Chapter 11
Der weiße Fliesenteppich, der sich durch das ganze Bad zog, warf nur wenig Licht auf den am Boden Knienden zurück. Der größte Teil eben jenes nur spärlichen Lichtes, welches durch das Fenster in Rynes Zimmer über den Flur und schließlich in das fensterlose Bad gefunden hatte, wurde aber von ihm absorbiert und ließ Ryne schließlich in einer Dunkelheit und Ruhe zurück, denen er nichts abverlangen konnte.
Dann würgte er ein letztes Mal. Sein Mageninhalt hatte sich gänzlich in die Toilettenschüssel entleert. Jedoch war er sich heute nicht sicher, ob es die Bilder in seinem Kopf von der Begegnung mit Juna waren, die sich immer wieder abspielten, oder die zahlreichen Medikamente, die er seit fast einem Jahr täglich zu sich genommen hatte, die die Schuld daran trugen.
Hatte sich auch an seiner Statur nichts Grundlegendes geändert, oder zu mindestens nichts, das auch unter dem Schutz seiner Kleidung noch zu erkennen war, so sah man die Auswirkungen der Geschehnisse von vor einem Jahr doch in seinem Gesicht. Die Wangen waren leicht an den Knochen eingefallen, die Haut kreidebleich. Lediglich um die Augen herum hatten sich tiefschwarze Schatten gelegt, die allgegenwärtig waren.
Ryne atmete schwer, fast keuchend. Er war sich nicht sicher, wie lange er an die kalten Fliesen gelehnt dagesessen hatte, doch der Geschmack des Erbrochenen, der sich auf seine Zunge gelegt und der Geruch desselben, der sich in seiner Nase festgesetzt hatte, waren noch nicht verflogen, als es läutete. Seine Beine zitterten und hielten den schmalen, kraftlosen Körper nur in der Höhe, da sie über die Unterstützung der gefliesten Wand in Rynes Rücken verfügten. Die blauen Augen hingegen kämpften mit der Bewusstlosigkeit, die sich täglich immer stärker durchzusetzen wusste und ihn schon einige Male an den Boden gefesselt hatte.
Es schien eine Ewigkeit zu dauern, dass Ryne endlich die Tür erreichte und dennoch hatte es kein zweites Mal geklingelt. Wahrscheinlich würde niemand so lange warten und der Dunkelhaarige hatte sich umsonst bis ans Ende des Flurs geschleppt.
Erst, als Rynes Hand bereits im Begriff war die Klinke, um die sie gelegt war, zu drücken, trat der Gedanke in seinen Kopf zurück, dass ihn seit gut einem Jahr niemand mehr besuchen gekommen war. Niemand außer Juna und ihm hatte diese Wohnung betreten, seit Juna das letzte Mal bei ihm eingezogen war und niemand außer Ryne selbst hatte diese Wohnung betreten, seit Juna sich gegen ihn entschieden hatte.
Die Tür öffnete sich einen Spalt breit, sprang ein Stück weit von allein auf und brachte schließlich das zum Vorschein, was sich hinter ihr verbarg. Braune Strähnen, die in einem Jahr an Länge gewonnen hatten, fielen so wie schon um die späten Mittagsstunden in das perlweiße Gesicht und der grade Rücken bedeutete Ryne einen stärkeren Charakter, als er ihn momentan selbst vorzubringen hatte. Eigentlich hatte es keinen Zweifel daran geben können, dass es Juna war, dem Ryne die Tür öffnen würde und dennoch war der sonst Größere nun, da er eben jenen Verdacht bestätigt sah, überrascht und hilflos.
Es war kein Wort der Begrüßung gefolgt, jeder hatte seinen gegenüber für viele Sekunden einfach nur betrachtet, doch Ryne hatte schnell bemerkt, dass er den braunen Augen Junas nicht standhalten konnte und war zurückgewichen. Nun stand er am Fenster, hinter sich den Flur und Juna, und Ryne war sich bewusst, dass er weder stark genug war Juna, nun da er endlich wieder in seiner Nähe war, wieder fortzuschicken, noch in der Lage war mit eben jenem, alten Freund zu sprechen.