz zurück und schob den überrumpelten Justin einfach in einen Gang hinein.

Eine Weile herrschte Schweigen zwischen den beiden.

„Und was wolltest du nun mit mir besprechen?“, fragte Justin dann.

„Nichts, ich hatte nur keine Lust auf eine Diskussion mit Timo“, antwortete Moritz.

Justin schaute seinen Vater von der Seite her an.

„Was ist eigentlich zwischen dir und Ember?“, fragte er dann, machte sich innerlich auf das Schlimmste gefasst, denn ihm war in keinster Weise entgangen, das zwischen Ember und seinem Vater mehr gewesen sein musste, als eine bloße Freundschaft. Zahlreiche Blicke, kleine Worte und Gesten haben es ihm in den wenigen Stunden sehr deutlich gezeigt. Moritz schüttelte den Kopf.

„Nein, nichts, was dich kümmern müsste“, antwortete er, sah Justin dabei jedoch nicht an.

Betreten schaute der Junge zu Boden. Er wollte etwas sagen, doch ihm viel nichts ein, zumal er seinen Vater auch nicht direkt seine Vermutung ins Gesicht sagen mochte. Das würde sowieso nur zu weiteren Lügen führen, da war er sich sicher.

„Justin?“, nun schaute Moritz seinen Sohn doch ins Gesicht.

„Ja?“

„In der Menschenwelt wirst du ihn umbringen.“

Justin schaute sich um. Er war nicht mehr in dem Gang in der Minotaurenburg, er stand in einer Art Thronsaal. Vor ihm, auf einem hochlehnigen Thron, saß der Todesgott und schaute verächtlich auf ihn hinab.

„Hast du mich verstanden?“, knurrte er.

„Ähhh…“, Justin war sprachlos. Wen sollte er umbringen?

„Ja, Meister“, knurrte jemand hinter ihm.

Justin drehte sich um und sah sich ein weiteres mal seinem Ebenbild gegenüber. Er war sehr blass um die Nase und schien sich immer noch nicht vollständig von seinem Erlebnis im Schnee erholt zu haben. Vielleicht hatte man ihm auch lediglich soviel Zeit gelassen, bis er halbwegs laufen konnte, bis man ihn wieder vollständig für das Nutze, was er tun sollte, was auch immer es war. Er trug die grüne Kleidung der Elben, was ihn auf merkwürdige Art und Weise anders aussehen ließ, als in der schwarzen Rüstung, die er sonst immer trug. Ungefährlicher, menschlicher. Sein rotes Haar viel in einem geflochtenem Zopf bis hinab zu seinen Hüften, die blauen Augen, die kalt waren, eisig wie der Nordwind, blickten den Todesgott mit ebenso großer Verachtung an, wie dieser ihn, doch schwang in seinem Blick der pure Hass mit. Wenn er könnte, würde er den Gott auf der Stelle töten, seiner körperlichen Schwäche zum Trotz.

„Das hoffe ich für dich, ansonsten würde ich mich schon mal an den Geschmack von toten Kaninchen und Ratten gewöhnen, denn als Falke wirst du nichts anderes zu fressen bekommen. Das heißt, falls ich dich überhaupt am Leben lasse“, erklärte der Gott herablassend.

„Als wenn es ein Unterschied ist, ob er mich tötet oder ob ich tu, was er sagt“, brummte der rothaarige Fremde in sich hinein.

„Was sagtest du?“, lauerte der Todesgott.

„Nichts, nichts. Ihr müsst euch verhört haben, Mylord“, knurrte der Ritter wie ein Hund, kurz bevor er zubiss.

„Dann geh. Eine Weile wird er mit den Missgeburten zu tun haben, ich werde dir bescheid geben, wann du dich in die Menschenwelt zu begeben hast“, erklärte der Todesgott verächtlich.

„Ja, Mylord“, antwortete der Ritter in einem Tonfall, der seine Antwort zu einer Beleidigung werden ließ, drehte sich um und ging.

Justin zögerte nur einen kurzen Augenblick, dann lief er dem Kerl hinterher. Der lief mit ausgreifenden Schritten durch die Gänge. Er war wütend und machte seiner Wut so nun ein wenig Luft, doch es war klar, dass das erste Wesen, was ihm über den Weg lief, seinen vollen Zorn spüren wird, und der war nicht klein.

„Jerry“, die Stimme eines jungen Mädchens hintern ihnen. Der Kerl blieb sofort stehen und drehte sich um. Ein Mädchen, das nur wenig jünger als Justin war, stand da und schaute ihn an. Sie war hübsch, hatte sehr langes, kastanienbraunes Haar und nachtschwarze Augen, ihr Körperbau war zierlich, aber sie wirkte auch kräftig. Anders als bei den meisten Frauen, die in dieser Welt lebten, hatte sie noch über die maßen kindliche Gesichtszüge, weswegen sie wahrscheinlich häufiger von älteren Frauen bemuttert wurde.

„Feli“, sagte der rothaarige Mann zärtlich. Seine Wut schien wie weggeblasen.

„Hat er dich wieder getriezt?“, fragte sie und trat auf den Gang hinaus, die Tür ließ sie offen.

„Was erwartest du? Ich hasse ihn, er hasst mich. Er sieht in mir doch nur einen kleinen Wurm, solange er mich braucht lässt er mich halbwegs in Ruhe, aber wenn ich meinen neusten Auftrag erfüllt habe, dann war es das“, brummte der Ritter. Jerry. Er trat näher an das Mädchen heran, schob sie an die Wand.

„Was meinst du damit, dann war es das?“, fragte Feli unsicher.

„Dann bin ich Tod. Es ist egal, ob ich seinen Auftrag erfülle oder nicht, mein Tod ist es sowieso“, antwortete er und hob mit einer Hand das Kinn des Mädchens.

„Warum verschwindest du dann nicht einfach?“, fragte sie.

„Weil es nichts bringt. Sein Tod ist mein Tod. Und er wird ihn umbringen, er hat keine Chance gegen ihn. Vor allem nicht, wenn er nicht Drachenwind nutzt. Aber egal“, antwortete er und strich sanft an der Seite des Mädchens entlang, auf ihrer Hüfte ließ er seine Hand ruhen. Die Beiden küssten sich zärtlich.

„Wie lange bleibst du hier?“, hauchte sie.

„Ich weiß es nicht genau. Eine Weile noch, denke ich. Es kommt immer drauf an, wie lange er bei den Chimären braucht“, antwortete Jerry.

Das Mädchen umarmte ihn, und Justin wandte sich ab. Auch wenn ihn niemand zu sehen schien, wollte er doch nicht andere beobachten, wenn sie es nicht wollten, und er bezweifelte stark, dass einer von den beiden jetzt beobachtet werden wollte. Er machte zwei Schritte, um sich zu entfernen, blieb dann noch einmal stehen und schaute verblüfft zu den beiden zurück. Sein Handrücken tat weh, als wäre er mit ihr über eine Wand geschabt, doch er stand mehrere Meter weit weg von jeder Wand, doch als er die Hand von Jerry sah, sah er deutlich eine kleine Schürfwunde, die am Stein entlang rieb, während er dem Mädchen liebkosend über den Rücken strich. Die Wunde lag genau an der Stelle, die Justin wehtat.

„Er wird wach“, stellte eine Stimme fest.

Justin blinzelte in helles Sonnenlicht. Er lag an Boden, warum wusste er nicht. Gerade eben hatte er noch in diesem Gang gestanden und ohnmächtig war er nicht geworden, er hätte es sicher gemerkt, wenn es so gewesen wäre. Langsam versuchte er, sich aufzusetzen, doch ihm wurde schwindlig und so blieb er liegen.

„Wie geht es dir?“, fragte Moritz, der neben ihn kniete.

„Ich weiß nicht, sollte es mir denn schlecht gehen?“, wollte Justin wissen.

„Eigentlich schon, ja. Du bist einfach umgekippt“, erklärte Melody die neben ihm saß. Erst jetzt merkte Justin, das er nicht auf nacktem Boden lag, sondern auf einem Bett aus Heu und das es durchdringend nach einer Mischung aus Kuhstall und Heuboden roch.

„Ich bin umgekippt? Wirklich?“, fragte er verwundert und schaute sich um, soweit es ging.

„Ja. Einfach so, ohne das es einen sichtbaren Grund gab“, erklärte Moritz besorgt.

Justin versucht ein weiteres Mal, sich aufzusetzen und diesmal gelang es ihm auch. Er sah, dass alle um ihn herum standen, die ganze Gruppe und ein Mädchen, dass er nicht kannte. Sie war kaum älter als Justin, vielleicht achtzehn oder neunzehn, älter war sie auf keinen fall. Ihr Haar war schokoladenbraun und ihre Augen schimmerten in verschiedenen Farben, was es unmöglich machte, ihre Augenfarbe zu definieren.

„Was ist geschehen, das du einfach so umgekippt bist?“, fragte Melody besorgt, doch Justin ignorierte sie im ersten Augenblick einfach.

„Du bist Merlin, oder?“, fragte er.

Das Mädchen nickte stumm. Diese Bewegung erinnerte ihn an das Mädchen aus seiner Vision, denn nichts anderes konnte das, was eben passiert war, gewesen sein. Auch Merlins Gesichtszüge und ihr zierlicher Körperbau ließ ihn an sie denken.

„Sag mal“, begann er, „kennst du ein Mädchen, das Feli heißt?“

Merlin dachte einen Augenblick lang nach, dann nickte sie: „Ja. Meine kleine Schwester wurde von manchen Leuten Feli genannt. Richtig heißen tut sie aber Felicitas.“

„Wurde genannt?“, hakte Justin nach.

„Ja. Vor einiger Zeit hat ein Heer das Dorf angegriffen, in dem ich mit meiner Familie und auch mit Felicitas gelebt habe und einer der Männer, einer der Krieger, hat sie verschleppt. Später fand ich dann heraus, dass das Heer eine abgesprengte Gruppe des Dämonenheers war und der Führer des Heeres ist dafür bekannt, das er weder Gefangene nimmt, noch Gnade zeigt. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass sie noch lebt“, erklärte Merlin.

„Tut sie aber. Sie lebt, mehr noch, sie scheint sich mit dem Führer diesen Dämonenheers sogar über die Maßen gut zu verstehen“, antwortete Justin, während er langsam aufstand.

„Was? Woher weist du das? Niemand, der diesem Heer jemals begegnete, hatte diese Begegnung auch überlebt!“, rief Merlin und ihre Stimme schwankte dabei zwischen Entsetzen und Unglauben.

„Ich war auch nicht wirklich da. Ich verstehe noch immer nicht, wie das zustande kommt, aber manchmal hab ich Visionen, während ich wach bin und die ganz plötzlich kommen. Gerade eben war es wieder einmal so weit“, erklärte Justin.

„Was genau hast du gesehen?“, erkundigte sich Moritz.

Justin schüttelte den Kopf.

„Nein, nein. Das möchte ich euch nicht erzählen, es ist…“, er suchte nach Worten, „nun ja, ich habe eben das Gefühl, das es euch nichts angeht, aber Moritz…“

Justin schaute seinen Vater ins Gesicht, der seinerseits fragend zurückblickte.

„Wer ist Jerry?“

Wie Justin erwartet hatte, schaute Moritz zu Boden und antwortete: „Das weiß ich nicht.“

Das reichte, jetzt platze dem Rotschopf der Kragen. Er blitzte Moritz wütend, fast schon hasserfüllt an und zischte: „Natürlich weist du das! Wenn nicht du, wer denn dann?!“

Moritz schüttelte den Kopf: „Nein, ich weiß es wirklich nicht! Ich weiß, wer er einst war, ich weiß aber nicht, was er jetzt ist. Das ist ein Unterschied, Justin.“

Damit schien die Unterhaltung für ihn beendet zu sein, denn er wandte sich um und ging zur Tür, sprach dort leise mit einem Minotauer, der dort gestanden und alles stumm beobachtet hatte.

Justin schnaubte noch einmal wütend und als Timo etwas fragen wollte, machte er eine abwehrende Handbewegung. Er schüttelte einmal heftig den Kopf, wie, als wolle er seinen ganzen Ärger und alles schlechte Gedanken aus selbigem verscheuchen, trat an eines der kleinen Fenster und schaute eine Weile einfach nur hinaus. Erst nachdem er sich beruhigt hatte, wandte er sich wieder um und mit fast schon gleichgültig starrer Miene ging er ebenfalls zu dem Minotauer und ohne Moritz auch nur entfernt zu beachten fragte er: „Bringt ihr uns bitte zur großen Halle? Minos wollte, das wir ihn dort treffen.“

»Natürlich. Ich habe nur darauf gewartet, das es dir wieder gut geht«, brummte der Minotauer und Justin stellte fest, das die hier ein weiblicher Minotauer war, denn ihre Stimme war nicht ganz so tief und auf gewisse weise sanfter, mütterlicher. Sie schien aber noch nicht allzu alt zu sein, denn sie war ein ganzes Stück kleiner als Minos.

Sie deutete mit einer Kopfbewegung ihnen allen, das sie mitkommen sollten und führte sie dann durch die Gänge. Schon nach wenigen Augenblicken hatten sie eine große, zweiflüglige Tür erreicht, vor der wieder wie Minotauren postiert waren, beide größer als die Dame, die sie hergeführt hatte, aber nicht viel. Auch sie trugen Hellebarden, die sie jedoch sofort zur Seite nahmen und sie durchließen. Sie traten in die riesige Halle. Der Boden war bedeckt mit Stroh, ansonsten gab es keine Möbel oder ähnliches und an den wenigen Stellen, die nicht bedeckt waren, sah man, dass der Boden nicht aus Stein, sondern aus fest getretenem Lehm bestand. Da die Fenster nach Westen auswahren, es jedoch um die Mittagszeit war, drang nur wenige Licht durch die kleinen Fenster und so herrschte ein abendliches Dämmerlicht.

»Wartet bitte hier, ich werde Minos bescheid geben, das ihr auf ihn wartet«, erklärte die Minotaurendame.

„Ja, tu das bitte. Und vielen dank, das ihr uns herbrachtet“, dankte Justin höflich.

Sie nickte lediglich und verschwand, einer der beiden Minotauren vor der Halle schloss die Tür.

„Worauf warten wir jetzt eigentlich?“, wollte Moritz wissen.

„Auf Minos“, antwortete Justin.

„Ach wirklich?“, knurrte sein Vater sarkastisch, „hätte ich jetzt nicht gedacht.“

„Warum sollte ich eigentlich vorhin zu euch kommen, als du mit Minos gesprochen hast und warum hast du mich als Dragonwing vorgestellt?“, erkundigte sich plötzlich Timo.

„Das hatte seine Gründe“, erklärte Justin und schaute dabei zu Moritz hinüber.

„Ach so und weil ich dir deine Frage nicht beantworte hast du beschlossen, unsere auch nicht mehr zu beantworte, oder was?“, fragte der. „Das ist kindisch, Justin.“

„Nur weil du es wohl so machen würdest, heißt das nicht automatisch, dass ich genauso handeln würde. Ich würde es euch auch dann nicht sagen, wenn du mir sämtliche deiner intimsten Geheimnisse auf einmal erzählst. Nein, es soll eine Überraschung sein und ich will sie nicht verderben indem ich vorher schon sage, worin sie besteht und wenn ich mich nicht vollkommen irre, wird es dich sehr freuen, Timo“, meinte Justin und lächelte dabei geheimnisvoll. Timo sah verwirrt aus, er verstand nicht, wovon Justin sprach, aber es hätte wohl auch niemand verstanden, und so lächelte der Rotschopf weiter vor sich hin und freute sich im Voraus. In dem Moment öffnete sich die Tür und Minos trat ein, die junge Minotaurendame folgte ihm.

„Hallo“, meinte Justin, als er die beiden sah.

Minos nickte.

»Meine Tochter, Mielie«, erwiderte Minos und nickte zu der Minotaurendame hinüber.

„Habe ich mir fast gedacht“, nickte Justin.

»Seid ihr bereit?«, fragte Minos.

„Wozu?“, der Rotschopf legte den Kopf schief.

»Na ja, ich denke, das sich der Prinz vielleicht vorbereiten wollte, seine Eltern zu sehen«, meinte der Minotauer.

„Der weiß davon gar nichts, du, deine Tochter und ich sind die einzigen, die davon wissen. Und ich habe nicht vor, die ganze Überraschung zu verderben, nur weil er sich „vorbereiten“ sollte“, Justin schüttelte den Kopf, „nein, aber hierher oder mit dir mit?“

»Kommt mit«, antwortete Minos.

Justin drehte sich um und schaute in lauter neugierige Gesichter, denn sie hatten alle nur den Teil mitgehört, den Justin gesprochen hatte, Minos’ Antworten haben sie nicht verstehen können.

„Kommt mit, Minos bringt uns hin“, erklärte er.

„Wohin denn genau?“, erkundigte sich Shadow.

„Weiß ich nicht, ich weiß nur, was uns dort erwarten wird“, antwortete Justin, was ihn noch mehr verwirrte Blicke einbrachte. Der Rotschopf lachte leise, dann folgte er dem Minotauer, der sie durch mehrere Gänge führte.

„Hast du ihnen schon bescheid gegeben?“, erkundigte sich Justin.

»Natürlich nicht. Wie du schon sagtest, es soll eine Überraschung sein«, brummte Mielie.

„Ach so, ist klar“, fand Justin grinsend, dann waren sie auch schon angekommen, standen vor einer Tür, weniger groß, als die der großen Halle, aber sie war dennoch sehr groß. Minos stieß die Tür auf, ohne anzuklopfen und deutete ihnen einzutreten. Justin deutete Timo mit einer Kopfbewegung, voran zu gehen, was dieser auch mit einem fragenden Blick tat. Er schaute sich fragend in der Halle um, konnte er doch im ersten Augenblick nichts erkennen, was einer Überraschung ähnelte, dann sah er jedoch die beiden Chito, die leicht missgelaunt in Richtung Tür blickten. Einer der beiden hatte rotblondes Haar, weiße Katzenohren, blaue Augen und ein paar Sommersprossen im Gesicht, es war eine Frau mit recht zierlichem Körperbau. Der andere war ein Mann mit schwarzem Haar, das jedoch ins bräunliche ging und kastanienfarbenen Augen. Er wirkte irgendwie düster, vor allem, weil es in seinen Augen gefährlich blitzte.

„Minos, was soll das, ich habe dich doch darum gebeten, das ihr anklopfen sollt, wenn ihr herein wollt!“, ereiferte sich die Frau und stand auf, ihr Blick war dabei auf den Minotauer geheftet, Timo und die anderen ignorierte sie einfach.

„Ich weiß, aber ich habe keine Lust, mich mit überflüssigen Gesten lange aufzuhalten. Begrüßt lieber unsere Gäste, besonders einer von ihnen wird euch interessieren“, der Minotauer sprach schleppend, man merkte, das er nicht gerne in dieser Sprache sprach und das es ihm große Mühe bereitete.

Die Chitofrau schaute nun auf die Gruppe, die mittlerweile vollständig eingetreten war und ihrerseits die beiden Chito musterte. Nun stand auch der Mann auf und trat neben die Frau.

„Und wer sind unsere Gäste, wenn ich fragen darf?“, erkundigte er sich, wobei er jeden einer genaue Musterung unterzog. Vor allem Shadow und Timo hielten seinen Blick länger auf sich fest, als die anderen. Ein paar Sekunden sagte keiner etwas und bevor die Stille peinlich zu werden begann, trat Justin vor.

„Seid gegrüßt. Nun, ich möchte uns kurz vorstellen, damit ihr eine Ahnung habt, wer wir sind“, er schaute zu seinen Gefährten zurück und während er den Namen jedes einzelnen nannte, deutete er auf denjenigen.

„Der letzte Name in unseren Reihen wird für euch beide vielleicht der interessanteste sein“, schloss er und deutete auf Timo.

„Das ist Timo Lux. Unter diesem Namen hat er viele Jahre gelebt, als wir jedoch herkamen fanden wir seinen richtigen Namen heraus.“

„Und der wäre?“, wollte männliche Chito schroff wissen. Es schien ihn zu langweilen und er verstand sichtlich nicht, weswegen Minos ihm das alles antat. Justin nickte seinen Freund auffordernd zu, während er selbst einen Schritt zurück trat.

„Also mein Name“, begann der Schwarzhaarige und schaute dabei unsicher zu Justin zurück. Auch er verstand nicht, was das alles sollte. „Mein Name in dieser Welt, mein Name als Chito ist Dragonwing.“

Die Reaktion seiner beiden Artgenossen ihm gegenüber hätte kaum unterschiedlicher sein können. Der Schwarzhaarige prallte zurück, als wäre er gegen eine unsichtbare Mauer gerannt und starrte Timo an, als sei er der Teufel selbst, die Blonde sah verblüfft und ungläubig aus.

„Nein, nein, das kann nicht sein“, murmelte sie.

„Es gibt viele, die das sagen und Layla und Ember haben es mir noch zwei mal bestätigt und ich sehe keinen Grund, dass die beiden lügen sollten“, verteidigte sich Timo unsicher und warf Justin einen Hilfe suchenden Blick zu, doch der lächelte nur geheimnisvoll.

„Layla sagst du? Und Ember? Dann muss es wahr sein, sie beiden würden ihn gewiss erkennen, wenn sie ihn sehen“, murmelte die Rothaarige, doch der Ausdruck ihrer Augen stand im krassen Widerspruch zu dem, was sie gesagt hatte.

„Nun, ihr kennt unsere Namen und scheint sehr wohl zu wissen, wer Timo ist, doch wer seid ihr?“, fragte Shadow und trat neben den Schwarzhaarigen. Fragend legte sie den Kopf auf die Seite und zuckte mit einem ihren Ohren.

»Sie werden es gewiss nicht von sich aus sagen, sie sind viel zu erstaunt. Kläre besser du deine Freunde auf«, brummte Minos zu Justin, der nickte.

„Ich denke, du hast recht“, er wandte sich den Chito zu, „Gehe ich recht in der Annahme, dass ihr beide Moon und Night seid?“

Die Rotblonde nickte abwesend. Sie hatte wahrscheinlich nicht einmal gehört, was er gesagt hat, sondern nur auf ihren Namen reagiert, doch das reichte Justin und seinen Begleitern wohl auch, denn nun schauten auch diese vollkommen verblüfft, aber auch ein bisschen fragend und verwirrt zu Justin.

„Woher…?“, Moritz beendete seine Frage nicht, als er Justins selbstzufriedenes lächeln sah.

„Ich hoffe doch, euch dreien gefällt die kleine Überraschung“, bemerkte der Rotschopf und deutete den anderen mit einer Kopfbewegung, dass sie rausgehen sollten. Zögernd und noch immer ziemlich verwirrt, taten sie jedoch alle, was er wollte und gingen und nach einem letzten aufmunternden nicken zu Timo, zog auch er sich zurück. Mit einem lächeln, als würde er vor Glück schier platzen, wandte er sich seinen Kameraden zu.

„Ich denke, die sollten wir eine Weile in ruhe lassen, immerhin kennen die drei sich kaum, obwohl sie verwand sind“, erklärte er, warum sie alle hatten rausgehen sollen.

»Nun, ich denke, dass ihr alle Hunger habt und ihr gewiss nicht jetzt schon wieder gehen wollt, also schlage ich vor, das wir jetzt gemeinsam unseres Hungers entledigen und unseren Durst stillen«, sagte Minos.

„Eine wahrlich gute Idee, ich zumindest bin kurz vorm verhungern“, nickte der Rotschopf.

Minos ging davon und Justin folgte sofort, die anderen abermals eher zögernd und unsicher. Ihnen gefiel es nicht, das sie nie verstanden, was der Minotauer zu sagen hatte und Justin klärte sie auch nicht auf, er ignorierte sie regelrecht.

Melody beeilte sich, um neben den Rotschopf zu kommen und fragte leise: „Macht es spaß, uns alle zu ignorieren? Ist es wegen Moritz oder haben wir alle etwas verbrochen?“

Justin schaute sie verwirrt an, dann lachte er kurz und leise.

„Nein, nein, ich vergesse nur immer wieder, das ihr alle Minos nicht verstehen könnt, und sonst sag ich ja auch nicht mehr, als das, was ich jetzt sage, das fällt jetzt nur mehr auf. Und wegen Moritz: nun ja, ich kann ihn nicht zwingen, meine Fragen zu beantworten und ich will es auch nicht, ich werde es mir einfach, einfach machen.“, griente er.

„Inwiefern?“, wollte Melody wissen.

„Nun ja, er will mir nicht sagen, was ich wissen will, aber ich kenne jemanden, der diesen Jerry auch kennt. Ich werde mich einfach beeilen, die Aufgaben zu lösen, und dann den Todesgott selbst fragen. Und wenn ich es schaffe herauszufinden, wo diese Burg liegt, dann kann ich vielleicht auch Felicitas finden. Auch sie kann mir weiterhelfen. Oder aber ich mache es mir ganz einfach, und frage Jerry selbst, wer er ist, denn bald schon werden wir einander treffen, das weiß ich. Und selbst wenn das nicht geschieht, werde ich in jedem Fall jemanden finden, der mir weiterhelfen kann, wenn es Moritz schon nicht tun will. Aber wissen möchte ich unbedingt, wer er ist, ich habe das Gefühl, das es unheimlich wichtig ist“, erklärte Justin.

„Aber warum soll es wichtig sein? Was ist denn überhaupt so besonderes an diesem Jerry?“, erkundigte sich Melody weiter.

„Nun, er ist…“, Justin brach ab, dachte einen Augenblick lang nach, „er steht unter dem Befehl des Todesgottes, Jerry hasst ihn jedoch, mehr als alles andere. Es muss also einen Grund geben, weswegen er einer seiner Diener ist und… ich will ihm helfen. Es ist ein ganz merkwürdiges Gefühl, ich weiß nicht, wie ich es beschreiben soll, aber ich weiß, was Jerry fühlt, ich weiß, wann er Schmerzen hat, ich weiß, wann er glücklich ist, ohne das ich sagen kann, woher oder warum. Außerdem, wenn ich ihn ansehe, dann ist es, als würde ich in einen Spiegel sehen, nur seine Augen sind anders. Sie sind kalt, ohne Lachen, ohne Mitleid. Ich will wissen was, ihn zu dem gemacht hat, was er ist, warum er mit so ähnlich ist und zugleich doch ganz anders, was mich mit ihm verbindet.“

Melody schaute nachdenklich zu Boden.

„Und du meinst, Moritz weiß, wer er ist?“, fragte sie dann leise.

„Ja. Ja, er muss es wissen. Wenn nicht er, wer dann? Erinnerst du dich an jenen Abend, an dem es mir so schlecht ging? Ich erzählte von diesem Gefühl, das ich in letzter Zeit immer habe. Moritz sah danach so merkwürdig aus und als wir ihn fragten, da sagte er, dass er eine Vermutung hätte, die er uns aber noch nicht mitteilen wollte. Ich bin mir mittlerweile ziemlich sicher, dass alles irgendwie mit Jerry zusammenhängt, also muss auch Moritz wissen, wer er ist. Sagen tut er es uns nicht, ich habe keine Ahnung, wieso. Aber es ist auch egal, ich werde schon herausfinden, wer Jerry ist, ob mit oder ohne seine Hilfe ist dabei auch nicht mehr wirklich wichtig“, antwortete Justin.

Melody nickte nachdenklich, dann öffnete Minos die Tür zu einer weiteren Halle und sie traten ein. Auch diese Halle war recht leer, der Boden war, wie die große Halle, in der sie sich mit Minos getroffen hatten, ausgelegt mit Stroh, die Fenster waren nur klein, gingen jedoch nach Westen aus, weswegen sie das ganze abendliche Sonnenlicht einfingen. Sie war kleiner, als die große Halle und es gab noch einen letzten Unterschied: Hier gab es eine riesige Tafel, die unter der Last des vielen Essens bald zusammen brechen drohte.

»Die anderen meines Volkes werden nach und nach kommen, deswegen ist soviel Essen dort. Wir speisen immer so, das jeder dann kommt, wenn er will, was aber nur für einen bestimmten Zeitraum gilt«, erklärte Minos auf einen fragenden Blick Justins hin.

„Ach so, ich verstehe schon“, nickte Justin. Es war wohl, wie in einem Hotel, wo der Speisesaal für einen bestimmten Zeitraum geöffnet war, man aber nicht pünktlich zu einem bestimmten Zeitpunkt auf der Matte stehen musste, um etwas zu essen zu bekommen.

„Setzt euch und esst“, forderte Minos auf.

Das ließen sie sich nicht zweimal sagen, schon nach wenigen Augenblicken hörte man nur noch das schmatzen der Gruppe. Ab und an kamen ein paar andere Minotauren dazu und Justin verfolgte interessiert deren Unterhaltungen, dann jedoch hatte er selber eine Frage an Minos.

„Warum habt ihr eigentlich Merlin entführt?“, wollte er wissen.

»Der Todesgott hat uns angewiesen, sie mit uns zu nehmen, warum sagte er nicht, nur, das wir sie festhalten sollen, er wird kommen und uns sagen, wann wir sie gehen lassen dürften«, erklärte der Minotauer.

„Und warum habt ihr sie uns dann schon vorher gegeben?“, hakte Justin nach.

»Ganz einfach, weil er außerdem noch sagte, das wir sie auch schon früher gehen lassen dürften, aber nur, wenn ein Junge, der unsere Sprache spricht, sich als würdig erweist, ein Geschenk von uns entgegen zu nehmen«, antwortete Minos.

„Ach so, und indem ich euch Timo brachte hab ich mich als würdig erwiesen, oder wie?“, Justin legte den Kopf auf die Seite und schaute zu Minos hoch.

Der Minotauer nickte: »Genau so ist es, mein Freund. Wahrscheinlich hat der Todesgott gehofft, das wir euch umbringen würden, weil ihr uns auf irgendeiner Art und Weise beleidigt, aber du kannst gut umgehen mit Völkern, die du bisher noch nicht hast kennen lernen können.«

„Natürlich, ich muss ja auch immer mit meiner Mutter und meiner Schwester kommunizieren, ohne das die Ausrastete, das hier ist kaum schwerer“, erklärte Justin mit einem schwachen Lächeln.

Minos ließ einen grollenden Laut vernehmen und mit einem Anflug von Entsetzen merkte Justin, das dies ein einfaches Lachen war. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Dieses Lachen jedoch hatte zur Folge, dass die anderen menschenähnlichen Wesen (im Klartext, seine Gefährten) am Tisch erschrocken aufsprangen und gehetzt um sich blickten, was wiederum Justin einen kleinen Lacher entlockte.

„Keine Angst, Minos hat nur über eine meiner Bemerkungen gelacht“, erklärte er mit einem Lächeln.

„Gelacht?!“, fragte Falko und starrte den Minotauer entsetzt an, „Tut mir jetzt leid, aber ich habe gerade gedacht, das Justin irgendeiner dumme Bemerkung gemacht hat und wir jetzt alle Minotaurenfutter sind!“

Seine Worte ließen die Stiermenschen am Tisch wütend knurren.

„Wir fressen kein Fleisch, wir sind ja keine Hunde“, knurrte Minos wütend in der Sprache der Unsterblichen.

„Falko entschuldige dich und zwar ganz höflich! Das, was du gesagt hast, war nämlich mehr als nur eine riesen Beleidigung für unsere Gastgeber“, knurrte Justin wütend über Falkos so unbedacht gewählten Worte.

Falko schaute ihn einen Augenblick lang irritiert an, dann nickte er: „Es tut mir leid, ich sprach schneller, als ich gedacht habe. Natürlich war mir klar, das nicht ihr uns fressen würdet, aber das war auch nur im übertragendem Sinne gemeint. Ich dachte eher daran, das Justin euch wütend gemacht hat und ihr uns jetzt im Labyrinth verhungern lassen würdet oder so. Ich wollte euch wirklich nicht beleidigen.“

Minos schnaubte unwillig eine Antwort, wie keiner der Anwesenden zu verstehen schien, dann sprach er noch einmal deutlicher: „Ihr solltet dann besser erst einmal gründlich darüber nachdenken, was ihr sagt, es hätten eure letzten Worte sein können. Ich nehme eure Entschuldigung an, aber dies wird das erste und auch letzte mal sein, das ich dies tue, die nächste so unglaublich dumme Bemerkung wird demjenigen den Kopf kosten.“

Entsetzt starrte die Gruppe den Minotauer an, dann nickten sie ängstlich.

„Ich denke, nach dieser Bemerkung ist es angebracht, wenn wir so früh wie möglich abreisen. Es würde uns freuen, wenn wir die Nacht hier verbringen dürften und uns dann einer von euch aus dem Labyrinth führen würde“, erklärte Justin.

»Ja, das wird wohl das Beste sein, aber ich möchte auch Moon, Night und ihren Sohn Mitspracherecht geben. Wollen wir zwei nicht mal zu ihnen stoßen und sie gleich fragen?«, erkundigte sich Minos bei dem Rotschopf, der sofort nickte und aufstand.

Auch die anderen, die sich langsam wieder hingesetzt hatten, standen wieder auf, doch Justin verneinte: „Ihr wartet hier. Und überlegt, bevor ihr etwas sagt.“

Dann ging er Minos nach, der schon durch die Tür war und den Gang hinab ging.

Sie gingen wieder zurück zu dem Ort, an dem sie Timo und seine Eltern zurückgelassen hatte und Minos pochte diesmal zweimal gegen die Tür, was diese in ihren Grundfesten erschütterte. Justin wunderte sich einen Moment lang darüber, dass die Tür nicht einfach aus dem Rahmen fiel, horchte dann jedoch auf die Schritte, die sich der Tür näherten. Selbige wurde geöffnet und Night schaute Minos entgegen.

„Was ist, was willst du?“, fragte er genervt.

„Mit dir sprechen“, brummte Minos, schob Night zur Seite und trat ein, Justin folgte nach einem kurzen Zögern.

Als er an Minos vorbei schaute sah Justin Timo, der auf dem Boden saß, seiner Mutter gegenüber. Mit leuchtenden Augen schaute er den Rotschopf entgegen machte aber keinerlei Anstalten, aufzustehen.

„Nur eine kurze Frage: ist es euch allen recht, wenn wir morgen schon wieder weiterziehen? Immerhin war Merlin nicht unsere einzige Aufgabe, die uns der Todesgott gab“, erklärte der Rotschopf, woraufhin Timos Augen sofort an Glanz verloren.

„Morgen schon?“, fragte er und es war unmöglich, die Enttäuschung in seiner Stimme zu überhören.

„Tut mir ja leid, aber wir müssen die Phönixe finden und dazu müssen wir erst einmal einen Weg finden, in die Menschenwelt zu gelangen“, Justin sagte bewusst Menschenwelt, nicht unsere Welt, denn er sah überdeutlich, das Timo diese Welt nicht mehr vollkommen als seine Heimat ansah und auch er selbst fühlte sich mittlerweile hier heimischer, als er es in der anderen Welt je getan hat.

Timo dachte nach, in seinen Augen lag etwas, was man nur als Trauer bezeichnen konnte. Man sah deutlich, dass er nicht weg wollte, weder morgen noch sonst irgendwann. Seitdem er wusste, das er adoptiert war, hat er sich nichts sehnlicher gewünscht, als das er seine richtigen Eltern kennen lernen konnte und nun, da er sie endlich traf, sollte dieses Treffen nicht einmal vierundzwanzig Stunden dauern und es sollte ein einmaliges Treffen bleiben, denn sie würden nicht wieder zu den Minotauren kommen. Nein, er wollte nicht gehen.

Timo wollte gerade etwas sagen, als Justin, dem plötzlich ein Gedanke kam, ihm zuvor kam: „Ich möchte mal kurz unter vier Augen mit dir reden, Timo.“

Nach einem kurzen Zögern nickte Timo und deutete auf eine Tür, die in einen anderen Raum zu führen schien. Die beiden Jungen traten ein.

„Also, was ist?“, wollte Timo wissen.

Justin druckste kurz herum, schien nicht mit der Sprache herausrücken zu wollen, doch dann holte er tief Luft und schaute Timo direkt in die Augen.

„Du musst nicht mitkommen, wenn du nicht willst. Ich möchte dich nicht bedrängen, ich kann es verstehen, wenn du nicht mehr mit uns kommen möchtest und die anderen werden es auch verstehen, da bin ich sicher. Selbst Shadow. Wenn sie nicht gleich mit dir hier bleibt oder später wiederkommt, meine ich“, erklärte er.

Timo schaute seinen Freund verblüfft an, denn er hätte nie damit gerechnet, dass der einen solchen Vorschlag machte. Er hatte längst gemerkt, das er für Justin unersätzlich war, er hätte nicht gedacht, das Justin von sich aus den Vorschlag machen würde, das er hier bleiben soll, er hatte gedacht, das, wenn der Vorschlag überhaupt kam, dann eher von einem der anderen, wenn nicht sogar von ihm selbst. Ausgerechnet von Justin hätte er es wirklich nie erwartet. Entsprechenderweise war er verblüfft, starrte Justin erst einmal einen Augenblick lang einfach nur an und versuchte zu realisieren, was der gerade gesagt hatte, dann nickte er.

„Ja, ich weiß…“, murmelte er.

„Sag jetzt kein aber. Egal, was du sagst, sag kein aber“, sagte Justin und sah dabei irgendwie müde aus.

Timo nickte: „Ist gut, ist gut. Ich werde darüber nachdenken. Mehr kann ich dir jetzt nicht sagen. Ich werde darüber nachdenken.“

Justin nickte und es viel ihm schwer auch jetzt noch ruhig zu bleiben. In seinem tiefsten Inneren hatte er gehofft, das Timo sofort sagen würde, das er in jedem fall mitkam, entsprechend war er nun enttäuscht. Zumal er wusste, dass ein Abschied ein Abschied auf ewig sein würde.

„Ist gut“, sagte der Rotschopf und ging wieder zurück zu Minos.

„Von mir aus können wir gehen“, sagte er und versuchte dabei so munter wie irgend möglich auszusehen, doch in Minos Augen sah er, das es kläglich misslang, doch der Minotauer schien auch zu verstehen, das er jetzt unter keinen Umständen darüber sprechen wollte, was er mit Timo besprochen hat. Weder hier vor Moon, Night und Timo, noch später vor wem, oder mit wem auch immer und so nickte der Minotauer und sie beiden gingen ohne ein weiteres Wort zurück zu den anderen.

„Und, was hat Timo gesagt?“, begrüßte Shadow ihn. Sie und Blizzard waren die einzigen, die noch bei Tisch saßen, jedoch nicht um zu essen, sondern weil sie auf ihn gewartet hatten.

„Später“, winkte Justin ab und wandte sich Minos zu, „wo kann ich mich hinlegen, um zu schlafen? Ich bin müde.“

»Wo auch immer du willst. Abgesehen von Moon und Night hat hier niemand einen festen Platz«, erklärte Minos und verließ den Raum wieder.

„Na denn…“, er wandte sich den beiden Chito zu, „wo sind die anderen?“

Wortlos standen beide auf und führten ihn in den Nebenraum, in dem sich die anderen schon zum Schlafen hingelegt hatten.

„Schon wieder da? Ist alles in Ordnung?“, fragte Moritz besorgt, da Justin blasser war, als sonst.

„Ja… nein. Es ist nichts in Ordnung“, knurrte Justin. Aus irgendeinem Grund war er plötzlich wütend. Unglaublich wütend. Mit ausladenden Schritten trat er an ihnen vorbei zum Fenster hin und schaute nach draußen, während Moritz und die anderen ihn verwundert anstarrten.

„Was war den?“, raunte Moritz Shadow zu.

„Nichts. Nicht wirklich. Im Gegenteil, als er in die Halle kam sah er sogar irgendwie traurig aus“, antwortete Shadow ebenso leise.

„Komisch“, meinte Moritz und runzelte die Stirn.

Shadow antwortete nicht darauf, sondern nahm Blizzard an die Hand und zog den Kleinen zu einer Ecke, was Moritz einen verwunderten Blick entlockte. Seiner Ansicht nach benahm auch Shadow sich merkwürdig, wie überhaupt alle in der Gruppe seid einiger Zeit. In dem Moment stand Melody auf und trat zu Justin. Sie sagte nichts, blieb einfach nur neben ihn stehen, bis Justin ihre Hand nahm und ihr deutete, mit hinaus zu kommen. Ohne, das sie Gelegenheit hatte, zu antworten, zog er sie einfach mit sich hinaus.

„Wo wollen die denn hin?“, wollte Falko wissen und schaute fragend zu Moritz.

„Na ja, ich würde mal sagen, irgendwohin, wo sie ihre Ruhe haben um allerhand unanständiges zu machen“, antwortete der achselzuckend.

„Glaub ich nicht“, mischte Shadow sich ein, „dann hätte Justin anders geguckt und sie nicht einfach so mit sich gezogen, sondern sie eher… sanft verführt.“

„Ach, und du kennst dich damit aus, ja?“, brummte Moritz.

„Na, besser als du anscheinend schon“, antwortete Shadow leichthin und widmete sich wieder Blizzard.

In der Zeit zog Justin Melody durch die Gänge bis er einen Ort fand, an dem sich die beiden ungestört unterhalten konnten.

„Was ist den, Justin?“, fragte die Elbe verwundert, dass sie einfach so mitgezogen wurde.

„Timo kommt morgen vielleicht nicht mehr mit“, antwortete Justin.

„Was? Aber warum wenn nicht mehr?“

„Ganz einfach, wegen seiner Eltern. Aber das ist eigentlich… nun ja, im Moment nebensächlich. Ich habe eine Frage an dich. Du hast doch Ahnung von Magie, oder? Also ich meine jetzt mehr, als die anderen zusammen, oder?“

Verwundert nickte Melody: „Ja, sicher, aber warum?“

„Wie ist es möglich, dass ich keinerlei Kontrolle mehr über meine Empfindungen habe? Kann das von einem Zauber her rühren?“

„Ähm…“, Melody dachte einen Augenblick lang nach, dann schüttelt sie den Kopf. „Nein, eigentlich nicht. Das würdest du spüren, du würdest es merken, das dich jemand von außen Kontrolliert. Aber warum fragst du eigentlich?“

„Weil ich wütend war, aber es eigentlich keinen Grund gab. Du hast es doch eben mitbekommen“, antwortete der Rotschopf.

„Und was ist daran so schrecklich? Ich meine, du scheinst davor richtige Angst zu haben“, fand Melody.

„Hab ich auch. Ich meine, wer meine Gefühle beeinflussen kann, der kann mich vielleicht auch so weit bringen, etwas zu tun, was ich nicht tun will. Irgendjemand oder irgendetwas bekommt mehr und mehr Macht über mich und davor habe ich Angst“, murmelte Justin.

„Meinst du wirklich, dass etwas dich so weit beeinflussen kann? Ich meine, ein Zauber kann es, wie gesagt, eigentlich nicht sein, es muss etwas anderes sein und ich kann mir wirklich nicht vorstellen, das dich etwas so weit beeinflussen kann.“

„Doch, etwas kann das und ich habe Angst davor, denn ich weißt nicht einmal, was es ist, das mich in seinen Fängen hält“, Justin wandte sich ab, sah auf einmal sehr müde aus.

„Und was ist mit Jerry. Vielleicht beeinflusst er dich irgendwie. Ich meine, du scheinst ja irgendeine Verbindung zu ihm zu haben“, überlegte die Elbe.

„Das dachte ich auch schon, aber bisher hatte ich immer unterscheiden können, ob es seine Gefühle waren oder ob sie mir gehörten. Und sie haben mich bisher auch nicht in meinem tun beeinflusst. Das ist nämlich das, was mir am meisten Sorgen bereitet“, erklärte der Rotschopf.

Einen kurzen Augenblick lang schaute Melody ihn nur hilflos an, dann umarmte sie ihn. Sie hätte auch gerne ein paar aufmunternde Worte gesagt, doch wusste sie, das jedes Wort jetzt alles nur noch schlimmer gemacht hätte, also schwieg sie.

Nach einer kurzen Zeit gingen sie beide wieder zurück zu den anderen, die sich schon hingelegt hatten und schliefen. Melody und Justin machten es sich in einer Ecke bequem und sie beiden waren binnen weniger Augenblicke eingeschlafen.

Aufbruch

Vielen dank, Minos“, sagte Justin.

»Ich habe zu danken, Justin«, antwortete Minos, »immerhin habt ihr Moon und Night eine solche große Freude bereitet.«

Justin schüttelte den Kopf: „Den beiden ja, aber dafür mir selbst meinen besten Freund genommen. Aber das ist egal, es war seine Entscheidung und habe mir vorgenommen, in jedem Fall einverstanden zu sein, also will ich jetzt nicht meckern.“

»Nun, eine wahre Freundschaft wird auch die große Entfernung überstehen können und wenn ihr euch irgendwann einmal wieder seht, dann wird eure Freundschaft entweder gebrochen sein oder aber stärker den je und nach allem, wie ich dich kennen gelernt habe, hab ich keinerlei Zweifel, das letzteres der Fall sein wird«, meinte Minos.

„Ja. Ja, da hast du recht und auch für diese Worte vielen dank. Vielleicht sehen wir uns irgendwann einmal wieder, Minos, und wenn nicht, dann hoffe ich dennoch, das du ein schönes Leben führen wirst, bis zu deinem Ende“, verabschiedete sich Justin und nachdem Minos noch einmal zum Abschied genickt hatte, wandte sich der Rotschopf um und kletterte auf den Rücken des nachtenden Hengstes, ließ das Einhorn zu seinen Begleitern traben. Er winkte noch ein letztes mal zurück, dann setzte sich der Trupp wortlos in Bewegung.

„Da waren es nur noch sechs“, war Moritz Bemerkung nach einer Weile.

„Sieben, Snowflower ist auch noch da“, widersprach Justin.

„Von mir aus. Chakyu, Merlin, wir werden euch zum Turm begleiten und von dort aus weiter reiten“, erklärte Moritz dem Elben und der Magierin.

Chakyu nickte, sagte aber nichts. Überhaupt war er sehr schweigsam gewesen, wie Justin plötzlich feststellte. Merlin ebenso. Doch er machte sich nicht weiter Gedanken darüber, sondern überlegte, von wo aus sie am besten mit der Suche nach den Phönixen anfangen sollten, sobald sie wieder in der Menschenwelt waren. Doch egal wie angestrengt er nachdachte, ihm viel nichts ein, wo man zwei Feuervögel verstecken konnte, ohne das die Bevölkerung darauf aufmerksam wurde. Es sein denn natürlich, irgendwo in der Wildnis, aber dann hatten sie keinerlei Chancen mehr, die beiden zu finden. In dem Moment hörten sie Hufschlag hinter sich und fragend schaute Justin über die Schulter zurück. Er sah ein silbergraues Pferd hinter ihnen her galoppieren.

„Wartet mal einen Augenblick!“, rief Justin den anderen zu, die den Hufschlag wohl nicht gehört hatten. Er turnte auf Thunders Rücken herum, sodass er am Ende so saß, der er in Richtung des Schweifes blickte, statt zum Kopf des Rapphengstes, und spähte neugierig dem Neuankömmling entgegen. Einer plötzlichen Ahnung folgend setzte er sich wieder richtig hin und ließ Thunder dem anderen entgegen galoppieren.

Schon nach wenigen Sprüngen sah er, das es Timo war, der ihnen folgte und als er das erkannte, bat er Thunder, in seinem schnellstem Tempo voranzusprengen und so waren die beiden Freunde schon nach einigen Augenblicken auf gleicher Höhe.

„Timo! Was machst denn du hier? Ich dachte, du würdest da bleiben!“, rief Justin und strahlte dabei wie ein undichtes Atomkraftwerk.

„Die Idee hab ich schon nach etwa einer halben Stunde verworfen. Ich meine, es ist ja schön und gut, mal meine richtigen Eltern kennen zu lernen und ich wäre auch gerne noch ein bisschen länger geblieben, aber na ja. Sie sind zwar meine Eltern, aber sie sind trotzdem Fremde für mich und warum soll ich für zwei Fremde mein bisheriges Leben einfach aufgeben? Außerdem begleitet Moon uns jetzt“, erklärte Timo breit grinsend und deutete nach oben, wo ein außerordentlich hübscher Wanderfalke seine kreise zog.

„Und dein Vater?“, fragte Justin.

„Der hat andere Pläne, welche hat er aber nicht gesagt. Er meinte nur, das wir uns wohl bald wieder sehen werden, wo und warum auch immer. Nun, wenn ich ehrlich bin, interessiert es mich nicht sonderlich, was er macht und was nicht. So sehr ich meine leibliche Mutter gern hab, so wenig kann ich ihn ausstehen“, antwortete Timo mit gerümpfter Nase.

„Warum? Ich meine, er ist doch dein Vater“, fand Justin, während er wendete und die beiden langsam zu den anderen ritten.

„Das mag schon so sein, aber er hat eine Einstellung, die der von Ember sehr ähnelt. Und na ja, du weist ja, wie ich dazu stehe. Er würde Shadow behandeln, wie den letzten Dreck und ihm gegenüber müsste sie auch höflich sein, komme, was wolle, weil er ja der Herrscher der Chito ist und das kann und will ich ihr nicht zumuten“, erklärte Timo.

„Und deine Mutter hat eine andere Einstellung, ja?“, hakte Justin nach.

„Ja, hat sie. Sie findet es gut, das es mir egal ist, wer oder was Shadow ist, wer oder was alles meine Freunde sind. Sie ist der Ansicht, man kann kein guter Mensch sein, wenn man allzu sehr auf die Herkunft der Wesen achtet und sie entsprechend behandelt. Angeblich hat mein Vater auch einst so gedacht, aber ich weiß nicht, was geschehen ist, das er das nun so vollkommen anders sieht“, antwortete Timo.

„Tja, ich leider auch nicht. Aber an sich ist es auch egal, unter umständen wirst du ja nie wieder etwas mit ihm zu tun haben. Egal, ich hab das eine oder andere mit dir zu besprechen.“

„Schieß los“, forderte Timo.

„Wo um alles in der Welt wollen wir mit der Suche nach den Phönixen anfangen?“

„Gute Frage“, Timo dachte nach, „einfach so über den See flattern werden sie ja bestimmt nicht.“

„Das sehe ich genau so.“

„Tja, ich glaube, das hat keinen Sinn, uns jetzt darüber Gedanken zu machen, vielleicht finden wir ja einen Hinweis, wenn wir wieder in der Menschenwelt sind“, überlegte Timo.

„Ich hoffe es, sonst haben wir keine Chance. Nicht, das es mich sonderlich stören würde, die nächsten paar Jahrzehnte hier zu bleiben, aber wer weiß, was er alles mit Bora anstellen wird und ich will ehrlich gesagt nicht dafür verantwortlich sein, wenn er diese wundervolle Welt hier vernichtet“, meinte Justin und Timo nickte zustimmend, doch ihre Unterhaltung wurde unterbrochen, denn nun hatten die anderen erkannt, wer da mit Justin zusammen zu der Gruppe zurückkehrte und kamen nun alle an, Timo zu begrüßen.

Wieder in der Menschenwelt

Und da wären wir“, Justins Augen leuchteten, als er sich umschaute, „Dies ist die Menschenwelt!“

Shadow, Melody, Blizzard und Moon, die in Gestalt des Wanderfalken auf Timos Schulter saß, schauten sich mit großen Augen um.

„Also wenn ich ehrlich bin, sehe ich hier keinerlei Änderungen zu den Wäldern, in denen ich bisher war“, bemerkte dann Shadow.

„Warte ab, bis wir aus dem Wald raus sind, Shadow“, meinte Moritz mit einem leichten Grinsen, da er sich ziemlich genau vorstellen konnte, wie vor allem sie auf ein Auto reagieren wird.

„Dann sollten wir vielleicht auch mal los“, fand Melody.

Justin nickte und deutete ihnen, dass sie ihm folgen sollten.

„Sag mal, weiß einer von euch, der wievielte heute ist?“, fragte er nach einer Weile, in der er sie durch den Wald führte.

„Keine Ahnung“, antwortete Timo und auch Moritz zuckte nur mit den Schultern.

„Warum willst du das überhaupt wissen?“, erkundigte sich letzterer.

„Wegen der Schule. Wenn wir glück haben, sind noch Herbstferien, wenn wir Pech haben nicht und dann nervt Mam solange rum, bis ich zusage, das ich morgen hingehe“, antwortete Justin.

„Womit sie eigentlich auch recht hat“, fand Moritz.

„Das mag ja sein, aber ich habe echt keinen nerv, mir dieses Jahr wieder von der Chang anhören zu müssen, wie man Verben konjugiert oder so was in der Richtung“, brummte Justin.

„Wer um alles in der Welt hat den auf so etwas schon Lust?“, fragte Timo.

„Keiner, aber lernen müsst ihr es trotzdem“, fand Moritz.

Justin machte einen genervten Laut: „Sag mal Moritz, liegt auf dir ein Fluch oder so?“

„Nicht das ich wüsste“, antwortete Moritz mit verwundertem Blick, „Wieso?“

„Na ja, kaum sind wir wieder in dieser Welt, entwickelst du dich vom coolen Schwertkämpfer in den oberspießigen Vater! Bleib mal locker, alter! Wenn das alles vorbei ist, hast du gewiss genug Zeit, um ein auf Vater zu machen!“, rief Justin, was ihm verdutzte Blicke von Shadow und Melody einbrachte.

Als Justin das bemerkte, fiel ihm Siedendheiß ein, das keiner der beiden wusste, das Moritz sein Vater war, hatte er es ihnen doch nie gesagt.

„Oh, das hatte ich vollkommen vergessen, euch zu sagen! Erinnert ihr euch, als wir in dem Labyrinthen waren?“, fragte er und als die anderen nickten, fuhr er fort, „Na ja, da sagte ich doch, ich hätte eine interessante Unterhaltung mit Moritz geführt und na ja, bei der Unterhaltung ist halt raus gekommen, das er mein Vater ist.“

Vollkommen verblüfft starrten die beiden Mädchen von Justin zu Moritz und wieder zu Justin zurück.

„Meinst du das jetzt ernst?“, fragte Melody dann.

„Todernst. Aber jetzt kommt lieber, wir sind fast am Waldrand und…“, Justin wandte sich Timo zu, „wer soll bei wem unterkriechen?“

„Na ja, meine Mutter und Shadow kommen mit zu mir, das ich klar“, antwortete der.

„Gut, das Melody nämlich mit zu mir kommt war meiner Ansicht nach auch ziemlich klar und gegen Blizzard wird meine Mutter schon nichts sagen, zumal er hier ja aussieht, wie ein normaler Mensch, ohne die Pelzohren“, fand Justin.

„Auch Shadow und Melody wird hier wohl niemand als das erkennen, was sie eigentlich sind“, warf Moritz ein.

„Das stimmt wohl“, seufzte Melody und schaute über die Schulter hinab auf ihren Rücken, der sonst immer von den beiden weißen Schwingen geziert wurden, nun aber nicht anders aussah, als der jedes anderen Mensches. Ebenso waren ihre langen, spitzen Elbenohren nun die eines jeden Menschen. Auch Shadow hatte ihre Schwingen verloren, kaum war sie durch das Tor getreten und auch ihre Ohren waren nun die jedes anderen Menschen, nicht mehr die einer Katze. Doch das hatte bei ihr nachteile gebracht, denn in der Gestalt eines Chito hatte sie nicht nur die Ohren einer Katze, sondern auch dessen fabelhaftes Gehör, nun, wo sie nicht mehr hörte, als jeder andere Mensch, war sie fast taub, im vergleich zu dem, was sie gewohnt war.

In dem Moment traten sie hinaus auf einen geteerten Weg, was Shadow, Melody und Blizzard schon einen erstaunten Blick entlockte.

„Wozu ist dieses schwarze Zeug auf dem Waldboden?“, wollte Melody erstaunt wissen.

„Das ist Teer, damit werden unsere Straßen gepflastert“, antwortete Moritz.

„Und wozu?“, fragte Shadow und stapfte mit ihren Schuhen zweimal kräftig auf.

„Damit der Weg nicht so holprig ist, wenn man darüber fährt und damit man leichter darauf laufen kann. Bei euch sind die Straßen mit Kopfsteinpflaster gepflastert, hier ist es Teer, der dafür sorgt, dass man darauf fahren kann“, erklärte Justin.

„Ach so“, machte Melody und man hörte ihr deutlich an, das sie es ziemlich unnötig fand, mitten in einen Wald eine Straße zu bauen. Das dies einfach nur ein Weg durch den Wald war und keine Straße, das zu sagen fand niemand für nötig. Zumal das für Melodys Verständnis wahrscheinlich noch unsinniger wäre, womit sie eigentlich auch recht hat. Doch sie gingen einfach noch ein Stück weiter, kamen so aus dem Wald heraus, auf eine unbefahrene Straße ganz in der Nähe des Reitstalls von Nadjas Eltern.

„Oh, ein weiter Weg, nach Hause“, brummte Timo.

Justin gab einen grummelnden Laut von sich: „Hey, wir müssen noch ein ganze Stück weiter!“

„Stimmt. Na ja, egal, ich denke, wir gehen gleich nach Hause, man sieht sich“, meinte Timo und nahm Shadow bei der Hand, um sie mit sich zu ziehen und zu leiten, damit sie ihm nicht verloren ging, waren ihre Sinne doch nun viel schlechter, als sonst. Seine Mutter saß auf der Schulter.

„Kommt mit“, forderte Justin Melody und Blizzard auf, trat auf die Straße und wandte sich in die entgegen gesetzte Richtung, wie Timo gegangen war.

„Ich bin gespannt zu sehen, wie ihr hier wohnt“, sagte Melody nach einer Weile, doch ihr antwortete keiner und so liefen sie schweigend, bis die Elbe auf einmal stehen blieb.

„Hört ihr das auch?“, fragte sie und schaute sich suchend um. Die anderen drei spitzten die Ohren, dann lachte Moritz leise: „Das ist eine Straße. Diese Geräusche wirst du hier fast überall hören.“

„Aha“, machte das Mädchen und sah dabei leicht verunsichert aus, ebenso Blizzard, doch Justin nahm sie bei der Hand und ging weiter, während Moritz Blizzard an der Hand nahm und mit ihm weiterging.

Nach einiger Zeit dann kamen sie bei einer viel befahrenen Straße an und der Halbchito und die Elbe starrten die Autos mit großen Augen und ängstlichem Blick an, während sie vorbei gingen.

„Ihr braucht keine Angst vor den Autos zu haben, die tun euch nichts“, meinte Justin mit einem sanften Lächeln, doch der Verstand eines jeden Wesens ist nicht dafür gemacht, das es rein auf Logik reagierte und so hinderten Justins Worte Melody nicht im geringsten daran, heftig zusammen zu zucken, als ein Auto besonders nahe an ihr vorbei brauste.

„Ihr werdet euch daran gewöhnen“, meinte Moritz daraufhin mit einem väterlichen Lächeln, was Melody noch zusätzlich zu irritieren schien.

Unsicher, wie ein kleiner Hundewelpe, der das erste mal seine neue Umgebung erkundete, so kam die Elbe Justin in dem Moment vor und er musste einfach nur breit lächeln, bei dem Gedanken. Nach einer Weile kamen sie zu einer weniger befahrenen Straße, worüber Melody und auch Blizzard sichtlich erleichtert waren und doch merke man ihnen deutlich an, das diese neue Welt sie verblüffte und wohl auch ein wenig Angst machte.

„Wir sind gleich da“, sagte Justin nach einer weiteren Weile und deutete die Straße hinab.

„Das ist das Haus, in dem ich gewohnt habe, bevor das ganze hier angefangen hat.“

Mit sichtlicher Neugierde musterte Melody das Haus, auch wenn sie es aus dem Winkel heraus und auf die Entfernung nicht direkt sehen konnte. Je näher sie dem Haus kamen, desto fragender und musternder wurde ihr Blick und auch Blizzard war sichtlich neugierig. Schon nach wenigen Minuten standen sie dann vor der Tür und Justin klingelte, hatte er doch keinen Schlüssel, um die Tür aufzuschließen. Er musste mehrmals klingeln, bevor sich jemand erbarmte, die Tür aufzumachen und es waren weder Helen, noch Ginny, sondern ein junger Mann, ungefähr in Helens Alter, vielleicht ein wenig älter, der Justin fragend anschaute und den Kopf auf die Seite legte.

„Ja? Was gibt es?“, fragte er in einem Ton, als wäre er hier zu Hause und wäre nun nur mäßig verwundert über die vier Fremden, die wohl zu einem seiner Wohngemeinschaftsfreunden gehören mochten, die er selbst aber nicht kannte.

Justin musterte seinerseits den Kerl mit unverhohlener Neugierde, schob ihn dann jedoch einfach zur Seite und machte in Melodys und Blizzards Richtung eine einladende Geste: „Darf ich bitten?“

Der Mann schien im ersten Augenblick zu verblüfft, um darauf etwas zu sagen, schien er doch nicht zu wissen, das Justin und Moritz hier wohnten und ihr gutes Recht hatten, hier ein und aus zu gehen, wie es ihnen beliebte, doch schon nach einigen Sekunden fing er sich wieder.

„Aber das geht doch nicht, du kannst doch nicht einfach unaufgefordert in irgendwelche fremden Häuser reinspazieren!“, ereiferte er sich.

„Gehört das Haus dir?“, wollte Justin sachlich wissen.

„Nun ja, nein, aber der Mutter meiner Freundin!“, meinte der Kerl.

„Ach, so ist das, du bist Helens neuster Lover. Nun ja, lass mich dir einen Rat geben: halte dich fern von der, die ist es nicht wert. Helen ist nämlich in Wahrheit nur so eine kleine Ratte, die meckert ohne Ende und alles und jeden nerven muss“, erklärte Justin mit einem Nicken und trat an den Kerl vorbei, machte dabei gleichzeitig eine einladende Geste, woraufhin Melody und auch Blizzard zögernd eintraten. Moritz lachte leise über die freche Art seines Sohnes, folgte dann aber und schloss die Tür, den vollkommen fassungslosen und verwirrten Fremden ignorierte er einfach.

„Helenchen, Mam! Ich bin wieder da!“, rief Justin in das Haus hinein und deutete mit einem Kopfnicken in die Küche. Zögernd und sichtlich verunsichert folgte Melody der Aufforderung, Blizzard jedoch blieb stehen und schaute sich fragend um, zumindest solange, bis Justin ihn ebenfalls in die Küche schob und beide auf die Eckbank drückte.

„Habt ihr Hunger oder so?“, fragte er während er die Schränke durchsuchte, einfach um zu sehen, was alles da war.

„Ein wenig durst“, antwortete Melody unsicher.

„Was willst du? Cola, Saft, Brause, Milch, Wasser?“, fragte Justin, erntete damit aber nur einen verständnislosen Blick von Melody.

Mit einem Lachen holte er ein Glas und schüttete ihr Wasser ein.

„Willst du auch etwas, Blizzard?“, fragte er, doch der Chito verneinte, er war viel zu sehr damit beschäftigt, alles um sich herum schier aufzusaugen, wie ein ausgetrockneter Schwamm das Wasser.

In dem Moment kam Helen in die Küche, gefolgt von den Fremden, der noch immer unsicher und vollkommen verwirrt dreinschaute. Mit einem leisen quicken stürzte sich Helen auf ihren Bruder und schloss ihn so fest in die Arme, das Justin keine Luft mehr bekam und schon etwas mehr brauchte, als sanfte Gewalt, um wieder von seiner Schwester los zu kommen.

„Kaum wieder zu Hause und schon ein Mordanschlag“, brummte er und schaute Helen dabei so vorwurfsvoll an, wie er es zustande brachte, was jedoch nicht sonderlich vorwurfsvoll war. So sehr er sich auch sonst mit Helen stritt, so schön fand er es, seine Schwester nach so langer Zeit einmal wieder zusehen.

„Du hast ja keine Ahnung, was dir noch blüht, wenn Mam erst einmal da ist!“, rief Helen, alle anderen im Raum schien sie nicht zu bemerken. Justin jedoch merkte die fragenden, bohrenden Blicke Melodys und Blizzards umso mehr.

„Das ist meine Schwester, Helen“, erklärte er.

„Du hast eine Schwester?“, fragte Melody.

„Hab ich das nicht gesagt? Tut mir leid, war mir wohl entfallen“, meinte der Rotschopf und da nun Helen zu versuchen schien, ihn mit ihrem Frageblick zu durchleuchten, stellte er nun Melody und Blizzard vor.

„Der da ist dein neuer Lover, stimmt’s oder hab ich recht?“, fragte Justin und deutete auf den Unbekannten, begann dabei ganz unverschämt zu grinsen, „ich habe ihn schon vor dir gewarnt, verklagen läuft also nicht.“

Helen warf ihm einen bösen Blick zu, enthielt sich jedoch einen Kommentars und nickte stattdessen: „Genau, das ist mein Freund, Daniel.“

Sie deutete auf Justin, dann auf Moritz: „Und das ist mein kleiner Bruder Justin und mein Vater.“

„Schön, dann kennen wir ja alle einander. Wo ist Mam“, ging der Rotschopf zur Tagesordnung über.

„Ich weiß nicht, sie sagte etwas von Einkaufen, aber das war vor drei Stunden“, antwortete Helen.

„Dann wird sie wohl bald nach Hause kommen“ stellte Justin fest, gähnte dann herzlich.

In dem Moment fuhr ein Auto vor, was Melody zu einem heftigen zusammenzucken und einem ängstlichen rund umblick veranlasste.

Helen und Daniel legten zwar den Kopf auf die Seite, stellten aber keine entsprechende Frage und Justin sagte einfach nichts dazu. Was auch? Egal was er sagen und tun würde, es würde sowieso nichts an Melodys zusammenzucken ändern. Sie brauchte auch einfach nur ein wenig Zeit, um sich an das alles zu gewöhnen.

Die Tür wurde aufgeschlossen und seine Mutter, beladen mit mehreren Einkaufstüten schob sich in die Küche oder eher: wollte sich in die Küche schieben, als sie jedoch sah, wer da lässig an die Spüle gelehnt stand und wer dort auf der Eckbank saß, ließ sie ihre Taschen achtlos fallen und wie Helen zuvor stürzte sie sich mit einem kleinen Aufschrei auf Justin um ihn fest zu umarmen, anders jedoch, als Helen, zog sie ihn mit zu Eckband und schaffte es irgendwie, ihren Ehemann und ihren Sohn gleichzeitig in die Arme zu schließen. Selbst gemeinsam brauchten die beiden Männer eine Weile, um sich zu befreien.

„Wo wart ihr beiden denn schon wieder?!“, fragte sie mit unnatürlich hoher Stimme.

„Wo wir letztes mal auch waren“, brummte Justin und massierte ich den Hals, dann jedoch ging er zur Tagesordnung über und deutete auf Melody und Blizzard, die verunsichert dasaßen und wohl am liebsten irgendwo weit, weit weg wären.

„Das sind Melody und Blizzard“, stellte er die beiden vor.

Ginny musterte beide neugierig, dann nickte sie und wandte sich Daniel zu: „Ich denke, du solltest jetzt besser gehen, hier gibt es einige familiäre Angelegenheiten zu klären, die dich nichts angehen“, sagte sie und mit einem unsicheren Nicken trollte sich der junge Mann. Kaum war ihm die Tür zugefallen, wandte sie sich wieder Melody zu.

„Du bist also das Mädchen, von dem Justin erzählt hat, als er das letzte mal hier war, ja?“, fragte Ginny.

Melody nickte zögernd und unsicher.

„Justin sagte damals aber, dass du Flügel hättest“, mischte sich Helen ein.

„Stimmt ja auch, normalerweise hat sie Flügel. Schneeweiße Engelsschwingen, doch als sie durch das Tor ging, das in diese Welt führt, da sind sie verschwunden, ebenso wie Blizzards Katzenohren“, erklärte Justin.

„Ach so und wer ist dann Blizzard? Von ihm hast du letztes mal nichts erzählt“, meinte Ginny.

„Stimmt, damals kannten wir ihn ja auch noch nicht. Wir haben ihn…“, wollte Justin erklären, wurde jedoch von Moritz unterbrochen.

„Er ist der Sohn einer Freundin von mir und als wir vor einiger Zeit da waren, da hat er sich uns angeschlossen“, erklärte er mit deutlich weniger Worten, als Justin genutzt hätte, wer der Chito war.

„Okay“, machte Ginny und sah dabei leicht überrumpelt aus, weil sich Moritz so ungeduldig angehört hatte.

„Die beiden können doch hier bleiben, solange wir hier sind?“, bat Justin.

„Wie, was soll das heißen, solange ihr hier seid“, Ginny sah ihren Sohn fast schon entsetzt an und auch Helen machte große Augen. Sie beide hatten wohl angenommen, dass Moritz und Justin nun wieder in der Menschenwelt leben würden, dass sie nur die Phönixe finden wollten, das wussten die beiden Frauen ja noch nicht.

„Nein, wir werden noch einmal gehen. Wir haben die Aufgaben gestellt bekommen, die Phönixe zu finden und sie wieder zurück zu bringen, zu ihrer Heimat, den Flammenberg. Und wenn wir das geschafft haben, dann werden wir die Zentauren befreien und wenn auch dies geschafft ist, dann kommt der… na ja, sagen wir mal, der finale Kampf. Und was danach kommt und ob es ein danach gibt, das werden wir erst dann sehen können“, erklärte Justin.

„Was soll das denn wieder heißen?“, fragte Ginny alarmiert.

„Das soll einfach nur das bedeuten, was ich gesagt habe“, antwortete Justin, dann stieß er sich von der Spüle ab.

„Kommt mit ihr zwei, ich werde euch zeigen, wo ihr schlafen werdet und wenn ihr wollt, dann zeige ich heute noch ein wenig die Gegend“, erklärte er. Dann viel dem Rotschopf plötzlich noch etwas ein und mit schnellen Schritten war er bei dem Kalender, der in der Küche hing und ungläubig starrte er darauf.

„Also das glaubt man nicht…“, brummte er.

„Was denn?“, wollte Helen gleich wissen.

„Ich bin genau richtig zurück, dass ich morgen zur Schule kann. Ich hatte gehofft, das noch Ferien sind, wenn ich herkomme und wir somit viel mehr Zeit hätten, alle zusammen nach den Phönixen zu suchen, aber so wie ich dich kenne-“, er wandte sich Ginny zu, „-killst du mich, wenn ich schwänze.“

„Zu Recht“, fand Ginny.

Justin schnaubte unwillig, dann deutete er den beiden, ihm nach oben zu folgen.

Bei Timo

Timo klingelte an der Haustür und grinste dabei Shadow unsicher an.

„Ich würde euch beide ja ganz gerne galant hereingeleiten, aber leider habe ich keinen Schlüssel mit“, erklärte er.

„Und wie willst du dann überhaupt herein kommen? Bis einer deiner Familie hier auftaucht kann doch noch eine ganze Weile vergehen“, bemerkte Shadow dazu.

„Deswegen habe ich ja auch geklingelt, meine Liebe“, antwortete der Schwarzhaarige mit einem nachsichtigen lächeln.

„Du hast was? Erklär das mal, was heißt denn klingeln?“, wollte Moon wissen, die in ihrer Menschengestalt neben den beiden stand.

„Na ja, ich drücke den Knopf und dadurch wird ein Mechanismus in gang gesetzt, der dann eine art Glocke betätigt und das ergibt einen Ton. Und den Ton hört man im ganzen Haus. So wissen wir, ob jemand zu besuch kommt, versteht ihr?“

Moon nickte, doch Shadow legte fragend den Kopf schief.

„Du verstehst es nicht, nicht wahr?“, fragte Timo seufzend.

„Nein, nicht so ganz“, bestätigte Shadow, „was soll denn ein Mechanmus sein?“

„Mechanismus. Na ja, wenn du eine Falle stellst, dann stellst du die doch so, das erst etwas ganz bestimmtes passieren muss, damit die Falle zuschnappt, stimmt’s? Und na ja, das ist eben ein Mechanismus“, erklärte Timo.

„Ach so. Okay, dann habe ich es jetzt verstanden“, nickte Shadow.

Timo nickte auch, jedoch eher gelangweilt und ließ die Klingel noch einmal schrillen.

„Ja, ja, ich komme ja schon!“, rief die Stimme seiner Schwester Marie aus dem Haus und einige Sekunden später riss sie die Tür auf. Einen Augenblick lang starrte sie ungläubig auf Timo, dann viel sie ihm mit einem Schrei um den Hals.

„Timo! Da bist du ja wieder!“, rief sie schlurzend.

„Ja, da bin ich wieder, Marie, und wenn du so weitermachst, dann bin ich aber nicht mehr lange da, weil du auf dem besten Weg bist, mich zu erwürgen!“, japste Timo, doch Marie ließ ihn erst eine ganze Weile später wieder los.

„Wo warst du denn schon wieder?“, fragte sie dann traurig.

„Dort, wo ich auch das letzte mal war, sind Mama und Papa da?“, wollte er seinerseits wissen.

„Nein, die sind nicht da, sie sind heute Nachmittag in die Stadt gefahren, werden aber wohl bald wiederkommen“, antwortete Marie.

„Gut, ich hatte schon befürchtet, sie seien da“, atmete Timo erleichtert auf, wandte sich dann Shadow und Moon zu, „kommt rein.“

Die beiden schauten sich fragend und neugierig um, als sie in das Haus traten. Timo lotste sie alle in das Wohnzimmer und drückte einen nach den anderen auf das Sofa nieder.

„Okay, Marie, ich werde dir jetzt erzählen, was los ist. Bitte unterbrich mich nicht, und tu nicht so, als wäre ich nicht ganz richtig im Kopf, ich weiß selber, wie sich die Geschichte anhört, aber ich werde sie dir im nachhinein beweisen. Ist das okay?“, fragte er.

Marie nickte verwirrt und Timo begann zu erzählen, er ließ nichts aus, ging jedoch auch nirgends ins Detail, sodass er nach kaum einer Stunde fertig war.

Maries Augen begannen dabei immer und immer mehr zu glänzen und als Timo von Shadow oder Moon erzählte, da strahlte sie die beiden an, wie ein kleines Kind, das sich schon immer einen Hund wünschte und da saß er nun, unterm Weihnachtsbaum.

„So und das ist die ganze Geschichte. Nun sind wir hier, um die Phönixe zu finden, und wenn wir das geschafft haben, dann werden wir die letzten beiden Aufgaben in Angriff nehmen“, endete Timo.

„Das…“, Marie suchte sichtlich nach Worten und strahlte die drei sowohl ungläubig als auch voll Freude an, „die Geschichte ist der Oberhammer! Und wenn sie, wie du sagst, vollkommen wahr ist, dann…“

„Genau, ich wollte es dir ja noch beweisen. Na ja, genauso genommen kann ich selbst es weniger, da ich meine Verwandlungen nicht kontrollieren kann. Aber Moon, und Shadow, könnte einer von euch beiden das bitte übernehmen?“, bat er.

Moon nickte, stand auf und schloss die Augen. Sie konzentrierte sich und langsam aber beständig verwandelte sich ihr Körper von dem eines Menschen in den eines Wanderfalken. Während sie immer und immer kleiner wurde, wurden Maries Augen immer und immer größer, sodass Timo bald Angst bekam, sie könnten ihr herausfallen, denn noch nie hat er gesehen, dass ein Wesen die Augen so weit aufgerissen hatte.

„Das ist ja…“, flüsterte Marie ungläubig.

„Ich denke, spätestens jetzt glaubst du mir, oder?“, fragte er und Marie nickte wie betäubt.

„Oh ja, spätestens jetzt würde jeder dir glauben…“, meinte sie wie in Trance, dann schien sie zu erwachen und schaute Timo wieder fragend an.

„Und sie ist tatsächlich deine richtige Mutter? Und, und kannst du dich auch so verwandeln?“

„Ja, ist sie, aber ob ich mich auch verwandeln kann, das weiß ich nicht, ich habe es nie versucht“, meinte Timo.

„Kannst du. Kannst sicher, denn wir sind vom selben Blut und jeder Chito hat diese Fähigkeit. Du auch, du musst sie haben“, mischte sich Shadow ein.

Timo nickte: „Ja, mag sein, aber ich habe es nie versucht und ich bezweifle auch stark, das ich es einfach so könnte. Ich habe über meine Verwandlungen keinerlei Kontrolle, die hatte ich noch nie. Vielleicht lerne ich sie irgendwann… ist ja auch egal.“

„Das ist gewiss voll toll, sich in ein Tier zu verwandeln. Und dann kann man vielleicht auch fliegen!“, ereiferte sich Marie,

„Fliegen kann unsereins auch ohne, das wir uns extra in ein Vogel verwandeln, und schwimmen können wir selbst dann nicht, wenn wir zu Fischen werden. Chito sind Geschöpf der Winde, wir haben uns erst in tausenden Jahren so entwickelt, das wir auch auf Erden laufen können, aber dennoch ist unser Reich das Reich der Winde“, erklärte Shadow.

Marie nickte.

In dem Moment hörten sie einen Schlüssel im Schloss und wie die Tür aufging. Timo machte ein Gesicht, als hätte er Zahnschmerzen, den er hatte Angst vor der Reaktion seiner Eltern auf Moon. Und wie sie reagieren mögen, wenn sie seine Geschichte hörten, den er musste sie ihnen irgendwann einmal erzählen und hier und jetzt hatte er wenigstens die Möglichkeit, Shadow oder seine Mutter darum zu bitten, auch gleich den Beweis zu liefern. Er stand auf und trat einen Schritt in Richtung Flur, als Tina, seine Ziehmutter eher zufällig ins Wohnzimmer schaute, während sie sich mit ihrem Mann über etwas unterhielt, was Timo nicht interessierte, weswegen er auch nicht zuhörte.

„Hallo“, machte er und hob zum Gruß leicht die Hand.

Tina stockte in der Bewegung und starrte Timo an, als würde ein Geist vor ihr stehen, und nicht ihr Ziehsohn.

„Timo…“, murmelte sie, dann ging sie die paar Schritte hin zu dem Jungen und schloss ihn so fest in die Arme, das Timo keine Luft mehr bekam und schon dachte, er müsse ersticken, als Tina ihn endlich losließ.

Steffan, der still dazu getreten war, stand auch jetzt vollkommen reglos da und schaute Timo an, mit einer solchen Erleichterung in seinem Blick, wie Timo sie nie zuvor in den Augen eines Menschen gesehen hatte.

„Ich will euch etwas erzählen“, sagte Timo dann.

„Du bist doch gerade erst angekommen, wir haben dich doch kaum richtig begrüßen können!“, protestierte Steffan.

„Ja, das stimmt zwar, aber ich werde auch nicht lange bleiben und ich will euch erklären, was los ist, warum ich immer und immer wieder für so lange Zeit weg muss, wo ich in dieser Zeit bin, und warum ich jetzt hier bin und Shadow und Moon mitgebracht habe und… nun, meine Geschichte wird einfach alles erklären, und ich werde sie auch beweisen können. Ich weiß jetzt schon, das ihr mir nicht glauben werdet, aber wartet ab…“, erklärte Timo, setzte sich dann wieder neben Shadow und deutete seien Zieheltern, sich ebenfalls zu setzen und ihm einfach nur zuzuhören. Zum zweiten mal erzählte er die Geschichte, diesmal ein wenig ausführlicher und als er fertig war, gab er seinen Zieheltern keinerlei Chance, auf irgendeine Weise zu reagieren, sondern deutete seiner Mutter, sich wieder zurückverwandeln. Während sie das tat, stand er auf und ging, denn er wusste, dass seine Mutter und seine Zieheltern wohl lieber alleine miteinander sprechen würden. Nach kurzem Zögern folgten ihm Shadow und Marie.

„Ich finde es schade, das du bald wieder gehst…“, meinte Marie als sie in Timos Zimmer saßen, das genauso aussah, wie er es vor einigen Monaten verlassen hatte.

„Ja… und nein… Marie, verschwinde bitte, ich habe jetzt keine Lust, zu reden“, brummte Timo als er sich auf sein Bett fallen ließ.

Seine Schwester schaute ihn einen Augenblick lang fragend an, dann nickte sie und ging. Shadow, die sich auf seinen Schreibtischstuhl gesetzt hatte, schaute ihr nachdenklich nach.

„Shadow?“, Timo schaute das Mädchen mit einem leichten, kaum sichtbaren Lächeln an, „komm her…“

Die Chito schaute nachdenklich zu Timo, dann wieder zur Tür und noch einmal zu Timo, dann lächelte sie, nickte und kuschelte sich Timos Arme…

Der Zeitungsbericht

Hey, hallo Justin“, Nadja ließ ihren Isländer Max antraben, um neben Justin zu kommen.

„Hallo Nadja, wie geht’s? Und…“, der Rotschopf musterte das Pony eingehend, „…warum hast du Max mitgenommen?“

„Weil wir doch heute in Naturwissenshaften unsere Haustiere mitnehmen dürfen und Max ist eben mein Haustier. Wo hast du denn die beiden Hunde her?“, wollte Nadja ihrerseits wissen und deutete auf Floh und den großen, weißen Hund, der neben den schwarzen riesen einher lief.

„Das ist Blizzard, der ist mir wie Floh einfach zugelaufen“, erklärte der Junge und war unglaublich froh darüber, das Blizzard jene Fähigkeit hat, die wohl nur den Chito zu eigen ist: das verwandeln in ein Tier. Und natürlich, das er sich in ein Tier verwandelt, das man praktisch überall mithin nehmen konnte.

„Worauf wartest du eigentlich? Du standest hier gerade, wie bestellt und nicht abgeholt“, fand Nadja.

„Na ja, ich warte darauf, das Melody sich endlich traut, über die Straße zu gehen“, erklärte Justin und deutete auf die schwarzhaarige Elbe, die mit regelrecht entsetztem Gesichtsausdruck an der Straße stand und hin und her schaute und dabei die Autos angstvoll anstarrte.

„Wer ist denn die da?“, wollte Nadja sogleich wissen.

„Melody, wie gesagt. Ich würde dir ja gerne mehr über sie erzählen, aber das geht einfach deswegen nicht, weil du mir nicht glauben würdest“, erklärte der Rotschopf achselzuckend, wandte sich dann Melody zu.

„Soll ich dich tragen oder kommst du freiwillig?“, rief er ihr zu.

Melody schien antworten zu wollen, senkte dann aber den Blick und machte einige Schritte zurück. Justin seufzte.

„Floh, bleib, Blizzard, du bleib bitte auch da sitzen“, sagte er und ging zurück zu Melody. Wortlos nahm er sie bei der Hand und führte sie so über die Straße, was Nadja zu einem eisigen Blick in Melodys Richtung veranlasste.

„Wo hast du denn die aufgegabelt?“, fragte sie giftig.

„Aufgegabelt habe ich Melody nirgendwo, im Gegenteil. Sie hat mir die letzten Wochen und Monate sehr geholfen und ist schon lange mehr, als nur eine gute Freundin, gewöhn dich also an sie, es könnte sein, das sie eine ganze Weile hier bleiben wird. Und bevor du fragst: Sie hat solche Angst vor Autos, weil sie so etwas nicht kennt“, erklärte Justin sachlich.

„Ach so und wo um alles in der Welt kennt man keine Autos? Auf dem Mond oder wo?“, wollte Nadja weiter wissen.

„Nein, aber wie gesagt, du würdest mir eh nicht glauben, also ist das nun auch egal. Akzeptiere einfach, das sie da ist, okay?“, bat der Rotschopf schon leicht genervt, von dem einseitigen Zickenkrieg.

„Ja, ja, schon gut“, brummte Nadja unwillig.

„Na, wollen wir es hoffen…“, fand Justin.

Das blonde Mädchen brummte noch etwas unverständliches, dann ließ sie Max im Schritt vorwärts gehen, während Justin nebenher lief, Melody noch immer an die Hand genommen. Die Elbe schaute sich dabei mit großen Augen um, denn ihr war alles Fremd und sie hatte auch ein wenig Angst, obwohl Justin bei ihr war. Von Nadjas Sticheleien hat sie deswegen auch nichts mitbekommen, sonst wäre es eher ein Zickenkrieg von beiden Seiten geworden.

„Warum nimmst du sie denn mit?“, wollte Nadja nach einer Weile wissen.

„Weil ich sie nicht ganz alleine den gesamten Vormittag zu Hause lassen kann. Meine Mutter muss nämlich arbeiten und Moritz hat besseres zu tun, als auf sie acht zu geben. Ich hab eigentlich auch besseres zu tun, als in die Schule zu gehen, aber da kann ich sie wenigstens mitnehmen. Das heißt, wenn die Chang mitspielt“, fügte er hinzu.

„Timo“, bemerkte Melody plötzlich.

„Wer?“, Nadja schaute Melody verwirrt an. Die Elbe zeigte nach vorne, wo der schwarzhaarige Chito in seiner Menschengestalt und in Begleitung einer haselnussbraunen Katze und eines Wanderfalken wartete.

„Ach, Timo kennt sie auch?“, brummte die Blondine mit Meckerstimme.

„Nadja, bitte“, maßregelte Justin „Ich habe keine Lust auf einen Zickenkrieg. Und ja, sie kennt Timo, aber wer mag die Katze sein, die er bei sich hat…?“

„Das ist Shadow in ihrer Tiergestalt. Sie hat doch erwähnt, dass sie eine Katze wird, oder nicht? Na ja, ganz ihrer Haarfarbe nach eine Haselnusskatze“, meinte Melody.

„Stimmt, das ist logisch“, nickte Justin.

„Wie, was? Was ist den daran logisch? Hast du dir mal angehört, was sie genau gesagt hat? Shadow in ihrer Tiergestalt! Katzen sind immer Tiere!“, ereiferte sich Nadja.

Der Rotschopf seufzte, legte dann einen Zahn zu und nach einigen Sekunden hatten sie Timo erreicht.

„Na ihr?“, grüßte der.

„Hi. Shadow?“, fragte Justin einsilbig und deutete auf die Katze.

„Jep, das ist die liebe Shadow. Und Moon ist gerade weg, die wird sich hier in der Gegend ein wenig umblicken, als Vogel hat man eine gute Perspektive“, erklärte Timo.

„Ist mir schon klar. Ich habe sie auch gerade eben noch gesehen. Moritz ist auch schon los. Übrigens hat Nadja keine Ahnung und hält uns gerade für ein wenig…“, der Rotschopf schaute das Mädchen abschätzend an, „nicht mehr ganz richtig im Kopf. Noch vorsichtig ausgedrückt, meine ich.“

„Ja, das trifft die Sache ganz gut, Justin“, fand Nadja und schaute die beiden Jungen an, als während sie geradewegs aus der Irrenanstalt ausgebrochen.

„Ich dachte, du hättest es ihr erklärt“, meinte Timo.

„Hab ich aber nicht. Sie würde uns doch eh nicht glauben. Ich meine, wer würde das denn auch schon? Wenn ich das nicht selbst erlebt hätte, dann würde ich es auch nicht glauben“, fand Justin.

„Stimmt auch wieder. Aber trotzdem immerhin ist sie deine Ex, da dachte ich, das du ihr das schon erzählen würdest, auch auf die Gefahr hin, das sie die Irrenanstalt anruft und dich einliefern will“, meckerte Timo.

„Du kannst es ihr ja erklären, wenn du willst, ich habe es nicht vor, weder jetzt, noch nachher“, bemerkte Justin bissig und deutete Melody mit einer Geste, das sie weitergehen soll.

Nadja, Timo und die Hunde folgten.

„Sagt mal, wollt ihr mich wirklich nicht aufklären?“, fragte die Blondine nach einer Weile des Schweigens.

„Okay… okay, ich denke, das wäre wohl eventuell von Vorteil, wenn wir mehrer Leute hätten, die uns helfen würden, oder?“, überlegte Justin.

„Ja, und wir müssen sie an sich ja auch nur davon überzeugen, das wir nicht in die Klapse gehören und desto mehr wir sind, desto wahrscheinlicher ist es, das wir sie bald finden, also lass uns mal los legen. Also, Nadja, wir werden dir alles erzählen und alles wird die reine Wahrheit sein, ob du es glaubst oder eben nicht, das wird dann wohl deine Sache sein, aber hör uns einfach zu“, bat Timo.

Neugierig nickte Nadja: „Ja, ist okay, aber fangt jetzt endlich an! Ich platze schier vor Neugierde!“

„Okay. Hör zu, alles begann an dem Tag, als ich zu spät zum Nachmittagsunterricht kam…“, Justin erzählte den ganzen Schulweg über, bei jeder sich bietenden Gelegenheit im Unterricht, während den Pausen und den Rest des Tages. Nadjas Blick war dabei immer ungläubiger, aber auch immer faszinierter geworden. Als er am späten Nachmittag, als sie beide, Timo, Shadow, Blizzard, Moon, Melody, Charly, Marie und auch Moritz im Stall saßen, endete, da herrschte erst einmal für eine Weile schweigen.

„Und das soll alles wahr sein, ja?“, fragte Nadja dann, „ich meine, schon klar, die Geschichte ist gut, schreib sie auf und schicke sie an einen Verlag, die Drucken sie sicher und vielleicht machst du ein paar Hunderter mit, vielleicht sogar noch mehr, aber das soll die Wahrheit sein?“

Justin zuckte mit den Schulter: „Mir ist egal, ob du sie mir glaubst, oder eben nicht, wenn Moon, Shadow oder jemand anderes Lust hat, es dir zu beweisen, soll sich der keinen Zwang antun, ich habe von vornherein gewusst, das du mir nicht glauben wirst. Ich würde sie selbst nicht glauben, wenn ich nicht praktisch einer der Protagonisten dieser Geschichte wäre, aber an sich ist es mir auch egal. Wir haben nun auf alle fälle was besseres zu tun, als dich Verbal von etwas zu überzeugen, was du uns sowieso nicht glauben willst, es sei denn, jemand zeigt es dir. Moritz, hast du schon irgendeinen Anhaltspunkt, wo wir die Phönixe finden?“

„Nein, nicht einmal im Ansatz. Aber das habe ich auch nicht erwartet, das wäre viel zu einfach gewesen.“

„Ja, aber vollkommen ohne Hinweise werden wir sie auch nicht finden können. Er muss uns einen Hinweis geben, sonst ist das ein verdammt unfaires Spiel“, wandte Justin ein.

„Stimmt“, nickte Shadow, dann schaute sie Nadja an und grinste plötzlich breit.

„Soll ich dir mal was zeigen?“, fragte sie mit gehässigem Unterton.

Nadja runzelte die Stirn und zuckte dann mit den Schultern. Mit noch gehässigerem Lächeln und gemein zusammengekniffenen Augen begann die Chito sich langsam aber sicher in eine Katze zu verwandeln, woraufhin die Blondine erschrocken zurückprallte und Shadow ungläubig anstarrte, während die schnurrend um Timo herumstrich, der sie geistesabwesend streichelte.

„Was… das… ist…“, stotterte Nadja und starrte sie ungläubig an.

„Justin sagte ja, die Geschichte sei wahr“, bemerkte Melody und konnte sich ein schadenfrohes Grinsen nicht verkneifen, denn Nadja hatte sie den ganzen Tag schon bei jeder sich bietenden Gelegenheit angezickt und anders als am Morgen hatte sie ihr irgendwann auch Beachtung geschenkt.

„Melody, Shadow, seid nicht so gemein zu ihr, das hat sie nicht verdient“, bemerkte Justin plötzlich.

„Ist ja schon gut“, brummte Melody, warf Nadja dennoch einen schadenfrohen Blick zu, während Shadow sich wieder verwandelte und sich in Menschengestalt an Timo lehnte.

„Wo sollen wir nur mit dem Suchen anfangen…?“, murmelte der vor sich hin.

Keiner antwortete darauf, jeder hing einfach nur seinen Überlegungen nach und Nadja begann sich langsam aber sicher von ihrem Schock zu erholen.

„Ähm… na ja, ich habe einen Hinweis, der euch vielleicht weiterhelfen könnte“, bemerkte sie dann leise.

„Was?!“, riefen alle und starrten sie an.

„Warum hast du denn das nicht gleich gesagt?!“, ereiferte sich Justin.

„Na ja, ich stand gerade unter Schock und davor war es mir entfallen. Wartet, ich hole es“, meinte sie und lief aus dem Heuschober. Schon nach einigen Sekunden kam sie mit einer Zeitung wieder, die sie Justin in die Hand drückte.

Der Rotschopf überflog die Seite, fand dann das, was Nadja anscheinend gemeint hatte. Schnell überflog er die Zeilen, lächelte dann wissend und begann vorzulesen:

„Seltsamer Fund in Nordstadt. Am vergangenen Sonntag wurde in den Wäldern bei Nordstadt ein seltsamer Fund gemacht. Ein Vogelbeobachter fand zwei Vögel mit einer höchst merkwürdigen, roten Färbung. Da die beiden Tiere offensichtlich verletzt waren, wollte er sie mitnehmen, doch als er die Tiere berührte, zog er sich leichte Verbrennungen zu. Mithilfe einer Jacke schaffte er es dennoch, die Vögel zu einem nahe gelegenen Tierarzt zu bringen, der beide versorgte. Die Tiere gehören einer bisher unbekannten Art an und werden derzeit im Frenscener Zoo aufgepäppelt. Sie werden derzeitig noch keinen Besuchern vorgeführt, was weiter mit den Tieren geschehen soll, steht zu diesem Zeitpunkt noch nicht fest.“

Nachdem Justin geendet hatte, herrschte Schweigen, alle außer Marie und Nadja grinsten freudig in sich hinein.

„Nun müssen wir die beiden irgendwie im Zoo finden“, sagte dann Timo.

„Und das schränkt unsere Suche schon mal gehörig ein“, nickte Justin.

„Würde uns bitte mal jemand erklären, was ein Zoo eigentlich ist?“, bat Shadow.

„Also, ein Zoo ist ein Ort, an dem wilde Tiere, die vom Aussterben bedroht sind, gezüchtet werden, um die Art zu erhalten und in dem Leute Tiere betrachten können, die sie so nicht sehen würden“, erklärte Justin schnell.

„Okay, ist gut“, sagte Shadow zum Zeichen, das sie verstanden hatte, Melody nickte nur und Moon zeigte darauf keine Regung.

„Lasst uns in den Zoo fahren, vielleicht finden wir ja heute schon eine art Anhaltspunkt“, überlegte Justin und die anderen nickten zustimmend und so machten sie sich auf den Weg. Im Zoo angekommen trennten sie sich, machten einen Treffpunkt und eine Uhrzeit aus und jeder verschwand, um in einem anderen Teil zu suchen. Keiner bereute in diesem Augenblick, das sie so viele waren, denn der Tierpark war riesig und selbst so hatte jeder noch ein großes Gelände abzusuchen, wobei Moon bei weitem die größte Hilfe war, hatte sie aus der Luft den besten Überblick. Doch auch Blizzard, der bei ihrer Besprechung im Hof mit einigen der Hunde gespielt hatte, war eine große Hilfe, hatte er doch seine gute Nase zur Verfügung. Und so suchten und suchten sie den Zoo ab, doch keiner fand auch nur eine Spur der Feuervögel.

Als sie sich eine Stunde später an ihrem Treffpunkt trafen, seufzten sie alle tief.

„Wie vom Erdboden verschluckt“, beschwerte sich Marie.

„Das kannst du aber laut sagen“, brummte Moritz.

„Wir sollten für heute nach Hause gehen und morgen noch einmal länger und gründlicher suchen“, fand Justin mit einem Seufzen. Die anderen nickten zustimmend und so gingen sie nach Hause.

Die Phönixe

Wo kann können sie nur sein, wo denn nur…“, murmelte Melody vor sich hin und schaute sich suchend um, doch abgesehen von einigen Zoobesuchern und einem Löwen, der faul in der Sonne lag, sah sie nichts.

Langsam und aufmerksam um sich blickend, ging sie weiter und war bald im Vogelhaus angekommen. Sie schlenderte gelangweilt durch die Gänge, als ihr eine Tür auffiel, auf der ein großes Schild mit der Aufschrift DAS BETRETEN VON UNBEFUGTEN IST STRENGSTENS UNTERSAGT!! hing.

Neugierig ging sie näher, schaute sich kurz um und als sie sah, das niemand in der Nähe war, versuchte sie die Tür zu öffnen, doch wie sie nicht anders erwartet hatte, war sie abgeschlossen. Doch Melody grinste nur leicht vor sich hin, legte ihre Hand auf das Schloss und konzentrierte sich. Schon nach wenigen Augenblicken erscholl ein leises Klicken und als sie nun die Klinke hinabdrückte, öffnete sich die Tür. Sie schlüpfte in den dunkeln Raum und nach einer kurzen Suche nach dem Lichtschalter, ließ sie eine Lampe unter der Decke aufflammen. Kurz war sie geblendet von der Helligkeit, dann jedoch erkannte sie, dass sie nicht allein im Raum stand. Justin stand vor ihr und schaute sie halb über die Schulter hin an. Oder nein, es war nicht Justin, der dort stand, den dieser Kerl hatte weit längeres, verfilzteres Haar und trug vollkommen andere Kleider, als der Rotschopf sie vorhin noch getragen hatte. Doch der größte Unterschied zu Justin war wohl sein Blick. Der Kerl schaute nicht einmal besonders böse und dennoch hatte Melody das Gefühl, Luzifer selbst gegenüber zu stehen. Sein Blick war kalt wie Eis und vollkommen mitleidlos. Der Blick eines Menschen, der nie ein nettes Wort zu hören bekommen hat, deren gesamtes Leben nur aus Pein und Angst bestanden hatte. Vollkommen still stand er da und schaute Melody an und versuchte dabei wohl ein wenig zu Lächeln, obwohl es nicht mehr war, als ein bloßes verziehen der Lippen, das einem eher Angst machte, als Mut, wie es ein Lächeln sonst meistens tat. Er sagte nichts und Melody sagte nichts, sie schauten sich beide nur an, dann nickte er.

„Ich kenne dich. Du bist die Herrin des Elbenreiches, nicht wahr?“, fragte er und wandte sich Melody nun vollständig zu. Sie nickte.

„Ja, ganz recht, die bin ich, aber wer bist du?“, fragte sie bissig.

„Das ist nicht von belang. Ich bin euer Verbündeter, jedoch ein Verbündeter des Zwanges. Nimm die Phönixe und bringe sie in ihre Heimat, dann habt ihr auch diese nächst Aufgabe gelöst“, meinte der Kerl.

„Ich weiß, aber wieso hilfst du mir… uns?“, wollte Melody wissen.

„Ganz einfach, weil ich nur die Wahl habe zwischen zwei Möglichkeiten und egal für welche ich mich entscheide, der Tod wird das sein, was ich dafür bekomme. Doch will ich mit meinem Handeln dem Schaden, dem ich mein erbärmliches Dasein zu verdanken habe, wegen dem ich das bin, was ich bin. Das ist der einzige Grund. Vielleicht treffen wir uns auch bald wieder und dann habe ich andere Gründe, aber bis dahin leb wohl“, antwortete der Kerl, machte einige Schritte und war dann verschwunden.

Melody blieb wie erstarrt da, wo sie war, etwa tausend Gedanken wirbelten ihr durch den Kopf.

„Melody? Was machst du denn hier?“, fragte die Stimme Justins, „Hast du vergessen, das wir uns treffen wollten, schon vor…“

Anscheinend hatte er die Phönixe gesehen, denn er stockte mitten im Satz, trat vollendens in den Raum und an Melody vorbei zu dem Käfig, indem die Feuervögel saßen, mit ihrem feurigroten und goldenen Gefieder.

Auch die anderen, die gesamte Gruppe trat ein und bewunderte die beiden Feuervögel.

„Du hast sie ja gefunden!“, rief Timo aus und strahlte dabei sichtlich.

„Wie du sehen kannst…“, murmelte Melody sah dabei jedoch noch immer abwesend aus.

„Was hast du?“, fragte Moritz, dem dies gleich aufgefallen war, während Justin das Schloss öffnete.

„Bis eben, bevor ihr gekommen seid, war hier ein junger Mann und der war merkwürdig“, murmelte sie.

„Inwiefern?“, hakte Timo nach und sie alle ringten sich um Melody und vor allem Justin sah sie mit einem sonderbarem Blick an, denn er ahnte schon, was sie sagen würde.

„Na ja, er sah Justin unglaublich ähnlich, also nein, er sah ihm nicht nur ähnlich, sondern die beiden sind… waren… na ja, absolut identisch, von Kleinigkeiten mal abgesehen. Nur war er anders, auf schwer zu beschriebene weise“, fand sie.

„Das war wahrscheinlich der gleiche Kerl, den ich in meinen Visionen gesehen habe, mehrfach“, überlegte Justin und Melody nickte zustimmend, während die anderen eher ratlose Gesichter zeigten. Nur Moritz nicht, der sah eher nachdenklich aus, wie schon zuvor immer, wenn Justin den Fremden beschrieben hatte.

„Moritz, wer ist es?“, wollte der Rotschopf darum wissen.

„Das…“, begann Moritz, doch Justin schnitt ihm mit einer Geste den Satz ab: „Nein, sag lieber nichts, bevor wieder so etwas kommt wie „Das kann ich euch aber nicht sagen“.“

Moritz nickte: „Okay, ich wollte aber eigentlich sagen, das ich es dir erzählen werde, Justin, aber nur dir, und nicht hier, sondern zu hause. Wenn ich denke, das es an der Zeit ist, es dir zu erzählen, wenn ich es dir zumuten kann. Außerdem will ich zuvor noch mit Ginny sprechen, denn sie betrifft das genauso sehr, wie dich, nur auf andere weise.“

Justin schaute seinen Vater einige Sekunden wortlos und forschend an, dann nickte er. „Ist okay. Aber da wir die beiden Phönixe jetzt haben, sollten wir verschwinden, bevor jemand herkommt und unangenehme Fragen stellt. Dann können wir auch besprechen, was wir als nächstes tun.“

Sie nickten alle wie auf Knopfdruck und gingen einer nach dem anderen hinaus, aus dem Raum, während Justin und Timo die Phönixe in ihren Rucksäcken versteckten. Nachdem ersterer den beiden erklärte hatte, was sie vorhatten, ließen die alles widerstandslos über sich ergehen und die Rucksäcke waren groß genug, das die beiden ausreichend Platz hatten. Sie waren kaum größer, als ein Mäusebussard.

Möglichst unauffällig und dennoch so schnell, wie es irgendwie ging, verließen sie den Zoo und saßen schon kurze Zeit später auf einem alten Spielplatz mitten im Wald. Timo und Justin ließen die beiden Phönixe hinaus.

„Ich hoffe, es war euch nicht zu unangenehm, in den Rucksäcken?“, erkundigte sich der Rotschopf.

»Nein, da sie uns die Freiheit brachten, würden wir beide dies auch ein zweites mal über uns ergehen lassen, aber es wäre schön, wenn wir das vermeiden könnten«, erklärte einer der beiden Feuervögel.

„Unwahrscheinlich, dass ihr noch ein zweites mal hinein müsst, zumindest, wenn ihr euch die Nacht über hier im Wald verstecken könnt. Morgen werden wir dann wieder in eure Welt zurückreisen und euch zurück zum Feuerberg bringen“, erklärte Justin.

„Morgen werdet ihr schon wieder gehen?“, fragte Nadja fast schon entsetzt.

„Desto eher, desto besser ist es und wir können uns überlegen, was wir hiernach endgültig tun wollen. Wer hat euch eigentlich verletzt und hergebracht?“, wollte Justin weiter wissen.

»Der Todesgott selbst hat uns gefangen und unsere Schwingen verstümmelt, damit wir ihm nicht davon fliegen können«, antwortete der andere Phönix.

„Dachte ich mir. Egal, versteckt euch hier und lasst euch nicht fangen, wir werden morgen wieder herkommen um euch abzuholen“, erklärte Justin.

»Und wie sollen wir jemanden entkommen, wenn wir nicht fliegen können?«

„Phönixe können doch heilen oder nicht? Eine Phönixträne soll selbst die grässlichsten Wunden heilen können“, bemerkte der Rotschopf.

»Ja, das stimmt schon, nur können wir uns selbst nicht heilen«, widersprach einer der Feuervögel.

„Ach so. Das habe ich nicht gewusst, aber was machen wir denn dann? Ich meine, wenn eure eigenen Zauber bei euch versagen, wie sollen es dann andere Zauber schaffen?“, Justin runzelte die Stirn.

„Was ist denn das Problem?“, fragte Moritz.

„Sie können nicht fliegen, ihrer Flügel wegen und sie können sich auch nicht selbst heilen, aber irgendwie müssen sie doch hier bleiben oder nicht?“

„Kein Zauber der Welt kann einen Phönix heilen, wir werden sie wohl mitnehmen müssen“, fand Melody.

„Dann müsst ihr doch wieder in die Rucksäcke und morgen früh auch noch einmal, ist das in Ordnung, für euch?“, wollte Justin von den Phönixen wissen.

»Ja, ist es. Wenn wir dafür wieder zurückkommen, dann würden wir fast alles tun«, erklärte der andere der Phönixe.

„Gut, dann wieder hinein, in die Rucksäcke, Melody, du nimmst bitte einen der beiden, okay?“, bat der Rotschopf. Melody nickte.

„Gut, gehen wir nach Hause“, fand Timo und deutete Marie, dass sie mitkommen soll. Langsam aber sicher verstreute sich die Gruppe. Sie alle gingen nach Hause, voller Vorfreude auf ein warmes Bett, das sie erwartete.

Jerry

Es war kein Problem, Ginny davon zu überzeugen, das die beiden Feuervögel dableiben sollten. Schon kurze Zeit danach hat Moritz sie mit einem gequält anmutenden Blick in einen ruhigen Raum gedrängt und die beiden waren seither nicht mehr herausgekommen. Melody, Blizzard und Justin hatten es sich auf der Couch im Wohnzimmer bequem gemacht, als der jungen Elbe auch schon fast die Augen zu vielen.

„Wenn du müde bist, dann geh schlafen“, fand Justin, nachdem er sie einen Augenblick lang beobachtete hatte.

„Ach, nein, nein, ich bin nicht müde“, meinte Melody, jedoch gähnte sie dabei so herzhaft, das Justin lachen musste.

„Nein, ist klar, wie kann man denn nur so munter sein, wie du?“, fragte er mit ironischem Augenzwinkern, schaute dann hinüber zu Blizzard, der sich auf den Boden zusammengerollt hatte.

„Der Kleine schläft schon, oder?“, fragte er mit einem Lächeln.

„Ja, schon seid einer ganzen Weile“, nickte Melody.

Lächelnd stand Justin auf und nahm Blizzard auf den Arm. Wie ein kleines Kind trug er den Jungen nach oben, wohin Melody ihn folgte. Die Elbe machte es sich auf dem Bett bequem, während Justin Blizzard im Raum nebenan ins Gästezimmer legte und sorgfältig zudeckte. Dann ging er in sein Zimmer zurück, blieb jedoch im Türrahmen stehen und betrachtete Melody mit glänzenden Augen, während die sich ins Bett kuschelte.

„Worauf wartest du noch“, fragte sie und schaute ihn seltsam auffordernd an.

„Vielleicht auf deine Aufforderung…“, erwiderte Justin leise und zärtlich und ging langsam zu dem Mädchen. In dem Moment hörte er, wie im unteren Stockwerk eine Tür aufging.

„Justin! Komm runter, ich will mit dir reden!“, rief Moritz nach oben.

Einen Augenblick lang blickte Justin in Richtung Tür, dann wieder zu Melody und wieder zur Tür.

„Geh runter, vielleicht erzählt er dir ja jetzt endlich etwas“, forderte sie ihn auf und nach kurzem Zögern nickte Justin und ging die Stufen wieder hinab. Moritz saß in der Küche und machte ein Gesicht, das zwischen unglaublicher Erleichterung und Angst, ja fast schon Panik schwankte. Wortlos setze er sich Moritz gegenüber und schaute ihn forschend an. Keiner sagte etwas, und das eine ganze Weile lang. Sie schauten einander nur in die Augen.

„Ich dachte, du würdest anfangen“, meinte dann Moritz mit einem Seufzen.

„Und ich wollte auf keinen Fall anfangen, immerhin hast du mich hergeholt“, erklärte Justin.

„Ja, schon, aber du bist doch derjenige, der mich genervt hat, zu erfahren, wer er ist, was sich hinter dem Namen Jerry für ein Geheimnis verbirgt und nun tust du so, als würde dich das alles nichts mehr interessieren“, bemerkte sein Vater.

„Das siehst du falsch, mich interessiert schon, wer er ist, aber ich habe beschlossen, dich nicht mehr zu nerven, sondern zu warten, bis du von selbst kommst“, erklärte Justin.

„Jetzt kannst du mich aber gerne nerven, das würde die Sache für mich nämlich leichter machen“, fand Moritz, doch sein Sohn antwortete nicht.

„Okay. Nun, seinen Namen kennst du ja schon, aber na ja, Jerry ist nicht irgendwer, er ist jemand ganz besonderes, er ist ein ganz besonderer Mensch, besonders für dich, auch wenn du ihn nicht kennst, zumindest nicht so richtig“, Moritz schien sich um eine klare Aussage drücken zu wollen.

„Moritz, raus mit der Sprache, bitte. Du kannst dich eh nicht drücken, vor dem, was du mir sagen willst, also sag es einfach. schnell und gerade heraus, dann hast du es hinter dir“, fand Justin deswegen.

Moritz nickte, denn sein Sohn hatte definitiv recht. Einen Moment lang starrte er still vor sich hin, dann nickte er noch einmal, diesmal schier zu allem entschlossen, stand auf und nahm eine Anzahl Karten von der Ablage. Einen Moment lang schaute er sie noch an, dann reichte er sie wortlos seinem Sohn.

Justin betrachtete sie neugierig, klappte dann die erste auf und las, was innen stand. Dasselbe mit der nächsten und mit der darauf folgenden, bis er alle Karten durch hatte. Es waren alles Glückwunschkarten, von Freunden und Bekannten sowohl für Moritz als auch für Ginny, in der zur Kindesgeburt gratuliert wurde.

Justin legte sie auf den Tisch und schaute Moritz erwartungsvoll an, denn eine Karte hatte er bei sich gehalten. Auch die reichte er nun Justin. Es war eine Geburtsurkunde. Der Name des Kindes war Jerry Malek.

„Er ist also mein Bruder“, meinte Justin in einem Ton, als wäre es ihm egal, als würde ihn das alles nichts angehen.

„Schau auf das Geburtsdatum“, forderte Moritz und Justin suchte nach dem eingetragenen Datum. Eine kleine Weile starrte er die acht Zahlen an, dann klappte er die Karte zu und warf sie auf den Tisch.

„Warum?“, mehr fragte er nicht.

„Warum was?“, ob Moritz seine Frage wirklich nicht verstand oder sich einfach nur dumm stellen wollte, das wusste Justin nicht.

„Warum habt ihr mir nicht gesagt, das ich einen Bruder habe, mehr noch, einen Zwillingsbruder“, wollte er wissen.

„Nun, es ist so, das… nun, Jerry war als Baby plötzlich verschwunden, er war einfach nicht mehr da. Wir haben natürlich die Polizei eingeschaltet und auch überall gesucht, obwohl es natürlich mehr als nur unwahrscheinlich ist, das ein Säugling von gerade mal drei Monaten einfach so die Biege macht. Er war eben einfach nicht mehr da, und wir haben uns irgendwann einfach damit abgefunden, so grausam das auch klingen mag. Nur haben wir nie einen Grund gesehen, es dir zu sagen, wir hielten Jerry für Tod. Theo hat das eine oder andere mal eine Bemerkung gemacht, ebenso wie Susi, doch ich wollte mir keine Hoffnungen machen, also habe ich den Gedanken, das der Junge noch leben könnte immer und immer wieder beiseite geschoben und es für unwichtig abgetan. Wenn er wirklich nicht mehr gelebt hätte, wäre es auch höchst unwahrscheinlich gewesen, das du je erfahren hast, dass Jerry irgendwann einmal existiert hat“, erzählte Moritz.

Justin schwieg, beobachtete seinen Vater dabei jedoch ganz genau.

„Okay, das verstehe ich und ich hätte wohl auch nicht anders reagiert. Das erklärt auch deine merkwürdigen Reaktionen, wenn ich von ihm erzählt habe, aber warum bin ich so sehr mit ihm verbunden? Ich meine, er ist zwar mein Zwillingsbruder und dennoch… ich verstehe es nicht“, sagte er dann.

„Ich schon. Es gibt immer und immer wieder Märchen, Geschichten, Legenden, wie man es auch nennen mag, von Zwillingen, die die Schmerzen des anderen spürten, auch wenn der Kilometer weit weg war und auch immer wieder davon, das sie wussten, was der andere denkt, sie konnten miteinander kommunizieren, obwohl die halbe Welt sie trennte. Ich dachte immer, das sein ein Märchen, besonderen Dingen und Wesen haben die Menschen immer schon besondere Fähigkeiten angedacht, aber es scheint nicht der Fall zu sein“, erklärte Moritz, dann schaute er Justin nachdenklich an.

„Du scheinst dich aber gar nicht zu wundern, darüber, dass du einen Zwillingsbruder hast“, überlegte er dann.

„Tue ich auch nicht, nicht wirklich. Ich weiß nicht, wieso, aber irgendwie habe ich es geahnt. Nein, nicht geahnt, ich habe es irgendwie gewusst, schon die ganze Zeit über, nur habe ich es nicht bewusst sagen können. So wie in einem Puzzle, alle Teile waren zwar da, nur habe sie noch nicht so zusammensetzen können, dass sie am Ende ein schlüssiges Bild ergeben“, erklärte Justin.

„Ja, ich glaube, ich verstehe, was du meinst“, nickte Moritz.

„Nun, ich denke, ich werde gehen nach oben“, meinte Justin und stand auf.

Moritz nickte und stand ebenfalls auf, um ins Schlafzimmer zu gehen. Als Justin vor seiner Zimmertür stand, da zögerte er jedoch einen Augenblick lang, hinein zu gehen. Viel lieber wäre er jetzt allein gewesen, mit sich und seinen Gedanken, aber er konnte ja Melody schlecht einfach rausschmeißen, vor allem, da er sich in gewisser Weise auch nach ihrer Nähe sehnte. Er wollte zwar alleine sein, brauchte dennoch jemanden, zum Reden, denn obwohl er äußerlich gefasst, ja sogar regelrecht unbeteiligt wirkte, tobte in seinem inneren dennoch ein regelrechter Sturm.

Und so trat er ein, in sein Zimmer, doch niemand richtete sich in seinem Bett auf und keine Stimme begrüßte ihn. Melody schien schon zu schlafen und so trat er ans Bett und setzte sich neben sie. Die Elbe schief wirklich schon und so begann Justin, ihre Wange zu streicheln. Das tat er eine ganze Weile lang während er nachdachte, dann stand er wieder auf, einer stillen Eingebung folgend, und trat ans Fenster heran. Ein goldener Mond schien durch sein Fenster und tauchte die Welt in geisterhaftes Licht. Wie er es früher schon so oft und so gerne getan hat, öffnete er das Fenster und kletterte auf das Dach und wie er sah, war er nicht der erste, der diese Idee hatte.

„Schön, dich auch einmal persönlich kennen zu lernen“, bemerkte Justin und krabbelte das schräge Dach ein Stück hinauf, denn weiter oben hatte er besseren halt.

„Ich habe auf dich gewartet“, begrüßte Jerry ihn, schaute dabei jedoch nicht am Dach hinab, sondern betrachtete weiter den goldenen Mond, der sich wunderbar klar in seinen Augen spiegelte. Justin krabbelte zu ihm und setzte sich neben ihn. So saßen die beiden Brüder still da und schauten in den Himmel.

„Wusstest du, das ich kommen würde oder hast du es gehofft?“, fragte Justin dann.

„Ich… denke, beides“, antwortete Jerry geheimnisvoll.

„Hilfst du uns eigentlich oder arbeitest du gegen uns?“, wollte Justin weiter wissen und Jerry schaute ihn an. Justin schauderte unter dem Blick seines Bruders, denn dessen Augen waren eiskalt.

„Früher wart ihr meine Feinde, aber nun habe ich die Wahl dazwischen, ihm zu gehorchen und deswegen sterben zu müssen, sobald du stirbst oder ich kann mich ihm widersetzen und ihm so noch eins auswischen, bevor er mich umbringt. Oder dich, aber das ist letzten Endes kein Unterschied mehr. Der Tod erwartet mich in jedem Fall“, fand Jerry.

„Wie meinst du das?“, wollte Justin wissen.

„Nun, unsere Leben sind miteinander verbunden. Wir spüren das gleiche, wenn wir es wollen, können wir auch die Gedanken des anderen lesen, wie in einem offenem Buch und wir werden in der gleichen Sekunde sterben, einfach nur, weil der eine nicht existieren kann, ohne den anderen. Wir sind ein wenig so, wie zwei Seiten einer Medallie. Wir sind ein Wesen, geteilt, auf zwei Körper“, erklärte Jerry und Justin verstand, was er sagen wollte.

„Wenn du meinst, dass er dich umbringen wird, dann gehe doch einfach nicht wieder zu ihm zurück“, schlug Justin nach einer kurzen Zeit der Stille in einem Anflug kindlicher Naivität vor.

„Würdest du Melody selbst ein Schwert ins Herz stoßen?“, fragte Jerry darauf.

„Nein, natürlich nicht!“, ereiferte sich Justin.

„Dann mach nicht so dumme Vorschläge“, brummte Jerry.

„Wie... meinst du das?“, wollte Justin wissen.

„Na ja, er hat Felicitas als Druckmittel und wenn ich nicht zu ihm zurückgehe, dann wird er sie umbringen und das wäre in etwa so, als würde ich ihr selbst ein Messer ins Herz stoßen“, erklärte sein Zwilling.

„Ich verstehe“, meinte Justin.

„Nein, das tust du nicht“, widersprach Jerry mit einem nachsichtigen Lächeln.

„Doch! Klar, natürlich verstehe ich es!“, meinte Justin.

„Vergiss nicht, wer ich bin, Justin“, Jerry gab dem Namen seines Bruders eine ganz besondere Betonung, die gleichzeitig größte Verachtung, fast schon Hass ausdrückte, zugleich aber auch unendliche, bedingungslose Liebe.

„Ich weiß, was du weist und ich weiß auch, wenn du etwas nicht verstehst, wir sind miteinander verbunden, enger als du es dir im Moment noch vorstellen kannst“, erklärte Jerry.

Justin widersprach nicht. Er sagte gar nichts dazu, stattdessen stellte er eine weitere Frage.

„Wusstest du, dass ich dich in meinem Visionen sah? Immer und immer wieder?“

„Natürlich. Ich habe dafür gesorgt, dass du sie siehst, um dir damit meine Botschaften zu übermitteln, um mit dir Kontakt aufzunehmen, um bei dir zu sein, in gewisser Weise. Es hat mehr oder weniger ja auch geklappt.“

„Hast du eigentlich auch solche Fähigkeiten, wie das sprechen mit Tieren oder so?“

Jerry verneinte: „Nein, ich kann nicht mit Tieren sprechen, ich habe an sich keinerlei besondere Fähigkeiten, außer denen, die der Todesgott selbst mir gab. Die Flügel eines Falken und seine Sinne, doch das war es auch schon. Doch will ich eigentlich auch nicht mehr. Ich habe gelernt, mit dem, was ich habe, zufrieden zu sein und mich nicht zu grämen über etwas, was mir sowieso nicht gehören wird. Außerdem wirst du ihr Lehrer sein, nicht ich, deswegen musst du diese Fähigkeiten haben, um eine Ahnung von dem zu haben, was sie einst können wird. Ich nicht.“

„Sollte ich vielleicht auch mal versuchen, so zu denken, auch wenn das für mich schwer sein wird. Ich glaube kaum, das ich auch nur im Ansatz verstehe, wie du denkst, was du in deinem Leben bisher ertragen musstest und inwiefern dich das in deinen Entscheidungen beeinflusst, weswegen du in jedem fall genügsamer bist, als ich, doch versuchen kann man es“, überlegte Justin.

„Da wäre ich mir nicht so sicher“, meinte Jerry.

„Wie, womit? Das ich es nicht versuchen kann, mal genügsam zu sein? Doch, klar kann ich das!“, ereiferte sich Justin ein weiteres mal.

„Nein, nein, das meinte ich nicht. Du weißt ganz genau, wie ich mich fühle, und warum ich auf gewisse weise Handel und alles. Du kennst mich besser als jedes andere Wesen, das je gelebt hat und je leben wird. Das, was ich erlebte ist genau das, was auch du erleben musstest, denn wir sind gleich. Nur kannst du es noch nicht richtig fassen, deswegen verstehst du auch nicht, was ich vorhin sagte. Das ich Felicitas selbst ein Messer ins Herz stoßen würde, wenn ich einfach weg bleibe“, fand Jerry.

„Ich kann mir das irgendwie nicht vorstellen“, murrte Justin unwillig.

„Ich weiß. Vergiss niemals, dass du kein Geheimnis vor mir haben kannst, denn du bist ich. Ich weiß, wie du dich fühlst, ich weiß, was du denkst, ich weiß, was du willst, ich weiß alles über dich, wie du alles über mich. Du wirst dich daran gewöhnen, wie ich selbst es auch tat“, erklärte Jerry und Justin nickte. Er war verwirrt und dennoch hatte er das Gefühl, alles zu verstehen, was Jerry ihm sagte und in diesem Augenblick fühlte er sich mit seinem Bruder verbundener, als jemals zuvor. Das war kein Wunder, hatten sich die beiden doch nur als Babys kennen lernen können und doch wusste er, das er Jerrys Leben genauso gelebt hat, wie sein eigenes, denn, wie hatte sich Jerry ausgedrückt? Sie waren ein und dieselbe Person, gespalten auf zwei Körper.

„Ich habe noch eine Frage an dich und sie ist wichtig“, sagte Justin in die wieder herrschende Stille.

„Dann frag“, brummte Jerry.

„Nun, der Todesgott. Ich weiß, dass er einst ein Mensch war, aber wer war er? Hast du ihn kennen gelernt, als er einer war oder war er für dich immer schon der Todesgott?“, Justin schaute seinen Bruder forschend und auch ein wenig scheu an, denn er hatte Angst vor der Antwort. Warum, das wusste er nicht.

„Nein, ich habe ihn als Mensch nie kennen gelernt, als wir uns trafen, da war er schon ein Gott. Der Meister brachte ihn mit und befahl mir, ihm zu gehorchen, das war vor etwa drei Jahren. Was davor war, das weiß ich nicht“, antwortete Jerry.

„Der Meister? Welcher Meister? Ich habe gedacht, der Todesgott sei schon immer dein Meister gewesen!“, rief Justin und starrte Jerry fast schon entsetzt an. Der lachte leise.

„Oh nein, der Todesgott ist einfach nur einer der Schüler meines Meisters. Er holt sich die, die am vielversprechensten sind und formt sie nach seinem gedenken. Aber denke jetzt nicht, er sei Böse, denn das ist er nicht. Er formt seine Schützlinge sowohl zum guten als auch zu bösen, weil er weiß, das es nicht möglich ist, das es nur eine rein gute Welt gibt, oder nur eine rein böse. Er hält die Welt im Gleichgewicht, aber auf seine Weise. Anders als der Todesgott hat er mich auch immer gut behandelt, weder hat er mich jemals geschlagen, noch Hungern lassen, noch irgendetwas anderes“, erklärte Jerry.

„Ach so. Ich denke, diesmal verstehe ich, was du meinst, aber ist dein Meister dann nicht auch so etwas wie ein Gott? Also ähnlich, wie der Todesgott?“, überlegte Justin.

„Ja und nein. Er ist in gewisser Weise ein Gott, aber mehr so etwas wie ein Übergott, also praktisch der Gott der Götter. Und zugleich aber auch nicht. Götter haben die Aufgabe, über ihre Welt zu wachen, dafür zu sorgen, was es sowohl schlecht Jahre gibt, aber auch gute, in jeglicher Beziehung, aus verschiedenen Gründen, mein Meister aber sorgt nur dafür, das die Welt im Gleichgewicht bleibt, er bestimmt nicht, ob die Ernte gut wird oder nicht, ebenso ist es für ihn uninteressant, ob irgendeine Art ausstirbt oder so etwas, er sorgt einfach nur dafür, dass das Gute nicht überhand nimmt, genauso wenig wie das Böse, dann eine rein gute Welt würde sich unweigerlicht selbst zerstören, ebenso, wie eine rein schlechte Welt. Und um das zu erreichen, sucht er sich immer ganz bestimmte Leute aus, bei denen das Gute oder eben das Böse überwiegt und nimmt sie entweder zu sich, um sie zu lehren oder aber er lässt den Dingen seinen Lauf, solange, bis er einschreiten muss, weil plötzlich das Entgegengesetzte zu überwiegen droht“, erklärte Jerry und langsam, zögernd nickte Justin.

„Ich denke, ich verstehe, was du meinst, irgendwie zumindest. Hat er dir das gesagt?“

„Ja und nein. Er hat es im Prinzip schon gesagt, nur eben über Rätsel, die ich selber lösen musste.“

„Aber noch einmal zum Todesgott. Ich verstehe nicht so ganz, einst sagte er mir, er wolle mit mir spielen und nun will er mich umbringen. Wieso auf einmal? Ich egal wie sehr ich nachdenke, ich verstehe es nicht“, murrte Justin.

„Na ja, er lernt langsam, das du ihm gefährlich werden kannst, gefährlicher, als jedes andere Wesen, das es gibt und das, obwohl du eben nicht der Weltenretter bist. Einst sah er in der ganzen Sache nur ein Spiel und zwar eines, das er ganz sicher gewinnen würde, doch das ändert sich langsam. Er hatte nicht einmal damit gerechnet, das ihr die Minotauren überlebt, das ihr es geschafft habt, hat ihn mehr als alles andere vor Augen geführt, wie gefährlich zu wirklich bist und nun hat er einfach Angst. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Doch ein Gegner, der Angst hat, kann gefährlicher sein, als einer, der selbstsicher ist“, sagte Jerry und stand auf, „Ich muss jetzt gehen. Ich bin schon viel zu lange hier.“

„Willst du wirklich wieder zurück zu ihm? Vielleicht könnte es dir gelingen, Felicitas her zu bringen, dann müsstest du nicht wieder zu ihm“, überlegte Justin.

„Justin, vergiss niemals, das du es mit einem Gott zu tun hast. Er würde Feli überall finden und kann sie so auch überall wieder einfangen“, verneinte Jerry.

Justin seufzte tief, nickte dann aber: „Okay, dann bleibt wohl keine andere Möglichkeit als jene, die er uns gegeben hat.“

„Falls die überhaupt noch bleibt“, bemerkte sein Bruder.

„Wie meinst du das?“

„Ich habe dir doch lang und breit erklärt, dass wir beide nicht ohne den anderen Leben können und er wird mich mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit umbringen, sobald ich ihm wieder unter die Augen komme. Du hast es doch mit angesehen, seine Drohung, du warst doch dabei“, antwortete Jerry.

„Die Vision bei den Minotauren, ja. Die hatte ich vergessen. Dann hoffen wir das Beste und ich werde mich wohl seelisch darauf vorbereiten, eventuell gleich zu sterben“, seufzte Justin.

„Und wenn schon nicht das, dann mach dich auf große Schmerzen gefasst, denn ich bin mir sicher, das er mich unter keinen umständen ungeschoren davon kommen lässt, ganz gleich, was ich sage oder tue. Ich glaube fast, der Tod wird die erstrebenswertere Strafe sein“, brummte Jerry unwillig, dann nickte er Justin dennoch aufmunternd zu und verzog seinen Mund zu etwas, das wohl ein Lächeln sein sollte, jedoch wie alles andere aussah, denn wie ein solches. Jerry hob die Hand und teilte mit einem Ruck mit ihr die Luft. Anders als normalerweise, wenn man durch die Luft schlug, sah man hier nun die Verwirbelungen, die immer und immer festere Gestalt anzunehmen schien und letzten Endes eine art senkrechte, schwarze, wasserartige Fläche bildete.

„Auf wieder sehen, Justin. Ob in diesem oder im nächsten Leben“, sagte Jerry und seine Stimme zitterte dabei. Justin nickte, spürte die Angst, die von Jerry ausging, wie seine eigene. Er lächelte aufmunternd, obwohl auch er Angst hatte und er wusste nur zu gut, das Jerry sie ebenso spürte, wie er seine. Noch einen kurzen Augenblick lang schauten die Brüder sich an, dann sprang Jerry durch das Tor und war verschwunden. Justin schluckte schwer, schaute noch einen Moment lang auf die Stelle in der Luft, dann begann er, wieder in sein Zimmer zu klettern, doch legte er sich nicht zu Bett, sondern setzte sich auf die Fensterbank und versuchte etwas, was er noch nie versucht hatte, auf die Idee er vor dieser Nacht noch nicht einmal gekommen war. Er versuchte, bewusst eine Vision auszulösen, um wenigstens so bei seinem Bruder zu sein, doch er schaffte es nicht. Mit seinen Gedanken noch immer bei Jerry, legte er sich letzten Endes doch hin, einschlafen jedoch konnte er nicht. Eine halbe Stunde etwa lag er wach, dann spürte er plötzlich einen Schmerz, als hätte man ihm einem Peitschenhieb versetzt. Eher vor Schreck, denn vor Schmerz, quiekte er laut auf, doch dies sollte nicht das einzige sein, das ihm Pein bereitete. Drei weitere Schläge musste er aushalten, dann schon senkte sich die barmherzige Bewusstlosigkeit über ihn.

Der Hafen der Tausend Tränen

Das erste, was er spürte, als er aufwachte, war ein scharfer Schmerz der durch seine Schulter zuckte. Mit einem entsetzten und schmerzerfüllten Schrei warf er sich herum, was jedoch ein Fehler war, denn nicht nur seine Schulter tat weh, sondern es gab nicht eine Stelle seines Körpers, die nicht brannte, wie Feuer. Er hörte, wie jemand zwei, drei Schritte weit weg ging und dann die Stimme von Moritz sanft fragte: „Justin? Bist du wach? Was ist denn los?“

Leise wimmernd begann Justin, sich aufzusetzen und schaute seinen Vater gequält an.

„Nichts, was sich ändern ließe“, brummte er mit hoher Stimme, die wohl jeder Mensch hatte, der Schmerzen litt. Still vor sich hinkeuchend, ohne sich viel zu bewegen, senkte sich der Schmerz jedoch schnell auf ein erträgliches Maß herab. Jetzt erst konnte Justin aufschauen und sah, dass seine Eltern, seine Schwester, Blizzard und Melody um sein Bett herum standen und ihn fragend und besorgt musterten. Er versuchte, beruhigendes zu Lächeln, doch es verkam eher zu einem schmerzhaften Grinsen.

„Was ist denn los?“, fragte nun Ginny mehr als nur ein bisschen besorgt.

„Na ja, Jerry hat ärger bekommen“, erklärte er und sah, wie Moritz leicht zusammenzuckte und seine Mutter ihn verschreckt ansah, die anderen sahen eher verständnislos aus.

„Würdest du das bitter erklären?“, bat Melody deshalb.

„Na ja, ich weiß jetzt, wer der Kerl ist, den du gesehen hast, als du die Phönixe gefunden hast und das ist Jerry gewesen. Und na ja, der ist eben…“, wollte Justin erklären, doch Moritz unterbrach ihn: „Nun, wenn du wieder Erklärungen abgeben kannst, dann steh auf, wir wollten eigentlich schon lange los sein, Timo wartet sicherlich schon. Was auch immer du zu erzählen hast, das kannst du uns auch auf dem Weg berichten.“

Einen Moment lang sah es so aus, als wollte Justin widersprechen, dann jedoch nickte er und stand mit zusammengebissenen Zähnen auf. Während er sich anzog, machten Melody, Moritz und Blizzard sich fertig, um gleich aufzubrechen, sobald der Rotschopf fertig war. Moritz wurde die ganze Zeit mit Fragen bombardiert, hatte Melody doch gemerkt, das er zu wissen schien, wovon Justin sprach. Etwa eine halbe Stunde später waren sie auf den Weg zu ihrem Treffpunkt, bei dem Timo, Moon und Shadow wirklich schon ungeduldig warteten.

„Wo bleibt ihr denn alle so lange?!“, rief Timo schon vom Weiten.

„Wir hatten ein kleines… na ja, sagen wir mal… Problem!“, rief Justin zurück.

Timo runzelte die Stirn und blickte fragend zu Shadow, doch die zuckte nur mit den Schultern. Nur eine Minute später standen sie beisammen.

„Okay, dann wollen wir mal los, zum Feuerberg“, meinte Shadow.

„Flammenberg. Nur, ich bezweifle, dass das so einfach wird“, überlegte Melody.

„Inwiefern?“, wollte Moritz sogleich wissen und auch alle anderen schauten sie fragend an.

„Nun ja, der Flammenberg liegt nicht gerade um die Ecke. Ich weiß gar nicht, Moritz, kennst du ein Tor nach Äquadorea?“, wollte sie wissen.

„Wieso Äquadorea?“, wollte der mit einer unguten Vorahnung wissen.

„Na, weil der Flammenberg inmitten der Todeswüste auf Äquadorea liegt“, antwortete Melody in einem Ton, als wäre es das selbstverständlichste der Welt, das man so etwas wusste. War es für sie vermutlich auch.

„Was ist eigentlich ein Äquadorea?“, mischte sich Justin ein.

„Ich habe dir doch einmal erklärt, das Lävia aus drei Kontinenten besteht, oder? Der nördliche Kontinent, den ihr ja schon mehrmals besucht habt, mit dem Namen Polara, der Südliche Kontinent Artikis und der mittlere Kontinent Äquadorea“, erklärte Moritz.

„Ach so. Das heißt, wir müssen jetzt entweder ein Tor finden, das direkt nach Äquadorea führt oder einmal quer übers Meer fahren?“, hakte Justin nach.

„Genau“, nickte Melody.

„Wie lange dauert so eine fahrt übers Meer?“, wollte Timo darauf wissen.

„Nun, wenn alles glatt läuft, dann rechne mal mit zwei, drei…“, überlegte Melody.

„Nur drei Tage?“, fragte Blizzard verdutzt.

„Nein, keine Tage, Wochen“, antwortete Melody.

„…Drei Wochen, ja? Ich weiß nicht, haben wir eigentlich soviel Zeit?“, überlegte Moritz.

„Einen Augenblick“, sagte Justin, schloss die Augen und konzentrierte sich.

»Interessant«, sagte eine Stimme in seinem Kopf.

„Wie…?“, nuschelte Justin vor sich hin.

»Das du binnen der wenigen Stunden gelernt hast, wie du zu mir Kontakt aufnehmen kannst. Ich habe Jahre gebraucht, um heraus zu finden, wie ich dafür sorgen kann, dass wir uns in deinen Visionen treffen, aber ist ja egal. Tun dir die Schläge noch sehr weh?«

„Nein. Ja. Es geht, es ist auszuhalten. Dir muss doch der gesamte Körper wehtun, als würdest du im Feuer selbst sitzen.“

»Nein. Es hat auch Vorteile, wenn man ein und dasselbe Wesen ist, geteilt auf zwei Körper. Auch die Schmerzen verteilen sich, so gut wie diesmal hat es jedoch nie geklappt. Übrigens: ja, habt ihr. «

„Wie, was haben wir?“

»Genügend Zeit, um mit eine Schiff dorthin zu fahren. Ihr habt alle Zeit der Welt könnte man sagen, eigentlich könntest du auch jetzt erst einmal Schluss machen und seine Aufgaben in vier, fünf Jahren erst weiter machen. Auch wenn er wohl nicht so lange damit warten würde, die Welt zu verwüsten. Aber ich denke, er wird euch die Zeit lassen, bis zum Ende diesen Jahres. Aber ist ja egal, ihr habt auf jeden fall genug Zeit. Ich werde euch erwarten, am Hafen der tausend Tränen. Ich werde dir dort erzählen, wie wir noch schneller nach Äquadorea kommen können, aber bis dahin werde ich erst einmal versuchen, meine Flügel wieder auf Fordermann zu bringen, und meine Jagdstrategie soweit zu optimieren, das ich auch mal mehr fange, als eine kranke Maus.«

„Wie, Flügel? Jagdstrategie? Was meinst du?“

»Na, du hast doch seine Warnung gehört: Entweder er tötet mich oder er verwandelt mich in einen Vogel. Und bis ich einen Gegenzauber gefunden habe, der mir erlaubt, wieder als das, was ich eigentlich bin, durch die Welt zu laufen, werde ich als Vogel fliegen müssen. Nur das Vogeldasein will auch gelernt sein, das kann ich dir sagen. Nun gut, ich erwarte euch am Hafen der tausend Tränen.«

„Okay. Wir beeilen uns, dorthin zu kommen“, nuschelte Justin noch, sah dann wieder bewusst zu seinen Begleitern.

„Seid wann führst du Selbstgespräche?“, wollte Timo sogleich wissen.

„Tue ich nicht. Ich habe lediglich mit Jerry gesprochen“, antwortete Justin.

„Welcher Jerry?“, erkundigte sich Timo.

„Erkläre ich euch alles auf dem Weg. Wir müssen zum Hafen der tausend Tränen, hat er gesagt. Kennt einer von euch den Weg?“, fragte der Rotschopf.

„Ja, ich kenne ihn, aber ich weiß nicht, was wir da sollen. Der Hafen wurde von meinem Heer geschleift, dort legt schon lange kein Schiff mehr an“, antwortete Moritz.

„Wir sollen dorthin, hat Jerry gesagt, also werde ich auch dorthin gehen. Ob geschleift oder nicht, irgendetwas muss es da ja geben, sonst würde er uns nicht dorthin beordern“, war Justins Kommentar.

„Und wenn es eine Falle ist?“, fragte Shadow.

„Ist es nicht. Jerry kann nichts vor mir verheimlichen und er kann mich nicht belügen. Also ist es keine Falle, es ist nicht möglich, dass es eine ist. Und selbst wenn es nicht so wäre, würde er sich mit einer Falle selber mehr schaden, als uns“, war die Antwort des Rotschopfs.

„Okay, dann machen wir uns mal auf den Weg. Und du erklärst uns, wer Jerry ist und wie du mit ihm sprechen kannst und alles“, forderte Timo und Justin nickte.

Während sie alle zum Tor gingen, begann Justin zu erzählen, angefangen von dem, was Moritz ihm am vergangenen Abend eröffnet hatte, bis hin zu dem, was vergangene Nacht mit ihm geschehen war und warum er sich am Morgen kaum bewegen konnte. Es dauerte alles in allem etwa eine halbe Stunde, bis er geendet hatte, und in der Zeit waren sie am Tor angekommen, doch die anderen waren viel zu erstaunt von dem eben gehörten, als das jetzt so etwas interessant wäre. Sie alle mussten das erst einmal verdauen.

„Aber…“, brach dann Timo das Schweigen, „Dann ist die Legende um den Weltenretter, die uns Layla erzählte, nicht ganz richtig.“

„Nein, nein, sie stimmt schon, im gewissen maße. Sie sagte, dass die Legenden sowohl Zukunft als auch Vergangenheit sind, und dass die Geschichte sich zwar wiederholen, aber immer wieder kleine Abweichungen haben. Vielleicht ist Justin der erste Weltenretter, der einen Bruder hat“, überlegte Shadow.

„Könnte sein…“, stimmte Melody zu.

„Also irgendwie habe ich langsam aber sicher das Gefühl, das ich mit Wänden spreche“, knurrte Justin, „oder wie oft soll ich euch noch erklären, das ich nicht der Weltenretter bin? Mal ganz davon ab, ist das jetzt nicht auch so ziemlich egal? Lasst uns lieber gehen, sonst kommen wir womöglich gar nicht mehr an.“

Er nickte hinüber zum Tor.

Die anderen nickten und sie traten nacheinander hindurch. Auf der anderen Seite erwarteten sie schon ihre Reittiere. Moritz seufzte tief.

„Moon, Blizzard, ich glaube, es wäre besser, wenn ihr wieder nach Hause geht“, sagte er, nachdem er einen kurzen Augenblick überlegt zu haben schien.

„Wieso?“, wollte Blizzard sogleich wissen und auch Moon sah ihn fragend an.

„Weil du noch zu klein bist, Blizzard. Und du Moon, du kannst dich nicht in den Herrscherhäusern sehen lassen, weder in denen diesen Kontinentes, noch in denen auf Äquadorea“, stimmte Melody zu.

Moon dachte einen Augenblick lang nach, dann nickte sie.

„Ich denke, du hast recht. Ihr habt beide recht. Ich werde Blizzard zu seiner Mutter bringen und dann selber zu den Minotauren zurückkehren“, sagte sie.

„Aber ich will mit!“, rief Blizzard.

Justin kniete sich zu ihm hinab.

„Nein, diesmal bleibst du noch hier, aber dafür machen wir in zwei, drei Jahren etwas ganz tolles“, sagte er.

„Und was? Was soll den besser sein, als über das Meer zu fahren?“, brummte Blizzard.

„Nun, vielleicht ein Abenteuer, das nur wir beide bestreiten werden? Wir werden dorthin gehen, wo auch immer du hin möchtest, nur dieses eine mal bist du einfach fehl am Platz. Nicht zu klein, wie Melody meint, sondern einfach fehl am Platz. Du fällst mit deinen Ohren zu sehr auf und wir wissen nicht, wie sie reagieren werden, auf dem anderen Kontinent. Shadow und Timo wissen, wie sie sich am besten wehren, aber du kannst noch nicht mit Waffen umgehen und deine Zähne und Klauen helfen dir nicht, wenn sie mit einem Bogen auf dich zielen. Und ich möchte nicht, dass dir etwas passiert. Deswegen werden wir noch einmal dorthin fahren, aber ein ander mal. Einverstanden?“, versuchte Justin den Jungen zu überreden und es klappte, denn nach einigen Sekunden, in denen Blizzard nachdachte, nickte er dann.

„Gut. Dann werden wir uns dann wieder sehen“, sagte Justin und lächelte dabei.

Blizzard nickte, trat dann zu Moon. Der folgende Abschied war kurz und so war die Gruppe wieder auf fünf geschrumpft.

Während die anderen ihre Reittiere fertig machten, holte Justin die beiden Feuervögel aus den beiden Rucksäcken und ließ sie auf Thunders Kruppe sitzen, während sie ritten. Es dauerte einige Tage, bis sie das Meer erreichten und an der Küste ritten sie weiter entlang, bis sie etwa fünf Tage später den verlassenen Hafen erreichten.

„Warum heißt er eigentlich „Hafen der tausend Tränen“?“, wollte Justin wissen, als sie nur noch ein kurzes Stück entfernt waren.

Erst antwortete ihm keiner und er fand sich schon damit ab, das es wohl keiner wusste, als Melody zu erzählen begann: „Man sagt, das der Hafen vor Jahren unter dem Wasser lag, er war bevölkert von Wesen des Meeresvolkes. Nixen, Sirenen, Meerjungfrauen, Kalmare und andere Wesen bevölkerten ihn, wie wir Elben unsere Dörfer oder wie die Elfen ihre Wälder, die Minotauren ihre Labyrinthe. Doch es kam ein Tag, an dem ein Herrscher eines der Küsten gelegenen Königreiche auch diese Stadt unter dem Wasser besitzen wollte, weil sie schöner war, als selbst die Stadt der Elfen in ihren prunkvollsten Zeiten. Und so stellte er ein Heer auf und griff die Stadt an, mehr noch, seine Zauberer hoben sie aus dem Meer herauf, sodass die Wasserwesen reihenweise starben. Sie konnten an der Wasseroberfläche ebenso wenig leben, wie wir im Meer. Und als das Heer des Königs sah, wie diese Wunderschönen Wesen eines nach dem anderen starb und sie sich das Meer, so weit das Auge auch blickte, rot färbte, von dem Blut der abgeschlachteten Meereswesen, da begannen sie alle zu trauern und sie trauerten viele Tage und Wochen, bis ihre Tränen das Meer wieder klar werden ließ. Sie hatten die Stadt gerne wieder unter das Wasser gebracht, doch leider ging das nicht und so blieb die Stadt Jahrelang unbewohnt, denn keiner wollte leben, wo Jahre zuvor so viele Wesen, so vollkommen sinnlos abgeschlachtet wurden. Doch irgendwann kam eine Gruppe ausgestoßener, die wussten, dass dieses Land keiner wollte und sie ließen sch hier nieder. Sie begannen Handel zu treiben und nach und nach wuchs und gedieh die Stadt, wurde bekannter und bekannter, in ganz Lävia und aufgrund seiner Vergangenheit nannte man den Hafen irgendwann nur noch den Hafen der tausend Tränen.“

Justin blickte sich nachdenklich um, denn mittlerweile waren sie angelangt, und fragte sich, ob die Geschichte wahr sein mochte. Er zweifelte eigentlich nicht wirklich, denn Lävia war immerhin das Reich der Träume, in denen die Legenden und Geschichten der Menschen Wahrheit wurden. Doch er konnte nicht lange nachdenken, denn schon nach kurzer Zeit stürzte sich ein Falke auf ihn hinab. Vor Schreck schlug er nach dem Vogel, verfehlte ihn jedoch.

»Du brauchst nicht nach mir zu schlagen!«, giftete eine Stimme in seinem Kopf.

„Jerry? Du bist das?“, fragte Justin, bevor ihm klar wurde, wie unglaublich dämlich diese Frage eigentlich war.

»Nein, ich bin der Weihnachtsmann. Auch schön brav gewesen, dieses Jahr? «, kam auch prompt die sarkastische Antwort.

„Woher weist denn du, was ein Weihnachtsmann ist?“, fragte Justin verdutzt zurück.

»Bist du so schwer von begriff oder tust du nur so? «, wollte sein Bruder wissen und landete dabei auf Thunders Hals.

„Wieso?“, war Justins Gegenfrage.

»Weil ich dir ja wohl schon oft genug erklärt habe das… ach, egal, ich habe jetzt keine Lust, das noch einmal zu wiederholen. Ließ es in meinen Gedanken nach, wenn du magst oder lass es, falls du von selbst drauf kommst. Ich habe ein Schiff für euch. Ein Schiff samt Mannschaft. «

„Wie kommt den ein Vogel zu einem Schiff?“

»Ganz einfach, durch Feli. Sie kann mich nämlich auch als Vogel verstehen, frag jetzt bitte nicht wie, das würde nämlich zu weit führen. Sie hat das auf jeden Fall arrangiert. Die brauchte auch nur einem alten Freund von mir eine Nachricht zukommen lassen. Er wird denken, du bist ich und lass ihn bitte in dem Glauben, sonst macht er vielleicht Dummheiten. Er wird euch auf jeden fall auf dem kürzesten und schnellsten Weg nach Äquadorea bringen«, erklärte Jerry.

„Und wieso soll das Schiff deines Bekannten schneller sein, als das eines anderen?“, wollte Justin weiter wissen.

»Ganz einfach, weil es anders gebaut ist. Es ist weniger dafür gedacht, Fracht zu transportieren, als vielmehr dazu, andere Schiffe zu verfolgen und zu entern. Es ist ein ehemaliges Piratenschiff, aber er betreibt damit Handel, für Leute, die schnell ihre Ware herbringen wollen, was natürlich entsprechend mehr kostet. Aber euch wird er umsonst rüber bringen und wenn er mucken macht, dann drohst du ihm einfach damit das, was du vor Jahren nicht getan hast, einfach nachzuholen, er weiß, was gemeint ist. Und übrigens, deine Fragen brauchst du nicht aussprechen, du brauchst sie nur denken«, erklärte Jerry.

„Wieso? Schnüffelst du etwa die ganze Zeit über in meinen Gedanken herum, oder was?“, nervte Justin weiter.

»Na, was hast du denn gedacht? Weist du, wie unglaublich interessant es ist, deine Gedankengänge zu verfolgen? Vor allem bin ich erstaunt darüber, wie schnell du an schmutzige Dinge denkst, wenn du Melody siehst…«, antwortete der Vogel, und obwohl er sich nicht einen Millimeter bewegte, sah er doch plötzlich aus, als würde er breit grinsen.

Justin dagegen wurde rot wie die sprichwörtliche Tomate.

»Ich glaube, ich werde in nächster Zeit das eine oder andere ändern müssen«, erklärte er seinem Bruder in Gedanken.

»Also so keusch werden, wie ein Mönch, ja? Na, dann viel spaß«, antwortete Jerry, dann machte er eine Bewegung, die wohl ein Nicken in eine Richtung sein sollte, »da geht es lang.«

„Aber meinst du nicht, dass er es merken wird, dass nicht du das bist?“, fragte Justin.

»Wenn du möchtest, dann kann ich auch die Kontrolle über deinen Körper übernehmen, dann wird er es gewiss nicht merken.«

„Du kannst WAS?! Wie… woher weist du das, dass das möglich ist?!“, quiekte Justin.

»Weil ich es einmal gemacht habe. War ein Versehen, damals hast du geschlafen und eigentlich wollte ich dir lediglich wieder ein Vision zukommen lassen, aber bevor du jetzt meckerst: du hast das auch schon einmal gemacht. Damals war ich als Falke unterwegs und du hast es im schlaf, vollkommen unbewusst gemacht, ich wäre dabei aber trotzdem fast abgestürzt und das wäre unser beider Ende gewesen«, antwortete Jerry darauf.

„Oh wow. Ich glaube, was uns beide anbelangt werde ich noch sehr viel lernen müssen…“, seufzte Justin.

»Jep«, war Jerrys einziger Kommentar dazu. Nach einem kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Und? Soll ich deinen Körper übernehmen? «

„Nein! Ganz gewiss nicht! Du brauchst mir nur sagen, was ich sagen und tun soll, das reicht!“, rief Justin.

»Ist gut, du brauchst nicht zu schreien, immerhin höre ich dich auch vollkommen ohne Worte! «, brummte Jerry.

„Oh, ja… hab ich vergessen, tut mir leid“, meinte Justin.

»Ist ja schon gut. Wir sind übrigens da, das dort ist sein Schiff. «

Justin sprang von Thunders Rücken und betrachtete das Schiff. Es war nicht groß, sah aber durchaus hochseetauglich aus. Vielleicht 20 Meter, so schätzte er die Länge. Ein Mann trat an die Reling und schaute auf sie hinab.

„Wer seid ihr?“, rief er von oben, „Und was wollt ihr hier?“

Moritz setzte dazu an, etwas zu antworten, doch Justin hielt ihn mit einer Geste zurück und wiederholte dann das, was Jerry ihm sagte.

„Aber, aber, Käpt’n, sie werden mich doch nicht schon wieder vergessen haben!“, rief er hinauf.

Der Mann legte den Kopf schief und schaute auf die hinab, dann schien er zu erschrecken und rief mit veränderter, jetzt vollkommen schleimiger Stimme: „Oh, Oh, Falkenlord! Ich habe euch von hier oben nicht erkannt und euch schon viel früher erwartet! Ich dachte, ihr kommt nicht mehr, sonst hätte ich euch natürlich einen herzlicheren Empfang bereitet!“

„Schon gut, schon gut. Wann kann das Schiff auslaufen und wie lange werden wir ungefähr brauchen, bis nach Äquadorea?“, rief Justin auf Jerrys geheißen hin nach oben.

„Wir können sofort auslaufen, sobald eure Tiere an Bord sind. Und ich weiß zwar nicht, was ihr in Äquadorea wollt, aber rechnet mal mit so eine bis zwei Wochen, länger nicht“, war die Antwort und der Kapitän deutete ein paar Männern, eine Planke zum Langesteg hin zu machen. Währendessen saßen Justin und die anderen ab, von ihren Einhörnern und Jerry flatterte auf Justins Schulter. Sie führten nacheinander ihre Tiere an Deck und dann in den Laderaum, wo es extra für Pferde eine Art Stallung gab. Einer der Matrosen zeigte ihnen ihre Kajüten und kaum waren sie wieder an Deck, legte das Schiff auch schon ab.

„Wer, wenn ich fragen darf, sind eigentlich eure Begleiter?“, wollte Kapitän nach einiger Zeit wissen, während sie so da standen.

„Nein, du darfst nicht fragen“, knurrte Justin so böse, wie es irgend ging. Ihm fiel es schwer, die Rolle von Jerry zu übernehmen, doch langsam aber sicher fand er sich ein.

Der Kapitän trat einen Schritt zurück, betrachtete aber dennoch die anderen eingehend. Beim Anblick Melodys wurden seine Augen groß und er verneigte sich vor ihr: „Lady Melody! Wie schön, euch einmal persönlich kennen zu lernen, hörte ich doch schon so unglaublich viel von euch, der schönsten der Elben, nein, der schönsten Frau Polaras!“

Melody nickte, blieb aber stumm, wusste sie doch sehr genau, das sie nun, da sie erkannt war, sich auch wieder so zu benehmen hatte, wie die Herrin des Elbenreiches im hohen Norden: nämlich wie eine regelrechte Göttin.

Der Kapitän blickte weiter und als er Moritz erkannte, trat er mehrere Schritte zurück.

„Der schwarze Ritter“, hauchte er.

Doch sie alle ignorierten ihn einfach. Keine hatte Lust, ihm zu erklären, das er nicht solche Achtung zu haben brauchte und so war es deutlich leichter, einfach gar nichts zu sagen oder zu machen.

Nach einiger Zeit, in der sie einfach nur stumm alle beieinander an der Reling standen und auf das Meer hinausschauten, deutete Justin ihnen, das sie mitkommen sollten, unter Deck. In seiner Kajüte, die um einiges größer war, als die der anderen, setzten sie sich nieder und er erklärte seinen Freunden, warum er getan hat, was er getan hat, nämlich Jerry gespielt.

„Das heißt, wir alle sollten dich jetzt behandeln, als wärst du Jerry“, stellte Moritz fest.

„Genau. Nur hast du dir schon mal Gedanken gemacht, was ich sagen soll, wenn er wissen will, warum ich nicht in Begleitung meines Heeres umher ziehe, sondern nur mit diesen vieren?“, Justin schaute seinen Bruder fragend an.

»Es steht ihm nicht zu, irgendetwas zu fragen. So, wie du vorhin reagiert hast, war das schon gut. Er soll uns nur rüber bringen, keine Fragen stellen, keine Forderungen stellen, nichts und das wirst du ihm wohl mehrfach deutlich machen müssen«, antwortete Jerry.

„Und warum habe ich einen Falken in meiner Begleitung und reite nicht mein übliches Pferd? Warum benehme ich mich vollkommen anders, warum gehe ich nicht mit meinem Mitmenschen um, als wären sie der letzte Dreck?“, wollte Justin bissig wissen.

»Oh nein, oh nein, Justin, da denkst du in die falsche Richtung! Er wird nicht fragen, was ich in deiner Begleitung zu suchen habe, weil es keine Seltenheit ist. Ich stand mit meinem Männern immer über Falken in verbinden, nie habe ich einen Adler genommen. Deswegen nennt er mich auch immer den „Falkenlord“ er wird denken, ich sei deine „Brieftaube“. Und reiten tue ich auf Thunders Bruder, Demon, und der sieht deinem Tier zum verwechseln ähnlich, das wird ihn also auch nicht weiter wundern. Und auch ich weiß, was Mitleid heißt und auch ich benehme mich nicht, unter meinen Männern, wie das größte Aas, nein. Frag unseren Vater, er wird dir bestätigen, das man ein Heer nur auf zwei weisen führen kann, nämlich indem man soviel Angst verbreitet, das keiner von ihnen mehr zu widersprechen wagt oder indem man mit ihnen gut umgeht, auf ihre Wünsche hört, ihnen klar macht, das jeder einzelne von ihnen wichtig für das ganze ist. Anders als Moritz habe ich sie nie terrorisiert, meine Männer folgten mir schon immer, weil sie es wollten, nicht weil sie mussten, wie es bei Moritz so manches mal der Fall war. Und du vergisst schon wieder, dass wir Brüder sind. Wir benehmen uns immer auf gewisse Weise identisch. Und wenn es wieder erwartend doch zu einer heiklen Situation kommen sollte, dann werde ich ja sowieso auf deiner Schulter sitzen und dir zuflüstern, was du tun sollst. Er wird nichts merken, da bin ich mir sicher. Und selbst wenn: wir beide haben Mittel und Wege, ihn dazu zu bringen, trotzdem das zu tun, was wir ihm sagen. Und zwar nicht nur Argumente mit dem Schwert. Auch, wenn du es mir nicht zu glauben scheinst, aber ich versichere dir: ich bin nicht der böse Junge, für den du mich zu halten scheinst«, erklärte Jerry und Justin schaute ihn mit seltsamen Gesichtsausdruck an.

„Doch“, sagte er nach einer Weile, „doch, ich glaube dir das. Einfach, weil ich weiß, dass es so ist, aus keinem anderen Grund. Du kannst mich nicht belügen, ebenso wenig, wie ich dich belügen könnte.“

Jerry nickte.

„Weist du eigentlich, das es so aussieht, als würdest du Selbstgespräche führen, wenn du mit Jerry sprichst?“, bemerkte Melody nach einigen Sekunden des Schweigens.

„Weiß ich. Aber ich kann mich nicht daran gewöhnen, mit jemanden zu sprechen, ohne etwas zu sagen“, antwortete Justin mit einem Seufzen.

»Das macht aber auch nichts. Ich habe nämlich auch die schöne Angewohnheit, ständig mit meinen Botenbringern zu reden, auch wenn keiner der Falken mir je antworten konnte oder vielmehr, ich diese Antwort nicht verstehen konnte«, sagte Jerry, bevor Justin auch dies als Argument verwenden konnte, warum diese ganze Aktion einfach schief gehen musste.

„Hör auf, in meinen Gedanken zu schnüffeln“, war Justins Antwort darauf.

»Bei manchen Dingen braucht man nicht deine Gedanken lesen zu können, um zu wissen, was du denkst«, widersprach Jerry.

»Gott, ich hasse dich jetzt schon«, knurrte Justin. Ihm ging es langsam aber sicher auf die Nerven, dass Jerry ihm immer und überall widersprach.

»Weiß ich«, antwortete der Vogel.

„Mann! Jerry! Du nervst! Widersprich mir doch nicht immer!“, fauchte der Rotschopf.

»Tut mir ja leid, aber ich bin es gewohnt, andere zu verbessern, wenn ich es kann, da wirst du dich dran gewöhnen müssen«, antwortete Jerry und wie schon einmal schien er plötzlich breit zu grinsen.

„Oder du gewöhnst es dir ab“, knurrte Justin.

»Würde auch gehen, mache ich aber nicht«, antwortete Jerry.

Sein Bruder brummte etwas unverständliches, musste dann aber laut loslachen.

„Oh man“, seufzte er und wischte sich die Lachtränen aus den Augenwinkeln, sah dabei seine mehr als nur verdutzten Begleiter an, „irgendwie ist das schon merkwürdig, ich meine, ich sitze hier und streite mich mit einem Falken.“

»Stimmt nicht, nicht mit einem Falken, sondern-«, wollte Jerry wieder einmal widersprechen, doch Justin ließ ihn mit einer Handbewegung verstummen.

„Oh doch, du bist ein Falke. Zumindest im Moment. Aber was willst du eigentlich auf der Reise fressen? Ich meine, gut Mäuse fangen wirst du hier wohl nicht können.“

»Nein, kann ich nicht und frisches Fleisch ist mir zwar lieber, aber im Notfall werde ich mich auch an dem Fleisch gütlich tun, das sie hier an Bord haben. Es wird schon gehen, es ist ja immer irgendwie gegangen«, war die Antwort.

„Okay, wenn du meinst.“

„Also ich bezweifle, das ich mich je daran gewöhnen werde“, murrte Moritz plötzlich.

„Woran denn?“, wollte Justin wissen.

„Na, an diese einseitigen Gespräche. Von uns hört ja keiner deinen Bruder, für uns ist es so, als würdest du allein sprechen. Und ich werde mich daran nicht gewöhnen können, das weiß ich jetzt schon“, war die Antwort und die anderen drei nickten zustimmend.

»Na ja, braucht er auch nicht, wenn du endlich mal daran denkst, das du auch gar nichts zu sagen brauchst, um dich mit mir zu verständigen«, bemerkte Jerry.

„Ach, halt deine Fresse“, knurrte Justin und Moritz runzelte die Stirn.

„Nein, nicht du Moritz, sondern Jerry!“, erklärte Justin der diese Geste richtig gedeutet hatte.

„Das wird noch was werden“, seufzte Melody, stand auf und reckte sich ausgiebig.

„Ich werde wieder an Deck gehen“, sagte sie.

Auch die anderen standen auf und gemeinsam traten sie wieder an Deck.

Auf dem Meer

Der stürmische Wind zerzauste Justins feuerrotes Haar, der Regen hatte ihn mittlerweile bis auf die Haut durchnässt und auch die Gischt, aufgewirbelt vom Wind, tat ihr möglichstes, um ihn von seinem Platz am Bug des Schiffes zu vertreiben, doch seid er vor einigen Stunden hierher gekommen war, hatte nichts und niemand vermocht, ihn dazu zu drängen, seinen Platz aufzugeben. Während rund um ihn Wind und Meer tobten, war er tief in Gedanken versunken, dachte an die Vergangenheit, an die Zukunft, doch was in genau diesem Augenblick um ihn herum vor sich ging, das nahm er nicht bewusst wahr. Er spürte die Kälte nicht, die sich vor Stunden schon in seinem Körper auszubreiten begonnen hatte, er spürte auch nicht, wie sehr er zitterte, oder wie hungrig er war, hatte er seine letzte Mahlzeit doch schon von mehr als einen Tag gehabt. Nein, die Welt, in der er sich befand, bedeutet nichts in diesem Augenblick. Sie würde vielleicht wieder etwas bedeuten, wenn die Zeit reif dafür war, doch sie war es nicht. Nicht in diesem Moment. Nein, es zählten lediglich der Wind und das Meer, in dessen Klängen er sich selbst verlor, vielleicht nie wieder auftauchen würde, wenn er es jetzt nicht tat, doch keiner der Schiffbesatzung wagte es, ihn anzusprechen, ebenso wenig, wie seine Freunde. Nicht einmal Jerry traute sich, seinen Bruder wieder zurück zu holen, in die Wirklichkeit, denn sie alle wussten, das ein jedes Wesen Zeit brauchte, nur für sich allein, in der es sich in eine andere Form der Wirklichkeit flüchten konnte, um das zu verarbeiten, was der Tag mit sich brachte. Und so standen sie auf der Treppe zum Unterdeck und beobachteten Justin, der weiterhin aufs Meer starrte, ohne wirklich etwas zu sehen.

„Wenn er da noch lange stehen bleibt, dann wird er krank sein, wenn wir in Port Qualla ankommen“, meinte Shadow, nachdem sie Stunden lange geschwiegen hatte.

„Er wird auch krank ankommen, wenn wir ihn ins trockene holen. Das Meer macht etwas mit ihm, aber ich weiß nicht, ob es gut ist“, antwortete Moritz.

„Wie meinst du das?“, fragte Timo und riss sich von dem Anblick los, um Moritz ansehen zu können.

„Das Meer holt mit seinem Gesang seine Seele, aber ob sie sie ihm auch wiedergeben, das ist ungewiss“, antwortete Melody.

„Was meinst du damit schon wieder?“, fragte Timo, denn dies war nicht das erste mal, das Melody etwas in dieser Richtung sagte. Auch sie war anders geworden, seit sie auf dem Meer unterwegs waren, doch so schlimm wie bei Justin war es nicht.

„So wie ich es sage. Das Meer holt all die Seelen jener, die es bereisen. Doch ob das Meer den reisenden ihre Seelen auch wiedergibt, das ist ungewiss und von Wesen zu Wesen verschieden“, sagte sie.

Keiner antwortete darauf etwas und nach einigen Minuten, in denen sie, wie in den Stunden zuvor auch, einfach nur Justin beobachteten, stieß sich Melody von der Wand der Treppe ab und ging an Deck, hin zu Justin. Von hinten schlang sie ihre Arme um seinen Hals.

„Wenn du noch lange hier stehen bleibst, dann hast du dir den Tod ins Haus geholt, wenn wir anlegen“, wiederholte sie sinngemäß Shadows Worte.

„Ich weiß, aber… was siehst du, wenn du dich umschaust?“, fragte Justin anstelle einer Antwort.

„Ich sehe das Meer. In all seiner Pracht. Was auch sonst, wenn man den Ozean überquert, um zum nächsten Kontinent zu kommen?“, wollte Melody wissen und lehnte sich neben Justin gegen die Reling.

„Ja, das Meer. Das Meer. Es gibt nicht viel, das schöner ist, als die Wellen zu beobachten, wie der Wind mit ihnen spielt oder wie zu sehen, wie die Gischt den Himmel zu fluten versucht. Das Meer treibt sie zu uns, ob sie es wollen oder nicht, und nimmt sie immer und immer wieder mit sich, es treibt sie hin und her, wie es ihm beliebt, nur zu seinem vergnügen“, erklärte er.

„Wenn? Wenn treibt das Meer?“

„Die Wesen der Meere, die Nixen und Meerjungfrauen, die Sirenen und die Kalmare, die Meeresdrachen und die Einhörner der See, die Narwale und noch so unendliche viele Wesen, dessen Namen ich nicht einmal kenne und die ich trotzdem beobachten kann, wie das Meer sie treibt und wie es ruft. Es ruft nach uns, denn es will neue Wesen in seinen Fängen haben, die es wieder hin und hertreiben lassen kann, wie es sein Wille ist.“

„Ja, es ruft nach uns, ich höre es auch, aber du darfst seinem Ruf nicht folgen, Justin. Wenn du es tust, dann wird es dich nicht wieder gehen lassen und dann wird der Todesgott gewinnen und nichts auf Erden wird noch sicher sein. Auch nicht das Meer, obwohl der Ozean selbst ein Gott, so unbezwingbar, wie die vier Elemente ist“, erklärte Melody

„Ja, ich weiß“, antwortete Justin und schaute blicklos aufs Meer.

Eine Weile standen sie wieder schweigend beieinander, dann schloss der Rotschopf seine Augen und sagte: „Lass uns unter Deck gehen.“

Melody nickte und sie machten sich auf den Weg zu den anderen, als eine riesige Welle, größer als die anderen zuvor, das Schiff erfasste und das Deck überflutete. Melody war an der Reling entlang gegangen, weswegen die nur nass wurde und sich ängstlich an derselbigen festhalten konnte, Justin jedoch rutschte aus und als sie das Schiff auf die Seite neigte, rutschte er das Deck hinab und schneller, als er nach einer Stange der Reling fassen konnte, war er auch schon drunter hindurch, schien noch circa eine halbe Sekunde in der Luft zu schweben, landete dann mit einem lauten platsch im Wasser neben dem Schiff. Vor Schreck, dass plötzlich überall um ihn herum nur noch Wasser war, gab er auch den letzten Rest seiner Atemluft preis. Panik erfüllt ihn, als er dies merkte und zudem nicht einmal mehr wusste, wo oben war und wo unten. Hilflos strampelte er mit den Beinen und hoffte, das es der richtige Weg war, den er einschlug, sodass er nicht immer und immer weiter nach unten schwamm, sondern nach oben, seiner Rettung entgegen. Es war die falsche Richtung. Justin wusste es plötzlich, aber er wusste nicht, woher. Er wusste es einfach, aber er wusste auch, dass er die rettende Oberfläche nicht mehr erreichen konnte. Er hätte jetzt eigentlich panisch werden müssen, oder Angst haben, vor dem Tod, doch er ärgerte sich lediglich, das er so enden sollte. Er schwamm nicht mehr, er wehrte sich nicht mehr gegen sein Schicksaal, konnte er sowieso nichts mehr dagegen ausrichten. Wenn er sich jetzt noch wehren würde, würde er einfach nur das Ende hinauszögern. Er lies sich treiben, lies sich von der Schwerkraft immer und immer weiter in die dunkle, nasse tiefe ziehen. Dann, plötzlich war kein Wasser mehr da und er fiel, begleitet von einem Tropfenregen, einige Meter tief durch die Luft. Ja, es war Luft, er konnte wieder atmen und gierig wie nie zuvor sog er sie ein, bevor er auf einen steinernen Boden aufprallte, was ihm den kostbaren Sauerstoff wieder aus den Lungen presste. Verwirrt und mit schmerzenden Rücken, schaute er sich um. Der Raum sah aus wie jener, in dem er sich schon einmal aufgehalten hatte, ganz zu Beginn seiner Reise. Der Raum, durch den er gegangen war, um in die magische Welt zu gelangen, die Welt, von der noch ein zweiter Weg ins ungewisse abgezweigt war. Auch hier waren es drei Türen, eine vor, eine hinter und eine über ihm. Durch die über ihn war er offensichtlich hindurch gefallen, jetzt war sie geschlossen. Zum Glück, wie er fand, denn das Wasser konnte ja offensichtlich genauso gut hier herein wie er, wie die Wasserlache zu seinen Füßen bewies. Und der Ozean gab unter Garantie genug Wasser her, diesen Raum bis zur Gänze zu füllen, was ihn zu seinem alten Problem zurückführen würde. Jedoch war dies auch schlecht, denn so konnte er nicht wieder zurück aufs Schiff und so musste er sich wohl oder übel einen neuen Weg suchen. Auch die beiden anderen Türen waren geschlossen. Justin überlegte, ob er es riskieren sollte, sie zu öffnen, doch ganz kurzem zögern nickte er entschlossen, obwohl keiner da war, der dieses nicken hätte sehen können. Er öffnete erst die eine Tür, dann die andere und betrachtete, was dahinter lag. die eine Welt sah der seinen unglaublich ähnlich, die andere war so ziemlich das genaue Gegenteil von ihr. Der Himmel schimmerte violett, das Gras oder was auch immer es war, war in einem Türkiston gehalten. Laubbäume gab es nicht, es sah eher so aus, wie überdimensionale Farne. Ein wenig, wie in der Zeit der Dinosaurier, da gab es auch noch keine Laubbäume. Jedoch waren diese Pflanzen nicht grün, sondern abermals türkis. Mehr sah Justin nicht, doch es reichte ihm. Die andere Welt war ihm ungleich lieber. Jedoch, war es so, wie beim letzten mal? Das er durch diese Tür gehen musste, um in die andere Welt zu gelangen? Damals hatte ihn Bora geführt, doch jetzt konnte es der Stein nicht mehr, jetzt war Justin auf sich allein gestellt. Und er entschied sich dafür, es einfach zu versuchen. Es klappte nicht. Das Schicksaal schien etwas gegen ihn zu haben, denn er gelangte in genau jene Welt, die er gesehen hatte und in die er nicht gewollt hatte. Mit einem Seufzen wollte er sich umdrehen und zurückgehen, doch das Tor war nicht da, war es vielleicht auch nie gewesen. Wer wusste das schon. Justin gab einen abgrundtiefen Seufzer von sich, zuckte dann mit den Schultern, als er zu dem Schluss kam, das jammern sowieso nichts mehr half, und ging einfach los. In Richtung des merkwürdigen Waldes. Kurz bevor er ihn betrat, blieb er noch einmal kurz stehen. Hatte er nicht eine Bewegung im Dickicht gesehen? Nein, er hatte sich wohl geirrt. Er hoffte, dass er sich geirrt hatte, denn er wollte ehrlich gesagt keine Bekanntschaft mit den Wesen dieser Welt schließen. Nicht alleine. Er hatte ja keine Ahnung, ob sie ihm freundlich oder böse gesonnen waren.

Und wieder beschloss das Schicksaal, dass es Justin im Moment so gar nichts ausstehen konnte, denn in just diesem Augenblick trat ein Wesen aus dem unterholz. Es kam ihn unglaublich bekannt vor, doch hatte er im Augenblick nun wirklich so gar keine Lust, sich darüber Gedanken zu machen, den das Vieh hatte lange, scharfe, spitze Reißzähne und sah nicht sehr freundlich aus.

Langsam ging Justin rückwärts. Das Monster war ein Jäger, das sah man ihm nur zu deutlich an und wenn es sich in dieser Welt genauso verhielt, wie in seiner, dann war eine schnelle Flucht sein Todesurteil. Bei seinem Glück war jedoch eher ein langsames zurückweichen ein Todesurteil schoss es ihm durch den Kopf. Also war im Moment egal, was er tat, es war sowieso sein Ende, dachte er bitter. Er hätte heute im Bett bleiben sollen.

»Du brauchst keine Angst haben«, meldete sich Jerrys Stimme so plötzlich in seinem Kopf, dass er heftig zusammenzuckte.

„Jerry, du kannst immer noch mit mir kommunizieren?“, fragte er verwundert.

»Natürlich. Kompliziert wird es erst, wenn du in eine Welt gehst, die von dieser hier aus nicht zu erreichen ist. Wenn es irgendwo in dieser Welt ein Tor in die Welt gibt, in der sich der jeweils andere befindet, können wir immer kommunizieren, wenn dies nicht der Fall ist, haben wir ein Problem. Aber du brauchst vor dem Wesen keine Angst haben, auch nicht vor dieser Welt. Ich kenne sie«, erklärte sein Bruder.

„Aber wenn sie freundlich zu dir waren heißt das noch lange nicht, dass ich ihnen auch willkommen bin“, widersprach Justin.

»Lies es in meinen Gedanken«, forderte Jerry ihn auf und Justin versuchte, dieser Aufforderung nachzukommen. Er hatte niemals zuvor in Jerrys Gedanken gelesen, er wusste nicht, was er tun musste, er wusste nicht, was ihn erwartete. Er versuchte sich nur an etwas zu erinnern, was nicht seine Erlebnisse waren, er suchte nach Gedanken, die er nicht hatte, die er nicht kannte, die ihm vollkommen fremd waren, und die doch genauso sehr seine Erinnerung war, wie sie die Jerrys war und er fand sie. Er stand genau an dieser Stelle, neben ihm ein Wesen, das immer und immer wieder die Gestalt zu verändern schien, was man jedoch auf undefinierbare Weise nicht bewusst wahrnahm. Es war immer die gleiche Gestalt und doch war sie immer wieder anders. Jerry kannte sie, es war sein engster Vertrauter, sie hatte keine Geheimnisse voreinander. Sie konnten es gar nicht.

„Es ist merkwürdig“, fand Jerry.

„Das du ihn nicht mehr spürst?“, war die Gegenfrage.

„Ja. Es hatte nie eine Zeit in meinem Leben gegeben, wo er nicht die ganze Zeit über präsent war. Und ich habe das Gefühl, das es nicht gut ist, das ich jetzt nicht bei ihm bin“, der Rothaarige war sichtlich nervös, spielte an einem Teil seiner Rüstung herum.

„Ich verstehe, was du meinst. Aber es ist nötig, ich brauche dich hier. Sie können mich nicht sehen, sie wissen nicht, dass ich hier bin, sie würden mich nicht einmal dann erkennen, wenn ich ihnen auf die Füße träte. Dich sehen sie, dich erkennen sie, dich akzeptieren sie. Wenn es dir jedoch so unglaublich viel bedeutet, das wir wieder gehen, dann gehen wir wieder, Jerry. Ich will nicht, das du dich quälst, nur um meinetwillen“, war die antwort.

„Du bist ein unglaublich merkwürdiges Wesen. Du tötest ohne einen Wimpernschlag alle möglichen Wesen, selbst mich würdest du töten. Einfach so, ohne Grund. Und zugleich machst du dir Sorgen darum, wie es mir geht. Ich verstehe nicht, wie dies möglich ist“, seufzte der Junge.

„Indem das Gute und das Böse vollkommen ausgeglichen sind, und wenn es Zeit ist zu gehen, dann würde ich dich mit Freuden in die andere Welt geleiten. Es ist nichts schlechtes, nichts böses, wenn man ein Wesen tötet, dessen Zeit sowieso um ist. Es ist auch nicht das Gegenteil, es ist nicht gut, aber es ist eben auch nicht schlecht. Es ist einfach nötig, genauso wie es nötig ist, dass man isst“, war die philosophisch anmutende Antwort.

„Gut und Böse sind sowieso beide sehr relative Begriffe. Jedes Wesen hat seine eigene Vorstellung davon, was Gut ist, und was nicht“, bemerkte Jerry.

„Genau so sieht es aus. Ob gut oder schlecht hängt ganz und gar und vollkommen von der Sicht des Betrachters ab. Aber jetzt lass uns gehen“, forderte das Wesen und Jerry nickte bereitwillig. Er folgte dem Wesen, das ihn quer durch diesen merkwürdigen Wald führte.

„Etwas ist geschehen“, bemerkte Jerry nach einer Weile, „er hat schmerzen.“

„Ich weiß. Jemanden zu verlieren, den man liebt, ist immer schmerzhaft“, war die Antwort.

„Wenn er doch nur wüsste, was mit seinem Freund geschehen ist. Vielleicht würde ihn das helfen“, überlegte Jerry laut.

„Nein, im Gegenteil, es würde ihn innerlich zerreißen. Er darf es erst dann erfahren, wenn die Zeit dafür reif ist. Diese Zeit wird kommen, da sei dir gewiss und er wird es schon lange, lange vermuten. Vielleicht findet er auch von selbst die Gewissheit dessen, wer oder was sein Feind sein wird. Aber jetzt würde es ihn zerstören und zwar so vollkommen und endgültig, das er freie Bahn hätte“, antwortete das Wesen.

„Werde ich es ihm sagen? Werde ich ihm sagen müssen, was aus Frederyc wurde? Und wen sein Lehrling bald töten wird?“, wollte Jerry wissen.

„Du hast es ihm bereits gesagt“, erwiderte es geheimnisvoll.

„Er wird es in meinen Gedanken lesen, habe ich recht? Wann werde ich ihn treffen?“, man sah Jerry mehr als nur zu deutlich an, das er noch mehrere hunderte solcher Fragen hatte.

„Genug mein Schüler. Ich darf dir nicht alles sagen, selbst für dich muss die Zukunft ein paar Geheimnisse innewohnen haben.“

„Die Zukunft ist für mich nie ein Geheimnis gewesen und doch ist es das immer. Er sieht, was kommt, ich kenne jeden Schritt, den ich tun werde schon lange im Voraus, weil er ihn mir sagt. Und dennoch ist es immer und immer wieder eine Überraschung für mich. Kann man das, was man weiß eigentlich ändern? Oder wird das, was er sieht in jedem fall eintreffen?“, Jerry konnte sich seine ganzen Fragen sichtlich nicht verkneifen.

„Er sieht jede einzelne Möglichkeit, die auf eine Entscheidung folgen kann und er sucht sich die aus, die er am liebsten haben möchte und sorgt dafür, dass sie genauso eintrifft. Das Traumsehen ist eine komplizierte Angelegenheit. Eine die nur wenige in solcher Perfektion beherrschen. Aber nun ist gut, wir sind gleich dort“, brach das Schattenwesen nun endgültig ab und nun schwieg auch Jerry.

Es hatte recht, schon nach kurzer Zeit traten sie beide auf eine Lichtung. Vor ihnen stand eine ganze Armada von geflügelten Wölfen, sie alle waren beritten. Jerry wusste, dass ihm nichts passieren könnte und so trat er furchtlos auf sie zu.

„Seid gegrüßt!“, waren seine ersten Worte und die einzigen, die er aus eigenem Antrieb sprach. Alles andere was er sagte war einfach nur die Wiederholung dessen, was das Schattenwesen ihm zuflüsterte.

„Ich bin der Falkenlord und ich bin ein gesandter des Gottes aller Welten“, sprach er.

Die Wolfswesen und ihre Reiter blieben stumm, blieben alle dort, wo sie waren, zeigten keinerlei Regung. Nur einer trat hervor und sein Reiter kletterte schnell und geschickt vom Rücken des geflügelten Wesens.

„Ich grüße zurück, in Namen aller hier anwesenden Wolfsmagier“, erklärte die weibliche Stimme, die unter dem Helm hervordrang, „was bringt euch hierher, in unsere Welt, Falkenlord und gesandter der Götter?“

„Das Schicksaal“, war die Antwort, gesprochen von dem Schattenwesen und wiederholt von Jerry.

„Mit dem Schicksaal haben wir nichts zu tun, es interessiert uns nicht“, war die Ansicht der Reiterin.

„Das sollte es aber, vor allem das eure. Ich bin gekommen, euch mit mir zu nehmen, Lady“, widersprach Jerry.

„Ihr wollt mich mitnehmen? Wohin? Und warum?“, fragte sie.

„Weil euer Platz im Gefüge der Welten nicht mehr hier ist, Lady Janne. Und auch der Platz eures Wolfes ist ein anderer. Ihr werdet für größere Dinge gebraucht, als die, ein Volk anzuführen, das sowieso schon zu viele Führer hat.“

„Ihr kennt meinen Namen?“, fragte die Reiterin verblüfft.

„Ich weiß alles über euch. Und gar nichts“, war die geheimnisvolle Antwort.

„Nimmt euren Helm ab und zeigt mir, mit wem ich es zu tun haben!“, forderte sie energisch.

„Nein. Mein Antlitz würde euch zu sehr verwirren und es ist euch nicht bestimmt, mein Gesicht zu sehen. Vielleicht irgendwann einmal, aber nur vielleicht. Nichts ist wirklich sicher.“

Die Reiterin dachte einige Augenblicke lang sichtlich nach, dann nickte sie.

„Ich werde euch aber nicht begleiten, egal, was ihr tut“, meinte sie.

„Damit rechnete ich und hoffte, dass es nicht eintrifft“, kam die postwendende Antwort.

Jerry ging auf sie zu und nahm ihr in einer zärtlich anmutenden Geste den Helm vom Kopf. Ein wahrer Wasserfall an braunem Haar ergoss sich bis weit über ihre Schultern, ihr Gesicht war das einer wunderschönen jungen Frau.

Sie starrte Jerry erschrocken an, zumal dieser in diesem Augenblick auf den Geheiß seines Meisters hin sein Schwert zog. Ohne, das Janne sich wehrte, schnitt er ihr das lange Haar ab, warf es ihren Begleitern zu, die nur tatenlos dasaßen.

„Bringt das den anderen Herrschern eures Volkes, und erzählt, was geschehen ist. Dies soll euer Beweis sein, wenn ihr Haar wurde nicht von irgendeiner Waffe durchtrennt, und das werden sie erkennen, wenn sie nur genau genug hinschauen“, sprach er dazu. Dann nahm er Janne bei der Hand und ging eben diesen Weg zurück, den er und sein Meister gekommen waren. Die junge Reiterin folgte ihm vollkommen ohne Widerstand. Sie wusste, dass es nichts bringen würde. Ihr geflügelter Wolf folgte ihr ebenso bereitwillig. Irgendwann tauchte ein Tor vor ihnen auf und ohne eine Sekunde nur zu zögern traten sie hindurch.

„Es ist Jannes Volk…“, murmelte Justin zutiefst erschrocken von dem, was er gesehen hatte. Dabei wusste er selber nicht, wieso.

»Ganz genau. Sie werden dir nichts tun, wenn du ihnen sagst, dass du Janne kennst, dass du mit ihr befreundet bist«, versprach Jerry.

„Ja…“, antwortete Justin geistesabwesend, war er in Gedanken immer noch bei dem eben gesehen und gehörtem. Er würde mit Jerry noch ein ernsthaftes Gespräch führen müssen, aber nicht jetzt. Er ging furchtlos auf den Wolf zu.

„Sei gegrüßt!“, rief er dem Wolf und seinem Reiter zu.

Zwei misstrauisch blitzende Augenpaare richteten sich auf ihn.

„Ich möchte euch nichts Böses tun, im Gegenteil. ich bitte euch um Hilfe“, begann er.

„Hilfe in welcherlei Angelegenheit?“, war die Gegenfrage des Reiters.

„Ich möchte wieder nach Hause. Durch ein Missgeschick gelangte ich in diese Welt und hoffe nun, das ihr mir irgendwie weiterhelfen könnt“, erklärte er.

„Fremde sind hier nicht willkommen und so werden wir dir nicht helfen“, war die eiskalte Antwort.

„Das kann ich gut verstehen, Janne erzählte mir, wie sie ihrer Welt entrissen wurde“, log Justin und wandte sich enttäuscht um.

„Janne? du kennst Janne? oder ist das nur Gerede?“, die Neugierde des Reiters war geweckt.

„Nein, ich kenne sie. Sie ist eine gute Freundin meines Vaters, doch leider fanden wir bisher keinen Weg, sie wieder hierher zurück zu geleiten“, sprach Justin seine Halbwahrheiten.

„Ich glaube dir nicht!“, meinte der Reiter.

„Frage mich etwas und ich beweise es dir, indem ich antworte“, antwortete Justin.

Der Andere nickte und brauchte auch nicht lange überlegen: „Ihr Wolf. Welchen Namen trägt er?“

Justin war verwundert über diese einfache Frage.

„Sie ruft ihn Tim“, antwortete er.

»Er hat recht«, knurrte der Wolf.

Der Reiter schüttelte den Kopf zum Zeichen, das der Wolf ruhig sein wollte, für all jene, die aber nicht die Worte des Wesens hörten, musste es so aussehen, als verneine er die antwort Justins.

„Bist du etwa der, der sie entführte?“, wollte er knurrend wissen.

„Nein. Wie gesagt, ich bin der Sohn ihres besten Freundes in der anderen Welt. Vielleicht nicht mehr, aber ganz gewiss auch nicht weniger“, sprach er wahrheitsgemäß.

»Er hat anfangs gelogen, jetzt spricht er die Wahrheit«, sagte der Wolf.

„Stimmt, ich kenne die Geschichte nicht von Janne selbst. Aber alles andere ist wahr“, antwortete Justin auf die Worte des Wolfes was ihn zwei verblüffte Blicke einbrachte.

„Ich verstehe, was du sagst“, wandte sich Justin direkt an das geflügelte Wesen.

„Und wieso… woher?“, fragte sein Reiter.

„Das ist meine kleine Besonderheit. Ich verstehe jede Sprache die jemals gesprochen wurde. Ich spreche sie nicht unbedingt selbst, aber ich verstehe sie und kann in der Sprache der Unsterblichen antworten“, erklärte Justin.

Man sah dem Reiter an, das er nachdachte, und das, obwohl man sein Gesicht durch das Visier seines Helmes nicht sehen konnte. Dann nickte er, als sei er zu einem Entschluss gekommen.

Das war er offensichtlich auch, denn er machte in Justins Richtung eine auffordernde Geste.

„Sitz auf, ich bringe dich in unsere Stadt, der Rat soll entscheiden, was mit dir weiter geschieht“, sagte er.

Justin nickte dankbar und kletterte umständlich auf den Rücken des geflügelten Wolfes. Er war größer als der Jannes, und nicht einmal wenig. Vielleicht war er, genau wie Janne auch, immer jünger geworden, je länger er sich in der anderen Welt aufgehalten hatte. Auch in der Erinnerung Jerrys war Tim größer gewesen, als er es jetzt war.

Sie flogen los. Über den violetten Himmel immer die Sonne im Rücken. Jetzt erst konnte Justin wirklich etwas von dieser Welt sehen. Das Wasser eines Flusses, der sich unter ihnen dahinschlängelte, schimmerte in einem Kastanienbraun, die Felsen waren in einem metallischem Grün, all die Tiere, die er sah, waren ebenso merkwürdig wie die geflügelten Wölfe. Sie sahen aus, wie eine Mischung aus zwei Tierarten und waren in den merkwürdigsten Farben zu bewundern. Es schien Justin ein wenig so, als könnten sie alle fliegen, doch da außer dem Wolf keiner flog, hatte er keine Gewissheit. Nach einer Weile siegte jedoch seine Neugierde und er fragte nach.

„Ja, das hast du richtig erkannt, sie alle können fliegen“, bestätigten der Wolfsreiter, „aber sie tun es nicht. in keinem fall, denn der Himmel gehört einzig und alleine den geflügelten Wölfen. Sie akzeptieren keine anderen Tiere neben sich, wenn sie über den Himmel fliegen und so wagt es auch kein anderes Tier.“

„Und warum tragen sie euch?“, wollte Justin neugierig wissen.

„Ganz einfach, weil wir einen Packt schlossen, vor vielen, vielen Jahren“, war die Antwort und der Reiter macht mit einer Geste deutlich, das er nicht weiter darauf eingehen würde und so herrschte Schweigen. Zumindest eine Weile, dann stellte er seinerseits fragen: „Wie geht es eigentlich Janne?“

„Ich denke mal gut. Das letzte mal, das ich sie traf ist schon eine Weile her, aber damals ging es ihr blendend“, antwortete Justin.

„Und hat sie einen…“, der Reiter biss sich auf die Lippen, machte damit deutlich, das ihm die Worte einfach so heraus gerutscht waren und er nicht vorhatte, den Satz zu beenden.

Justin hatte trotzdem ziemlich konkrete Vorstellungen dessen, was der Satz wahrscheinlich heißen sollte.

„Wart ihr gut befreundet?“, tastete er sich deswegen langsam an das eigentliche Thema heran.

„Oh ja, wir kannten uns schon von Kindesbeinen an und…“, er stutze, schüttelte dann energisch den Kopf.

„Still jetzt, ich möchte nicht mehr mit dir reden!“, fand er und Justin nickte. Er schaute gen Boden und sah dort plötzlich etwas in einem der Farne schimmern.

„Was ist das da unten?“, wollte er neugierig wissen.

„Ein Haus, wir sind fast in der Stadt“, antwortete der Reiter und Justin starrte ihn verblüfft an.

„Ihr lebt in Baumhäusern?“

„Ja“, war die einsilbige Antwort des Reiters und Justin schaute wieder nach unten. diesmal beugte er sich so tief hernieder, dass er fast vom Rücken des Wolfes rutschte.

»Pass auf Bruder, sonst fällst du«, mahnte Jerry.

»Und das willst du natürlich nicht, stimm's?«, meinte Justin in Gedanken. Er spürte schier, wie Jerry nickte.

»Dann okay, ich werde mich zusammen reißen. auch wenn der Anblick einfach nur der Hammer ist!«, war das Kommentar von dem rothaarigen Jungen.

Sie flogen noch eine kleine Weile, dann landete der geflügelte Wolf auf einer art Terrasse, die hoch über dem Erdboden in einem Baum gebaut war.

„Das Schloss, in dem der Rat lebt und seine Entscheidungen trifft“, erklärte der Reiter und ließ sich vom Rücken des Wolfes gleiten. Justin tat es ihm mit einer gekonnten Bewegung nach, doch er hatte mit einer geringeren Höhe gerechnet, weswegen er auf dem Hosenboden landete.

„Komm mit“, knurrte der Mann und Justin rappelte sich auf.

Er folgte ihm ins Innere des riesigen Gebäudes und konnte sich nicht Sattsehen an dem, was er sah. Es schien ihm so, als wäre keines der Wände aus dem Holz geschlagen, sondern als wären die Bäume alle so gewachsen. Jedes Bild hing an einem Zweig, jede kostbare Vase stand auf einem gewachsenen Tisch.

„Wundervoll“, murmelte er, denn nicht einmal bei den Elfen hatte er so etwas gesehen.

„Gewöhnlich“, widersprach sein Führer.

„Nicht dort, wo ich herkomme. Selbst das Volk, das der Natur am nächsten ist, lebt nicht in Gebäuden, die einfach so gewachsen sind, wie man sie gerade brauchte“, erklärte Justin.

Der Wolfsreiter zuckte mit den Achseln.

„Hier jedenfalls ist es gewöhnlich. Und nicht einmal besonders prachtvoll, der Tempel ist ungleich schöner“, erklärte er.

Justin gab keine Antwort auf die Worte des Reiters, sondern blickte sich weiterhin staunend um. Dann kamen sie zu eine art Tür, bloß das sie lediglich mit etwas Stoff behangen war.

„Der Saal des Rates. Benimm dich gut, sonst bist du des Todes“, sagte der Reiter mit ausdrucksloser Stimme und ganz und gar starrer Mimik.

Justin nickte, obwohl er diesen Rat nicht gebraucht hätte. Und so traten sie ein. Der Rat bestand aus elf Männern und einer Frau, ihre geflügelten Wölfe lagen hinter ihnen und schienen zu schlafen. Keiner von ihnen zuckte auch nur mit einem Ohr, als die beiden eintraten.

„Hoher Rat, ich bringe euch einem Fremden, den ich nahe des verbotenen Waldes fand“, sagte der Reiter.

Einer der zwölf, anscheinend der Ranghöchste, falls es hier so etwas gab, machte eine Handbewegung, und der Reiter verlies den Raum wieder.

„Wir erhielten schon Kunde von eurer Ankunft“, sagte er.

Das verwirrte Justin. Der Reiter war alleine gewesen, als er ihn aufgegriffen hatte und er hatte nichts getan, was dafür gesorgt haben mochte, das man hier von ihrer Ankunft schon wusste.

„Sagt, was tut ihr hier“, fragte ein anderer des Rates.

Auch dies verwirrte den Rothaarigen. Wollten sie nicht erst einmal wissen, wer er war?

„Ähm...“, machte Justin deswegen nur.

»Wir wissen, wer du bist, denn die Legende des Weltenretters ist auch hier bekannt«, klärte ihn einer der Wölfe auf.

„Achso. Also, nein, dann liegt hier ein Irrtum vor. Einer der leider ziemlich oft vorkommt, aber ist egal, ist trotzdem ein Irrtum“, meinte Justin.

„Was soll ein Irrtum sein?“, fragte ein Dritter des Rates.

„ Ich bin nicht der Weltenretter. Ich habe mit ihm zu tun, ohne Zweifel, aber ich bin es nicht. Ich bin zufällig in dieser Welt, durch eines der Tore, ich bin... falsch abgebogen könnte man fast schon sagen. Ich bin ins Meer gefallen und habe die falsche Tür genommen“, erklärte der Rothaarige.

Ein Raunen ging durch den Rat.

„Bitte erkläre das ein wenig genauer“, bat der, der als erste gesprochen hatte.

„Ähm, was genau? Das ich nicht der Weltenretter bin, oder das ich nur zufällig hier bin?“, erkundigte sich Justin.

„Beides“, war die kühle Antwort der offensichtlich einzigen Frau in diesem Raum.

„Ähm, nun, gut. Ich, Ähm, ich bin nicht der Weltenretter, ich kann es nicht sein, die Prophezeiung trifft nicht auf mich zu, auch wenn ich einen Teil ihrer Macht besitze. Ich werde ihr Lehrer sein, aber nicht mehr. Und nun, wir sind mit dem Schiff auf dem Weg zu einem anderen Kontinent gewesen, also meine Gefährten und ich, und wir gerieten in einen Sturm, und da ging ich über Bord, und bin eben hier gelandet“, erklärte Justin knapp.

»Er sagt die Wahrheit«, bestätigte einer der Wölfe.

Abermals ging ein Raunen durch die Reihen.

„Du siehst jemandem ähnlich, der einst eine der Unsrigen entführte“, bemerkte ein weiterer des Rates.

„Ja, das kommt daher, dass ich der Zwillingsbruder des Entführers bin. Aber Janne geht es gut, und Tim auch“, Justin lächelte unsicher.

„Du kennst sie beide?“, fragte die Frau.

„Ja, sie ist eine gute Freundin meines Vaters“, nickte Justin.

„Du bist durch ein Tor hierher gekommen. Warum bist du durch selbiges nicht gleich wieder gegangen?“, fragte einer des Rates.

„Weil es nicht mehr da war, als ich mich umdrehte. Manche Tore haben leider die Unart, zu verschwinden, sobald man sie durchschritte hat, und dieses gehörte dazu“, erklärte der Rotschopf.

Wieder tuschelte der Rat miteinander.

„Wir werden dir helfen, in deiner Welt zurück zu kehren, aber nur unter einer Bedingung“, erklärte dann die Frau.

„Welche?“, wollte Justin sofort wissen.

„Ihr schickt Janne zurück“, forderte der, der als erstes gesprochen hatte.

Justin nickte.

„Natürlich, nichts anderes hatte ich vor“, sagte er.

Einer der Wölfe gab ein zustimmendes knurren von sich.

„Dann komm mit“, forderte ihn die Frau auf. Sie stand auf und zusammen mit ihrem Wolf verließ sie den Raum. Justin folgte ihr durch den kleinen Palast des Rates. Irgendwann, als Justin schon fragen wollte, ob der Weg noch weit sei, kamen sie auf festem Boden wieder nach draußen.

„Das Tor liegt im See“, erklärte sie auf Justins gerunzelte Stirn hin.

Sie mussten nicht lange laufen, dann standen sie an einem See.

„Dort musst du hineinspringen und tauchen, solange, bis du das Tor siehst“, erklärte sie.

Justin nickte, schaute sie kurz, aber misstrauisch an, denn so einfach konnte es doch gar nicht sein. Aber er sprang trotzdem und tauchte hinab in die Tiefe. Als er schon dachte, er würde hier unten im Wasser ersticken, sah er endlich das Tor und schwamm hindurch. Er landete in einem Raum, von dem aus nur Tore ins Wasser führten. Nichts lies ihn darauf schließen, in was für einer Welt er landen würde, sobald er das Tor betrat und er wusste nicht, was ihn erwartete.

»Verlass dich auf diene Instinkte, Justin. Sie sind ungleich besser als bei vielen anderen Wesen, weil du mit Bora verbunden bist. Der Stein wird dich leiten«, erklärte ihm Jerry und Justin nickte. Er schloss die Augen und trat einfach durch eines der Tore, ohne zu sehen, durch welches er gegangen war.

Ein ungeheurer Druck schlug auf ihn ein. Überall war Wasser, das ihm die Luft aus den Lungen zu pressen versuchte. Panik ergriff ihn, obwohl er wusste, dass es sein Ende war, wenn er ihr erlag.

»Jerry, bist du da?!«, schrie er in Gedanken nach seinen Bruder und hoffte, das der ihn beruhigen würde.

»Ja Justin. Es war das richtige Tor. Versuche wieder an die Oberfläche zu kommen, und beeile dich damit«, flüsterte die Stimme in seinem Kopf.

Justin legte noch einen Zahn zu, doch der Druck nahm nicht ab und die Oberfläche kam nicht sichtbar näher. Seine Lunge schien schon bald kurz vorm bersten und doch war keine Oberfläche in Sicht. Ihm wurde schwarz vor Augen, die Ohnmacht griff nach ihm und immer noch war da oben nichts zu sehen außer schwärze.

»Gib nicht auf, Justin. Denk an sie, und was geschehen wird, wenn du jetzt Ohnmächtig wirst«, bemerkte Jerry und Justin wusste sofort, wenn sein Bruder meinte, und dieses Wissen gab ihm neue Kraft. Es änderte nichts daran, dass es immer schwärzer um ihn wurde und dass der Druck nur kaum merklich nachließ, aber es gab ihm die Kraft, zu kämpfen.

Plötzlich schwamm ein Wesen um ihn herum. Justin erschrak so sehr, das er den Mund öffnete und die kostbaren, silbernen Blasen seiner Atemluft ins Meer hinaus flossen. Das Wesen, was auch immer es war, kam näher, ergriff ihn am Arm und zog ihn nach oben. Justin hatte mittlerweile keine Kraft mehr, sich zu wehren und er wusste, dass es auch keinen Sinn mehr hatte, denn gleich würde er Ohnmächtig werden. Die Dunkelheit griff nach seinen Gedanken, und dann war alles schwarz, doch nicht lange. Mit einem mal konnte er wieder atmen und mit der klaren Meeresluft, die in seine brennenden Lungen strömten, kam auch sein Bewusstsein mehr und mehr wieder zurück. Kraftlos machte er ein paar Schwimmbewegungen, doch er begriff schnell, das ihn etwas anderes an der Oberfläche hielt. Ein Kopf schob sich aus dem Wasser. Und dann auch noch ein zweiter, und ein dritte, und am Ende so viele, das er sie nicht zu zählen mochte.

„Wer seid ihr?", fragte er kraftlos und hustete Qualvoll.

Die Wesen stießen eine Reihe merkwürdiger Töne aus, die er nicht verstand. Und mehr als alles andere beunruhigte ihn diese kleine, einfache Tatsache. Er verstand jedes Wesen, er verstand die merkwürdigsten Sprachen, die ungewöhnlichsten Laute, die seltensten Dialekte, aber diese Wesen verstand er nicht.

Eines der Wesen schwamm nach vorne. Es hatte den Kopf eines Menschen, doch was unter der Wasseroberfläche lag, das konnte er nicht erkennen. Die Haare waren meeresblau und die Augen schimmerten grün. Die Haut sah ein wenig merkwürdig aus, denn auf dem Rücken war sie dunkel und die vordere Seite war hell. Am Hals gab es merkwürdige Schlitze, die wohl so eine art Kiemen waren. Das Wesen, es hatte das Gesicht eines jungen Mädchens, also nahm Justin an, das es eine sie war, hob eine hand aus der dem Wasser (zwischen den Fingern spannten sich tatsächlich Schwimmhäute) und deutete, das er untertauchen sollte.

Justin zögerte. Mit dem Wasser hatte er vorerst eigentlich genug schlechte Erfahrungen gemacht, doch dann überwand er sich, atmete tief ein und tauchte ab.

„Hallo, sei gegrüßt, Schiffbrüchiger“, sagte sie. Hier, unterhalb der Wasseroberfläche verstand er sie ohne Probleme, doch hier konnte Justin nicht sprechen.

Er deutete nach oben, doch das Mädchen, wohl eine Meerjungfrau, wie der lange Fischschwanz zeigte, schüttelte den Kopf.

„Wir verstehen dich auch unter Wasser“, erklärte sie.

Justin zögerte noch einen Augenblick, dann öffnete er den Mund und sagte, so gut es ihm unter Wasser eben möglich war: „Wer seid ihr und was tut ihr mit mir?“

Damit war seine Luft aufgebraucht. Er tauchte auf, schnappte nach Luft und tauchte wieder unter.

„Wir gehören dem Wasservolk an, ihr Landleber nennt uns Meermänner und Meerfrauen, so manches mal verwechselt ihr uns auch mit Nixen und Sirenen, aber wir sind einfach nur das Wasservolk, wir haben keinen Namen“, erklärte sie.

„Und mit dir werden wir nichts böses tun, den das liegt nicht in unserer Natur“, erklärte ein junger Meermann. Justin beschloss, diese Wesen trotz ihrer Worte weiterhin so zu bezeichnen.

„Wir werden dir helfen, wenn du das wünscht, den du wirst uns den Frieden bringen“, erklärte eine weiterte Meerfrau, und hier verneinte Justin mal wieder.

„Ihr verwechselt mich, wie so viele Wesen. Ich bin nicht der Weltenretter“, sagte er.

„Das wissen wir, aber du hast mit ihm zu tun, also wirst du uns den frieden bringen, ebenso wie der Retter selbst“, erklärte die erste Meerfrau.

Justin schaute sie verblüfft an, denn diese Wesen waren die ersten, die ihn selbst nicht für ihren prophezeiten Retter hielten.

„Aber wieso erliegt ihr nicht den Irrglauben, wie alle anderen zuvor auch?“, fragte er und merkte plötzlich, das er atmen konnte, obwohl er unter Wasser war.

Der junge Meermann schien sein erstaunen richtig gedeutet zu haben, den er erklärte: „Ich habe einen Zauber auf dich gewirkt, der es dir ermöglicht, dich für eine Weile in unserem Reich aufzuhalten.“

Justin nickte dankbar, schaute dann erwartungsvoll von einem zum anderem in der Hoffnung, einer würde ihm seine Frage beantworten.

„Dir wohnen die Elemente des Feuers und der Erde inne, aber das Wasser und der Wind gehört dir nicht, also kannst du es nicht sein, denn der Weltenretter beherrscht alle Elemente und ist jedem Element untertan“, erklärte dann eine Meerfrau, die bisher nichts gesagt hatte.

Justin nickte. Und blieb dann eine Weile still.

„Ihr werdet mir helfen, zum Schiff zurück zukehren?“, fragte er dann.

„Wenn du es wünscht ja, wenn aber nicht, dann werden wir dir die Wunder des Meeres zeigen, unsere Heimat und unsere Gefahren, und wir werden dir Zoran und Nixenwasser aushändigen“, erklärte die Meerfrau, die als erste gesprochen hatte.

„Zoran und Nixenwasser? Sind das nicht so etwas wie Bora und Drachenwind für das Element des Wassers? Sie sind in eurem Besitz“, fragte er.

„Ja, und wir werden es dir aushändigen, wenn du es wünscht“, erklärte der Meermann.

„Nein, nein, es ist gut, das sie hier sind, wo nicht einmal der Todesgott selbst sie erreichen kann. Er wird beides suchen, aber er darf keines von beidem in seine Hände kriegen. Tut mir den gefallen und bewahrt beides auf, bis ich ein weiteres mal in euer Reich komme, zusammen mit ihr, die dieses ganze Reich retten wird“, bat er und ein einstimmiges nicken folgte auf seine Worte.

„Wir werden warten, bis sie kommt, den wir warten schon seid dem Anbeginn der Zeit und werden noch warten und wachen, wenn die Zeit selbst aufhört, zu existieren“, sagte eine der Meerfrauen.

„Gut. Vielen dank. Ich würde gerne noch bei euch bleiben, doch ich muss zurück. Ich werde erwartet“, sagte Justin und lächelte. Die Meereswesen nickte und lächelten ihrerseits und zogen ihn dann mit sich durch das Wasser. Entweder war Justins Zeitgefühl mittlerweile vollkommen dahin, oder sie waren nicht lange unterwegs, bis er das Schiff über sich auftauchen sah, wenn sie waren tief unter Wasser gereist. Seine Begleiter ließen ihn los und ohne ein Wort des Abschieds verschwanden sie von seiner Seite, denn sie wussten, dass er den Rest des Weges alleine fand. Er spürte, dass der Zauber sich auflöste, doch schon durchbrach er prustend die Wasseroberfläche. Obwohl starker Wellengang war, hatte er nun keine Mühe mehr, sich über Wasser zu halten und langsam, fast gemächlich schwamm er auf das Schiff zu, als er Moritz’ Stimme hörte.

„Justin?! Justin, wo bist du?!“, rief er.

Bald sah er das Schiff durch den Nebel hindurch, der mittlerweile aufgezogen war, als großen Schatten vor sich auftauchen.

„Moritz! Lass irgendein Seil herab, das mit ich wieder an Bord kann!“, rief er nach oben.

„Ist gut!“, kam die Antwort, die mehr als nur erleichtert klang. Justin schwamm wieder einige Meter weg vom Schiff und schaute nach oben aufs Deck. Melody, Timo und Shadow standen da und schauten zu ihm hinab. Moritz und ein Matrose kamen derweil mit einer Strickleiter, befestigten diese an der Reling und warf sie über Bord, sodass Justin daran empor klettern konnte. Kaum war er wieder an Bord, als sich auch schon alle um ihn herum versammelten.

„Alles wieder okay?“, fragte Melody besorgt.

Justin nickte und lächelte ihr beruhigend zu.

„Ja, keine Sorge, mir ist nichts passiert“, sagte er, „Ich habe Glück gehabt."

»So kann man es natürlich auch nennen«, war Jerrys Kommentar und flatterte auf Justins Schulter.

„Wieso, wie hättest du es denn genannt?“, fragte der.

»Vielleicht Wille der Herrin. Sie kann dich nicht sterben lassen, noch nicht. Denn mit dir sterbe auch ich und dann kann sich die Prophezeiung nicht erfüllen, weil einzig dein Schüler die Macht hat, den Todesgott zu vernichten. Und wenn nicht du ihr das nötige Wissen nicht beibringst, dann einer unserer Nachfahren, doch Melody erwartet kein Kind und auch Feli nicht. Hast du wirklich auch nur eine Sekunde lang geglaubt, dass du deiner Messerstecherei vor drei Jahren reinen Glückes wegen entkommen bist? Justin, selbst jemanden, der nicht an Gott oder Schicksal oder Wunder glaubt, selbst so jemanden wäre danach klar gewesen, dass es so etwas geben muss! Niemand überlebt einen Stich mit solch einem Messer in den Magen durch Glück«, antwortete Jerry.

„Von mir aus. Mir ist so ziemlich egal, warum ich noch lebe. Hauptsache, ich tue es“, brummte Justin.

„Jetzt würde mich aber mal das eine oder andere interessieren“, meldete sich der Kapitän durch das peitschen des Windes und deutete ihnen allen, unter Deck zukommen.

»Sie haben dich bei deinem Namen genannt«, beantwortete Jerry eine Frage, die Justin nicht einmal hatte denken müssen.

„Das heißt, jetzt gibt es ärger?“, erkundigte sich Justin.

»Ja und nein. Kommt jetzt vollkommen drauf an, was für eine Geschichte du ihm erzählst«, war Jerrys Antwort. Justin sagte nichts dazu. Er hätte es auch gar nicht mehr gekonnt, denn sie waren in der Kajüte des Kapitäns Angleangt.

„So. Jetzt erzählt mir doch mal ganz fix, wer ihr seid, warum ihr nach Äquadorea wollt und vor allem, warum du dich als Falkenlord ausgibst“, knurrte er Justin an.

„Fix erzählen werde ich sie wohl nicht, die Geschichte ist recht lang, aber okay, dann fange ich wohl besser ganz am Anfang an“, war Justins Kommentar dazu und fing zu erzählen an. Abwechselnd berichteten er und seine Freunde alles, was geschehen war und endeten an der Stelle, als sie den Kapitän trafen. Der beäugte sie alle misstrauisch.

„Solch einen Seemannsgarn soll ich euch glauben, ja? Der Falkenlord gefangen im Körper eines Tieres, sicherlich. Und er soll auch noch einen Bruder haben, gewiss doch“, nickte er sarkastisch.

„Warum will uns eigentlich anfangs nie jemand glauben?“, fragte Justin in die Runde, erwartete jedoch nicht wirklich eine Antwort, sondern seufzte Schicksalsergeben und fragte den Kapitän: „Sagen sie mir, wie wir es beweisen sollen, das unsere Geschichte wahr ist und wir tun es.“

„Tja, die Frage ist ja nur, welche Art von Beweis kann ich glauben schenken. Nun, machen wir uns darüber später Gedanken, jetzt überlege ich mir doch lieber, was ich mit euch mache, immerhin seid ihr unbefugt auf diesem Schiff“, murmelte der Kapitän.

„Wie man es nimmt“, widersprach Moritz.

„Aus meiner Sicht seid ihr es aber und mir gehört das Schiff, also jammert nicht. Blöd ist jetzt nur, dass ich euch nicht einfach über Planke laufen lassen kann. Was ihr übrigens einzig und alleine Lady Melody zu verdanken habt. Doch einfach so, vollkommen umsonst will ich euch natürlich nicht davon kommen lassen…“, brummte der Kapitän in seinen Bart.

„Sollen wir Deck schrubben oder Kartoffeln schälen oder so was?“, erkundigte sich Timo.

„Nein, nein, das wäre schon ein wenig billig oder nicht? Nein, ich möchte etwas anderes von euch. Ich möchte eine Feder der Phönixe, ich möchte eine Strähne des Rappen und ich möchte einen Stein aus der Schwertscheide Drachenwinds. Es kann ruhig der kleinste und wertloseste sein“, forderte der Kapitän.

„Woher wissen sie von Drachenwind? Ich habe es doch versteckt“, meinte Moritz verblüfft.

„Du glaubst doch nicht ernsthaft, dass ich eure Kajüten vollkommen undurchgeschaut lasse? Und dieses Versteck, das habe ich seinerseits selbst einmal Angleegt, damit die Leute dort ihre Dinge verstecken. Das erleichtert die Suche nach wertvollen Dingen ungemein“, antwortete der Kapitän.

„Also seid ihr ein kleiner, dreckiger Dieb oder was?“, wollte Shadow wissen und nickte dabei anerkennend.

„Nein, Dieb würde ich nicht sagen. Ich weiß nur gerne, was die Leute alles Wertvolles mit sich führen, die von mir übergebracht werden. Und wenn es etwas ist, das verboten ist und ich die Leute nicht mag, dann wird auch schon mal das eine oder andere an die Stadtwache weitergegeben. Meine Art, mich bei manchen, gewissen Leuten zu bedanken“, erklärte der Kapitän.

„Ach so“, meinte Moritz dazu.

„Wozu brauchen sie diese Dinge eigentlich?“, wollte Melody wissen.

„Ganz einfach, Mylady. Ihr kennt doch gewiss den Grafen vom Adlerfels?“, erkundigte sich der Kapitän.

„Natürlich kenne ich ihn. Ich war schon mehrfach auf Festen, die er gegeben hat und wir haben mehrere Bündnisse miteinander geschlossen“, antwortete Melody.

„Nun, vor einiger Zeit habe ich mal mit ihm Gewettet. Ich bringe ihm die Gegenstände, die ich von euch haben will und im Gegenzug bekomme ich eine ganze Flotte der Besten seiner Schiffe. Mehr ist nicht dabei. Ach ja und seine Tochter obendrein“, erklärte der Kapitän.

„Seine Tochter? Die hat er zum Gewinn für eine Wette erklärt?“, fragte Melody entsetzt.

„Nun ja, seht es so, Lady Melody, er erwartet nicht, dass ich ihm die drei Dinge jemals bringen kann. Wer erwartet das auch schon? Eine Feder eines Phönixes, ein Stein aus der Scheide Drachenwinds und eine Strähne aus dem Fell des Donnerherren! So was kann man nicht mal eben so auf dem Markt nebenan kaufen. Und das er seine Tochter als Wetteinsatz nutzt, dazu habe ich ihn über Tage hinweg gedrängt, die Idee kam also nicht von ihm“, antwortete der Kapitän achselzuckend.

„Aber warum wollen sie denn unbedingt seine Tochter haben? Alles andere zusammen reicht doch vollkommen aus“, fand Moritz.

„Wie man es nimmt. Die Schiffsflotte ist mir nämlich ziemlich egal, ich hatte es von vorn herein auf seine Tochter abgesehen. Ich meine, wer würde nicht praktisch alles dafür geben, sie ehelichen zu dürfen?“, der Mann schaute sich Beifall heischend um.

„Ich“, antwortete Moritz trocken, dann deutete er seinem Sohn, dass sie die Dinge holen gehen sollten

„Danke“, murmelte der Kapitän und hielt zufrieden die Feder, die Strähne und den Stein in seinen Händen.

„Aber meinst du, dass es der Tochter des Grafen recht ist, dass du sie heiratest?“, wollte Justin wissen, kaum hatte er sich wieder gesetzt, „Oder gar, das du sie bei einer Wette gewinnst?“

„Ja. Es wird ihr recht sein, mehr als das, da bin ich mir ganz sicher“, war die prompt gegebene Antwort.

„Da fällt mir ein“, sagte er plötzlich, nachdem er eine Weile nur die drei Dinge angestarrt hatte, „wie wollt ihr eigentlich wieder zurück kommen? Ich meine, wenn es so dringend war, hinzukommen und so schnell gehen musst, dann müsst ihr doch eigentlich auch schnell zurück oder nicht? Wie wollt ihr denn das schaffen?“

„Das wissen wir noch nicht. Aber ich persönlich habe mir auch noch keinerlei Gedanken darüber gemacht. Ich denke, das werden wir sehen, wenn es soweit ist“, war Justins Antwort und die anderen nickten zustimmend.

„Nun, ich würde ich euch wirklich gerne wieder überbringen, aber ich hatte eigentlich vor, sofort wieder abzulegen, mir meinen Gewinn aufs Schiff holen“, überlegte der Kapitän.

„Ich glaube, keiner von uns hat wirklich damit gerechnet, das sie uns wieder zurück bringen werden, wer oder was auch immer wir sind und das schon gleich zu beginn“, bemerkte Moritz.

»Ich weiß, wie wir den Rückweg auch ganz leicht schaffen könnten«, bemerkte Jerry.

„Und wie? Und muss ich mich dann wieder als dich ausgeben?“, wollte Justin wissen.

»Nein, ich glaube nicht. Nein, aber das werden wir dann machen oder ich erkläre es dir später. Oder noch besser, du lernst endlich einmal mein Gedanken zu lesen, dann bräuchte ich dir nämlich gar nichts mehr erklären«, brummte der Falke.

„Ja, ja, bleibt ruhig!“, zickte Justin und Jerry war zu recht der Ansicht, dass Justin im Moment einer Antwort nicht würdig war. Justin stand auf.

„Ich werde mir trockene Klamotten suchen, sonst bin ich wirklich krank, wenn wir ankommen“, meinte er.

„Ich komme mit“, ereiferte ich Melody, sprang auf und zusammen gingen die beiden nach draußen, was den Kapitän zu einem Stirnrunzeln veranlasste, doch er verhielt sich jeden Kommentars.

„Das er ins Wasser gefallen ist hat ein gutes“, fiel Shadow plötzlich auf.

„Aja? Und was?“, wollte Moritz wissen.

„Er ist nicht mehr so merkwürdig“, stimmte Timo der Chito zu.

Moritz sagte nichts dazu, nickte nur und sie alle standen auf und gingen zurück in ihre Kabinen.

Lord Korala

Wow!“, das war das einzige, was Justin raus brachte, als das Schiff im Hafen von Port Qualla anlegte. Er war schon in der einen oder anderen Hafenstadt gewesen, dafür hatte Frau Chang mit ihrer letzten Klassenfahrt gesorgt und er war auch schon ein paar mal in wirklich großen Hafenstädten gewesen, dafür hatte seine Mutter gesorgt, aber er war noch nie in solch einer Hafenstadt gewesen. Port Qualla war die größte Hafenstadt auf ganz Äquadorea und sie war wirklich riesig. An den Docks hatten sicherlich mehr als tausend riesige Schiffe platz, überall wurde auf- und abgeladen, es gab direkt am Meer einen riesigen Markt, auf dem die unterschiedlichsten Dinge feilgeboten wurden und die Stadt selbst erstreckte sich so weit, wie Justin schauen konnte, würde von beiden Seiten von Mauern eingefasst. Doch was ihm wohl am meisten faszinierte war wohl, das er sich fühlte, wie in den Geschichten von Tausend und einer Nacht. Die Elben, oder was auch immer sie waren, trugen weite Hosen, Turbane und lediglich eine Weste, die Frauen dazu noch ein weißes Tuch, das ihnen die Blöße nahm. Anders als in Polara schien es keinerlei blonde Elben zu geben, doch auch keine mit solch Nichtsfarbenem Haar, wie das Melodys.

„Beeindruckend, nicht wahr?“, fragte eben die und stellte sich neben ihn an die Reling.

„Mehr als das“, nickte Justin.

„Ich weiß. Ich kann mich noch sehr gut daran erinnern, als ich zum ersten Mal hier war. Kaum acht Winter war ich damals alt. Ich habe mich gefühlt, wie in eine der Geschichten, die Leilo mir früher immer erzählte“, antwortete sie.

„Leilo?“, fragte Justin.

„Ja, der Vorgänger von Jack. Bevor er in die Dienste meiner Vorgänger eintrat hatte er praktisch die ganze Welt bereist und hat mir abends sehr oft davon erzählt. Und am liebsten hat er von diesem Land erzählt, weil dies hier so viel anders ist, als die anderen. Hier regiert das Feuer und deswegen wird es niemals kalt. Nicht einmal im tiefsten Winter, aber dafür regnet es hier auch kaum. Wasser ist ein knappes und kostbares Gut“, erklärte Melody.

„Also wie in Afrika in meiner Welt“, murmelte Justin.

Melody zuckte mit den Achseln, zog den Rotschopf dann mit sich vom Schiff, wo sich die anderen drei schon gesammelt hatten.

„Okay, wo gehen wir nun am besten hin?“, erkundigte sich Moritz.

„Ins Schloss des Reichsherrn diesen Kontinentes. Dort werden wir die Nacht verbringen können und haben auch Zeit, uns mit entsprechenden Dingen, die wir benötigen werden, einzudecken“, antwortete Melody.

„Okay. Dann holen wir unsere Pferde und reiten los“, nickte Moritz und sie gingen ihre Tiere holen. Nur wenige Minuten später saßen sie auf dem Rücken ihrer Tiere und ritten durch die Stadt.

„Gibt es hier eigentlich keine blonden Elben?“, fragte Justin nach einer Weile, denn keiner der Elben, die ihnen bisher begegnet war, helleres Haar als Hellbraun. Jedoch auch keiner dunkleres als schwarzbraun. Von einer solchen Farbe wie das Melodys ganz zu Schweigen.

„Das sind keine Elben“, widersprach Melody.

„Was denn sonst?“, Justin schaute das schwarzhaarige Mädchen verwundert an.

„Elben und Elfen gibt es nur auf Polara. Hier gibt es Fya, die, die hier überall herumlaufen, die sind so etwas wie Elben, wie du sie kennst, nur haben sie in der Regel braunes Haar, wie die Elben blondes. Und das, was bei uns die Elfen sind, das sind hier die Flova. Sie bringen die wenigen Pflanzen zum wachsen, die es in der Wüste gibt und vor allem sind sie die Wächter der Oasen. Ohne sie wäre das Land kaum bewohnbar. Und auf dem südlichen Kontinent, da sind die Woola die, die man als Elbenähnlich bezeichnen kann. Und die Pflanzenschützer sind die Roosea“, erklärte Melody.

„Und so was wie Chito?“, hakte Timo nach, „gibt es die auch hier in der Gegend, oder zumindest etwas ähnliches?“

„Ja, die Chito haben immer schon die ganze Welt bevölkert, man trifft sie hier ebenso, wie auf jedem anderen Land der Welt, auch wenn sie überall nur vereinzelt kommen“, erklärte Shadow.

„Und die Fabelwesen? Also, Drachen, Einhörner, Minotauren…?“, löcherte Justin weiter.

„Die gibt es hier auch. Es gibt die verschiedenen Fabelwesen überall auf der Welt, nur vereinzelte Wesen kommen nur in einem bestimmten Kontinent vor“, antwortete diesmal Moritz.

„Welche denn zum Beispiel?“, Justins Augen glänzten vor Begeisterung.

„Nun, die Phönixe zu Beispiel können nur hier leben, da sie Feuervögel sind. Dafür könnten hier nie die Greifen leben, dazu bedarf es nämlich ein Land voll von Wind. Auf dem südlichen Kontinent dagegen sind die Zyklopen zu Hause“, antwortete Moritz.

„Es gibt Zyklopen hier?“, rief Justin begeistert.

„Ja, natürlich. Du wirst in keinem Buch von einem Volk lesen können, das du hier nicht finden kannst“, erklärte Moritz.

„Kann man hier auch Engel finden?“, wollte Timo nachdenklich wissen, „ich meine, so richtige Engel, diese biblischen Wesen!“

„Wenn ich sage alle, dann meine ich auch alle“, war Moritz’ Antwort.

„Toll“, meinte Justin selig.

Den restlichen Weg folgten sie Melody schweigend, doch Shadow, Justin und Timo konnten sich nicht satt sehen, an dieser so fremden Stadt.

Dann kamen sie an, auf dem Hof des Schlosses. Ein Elb, diesmal ein wirklicher Elb, mit hellblondem Haar trat ihnen entgegen.

„Seid gegrüßt, ihr Fremden. Was führt euch hierher?“, fragte er höflich und hielt Melodys Pferd an den Zügeln.

„Guten Tag, mein Herr. Wir sind reisende und erbitten eine Audienz bei den Herren diesen Reiches. Sagt ihm, Melody, die Herrin des Nördlichen Elbenreiches ist eine von ihnen, dann wird er uns empfangen“, erklärte das Mädchen.

„Melody? Bist du wirklich die kleine Melody?“, fragte der Elb verblüfft und schaute hinauf zu ihr.

„Ja. Kennen sie mich?“, wollte die Elbe wissen.

„Aber natürlich! Erkennst du mich nicht? Ich bin es, Leilo!“, rief der Elb aus.

„Leilo? Leilo?!“, rief Melody, rutschte aus dem Sattel direkt in die Arme des Elben.

Shadow, Timo und Justin warfen sich einen fragenden Blick zu, Jerry, der ihnen aus der Luft gefolgt war, landete auf Justins Schulter.

„Oh, Leilo, haben wir uns lange nicht gesehen!“, Melody strahlte den Elben an, als könnte sie sich nichts schöneres vorstellen, als ihn zu treffen und dieser Blick versetzte Justin einen scharfen Stich im Herzen, doch er versuchte sich nichts anmerken zu lassen, was ihm auch erstaunlich gut gelang, denn keiner machte eine Bemerkung, keiner außer Jerry.

»Tut weh, sie so zu sehen, nicht wahr? Aber mach dir nichts draus, sie hat keinerlei Interesse an ihm. Für sie ist er wahrscheinlich so etwas, wie ihr Vater«, meinte er.

»Das mag wohl sein, Jerry«, antwortete Justin in seinen Gedanken, »Und doch ändert das nichts an dem Schmerz im Herzen.«

„Was machst du denn hier, Melody“, fragte Leilo.

„Was soll ich hier tun? Reisen natürlich!“, rief Melody lachend.

„Das ist mir schon klar, aber wieso? Und wer sind deine Begleiter?“, wollte Leilo wissen.

„Nun ja, die Geschichte ist ein wenig länger, aber meine Begleiter, das sind einmal Moritz, der schwarze Ritter, wie man ihn nennt, im hohen Norden, dann Shadow, die Tochter Darks und die Herrin der Schatten, Timo, der Sohn Moon und Nights und Justin, der Weltenretter selbst“, erklärte Melody.

„Melody…“, knurrte Justin.

„Von mir aus, dann eben nicht der Weltenretter. Aber jemand, der dem Weltenretter sehr nahe stehen wird“, korrigierte die Elbe lachend.

„Oh, oh! Hoher Besuch also!“, rief Leilo aus.

„Ja, so mehr oder weniger, genau“, nickte Melody lachend.

„Das wird Lord Korala sehr interessieren!“, meinte Leilo und Melody nickte zustimmend.

„In der Tat, das wird es. Ich denke, wir sollten gleich zu ihm gehen oder nicht?“, sie schaute den Elben fragend an.

„Ja, ich werde ihm bescheid geben, wartet bitte in der Eingangshalle“, sagte der und verschwand durch das Tor.

Auch die anderen kletterten aus den Sätteln und ein paar Jungen eilten herbei und nahmen die Zügel entgegen. Einzig Justin gab Thunders Zügel nicht aus der Hand, denn er wusste nur zu genau, dass keiner der Jungen mit dem Hengst fertig werden konnte.

„Willst du auch in den Stall?“, fragte er den Rappen.

»Nein, ich möchte dieses Land sehen. Die Wolken erzählten mir zwar, wie es hier aussehen würde, doch selbst gesehen habe ich es noch nicht. Nimm mir einfach die Trense ab, ich werde kommen, wenn du mich rufst, und mich ansonsten umsehen, hier, an diesem seltsamen Ort«, erklärte der Hengst und mit einem nicken streifte Justin den Riemen über die Ohren, nahm das Gebiss entgegen und zog den Rest über das Horn. Mit einem freudigen wiehern schüttelte Thunder seine schwarze Mähne, breitete seine mächtigen Schwingen aus und galoppierte über den Hof, bevor er einen mächtigen Satz machte und über den Himmel davon flog. Auch Jerry stieß sich ab, von Justins Schulter und flog gen Himmel.

»Ich bin bald wieder zurück!«, rief er Justin noch zu, wohin er wollte oder warum, das sagte er nicht.

Justin schaute ihm noch einen Augenblick lang nach, nahm dann von Moritz einen der beiden Feuervögel entgegen, wegen dem sie überhaupt hier waren und setzte sich den auf die Schulter, folgte dann den anderen in das Gebäude hinein.

»Bald sind wir wieder daheim, nicht wahr? «, fragte der Phönix.

„Ja, es wird nicht mehr lange dauern“, nickte Justin.

Kaum hatte er die paar Worte gesprochen, als auch schon Leilo zurückkehrte.

„Lord Korala möchte euch sehen, euch alle, folgt mir bitte“, sagte er förmlich und führte sie durch einige Gänge hin zu einer großen Tür. Ohne anzuklopfen stieß er diese auf und ließ die Gruppe hindurch treten, er selbst kam als letzter herein, schloss die Tür hinter sich. Sie standen in einer Bibliothek, über und über voll gestopft mit Büchern. Auf halber Höhe des Saals erhob sich eine Galerie, auf der ebenfalls nur Regale mit Büchern waren. Selbst unter dem Fenster und über der Tür befanden sich Regale. Und vor einem dieser Fenster stand ein Mann, dem man so deutlich ansah, das er der Lord Korala war, als hätte ihm das jemand mit einem grellen neopink auf die Stirn tätowiert. Der Lord drehte sich um, als er hörte, wie sich die Tür schloss, lächelte dabei freundlich, väterlich.

„Seid gegrüßt, meine Gäste!“, rief er und kam mit einem strahlenden Lächeln auf sie zu, „Und vor allem dich begrüße ich herzlich, Lady Melody! Lange schon hoffte ich, zu sehen, was in all den Jahren aus euch geworden ist, und warum um alles in der Welt Auris so vernarrt ist, in euch!“

Melody nickte und lächelte Korala freundlich an.

„Auch euch einen schönen Gruß, Mylord“, war ihre Antwort.

Der Lord schien nicht einmal bemerkt zu haben, da sie etwas gesagt hat, er betrachtete sie von oben bis unten und nickte dann zufrieden.

„Wahrlich, eine wunderschöne junge Elbe seid ihr geworden! Ich verstehe, was Auris an euch findet, wäre ich nicht so alt, das ich euer Vater sein könnte, ich würde euch sofort einen Antrag machen, meine liebe“, selbstzufrieden seufzte er.

„Und ihr würdet damit ebenso wenig erfolg haben, wie Lord Auris, denn mein Herz gehört schon einem anderen“, antwortete Melody.

Der Lord lachte: „Das gefällt mir! Sucht euch euren Gatten ruhig selber aus und hört dabei auf nichts anderes, als auf euer Herz. Denn Zufriedenheit kann nicht alles Gold und alle Macht der Welt einem bringen!“

„Das müsst ihr mir nicht sagen, das weiß ich zu genüge“, nickte Melody.

Auch der Lord nickte selbstzufrieden, wandte sich dann den anderen zu.

„Der schwarze Ritter“, wandte er sich als nächstes an Moritz, „ich hörte von euch. Sowohl gutes, als auch schlechtes. Was davon ist wahr?“

„Nun, ich weiß nicht, was ihr hörtet, drum sage ich mal, das alles Gute wahr ist, und alles Schlechte lediglich Gerüchte sind“, meinte Moritz und wieder lachte der Lord.

„Nicht nur geschickt mit dem Schwert, sondern auch mit der Zunge, gefällt mir. Ist das Schwert, das ihr da tragt, Drachenwind?“

Moritz nickte und zog die Klinge, hielt sie dem Lord hin: „Ja, kein geringeres Schwert, als die Klinge der Winde. Jedoch bewahre ich sie nur auf, bis der, dem sie rechtmäßig gehört, auch bereit ist, sie zu tragen.“

„Aha“, machte Korala und nahm das Schwert entgegen fachmännisch musterte er es, machte einen Schlag in die Luft und gab es Moritz wieder zurück.

„Ein wahrlich wundervolles Schwert. Hätte ich die Möglichkeit, mit dieser Klinge einmal zu Kämpfen, ich würde euch sofort mein Reich überlassen“, sagte er.

Moritz nickte, sagte aber nichts mehr und sofort wandte sich der Lord dem nächsten zu, Shadow.

„Ihr seid dann wohl die Tochter Darks?“, fragte er und Shadow nickte.

„Interessant, dass ein Mann in einer solchen Stellung wie Dark ein Mädchen als sein erstgeborenes Kind anerkennt. Interessant, aber bei ihm nicht verwunderlich. Nicht viele Wesen auf Erden sind so Charakterstark, wie er es war“, überlegte der Lord und musterte Shadow dabei eingehend.

„Ja, mein Vater war nie so wie andere ihn haben wollten. Er blieb, was er war, ohne darauf zu achten, was andere davon hielten. Aber ich glaube weniger, das ich sagen kann, das er mein Vater war, weil es ihn nicht gestört hat, das ich ein Mädchen bin, als vielmehr, weil er seine Verbindung zu meiner Mutter nicht leugnen wollte und diese mir nichts hätte antun können. Keine Mutter der Welt kann ihrem Kind etwas antun, zumindest nicht, wenn sie schon eine Ewigkeit auf eben dieses Kind warten musste“, antwortete die Chito und zuckte dabei nervös mit ihren Ohren.

„Das sehe ich anders. Ich hatte ja das Vergnügen ihn ein oder zweimal zu treffen, er war ja gut befreundet, mit Night, auch wenn diese Freundschaft leider in die Brüche ging. Aber damals, vor eurer Geburt muss das gewesen sein, da hat er nicht auf mich den Eindruck gemacht, als würde es ihn in irgendeiner weise stören, was andere von ihm denken. Nein, ich glaube, selbst wenn eure Mutter euch hätte ertränken wollen, hätte er sie daran gehindert. Schade, das er so früh schon dahin scheiden musste. Die wahrlich Guten trifft es leider immer als erste“, seufzte der Lord und Shadow nickte. Als nächstes wandte er sich Timo zu.

„Da du der zweite Chito bist, musst du der Sohn Moons und Nights sein, nicht wahr?“, fragte er und Timo nickte: „Ja, genau der bin ich.“

„Auch hier finde ich es ein Jammer, das deine Eltern so früh hatten sterben müssen“, meinte der Lord weiter.

„Oh nein, meine Eltern sind noch am leben. Erst vor kurzem verabschiedeten wir uns von meiner Mutter, während wir hierher segelten brachte sie nämlich einen Freud zurück zu seiner Mutter, da er noch ein wenig zu jung war, um mit uns hierher zu kommen“, erklärte Timo.

„Moon und Night sind nicht Tod? Die Geschichte müsst ihr mir genauer erzählen! Wo sind sie und wie geht es ihnen?“, fragte Korala sogleich.

„Nun, diese Geschichte gehört zu unserer großen Geschichte dazu und ich denke, die werden wir nachher zum Besten geben“, mischte sich Moritz ein.

Der Lord schaute ihn nachdenklich an, nickte dann aber und wandte sich letztendlich Justin zu.

„Leilo sagte, das ein enger Vertrauter des Weltenretters zu dieser Gruppe gehören soll und da ihr als einziger übrig seid, nehme ich an, das ihr es seid“, sagte er dann nach einigen Sekunden des Schweigens ehrfurchtsvoll. Hatte er sich bei den anderen noch fröhlich angehört, sprach er nun mit solch einem Ernst, als würde er an dem Grab eines Wesens stehen, das ihm ebenso viel bedeutet, wie sein Leben. Justin antwortet darauf nicht, sondern schaute dem Lord stumm in den Augen, las in ihnen, was Korala dachte, was er fühlte, was er tun würde, was für ein Mensch ihm gegenüber stand und anders als die meisten Wesen wandte der Lord seinen Blick nicht ab, versucht nicht unbewusst Justin daran zu hindern, zu lesen, was auch immer man in den Augen lesen konnte, sondern erwiderte den Blick blinzelte nicht einmal, obwohl sie mehrer Minuten stumm so dastanden.

„Man sagt, die Augen sind der Spiegel der Seele“, sagte Justin dann endlich, „und eure Augen sind anders, als die der meisten Wesen, mir Macht. Die meisten haben kalte Augen, das einzige, was sie interessiert ist, das es ihnen selbst gut geht, das sie immer mehr und mehr Reichtümer haben und immer mehr Land besitzen können. Ihr seid anders, Lord Korala. Eure Augen strahlen vor Lebenslust, sie sind warm, zeigen Mitgefühl für andere, denen es nicht so gut geht, wie euch. Ihr seid in der Lage, Mitgefühl zu empfinden. Mitgefühl und Zuneigung und das sind zwei wichtige Eigenschaften, um ein Reich zu führen, wenn nicht sogar genau die wichtigsten. Ich fühle mich geehrt, euch kennen lernen zu dürfen.“ Justin neigte den Kopf und zeigte damit mehr als deutlich, dass er jedes gesagte Wort ernst meinte.

„Das aus eurem Munde zu hören ist mehr, als jemand wie ich es sich in seinen kühnsten Träumen hätte erträumen können und dafür danke ich euch, Sire“, antwortete der Lord.

„Nein, bitte keine Höflichkeiten. Sie bilden nur eine Kluft zwischen Wesen, die eigentlich miteinander umgehen sollten, wie Geschwister, denn wir alle Leben und jedes Leben ist gleich, kein Wesen ist besser, als ein anderes. Nennt mich Justin, wie alle anderen auch“, bat der Rotschopf.

„Wenn ihr… wenn du es so möchtest, möchte ich dir diesen Wunsch gerne erfüllen“, nickte der Lord. Dann zauberte er wieder ein herzliches Lächeln auf seine Züge.

„Nun, dann hören wir auf, mit diesen Höflichkeiten, lasst uns in das Kaminzimmer gehen und dort erzählt ihr eure Geschichte, einverstanden?“, fragte er und die anderen nickten. So gingen sie in einen anderen Raum und erzählten ein weiteres mal ihre Geschichte, jedoch diesmal ausführlich. Es war ein wenig, als würden sie einem Kind eine Geschichte erzählen, nicht dieses schnelle Aufzählen von Tatsachen, wie es sonst immer war und sowohl Leilo als auch Lord Korala hingen an den Lippen desjenigen, der gerade erzählte. So verbrachten sie den ganzen Abend und auch die folgende Nacht und als der Morgen dämmerte, da herrschte ein nachdenkliches Schweigen im Raum.

„Eine wahrlich wundervolle Geschichte“, sagte dann der Lord.

„Nein“, widersprach Justin.

„Und wieso nicht?“, wollte Leilo prompt wissen.

„Wundervoll wird sie erst dann sein, wenn die ein glückliches Ende hat, doch das wird sie nicht haben. Keine Geschichte, die das Leben selbst erzählt hatte je ein glückliches Ende, denn es endet nichts. Nicht wirklich. Selbst der Tod ist nicht das Ende, wenn man den zahlreichen Glaubensrichtungen der verschiedenen Völker, die jemals lebten oder im Moment noch existieren, glauben schenken darf. In praktisch jeder Kultur wird von Wiedergeburt oder von einem Leben in einer anderen Welt nach dem Tod gesprochen. Selbst hier. Und es muss etwas wahres dran sein, denn es ist nicht möglich, das hunderte Völker unabhängig voneinander auf ein und die selbe Idee kommen, ohne das sie einen wahren Kern hat“, erklärte Justin.

„Stimmt, aber der Teil, der bisher geschah, ist schon eine kleine Geschichte für sich und die ist durchaus wundervoll. Sie ist eben so, wie die Geschichten, die man sich gerne erzählt, wenn man abends im Winter beisammen sitz, vor einem prasselnden Kaminfeuer. Es fehlt doch nur noch ein schönes Ende. Und egal, wie die Geschichte nun wirklich enden mag oder ob sie jemals ganz endet, man wird sie sich erzählen, wie man sich jedes Geschichte erzählt, die sich um den Weltenretter ranken und um jene, die ihm nahe stehen und egal, wie das Ende auch aussehen mag, in den Geschichten wird es immer ein Gutes sein“, meinte Leilo.

„Ja, das kann gut sein“, antwortete Justin, stand auf und ging an eines der Fenster. Ein Falke war auf dem Fensterbrett gelandet, ein Tier mit rostrotem Gefieder.

„Und? Wie war dein Rundflug, Bruderherz?“, fragte er und ließ das Tier auf seinen Arm springen.

Jerry antwortete nicht, sondern begann damit, sein Gefieder zu säubern und neu zu ordnen.

„Oh nein!“, rief der Lord auf einmal.

„Was ist Herr?“, wollte Leilo sogleich alarmiert wissen.

„Ihr hattet eine solch anstrengende Reise hinter euch und jetzt musstet ihr auch noch die ganze Geschichte erzählen, nur weil ich so neugierig war! Ich bin wahrlich der schlechteste Gastgeber, den man sich nur wünschen kann! Leilo, zeige ihnen doch bitte die Gästezimmer“, bat der Lord und beruhigt nickte der Elb und deutete ihnen, dass sie mitkommen sollten.

„Tut mir leid, aber der Lord bekommt hier nur sehr selten Besucht, weswegen es nicht genug Gästezimmer geben wird, für euch alle. Nur einer wird ein Zimmer alleine bewohnen können“, erklärte er als er die fünf durch die Gänge führte.

„Ich bezweifle, dass das irgendwem stören wird, im Gegenteil“, meinte Moritz.

Irritiert schaute Leilo über die Schulter zurück zu ihm, sagte aber nichts. Er hielt vor einer Tür und machte eine auffordernde Geste.

„Wenn ich ein Pärchen bitten dürfte, das ist eines der Zimmer. Die Betten sind weiß Gott groß genug, das auch zwei in ihnen schlafen können, ohne sich zu nahe zu kommen. Mein Vorschlag wäre, das…“, weiter kam Leilo nicht, den Justin hatte die Tür aufgestoßen und eine einladende Geste in den Raum hinein gemacht und zu Leilos maßlosem Erstaunen trat Melody herein. Justin schloss die Tür wieder und Leilo blieb mit offenem Mund vor der Tür stehen.

„Hat“, rang er sich dann durch und schaute Moritz an, „das gerade eine besondere Bedeutung?“

„Nein, sicherlich nicht“, antwortete der sarkastisch, „es hat ja auch nie eine Bedeutung, wenn ein junger Mann eine junge Frau auffordert, ihn auf sein Zimmer zu begleiten.“

Shadow und Timo lachten laut auf, als sie Leilos irritierten Blick sahen, doch der Elb sagte nichts weiter, sondern führte auch die anderen zu ihren Räumen. Justin und Melody unterdessen warfen die Decken auf die Erde, wussten sie doch beide, das der Tag heiß werden würde und an Schlaf mit Decken gar nicht zu denken war. Ohne die Klamotten erst umständlich ausgezogen zu haben, warfen sie sich aufs Bett. Eine ganze Weile lagen sie so nebeneinander da und versuchten zu schlafen, doch obwohl beide müde waren, wollte der Schlaf einfach nicht kommen.

„Justin?“, fragte Melody nach einander Weile, „bist du auch noch wach?“

„Ja. Ja, ich bin wach. Mehr als wach“, brummte der und gähnte dabei herzhaft, was Melody einen kleinen Lacher entlockte.

„Schön, das ich nicht die einzige bin, die sich zwar unglaublich müde fühlt, dann aber nicht schlafen kann“, meinte sie und rutschte näher zu Justin. Während sie ihren Kopf auf seiner Brust bettete, legte er seinen Arm um sie.

„Sag mal…“, meinte er nach einer Weile.

„Hm?“, machte Melody.

„Warum ist Leilo eigentlich weggegangen? Hatte das einen besonderen Grund?“, fragte er.

„Ja, aber ich will nicht darüber sprechen. Es erinnert mich an Dinge, die ich vergessen will und es sagt meinem Verstand, dass es mit uns nichts werden kann“, antwortete Melody.

Justin lachte leise und humorlos: „Das wird es sowieso nicht, Melody.“

„Und wieso nicht? Warum sollen wir denn nicht ewig zusammen leben können?“

„Ganz einfach, weil wir aus verschiedenen Welten kommen. Melody, wenn du genau darüber nachdenkst, dann wird auch dir klar werden, das es nicht geht, nicht gehen kann! Du könntest deine Welt nie aufgeben und ich meine nicht. Und etwas dazwischen kann es nicht geben.“

Melody sagte nichts dazu, sie schmiegte sich nur noch mehr an Justin heran.

„Ich will dich nicht verlieren, nicht jetzt, und nicht in ein paar Tagen, Wochen oder Monaten oder wie viel Zeit auch immer uns noch bleiben mag…“, murmelte sie. Sie wartete, das Justin ihr darauf antworten würde, doch der war eingeschlafen, hatte das Glück, eine Weile nur noch von seinen Träumen gequält zu werden.

Durch die Wüste

Willst du nicht Thunder reiten?“, Moritz schaute fragend zu Justin hinüber, der versuchte, sein Schwert am Sattel einer der Reitechsen zu befestigen. Es gelang ihm nicht.

„Meinst du wirklich, ich kann es ihm antun, auf ihm die Wüste zu durchqueren? Er ist kälter gewohnt, normalerweise kennt er nur Schnee und grüne Wiesen und Wälder, aber keinen Wüstensand. Und mit dem schwarzen Fell würde er mir binnen Stunden unterm Hintern wegsterben und das muss nicht sein“, war Justins Antwort und er versuchte jetzt irgendwie, den Sattel noch ein wenig fester zu machen, was ihm aber ebenfalls nicht gelang.

„Aha“, machte Moritz und schaute Justin noch einige Minuten zu, wie der sich mit dem Sattel abmühte, es dann aber aufgab und versucht, die Echse zu zäumen. Auch das misslang kläglich, doch auch Moritz und die anderen hatten es nicht hingekriegt.

Wortlos trat plötzlich Leilo neben ihm und zäumte die Echse auf, die es sich willig gefallen ließ.

„Wie nennt man diese Wesen?“, wollte Justin wissen, nachdem er eine Weile wortlos dabei zugeschaut hatte.

„Laufechsen“, war Leilos einsilbige Antwort.

Justin musterte das Tier. Ja, es war in der Tat eine Echse, das Tierchen hatte Ähnlichkeit mit einem Dinosaurier. Justin viel nicht mehr ein, wie man diese Dinosaurier nannte, aber sie hatten wirklich große Ähnlichkeit miteinander, wie er fand. Nur das dieser Dino einen Sattel und eine Trense trug und eben nicht ausgestorben war.

„Wie heißt du eigentlich?“, wollte er von der Echse wissen, doch Leilo schien nicht so schnell geschalten zu haben, weswegen er antwortete: „Leilo, weißt du doch.“

Justin schüttelte den Kopf: „Nein, nicht du, ich wollte von der Laufechse wissen, wie sie heißt.“

Leilo schaute ihn einen Augenblick lang an, als hätte er nicht mehr die sprichwörtlichen Tassen im Schrank, doch dann fiel ihm wieder ein, das Justin ja keinerlei Problem damit hatte, die Sprache anderer Wesen zu verstehen. Er hatte es zwar noch nicht bei Reptilien ausprobiert, doch er hatte kaum Zweifel, dass es bei einem solch intelligenten Wesen, von solch einer Größe in irgendeiner weise Schwierigkeiten geben würde. Und er hatte Recht, denn die Echse antwortete ihm.

»Wir haben keine Namen. Zumindest keine, die du imstande wärst, auszusprechen«, antwortete das Tier.

„Ja, das habe ich mir fast gedacht. Willst du mir wenigstens sagen, ob du ein männliches oder ein weibliches Wesen bist? Dann denke ich mir für dich einen Namen aus, den ich auch aussprechen kann“, meinte Justin.

»Nein, nein, ich möchte keinen Namen haben. Du wirst sowieso der Einzige sein, der ihn kennt und dafür lohnt es sich nicht, dass ich mir ihn merke«, widersprach das Echsentier.

„Nun gut, deine Entscheidung“, Justin zuckte mit den Schultern, hob dann einen der Phönixe von seiner Schulter und setzte ihn auf den Rücken der Laufechse.

„Können wir los?“, fragte Leilo neben ihm.

„Kommst du etwa mit?“, fragte Timo verwundert und auch Justin machte ein erstauntes Gesicht.

„Ja, natürlich! Ihr alleine würdet euch ganz gewiss verlaufen, in der Wüste, denn ihr kennt euch dort nicht aus. Nun ja, keiner kennt sich dort wirklich aus, denn sie ändert ihr Aussehen jeden Tag, doch ich weiß, wo die Oasen sind und ohne Wasser werdet ihr nicht Leben können“, erklärte Leilo.

„Klingt einleuchtend“, nickte Justin.

„Ja“, sagte Leilo laut und flüsterte dann Justin zu: „Und außerdem möchte ich noch einmal mit dir persönlich und unter vier Augen sprechen.“

„Das hört sich ja mies an. Irgendetwas Schlimmes?“, wollte der ebenso leise wissen.

„Nein, nein, nicht wirklich. Aber es liegt mir sehr am Herzen. Dazu jedoch später, nicht jetzt und nicht hier“, meinte der Elb und ging zu einer Laufechse, die ein Junge herbei brachte. Geschickt kletterte in den Sattel und die anderen gaben ihr bestes, es ihm gleich zu tun. Rauf kamen sie auch alle irgendwie, doch niemand schaffte es auch nur halb so ansehnlich, wie Leilo. Es war eben ein Unterschied, ob man nun auf den Rücken eines Einhorns, eines Pferdes oder auch eines Greifen kletterte, als wenn es der Rücken einer Laufechse war. Doch dann konnten sie los, hinein, in die Hitze der Wüste. Während die Reiter sich langsam aber sicher immer durchgeweichter von ihrem Schweiß fühlten und meinten, unter der Sonne verbrennen zu müssen, konnte man den Feuervögeln dabei zusehen, wie sie sich mehr und mehr erholten und auch die Echsen schienen sich immer wohler zu fühlen. Stunde um Stunde ritten sie so dahin, die einzige größere Pause, die sich machten, waren die Stunden um Mittag herum, denn das hätte keiner von ihnen überlebt, das war sicher. Nein, diese besonders heißen Stunden des Tages verbrachten sie im Schatten eines riesigen Felsens.

„Wäre es nicht einfacher, wenn wir nachts reisen würden? Dann würde uns die Hitze nicht so zu schaffen machen“, überlegte Timo als sie so dasaßen und einfach nur versuchten, möglichst kühl zu sein.

„Nein, dann hätten wir Pferde nehmen müssen, aber die würden hier nicht allzu lange überleben. Dafür sind die Temperaturschwankungen zu extrem, das macht auf die dauern kaum ein Tier mit. Und die Laufechsen fühlen sich eben wohler, wenn es heiß ist, weswegen sie auch Tagsüber schneller sind, als in der Nacht“, erklärte Leilo, doch es war Timo schlicht zu heiß, um verstehen zu wollen, was der Elb ihm da erklärt hatte und auch die anderen hatten nicht einmal einen Versuch gemacht, zuzuhören. Sie gingen schlicht jeder Anstrengung aus dem Weg.

„Heute Nacht werden wir bei einer Felsgruppe unser Lager aufschlagen. In der Nähe gibt es keine Quellen und der Brunnen dürfte um diese Jahreszeit praktisch ausgetrocknet sein, also geht möglichst sparsam mit eurem Trinkwasser um“, mahnte Leilo.

Das waren die einzigen Worte, die währen der gesamten, mehrstündigen Pause gewechselt wurde und auch auf dem weiterem Weg waren sie nicht gesprächiger. Als sie am späten Nachmittag dann bei der Felsengruppe ankam, atmeten alle erleichtert auf. Sie sattelten ihre Echsen ab und bereiteten ihr Lager soweit vor, wie es nötig war. Essen würden sie erst, wenn die Sonne untergegangen war, das hatten sie einstimmig beschlossen. Und keiner bereute den Entschluss, den ihnen war zu warm, zum essen.

„Also eines weiß ich, ich werde mich im Sommer nie wieder über die Hitze beschweren“, brummt Timo irgendwann und Justin lachte leise und kurz.

Doch irgendwann kam dann die Nacht, legte ihre Decke der Kühle und Dunkelheit über das Land.

Und mit dem Schwinden der Sonne kam die Kälte. Es wurde nicht wirklich kalt, doch nach der Hitze des Tages war dieser Temperaturumschwung so extrem, das es ihnen allen vorkam, als wären sie plötzlich vom Backofen in die Tiefkühltruhe befördert worden. Irgendwann dann in der Nacht schliefen sie ein.

Auf diese oder ähnliche weise vergingen die Tage und sie hatten irgendwann aufgehört, die Tage zu zählen. Leilo hatten nicht einmal Justin angesprochen und der hatte mittlerweile vergessen, dass der Elb mal vorgehabt hatte, mit ihm ein Gespräch zu führen. Irgendwann aber waren sie angekommen, beim Feuerberg. Die Heimat, der Phönixe und wahrscheinlich das größte Paradies auf Erden, für einen Vogel, geboren aus Feuer und Asche, den der Berg hieß keineswegs nur so, weil er inmitten einer Wüste lag und Tag für Tag die Sonne auf ihn nieder brannte. Nein, er hieß so, weil der Berg eine art Vulkan war und selbst wenn er es nicht gewesen wäre, überall in der Umgebung brannte das Feuer. Es schien dabei nichts zu verzehren zu müssen, es schien durch den Sand selbst zu brennen, auch wenn es nicht mehr viel davon gab. Der meiste Sand hat sich innerhalb der Jahrhunderte, vielleicht auch Jahrtausende zu Glas zerschmolzen. Schwarzes Glas, das die Hitze der Sonne noch zusätzlich aufsog, wie ein trockener Schwamm das Wasser und entsprechender Weise so heiß war, das es wohl nichts auf Erden gab, das dieser Hitze widerstehen konnte.

Sie konnten nicht sehr nahe heran, an dieses Terrain der Hölle, denn selbst in einem Kilometer Entfernung spürte man die Hitze noch, kaum mehr als einen halben Kilometer kam man nicht heran. Selbst da schon verschmorten die Haare der Gruppe und ließ ihre Haut Brandblasen schlagen und so ließen sie die Phönixe ihren letzten Weg alleine flattern. Diese waren natürlich selig, endlich wieder zu Hause zu sein und als Dank, für ihre Rettung bekam jeder eine der langen Schweiffedern und Justin erhielt nicht nur das. Einer der Phönixe flüsterte dem Rotschopf etwas zu, was dieser jedoch für sich behielt, egal wie sehr ihn die anderen auch bedrängten. Er würde die Worte des Feuervogels aufbewahren, in seinem Kopf und in seinem Herzen, solange, bis die Zeit reif war, sie zu nutzen. Dann jedoch machten sie sich endgültig auf den Weg zurück, raus aus diesen Inferno aus Hitze und Feuer.

Sie hatten etwas mehr als die Hälfte des Rückweges hinter sich gebracht, als Leilo eines Abends zu Justin kam.

„Magst du mit mir kommen? Ich möchte mit dir sprechen“, sagte er und mit einem Nicken folgte Justin der Aufforderung. Eine ganze Weile gingen die beiden einfach nur schweigend nebeneinander her, bis Leilo das Schweigen brach.

„Meinst du es erst?“, mehr fragte er nicht, doch Justin wusste sofort, wovon er sprach. Er hatte sofort geahnt, um was es gehen würde, als Leilo ihn damals gesagt hatte, das er mit ihm unter vier Augen sprechen wollte.

„Natürlich“, antwortete er, „niemals in meinem Leben habe ich etwas so ernst gemeint.“

Leilo sagte nichts, schaute ihn nur von der Seite her an.

„Sie hat dich wirklich sehr gerne. Ich habe nie erlebt, dass sie sich für irgendetwas oder irgendjemanden begeisterte. Was ich auch versuchte, nie schaffte ich es, sie auch nur zum Lächeln zu bringen, oder ihre Augen zum Strahlen. Nur meine Geschichten gaben ihr ein wenig Kindlichkeit in ihr sonst so ernstes Gesicht“, meinte er und schwieg wieder für eine ganze Weile.

„Wie hast du es geschafft, Justin?“

„Ich weiß es nicht. Vielleicht hat sie gespürt, dass ich es nicht ertragen kann, sie traurig zu sehen und ihr Lachen ist nur eine Fassade, hinter der sie ihre Tränen versteckt. Es gibt da einen Spruch, in meiner Welt und der lautet Nicht alle sind glücklich, die glücklich erschienen, manch einer lacht nur, um nicht zu weinen. Vielleicht ist es bei Melody ähnlich“, überlegte Justin.

„Nein. Das Leuchten in ihren Augen, das spielt sie nicht. Du hast es irgendwie geschafft, ihr ihren Lebenswillen wieder zu geben“, meinte Leilo.

„Das mag wohl sein, aber sie hat mir auch meinen wiedergegeben“, antwortete Justin.

„Wie das? Hattest auch du keine Freude mehr, am Leben?“

„Nein, nein. Seid Jahren schon nicht mehr. Bei mir war es so, das ich eine ganze Zeit lang nur darum lachte, um den anderen nicht zu zeigen, wie es wirklich in mir aussah. Ein Meer von Tränen flutete mein inneres und meine Gedanken kreisten nur um den Tod. Nur weil sie mich nicht haben sterben lassen wollen bin ich noch am leben. Und lachen tat ich nur, damit sie sich nicht allzu sehr sorgten“, überlegte Justin und schaute hinauf zum schmalen Mond.

„Wie darf ich denn das verstehen?“, wieder schaute Leilo ihn fragend an.

„Nun, zwei Jahre, bevor ich Melody traf, da sind zwei sehr gute Freunde von mir gestorben. Nein, das stimmt so nicht. Ein guter Freund und das Mädchen, dem ich als erstes mein Herz schenkte. Ich dachte, ich könne nicht mehr leben, ohne die beiden und vor allem nicht mehr ohne sie und deswegen versuchte ich ihr zu folgen, doch meine Mutter ließ mich nicht gehen, in die andere Welt, jenseits der Lebenden. Heute… nein, seitdem ich Melody kenne… bin ich ihr dankbar dafür, doch damals habe ich sie gehasst und ich habe meinen Hass und meine Trauer hinter einem Lachen versteckt. Doch wirklich Leben und wirklich Lachen tue ich erst, seitdem ich sie kenne.“

„Du hattest wohl keine schöne Jugend“, überlegte Leilo.

„Nun, es kommt wohl hier auf die Sicht des Betrachters an, denn wenn ich erfahre, wie es meinem Bruder in all de Zeit ging, in der ich mir um nichts mehr Sorgen machen musste, als welche Ausrede ich für nicht gemachte Hausaufgaben nutze oder was es zum Abendessen gab. Verglichen mit ihm hatte ich eine wundervolle Kindheit, aber aus meiner Sicht betrachtet ist mein Leben ein Scherbenhaufen.“

„Das Gefühl kenne ich nur zu gut und ich verstehe auch, warum du damals versuchtest, vor deinem Leben davonzulaufen. Ich habe es auch versucht, wenn auch auf andere Weise und es hat bei mir auch geklappt“, meinte der Elb.

„Inwiefern?“, wollte Justin wissen.

„Nun ja, vielleicht hat Melody es irgendwann einmal erzählt, aber ich habe früher in der Elbenfeste gearbeitet. Ich war der engste Vertraute der damaligen Schwestern, die das Land regierten und ich hatte mich darum zu kümmern, die Nachfolge der Schwestern zu finden und diese auszubilden“, erzählte Leilo.

„Melody und Kit, nicht wahr?“

Der Elb nickte.

„Ganz genau, Melody und Kit. Die beiden sind für mich, wie meine Töchter. Ich bereue es immer noch, meine Pflicht so ernst genommen zu haben und sie beide in dieses Leben gezwungen zu haben, denn das haben sie beide nicht verdient. Nun, auf jeden Fall regierten damals noch Chikru und Catchicane. Chikru war immer der kleine Wildfang, Kit als Kind nicht unähnlich, während Catchicane immer höflich und wohlerzogen war, wie Melody eben auch. Nun, die Jahre, die ich bei den beiden verbrachte, vergingen und Chikru wurde für mich mehr und mehr wie eine kleine Schwester, während Catchicane für mich mehr wurde, als eine Schwester oder eine gute Freundin und diese Zuneigung beruhte auf Gegenseitigkeit. So manche, wundervolle Nacht verbrachten wir miteinander und dann kam dieser verhängnisvolle Tag. Es herrschte damals Krieg im Land. Das Elbenreich hatte sich soweit wie möglich herausgehalten, doch irgendwann ging das nicht mehr, irgendwann fingen die benachbarten Länder an, die Dörfer zu plündern und zu zerstören und so beschlossen die Schwestern, das es nun nötig wurde, in das Geschehen einzugreifen. Sie konnten nicht mehr mit ansehen, wie die Lebenden dahingeschlachtet wurden, während sie wohlbehütet in ihrem Schloss saßen und so begannen auch sie damit, Krieg zu führen und sie schlugen die Feinde auch zurück! Chikru war eine hervorhangende Heeresführerin während Catchicane die Strategie übernahm. Sie arbeiteten gut zusammen und ergänzten sich und schon bald sah es so aus, als würde das Elbenreich den Sieg davontragen und das, obwohl sie sich anfangs nicht einmischen wollten. Doch das war den anderen Reichen natürlich ein Dorn im Auge und so beschloss man, einstweilig einen Waffenstillstand zu halten und die Schwestern gemeinsam zu beseitigen. Man stürmte das Schloss zu einem Zeitpunkt, an dem keiner damit rechnete, weswegen sie auch Erfolg hatten. Chikru wurde gleich beim ersten Ansturm von einem Pfeil durchbohrt, Catchicane geriet in Gefangenschaft, so wurden wir gezwungen aufzugeben. Sie erzählten den Führern, dass man Catchicane frei lassen würde, wenn wir unsere Waffen niederlegen würden, doch das war natürlich eine Lüge, jedoch eine, auf die wir alle hereinfielen. Wir gaben auf, doch sie wollten ja nicht, das wir gleich dorrt weitermachen, wo wir aufgehört hatten, deswegen ließ man Catchicane am Tag der Herbsttagundnachtgleiche Köpfen. Wir alle mussten es mit ansehen, nicht einmal den Kindern gestatteten sie die Abwesenheit, doch während die wenigstens ihre Augen schließen oder wegsehen konnten, zwang man Melody und Kit dazu, es mit anzusehen. Als eine art Warnung. Kurz danach war der Krieg zu ende und Melody und Kit wurde die Führung des Reiches in die Hände gelegt, obwohl beide noch zu jung waren, dazu. Aber nun, wie ich schon sagte, für mich war Catchicane mehr, als nur eine Freundin, ich habe sie geliebt. Geliebt, mehr als alles andere auf Erden, sie war mir wichtiger, als mein Leben. Nachdem ich wusste, dass es Kit und Melody gut gehen würde, bin ich gegangen, auf eine Reise, quer durch die Welt, um einen Ort zu finden, der mich nicht ständig an Catchicane erinnert. Gefunden habe ich ihn hier“, schloss der Elb seine Erzählung.

„Deshalb“, murmelte Justin.

„Was deshalb?“, hakte Leilo gleich nach.

„Nun, ich fragte Melody, warum du hier wärst, aber sie wollte es mir nicht sagen, sie sagte, dass sie nicht daran erinnert werden wolle. Jetzt verstehe ich, was sie meinte“, antwortete Justin.

„Für sie war der Tod Catchicane sicherlich ebenso schlimm, wie für mich, wenn nicht sogar noch schlimmer. Immerhin war sie damals erst zehn“, seufzte Leilo.

„Und hatte sicherlich eine enge Bindung zu Catchicane“, fügte Justin nachdenklich hinzu.

„Ganz recht, aber, nun, ich weiß eben, wie es ist, jemanden zu verlieren, den man liebt und ich möchte nicht, das Melody das gleiche durchmachen muss, wie ich“, meinte Leilo.

„Nein, das wird sie nicht, denn auch ich weiß, was es heißt, einen geliebten Menschen zu verlieren, denn auch ich musste diesen Schmerz durchmachen, vor noch nicht allzu langer Zeit. Nein, glaube mir, Melodys Glück ist mir wichtiger, als alles andere auf Erden“, erklärte Justin.

„Dann hoffe ich, das du die Worte so ernst meinst, wie du sie sagtest und das dies für dich auch in Jahren noch gilt, denn wenn mir zu Ohren kommt, das du sie schlecht behandelst, dann werde ich dir eigenhändig den Hals umdrehen“, erklärte Leilo in einem so sachlichem Ton, als würde er Justin darauf hinweisen, das an diesem Ort etwas bestimmtes verboten sei und er es deswegen bitte unterlassen soll. Der Rotschopf nickte einfach nur und sie gingen zurück, zu den anderen.

Viele, viele Tage waren vergangen, seitdem sie losgegangen waren, als sie wieder in Port Qualla ankamen. Lord Korala hatte schon sehnlichste auf sie gewartet und bedrängte sie gleich damit, von ihrer Reis zu erzählen. Es dauerte nur eine kurze Zeit, bis sie ihre Reise geschildert hatten und der Lord zufrieden nickte. Er schien ein wahrer Fan von Geschichten jeglicher art zu sein, würde er in der Welt leben, in die Justin und Timo hineingeboren wurden, wäre er vermutlich ein wahrer Bücherwurm, der praktisch dreiundzwanzig Stunden am Tag lesen oder in einer Bibliothek sitzen würde. Wahrscheinlich tat er dies auch hier, hatten sie seine private Bibliothek ja gesehen, doch die Bücher, die man hier las waren andere als jene, die man in der Menschenwelt las. Diese hier waren in erster Linie Berichte aus der Vergangenheit oder von Reisen irgendwelche wichtigen Leute. In der Menschenwelt las man dagegen eher Krimis oder auch Abenteuer Romane, Horror oder Fantasy. Für die Wesen hier war ein normaler Krimi wohl ebenso sehr Fantasy, wie für die Menschen ein guter Fantasyroman. Doch der Lord schien Geschichten jeglicher art zu lieben. Er nickte begeistert, nachdem sie geendet hatten.

„Und was werdet ihr nun tun, wo ihr die Feuervögel nun wieder zurückgebracht habt?“, wollte er wissen.

„Nun, die nächste Aufgabe besteht darin, die Zentauren zu befreien, das werden wir als nächstes in Angriff nehmen“, antwortete Moritz.

„Was hat der Todesgott noch mal gesagt, als er uns die Aufgaben stellte? Wo werden sie gefangen gehalten?“, erkundigte sich Melody müde.

„Dämonenwald oder so ähnlich hat er es genannt“, antwortete Justin.

»Klasse«, meldete sich Jerry zu Wort.

„Inwiefern?“, wollte sein Bruder wissen, der daraufhin mehrere unverständliche Blicke seiner Freunde bekam, diese aber ignorierte.

»Der Dämonenwald ist ein riesiges Waldgebiet auf Polara. In ihm leben jene Wesen, die man bei euch wohl als Böse bezeichnen würde, also Vampire, Werwölfe, Harpyien, Basilisken, Guady… viele Wesen«, erklärte Jerry.

„Guady? Was ist denn das?“, neugierig schaute Justin den Falken an, doch es war nicht Jerry, der antwortete, sondern Melody.

„Einem Guady willst du nicht begegnen, Justin, sei dir da mal sicher. Sie sehen niedlich aus, wie eine putzige Mischung aus Eichhörnchen und Kaninchen, doch es sind Bestien, die töten, einfach um des Tötens willen. Sie bringen sich auch gerne einmal gegenseitig um, wenn sie keine Opfer finden. Sie leben nur in der Nähe von Sümpfen, weil sie die giftigen Gase zum Leben brauchen“, erklärte sie.

„Das hört sich ja sehr lieb an“, meinte Justin und Timo nickte zustimmend.

»Die Guady gehören meinem Wissen nach zu den direkten Anhängern des Todesgottes. Sie verehren ihn und er ist der einzige, der sie wirklich unter Kontrolle hat«, fügte Jerry hinzu.

„Noch besser, das heißt, dass wir da gleich ein doppeltes Problem haben“, brummte Justin.

»Nein, sie werden zwar alles tun, was er sagt, aber schlimmer als sie normalerweise sind, kann es nicht sein. Sie sind intelligent. Blutrünstig aber intelligent. Wahrscheinlich wird sich der Todesgott gar nicht einmischen, sie werden es auch alleine schaffen, euch zur Strecke zu bringen«, meinte Jerry.

„Noch besser, also intelligente kleine Bastarde, die nichts lieber tun wollen, als uns alle in der Luft zerfetzte. Da lacht doch das Herz“, knurrte Justin sarkastisch und Jerry lachte in seinen Gedanken.

»Ja, genau so ist es, Bruderherz«, nickte er.

„Schön und gut, aber wie wollen wir eigentlich wieder zurückkommen, auf unseren Kontinent? Hatte Jerry nicht gesagt, das er eine Idee hat?“, wollte Shadow wissen. Sie war blass unter ihrer sonnenverbrannten Haut und ihre Augen merkwürdig glanzlos. Erst jetzt viel das Justin auf, wo er sie das erste mal seid Wochen genauer betrachtete.

Besorgt betrachtete er sie eine Weile und anders als sonst erwiderte Shadow seinen Blick nicht, sondern schaute müde ins Leere.

Den anderen schien es gar nicht aufgefallen zu sein, das mit Shadow etwas nicht stimmte, denn sie schauten alle Justin erwartungsvoll an, doch Jerry sagte ihm nichts, und so konnte er auch nichts an die anderen weitergeben.

„Nun, wenn ihr möchtet, dann werde ich euch ein Schiff zur Verfügung stellen. Ich besitze eine große Handelsflotte, von der mehrer Schiffe in Richtung nördlichen Kontinent unterwegs sind. Ich denke, das wäre für euch die einfachste Methode oder nicht?“, meinte Lord Korala und Justin nickte, immer noch Shadow beobachtend.

„Das wäre wohl die einfachste Methode, nur wie lange wird die überfahrt dauern? Könnt ihr uns da in etwa eine Zeit nennen?“, erkundigte sich Moritz.

„Nun, etwa drei Wochen, vielleicht auch vier“, antwortete der Lord und Moritz nickte.

„Nun ich denke, sie werden nichts dagegen haben, wenn wir uns nun zum Schlafen zurückziehen, oder, Mylord?“, wollte Melody wissen und wie um ihre Worte zu unterstützen gähnte Timo in diesem Augenblick herzhaft.

Lord Korala lachte laut auf, nickte dann: „Nein, ist in Ordnung. Schlaft euch nur mal ordentlich aus. Ihr müsst nur etwa eine Stunde, bevor ihr los wollt, bescheid sagen, damit wir das Schiff startklar machen können. Ansonsten wünsche ich euch angenehme Träume.“

Melody nickte höflich, dann trotteten sie alle hinaus auf den Gang und machten sich auf den Weg, in ihre Zimmer. Shadow fiel dabei immer weiter zurück, was anscheinend nur Justin auffiel, zumindest machte keiner Anstalt, auf sie zu warten, und so ließ auch er sich zurückfallen.

„Shadow, was ist los?“, wollte er wissen.

„Nichts… nichts…“, antwortete die Chito, doch ihre Stimme allein sprach ihrer Worte lüge, denn sie klang seltsam kraftlos, wie bei einem Menschen, der bis an seine körperlichen Grenzen und noch weiter gegangen ist und nun einfach nicht mehr weiter konnte, selbst dann nicht, wenn sein Leben davon abhängen würde. Und Shadow wusste, das ihre Worte im krassen Gegensatz zu ihrer Stimme standen, weswegen Justin nicht einmal darauf antwortete.

Sie machte noch genau drei Schritte, dann musste sie sich schwer gegen eine Wand stützen, sonst wäre sie einfach umgekippt.

„Shadow, was ist los?“, fragte Justin eindringlich.

„Nichts, was du ändern könntest“, antwortete sie und atmete dabei schwer.

„Shadow!“, fauchte Justin, „Sag, was los ist!“

Er hatte Angst um das Mädchen, vor allem, da vor seinem inneren Auge plötzlich Rei’s lebloser Körper auftauchte. Er wusste, dass er nie wieder einen seiner Freunde Tod sehen wollte und er wusste, dass er es würde, wenn es Shadow nicht bald besser ging, doch um ihr zu helfen musste er erst einmal wissen, was ihr fehlte.

„Nichts, es ist nur die Hitze“, hauchte die Chito.

„Wie, die Hitze?“, bohrte Justin weiter.

„Na, die Hitze eben. Ich bin Kälte gewohnt, die Wüste hat mir nicht gut bekommen. Sobald wir wieder in kühleren Gebieten sind wird es mir sicher wieder besser gehen“, erklärte sie.

Justin schaute sie forschend an, er spürte, das da mehr hinter wahr. Auch die anderen waren solche Hitze nicht gewohnt, aber keiner von ihnen war so fertig, wie Shadow.

„Shadow, da ist noch etwas, nicht wahr?“, fragte er nach einigen Sekunden in besorgtem Tonfall.

„Ja, aber ich will nicht, das irgendjemand es erfährt, ich will nicht, das ihr mich solange bearbeitet, bis…“, sie brach ab und vor stummer Pein kniff sie die Augen zusammen.

„Shadow, es ist Nacht, draußen ist es nicht mehr allzu warm. Wenn du möchtest, dann können wir rausgehen und uns ein wenig unterhalten. Es ist leichter, mir Problemen fertig zu werden, wenn man mit jemanden darüber gesprochen hat“, erklärte er mit sanfter Stimme.

„Ich weiß, aber ich weiß auch, was du sagen wirst und auf ein schlechtes Gewissen habe ich keine Lust, nicht wirklich“, antwortete sie und schaute zu Boden.

„Und was ist, wenn ich nichts dazu sage? Egal ob ich es gut finde, oder nicht? Wenn ich nichts dazu sage und auch versuche, keinerlei Regung zu zeigen? Willst du es mir dann sagen?“, fragte er.

Shadow schien einen Moment lang zu überlegen, dann schüttelte sie jedoch den Kopf.

„Nein, nichts gegen dich, aber ich möchte es dir nicht verraten und wenn ich Pech habe, dann wirst du es sowieso bald wissen“, sagte sie und stieß sich von der Wand ab, ging mit schnellen Schritten den Weg weiter. Justin schaute ihr bedrückt nach und nahm sich vor, demnächst mehr auf die Chito zu achten, sie aber nicht wieder so zu bedrängen. Langsam ging auch er weiter.

»Ich weiß, was mit ihr los ist«, meldete sich Jerry in seinem Kopf.

Justin schaute sich um, konnte ihn jedoch nirgendwo entdecken.

»Du suchst mich vergeblich, ich sitze hier bei deiner Geliebten und warte, dass du endlich auch mal auftauchst. Sie übrigens auch. Das du dich abgeseilt hast, ist ihr gerade nicht aufgefallen, aber jetzt wartet sie schon geduldig auf dich««, erklärte Jerry.

„Ach so“, machte Justin, „und was ist mit Shadow?“

»Das werde ich dir nicht sagen. Solche Informationen musst du dir erarbeiten«, antwortete der Falke.

„Wie? Wie soll ich mir denn so was erarbeiten? Soll ich deine Federn bürsten oder wie?“, murmelte Justin.

»Es fällt dir schwer, deine Fragen nur zu denken, stimmt’s? Und nein, du brauchst nur meine Gedanken zu lesen. Nicht mehr, aber auch nicht weniger«, meinte Jerry.

„Ja, es fällt mir schwer. Ich bin es einfach nicht gewohnt, aber warum bist du eigentlich so versessen darauf, das ich deine Gedanken lesen kann?“, wollte Justin wissen.

»Ganz einfach, weil es unser beider Leben retten kann. Wenn du immer, selbst im Schlaf, meine Gedanken kennst, dann kannst du mögliche Gefahren erkennen, ohne dass ich es dir sagen muss. Und das spart Zeit, vielleicht nur Sekunden, aber diese Sekunden können über Leben und Tod entscheiden, Bruderherz. Und wenn du unbedingt sterben willst, dann ist das deine Sache, aber ich hänge am Leben, egal wie beschissen es bisher war«, fauchte Jerry giftig.

„Warte mal, hab ich das richtig verstanden? Selbst wenn ich schlafe, selbst wenn du schläfst, liest du meine Gedanken?!“, wollte der Rotschopf entsetzt wissen.

»Schön, das du mir zuhörst«, war Jerrys Antwort und Justin wusste mit hundertprozentiger Sicherheit, dass sein Bruder in diesem Moment von einem Ohr zum anderen grinsen würde, wenn ein Falke so etwas könnte.

»Und ja, genau so ist es. Du hast, seitdem ich deine Gedanken lesen kann, nicht einen Gedanken gedacht, denn ich nicht kenne.«

„Bastard“, knurrte Justin doch da kam ihn ein Gedanke.

„Sag mal“, murmelte er, „wäre es dir denn gar nicht peinlich, wenn ich deine Gedanken lese und du gerade mit einem Mädchen…“

Jerry ließ ihn gar nicht aussprechen, da kam schon die Antwort: »Nur weil ich der Heeresführer bin, heißt das nicht automatisch, das ich immer ein eigenes Zelt oder ähnliches habe. So manches mal bestand unser Lager nur aus ein paar Decken und einem Feuer und auch da habe ich nie einen Grund gesehen, mir meine männlichen Triebe zu verkneifen«, brummte Jerry und Justin wurde rot, wie eine Tomate, als er sich eine solche Szene vorstellte.

»Schamgefühl ist anerzogen, nicht angeboren, mein lieber«, fügte Jerry erklärend hinzu.

„Okay. Okay, okay, ich werde wirklich mein gesamtes Leben ändern müssen“, befand Justin, den ihm wurde in just dem Moment klar, was es eigentlich genau bedeutete, nämlich, das er keinen geheimen Gedanken mehr hatte.

»Oder aber du gewöhnst dich einfach daran, dass ich jedes dabei bin, wenn du dich mit deiner liebsten vergnügst«, griente Jerry

„In jedem Fall ersteres“, knurrte Justin trocken.

»Deine Entscheidung. Nun, wieder zum eigentlichen Thema, wenn du wissen willst, was mit Shadow ist, dann ließ meine Gedanken, anders wirst du nicht an diese Information rankommen«, meinte Jerry und schwieg danach. Egal, was Justin auch sagen mochte, Jerry antwortete nicht mehr und so ging Justin weiter zu seiner Unterkunft, denn er war während der Unterhaltung stehen geblieben. Das erste, was er sah, als er das Zimmer betrat, war Melody, die sich splitterfasernackt auf der Decke zusammengerollt hatte und schlief. Das zweite war ein Raubvogel, ein Turmfalke, der, egal wie unmöglich es auch war, es geschafft hatte, sein Schnabel zu einem breiten Grinsen zu verziehen, während er zwischen dem Mädchen und Justin hin und her schaute.

Justin sagte nichts, sondern ging wortlos zum Fenster, schnappte sich seinen Bruder, und warf ihn schlicht und ergreifend aus dem Fenster. Da sie nicht im Erdgeschoss waren, hatte Jerry genügend Zeit, seine Schwingen auszubreiten und sanft zu Boden zu gleiten. Von dort aus schaute er noch einmal zum Fenster hoch, blitze Justin belustet entgegen, flatterte dann los, sich seine Beute zu fangen. Er war zwar keine Eule, das er in der Nacht sehen konnte, doch das Licht des Mondes, der wieder in einem fast vollständigem Kreis am Himmel stand, schenkte ihm genügend Licht, das er seinen Weg finden konnte. Außerdem würde bald die Sonne im Osten den Horizont empor klettern, dann hatte er in jedem fall genügend Licht, für die Jagd. Justin dagegen schaute noch einen Moment lang giftig das Fenster an, zog sich dann ebenfalls fast vollständig aus und legte sich ins Bett. Er wusste, dass er auch so schon genug schwitzen würde, vollständig angezogen war der Tag nicht durchzustehen. Auch nicht, wenn man ihn verschlief.

Guido und die Guady

Und da sind wir wieder“, murmelte Justin vor sich hin, als er von Thunders Rücken zu Boden glitt.

Der Hengst trat unruhig auf der Stelle. Er wollte sich, nach Wochen eingepfercht auf dem Schiff, endlich mal wieder die Beine vertreten und so zog Justin ihm die Trense übern Kopf und gab ihm einen leichten Klaps. Schnell wie der Wind war der Hengst in der Ferne verschwunden und Justin kletterte zu Melody auf Zaras Rücken. Die Stute war ein Geschenk von Lord Korala gewesen. Sie war ein edles Tier, einem Araber nicht unähnlich und hatte dabei ebenso nachtendes Fell, wie Thunder. Sie sah fast schon zu zierlich aus, als das man auf ihr reiten könnte, doch die Stufe war kräftig und hatte ein hitziges Temperament. Eine wahre Prinzessin der Wüste, wie Justin fand.

„In welche Richtung müssen wir?“, wollte Shadow wissen und strich über das glänzende, schwarze Fell ihres Greifen. Die Chimäre war aufgetaucht, als das Schiff angelegt hatte, ebenso wie Logi.

„Folge Jerry, er kennt den Weg“, antwortete Justin.

Shadow nickte und kletterte auf den Greifenrücken, dann machte sich der Trupp auf den Weg. Jerry führte sie gen Norden, einige Wochen waren sie unterwegs, als ein riesiges Waldgebiet in Sicht kam.

„Ist es das?“, fragte der Rotschopf seinen Bruder und der nickte.

»Ja. der Dämonenwald. Er erstreckt sich bis zum Horizont und noch weiter. Kein Wald diesen Reiches ist auch nur annährend so groß wie er und es leben nur die grausamsten aller Wesen in ihm«, fügte er hinzu.

„Wollen wir gleich hinunter reiten?“, fragte Justin seine Kameraden, doch Moritz verneinte, sprang vom Rücken Logis.

„Nein, lass uns die Nacht hier in der Nähe verbringen. Wir werden unsere Kraft brauchen, wenn wir gegen die Guady bestehen wollen“, verneinte er und die anderen nickten zustimmend.

„Ich habe vorhin eine Felsenformation gesehen, die uns schützen wird, vor dem, was da im Wald auf uns lauern mag, da können wir die Nacht verbringen“, bemerkte Timo und wortlos drehten sie um, ritten das letzte Stück zurück. Müde schlugen sie ihr Lager auf, saßen nicht mehr lange am Feuer beisammen.

Sie teilten die Wachen ein, legten sich dann schlafen. Als Justin dran war, mit Wache halten, geschah es plötzlich. Er hörte ein Rascheln und schaute in die Richtung, konnte bei Nacht jedoch nichts erkennen. Langsam stand er auf, um einen besseren Überblick zu erhalten und rief in die Finsternis: „Wer auch immer du bist, komm heraus!“

Kaum war das letzte Wort gesagt, als Thunder hinter einem Fels hervortrat. Seiner Bewegungen waren anders als sonst, das war das erste, was er erkennen konnte, doch konnte er nicht sagen, woran das lag.

„Thunder, da bist du ja wieder“, sagte er und ging zu dem Hengst. Er strich über das, in der Dunkelheit, praktisch unsichtbare Fell, als er etwas nasses, klebriges berührte. Verwundert, was da das Fell seines Hengstes verklebte, hob er die Finger an die Nase und roch daran.

„Blut“, murmelte er und es dauerte einige Sekunden, bis er begriff, was das bedeutete.

„Du bist verletzt?!“, rief er erschrocken.

Der Hengst war zu schwach, um zu antworten. Er schleppte sich mühsam in Richtung Feuer. In der Nähe ließ er sich nieder und im Schein der schwachen Glut, die Justin nur sehr langsam wieder zu einem ausgewachsenen Feuern anfachen konnte, untersuchte er die Wunde des Hengstes. Nach und nach wachten auch die anderen auf und während Justin Thunder beruhigte und versuchte, herauszufinden, was geschehen war, versorgte Moritz die Wunde so gut es irgend ging. Nach etwas mehr als einer Stunde ließ sich Moritz erschöpft zu Boden sinken.

„Was hat er dir erzählt?“, wollte er wissen und schaute seinen Sohn müde an.

„Guady. Sie haben ihn angegriffen und verletzt, aber sie sind ihm nicht weiter gefolgt. Sie haben sich damit begnügt, ihn so zuzurichten, warum auch immer“, antwortete Justin.

»Sie werden wohl der Blutspur folgen, wenn sie wieder Lust haben, auf das zerreißen von Fleisch«, mischte sich Jerry ein.

„Mal bitte nicht den Teufel an die Wand, Bruderherz. Das brauchen wir nämlich gar nicht, das sie hier plötzlich auftauchen“, meinte Justin erschöpft.

»Ssu Sspät«, zischelte eine Stimme. Erschrocken sprang Justin auf und schaute sich um, das er sah niemanden, der das hätte sagen können.

»Wir warten in der Finssterniss auf euss«, erklärte die Stimme weiter, »Komm doss her und rässe diss an unss. «

„Hört ihr das auch?“, fragte Justin die anderen.

„Nein, was denn?“, erkundigte sich Timo.

„Sie sind hier. Sie haben uns umzingelt“, meinte Justin.

„Wer?“

„Die Guady.“

„Sicher?“

Justin nickte, stand auf und schaute sich noch einmal aufmerksamer um.

„Sie werden uns wohl nicht einfach so gehen lassen. Ich denke, dass wir kämpfen müssen. Oder einfach nur schnell genug ihren Ring durchbrechen, um zu fliehen“, erklärte er.

„Dann auf die Pferde. Auf einen Kampf sollten wir uns jetzt nicht mit ihnen einlassen“, meinte Melody und ging zu Zara.

Wortlos folgten die anderen und bald saßen sie auf dem Rücken ihrer Tiere. Nur Justin blieb bei Thunder.

»Warte bitte einen Augenblick, ich bin gleich wieder auf dem Damm«, murmelte der Hengst.

„Bist du nicht“, widersprach der Rotschopf.

»Doch. Vergiss nicht, ich bin der Donner und der Blitz. Ich erhole mich schneller, als du das jemals könntest«, antwortete der Hengst und wie um seine Worte zu unterstützen, stand er auf. Er schwankte leicht, konnte sich noch nicht richtig halten, doch schon wenigen Sekunden danach stand er fest auf allen vier Beinen.

»Steig auf, sie werden nicht ewig in der Finsternis warten«, meinte der Rappe.

Justin zögerte noch einen Augenblick, doch er wusste, dass er keine Wahl hatte. Keines der Tiere seiner Begleiter würde ihn noch zusätzlich tragen können, wenn sie gleich verschwinden würden. So kletterte er also auf den Rücken des Einhorns und ließ ihn zu seinen Begleitern gehen.

„Wir sollten uns aufteilen, so können wir leichter entkommen“, murmelte Justin den anderen zu, die nickten.

„Vielleicht wäre es auch von Vorteil, wenn wir nacheinander durchstoßen würden“, überlegte Timo und wieder kam nur nicken zurück.

„Gut. Thunder sollte entweder gleich als erstes oder praktisch als der Letzte. Wir haben nämlich die Chancen, das es entweder so sein wird, das sie den ersten kaum verfolgen, weil sie ja noch vier andere haben oder aber gerade den ersten erst recht, weil der dann ja eigentlich ziemlich leichte Beute ist. Was meinst du, Justin?“, wollte Shadow wissen.

Justin macht sich nicht die Mühe, zu antworten, sondern ließ Thunder plötzlich im vollen Tempo in die Finsternis preschen. Er sah um sich herum, wie viele Schatten ebenfalls in eben diese Richtung huschten und der Schrei seiner Begleiter sagte ihm, das sich die Guady, die sich auf der anderen Seite des Feuers befunden hatte, einfach durch die Gruppe durchgesprungen waren, nur um ihn zu folgen. Er hatte also das ganze Rudel am Hals, wie er sich schon gedacht hatte. Sie hatten es auf ihn abgesehen, seine Freunde waren unwichtig.

„Thunder! Meinst du, du kannst ihnen irgendwie entkommen?!“, rief er dem Hengst ins Ohr.

»Ich kann es nur versuchen, nichts versprechen! «, antwortete der Hengst und legte noch einen Zahn zu, was Justin bei der Verletzung nicht gedacht hätte.

„Vielleicht bringt es etwas, wenn du fliegst!“, fiel ihm plötzlich ein.

»Würde ich ja gerne, aber das war ja das Problem. Sie haben mir den Flügel zerrissen! Die Schwinge und die Flanke! «, antwortete Thunder und Justin biss sich auf die Lippen, schaute sich um und versuchte, in der totalen Finsternis den Feind auszumachen.

„Hätte ich doch wenigstens mein Schwert“, murmelte er.

»Ich habe mein Horn, aber das wird wohl nicht reichen, oder? «

„Nein, ich befürchte, das wird nicht reichen. Außerdem würde dich ein Kampf nur vom Rennen ablenken und das ist im Moment wohl die wahrscheinlichste Methode, ihnen zu entkommen“, meinte Justin.

»Wir sollten uns vielleicht verstecken, im Wald fliest ein Bach, dem Lauf können wir eine Weile folgen und uns dann verstecken. Nicht einmal sie könnten uns dann sehen«, überlegte Thunder und Justin stimmte nach kurzem nachdenken zu. Und so legte der Hengst noch einmal nach und langsam aber sicher sah es so aus, als würden sie entkommen können, dann waren sie im Wald und Justin hatte keinerlei Chancen mehr, die Feinde zu erkennen. Nach etwa zehn Minuten sprang Thunder in einen Bach, sodass das Wasser nur so um sich spritze und in großen Galoppsprüngen folgte er dem Wasserlauf eine Weile, bis er mit einem noch größerem Satz wieder ans Ufer sprang. Dort angekommen blieb er schwer atmend stehen und beide lauschten, doch sie hörten keine verdächtigen Geräusche.

„Lass uns ein wenig ausruhen“, murmelte Justin und glitt von Thunders Rücken.

Wortlos trat der Hengst ins Unterholz. Der Rotschopf hörte, wie er eine Weile ging und dann wieder zum Bach stieß, an dem er mit tiefen Zügen trank. Justin setzte sich zu Boden, lehnte sich an einem Baum und schloss die Augen, versuchte seinem Atem zu beruhigen. Obwohl Thunder gerannt war, fühlte auch er sich, wie nach einem Marathonlauf. Er war erschöpft und müde und er wollte gar nicht erst wissen, wie Thunder sich fühlen mochte, mit dem verletzten Flügel und der zerrissenen Flanke. Dieser kam schon nach kurzer Zeit zurück und legte sich ebenfalls nieder.

„Wie geht’s dir?“, erkundigte sich Justin und stand auf.

Thunder antwortete nicht mal auf seine Frage, sondern beobachtete den Jungen, wie er den, von Moritz angelegten, Verband entfernte und sich die Wunde darunter ansah. Durch die Belastung beim Rennen sah vor allem die an der Flanke nicht besonders gut aus.

„Ich glaube, die Zentauren werden warten müssen. Sobald es möglich ist, werden wir den Wald verlassen und uns einen sicheren Ort suchen. Da muss deine Wunde erst einmal richtig ausheilen“, fand Justin.

Wieder antwortete Thunder nicht, sondern schloss die Augen und schien zu schlafen. Justin lauschte noch mal aufmerksam in die Nacht, dann legte er sich zu dem Hengst. Er versuchte zwar, nicht einzuschlafen, doch er nickte immer und immer wieder weg. Als er das eine mal aufwachte, spürte er ein Gewicht auf seiner Armbeuge und als er müde hinunterblickte, lag da ein kleines Wesen. Es hatte den Kopf eines Kaninchens und den Körper eines Eichhörnchens, ebenso den Schweif, war aber größer. Die langen Hasenohren waren von Pinseln gekrönt und als das Wesen im schlaf schmatze, entblößte es dabei nadelspitze, gefährliche Zähne. Justin brauchte einen Augenblick, um wieder halbwegs zu sich zu kommen, als er dann jedoch diese Zähne sah, sprang er mit einem spitzen Schrei auf und warf das Wesen ins Unterholz, wo es mit einem quicken landete.

Geschockt starrte Justin in die Richtung, während Thunder ihn verwundert anschaute.

»Was ist? «, wollte der Hengst wissen.

„D-da war so ein Vieh!“, rief Justin entsetzt. In dem Moment krabbelte der Guady aus dem Unterholz zurück und schaute ihn vorwurfsvoll an.

»Ess hätte auss gereisst, wenn du mir einfass nur gessagt hättesst, dass iss hier unerwünsst bin«, moserte es.

Justin schaute den Guady verwundert an.

„Du… du…“, stotterte er. Er konnte nicht glauben, dass der Guady so normal mit ihm sprach und nicht versuchte, ihn in der Luft zu zerfetzen.

»Du riechst anders, als die anderen«, bemerkte Thunder, der aufgestanden war, dem Tier gegenüber.

»Iss bin ja auss anderss alss die anderen. Iss bin nisst daran interesssiert, andere Wessen zu zerfessen«, antwortete der Guady.

„Du bist also keines dieser Monster...? Ich meine, du siehst so aus, wie eines, deswegen bin ich leicht verwirrt“, meinte Justin.

»Nein, unter den anderen bin iss ein aussgesstossener. Iss bin eben ssu anderss«, lispelte das Wesen.

„Meinst du, wir können dem Vieh trauen, Thunder?“, fragte Justin leise den Rappen.

»Ich denke schon. Er ist nicht so, wie die anderen, ob jedoch zum Guten oder Schlechten, das werden wir jetzt nicht sehen. Aber ich denke, er ist vertrauenswürdig«, meinte der Hengst.

„Okay, okay. Aber ich denke, wir sollten trotzdem von hier verschwinden. Wenn uns der da gefunden hat, werden das die anderen auch schaffen“, überlegte Justin und der Rappe stimmte ihn zu.

»Ssoll iss euss hinaussführen, auss diessen Wald?«, bot der Guady an.

»Ja. Er kennt sich hier besser aus, als wir«, stimmte Thunder zu.

„Und wenn das doch nur eine Falle ist?“, überlegte Justin.

»Iss ess nisst. Wiesso ssollte iss euss auss in eine Falle locken wollen?«, erkundigte sich der Guady, »dann hätte iss auss gleiss die anderen herbringen können.«

„Das mag ja so sein, aber wenn ich eines gelernt habe, seitdem wir hier sind, dann das, das man bei alles und jedem erst einmal Vorsicht walten lässt und erst einmal die schlimmsten Möglichkeiten durchgeht. Nichts gegen dich persönlich. Wie heißt du eigentlich? Oder habt ihr keine Namen?“, erkundigte sich der Rotschopf.

»Nein, eigenliss haben wir keine Namen, doss iss bin ein aussgesstosssener, desswegen besseissnen miss die anderen alss -“, es folgte ein Laut, bei dem Justin sich wahrscheinlich die Zunge gebrochen hätte, hätte er versucht, ihn nachzusprechen.

„Ähm, ja, das kann ich leider nicht aussprechen. Definitiv nicht. Also, hast du etwas dagegen, wenn ich dir einen anderen Namen gebe? Einen, den ich aussprechen kann?“, erkundigte er sich.

Der Guady schüttelte den Kopf und schaute ihn erwartungsvoll an.

Justin dachte nach.

„Also irgendwie erinnerst du mich entfernt an so ein kaninchenartiges Vieh aus einem meiner Spiele. Es hieß Guido. Darf ich dich so nennen, Guido?“, fragte er dann.

»Ja, darfsst du. Aber, wenn iss euss sson nisst führen ssoll, darf iss euss dann begleiten? Iss mösste nisst mehr hier bleiben«, bat Guido und Justin nickte.

„Ja, ich denke, das können wir machen, oder Thunder?“, erkundigte er sich.

Der Hengst antwortete nicht, sondern machte lediglich eine Kopfbewegung, die wohl heißen sollte, das es besser wäre, wenn sie jetzt weiter kommen würden und so nahm Justin Guido auf den Arm und kletterte auf den Rücken des Hengstes. Der galoppierte sofort los, auf der Suche, nach einem Weg hinaus aus dem Wald.

Guido sagte die ganze Zeit über nichts, auch wenn man ihm deutlich ansah, wenn der Rappe den falschen Weg einschlug, einen, der tiefer hineinführte in die Finsternis. Doch blieb er still und so dauerte es eine ganze Zeit, bis sie endlich den Wald verließen. Die Sonne stand schon hoch am Himmel, es musste also um die Mittagsstunden herum sein. Im Wald hat man das nicht bemerkt, durch das dichte Blätterdach hat man die Sonne nicht sehen können und so waren sie alle im ersten Augenblick geblendet. Doch schon nach einigen Sekunden konnten sie wieder ein wenig sehen und als sie sich soweit an das Licht gewöhnt hatten, dass sie sich umblicken konnten, da sahen sie eine Hütte auf einem Hügel stehen. Sie alle drei waren verwundert darüber, dass so nahe am Dämonenwald eine Hütte stand, und so trug Thunder sie alle hinauf.

„Bewohnt ist die Hütte auf jeden fall“, meinte Justin und deutete auf eine Rauchfahne, die sich aus dem Schornstein kräuselte, dann glitt er vom Rücken des Hengstes, setze Guido auf den Boden und klopfte an die Tür.

„Hallo?! Ist jemand zu hause?!“, rief er.

Man hörte, wie es drinnen polterte und sich eilige Schritte der Tür näherten, dann wurde sie geöffnet und ein Mann schaute heraus. Er hatte leuchtend blaue Augen und zerzaustes Haar, das wohl vor mehr als einem Jahrzehnt zum letzten mal einen Kamm gesehen hatte, wenn überhaupt jemals. Die Haut war braun gebrannt und von mehreren Narben zerfurcht. Man sah ihm an, dass er wohl schon immer so gelebt hatte.

„Ja?“, fragte er und schaute Justin misstrauisch an.

„Guten Tag, ich, äh…“, der Rotschopf wusste nicht, was er sagen sollte. Er hatte eigentlich nur wissen wollen, was für ein Kerl so nahe des Waldes lebte, doch das zu sagen, dabei wäre er sich ziemlich dämlich vorgekommen, also überlegte er.

»Frag ihn, ob er die anderen gesehen hat«, sagte Thunder von hinten.

„Ähm, ja, haben sie zufällig eine Gruppe von vier Personen hier gesehen? Sie sind ziemlich auffällig, weil einer einen Drachen reitet und eine andere einen schwarzen Greif. Und ein Falke müsste auch dabei sein, ein rostroter Turmfalke“, erklärte Justin.

»Blödmann«, meldete sich plötzlich die vertraute Art Jerrys, »wenn du wissen willst, wo ich bin, dann brauchst du keine fremden Leute fragen, sondern nur mich. Ich hätte dich schön zurücklotsen können, aber nein, natürlich machst du mal wieder alles komplizierter, als es ist. Warum aber auch leicht machen, wenn es auch schwer geht, nicht wahr? «

Justin biss sich auf die Lippen, um nicht auszusprechen, was er sagen wollte, sondern zwang sich dazu, dem Mann zuzuhören.

„Ja, deine Gruppe habe ich gesehen. Sie kamen hier vorbei und haben jemanden gesucht, der auf dich passt. Sie sind aber schon weiter, nur der Falke ist hier geblieben, den werde ich nicht mehr los, warum auch immer“, brummte der Kerl.

„Jerry ist hier? Wo ist er?“, wollte Justin sogleich wissen.

»Schau mal nach oben, Blödmann«, war Jerrys Kommentar.

Sich unglaublich dämlich vorkommend trat Justin drei Schritte zurück und schaute hinauf zum Dach der Hütte.

„Da hockst du also, hättest du aber auch gleich sagen können“, knurrte er.

»Gedankenlesen«, war Jerrys einziger Kommentar dazu, dann flatterte er auf Justins Schulter.

„Sag mal“, meinte der Mann aus der Hütte, „du kommst mir so bekannt vor. Hattest du jemals mit Lord Odin zu tun?“

„Lord wer?“, fragte Justin verwundert.

»Mein Meister. Lord Odin. Der, bei dem ich aufwuchs. Ich erzählte dir von ihm. So heißt er unter seinen Zöglingen«, erklärte Jerry.

„Ach so, der!“, rief Justin, ohne das der Fremde etwas sagen konnte, was dem wiederum einen misstrauischen Blick ins Gesicht zauberte.

„Du kennst also den Meister. Kann es sein, das wir uns dort einmal getroffen haben?“, wollte er wissen.

»Jetzt tu mir doch bitte mal den Gefallen und überlass mir mal deinen Körper, ich habe mit Mike ein Wörtchen zu reden. Einfach so mit einem Bogen auf mich zu zielen!«, giftete Jerry.

„Nein, werde ich gewiss nicht! Wenn du mir sagst, was ich sagen soll, dann mache ich das, aber lass meinen Körper in frieden!“, rief Justin und der Fremde hielt ihn jetzt wohl vollständig für nicht mehr ganz richtig im Kopf, zumindest sagte sein Gesichtsausdruck genau das.

»Okay, okay, dann sag diesem Penner doch bitte mal, das wir beide uns sehr gut kennen. Vom Bogentraining, er hat mir damals Nachhilfe gegeben. Dabei habe ich mich mit ihm angefreundet«, meinte Jerry.

„Öhm ja, also, na ja, nein, wir beide kennen uns nicht, aber du kennst den Falken. Das ist nämlich Jerry, den hast du bei irgend so einem Bogentraining kennen gelernt und ihr habt euch wohl ganz gut verstanden“, meinte Justin.

„Der Falke, ja?“, fragte der Mann in einem Ton, als würde er mit einem Kind sprechen.

„Ja, das mag sich ziemlich verlogen anhören, aber es ist so. Also na ja, der Falke war ursprünglich nämlich mal Jerry, mein Zwillingsbruder, aber das war so, das er sich nicht an die Anweisungen des Todesgottes gehalten hat und deswegen wurde er in einen Falken verwandelt“, erklärte Justin kurz.

„Ach so, das ergibt schon ein wenig mehr Sinn. Auch, warum du ihm so ähnlich siehst“, meinte der Mann.

»Schön, das er das auch endlich schnallt«, brummte Jerry, flatterte dann auf die Schulter des Mannes, der den Falken eingehen musterte.

„Okay, dann bist du eben Jerry. Schön, dich mal wieder zu sehen, auch wenn du dich nicht ganz so gut gehalten hast. Ich meine, bist ja schon ein wenig geschrumpft und alles…“, meinte der Mann, was ihn einen schmerzhaften Hacker von Jerry einbrachte. Eine Weile redete er noch so auf den Falken ein, der entweder von Justin übersetzen lies, oder aber selber antwortete, indem er von Schnabel und Fängen gebrauch machte.

Doch Justin wurde immer unruhiger, er wollte zu seinen Freunden zurück.

„Was ist denn?“, fragte der Mann dann irgendwann auch.

„Nun ja, ich würde ganz gerne meine Freunde suchen gehen, aber ich möchte nicht, das Jerry jetzt plötzlich… na ja, verschwunden ist und ich ihn dann noch mal suchen muss, verstehen sie?“, wollte Justin wissen.

„Natürlich. Was macht ihr eigentlich hier in der Gegend?“, fragte der.

„Wir, nun…“, knapp erzählte Justin von allem, was sich so ereignet hatte und warum sie hier waren.

„Die Zentauren, ja? Da kann ich euch sogar weiterhelfen, jedoch werden wir dazu den Wind brauchen. Die Guady sind viele, alleine mit dem Schwert ist ihnen nicht beizukommen. Also brauchen wir Bora oder Drachenwind. Da sich Bora im Besitz des Feindes befindet, müssen wir irgendwoher Drachenwind bekommen. Und jemand, der seine Macht nutzen kann und zwar seine volle Macht“, meinte Mike, wie der Mann hieß.

„Das sollte kein Problem darstellen. Mein Vater führt das Schwert meisterlich, er wird seine Macht sicherlich nutzen können“, meinte Justin.

„Sei dir da nicht so sicher. So manch einer, der ein Schwert gut führt, hat keine Ahnung, wie man die wahre Macht entfalten kann, die in jeder Waffe steckt, die ein Schmied voller hingabe und mit seinem Herzblut schmiedete. Aber nun, sei’s drum, lass sie uns suchen gehen“, meinte Mike.

Justin nickte, stand auf und kletterte auf Thunders Rücken, nachdem er Guido hinauf gehoben hatte. Mike holte sich ein Einhorn von irgendwoher, Justin fragte ihn nicht, dann ritten sie los. Es dauerte mehrere Stunden, bis sie die anderen eingeholt hatten. Es gab lediglich eine knappe Begrüßung und eine, nicht weniger knappe, Erläuterung der letzten Nacht und des vergangenen Morgens, dann wurde auch schon Kriegsrat gehalten.

„Was genau meinst du mit der wahren Macht Drachenwinds?“, wollte Moritz sogleich wissen.

„Nun, Drachenwind hat die Macht, mit einem Streich einen tödlichen Sturm auszulösen. Ein Wind, der die Blätter der Bäume in tödliche Geschoße verwandelt, ohne jedoch den Bäumen Schaden zuzufügen. Das zum Beispiel ist eine der besondern Fähigkeiten des Schwertes“, erklärte Mike.

„So was werde ich wohl nicht können“, meinte Moritz.

„Wieso denn nicht?“, wollte Justin wissen.

„Der Windssohn kann die Macht des Schwertes nur so lange nutzen, bis er das Schwert an seinem Erben übergeben hat oder bis der Weltenretter selbst geboren ist“, erklärte Mike.

„Genau und Justin ist der Weltenretter. Deswegen wird nur er das können“, nickte Moritz.

„Sag mal, macht es spaß, mich zu ignorieren, egal, was ich sage?“, knurrte Justin.

„Justin, mir ist egal, was du sagst. Meiner Ansicht nach kann es nicht anders sein, auch wenn du es noch so wenig wahr haben willst“, antwortete Moritz und sofort wollte Justin auffahren, doch sein Vater hielt ihn mit einer Handbewegung zurück.

„Nein, mein lieber, ich habe keine Lust, auf endlos lange Diskussionen, also sei ruhig. Du wirst das machen, nicht ich, und es ist mir absolut egal, was du dagegen sagst“, erklärte er mit einem Knurren.

„Und wenn ich nicht will?“, widersprach Justin trotzdem.

„Und ich dachte immer, Kinder seien mit siebzehn aus der Trotzphase raus“, seufzte er.

„Nein, mit sechzehn sind sie mitten in der Pubertät“, griente Timo, was ihm einen giftigen Blick Moritz’ einbrachte.

„Okay, Justin. Du wirst das Schwert so oder so irgendwann bekommen, da wirst du nicht drum herum kommen, egal was wir beide nun denken und was wahr ist. Also kannst du es genauso gut auch jetzt nehmen und damit die dritte Aufgabe lösen! Mach es doch nicht schwerer, als es eigentlich ist“, seufzte der dann.

„Warum meinst du, dass ich das Schwert irgendwann nehmen werde, komme, was wolle?“, wollte der Rotschopf genervt wissen.

„Ganz einfach, weil du Moritz’ Sohn bist“, antwortete Shadow mit einem Grinsen, was Justin einen schrägen Blick entlockte.

„Aha“, machte er nur.

„Soll ich erklären?“, fragte die Chito.

„Ja, mach mal“, nickte Timo.

„Also, es ist ähnlich wie bei mir auch. Das Schwert kann nicht ewig im Besitzt von Moritz sein, irgendwann scheidet nämlich auch er dahin. Das Schwert aber braucht trotzdem einen Träger. In dem Fall also Justin. Mit dem Schwert gehen aber auch alle Kräfte auf ihn über, Moritz hat dann also keine Macht mehr, über das Schwert“, erklärte Shadow.

„Uns was würde passieren, wenn Moritz das Schwert dennoch einzusetzen versuchte?“, erkundigte sich Justin, nun sichtlich interessiert,

„Nun, weil er ja der frühere Besitzer wäre, würde das Schwert sich von ihm nehmen lassen, sollte er jedoch versuchen, seine Macht zu nutzen, würde die sich gegen ihn richten, wenn jedoch ein anderer, der gar nichts mit den Schwertern zu tun hat, versuchen sollten, es zu berühren, wäre es so, als würden wir schneidenden Wind anfassen. Es würde uns die Hände zerfetzen, egal was wir auch täten“, erklärte Melody.

„Tolle Aussichten“, murmelte Timo, dann kam ihn jedoch ein Gedanke.

„Warum machen wir es uns dann nicht einfach?“

„Wie, was meinst du?“, fragte Shadow.

„Na ja, wir könnten doch den Todesgott irgendwie dazu bringen, das er versucht, jemanden mit Drachenwind anzugreifen, dann würde sich das Schwert doch gegen ihn richten, oder nicht?“, fragte er.

„Stimmt eigentlich. Warum machen wir das nicht?“, stimmte Justin zu.

„Ganz einfach, bei Göttern gelten andere Gesetze. Außerdem wird er es wissen“, antwortete Mike.

„Also werden wir wohl oder übel den alten Weg weiterhin verfolgen und uns jetzt um die Zentauren kümmern“, meinte Shadow und schaute dabei Justin auffordernd an.

„Ja, okay, ich mache es. Aber ich weiß nicht, wie man das Schwert führen soll, seine Macht nutzen kann“, meinte Justin, sah dabei alles andere als begeistert aus.

Den Rest sprach er nicht aus.

„Das wird in der Tat ein Problem sein, das du nicht weißt, wie es geht, wie man mit Drachenwind umgeht“, murmelte Mike.

„Nicht wirklich“, sagte Moritz.

„Wieso?“, kam es einstimmig.

„Ganz einfach, wegen Melody“, antwortete der.

„Wieso wegen mir?“, wollte Melody wissen und schaute Moritz verwundert an.

„Nun, du hast dich doch auf Windmagie spezialisiert, oder irre ich mich da?“, fragte er.

„Ja, die Windmagie beherrsche ich am besten, aber was hat das mit Drachenwind zu tun oder gar mit unserem Problem?“, fragte sie.

„Ganz einfach. Den Wind beherrschen ist auch nicht viel anders, als Drachenwind zu führen. Bringe Justin einfach bei, wie er mit dem Wind umzugehen hat, dann sollte er auch mit Drachenwind klarkommen“, erklärte Moritz.

„Aber das ist nicht so einfach, Moritz! Das kann ewig dauern!“, widersprach Shadow.

„Ja, aber hat einer von euch einen besseren Vorschlag?“, wollte Justin wissen. Niemand antwortete.

„Gut“, meinte Moritz und löste die Schnalle mit der er Drachenwind an seiner Hüfte festgemacht hatte und reichte Justin das Schwert, der es nur zögernd und mit sichtbarem Widerwillen entgegen nahm. Behutsam zog er die Klinge und betrachtete sie eingehend. Sie war sturmgrau und schärfer als ein Skalpell. Er hatte Angst vor der Macht des Schwertes und er wusste, dass er genau deswegen nicht mit ihr umgehen konnte. Man kann nichts beherrschen, vor dem man Angst hat. Doch er wusste, dass er schnell seine Angst bekämpfen musste. Es war mittlerweile Winter, sie hatten einfach keine Zeit mehr.

„Ich finde, wir sollten gleich los“, sagte er nach kurzer Zeit des Schweigens.

„Wie? Obwohl du gar nicht umgehen kannst, mit deinem Schwert?“, fragte Melody erstaunt.

„Ja. Es wird nichts bringen, wenn wir hier Woche um Woche unsere Zeit vertrödeln, stattdessen sollten wir los, so schnell es nur geht. Es ist immerhin schon Dezember, wir arbeiten schon fast ein ganzes Jahr an diesen drei Aufgaben. Irgendwann müssen wir es doch mal schaffen und wenn wir jetzt anfangen, irgendwelche Übungsstunden zu veranstalten, dann vergeuden wir nur unnötig Zeit und zwar Zeit, die wir vielleicht nicht haben. Er wird ungeduldig, das weiß ich. Also lasst uns sofort los reiten. Guido, kennst du den Weg zu den Zentauren?“, Justin schaute zu dem Guady, der auf Thunders Rücken hockte.

»Klar kenne iss den Weg. Iss habe jahrelang dort gewohnt. Bevor ssie miss rausssmissen, auss der Gruppe. Weil iss ssu anderss war«, erklärte Guido.

„Gut, dann gib uns bitte den Weg an“, bat Justin und kletterte zu ihn auf den Rücken Thunders.

Auch die anderen kletterten auf ihre Reittiere und folgten dem Rappen, der, geführt von Guido, den Weg in den Wald einschlug.

Sie waren einige Tage unterwegs, denn das Lager der Guady lag im Sumpf im Herzen des Waldes, doch wenn sie Guido nicht gehabt hätten, hätten sie ungleich länger gebraucht. Wahrscheinlich wären sie nie angekommen, sondern wären verhungert oder verdurstet, doch dann sahen sie das Lager. Die Zentauren waren eingepfercht wie Pferde und die Guady, die jedoch viel größer waren, als Guido, bewachten sie. Wenn einer der Zentauren nicht gehorchte, so wurde er gebissen und gekratzt, so manch einer auch gleich in der Luft zerrissen. Der Boden war getränkt von Blut, das wusste Justin.

Es waren auch nur noch wenige übrig von diesem stolzen Volk.

„Gut, Mike. Jetzt sag mir doch mal, was ich tun soll“, meinte Justin, nachdem sie die Lage abgecheckt und sich wieder einige Meter zurückgezogen hatten.

„Du musst schauen, dass du keinen der Zentauren erwischt und dann einfach nur schlagen. Du musst nichts treffen, musst dir dabei aber einen Sturm vorstellen, dann sollte Drachenwind eigentlich einen kleinen Sturm entfachen“, meinte Moritz anstelle von Mike.

„Sicher?“, hakte Justin nach. Er hatte keinerlei Lust darauf, dass der Plan schief ging und sie sich plötzlich dem gesamten Guadyvolk entgegen sahen, die nichts anderes wollten, als sie alle zu zerreißen.

„Probieren geht über studieren“, war Mikes Kommentar dazu.

„Und was geschieht, wenn es schief geht?“, wollte Justin weiter wissen.

„Justin, du wirst nie eine Garantie dafür haben, dass etwas klappt. Ein gewisses Risiko ist immer dabei, aber wenn du schon so redest, dann wird es auch nicht klappen. Hab Vertrauen in dich und deine Fähigkeiten. Du schaffst das, da bin ich mir sicher“, versuchte Moritz seinen Sohn aufzumuntern, doch das war die falsche Taktik. So machte er Justin nur noch nervöser, was auch die anderen bemerken mussten.

„Justin“, meinte Melody dann, „stell dir einfach vor, dass du diesen ganzen gepeinigten Seelen helfen kannst. Ein jedes Wesen kann es eine Weile in Gefangenschaft aushalten, jedoch nicht für immer. Und wenn du ihnen nicht hilfst, dann tut es niemand, also habe Vertrauen. Vertrauen auf dich und deine Fähigkeiten und vertrauen darauf, das es gut gehen wird.“

Justin dachte einen Augenblick lang über diese Worte nach, dann nickte er.

„Du hast Recht. Ich sollte mich echt mehr auf meine Fähigkeiten verlassen. Jedoch liegen die weder im kämpfen noch im töten, deswegen wäre es wohl besser, wenn ihr hier verschwinden würdet“, meinte er dann.

„Wieso, was hast du vor?“, wollte Timo wissen.

„Na, ganz einfach, ich werde mit ihnen sprechen“, antwortete Justin.

„Bist du lebensmüde?!“, keuchte Shadow.

„Nein, keineswegs. Ich habe eine scharfe Klinge, mit der ich mir meine Haut schon erwehren weiß und einen schnellen Einhornhengst, der mich wie der Wind hier heraus trägt, wenn er dieses Risiko eingehen mag. Und ich habe das nagende Gefühl, das man sie nicht angreifen sollte, das dies die falsche Methode ist“, antwortete Justin.

„Okay, dann gehen wir. Aber pass gut auf dich auf und komm in einem Stück wieder“, antwortete Moritz, nachdem er seinem Sohn eine kleine Weile wortlos in die Augen geschaut hatte.

Justin nickte lediglich und die anderen standen zögernd und widerwillig auf und gingen.

„Wir werden in der Elbenfeste auf dich warten“, sagte Melody zum Abschied, dann ritten sie davon. Nur Thunder blieb bei ihm.

Nur kurz schaute Justin seinen Freunden noch nach, dann schaute er Thunder an und fragte: „Können wir?“

»Natürlich. Ich bin immer bereit«, antwortete der Rappe.

Justin nickte und trat dann durch das Dickicht, hinaus auf die große Lichtung.

Nach und nach wandten sich alle Blicke der Guady auf ihn.

„Seid gegrüßt“, sagte Justin.

»Oho, du bisst mutig, Junge. Dass musss man dir lasssen“, meinte einer der Guady in seiner Nähe.

»Mutig? Vielleisst. Dumm? Auf jeden Fall«, fügte ein andere hinzu und der Rest lachten dreckig.

„Wie man es nimmt. Ich möchte nur, dass ihr die Zentauren freilasst und sie nie wieder mehr behelligt. Nicht mehr, nicht weniger“, sagte er.

»Und wass passsiert, wenn wir unss weigern? «, wollte der Guady wissen, der als erstes gesprochen hatte.

„Vorerst nichts. Ich werde mich zurückziehen, aber ich werde wiederkommen. Und dann werde ich Drachenwind einsetzen. Oder auch nicht“, antwortete Justin.

»Er will unss drohen, wie niedliss«, meinte ein anderer Guady und wieder lachten sie.

„Nein, das ist keine Drohung, das ist das, was ich tun werde, eine Prophezeiung“, widersprach Justin.

»Tssa, ssu ssade. Er hat unss leider verboten, die Ssentauren weiter hier zu behalten, wenn du ess ohne Waffen verssusst. Wir werden ssie gehen lasssen«, meinte ein Guady bedauernd.

„Und sie in Ruhe lassen“, forderte Justin.

»Ja, leider hat er unss auss dass befohlen«, nickte das Wesen, deutete den anderen, die Zentauren gehen zu lassen. Diese bewegten sich erst zögernd, dann sprangen sie in schnellen Galoppsprüngen davon.

Justin nickte zufrieden und wollte sich umdrehen und gehen, doch Jerry hielt ihn davon ab.

»Dreh ihnen nicht den Rücken zu! Egal, was du tust, dreh ihnen niemals den Rücken zu! Das werden sie in jedem fall ausnutzen, sie haben nämlich unter Garantie den Befehl, dich nicht einfach so, vollkommen unbehelligt verschwinden zu lassen«, warnte er und Justin tat, was sein Bruder ihm riet und ging rückwärts zurück. Doch dass er sah, was bei den Guady los war, das änderte nichts daran, dass plötzlich Bewegung in die Masse kam und das ganze Rudel auf ihn zustürmte. Mit einem Satz war Thunder an seiner Seite und er schwang sich schnell auf den Rücken des Rappen, dann preschte der Hengst auch schon los.

Obwohl der Wald die Heimat der Guady war und Thunder normalerweise nur im Flachland rannte, kamen sie schnell voran und ihre Verfolger vielen immer weiter zurück.

„Kennst du den Weg hier heraus?!“, wollte Justin von dem Hengst wissen.

»Ja, keine Sorge. Ich habe ihn mir gemerkt!«“, rief Thunder zurück.

„Gut!“, war Justin einziges Kommentar, dann verbrachte er die nächste Zeit schlicht damit, bei dem wahnwitzigem Tempo nicht von irgendeinem Ast, der zu tief hing, erschlagen zu werden oder das er von dem Rücken des Rappen viel, was bei dieser Geschwindigkeit durchaus ebenso tödlich enden konnte, doch irgendwann hatten sie den Wald hinter sich und so hatte Justin wenigstens ein Problem weniger. Jetzt musste er nur noch bei dem, noch einmal gesteigertem Tempo, oben bleiben. Die Guady waren schon lange nicht mehr in Sichtweite, doch das musste nicht viel heißen. Bald schon hatten die beiden die anderen eingeholt. Schnaufend verfiel Thunder in einen langsamen Schritt.

„Justin! Da bist du ja schon wieder!“, rief Melody erfreut.

„Tja, wie du sehen kannst…“, murmelte Justin. Er versuchte erst einmal, wieder ein wenig zu Atem zu kommen und auch sich ein wenig zu erholen, dann berichtete er wieder, was geschehen war.

„Das heißt, jetzt folgt das große Finale“, meinte Moritz.

Die anderen nickten ernst.

Training

Oh man, Justin. Du bist echt ein hoffnungsloser fall“, moserte Melody.

„Musst du mir nicht sagen, weiß ich auch so“, keuchte der Rotschopf.

„Nicht mal die leichtesten Zauber bekommst hin. So wirst du ihn nie besiegen können“, nörgelte die Elbe weiter.

„Das ist mir schon klar, aber wie soll man sich auch bei solchen Aussichten auch konzentrieren können?“, brummte der Rotschopf und deutete auf den tiefen Ausschnitt Melodys.

„Selbst wenn hier Theo stehen würde, würdest du das nicht schaffen“, widersprach die Elbe kopfschüttelnd.

„Mag ja sein, aber mehr als mein bestes geben kann ich auch nicht“, fauchte Justin und lies sich erschöpft ins Gras nieder sinken.

„Dann gebe eben nicht nur dein bestes, gebe dein allerbestes!“, rief die Elbe.

„Aber mehr geht nicht! Kapierst du es nicht oder rede ich hier Chinesisch?!“, schnappte der Rotschopf und blitzte sie wütend an.

Melody holte tief Luft, schien einen weiteren Wortschwall über ihn ergießen zu wollen, atmete dann jedoch hörbar aus.

„Ich will doch nur, dass du dich auch mit einem Zauber verteidigen kannst, wenn du gegen ihn kämpfst“, meinte sie leise.

„Das ist mir schon klar, aber wenn nicht mehr geht, dann geht eben nicht mehr. Ich habe einfach kein Talent für so was“, antwortete Justin, jetzt auch um einiges ruhiger.

Melody lies sich zu ihm ins Gras sinken.

„Vielleicht sollten wir für heute Schluss machen und es morgen noch einmal versuchen?“, überlegte sie.

„Und wenn es dann wieder nicht klappt?“, fragte Justin.

„Dann lassen wir diesen Zauber bleiben und kommen zum nächsten“, antwortete Melody.

„Okay“, nickte Justin, „aber wollen wir nicht den Drachentöter ein wenig vertiefen? Der bringt mir doch eigentlich am meisten.“

„Nein, tut er nicht“, widersprach Melody, schloss die Augen und lehnte sich an Justin.

„Doch. Wenn ich ihn richtig beherrsche, dann kann ich alles mit ihm machen, ohne das mir etwas dabei geschieht“, widersprach der Rotschopf.

„Ja, aber du kannst ja nicht mal Zauber, die um einiges leichter sind, als der Drachentöter. Bewahr dir diesen Trumpf als letzten Ausweg. Wenn du sowieso keine Möglichkeit mehr hast, aus dem Kampf lebend herauszukommen. Und für so was reicht das, was du kannst“, meinte Melody.

„Stimmt, okay. Welchen machen wir dann als nächstes?“, fragte der Junge neugierig.

„Mit mir ein wenig Schwertkämpfen!“, rief Moritz hinter ihnen.

„Was? So spät ist es schon?“, fragte Justin und schaute über die Schulter zu seinem Vater.

„Ja, so spät ist es schon. Also komm her“, antwortete der und hielt Justin ein Schwert hin. Nicht Drachenwind, sondern das, mit dem Justin sonst auch immer gekämpft hat. Wenn der Rotschopf mit Drachenwind kämpfte, dann hatte keiner der anderen eine Chance, was aber weniger an seinem können lag, als vielmehr daran, das jedes andere Schwert, egal wie gut es auch sein mochte, unter einem Schlag Drachenwinds schlicht zerbarste. Gegen den Todesgott würde ihm das aber nichts bringen, der würde vermutlich ein Schwert haben, das Drachenwind ebenbürtig ist, weswegen es galt, Justins Können als Kämpfer zu verbessern. Dazu brauchte er jedoch ein Schwert, das dem seines Gegners ebenbürtig oder besser noch, unterlegen war und so kämpfte er also mit seiner alten Klinge. Jedoch war er in den letzten vier Monaten so gut geworden, dass Moritz auch so schon kaum noch eine Chance gegen ihn hatte und das wollte was heißen. Doch je mehr Fortschritte er mit dem Schwert machte, desto schlechter wurde er, was die Magie anbelangt. Melody, Janne und selbst Shadow, die kaum mehr konnte, als Justin, mühten sich ab, wie es nur ging, doch er war wahrlich ein hoffnungsloser Fall.

Und so stand Justin eben auf und nahm das Schwert von Moritz entgegen.

Der Kampf dauerte keine zehn Minuten, da hielt Justin seinem Vater auch schon die Schneide an den Hals.

„Wenn du auch nur halb so gut beim zaubern wärst, wie beim Umgang mit dem Schwert oder wie du Bogen schießt, dann wärst du praktisch unbesiegbar“, meinte Melody, die gelangweilt zugeschaut hatte. Die Ausgänge der Kämpfe waren in den letzten Wochen zu gleich gewesen, als das noch jemand spaß daran gehabt hätte, den beiden zuzuschauen.

„Ja, ich weiß“, murrte Justin und schob sein Schwert zurück in die Scheide, „aber das Schwert liegt mir eben mehr. Da braucht man nicht so sehr viel denken.“

„Tja, um die Zauberstunden wirst du aber trotzdem nicht herum kommen, oder, Melody?“, erkundigte sich Moritz.

„Erst, wenn er eine Reihe ganz bestimmter Zauber praktisch perfekt beherrscht“, war die Antwort.

„Also nie“ kommentierte Justin.

„Ach, das schafft Melody gewiss auch noch. Vielleicht solltest du ihm ein unmoralisches Angebot unterbreiten, das fördert vielleicht seine Lernbereitschaft“, meinte Moritz grinsend an die Elbe gewannt.

„Vielleicht sollte ich ihn aber auch die nächsten Tage aus meinem Bett verbannen. Vollkommen entspannte Kerle lernen nicht gut, da sie zu träge sind“, war Melodys schlagfertige Antwort, was Moritz zum Lachen brachte.

„Mach was du meinst. Und hoffe, das uns noch ein wenig mehr Zeit bleibt, aus ihm was Ordentliches zu machen“, meinte er.

„Oh ja, das hoffe ich die ganze Zeit über schon. Jetzt würde er zumindest noch keine drei Minuten überstehen. Zumindest nicht, was das Zaubern anbelangt“, nickte die Elbe.

„Wobei ich es aber schon ziemlich merkwürdig finde, das er sich bisher nicht gemeldet hat. Immerhin ist es fast schon ein ganzes Jahr her, dass er uns seine Aufgaben stellte“, überlegte Justin.

„Stimmt, es ist wirklich merkwürdig“, stimmte Melody zu.

„Vielleicht wartet er aber auch nur solange, bis er der Ansicht ist, dass Justin ein würdiger Gegner ist“, meinte Moritz.

„Das kann natürlich auch sein“, nickte Justin.

„Na ja, eigentlich kann es uns egal sein, warum er uns so lange warten lässt, es verschafft uns Zeit und das ist gut für uns. Justin, vielleicht sollten wir doch jetzt noch weiter machen. Ein letzter Versuch und dann kommt der Nächste an die Reihe“, sagte die Elbe und Justin nickte.

„Okay. Der letzte Versuch von diesem vermaledeiten Zauber“, brummte er und stellte sich Melody gegenüber auf. In höchster Konzentration schloss er die Augen, doch wie die male zuvor geschah nicht viel.

Melody seufzte tief.

„Okay, okay, machen wir mit was anderem weiter“, meinte sie entmutigt.

„Nein, nein. Eure Lehrzeit muss ja auch einmal ein Ende haben“, bemerkte ein Stimme vom Waldrand her und wie von der Tarantel gestochen drehten sich Moritz, Melody und Justin in die Richtung.

Der Todesgott stand da und schaute ihnen interessiert zu.

„Ich habe beschlossen, dass wir in zwei Wochen miteinander kämpfen werden, Justin. Aber nicht hier, die Hallen der Elbenfeste soll ja erhalten bleiben. Ich will sie später auch noch nutzen. Nein, die ehemalige Drachenfeste, die jetzt von den Mantica besetzt wird, die soll unser Kampffeld sein. Sei in vierzehn Tagen an diesem Ort“, sagte er und verschwand, ohne dass einer der drei auch nur etwas hätte sagen können.

„Okay, jetzt hat er sich gemeldet. Zwei Wochen nur noch“, murmelte Justin.

„Ja. Zwei Wochen ist zu wenig, bis dahin werde ich dir gewiss nicht mehr alle vorgesehenen Zauber beibringen können“, meinte Melody.

„Dazu hättest du nicht mal in zwei Jahren geschafft, bei seinem, nicht vorhandenem Talent“, kommentierte Moritz und ging in Richtung Feste davon.

„Ja, da hat er recht. Lass uns auch zurückgehen. Wir sollten schnell aufbrechen“, meinte Justin und Melody nickte. Zusammen folgten sie Moritz zurück zur Feste.

Showdown

Aufgeregt? «, fragte Jerry.

„Nein, wie kommst du denn auf so was?“, brummte Justin sarkastisch.

»Was soll denn ich sage? Immerhin liegt auch mein Leben in deinen Händen und wenn du es heute nicht schaffst, dann muss auch ich mich im Totenreich vergnügend und darauf habe ich keine Lust. Noch nicht«, antwortete Jerry.

„Wir können gerne tauschen“, knurrte Justin.

»Nein danke. Dann wäre ich ja schuld, wenn es schief geht«, antwortete Jerry.

„Weist du eigentlich, dass du so ein richtiges Arsch sein kannst?“, wollte Justin giftig wissen.

»Ja, weiß ich und ich bin stolz drauf«, antwortete Jerry und sah dabei irgendwie fröhlich aus.

„Jerry, ich hasse dich“, knurrte Justin.

»Ich weiß. Vergiss nicht, ich weiß alles, was du denkst«, bemerkte Jerry.

„Ja, deswegen hasse ich dich auch noch mehr“, knurrte Justin.

»Du langweilst mich langsam aber sicher«, antwortete Jerry.

„Hat das eigentlich einen Sinn, dass du heute das so ziemlich nervigste Vieh der Welt bist?“, wollte Justin knurrend wissen.

»Natürlich. Ich will dich schon mal stinkig machen, für den Kampf, dann bist du schon mal aufgewärmt, vielleicht bist du dann mal nicht ganz so schlecht«, erklärte Jerry und hatte es damit übertrieben. Justin griff ihn an einem der Beine und warf ihn in Richtung Fenster, was Jerry ein Lachen entlockte.

»Damit kriegst du mich nicht zum Schweigen, mein lieber«, erklärte er und landete wieder auf dem Tisch, auf dem er die Zeit zuvor auch schon gesessen und Justin beobachtet hatte.

„Nervensäge“, kommentierte Justin.

Jerry antwortete zwar nicht, jedoch setzte er ein breites Vogelgrinsen auf, mittlerweile war Justin sich nämlich sicher, dass Jerry es irgendwie schaffte, trotz seiner Gestalt, breit grinsen zu können. Wie er es schaffte, das war ein einziges, großes Rätsel, das Justin nicht knacken konnte, vielleicht auch gar nicht wollte.

Er ging nach unten, setzte sich dort zu den anderen, die mindestens ebenso nervös waren, wie er. Jerry flatterte hintendrein, landete auf Justins Schulter.

„Auch so nervös, Leute?“, fragte der Rotschopf und schaute seine Freunde an.

„Ja. Auch wenn du es bist, der kämpfen wird ist es ja dennoch unser aller Zukunft, die vom Ausgang des Kampfes abhängt“, meinte Moritz.

„Oh ja, das tut es“, brummte Justin.

Danach sagte keiner mehr etwas, jeder hing einfach nur seinen düsteren Gedanken nach und wartete. Nacheinander standen sie alle auf, liefen ruhelos in der Gegend umher oder spielten mit irgendetwas herum, doch nichts konnte sie von ihren düsteren Gedanken ablenken. Dann hörten sie draußen ein Geräusch. Wortlos standen sie auf, jeder nahm seine Waffe und sie traten hinaus. Dort stand er, der Todesgott und lächelte ihnen voller Triumph entgegen, gerade so, als hätte er schon gewonnen.

„Unser kleines, großes Finale“, meinte er grinsend.

„Was denn nun, ein großes oder ein kleines?“, knurrte Justin zurück.

„Och, so schlecht gelaunt heute, ja?“, erkundigte sich der Todesgott.

„Nein, ich habe immer gute Laune, wenn ich gegen einen Gott kämpfen muss und dementsprechend die Karten schön gerecht verteilt sind“, antwortete Justin sarkastisch.

„Tja, nun wollen wir doch mal zum geschäftlichem Teil kommen“, meinte der Todesgott noch immer fies lächelnd.

„Ach, Smalltalk vorbei?“, knurrte Justin feindselig.

„Ja“, fauchte der Gott. Es machte ihn wütend, dass Justin heute so angriffslustig war.

„Wollen wir doch mal deine Freunde beschäftigen“, giftete er und auf eine Bewegung hin landeten fünf Drachen auf dem Platz.

„Für jeden einer“, erklärte der Todesgott an Justins Freunde gewandt.

„Keine Angst, sie werden euch nicht sofort töten, sondern erst einmal eine Weile mit euch spielen.“

„Klasse“, knurrte Moritz, trat dann zu Logi, der im Hof die ganze Zeit über gewartet hatte und kletterte auf den Rücken des Drachens. Kaum war er oben, als sich auch schon einer der feindlichen Drachen vom Boden abstieß und eine Feuersäule auf Logi nieder spie, der dieser nur knapp entkam. Es folgte ein Luftkampf der praktisch eine akrobatische Meisterleistung war. Wäre dies nicht mehr, als ein einstudiertes Theaterstück, so wäre wahrscheinlich jede Vorstellung über Monate hinweg ausverkauft gewesen, doch es war kein Theaterspiel, es war bitterer ernst, doch der Todesgott ließ nicht genug Zeit, um den Ausgang des Kampfes sehen zu lassen, er deutete dem zweiten Drachen, das er nun dran sei und dieser suchte sich Shadow aus. Zusammen mit ihrem Greifen gab sie ihr bestes, dem Drachen etwas entgegen zu setzen und dabei nicht mit Moritz zusammen zu stoßen, da die beiden Drachen ihnen nur einen gewissen Freiraum ließen. Sie kamen nie höher oder niedriger als bis zu einem bestimmten Punkt und auch in die Weite konnten sie nicht unendlich.

Der Kampf lief kaum zehn Minuten, als der nächsten Drachen den Befehl für den Angriff bekam, der sich Falko als Gegner aussuchte. Der Drache war nicht so schnell und wendig, wie die anderen beiden, sodass Falko keinen allzu großen Rückstand hatte, was die Wenigkeit anbelangte. Fly war groß und stark, aber dafür auch nicht so leicht manövrierfähig, deswegen herrschten zwischen den Gegnern in etwa die gleichen Vorraussetzungen.

Der nächste Drache suchte sich von den beiden verbliebenen Timo aus und jagte ihn über den Himmel. Er spie kein Feuer, doch waren seine Zähne scharf und er war schnell. Einzig das Timo um einiges kleiner war, schuf ihm einen kleinen Vorteil, der jedoch kaum ins Gewicht ging. Sollte der Drache ihn irgendwie stellen können, war es um ihn geschehen, das war sicher.

Der letzte Drache versuchte sich an Melody, doch diese nutzte nicht ihre weißen Schwingen, sondern hielt sich ihren Gegner mit Magie vom Leib. Keiner von ihnen würde Justin während des Kampfes in irgendeiner weise helfen können, das stand fest und so wie der Rotschopf den Todesgott einschätze, war dies auch der Sinn der Sache. Doch keiner der beiden verbliebenen Kontrahenten machte Anstalt, mit dem Kampf zu beginne, sie beobachtete einfach nur das Schauspiel über ihren Köpfen. Justin hätte seinen Freunden nur zu gerne geholfen, doch er wusste, das der Todesgott so etwas niemals zulassen würde und so blieb er der stumme Beobachter, der voller Qual zuschauen musste, wie seine Freunde von den Drachen attackiert wurden.

„Grausam, so etwas mit ansehen zu müssen, oder?“, fragte der Todesgott nach einer Weile und Justin nickte.

„Wenn ich richtig gemein wäre, würde ich dich dazu zwingen mit anzusehen, wie alle deiner Freunde von meinen Drachen getötet werden, doch ich werde dich anderweitig ablenken“, erklärte der Gott und Justin nickte abermals. Er hatte gar nicht zugehört, er hatte nur Augen für seine Freunde gehabt, wie sie von den Drachen gejagt wurden.

„Es wird Zeit“, meinte der Todesgott und wandte sich Justin zu.

Der konnte sich nur mühsam von dem Geschehen am Himmel losreißen und schaute auch so immer wieder mal nervös nach oben, während der Gott sein Schwert zog und sich in Angriffsposition begab. Justin zog Drachenwind und stellte sich seinerseits in Angriffsposition, als die Klinge des Schwertes plötzlich schwarz, blau und rot aufleuchtete.

„Was war das denn?“, fragte sich Justin leise.

»Eine ganz besondere Fähigkeit des Schwertes, aber ich denke, das erkläre ich dir später. Sonst lenke ich dich vielleicht zu sehr ab«, meinte Jerry. Er saß in seiner Falkengestalt auf einer der Fenstersimse, die zum Hof hinausgingen und beobachtete das Geschehen aus der Vogelperspektive, jedoch ohne fliegen zu müssen. Er hatte es sich zur Aufgabe gemacht, Justin bei eventuellen Gefahren zu warnen, falls der sie von seiner Perspektive aus nicht sehen konnte.

Justin jedoch konzentrierte sich nun vollkommen auf seinen Gegner und auf sein Schwert, alles andere versuchte er zu vergessen. Dann griff er an. Der Todesgott wich mit Leichtigkeit aus, doch Justin hatte damit gerechnet und schlug nach hinten, traf den Gott also trotzdem, wenn auch nur leicht. Aus dem Schwung seiner eigenen Bewegung heraus, drehte er sich um und griff wieder an, doch, der Todesgott wich nur abermals aus. Wieder startete Justin einen Angriff, der Gott jedoch machte immer noch keine Anstallt, selber anzugreifen. Egal, was Justin tat, er wich einfach nur aus, während Justin sich bei seinen Angriffen immer mehr und mehr verausgabte. Der Todesgott erhielt so manch eine leichte Verletzung, doch über das Leichte ging keine der Wunden hinaus, während Justin zwar nicht einmal angegriffen wurde, sich jedoch bald fühlte, als wäre er seit Stunden am rennen.

„Vollidiot“, kommentierte der Todesgott irgendwann, als er merkte, dass Justin langsam müde wurde, „ich dachte, das du wenigstens etwas intelligenter wärst, als direkt in meine Falle zu tappen, von der ich dachte, das sie nie im Leben zuschnappen würde.“

Justin knurrte den Gott an, wie ein Hund, dann warf er einen Blick gen Himmel – und entging so dem Erschlagungstod um Haaresbreite. Einer der Drachen des Gottes stürzte vom Himmel, wie ein Stein und wenn der nicht in dem Moment zufällig nach oben geblickt hätte, hätte der Drache ihn garantiert erwischt, so jedoch entkam er und starrte entsetzt den Kadaver an, unterm sich langsam aber sicher eine Blutlache immer und immer mehr ausbreitete.

Ein blick nach oben zeigte ihm, das es Falko war, der seinen Gegner besiegt hatte und der nun landete um Fly eine kurze Pause zu gönnen. Mit einer Geste gab er Justin zu verstehen, dass er gleich den anderen helfen würde, mit den Drachen fertig zu werden, nur nicht einmal ein Manticor wie Fly hatte unendliche Energie. Justin nickte, wandte sich dann wieder dem Todesgott zu. Noch einmal atmete er tief durch, dann griff er wieder an und wieder wich der Gott nur aus. Zumindest anfangs. Nach dem dritten oder vierten Hieb startete er seinerseits einen Angriff, der Justin weit zurück drängte, bei dem er sich jedoch nicht verletzte. Jetzt drang der Gott erbarmungslos auf Justin ein und erst jetzt begriff der, wie fatal seine vorangegangenen Angriffe waren. Er hatte sich verausgabt und damit jedoch keinerlei Vorteile erhalten, jetzt war er müde, der Todesgott jedoch war noch frisch wie der junge Morgen, er hatte keine Chance mehr. Nicht alleine. In dem Moment stürzte ein weiterer Drache hinab und verfehlte diesmal den Gott nur um haaresbreite, doch Justin erkannte seine Chance und schlug mit Drachenwind zu. Diesmal traf er und riss so eine tiefe Wunde, die heftig blutete.

Schwer atmend lächelte er den Todesgott triumphierend an. Er hatte einen guten Schlag platziert, das war vermutlich weitaus mehr, als sie alle an diesem Morgen noch gedacht hatten.

„Das büsst du mir, du kleine Ratte!“, fauchte der Todesgott und griff nun ungehaltener an. Die Wut über seine Verletzung ließ ihn unvorsichtig werden, was Justin die Chance gab, noch mehr gute Treffer zu landen, doch er wusste, das er so nicht gewinnen konnte und so überlegte er, wie er den Kampf letzten Endes doch noch für sich entscheiden konnte, denn eine Möglichkeit musste es einfach geben. Ihm wollte einfach nicht einfallen, welche das war.

Ein weiterer Drache stürzte tot zu Boden. Nur noch zwei waren übrig, der von Melody und der von Timo. Moritz und Shadow samt Logi und Silberflügel waren gelandet und versuchten, ein wenig Kraft zu schöpfen, um bei der Bekämpfung der letzten beiden Drachen behilflich zu sein. Justin griff derweil wieder den Todesgott an, war in Gedanken jedoch bei seinem Problem. Der Gott wich abermals aus, griff seinerseits an, sodass nun Justin auswich und dieses Katz und Maus spiel setzten sie eine Weile fort. Solange, bis auch die beiden letzten Drachen zu Boden fielen und Justin plötzlich eine Idee hatte. Er und der Todesgott standen sich keuchend gegenüber, beide in Angriffshaltung, doch als ihm klar wurde, wie er doch noch den Sieg davontragen konnte, stellte er sich in normal hin und schaut zu seinen Freunden zurück, die vollkommen erschöpft beieinander saßen und den Kampf beobachteten.

„Ich weiß jetzt, wie ich ihn besiegen kann“, murmelte Justin und lächelte seinen Freunden traurig zu. Diese machten verwunderte Gesichter und runzelte fragend die Stirn.

„Jerry, tut mir leid, aber es geht nicht anders“, murmelte er.

»Ja, ich weiß, ich verstehe dich schon. Es ist zwar schade, aber nun ja, man kann nicht alles haben«, antwortete der Falke und Justin nickte. Dann wandte er sich seinen Freunden zu.

„Tut mir leid, Leute!“, rief er ihnen zu, „aber es geht nicht anders! Anders schaffe ich es nicht!“

„Was meinst du, Justin?“, wollte Moritz wissen, doch der Rotschopf lächelte nur traurig.

„Bitte passt gut auf euch auf!“, rief er noch, dann wandte er sich wieder dem Todesgott zu.

„Oh nein, er wird doch nicht…“, murmelte Melody entsetzt.

„Was denn? Was meinst du, was er tun wird?“, wollte Moritz wissen.

„Nein, nein, das kann, das darf er nicht! Justin, lass das!“, rief sie voller entsetzen, doch Justin achtete nicht auf sie. Er musste tun, was seine Bestimmung war und dies war sie augenscheinlich und so schaute er dem Todesgott furchtlos entgegen.

„Was ist?“, fragte der misstrauisch. Ihn irritierten Justins Worte und vor allem sein Blick.

„Ich weiß, wie ich dich besiegen kann. Ich weiß auch, dass es mein eigener Tod sein wird, aber das ist egal. Hauptsache, ich kann dich mit mir nehmen“, meinte er.

„Ich verstehe nicht, was du von mir willst…“, murrte der Todesgott.

„Du wirst es gleich wissen“, war Justins Antwort, dann schloss er die Augen und konzentrierte sich. Gleißendes Licht schloss ihn und den Todesgott ein.

Ein grauenvolles Entsetzen ergriff seine Freunde, denn es gab keinen von ihnen, der nicht wusste, was dieses Licht zu bedeuten hatte. Justin konnte nur einen einzigen Zauber auch nur entfernt gut und das war der Drachentöter. Es konnte nur dieser Zauber sein, der dieses Licht freisetzte und Jerry, der leblos vom Fenstersims fiel und auf dem Boden zerschmetterte bestätigte ihre größten Ängste.

Gähnende leere und Entsetzen erfüllte die vier, keiner von ihnen war fähig, irgendetwas zu sagen oder gar zu tun. Sie standen nur da und starrten das Licht an, das langsam verblasste. Zurück lies es nur den leblosen Körper Justins, vom Todesgott war keine Spur zu sehen. Erst jetzt stieß Melody einen spitzen Schrei aus und von Pein erfüllt rannte sie hin zu ihm. Die anderen folgten, langsamer aber nicht minder entsetzt. Melody jedoch war die einzige, die ihren Kummer mit Tränen Ausdruck verleihen konnte, die anderen begriffen noch nicht wirklich, was geschehen war.

Vor Justins Leichnam sank die Elbe zu Boden.

„Nein… nein, warum nur… warum hast du das getan… Justin…“, murmelte sie voller Verzweiflung vor sich hin, „es ist nicht fair von dir, uns alle einfach so zurück zu lassen… es ist nicht fair…“

„Ausgerechnet er“ murmelte auch Shadow vor sich hin, die anderen leideten still.

„Warum er… warum er?“, fragte die Chito immer und immer wieder, „Warum er?! Warum er?! Warum ER?!“

„Weil er es so wollte“, sagte eine sanfte Stimme neben ihnen.

Keiner der vier hatte mehr als nur einen flüchtigen Blick übrig, für die Herrin, sie starrten nur entsetzt den leblosen Körper an. Nur Shadow nicht.

„Das ist nicht fair!“, rief sie, „DAS IST NICHT FAIR!“

„Der Tod ist nie fair“, meinte Moritz bitter.

„Aber das ist… noch weniger Fair! Dieses Abenteuer könnte jedes Ende haben, es gibt tausende verschiedene Möglichkeiten, warum muss es diese sein?!“, wollte sie wissen.

„Weil er dieses Ende gewählt hat, nur deshalb“, antwortete die Herrin.

„Es ist trotzdem nicht fair. Er musste für deinen Fehler büssen!“, fauchte Shadow.

„Dessen bin ich mir vollauf bewusst und selbst wenn es anders wäre, wenn er selbst diesen Fehler gemacht hätte, selbst dann wäre sein Tod nicht richtig, Es ist zu früh…“, meinte die Herrin.

„Genau! Es ist zu früh! Also tu etwas!“, schrie plötzlich Melody die Göttin an.

Die Herrin nickte und trat zu dem Leichnam Justins. Sie kniete nieder und legte eine Hand auf seine Brust, schaute die vier an.

„Wenn er nicht will, dann keine macht der Welt ihn wieder zurückholen. Es ist alleine seine Entscheidung, ob er sein Leben fortführen möchte. Und selbst wenn er sich dafür entscheidet wäre es möglich, dass er wahnsinnig wird. Er wird Dinge wissen, die man vergisst, wenn man geboren wird und dieses Wissen ist eine große Last, größer, als ihr sie euch vorstellen könnt. Sie ist größer, als er womöglich ertragen können wird“, sagte sie und erntete damit verschiedene Reaktionen. Die beiden Mädchen schauten die nur feindselig an, Moritz nickte, die anderen zwei gaben gar keine Reaktion von sich.

„Okay…“, meinte die Herrin und schloss die Augen. Eine Weile hockte sie so da, dann glühte ihre Hand auf, wie unter einem inneren Feuer. Sie stand auf und trat ein paar Schritte zurück und Justin richtete sich hustend auf. Mit müde wirkendem Blick schaute er sich um, als er seine Freunde sah, lächelte er schwach. Melody warf sich ihm sofort an den Hals und weinte und schlurzte vor Freude darüber, dass er wieder lebte.

„Melody…“ murmelte Justin.

„Oh, Justin, du Vollidiot… du riesen, riesen Vollidiot…“, schlurzte sie.

„Tut mir leid, aber ich… sah keine andere Möglichkeit mehr…“, erklärte der Rotschopf mit sanfter Stimme und schloss die Elbe in die Arme, „außerdem kann sie mich nicht sterben lassen, meine Aufgabe ist noch nicht beendet.“

Auch die anderen traten an ihn heran. Sie setzten sich zu ihm auf den Boden und sagten nichts, sahen einfach nur glücklich aus. Eine Weile blieben sie so sitzen, dann kam Jerry angeflattert und setzte sich auf Justins Schoß.

„Schön, dass es dir auch wieder gut geht, Bruderherz“, murmelte Justin.

»Vergiss nicht, wir sind ein und dieselbe Person. Wenn es dir gut geht, geht es auch mir gut«, antwortete der Falke.

Justin nickte, dann schaute er seine Freunde noch einmal lächelnd an und nickte dann, als hätte er für sich selbst etwas bestätigt.

„Schön, euch alle wieder zu haben…“, sagte er, was jedoch keiner wirklich verstand.

„Hä? Wir… du warst doch nur kurz… na ja, du weist schon… oder vergeht die Zeit dort schneller, als hier?“, wollte Timo wissen.

„Nein, das nicht, aber ich kann mich wieder an alles erinnern, an Dinge, die ich vor langer Zeit vergas. Und deswegen freut es mich, euch wieder zu sehen. Immerhin ist es eine ganze Weile her, das wir das letzte mal zusammen ein Leben verbringen durften“, sagte er, doch egal was die anderen auch sagten und taten, erklären tat er seine Worte nicht. Dies war das Geheimnis, das er und Jerry hatten und was sie niemanden erzählen wollten. Vielleicht später einmal, doch für den Moment blieb es ihr Geheimnis und das sollten sie für eine lange, lange Zeit auch bleiben.

Entscheidung

Timo, Justin, habt ihr euch entschieden?“, Moritz erwartete die beiden Jungen in der Eingangshalle der Elbenfeste.

„Ja, das haben wir wohl und es ist uns wahrlich schwer gefallen“, meinte Justin und er und Timo schauten sich mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an.

„Und zu welchem Ergebnis seid ihr gekommen?“, fragte Melody und man sah ihr an, dass sie Angst vor der Antwort hatte und ihre Angst war nicht grundlos, denn die Umarmung Justins sagte mehr, als es tausend Worte hätten tun können.

„Melody, tut mir leid, aber ich kann hier eine zeitlang bleiben, aber ich kann nicht hier leben, das geht nicht“, fügte er hinzu und Melody nickte, mit Tränen in den Augen.

„Dann lasst uns gehen. Ich denke, es ist besser für alle beteiligten, wenn wir hier keine große Szene draus machen“, meinte Moritz und sie alle nickten.

So sattelten sie ihre Reittiere und ritten gemeinsam zu dem Tor, das sie ein zweites mal in diese Welt der Magie geführt hatte.

Dort gab es ein letztes auf wieder sehen, dann gingen sie durch das Tor, zurück in ihre Welt. Jenes Reich, das so viel ärmer an Zauberei und Mysterien war, in der man wohl nie ein magisches Geschöpf begegnen würde, außer vielleicht, in einem Roman. Eines jener wundervollen Bücher, die eines der abertausenden Geschichten erzählte, die sich tagtäglich ereigneten, in dieser Welt der Phantasie.

„Wir werden wiederkommen, irgendwann“, waren Justins letzten Worte, bevor auch er die Welt der Mythen und Legenden verließ.

Ende

Ich habe dir dreimal gesagt, das wir tu spät kommen, wenn du dich nicht endlich mal beeilst, aber nein! Der Herr wollte ja nicht hören“, knurrte Timo Justin an, machte plötzlich einen scharfen Stopp vor der Tür zu ihrem Klassenraum.

In just dem Moment lautete es zur Pause. Seufzend streckte Timo die Hand nach der Klinke aus, doch die Tür wurde von innen geöffnet, bevor er sie ganz berührt hatte und Frau Chang trat heraus.

„Ach nein, das sie zwei auch mal wieder auftaucht, das hätte ich ja nicht erwartet“, spottete sie, beschäftigte sich jedoch nicht mehr mit den beiden, sondern ging davon. Sie würde sich wahrscheinlich nach der Pause mit Justin und Timo beschäftigen, also brauchten die Jungen gar nicht erst aufzuatmen. Sie gingen in die Klasse, wo sie gleich herzlich von allen begrüßt wurden. Nur zwei Mädchen blieben an ihrem Platz sitzen und erst beim zweiten hinsehen erkannte Justin, wer dort eigentlich saß. Sein Blick wurde immer ungläubiger und seine Augen immer größer, während die beiden Mädchen nur lächelten.

„Ich habe schon gedacht, es wird noch länger dauern, bis wir uns wieder sehen…“, meinte eine der beiden augenzwinkernd und strich sich ihr kurzes Haar aus dem Gesicht.

„Aber das ist doch…“, meinte Timo neben ihm, der die beiden Mädchen auch erst nicht erkannt hatte. Dann riefen die Jungen los: „Shadow! Melody!“ und stürzten zu der Elbe und der Chito, umarmten sie heftig.

„Was macht denn ihr hier?“, wollte Justin sogleich verwundert und doch voll Freude wissen.

„Ganz einfach, wir gehen zur Schule“, erklärte Shadow augenzwinkernd, die sich aus Timos Umarmung befreit hatte, während Melody sich nur noch mehr an Justin schmiegte.

„Aber wieso? Und wo wohnt ihr eigentlich und…“, Justin hatte so viele Fragen an die beiden, Melody jedoch legte ihm den Finger auf die Lippen. Für Fragen war später noch genug Zeit, sollte das bedeuten, das wusste Justin und so schwieg er, schaute Melody nur an. In dem Moment, als es zur zweiten Stunde klingelte und Frau Chang wieder herein kam, küsste Justin sie, nahm nur zögernd und widerwillig seine Arme von ihr und setzte sich eine Reihe hinter die beiden Mädchen, denn dies waren die einzigen freien Plätze. Bessere hätte er sich kaum vorstellen können.

„Ich finde es wundervoll, dass du da bist“, flüsterte er nach vorne, während Frau Chang irgendwelche Bemerkungen machte, auf die er sowieso nicht hörte.

Nein, seine Gedanken kreisten erst einzig um Melody, die er endlich wieder sah, und so wie sie sich benommen hatte und das sie hier in der Schule saß zeigte ihm, das sie wohl eine Weile bleiben würde.

»Willst du dir Mathe anhören oder hast du Lust, auf einen Rundflug?«, meldete sich Jerry in seinem Kopf.

»Was für eine dämliche Frage!«, war Justins Antwort, die ebenso lautlos kam, wie die Frage seines Bruders zuvor.

»Gut, dann zeig mal, wie gut du fliegen kannst!«, rief Jerrys Stimme in seinem Kopf und kaum hatte Justin sich in den Körper seines Bruders geflüchtet, als er auch schon ganz allein die Kontrolle hatte.

Jauchzend vor Glück flog er über die unendlich scheinende Landschaft Lävias dahin. Er sah noch einmal die Elbenfeste, zum ersten Mal aus der Perspektive eines Vogels, und er sah all die Orte wieder, die er besucht hatte und noch viel, viel mehr. Er flog über hohe Berge, grasbedeckten Ebenen, tiefen Schluchten und Täler, dunklen Wäldern und irgendwann war er am Meer angekommen, flog einfach weiter, über den blauen Ozean, bis hin zum Horizont. Er wusste, dass er sich an dieses Abenteuer selbst in seinen nächsten Leben noch erinnern würde und sei es, als ein Traum, den er träumte oder als ein Buch, das er schrieb. Er wusste ja nicht, was ihn in seinem nächsten Leben erwartete oder wie lange dieses noch andauern mochte, doch er wusste, dass dies nicht das letzte Abenteuer sein würde, das er in diesem Leben in dieser wunderbaren Welt bestehen würde. Es würden weitere folgen, seine Füße würden ihn immer und immer wieder hierher tragen, denn dies hier war seine wirkliche Heimat, auch wenn er nicht in ihr lebte. Sie war es schon immer gewesen und sie würde es auch immer sein, solange, bis er seinen letzten Atemzug tat. Doch an all das wollte er nicht denken, während er so über das Meer dahin flog, das in mehr Blautönen schillerte, als ein Mensch sich jemals vorstellen konnte. Nein, er wollte nicht an die Zukunft denken, denn zum ersten Mal in seinem Leben war er wirklich frei und dieses Gefühl wollte er sich einprägen. Es konnte eine ganze Weile dauern, bis er die Ketten der Schwerkraft wieder lösen konnte und bis dahin wollte er sich an dieses Gefühl erinnern, ebenso wie er sich an das Gefühl der Wintersonne in den wenigen Stunde voll Licht erinnerte, ebenso wie er sich an die weiten, grünen Wiesen erinnerte, ebenso, wie es sich an die Berge erinnerte, die in der Ferne gen Himmel ragten, ebenso, wie er sich an das Meer erinnerte, das ihn beinahe für immer in seinen Fängen gehalten hatte. Nein, er würde es nicht vergessen, er würde sich daran erinnern.

Immer und immer wieder…

Erinnern…



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu dieser Fanfic (3)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  Jaricho
2010-10-03T14:55:28+00:00 03.10.2010 16:55
Ich bin total baff, was du für Sätze und Beschreibungen in die Visionen einbaust O.o
Wie du die schreibst haut mich immer wieder um -^^- Echt superklasse...
Ich wünschte mir würden solchen Umschreibungen mal einfallen ^^
Ein riesen Lob mal von meiner Seite ;)
Was mich allerdings noch interessieren würde ist, wie alt Justin eigentlich sein soll und wie er genau aussieht O.o So ne richtige Vorstellung hab ich da jetz noch nich ^^"
LG Jaricho ^^
Von:  Jaricho
2010-10-03T14:21:32+00:00 03.10.2010 16:21
Wow das Kapi is echt der Hammer ^^
Hab auch das erste schon gelesen und war erst am überlegen, ob ich überhaupt weiterlesen soll... aber jetzt werde ich es auf jeden Fall tun xP
Du hast das hier so superspannend geschrieben und so detailreich erklärt ^^ Das fand ich richtig klasse ;)
Wenns so weitergeht hast du in mri nen echten Fan xD
LG Jaricho ^^
Von:  SamAzo
2009-09-26T21:36:32+00:00 26.09.2009 23:36
Ich komm und komm nicht mit dem Lesen hinterher...

Aber da ich endlich die Auswertung machen wollte, um nicht noch länger alle auf die Folter zu spannen, hier schon einmal dein Kommentar.
Was deine Geschichte angeht, stand mein Entschluss seit Kapitel 15 sowieso fest!

Zuerst jedoch zu den Dingen die mir aufgefallen sind.

Zum einen gibt es doch recht viele Rechtschreib/Tippfehler, die du unbedingt einmal beseitigen solltest.

Zum anderen sind auch einige andere Dinge in den Kapiteln, auf die du evtl etwas besser achten müsstest.

In Kapitel 1 zB steht:
"Stell dir mal vor, du musst mit ansehen, wie deine besten Freunde überfahren werden"
während in Kapitel 2 dann davon die Rede ist, das Frederyc bis zur unkenntlichkeit verbrannt ist, was seltener der Fall beim Überfahren sein dürfte.
Erst Rei, die im vorherigen Kapitel noch Marina hieß, wird dann vor Justins Augen überfahren.

Kapitel 25 ist auch so ein Fall.
Justin, ein gerade 16 Jahre alter Junge, klettert 'mal eben' über den Zaun des Gefängnises um Motitz zu suchen. Wieviele Ausbrüche haben die wohl so im Jahr? Ich meine, er wird ja auch nicht von einem Wachmann gesehen oder so.

Wird Timo bei ihrem zweiten Besuch eigentlich wieder zu einem Chito, oder behält er sein menschliches Aussehen? Falls ich es nicht überlesen habe, stand davon nämlich nichts. Ich nehme einfach mal an, das er es getan hat, da Shadow ihn sonst wohl nicht wiedererkannt hätte.

Oh noch so was:
Falco..
Er weiß von dem einen Tor und geht ein und aus, ohne das ihn irgendwann mal einer schnappt oder er Probleme bekommt? Und die anderen trauen ihm dann auch einfach so, obwohl er inzwischen Wochen wenn nicht gar Monate in der Festung des Feindes verbracht hat? Schwer zu verstehen, zumindest Moritz sollte nicht so leicht zutraulich sein.

Theo..
Wo steckt der? Sie wollen ihn angeblich mitnehmen, weil es in der Elbenfeste kein Gefängnis gibt. Trotzdem geht er nicht mit ihnen und taucht auch sonst nicht mehr auf.

Ginny..
Justin sagt in Kapitel 25 bei einem Gespräch mit ihr:
"Klar, kann schon sein, dass Moritz sie mir vererbt hat, .."
Warum fällt ihr nicht auf, das dieser Mann und ihr verstorbener Mann den selben Namen haben und die gleiche Haarfarbe.. Immerhin könnte Justins Interesse an diesem Kerl genau das sein, er sucht seinen Vater, auch wenn er weiß, das er tot sein müsste.
Gut, der Leser weiß bereits was los ist, aber Ginny sollte sich doch noch einige Gedanken machen, oder nicht?

Es gibt noch einige Stellen, bei denen es ungereimtheiten gibt, aber das sind die, die mir im Gedächtnis geblieben sind.

(Im übrigend fand ich den schwarzen Ritter cool, bis ich seinen Namen erfahren habe xD - aber ging ja nicht anders.)

Hiermit einen herzlichen Glückwunsch zum 2. Platz!

Vielen Dank fürs mitmachen
berni

Meine Güte, ein Roman.. ^^"


Zurück