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Fragmente

One Shot Sammlung
von

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Kleines Licht

Er schaute sie an als habe er sie vorher noch nie gesehen.

„Woher kommst du?“, wiederholte er seine Frage.

„Tjumen, Russland“, antwortete sie wahrheitsgemäß bereits das zweite Mal.

Er schwieg, wodurch sich eine unangenehme Stille zwischen ihnen ausbreitete.

„Raus!“

„Wie bitte?“ So wirklich verstand sie seine plötzliche schlechte Laune nicht und schon gar nicht warum sie jetzt gehen sollte.

„RAUS!“

So wütend hatte sie ihn noch nie erlebt. Zugegeben kannten sie sich noch nicht unglaublich lange, aber es hatte dafür gereicht, dass sie bei ihm wohnen durfte. Ansonsten hätte sie auf der Straße schlafen müssen, nachdem ihr Vermieter sie rausgeschmissen hatte.

„Aber warum?“

„Geh einfach! Ich will dich nie wieder sehen, verstanden?“

Sie hatte ihn nicht verstanden, aber was blieb ihr anderes übrig als zu gehen, so wie er es verlangte?

„Ich verstehe dich nicht. Was ist so schlecht an meiner Heimat? Warum bist du so?“

Doch er antwortete nicht. Lieber betrachtete er sie weiterhin mit einem tödlichen Blick und rollte langsam mit seinem Rollstuhl nach hinten.

„Verschwinde einfach...“, sagte er noch einmal. Weniger kraftvoll aber nicht minder schmerzhaft.

Sie wischte sich über die erhitzen Wangen und bemerkte, dass sich zum Glück noch keine Tränen dorthin verirrt hatten. Da sie scheinbar keine andere Wahl hatte, nahm sie sich ihre Jacke und verschwand hinaus in den Nachmittag.
 

:.:.:
 

„Wo ist Nadja?“

Sein Freund fragte das Xte Mal nach ihr doch er schüttelte nur den Kopf.

„Hattet ihr Streit?“, fragte er weiter.

„Nein. Ich habe sie weg geschickt.“

„Wieso?“ Er war mindestens so verwirrt wie er aussah.

„Weißt du wo sie herkommt? Aus Russland! Russland!!!“

Sein Freund schaute verständnislos. Nein, der Sinn ging grad weit an ihm vorbei. Schon allein, weil er so fixiert auf das Land zu sein schien.

„Und weil sie Russin ist, schmeißt du sie raus? Die einzige Person, die dich seit dem Überfall zum Lachen bringen konnte. Die Einzige, die dich mit all deinen Launen ausgehalten hat.“

„Ja verdammt!“

„Warum Alex? Erklär es mir!“

Die Hände zu Fäusten geballt, saß er da, nicht fähig seine Wut in Worte zu fassen.

„Wieso hast du sie rausgeschmissen?“, wiederholte sein Freund die Frage.

„Der Typ, der uns an dem Abend überfallen hat. Der, der geschossen hat. Er war Russe.“

Schweigen.

Keiner der beiden schien diese Stille unterbrechen zu wollen.

„Ist das alles?“, fragte der Besucher schließlich.

„Ist das alles?“, wiederholte Alex die Frage und die wieder aufsteigende Wut war deutlich hörbar. „Das ist alles, was ausgereicht hat um mir das hier anzutun. Ist das für dich nicht genug, Taylor?“

„Tut mir leid“, versuchte der angesprochene die Lage zu beruhigen. Er hatte vergessen, wie empfindlich sein Freund auf dieses Thema reagierte.

„Einen scheiß tut es dir!“

„Stimmt... Im Moment bin ich ehrlich gesagt eher besorgt um Nadja.“

„Scheiß auf sie!“

„Nein! Oooh nein!“ Taylor beugte sich zu Alex und sah ihn ernst an. „Du hast ihr versprochen, dass sie hier bleiben kann. Sie hat niemanden zu dem sie gehen könnte. Was denkst du dir dabei sie zu verurteilen, nur weil sie zufällig aus dem gleichen Land kommt wie der Idiot von damals?!“

Alex schwieg, schaute seinen Freund jedoch mit unglaublicher Wut an.

„Hast du mal einen Moment daran gedacht, dass es ihr auch schlecht gehen könnte? Dass du ihr einziger Lichtblick bist?“

Äußerlich tat sich gar nichts an Alexander. Er war wütend, sehr wütend. Vielleicht inzwischen auch ein wenig auf sich selber. Mit den Gedanken an Nadja und das sie bereits seit zwei Tagen weg war, blendete er seinen Freund vollkommen aus und zeigte keinerlei Regung.
 

:.:.:
 

Sämtliche Telefonate waren umsonst. Keiner hatte sie gesehen oder mit ihr gesprochen.

Taylor legte erschöpft das Telefon zur Seite. Seit Stunden hatte er jetzt versucht sie zu finden. Alex war nicht sonderlich hilfreich dabei weitere Leute ausfindig zu machen, bei denen sie untergekommen sein könnte.

Seine schlimmste Vorstellung war die, dass sie irgendwo tot in einer Ecke lag. Erfroren in einer der doch noch sehr kalten Nächte.

„Hast du sie erreicht?“, hörte er plötzlich die Stimme seines Freundes hinter sich.

„Nein. Niemand hat sie gesehen.“

Alex blieb hinter ihm. Seit er angefangen hatte ihre Bekannten anzurufen, schaute sein Freund ihm nicht mehr in die Augen.

Vielleicht hatte doch endlich sein Verstand wieder eingesetzt.

„Wir werden sie finden“, versicherte Taylor Alexander. „Und dann solltest du dich entschuldigen.“

Alex sah nicht so aus, als hätte er das vor. Jedoch war das im Moment schwer zu sagen.

Taylor schüttelte den Kopf und wählte die nächste Nummer auf seiner Liste.
 

Dieses Telefonat war endlich etwas aufschlussreicher. Nadja war gesehen worden.

Boylston Street, in der Nähe der Bibliothek. Taylor starrte auf sein Mobiltelefon.

„Was ist los?“, wollte Alex nach einer Weile wissen.

„Sie war mit jemandem zusammen“, klärte Taylor ihn auf. „Lindsay hat ein Bild von den Beiden gemacht und will es mir gleich schicken.“

„Siehst du, sie kommt gut ohne mich klar. Lass es einfach sein!“

Doch er dachte nicht daran es zu vergessen. Erst wollte er selber sehen, dass es ihr gut ging.

Sein Handy summte eine kurze Melodie und sofort klickte er die eingegangene Nachricht an.

Eindeutig Nadja, auch wenn das Foto aus einem fahrenden Wagen gemacht worden war. Der Kerl neben ihr war ihm jedoch nicht bekannt. Sie unterhielten sich offenbar. Aber ob es ihr wirklich gut ging, konnte er anhand dieses Bildes nicht sagen.

Das Einzige was ihm einfiel, war einfach mal blind dort nach einem der Beiden zu fragen. Es war der einzige Anhaltspunkt den er hatte.

„Ich bin weg. Mach keinen Blödsinn und überleg dir schon mal was du ihr sagen willst!“

Alex schaute seinem Freund hinterher und grummelte leise.
 

:.:.:
 

Für ihn dauerte es zu lange, bis er endlich in der entsprechenden Straße angekommen war.

Aber die Uhrzeit war gut. Es liefen viele Menschen an ihm vorbei, während er versuchte ein bekanntes Gesicht ausfindig zu machen.

Nirgendwo sah er sie. Dabei war Nadja für ihn wirklich überall zu erkennen. Allerdings wäre es wohl zu einfach gewesen, sie so schnell zu finden.

Taylor zückte sein Telefon und besah sich das Bild noch einmal. Vielleicht konnte er wenigstens den Kerl ja ausfindig machen. Wieder scannte er die Leute.

Nach einigen Minuten gab er auf. Das war wie die Suche nach der Stecknadel im Heuhaufen. Doch er hatte bereits eine neue Idee.

„Entschuldigen sie, haben sie zufällig einen der Beiden von dem Bild hier kürzlich gesehen?“

Kopfschütteln...

Zu viel 'Nein' und 'Tut mir leid, ich bin in Eile'.

Taylor war inzwischen vor dem Eingang der Bibliothek und mit den Nerven am Ende.

Mit einem Blick auf die Uhr, stellte er fest, dass er bereits seit zwei Stunden suchte. Der Strom an Menschen hatte auch bereits abgenommen. Er nahm sich vor noch einige Leute zu fragen und dann nach Hause zu gehen. Vielleicht konnte er sie doch endlich über E-Mail erreichen oder irgendeinen Messenger. Ihr Mobiltelefon lag ja leider noch bei Alexander.

Warum hatte sie es nicht mitgenommen?

Es wäre so viel einfacher.

„Entschuldigen sie“, fragte er eine Frau, die eben aus dem Gebäude gekommen war. „Haben sie einen der Beiden vor kurzem gesehen?“

Sie sah sich das Bild an und nickte dann. „Das ist doch Miles. Er arbeitet hier!“ Sie zeigte auf die Bibliothek. „Ich glaube heute hat er frei, zumindest habe ich ihn nicht gesehen und normalerweise wuselt er immer durch die Gänge.“

„Danke! Danke! Sie wissen gar nicht, wie sehr sie mir damit geholfen haben!“ Taylor war hörbar erleichtert und bedankte sich überschwänglich, während er die ersten Stufen zum Eingang erklomm.

„Nichts zu danken“, rief sie ihm hinterher.
 

Es war lange her, dass er das Gebäude von innen gesehen hatte. Das letzte Mal musste kurz vor seinem Abschluss gewesen sein. Es roch noch immer wie in seiner Erinnerung.

Alte Bücher, neue Zeitungen...

„Kann ich ihnen helfen?“, meldete sich eine Frau mit Namensschild. Er las den Namen nicht, sondern kam einfach zur Sache.

„Ich suche Miles.“

„Oh, der war nur heute Vormittag da. Er hat wohl derzeit Besuch.“

War das bereits ein Hinweis auf Nadja?

Er hoffte es. Es war besser daran zu denken, dass sie, seit sie bei Alex so unhöflich abgewimmelt worden war, wenigstens ein Dach über dem Kopf hatte und nicht auf irgendeiner Parkbank schlafen musste.

„Sie könnten mir nicht zufällig die Adresse geben? Oder wenigstens seine Telefonnummer?“

Etwas skeptisch wurde er gemustert, bis sie schließlich den Kopf schüttelte.

„Tut mir leid, ich kann weder das eine noch das andere herausgeben.“

„Können sie nicht eine Ausnahme machen?“

Eigentlich wollte er nicht erzählen, dass ihm eine Freundin abhanden gekommen war. Andererseits, konnte es sie vielleicht erweichen.

„Nein, keine Ausnahme!“

„Eine Freundin von mir ist verschwunden und... er kann mir vielleicht weiter helfen“, versuchte er es nun wirklich. Gleichzeitig holte er sein Mobiltelefon raus und zeigte ihr das Bild. „Das ist das einzige was ich im Moment habe.“

Sie sah es sich an.

„Ja, das ist Miles“, bestätigte sie. „Und das ist die junge Frau, die sie suchen?“

Taylor nickte stumm.

„Pass auf, ich kann dir die Nummer nicht heraus geben, aber ich kann dich von hieraus anrufen lassen. Dann kannst du ihn fragen, ob er weiß wo sie steckt. Ist das OK?“

Plötzlich war das 'Sie' verschwunden. Die Anrede gefiel ihm eh nicht. Aber eigentlich war es auch gar nicht so wichtig. Nur der Vorschlag zählte.

„Das ist super!“ Er konnte es kaum fassen. Dafür dass er nur auf gut Glück hierhergekommen war, nun doch schneller vorran zu kommen als es draußen noch ausgesehen hatte.

„Dann komm mit!“

Sie brachte ihn zu dem kleinen Schalter für die Rückgaben und verschwand dahinter um sich das Telefon zu holen. Schnell hatte sie die Nummer rausgesucht und gewählt. Als der Rufton piepte, reichte sie den Hörer Taylor.

Er nahm ihn und wartete. Hoffentlich war dieser Miles zu Hause.

Die Frau hinterm Tresen schenkte ihm ein Lächeln, als er, wohl freudestrahlend, anfing seinen Namen zu sagen und dem jungen Mann am anderen Ende zu erklären warum er anrief.
 

:.:.:
 

Er saß in seinem Auto und war beinahe bei der Adresse, die ihn dieser Miles gegeben hatte. Laut ihm war Nadja bei ihm und gerade in der Badewanne. Das war vor gut einer halben Stunde gewesen.

Badete sie lange?

Das müsste er Alex fragen. Immerhin lebten sie Beide eine Weile zusammen.

Das Haus zu finden war gar nicht so schwer. Miles hatte es gut beschrieben und so war es ein regelrechtes Kinderspiel.

Bevor er aus dem Wagen ausstieg, überlegte er, ob er seinem Freund Bescheid sagen sollte, oder nicht, entschied sich jedoch dagegen. Sollte der sich ruhig noch etwas Sorgen machen und darüber nachdenken, was er getan hatte.

Natürlich war das Ganze mit dem Überfall nichts Schönes und natürlich tat ihm Alexander irgendwo leid. Da er der Einzige von ihnen war, der mit solchen Langzeitschäden zu kämpfen hatte. Das alles war jedoch keine Entschuldigung dafür, so in Selbstmitleid zu versinken und eine gute - sehr gute - Freundin einfach im Stich zu lassen.

Taylor atmete tief durch, als er endlich an die Tür klopfte.

„Moment!“, hörte er von drinnen. Eine fröhliche Stimme. Er konnte nur hoffen, das Nadja annähernd so gut gelaunt war.

Die Tür wurde von genau dem jungen Mann geöffnet, den er auf dem Foto gesehen hatte. Das war also Miles. Er sah ein wenig wirr aus, mit den verwuschelten Haaren und dem Mehl im Gesicht.

„Taylor, richtig? Komm rein.“

„Ja, danke.“

Miles hielt ihm die Tür auf und verschwand dann in der Küche, während er die Wohnungstür einfach ins Schloss zurück fallen ließ.

„Ich mache Waffeln. Nadja sagte, sie mag die gerne mit Sahne und Kirschen. Also hab ich welche geholt.“

„Seit wann kennt ihr euch?“

„Vorgestern.“

Taylor war etwas irritiert darüber, wie Miles sich gab.

„Du lässt also eine wildfremde Frau bei dir übernachten und machst ihr Waffeln?“

„Ich habe auch dich rein gelassen. Auch eine Waffel?“

Das stimmte sehr wohl, aber er hatte ja auch einen Grund. Dieser hieß Nadja und war vermutlich noch immer in der Badewanne.

Der Besucher stimmte mit einem nicken dem Angebot zu.

„Die sieht irgendwie etwas zerbombt aus.“ Taylor musterte das 'Ding' auf dem Teller.

„Darum gebe ich sie ja auch dir. Für Nadja sind nur die perfekten. Aber irgendwie werden die ersten zwei oder drei Stück nie perfekt oder annähernd gut.“

Taylor schaute sich die Waffel an. Wenn dieser Miles meinte, dass es nötig sei, wollte er ihn in diesem Glauben lassen.

„Wo ist sie eigentlich?“, kam er lieber auf seine Freundin zu sprechen.

„Noch immer im Bad. Aber ich meine vorhin gehört zu haben, dass sie das Wasser abgelassen hat. Kann sich also nur noch um Stunden handeln.“

Dieses Strahlen dabei.

Dieser Kerl schien ein echt fröhlicher Zeitgenosse zu sein.
 

:.:.:
 

Es hatte letztendlich doch nicht mehr so lange gedauert, bis Nadja aus dem Badezimmer kam und, geleitet vom Duft, die Küche betrat.

Sie trug eine dunkelblaue Trainingshose und ein SOX-Shirt, was beides wohl eher Miles gehörte. Immerhin waren alle ihre Sachen noch bei Alex und diese Kleidung im Normalfall gar nicht ihr Stil.

Als sie Taylor sah, herrschte kurz ein Gefühlschaos in ihrem Gesicht. Freude über den Bekannten und das sie nicht allen egal war und gleichzeitig stiegen ihr Tränen in die Augen.

Wieder traf sie die selbe Erkenntnis wie bereits die Tage zuvor.

Sie hatte nichts!

Nicht einmal ein Zuhause oder ihre eigene Kleidung. Sie fühlte sich einsam und verlassen.

Das alles brach erneut aus ihr heraus, als sie dem Größeren um den Hals fiel.

Taylor legte tröstend die Arme um seine Freundin.

Zu seiner Verwunderung weinte sie nicht lange. Als sie sich von ihm löste wischte sie sich kurz über die Wangen und lächelte dann leicht.

„Schön das du da bist!“

Miles hatte inzwischen den Tisch freigeräumt. Nur ein Turm Waffeln auf einem Teller, eine Dose Sprühsahne und ein Schälchen mit Kirschen stand noch dort. Nadja registrierte das volle Bild erst jetzt und mustere alles mit großen Augen.

„Du bist ein Engel, Miles!“

Der Angesprochene zuckte mit den Schultern und war einfach nur froh darüber, dass er sie ablenken konnte. Sie setzte sich neben Taylor und nahm sich den leeren Teller, der zusammen mit Besteck ebenfalls auf dem Tisch stand. Packte ihn voll mit Waffeln, sprühte Sahne und legte einige Kirschen darauf.

Sie aß langsam, jeden Bissen genießend, bis ihr die Blicke auffielen.

„Warum esst ihr nicht mit?“, fragte sie dann.

„Ich habe zu viel Teig genascht“, gestand Miles.

„Und ich habe schon alle Waffeln bekommen, die er als 'dir nicht würdig' eingestuft hat“, erklärte Taylor.

Nadja nickte. Wenn sie keine wollten, gut für sie.

„Nadja, ich wollte wissen wie es dir geht – wegen ...“

Miles winkte hektisch als wolle er ihm den Mund verbieten. Kaum das Nadja aufsah, hielt er inne, als hätte er nichts getan.

Sie sah alles andere als glücklich aus während sie ihre Lippen aufeinander presste und auf die Sahne starrte.

„Er hasst mich“, flüsterte sie endlich.

„Nein! Er ist nur noch immer ziemlich gereizt wegen dem Vorfall und du weißt selber wie er dann sein kann.“

„Aber ... wie er geguckt hat. Er hasst mich! Warum hasst er mich?“

Taylor seufzte und legte eine Hand auf ihre Schulter.

„Alex ist mindestens so besorgt wie ich, dass du plötzlich vom Erdboden verschwunden warst.“

„Er wollte doch, dass ich gehe! Er will mich nie wieder sehen, hat er gesagt!“

Er wusste nichts darauf zu erwidern.

Hatte Alex das tatsächlich getan?

Taylor seufzte leise und strich ihr über die Schulter.

„Alexander weiß manchmal nicht wirklich was er sagt, wenn er wütend ist.“

„Aber warum war er wütend? Was hab ich getan? Was hab ich falsch gemacht?“

„Nichts meine Kleine. Es liegt wirklich nicht an dir. Er ... findet Gründe, die einfach nicht da sind, um sich an jemandem auszulassen. Das es dich getroffen hat war purer Zufall und lag nur daran, dass du genau in dem Moment da warst, als er Dampf ablassen musste.“

Sie schüttelte den Kopf und wischte sich die erneuten Tränen aus den Augenwinkeln.

Offensichtlich war es für sie nicht so leicht zu verstehen. Zwar wusste sie, das Alex ab und an recht gemein und aufbrausend war, aber bislang hatte sich das nie so gegen jemanden gerichtet, wie jetzt gegen sie.

„Wollt ihr euch im Wohnzimmer weiter unterhalten?“, fragte Miles plötzlich.

Er konnte sich das Chaos in seiner Küche nicht mehr ansehen und hatte nicht vor, die Zwei durch sein Aufräumen zu stören. Abgesehen davon, fühlte er sich bei der Unterhaltung wie ein Fremdkörper. Es ging ihn nun einmal nicht wirklich etwas an, auch wenn er über ihren Teil der Geschichte sehr gut Bescheid wusste.
 

:.:.:
 

Miles räumte auf, bis es klingelte.

Doch er brauchte sich gar nicht beeilen, denn er hörte sofort Nadja, die ihm zurief, das sie aufmachen würde. Gefolgt von dem Poltern ihrer Schritte, als sie den Flur entlang lief um so schnell sie konnte den weiteren Besuch herein zu lassen.

Immerhin hatte sich jemand angekündigt, für den sie extra Baden war.

„Quint!“, quietschte sie fröhlich, als sie ihm auch direkt um den Hals fiel.

Das tat ihm bestimmt in den Ohren weh. Trotzdem musste Miles grinsen bei der Vorstellung, wie sie da an ihm hing.

Sie hatte Quint wirklich gern. Nicht erst, seit sie herausgefunden hatte, dass er Russisch sprach.

Es war zwar nur Zufall, dass Quint an einem Abend unter der Woche bei ihm vorbeigekommen war, aber so hatte er Miles dabei geholfen, die junge Frau wieder etwas aufzuheitern.

Und als sie sich mit ihm auf ihrer Muttersprache unterhalten konnte, schien es wirklich Wunder zu wirken.

Manchmal, brauchte es halt nicht viel.
 

Als Miles ins Wohnzimmer kam, war Nadja schon wieder fleißig dabei sich mit Quint zu unterhalten und Taylor saß ein wenig ratlos daneben.

Zum einen hatte er keine Ahnung, was die Beiden sich da erzählten und zum anderen kam ihm der Neuankömmling bekannt vor - leider wusste er einfach nicht so genau woher.

Quint hatte sich zwar kurz vorgestellt, aber der Name sagte ihm nichts. Nur dessen Aussehen. Er hatte ihn schon einmal gesehen.

Das wusste er einfach!

Nur wo?

Miles setzte sich auf seinen Lieblingsplatz am Fenster. Er saß eigentlich immer dort, wenn es sich nicht bereits jemand anderes dort gemütlich gemacht hatte. Aber dazu war zu selten jemand hier.

Schon am Vortag waren Nadja und Quint schon ins Russische gerutscht und auch da hatte er einfach nur gelauscht.

Es klang interessant. Die Aussprache... und wie anders Nadja dabei wirkte.

Während er dem befremdlichen Gespräch zuhörte, schaute er zu Taylor. Der mit Nachdenken beschäftigt zu sein schien.

„Was ist los?“, fragte er ihn darum.

Taylor zuckte etwas zusammen. Die Frage hatte ihn glatt erschreckt.

„Ich überlege nur“, erklärte er Miles.

„Worüber?“

„Woher ich deinen Freund kenne.“

„Hm...“, machte der Gastgeber der kleinen Versammlung. „Weiß nicht, wo du ihn schon einmal gesehen haben könntest. Ich hab ihn in der Klinik kennengelernt und später noch in einem Club getroffen – da hat er gesungen...“

„Gesungen“, kam es leise von Taylor. „Aber klar - Fending Rend!“

Jetzt war Miles kurz ratlos, bis ihm einfiel, dass die Band so hieß, mit der Quint gesungen hatte.

Auch Quint und Nadja hatten aufgehört zu reden und widmeten ihre Aufmerksamkeit Taylor.

„Was ist mit denen?“, wollte ersterer wissen.

Nadja war die Gruppe nicht bekannt. Dazu war sie noch nicht lange genug in den Staaten und die Band international einfach zu unbekannt.

„Du hast für Fending Rend gesungen, oder? Gott, ich liebe die Band!“

Die Russin schaute abwechselnd zwischen den zweien hin und her und schien sehr interessiert an einer Antwort zu sein.

„Du singst wirklich für eine Band?“, fragte sie darum ebenfalls.

„Nur als Ersatz. Der eigentliche Sänger war krank und sie wollten ihre Auftritte nicht absagen. Da hab ich ein paar übernommen.“

„Ich hab dich auf dem Konzert letzten Herbst gesehen... Das ... das ich dich hier treffe...“

Taylor schien wirklich ein großer Fan zu sein. Seine Freude über die Information, hatte ihn sogar vom Sofa aufspringen lassen. Am liebsten hätte er ein Foto von dem Kerl gemacht, seinen Freunden davon erzählt und ...

Er ging ein wenig auf und ab und erzählte dabei, wie lange er schon Fan der Gruppe war, wie er und Alexander ihnen sogar auf einer Tour hinterher gereist waren, um auch ja kein Konzert zu verpassen.

Nadja ließ sich mitreißen und lauschte ihrem Freund bei seinen Erzählungen. Sie hatte bis jetzt nicht gewusst, dass in ihm so ein kleiner Fanboy steckte. Da schaute sie dem Schauspiel jetzt interessiert zu.

Miles stand auf und setzte sich neben Quint.

„Jetzt hast du schon drei Fans!“, sagte Miles und grinste dabei fröhlich.

„Du bist kein Fan, du bist ein Groupie!“, erklärte der ihm.

Beide grinsten sich kurz an, bis Quint wieder zu Taylor sah.

„Ich finde ja schön, dass du so ein Fan bist, aber könnten wir uns wieder auf das Wesentliche konzentrieren?“

Da fiel Taylor auch wieder ein, weswegen er eigentlich hier war. Schon gespenstisch, wie schnell er das verdrängt hatte.

„Ja! Nadja... Was machen wir denn jetzt?“

Auf die Frage, sank die junge Frau wieder ein wenig in sich zusammen. Sie wusste es doch nicht. Wenn sie eine Ahnung hätte, würde sie wohl nicht hier sitzen und versuchen mehr über den gutaussehenden Kerl neben ihr herauszufinden.

„Wie ist dieser Alex eigentlich?“, fragte Miles.

Er hatte schon versucht, das von Nadja zu erfahren, doch sie hatte dazu nichts sagen wollen. Also hatte er erst einmal aufgehört sie weiter auszufragen. Wollte sie ja nicht unnütz quälen.

Taylor ließ sich wieder auf das Zweiersofa fallen.

„Er ist eigentlich ein richtig netter Kerl“, fing er an zu erzählen. „Nur seit dem Überfall und seiner Verletzung ist es ... schwer mit ihm. Er hat sich zwar auch Sorgen gemacht, wo Nadja ist und ob es ihr gut geht. Aber mit wollte er nicht. Allerdings geht er auch nicht mehr gerne raus... Wie gesagt, der Überfall. Seit dem ist er nicht mehr wirklich er selber.“

Er seufzte und zog sein Handy heraus. Er würde so oder so noch ein Foto mit Quint bekommen. Aber erst einmal, sollte er sich wirklich Gedanken dazu machen, wie er seinen Freund und Nadja wieder zueinander bringen könnte.

Miles zog die Beine höher und legte die Arme herum, um so auf dem Sofa neben Quint zu sitzen.

„Du hast doch eben gesagt, das ihr beide Fending Rend Fans seit“, erklärte er dabei. „Ginge damit nicht etwas?“

Taylor schüttelte den Kopf.

„Sie haben einige Auftritte in Californien und Nevada. Da geht wohl schlecht was.“

„Naja, ich weiß ja nicht, was Miles sich vorstellt, aber ich kann sie anrufen.“

Die Augen des jungen Mannes auf dem anderen Sofa gingen weiter auf, als er das hörte. Er schien diese Gruppe wirklich sehr zu mögen.

„Kleines Privatkonzert oder einfach nur ein Treffen. Das wäre bestimmt machbar“, erklärte Quint weiter.

„Aber wie soll mir das helfen?“, fragte Nadja.

„Na, ganz einfach. Du hast gestern in der Dusche gesungen und auch vorhin in der Wanne. Zwar habe ich kein Wort davon verstanden, aber es klang gut. Vielleicht könntest du mit auf die Bühne.“

Miles hatte vielleicht eine blühende Fantasie.
 

:.:.:
 

„Ich will nicht!“

„Och komm, das is' was einmaliges! Da kannst du doch nicht zuhause bleiben wollen. Außerdem waren wir schon so lange nicht mehr auf einem Konzert.“

Alex machte es Taylor besonders schwer, in dem er alles tat, damit sie nicht aus der Wohnung kamen.

„Spinnst du jetzt total?“, fragte Taylor. „Das ist etwas besonderes und ich weiß, dass du da auch hin willst. Wieso du jetzt so rumzickst ist mir ein Rätsel.“

Nachdem Taylor von Miles zurück gekommen war, hatte er Alex erzählt, dass er Nadja gefunden und sie erst einmal gut unter gekommen war, sich aber schlecht fühlte, wegen dem, was Alexander zu ihr gesagt hatte.

Er hatte ihm auch gesagt, dass sie sich gerne mit ihm treffen würde. Doch das wollte der Rollstuhlfahrer nicht. Er tat so, als wollte sie wirklich nicht mehr sehen.

Dabei war es offensichtlich, dass er sie vermisste und eigentlich sehr gerne wieder bei sich hätte.

Warum er das nicht offen aussprach und auch daran arbeitete...

Taylor verstand es nicht.

Er hatte auch keine Ahnung, was er ihm noch erzählen sollte.

Darum waren sie doch schließlich zu dem wirren Plan übergegangen, den Miles sich ausgedacht hatte.

Vor allem, nachdem er davon erfuhr, dass Miles ihren Gesang aufgenommen und Quint es den Leuten der Band zugeschickt hatte. Die Antwort war wohl, dass sie reinpassen würde und die Jungs der Band nicht dagegen waren mit ihr aufzutreten.

Als er das erfuhr, war die Band bereits in der Stadt und probte mit der jungen Russin.

Taylor wusste gar nicht, wie er darauf reagieren sollte.

Sie hatte so ein Glück!

Alexander auch. Das sich diese zwei eigentlich doch Fremden so dafür einsetzten, dass sie wieder zusammen kamen.

Warum sie das taten?

Er hatte es noch nicht rausgefunden. Quint war seit dem Abend nicht mehr wirklich anwesend gewesen und Miles grinste immer nur, wenn er gefragt wurde.

Was auch immer das heißen sollte.

Jetzt jedenfalls hatte er es geschafft seinen Freund raus auf die Straße zu bekommen. Fehlte nur noch der Weg bis zum Club. Den sie wohl am besten mit einem Taxi hinter sich brachten.

Das könnte noch ein Spaß werden.
 

:.:.:
 

Der Club war zum Bersten gefüllt.

Es war Wahnsinn, wie viele Fans dieses Sonderkonzert besuchten. Dabei war es nicht einmal beworben worden. Bis vor wenigen Wochen war es nicht einmal geplant.

Taylor war wirklich dankbar, dass Nadja ausgerechnet Miles getroffen hatte, der wiederrum Quint kannte und ... sie jetzt dieses Konzert erleben durften.

Alex und er wurden am Rand bis nach vorne geleitet, wo sie eine bessere Sicht auf die Gruppe haben würden. Miles war auch dort. Er schaute zu Taylor, kaum dass sie neben ihm waren, und nickte.

Alexander bekam davon nichts mit, er starrte auf die Bühne und ab und an hinter sich auf die Leute. Er fühlte sich nicht wohl.

Zu viele Leute. Nach dem, was passiert war, war er da vielleicht ein wenig paranoid, aber er fand es wirklich nicht gut hier.

Schon auf der Straße nicht und schon gar nicht wenn er daran dachte, dass sie im dunkeln nach Hause fahren würden. Das bereitete ihm alles eine riesen Angst.

Nur hatte er davon nie jemandem erzählt.

Keinem...

Weder einem der Ärzte, Taylor, einem seiner anderen Freunden oder Nadja.

Niemand wusste davon.

Was also tat er hier?

„Versuch es wenigstens zu genießen!“, hörte er Taylor sagen, als dieser sich zu ihm gebeugt hatte. Bei der Lautstärke hätte er es ansonsten wohl auch nicht gehört.
 

:.:.:
 

Die ersten Lieder waren alle grandios.

Da vergaß er alles, was ihm Sorgen bereitete. Er musste schon zugeben, das Taylor recht gehabt hatte. Das Konzert gefiel ihm und er hätte es sich bestimmt eine ganze Zeitlang geärgert, wenn er es nicht mitbekommen hätte.

Der Kerl war aber auch nicht umsonst sein bester Freud. Er kannte ihn halt bereits lange genug.

Doch jetzt, ging ein kleiner Umbau auf der Bühne vonstatten. Nichts großartiges. Es wurden lediglich noch zwei weitere Mikros aufgestellt.

Taylor war mindestens so überrascht wie Alex.

Das Nadja nur zugestimmt hatte, vor Publikum zu singen, wenn Quint es auch tat, konnte er ja nicht wissen.

Erst als der Braunhaarige auf die Bühne kam, konnte er es sich denken. Hinter ihm erschien die junge Russin.

Taylor spürte eine Hand an seinem Arm. Alex hatte sie offenbar sofort erkannt.

Dabei sah sie in den Outfit ganz schön ungewohnt aus. Doch es sollte wohl mehr sein, als nur ein Zeichen dafür, dass er seine Freundin da auf der Bühne sah.

Alex zog am Pullover seines Freundes, bis dieser sich zu ihm beugte.

„Was ist das?“, fragte er weniger gut gelaunt.

„Was denn?“, war Taylors unschuldige Antwort.

„Na, das da, verdammt!“

Alexander zeigte auf die junge Frau und zog dann Taylor wieder tiefer zu sich.

„Lass uns gehen!“

„Nein... Ich will das Konzert sehen!“

„Ich aber nicht mehr.“

Die Musik war schon in vollem Gange. Ein neues Lied.

Taylor kannte es jedenfalls noch nicht.

Konnte er auch nicht. Quint hatte es geschrieben – extra für diese Anlass.

Alex zerrte zwar noch etwas an Taylors Ärmel, doch der ignorierte es. Er schaute seiner Freundin zu und war wirklich erstaunt, dass sie so eine angenehme Singstimme hatte. Sie hatte immer gesagt, dass sie es nicht könnte. Das musikalischste an ihr sei das Instrument, das sie spielte.

Aber hier bewies sie das Gegenteil.
 

There is a gap between us

It splits our lives

Cuts our path

~separated destinies~

Yet I can feel your fingertips

Gently stroking

Comforting me

Constructive words

Whenever I need them

Whenever I need you

Against your faults

Against my own

You're there - you're here

With me

How strange it may seem

There is a light in our darkness

Illuminates our path

Burning an eternity

A little flame against all odds

Marking our destiny
 

Als die letzten Töne verklungen waren und das Publikum wieder lauter jubelte, fiel sie Quint um den Hals, der sie leicht an sich drückte und mit sich von der Bühne nahm. Der eigentliche Sänger folgte ihnen, während die anderen Mikros wieder weg geräumt wurden.

Auch Miles setzte sich nun in Bewegung.

„Kommt mit!“, sagte er zu Taylor. In diesen Teil war er wenigstens eingeweiht.

Es war furchtbar gemein, die Behinderung seines Freundes dazu zu nutzen ihn bis zu Nadja zu bringen. Was Alex ihm auch lautstark immer wieder erklärte, doch als sie vor ihr waren, blieb er stumm.

Er wusste nicht, was er sagen sollte.

Da stand sie vor ihm, in diesem heißen Bühnenoutfit, und bedankte sich bei dem Sänger seiner Lieblingsband.

Das war so unwirklich...

Es konnte nicht wahr sein.

Er träumte!

„Nadja...“, kam es leise von ihm.

Der Lärm von vor der Bühne war jedoch selbst hier noch so laut, das es unterging. Lediglich Quint hatte es gehört und flüsterte der Russin etwas ins Ohr um die Aufmerksamkeit auf Alexander zu richten.

Die bekam er dann auch.

Wobei weder er noch Nadja wussten, wie sie auf den anderen zugehen sollten.

Alex bemerkte im Augenwinkel, wie Quint mit Taylor redete und ihm eine Richtung zeigte. Was das heißen sollte, erfuhr er erst, als Taylor ihn in einen etwas ruhigeren Nebenraum brachte. Nadja folgte ihnen in die Garderobe der Band.

Ein Himmelreich, wenn man bedachte, dass die beiden Männer Fans waren.

Doch obwohl Taylor nur wenige Millimeter davon entfernt war mal zu schauen, was die Band hier so alles hatte, unterließ er es und wechselte noch einmal Blicke mit Nadja und Alex.

Er nickte beiden lächelnd zu und ging dann wieder hinaus.

Sollten sie ihre Aussprache unter vier Augen haben. Auch wenn es vielleicht länger dauern würde.

Nadja setzte sich auf eine Holzbank an der Wand und schaute auf ihre Schuhe. Die letzten Tage hatte sie sich so viele Worte zurecht gelegt, die sie ihm sagen wollte und jetzt?

Jetzt wusste sie nichts dergleichen mehr.

Und Alexander schwieg auch eisern.

Es war so unangenehm, dass es beinahe einer Erlösung gleichkam, als sie seine Stimme hörte.

„Hab dich vermisst“, sagte er leise.

Den Ton in seiner Stimme konnte sie nicht einordnen. Es klang ein wenig niedergeschlagen, aber auch ... unwillig.

„Ich bin nicht freiwillig gegangen“, informierte sie ihn unnötigerweise. Vermutlich klang es schnippischer als es sollte. Nur hatte er sie verletzt und das war nicht so einfach zu vergessen.

„Ja... ich weiß. Es tut mir leid, Nadja. Ich war ein Idiot!“

War das wirklich ehrlich?

Sie konnte es nicht sagen. Zwar wollte sie es glauben und als sie aufschaute, sah er aufrichtig aus, trotzdem...

„Es tat weh...“

Er nickte und kam näher, um ihre Hand zu nehmen, doch sie ließ es nicht zu.

„Nicht jetzt“, sagte sie leise. „Noch nicht...“

Kurz schloss die Russin ihre Augen und wischte sich über die heißen Wangen.

Sie war so aufgeregt.
 

Er wollte sie anfassen.

Einfach weil er das Gefühl hatte so besser ausdrücken zu können, das es ihm wirklich leid tat. Alex seufzte. Sich mit Worten auszudrücken fiel ihm schwer, wenn es nicht gerade um lautstarkes Gemecker ging.

Vor allem, wenn er sich entschuldigen musste ... wollte.

„Warum warst du so wütend?“, wollte sie plötzlich wissen.

„Das weiß ich nicht mehr. Irgendetwas Blödes und ... dein Telefonat.“

Nadja legte den Kopf schief und schaute ihn fragend an.

„Du hast russisch geredet. Das ... da hab ich irgendwie ... rot gesehen.“

Daraufhin schloss sie wieder die Augen und schüttelte schwach den Kopf.

„Kannst du damit leben?“, fragte sie weiter und sah ihn noch nicht wieder an. „Damit, dass ich aus Russland komme?“

Wieder nahm er ihre Hand. Dieses Mal duldete Nadja es und drückte noch etwas fester, als sie nun doch wieder die Augen aufmachte.

„Ist das ein ja?“, fragte die Russin leise. Mit einem Nicken bestätigte er ihre Frage.

„Kommst du ... dann wieder zu mir?“, fragte er jetzt seinerseits.

Den Ansatz der Kopfbewegung mochte er nicht, doch sie seufzte nur.

„Ich würde gerne. Aber ich weiß nicht, ob das eine gute Idee ist. Was, wenn du mich in ein paar Tagen wieder los werden willst?“

Das musste ja geklärt werden. Nicht das sie dann wieder Opfer seiner Launen war und kurz darauf auf der Straße saß.

Das wollte sie nicht noch einmal durchmachen.

Auch wenn Miles ihr bereits gesagt hatte, dass sie jederzeit bei ihm auftauchen konnte. Egal, wann, egal weswegen.

Und die Aussicht darauf, Quint dort wieder zu sehen, gefiel ihr auch.

Nur ging es jetzt nicht darum.

Jetzt gab es etwas wichtigeres zu klären. Etwas in ihrem Inneren.

Sie schaute Alexander an und wusste einfach, dass sie bei ihm sein wollte. Darum hatte sie beim ersten Mal seinen Vorschlag angenommen und aus dem Grund würde sie auch jetzt wieder ja sagen.

Nur war auch klar, dass es nicht so weiter gehen konnte.

Sie wurde rausgeworfen, wegen ihrer Nationalität. Das durfte nicht sein!

Nicht, wenn er wirklich...

„Alex“, sagte sie leise. „Ich würde liebend gerne zu dir zurück kommen. Aber du musst mir etwas versprechen.“

„Alles!“, hauchte er.

Taylor hatte also recht gehabt.

Egal wie sehr Alex sich dagegen gesträubt hatte sie zu sehen, Sorgen hatte er sich gemacht.

Sie vielleicht sogar vermisst.

„Bevor du so aus der Haut fährst, denk nach. Es tut jedes Mal weh, wenn du mich ankeifst wegen ... was auch immer der Auslöser ist.“

Der Angesprochene nickte.

„Ich werde es versuchen.“ Mehr war nur schwer zu versprechen.

Wenn er erst einmal soweit war, dachte er nun einmal nicht mehr groß weiter nach.

Im Gegenteil, schaltete sein Hirn meistens komplett aus.

Aber die Antwort genügte ihr.

Nadja lächelte Alexander an, auch wenn sie noch immer ein wenig verletzt aussah.

„Und jetzt verrate mir den wahren Grund für deinen Wutausbruch!“, verlangte sie.

„Was?“

Sie hielt noch immer seine Hand und drückte sie nun noch einmal.

„Der Grund, der eigentliche Grund! Warum bist du wirklich so böse gewesen?“

Alexander fühlte sich ertappt und schüttelte den Kopf.

Es gab Dinge, über die redete er nicht gerne und das gehörte dazu.

„Bitte“, hauchte sie leise, als er nicht mit der Sprache rausrückte.

Er blieb noch etwas still und schüttelte den Kopf, während er auf seinen Schoß schaute. Doch schließlich seufzte er. Alex schaute wieder auf, um in die Augen seiner Freundin zu sehen.

„Mein Arzt hat angerufen“, fing er an zu erklären. „Er sagte, das die Chance besteht, dass mir eine spezielle Operation helfen könnte.“

Wieder schwieg er.

Die Russin tat es ihm gleich. Das konnte nicht der Grund sein, dass er wütend gewesen war. Es war eine positive Nachricht.

„Aber meine Versicherung deckt es nicht ab. Sie wollen diese Operation nicht zahlen.“

Es brach ihr das Herz zu sehen, dass er Tränen in den Augen hatte.

Sie kannte ihn nur so wie jetzt. Im Rollstuhl, nach dem Überfall. Anders konnte sie ihn sich auch gar nicht vorstellen.

„Wie viel würde es kosten?“

„25.000 Dollar alleine die Operation selber. Dann kämen aber noch tausend andere Sachen zu. Den Betrag bekomme ich nie zusammen...“

Da klang pure Verzweiflung mit und endgültig rannen nun seine Tränen.

Sie hatte ihn zum Weinen gebracht. Das hatte sie nicht gewollt!

Nadja löste ihre Hand von seiner, stand auf und setzte sich auf seinen Schoß. So konnte sie ihn am besten in den Arm nehmen und auch er schlang sofort die Arme um seine Freundin.

Er drückte sie an sich und weinte.

Keiner der Beiden sprach noch etwas. Sie hielt ihn einfach nur feste und hoffte, nicht auch noch anzufangen. Das wollte sie nicht.

Sie wollte ihm helfen. Ihm Hoffnung schenken.

Irgendwie musste sie an das Geld kommen.

Nur wie?
 

:.:.:
 

Die Zeit verging wesentlich schneller, als Miles gedacht hätte.

Für ihn war es, als wären die Zwei eben erst in dem Raum verschwunden, als das Geheimkonzert auch schon zu Ende war.

Die Band brauchte ihre Garderobe.

Quint klopfte also, während das Publikum eine Zugabe verlangte. Die bekamen sie auch. Zeit, die der Ersatzsänger gut gebrauchen konnte.

Er ging zu den Beiden, die noch immer in einer festen Umarmung verschlungen waren.

„Nadja...“, sagte er leise. Darauf folgten einige Worte auf Russisch. So leise wie es ging, damit es eben noch für sie zu hören war.

Sie schaute auf und wusste nicht was sie sagen sollte.

„Das würdest du tun?“

Quint nickte.

„Aber... woher weißt du?“

Er lächelte sie lediglich an und zuckte mit den Schultern.

„Du hast gerne Geheimnisse, oder?“, fragte sie absichtlich auf der Sprache, die auch Alex fließend sprach.

„Wer bist du?“, wollte der jetzt auch direkt wissen.

„Ich bin einfach nur ein Freund. Nichts weiter. Aber ihr müsst jetzt hier raus. Die Band braucht ihren Raum.“

„Und ich will nach Hause, du auch?“, fragte Alexander die junge Frau auf seinem Schoß.

„Liebend gerne...“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: Puria
2011-04-12T19:23:45+00:00 12.04.2011 21:23
Hui, auch wieder ein etwas anderes Kapitel ;)
Wie schon mal gesagt ist es dir gelungen Miles und Quint mal von einem etwas weiteren Standpunkt aus zu 'betrachten'

Mit Nadja wiederum zeigt sich sehr schön wie Miles ist. Ich meine, wer würde schon einen Wildfremden bei sich für ein paar Tage aufnehmen?!
Kaum ein normaldenkender. Aber zum Glück ist Miles ja nicht unbedingt einer!

Die drei neuen Charas find ich durch die Bank sympatisch, selbst Alex, auch wenn ich ihn gern nach den ersten Absätzen einen Klaps auf den Hinterkopf gegben hätte.
Und da die drei nun in dieser Welt herumspuken, bin ich mir ziemlich sicher, dass wir sie nicht zum letzten Mal gesehen haben :>

Ich würde mich jedenfalls über ein Wiedersehen freuen!


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