Zum Inhalt der Seite

Sirenenfang

Immunität ist alles
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Alles

Hier haben wir also das letzte Kapitel! Kein Kitsch! Jippie ;) Aber es hätte auch nicht zu den beiden gepasst. Danke für die lieben Kommentare und die Favoriteneinträge.

Vielleicht bis zur nächsten Shojo Ai Story :)

Viel Spaß beim Lesen und liebe Grüße,

Ur

____________________________
 

Nach dreißig Schreckenssekunden sackt mir der Magen in die Kniekehlen und ich fühle mich plötzlich winzig klein. Mein Gehirn tut das, was es immer in diesen Situationen tut: Es fährt den Selbstschutzmechanismus hoch und ich höre, wie ich spreche.

»Achso? Und ich dachte du bist kein Mädchen für eine Nacht?«

Meine Stimme klingt sarkastisch und beißend, so als wäre es Callas Schuld, dass ich mich an die verdammte Party im Mai nicht mehr erinnern kann. Es war mein erster und einziger richtiger Absturz, ich weiß nicht mal mehr, wieso ich mich so abgeschossen habe. Gute Laune und Leo in meiner Nähe. Während ich darüber nachdenke, setzt Calla sich auf und fast zeitgleich kommt mir noch ein zweiter Gedanke.

War Calla zu der Zeit nicht sogar noch mit ihrem langen, blonden Lulatsch zusammen?
 

Sie steht auf und streicht sich die Haare aus dem Gesicht. Ihr Gesicht sieht vollkommen nichts sagend aus, als sie sich zu mir umdreht und mich ansieht.

»Wenn du nichts dagegen hast, würde ich jetzt gern allein sein.«

Obwohl ihre Stimme ruhig ist, glaube ich einen ziemlich kühlen Unterton heraus zu hören und ich schlucke unweigerlich. Einen Moment lang spiele ich mit dem Gedanken, mich zu weigern. Mein Herz krampft sich unangenehm zusammen und ich stehe auf, streiche mir ebenfalls durch die Haare und schiebe meinen Pullover hinunter.

Aber Calla lässt mir keine Gelegenheit dazu, zu bleiben, sie pfeift durch die Zähne und ihr Monster von einem Hund kommt durch die Tür gewatschelt und setzt sich treudoof an Callas Seite. Offenbar will sie wohl ganz sicher gehen, dass ich verschwinde und das tue ich jetzt auch. Als die Tür hinter mir zufällt, fühle ich mich so miserabel wie noch nie in meinem Leben.
 

Ich stehe noch eine ganze Weile lang vor der geschlossenen Tür und frage mich, was genau eigentlich passiert ist. Ich habe schon einmal mit Calla geschlafen. War sie zu dieser Zeit mit ihrem Exfreund zusammen? Ich verstehe überhaupt nichts mehr und langsam gehe ich die Treppen in dem hässlichen, senfgelben Treppenhaus hinunter, für das ich jetzt keine Aufmerksamkeit mehr übrig habe.

Ich merke gar nicht, wo ich überhaupt hinlaufe, bis ich feststelle, dass ich vor Leos Tür stehe. Nach einem Blick auf die Uhr stelle ich fest, dass es halb fünf ist. Ich drücke auf den Klingelknopf mit der Aufschrift Kaufmann und zu meiner Erleichterung summt der Türöffner.

»Du siehst schrecklich aus«, begrüßt Leo mich unumwunden. Sie hat nasse Haare und trägt ihren flauschigen, dunkelroten Bademantel.
 

Ich bin nicht mal in der Stimmung dazu, etwas Freches zu erwidern. Stattdessen gehe ich in die Wohnung, ziehe meine Schuhe und meine Jacke aus und drehe mich zu ihr um, um ihr zu erzählen, was gerade passiert ist.

Leo hebt ihre Augenbrauen und zieht mich forschend an.

»Sag mal… weinst du?«

Ich stutze und schüttele den Kopf, fahre mir mit dem Handrücken über die Wange und erstarre. Da sind tatsächlich Tränenspuren und ich hab es nicht mal gemerkt. Ich hab seit Jahren nicht mehr geflennt und wenn doch, dann nur beim Lachen. Ich weiß auch gar nicht, warum ich flenne. Calla steht mir nicht nahe, wir haben uns nicht gestritten, ich hab keine Ahnung, was eigentlich mit mir los ist. Ich habe das Gefühl neben mir zu stehen und nur Außensicht zu haben.

Ich bin nicht traurig, ich bin nur verwirrt. Und irgendwie sauer. Aber eigentlich mehr auf mich selbst. Allerdings weiß ich wiederum nicht, weswegen ich sauer auf mich selbst bin. Das ist alles zum Kotzen. Deswegen mag ich Gefühle nicht, sie nerven und man versteht sie nicht.
 

Leo nimmt mich in den Arm, aber das hilft mir irgendwie auch nicht weiter, sie macht alles noch schlimmer damit, was auch immer ALLES eigentlich ist.

»Du hast seit sechseinhalb Jahren nicht mehr geweint«, stellte sie fest, schiebt mich ins Wohnzimmer und gießt Tee von einer Kanne in ihre Lieblingstasse. Dann hält sie mir die Tasse hin und kramt nach einem Taschentuch.

»Ich weine ja eigentlich gar nicht«, sage ich entnervt und wische mir über die Augen, »es fühlt sich gar nicht wie weinen an, ich merke nicht mal, dass ich weine, ok?«

Leo verdreht die Augen, reicht mir ein Tempo und sieht mich abwartend an. Ich nehme die Tasse Tee und rieche daran. Wahrscheinlich Blutorange. Leos Lieblingstee.

»Also, du weinst nicht. Weswegen weinst du denn eigentlich nicht?«, fragt sie mich. Ich grummele leise, nehme einen Schluck Tee und starre in die Tiefen der Flüssigkeit. Dann sehe ich auf und schaue meine beste Freundin an, die abwartend dort sitzt und darauf wartet zu erfahren, weswegen ich nicht weine. Selbst in meinen Gedanken klingt das bescheuert.
 

Also erzähle ich ihr die kurze Geschichte von meinem Entschluss, mit Calla zu reden, von der Vereitelung durch das Hard Rock Café T-Shirt, vom Rummachen und Panflötenmusik und schließlich von der Wahrheit, die Calla mir offenbart hat.

Leo hört schweigend zu, nimmt mir ab und an die Teetasse aus der Hand und genehmigt sich einen Schluck, ehe sie sie mir zurück reicht. Als ich schließlich geendet habe, seufzt sie leise und lehnt sich in ihrem Sofa zurück.

»Manchmal frage ich mich heimlich, ob das Klischee von naiven Blondinen auf dich zutrifft«, sagt sie dann unvermittelt und ich bin so verblüfft, von Leo so etwas zu hören, dass mir die Kinnlade leicht herab sinkt. Sie zuckt die Schultern.
 

»Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass die Worte blond und blind nur von einem einzigen Vokal unterschieden werden. Hast du dir schon mal überlegt, dass du vielleicht doch mehr an ihr interessiert bist, als du glaubst? Dass du ausnahmsweise mal mehr als Sex willst? Du sitzt hier wie ein Häufchen Elend, so hab ich dich noch nie gesehen. Normalerweise hättest du dich darüber tot gelacht oder dich geärgert, weil du dich nicht mehr dran erinnerst, ob Calla gut im Bett war oder nicht. Aber du tust nichts dergleichen. Du weinst und trinkst meinen Lieblingstee, den du sonst immer abscheulich gefunden hast«, sagt sie, verschränkt die arme vor ihrem flauschigen Bademantel und sieht mich fast herausfordernd an.
 

Offenbar ist das der Punkt, an dem sie das Gefühl hat, mir so richtig den Kopf waschen zu müssen.

»Übrigens hab ich vorhin mit Tian geredet«, fügt sie hinzu. Ich blinzele verwirrt, immer noch schwirren mir Leos Worte im Kopf herum.

»Wer ist Tian?«, frage ich stumpf. Sie schüttelt resigniert den Kopf.

»Die kleine Asiatin, die dir ständig nachrennt. Ich hab ihr erzählt, dass du auf SM stehst und deine ‚Opfer’ gern mit zu Orgien nimmst. Ich war überzeugend, sie hat’s offenbar geglaubt. Scheint ziemlich naiv gewesen zu sein«, meint sie erklärend. Wenn ich nicht so sehr mit meinem Calla. Problem beschäftigt gewesen wäre, dann hätte ich darüber gelacht. Aber immerhin hab ich Dank Leo ein Problem weniger.
 

Ich glaube, so schweigsam wie an diesem Abend war ich schon lange nicht mehr. Nachdem Leo mir unterschwellig den Kopf gewaschen hat, denke ich die ganze Zeit über ihre Worte nach und wir essen Schokolade, gucken einen total hohlen Film à la American Pie und eigentlich möchte ich sie gerne fragen, ob sich was Neues bei ihr und Hanna ergeben hat, aber ich weiß, dass ich ohnehin nicht richtig zuhören könnte und das hat Leo ja nun wirklich verdient. Ich weiß nicht mehr, wann ich eigentlich auf ihrer Couch eingeschlafen bin, aber ich träume wirre Sachen von riesigen Panflöten, Glückskeksen und einem Hund, der mit Leos Stimme zu mir spricht.
 

Gott sei Dank ist Samstag. Als ich aufwache, rieche ich Kakao und frische Croissants und Leos Shampoo. Blinzelnd öffne ich die Augen. Leo hat eine kuschelige Wolldecke über mir ausgebreitet und mir eins von ihren geschätzten fünfhundert Kissen unter den Kopf geschoben. Ich höre sie leise in der Küche summen und als ich mich aufsetze, kommt sie gerade mit zwei Marmeladegläsern und einem Honigglas aus der Küche ins Wohnzimmer.

»Guten Mittag«, sagt sie lächelnd und stellt die Sachen auf ihren Tisch. Ich reibe mir die Augen und gähne herzhaft.

»Wie spät ist es?«, will ich wissen. Leo wirft einen Blick auf ihre Armbanduhr.

»Halb zwölf. Du hast mein Kissen angesabbert«, informiert sie mich schmunzelnd und ich grummele ungehalten, schiebe die Wolldecke von mir herunter und lasse mich auf einen ihrer Stühle fallen.

»Warst ja schon so fleißig«, murmele ich immer noch im Halbschlaf und sehe dabei zu, wie Leo mir Kakao in eine Tasse schenkt.

»Kann nicht jeder so ein Murmeltier sein wie du. Ich war schon einkaufen und hab ein paar Telefonate geführt«, erklärt sie beiläufig.
 

Ich bin nicht aufnahmefähig genug, um es merkwürdig zu finden, dass Leo sich schon so früh am Tag quer durch die Stadt telefoniert.

Wir frühstücken ausgiebig, hören Musik dabei und beobachten ab und an, wie draußen von einem heftigen Wind weiße Wolken am blass- blauen Himmel dahin getrieben werden. Als wir fertig gefrühstückt haben, helfe ich Leo beim Abräumen und Spülen, wir albern ein wenig herum und ich vergesse für einige Minuten fast gänzlich, dass ich gestern geflennt habe. Bis ich in Leos Badezimmerspiegel schaue und feststelle, dass ich aussehe wie Quasimodo, der Glöckner von Notre Dâme.

Das erinnert mich an Calla und an das Knutschen und an die Panflöte und an die Party im Mai. Na wunderbar. Sofort fällt meine Laune in den Keller und ich grummele leise, dann mache ich fertig, ehe ich schließlich nach Hause gehe, weil ich noch einige Dinge für die Uni erledigen muss.
 

Zu meinem Entsetzen bin ich kurz davor, Amok zu laufen. Und der Grund dafür ist so beschissen, dass ich ununterbrochen lauthals fluchen will. Ich will sie sehen. Unbedingt. Und wenn es nur mal ein kurzer Blick in der Uni wäre. Aber sie ist einfach nie da, wo ich bin, ihre Band tritt im Dezember nicht in meinem Lieblingsschuppen auf, sie ist wie vom Erdboden verschluckt und es macht mich wahnsinnig. Nachts werde ich manchmal wach, weil ich von ihren Küssen träume und dann schaue ich mich um und mir fällt ein, dass Calla ganz sicher nicht hier ist. Und ich komme mir ziemlich bescheuert vor. Aber nur ich weiß von diesen Träumen und dem Wunsch, dass Calla tatsächlich da ist, wenn ich aufwache. Ich sehe schon Leos triumphierendes Grinsen vor mir.
 

Aber Leo schweigt sich über das Thema Calla vollkommen aus. Nach ihrem kleinen Ausbruch in ihrer Wohnung sagt sie kein Wort mehr über Calla oder über meine chronische Dummheit, was dieses Thema angeht. Dafür kauen wir das Thema Hanna sehr ausführlich durch und als sie mir kurz vor Weihnachten sagt, dass Hanna ihr versprochen hat, es ihren Eltern endlich zu beichten, da leuchten ihre Augen wie zwei Neonlichter.

»Und gestern haben wir das erste Mal öffentlich Händchen gehalten«, sagt sie und ihre Wangen färben sich vor lauter Freude rot. Ich seufze leise. Ich würde mit niemandem Händchen halten wollen. So weit kommt es noch.

»Es ist so toll, endlich springt sie über ihren Schatten. Ich überlege schon die ganze Zeit, was ich ihr zu Weihnachten schenken könnte«, meint Leo glücklich seufzend. Ich kann nur den Kopf schüttelnd.

Leo kriegt von mir eins von diesen Armbändern, wo man verschiedene Teile dranpinnen kann. Ein Teil hab ich ihr schon gekauft, so eine kleine Plakette mit einem Ahornblatt drauf, weil sie so auf den Herbst steht.

Ja, ich schenke meiner besten Freundin Schmuck. Na und? Sie sammelt ihn ja schließlich.
 

Ich hab es nicht so mit Weihnachten. Die ganzen Lichter und das Gedränge in der Stadt und all diese grelle Weihnachtsdeko. Ich hab in meiner Wohnung eine Vase mit ein paar Tannenzweigen drin, da hängen fünf oder sechs rote Christbaumkugeln dran und auf meinem Wohnzimmertisch steht ein Windlicht mit Kerze drin. Das ist das höchste der Gefühle, was ich für Weihnachten aufbringen kann. Wenn ich meine Eltern besuche, werde ich sicherlich mit Gansessen und Lebkuchen und Lichterketten überhäuft, da muss ich meine eigene Bude schließlich nicht auch noch in so eine Weihnachtshölle verwandeln.

Das Fest der Liebe. Pf. Wer braucht so was schon? Wird alles komplett überbewertet.
 

Am zwanzigsten Dezember schreibt Leo mir eine Sms, dass sie in einer Viertelstunde bei mir ist und dringend mit mir reden muss. Meine Warnglocken bimmeln sofort. Vielleicht ist irgendwas mit Hanna oder so was.

Aber als Leo bei mir ankommt, in einen dicken Mantel, Schal und eine Wollmütze gehüllt, sieht sie strahlend und wunderbar gut gelaunt aus.

»Was ist mit dir los? Du siehst aus wie ein beleuchteter Christbaum«, sage ich verwirrt und sie kichert leise, zieht ihre absatzlosen Stiefel aus und wirft ihren Mantel samt Schal und Mütze einfach in die nächstbeste Ecke.

»Erstens: Ihre Eltern sind nicht tot umgefallen, waren leicht geschockt, aber wollen mich kennen lernen und haben mich zum Essen am zweiten Weihnachtsfeiertag eingeladen!«, sagt sie euphorisch und strahlt mich so breit an, dass ich beinahe erblinde.

»Oh, cool«, sage ich und grinse. Ich verkneife mir ein »Hat ja lang genug gedauert!«. Ich will Leos Laune nicht trüben.
 

»Und zweitens: Ich habe mit Calla gesprochen und jetzt weiß ich alles!«

Fast verschlucke ich mich an meiner eigenen Spucke und meine Kinnlade sackt einige Zentimeter nach unten.

»Du hast… was?«, entgegne ich fassungslos.

»Erinnerst du dich noch, wie du mit Hanna telefoniert und ihr gesagt hast, dass du sie umbringst, wenn sie das nicht endlich mit mir regelt? Ich habe mir ein Beispiel an dir genommen. Wenn du schon weinst, dann ist eindeutig Not an der Frau und deswegen habe ich die Sache in die Hand genommen«, erklärt sie mir enthusiastisch und rauscht an mir vorbei in mein Wohnzimmer.

Auf den Schreck muss ich mir erstmal eine Zigarette anzünden. Ich gehe zu meinem Fenster, reiße es – ungeachtet des Schneegestöbers draußen – auf und stecke mir einen Glimmstängel an.

»Und… und was heißt das genau… du hast die Sache in die Hand genommen?«, frage ich leicht krächzend und ziehe hektisch an meiner Kippe.
 

Leo sieht so begeistert aus, dass ich mich am liebsten aus dem Fenster stürzen möchte. Ich spüre entnervt, dass mein Herz wie eine Dampflok pumpt.

»Auf der Party im Mai seid ihr zusammen zu dir gegangen. Sie hat dich nach Hause gebracht, weil du total betrunken warst und kaum noch laufen konntest. Reden konntest du dafür umso besser und sie hat mir erzählt, dass du die ganze Zeit meintest, sie sei ja so hübsch und dass du Angst vor Bindungen hast und dass der einzige Mensch, den du je heiraten würdest, ich bin…«

Ich starre sie an wie die Wirklichkeit gewordene Heiligenerscheinung.

»Ich… ich hab gesagt, dass ich Schiss vor Bindung habe?«, frage ich total verdattert. Ich kann es gar nicht glauben, dass ich im besoffenen Zustand so etwas von mir gebe. Einmal übertreibt man und dann das…

»Ja, hast du offenbar. Sie hat dich rauf gebracht und meinte, dass sie dich schon länger beobachtet hat und obwohl du betrunken warst, fand sie dich total interessant, einfach weil du nach außen hin immer so ein Macker bist. Sie hat schon ewig keine Frau mehr gehabt und meinte, sie hätte sich total zu dir hingezogen gefühlt…«
 

Mir wird plötzlich ziemlich heiß und ich räuspere mich. Aber ich kann nichts sagen und lasse Leo einfach weiter reden.

»Dann hat sie mir erzählt, – und jetzt kommt der Knüller, pass auf – dass sie früher genauso war wie du. Bis sie neunzehn war, hat sie alles Weibliche abgeschleppt, was sie kriegen konnte. Ist das nicht witzig? Jedenfalls hat sie damit aufgehört, nachdem sie mit dir geschlafen hat. Irgendwann nach Beginn ihres Studiums kam sie ja mit diesem Kerl zusammen, dessen Namen ich grad vergessen hab. Aber ist ja auch egal, jedenfalls hat sie mit dir geschlafen, obwohl sie mit ihrem Freund zusammen war und sie hat mit ihm Schluss gemacht, weil sie durch dich gemerkt hat, dass sie mehr zu Frauen tendiert und immerzu an dich denken muss. Verstehst du? Sie hat wegen dir ihren Kerl verlassen! Und jetzt kommt der Oberhammer…«
 

Ich kann mir fast nicht vorstellen, was noch oberhammermäßiger sein soll, als das, was Leo mir gerade erzählt hat. Mir ist ganz schwindelig vor lauter wahnwitzigen Informationen über Calla.

»Sie hat immerzu versucht, deine Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen, als sie gepeilt hat, dass du den Abend vergessen hast, aber du hast sie nie bemerkt. Und als sie dann anfing dich demonstrativ zu ignorieren, da hast du plötzlich angefangen dich für sie zu interessieren, verstehst du? Und als sie meinte, sie sei kein Mädchen für eine Nacht, da hat sich das nur auf dich bezogen und auf die Nacht, in der ihr beide Sex hattet. Das hieß nur, dass sie mehr von dir will als Sex, aber du konntest dich natürlich nicht erinnern, weil du so blau warst. Sie hat gesagt, dass sie eigentlich kein Beziehungsmensch ist, aber dass sie den Gedanken total unerträglich findet, dass du dich weiterhin durch die Gegend vögelst, obwohl du Gefühle für sie hast, was sie übrigens gemerkt hat«, fährt Leo fort und strahlt mich an. Ich schnippe die Zigarette aus dem Fenster, wische mir Schneeflocken vom Pulli und schließe fröstelnd das Fenster.
 

»Du meinst, dass sie… also… ich meine…«

Ich kann die Informationen kaum verarbeiten, weil es so viele unglaubliche Informationen waren, auf die ich nie gekommen wäre. Leo steht auf und knuddelt mich.

»Verstehst du? Ich hab dich als Sirene bezeichnet, aber sie war auch immer eine. Ihr habt euch gegenseitig gefangen«, meint sie glucksend.

Ich hänge matt in ihren Armen und weiß nicht, was ich davon halten soll. Was bedeutet das nun? Dass Calla eine Beziehung mit mir probieren will? Ich fühle mich ganz taub und in meinem Kopf schwirrt alles.

»Du willst sie doch… oder?«, fragt Leo und sie klingt dermaßen herausfordernd, dass ich mich gar nicht traue, ihr zu widersprechen, auch wenn ich das wohl normalerweise getan hätte. Ob es nun stimmt, oder nicht.
 

»Naja… ja… vielleicht so ein bisschen«, sage ich kleinlaut. Allein, dass es mir in den letzten Tagen so beschissen ging, weil ich Calla nicht gesehen habe, zeigt selbst mir, dass da wohl nicht nur Sex im Spiel ist. Auch wenn ich nicht weiß, ob ich bereit für so ein Beziehungsding bin. Ich bin vierundzwanzig und hatte bisher noch keine Freundin. Sicher bin ich eine totale Versagerin in solchen Dingen.

»Wunderbar! Sie kommt in einer halben Stunde hier her, ich hab ihr deine Adresse gegeben. Versau es nicht, das ist eins meiner Geschenke für dich zu Weihnachten!«, meint sie überschwänglich, drückt mich noch einmal und drückt mir einen Kuss auf den Mund, dann rauscht sie aus dem Wohnzimmer und ich höre, wie sie sich im Flur anzieht. Mein Körper wechselt von Taubheit auf ein total komisches Kribbeln überall. Diese Achterbahnfahrt ist echt scheiße.
 

»In einer halben Stunde?«, frage ich zur Sicherheit und werfe einen Blick auf die Uhr. Leo nickt und setzt sich ihre beige Wollmütze auf die widerspenstigen Locken.

»Viel Glück. Wir telefonieren und ich komm am ersten Weihnachtsfeiertag zu dir und bring dir dein Geschenk«, meint sie lächelnd, wuschelt mir durch die Haare und dann winkt sie mir, ehe sie die Treppen hinunter verschwindet.

Ich stehe noch eine ganze Weile wie angewurzelt da und rühre mich nicht. Dann schließe ich die Tür, schaue erneut auf die Uhr und falle fast um, weil es nur noch zwanzig Minuten sind, bis Calla herkommt. Ich renne ins Bad und starre in den Spiegel. Sehe ich gut aus? Die Frage hab ich mir seit vierundzwanzig Jahren nicht gestellt, oder sie jedes Mal mit ‚Ja’ abgetan. Jetzt bin ich mir plötzlich nicht mehr sicher und greife hastig nach meinem Haargel. Zwei Sekunden später stelle ich es wieder weg und haste stattdessen ins Wohnzimmer, um ein bisschen für Ordnung zu sorgen. Eigentlich ist das nötig, weil es bei mir immer ordentlich ist, aber es kann nicht schaden, die Kissen noch mal zurechtzurücken und ein peinliches Foto von Leo und mir in eine Schublade zu stecken.
 

Gerade überlege ich mir, ob ich nicht doch noch Haargel benutzen will, als es klingelt. Mein Herz und ich fahren zusammen und mir wird noch heißer, als ich in Richtung Tür schlurfe. Es fühlt sich an, als wäre mein Körper doppelt so schwer wie sonst.

Ihre Schritte auf der Treppe klingen unnatürlich laut in meinen Ohren und als ich sie sehe, rutscht mir das Herz in die Hose und schlägt dort in einem atemberaubenden Tempo weiter. Ich glaube, ich bekomme gleich einen Herzinfarkt.

Hut, Stulpen, Lederjacke. Die lässige Art. Wieso ist sie zwei Jahre jünger als ich und benimmt sich wie eine weise alte Frau?

»Hallo«, sagt sie und lächelt ganz merkwürdig. Ich werde sicher gleich ohnmächtig. Wieso hat mir nie jemand gesagt, wie man in solchen Situationen handeln sollte? Wieso hat Leo mir keine Tipps gegeben? Die elende Verräterin.

»Wo hast du dein Untier gelassen?«, frage ich matt. Herzlichen Glückwunsch, Melina Borchers. Sie haben den Nobelpreis für die dümmsten Fragen und eine Kaffeemaschine gewonnen…
 

»Der kann auch ein paar Stunden allein sein«, versichert sie mir amüsiert und zieht ihre Schuhe aus. Denen folgt die Lederjacke und dann steht sie in meinem Flur und sieht sich um. Schweigend und sich umsehend schlendert sie in Richtung Wohnzimmer und ich folge ihr. So nervös war ich nicht mal bei meiner Einschulung.

»Deine beste Freundin ist sehr nett«, meint sie und betrachtet interessiert eins meiner Modelle, das in der Ecke des Wohnzimmers steht.

»Weiß ich«, nuschele ich. Calla schmunzelt.

»Und du würdest sie heiraten. Das muss Liebe sein«, fügt sie hinzu. Aus irgendeinem Grund laufe ich knallrot an.

»Ähm…ja…«
 

Sie kommt zu mir herüber und ich wünsche mir schnellst möglich eine Gebrauchsanweisung. Aber sie scheint genau zu wissen, was sie will, denn sie legt ihre Arme um meine Taille und zieht mich zu sich.

»Ich bin ein Gefühlskrüppel«, krächze ich. Sie grinst.

»Weiß ich…«

»Und ich bin kein Beziehungsmensch«, füge ich noch leiser hinzu. Sie mustert mich ganz aus der Nähe, als wäre ich das Spannendste, was sie je gesehen hat.

»Ich auch nicht.«

»Und ich hab wirklich keine Ahnung, wie…«

Offensichtlich ist ihr das alles egal und sie will es trotzdem probieren. Ich kann es nicht fassen. Ich habe mir gerade eine Art Beziehungsding ans Bein gebunden und meine Freiheit flattert durchs Fenster davon. Seltsamerweise fühlt sich ihr inniger Kuss besser an als jeder, den ich je in Freiheit bekommen habe.
 

Wie sagte Leo vorhin? Ach ja.

Die Sirenen haben sich gegenseitig gefangen.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (24)
[1] [2] [3]
/ 3

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  GodOfMischief
2013-12-09T10:44:17+00:00 09.12.2013 11:44
Hach, hätte ich nicht so viel zu tun gehabt, hätte ich die Story sicher in einem Rutsch durchgelesen.
Du hast wirklich einen schönen, leichten Stil, durch den man sehr schnell hindurch kommt und nicht über kleinere Fehler stolpert.
Von der Geschichte her muss ich sagen, dass ich sie schon länger im Auge hatte und nun wirklich endlich dazu gekommen bin, sie zu lesen. Und ja, was soll ich sagen? Die Charaktere gefallen mir sehr gut, insbesondere Calla, die auf den ersten Blick so mysteriös erscheint |D
Die kleinen Wendungen und Überraschungen, z.B. das Lied, oder die verlorene Erinnerung an die Party und die Nacht mit Calla sind sehr schön eingebaut. Nichts wirkt hier übertrieben oder aufgesetzt.
Kurzum: Es hat einfach Spaß gemacht, die Geschichte zu lesen und ich werde mich sicher noch weiter in deiner Sammlung umgucken :D

lg
Von: abgemeldet
2011-07-30T20:28:57+00:00 30.07.2011 22:28
Heyho^^

Öhm joa da ich heute nicht sonderlich was zu tun hatte, hab ich mir einfach diese Story von die rausgepickt und gelesen.
Also Sirenenfang lag mir schon länger im Auge, aber bisher hatte ich weder die Zeit noch -um ehrlich zu sein- die Lust es zu lesen, bis heute halt^^

Joa wo fange ich an...ah ja ich mag Mellie unheimlich gerne, sie ist ehrlich, sie weiß was sie will und auch was sie nicht will und ich finde, ihre für Frauen ehe untypische Art über Emotionen zu denke, reden, sinnieren usw. Sehr sympathisch.

Das du einen außerordentlich professionellen und detailreichen Schreibstil hast, der keinerlei Wünsche übrig lässt muss ich an dieser Stelle ja nicht weiter ausführen...Denke ich mal.

Zur Story an sich, schön erzählt, sympatische und realistische Charaktere und iegtnlich kann nicht viel mehr als "wunderbar" dazu sagen.

Bei Calla, also viel mehr bei ihrem Namen, bin ich die ganze Zeit am rätseln, ob du ihn von der Lilien-Art oder von der Prinzessin aus "Die Gummibärenbande" entnommen hast XD
Ich werds wohl nier erfahren^^

Lg

Monkey
Von:  Shay
2011-01-03T19:57:12+00:00 03.01.2011 20:57
Man, ich weiß gar nicht was ich schreiben soll...deine FF hat mich wirklich mitgerissen. Ich musste sie quasi in einem Schwung durchlesen! ^^

Einfach klasse!!!
Schreib aufjedenfall viel mehr!
Ich werds definitiv lesen! XD
Von:  Saki-hime
2010-03-10T13:59:11+00:00 10.03.2010 14:59
weißt du.. ich bin nicht gut im Kommi schreiben... oder auch nur zu faul...
jeden Falls weiß ich grad nicht, was ich schreiben soll xD
aber ich find die FF mal wieder total klasse :3
=Dv

Saki-hime *flausch*
Von:  Tweetl
2010-03-06T10:55:44+00:00 06.03.2010 11:55
Herrlich, toll, genial. ^__^

Ich weiß zwar nicht, wie sehr ich Calla "mag", aber Melli und Leo sehr.
Es war sehr schwer, sich das Lachen und das Kichern zu verkneifen, bei den beiden.

Mein Tag ist versüßt worden.


Grüße,
Etwas
Von:  yoshi_
2010-02-13T19:15:52+00:00 13.02.2010 20:15
Also wenn ich nicht sowas von vergeben wäre, würde ich jetzt "Heirate mich!" sagen xD

Also nur um mal die Dimensionen deiner Brillanz aufzuzeigen:
Heute ist nicht mein Tag. Ich hab mies geträumt, bin müde aufgewacht, falsch aufgestanden, hatte Schinken auf meinem Frühstücksbrot, kein Mensch war online, hab versucht die Kohlrabi mit dem Sparschäler zu entkleiden, alles persönlich genommen und schiebe schon seit vier Stunden das Wäschefalten vor mir her.

Aber ich sitze hier und grinse wie bescheuert, hibbele auf meinem Stuhl auf und ab und Mum wird mich bald fragen, warum ich die ganze Zeit "Süüüüß!" oder "Oh Gott, scheiße..." oder auch "WAS?!" von mir gebe.

Du hast mir den Tag gerettet und bist dermaßen abboniert.

Ich glaube, ein größeres Kompliment bekomme ich im Moment nicht hin.

Mellis Rumvögel-Tour hat mich in 'Muscheleffekt' noch etwas genervt, aber ich fand so süß, wie sie sich für Leo eingesetzt hat. Und ihre Gefühle Hanna gegenüber konnte ich nur teilen xD
Insofern hab ich in dieser Geschichte doch irgendwann angefangen, sie toll zu finden. Und Calla sowieso. Man, konnte ich mir das bildlich vorstellen.

Ich geh jetzt gucken, was du sonst noch so für Geschichten hast.

Ich würde mich total freuen, wenn man noch was von Melli und Calla hören würde.

In (zu) überschwänglicher Begeisterung,

yoshi.
Von:  yukio-kun
2010-02-12T17:01:35+00:00 12.02.2010 18:01
-_______-
einfach nur göttlich....
wie immer eine geile ff von dir....
kommt da eigentlich noch eine fortsetztung?? ^^

see ya, yu-kun
Von:  Silver_Wolf
2010-01-28T23:42:18+00:00 29.01.2010 00:42
*___* wooow wirklich der hammer *__*

deins chreibstiel ist so eigenartig nüchtern und trotzdem desselnd... eine sehr interessante mischung *__*

hat wirklich spaß gemacht die ff zu lesen .. mal was anders ^^

echt geil *__*

lg
Von:  Zet-cool
2010-01-11T20:47:54+00:00 11.01.2010 21:47
Wow! Wirklich gut!
Du hast einen sehr guten Schreibstil! Ich mag ihn. Nicht nur so, sondern weil deine Geschichten echt sind. Sie erzählen was und das ist wichtig.
Mir hast du jetzt jedenfalls einen schönen Abend gemacht. Ich habe mich köstlich mit deinen lebendigen Charakteren amüsiert und mit Spannung die Handlung gelesen!^^
Ich danke!
lg
zet-cool
Von:  Imi
2009-12-06T19:00:56+00:00 06.12.2009 20:00
Ich finde das Ende gut so wie es ist. XD Es kam etwas plötzlich und eher unspektakulär daher, aber es passt sehr gut. Schade ist, dass Du im vorletzten Kapitel irgendwo ein "mich" statt mir stehen hat. Aber ich denke hier gilt: Wer den Rechtschreibfehler findet bzw. Gram.fehler, darf ihn auch behalten.
Ich trag ihn dann mal in mein Regal und bewahr ihn dort gut auf.

Ich finde es auch ziemlich cool, dass Du Leo die Möglichkeit gegeben hast, sich bei Melli zu revanchieren XD Das hat schon etwas von Ironie des Schicksals XD
Ziemlich cool.

Ich kann nur nochmal sagen dass ich Deine Geschichten mag und mich immer freue, was neues von Dir zu lesen. Der Humor ist einfach genial!


Zurück