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Die Anstalt

Nikolai und Raith
von

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Room Six

- Fragile you are

And yet the strongest by far

Who´s to save us now

That you´ve turned weak? -
 

Room Six
 

Ein grauenhaftes Piepen durchriss die Luft und Raith fuhr hoch um den Ursprung dieses verdammten Geräusches zu suchen. Sein Blick fiel auf den Pieper an Wellingtons Hose, den dieser nun abriss und anstarrte, als sähe er ihn zum ersten Mal in seinem Leben.

„Verdammt!“ Wellington keuchte auf, stieß Raith unerwartet heftig von seinem Schoß und rannte zur verschlossenen Tür. Der junge Schwarzhaarige sah ihm entsetzt nach. Wellington hätte ihn die ganze Zeit wegstoßen können, doch er hatte es nicht getan, hatte die Küsse angenommen, hatte Raith zarte Hände wandern lassen. Was brachte ihn so in Aufruhe, dass er fluchtartig das Zimmer verließ? Was hatte der Pieper gesagt?

„Bleib hier!“ Raith rappelte sich vom Boden hoch und lief dem Pfleger nach, doch bevor er ihn erreichen konnte knallte die Tür ins Schloss und Raith war wieder eingesperrt. „Bleib hier!!“ brüllte er die emotionslose Tür an und hämmerte mit den blanken Fäusten dagegen. „Bleib doch verdammt noch mal bei mir! Nichts ist so wichtig, dass du mich verlassen musst! Bleib hier!“ Er schrie sich die Seele aus dem Leib, doch keine Antwort drang an sein Ohr. In Tränen aufgelöst ließ sich Raith gegen die stumme Tür sinken und brach dort zusammen. „Komm zurück“, wimmerte er schluchzend.

Als Wellington im ersten Stock ankam, war er wohl der letzte der diensthabenden Pfleger. Er bahnte sich seinen Weg durch die Kollegen und blieb betroffen an der offenen Tür zu Nikolai Crutschows Zimmer stehen.

„Was ist passiert?“ fragte er außer Atem. Nikolai lag reglos am Boden, einer der anderen Pfleger führte eine Herzmassage durch und beatmete ihn.

„Er ist einfach umgefallen!“ erklärte ein dritter Pfleger. „Wir können es uns nicht erklären. Er hat gesagt, er will sterben und dann ist er einfach umgefallen. Sein Herz scheint stillzustehen und er atmet auch nicht mehr. Die Rettungskräfte sind unterwegs!“

Wellington riss erschrocken die Augen auf und stürmte an Nikolais freie Seite. Entsetzt griff er nach seinem Arm, um seinen Puls zu fühlen. Da musste etwas sein! Er konnte nicht einfach umfallen, nur weil er es wollte! Der Pfleger der Erste Hilfe leistete atmete auf und legte das Ohr auf Nikolais Brust.

„Es ist wieder Herzschlag zu hören!“ verkündete er und prüfte ob Nikolai atmete. „Er atmet auch, aber nur schwach! Wo bleibt der Rettungswagen?“

Als hätte er auf ihr Stichwort gewartet stürmte plötzlich ein Rettungsarzt das Zimmer und Fabian Wellington sprang schnell zur Seite, um diesen nicht zu behindern. Der Pfleger erklärte ihm seinen Erfolg, während der Arzt nickte und Nikolai eine Beatmungsmaske aufsetzte.

„Sie haben sicher ein Behandlungszimmer in dem ich ihn mir ansehen kann? Es ist ungewöhnlich, dass man in so jungen Jahren einfach umfällt und fast stirbt. Was fehlt ihm?“ fragte der Arzt und ließ seinen Blick vom Pfleger zu Wellington schweifen, der als erster antwortete.

„Borderline Persönlichkeitsstörungen F60.31“, sagte er immer noch aufgewühlt.

„Wer war für ihn zuständig?“

„Das war ich Doktor“, gab Wellington zu und senkte den Blick. Seufzend führte er die Hand zur Stirn und kniff einen Moment die Augen zusammen. Die Eindrücke von Raith Kuss hatten sich tief in sein Bewusstsein gegraben und er schämte sich dafür, dass er die Sache nicht unterbunden hatte.

„Wo waren Sie, als das passierte?“ hakte der Arzt weiter nach.

„Bei einem anderen Patienten. Ich … entschuldigen Sie mich.“

Etwas zu hastig verließ Wellington Nikolais Zimmer. Das hätte niemals passieren dürfen. Was sollte er nur tun? Wenn einer der anderen Pfleger, oder Patienten davon erfuhr, würde man ihn suspendieren. Was, wenn er Raith affektive Störungen nur noch verstärkt hatte? Was, wenn er selbst der Grund für seine viel zu häufigen Stimmungswechsel war?

„Oh mein Gott“, murmelte er und blieb auf dem knirschenden Kies stehen, der die Einfahrt auf das Gelände der Anstalt markierte. „Was soll ich nur tun? Habe ich versagt?“

Er hob den Blick zum Himmel. Die Psyche war so labil, so unkontrollierbar, doch eigentlich hatte er von sich gedacht, seinen Beruf gut im Griff zu haben. Man hatte ihm Nikolai geschickt, um ihm das Gegenteil zu beweisen. Wieder ging Wellingtons Pieper los und in Panik, dass erneut etwas Schreckliches passiert war, griff er danach. Schnellen Schrittes lief er zurück in die Anstalt in Doktor Matheys Büro.

Behutsam klopfte er an und drückte dann die Klinge hinunter, die in das große, dunkel gehaltene Büro der Chefärztin führte. Er trat ein und schloss die Tür hinter sich. Betreten senkte er den Kopf.

„Sie haben mich angepiept, Doktor?“

„Kommen Sie her, Wellington. Ich muss mit Ihnen reden“, sagte sie streng und er nahm ihr gegenüber an ihrem riesigen antiken Schreibtisch platz. „Nun“, begann sie, faltete die Hände auf der Tischplatte und sah ihn über den Rand ihrer Lesebrille hinweg an. „Sie haben in der letzten Stunde eine Menge Unruhe verursacht. Laut Dienstplan hätten sie zunächst bei Nikolai Crutschow sein sollen und danach bei Raith Carpenter, um nachzusehen, ob die Isolierung uns weiterbringt. Haben Sie das getan?“

Wellington blickte auf seine Hände, die sich auf seinem Schoß verkrampften und schaffte es dann endlich die Chefärztin anzusehen.

„Ich war sowohl bei Nikolai Crutschow, als auch bei Raith Carpenter“, sagte er wahrheitsgemäß.

„Gab es bei Crutschow Anzeichen für diesen plötzlichen – Anfall?“ fragte Sie weiter.

„Ich – nein eigentlich gab es keine. Er sprach mit mir über Carpenter. Gestern hat er ihn vor seinem Zimmer gesehen, bevor ich Sie zur Hilfe rief, weil Carpenters Phasen sich so rasch abwechselten. Crutschow wirkte sehr zurückgezogen und sehr traurig. Ich sagte ihm, dass er an das Gute glauben solle, daran, dass er seine Probleme überwinden könne. Dann verabschiedete ich mich und ging hoch zu Carpenter. Auch mit ihm habe ich mich unterhalten, habe ihm erklärt, was wir über seine weitere Behandlung besprochen haben und dann sagte er, er wäre einsam …“, Wellington brach ab. Sollte er schweigen? Sollte er reden? Die intime Begegnung mit Raith Carpenter nagte an seinen Nerven. „Mir ist ein großer Fehler unterlaufen“, sagte er schließlich und senkte den Blick wieder auf seinen Schoß.

„Was für ein Fehler war das, Wellington?“ fragte sie in einem scharfen Ton, der ihn eher dazu trieb zu schweigen, als weiterzureden. Er atmete einmal tief durch, brachte es aber nicht fertig sie wieder anzusehen.

„Ich ließ ihn zu nah an mich heran. Er näherte sich mir, aus seiner Einsamkeit heraus und ich war nicht professionell genug ihn abzuweisen. Ich ließ es zu. Es wäre noch viel Schlimmeres passiert, hätte mich niemand angepiept, weil Crutschow zusammengebrochen war. Es tut mir Leid“, seine Stimme war brüchig geworden und er hielt lieber den Mund, bevor er noch mehr verlauten ließ, was ihn noch tiefer in diese Geschichte hineinreiten konnte.

Doktor Mathey erhob sich von ihrem Stuhl und legte die Hände auf den edlen Tisch.

„Ich bin empört, Wellington, zutiefst empört!“

„Es tut mir Leid“, wiederholte Wellington nur und schüttelte sanft mit dem Kopf.

„Sie sind sich darüber im Klaren, dass so etwas unzumutbar ist. Ihre Kündigung wird Sie in den nächsten Tagen erreichen. Sie können jetzt gehen.“



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