Chapter 8
Der Himmel hatte sich nicht aufgeklärt. Ebenso dunkle Wolken wie die des gestrigen Tages ließen den Tag wie Nacht erscheinen, unaufhörlich fielen große Tropfen hinab.
Ryne saß wie am Abend zuvor am Tisch, die Arme auf der Platte abgestützt und das Gesicht in seinen Händen vergraben.
Erst als ein paar Geräusche von der Tür her sein Ohr erreichten, sah Ryne auf. Drüben im Flur stand Juna, die Kapuze seiner Regenjacke tief ins Gesicht gezogen. Beiläufig und ohne Ryne eines Blickes zu würdigen sagte er in einem fast rechtfertigenden Ton: „Ich gehe dann. Wohnungsbesichtigung.“
Noch bevor die Tür ins Schloss fiel, war Ryne aufgestanden und hatte sich seinen Mantel übergeworfen. Er ließ seinen Schlüssel in die Jackentasche gleiten und griff nach einem der Regenschirme, die in der Ecke neben der Tür standen. Dann warf er die Wohnungstür hinter sich zu und folgte Juna mit schnellem Schritt.
„June, warte!“, rief er ihm hinterher.
Einen Moment lang zögernd blieb Juna schließlich stehen. Bereits jetzt, nach nur wenigen Metern durch den Regen triefte es überall von Junas Regenjacke.
Ryne senkte sein Tempo wieder, als Juna stehen geblieben war und mit gespanntem Schirm kam er zu ihm hinüber.
„Du wirst ganz nass…“
Schutzspendend hielt Ryne den Schirm über ihrer beider Köpfe. Die letzten Tropfen rannen über Junas Jacke und fanden ihr Ende in einer der großen Pfützen, die sich über die Nacht angesammelt hatten.
Und wieder sprach keiner von beiden mehr auch nur ein Wort. Auch die Umgebung wurde ruhiger, als Juna in eine weitere Nebenstraße bog und Ryne ihm dicht darauf folgte. Der Hall ihrer Schritte wurde vom feuchten Asphalt unter ihren Füßen gedämpft. Außer Juna und Ryne war kein Mensch mehr in einer solch kleinen Straße anzutreffen.
Der bedrückenden Stille letztlich nachgebend begann Juna plötzlich seinen Monolog.
„Es ist eine kleine Wohnung in einem dieser Häuser in netter Umgebung. Ich brauche von hier aus nur ein paar Minuten bis zur Bahn. Dann habe ich meinen eigenen Balkon und ein Supermarkt liegt auch in der Nähe. Die Wohnung hat alles, was ich brauche.“
Ryne war sich dem anklagenden Ton in seiner Stimme bewusst, doch er konnte sich nicht zurückhalten: „Sie hat alles, was meine Wohnung auch hat.“
„Außer dich…“
Des dunkelhaarigen Augen weiteten sich auf einmal, ein stechender Schmerz durchstieß Rynes Brust, denn er wusste sofort, was Juna gemeint hatte. Es war ihre Freundschaft, die hier auf dem Spiel stand, ihre Freundschaft, die sie niemals aufs Spiel setzen würden.
„June..!“
„Halte den Regenschirm nicht so hoch, ich werde nass…“
Und wieder hatten sich Tropfen in Junas Augenwinkeln gesammelt, die nun über seine Wange rannen. Nur Junas Jacke schien bereits getrocknet und auch nicht erneut dem Regen ausgesetzt gewesen zu sein.
„Wir sind da.“
Rynes Blick ausweichend verließ Juna den schützenden Bereich des Schirms. Seine Umrisse verschwammen mit dem Grau der Umgebung im Regen und schließlich verschwand Juna in dem Gebäude, das möglicherweise sein neues zu Hause werden würde.
Ryne bewegte sich nicht von der Stelle, an der Juna ihn allein gelassen hatte. Der Wind schickte den Regen direkt unter den Regenschirm gegen Rynes Körper. Dennoch bewegte er sich kein Stück weit.
Alles, was ihm nun noch geblieben war, war auf Juna zu warten. Denn allein bei ihm lag nun die endgültige Entscheidung, die ihrer beider Leben verändern würde, egal wie sie ausfiel. Und somit wartete Ryne im Regen, nichts anderes als diesen einen Gedanken vor den Augen.