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Bilder unserer Zeit

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Falsches Verlangen (2001)

14. Kapitel - 2001
 

Am nächsten Tag schleife ich den sich sträubenden Chris auch tatsächlich nach Hause. Den ganzen Weg über fleht er mich an bei mir bleiben zu dürfen, aber ich halte dem Stand, klingele schließlich bei Frau Berger an der Tür und als diese öffnet schiebe ich ihr wie so oft ihren Sohn nach vorne.
 

„Lieferung frei Haus“, scherze ich knapp, ignoriere den trotzigen Ausdruck, den Chris an den Tag legt und will mich schon wieder verabschieden, als mich seine Mutter für eine Tasse Kaffee ins Haus bittet.
 

„Wir haben uns nie wirklich unterhalten“, wendet sie ein, verstärkt ihre Aufforderung und ich gebe schließlich nach.
 

Der Flur ist trotz der sommerlichen Hitze angenehm kühl und mit einem Garderobenständer sowie einer größeren Topfpflanze dekoriert. Sie führt mich über den Teppichboden ins angrenzende Wohnzimmer, das sehr hell gestrichen einen einladenden Eindruck vermittelt. Die Möbel wirken auf mich recht antik. Sehr edel und vor allem sehr teuer. Allerdings verleit es dem Raum einen besonderen Charme.
 

Frau Berger ist scheinbar eine Pflanzenfreundin, denn jeder freie Platz ist von ihr genutzt worden um die ein oder andere Blume zu platzieren.
 

„Setzen Sie sich doch“, bietet sie mir an und ich nehme an einem Ende des Tisches platz, während sie mit Chris hinausgeht. Durch die geschlossene Tür hindurch kann ich sie miteinander streiten hören. Chris zieht dieses Mal allerdings den Kürzeren und stapft mit lauten Schritten ins obere Stockwerk.
 

Ich bleibe eine Weile für mich alleine, betrachte die Fotos an den Wänden, die allesamt Frau Berger und Chris zeigen, wahlweise auch das ein oder andere Panoramabild von Gegenden, die sie wohl schon bereist haben.
 

Alles hier strahlt eine totale Gegensätzlichkeit aus. Die gesamte Einrichtung ist kunstvoll, edel und Ehrfurcht gebietend. Man traut sich kaum auch nur einen Ton von sich zu geben. Aber dann ist hier auch alles so voll von privaten Details, wie Fotos, selbst gemalten Bildern oder sogar Schriftstücken von Chris, die dieser in seiner Grundschulzeit verfasst hat.
 

Frau Berger kommt mit einem Service beladen wieder ins Wohnzimmer zurück, stellt alles auf dem Tisch ab und reicht mir eine edle Porzellantasse, mit goldenem Rand und einem dezenten Blumenmotiv.
 

„Zucker oder Milch?“
 

„Nur schwarz, danke“, gebe ich zurück, warte bis sie mir und sich selbst eingeschenkt und sich schließlich gesetzt hat. Hin und wieder nippt sie an ihrer Tasse, unterzieht mich dabei einer genauen Musterung.
 

„Chris hat mir nie erzählt wie Sie sich eigentlich kennen gelernt haben“, beginnt sie schließlich das gewünschte Gespräch, beobachtet mich dabei aufmerksam über den Rand ihrer Tasse hinweg.
 

„Letztes Jahr zu Silvester“, erkläre ich kurz. „Wir sind ineinander gelaufen und da Chris…“, stocke ich hier, da ich mir nicht sicher bin, ob ich ihr so einfach erzählen kann, dass ihr Sohn vollkommen besoffen war.
 

„Sagen Sie ruhig, dass er sich in seinem Suff erbrochen hat“, wirft sie mit einem festen Zug um die Lippen ein. „Glauben Sie mir, ich kenne meinen Sohn.“
 

Ich weiß darauf nichts zu erwidern und eine Weile schweigen wir und wieder an. Ich wage es kaum meinen Kaffee zu trinken, halte die Tasse lediglich in meiner Hand und hoffe inständig, dass dieses Gespräch bald vorüber sein wird.
 

„Wie alt sind Sie, Herr…?“
 

„Montega“, gebe ich schnell zurück, meine dabei etwas in ihren Augen aufblitzen zu sehen. „Ich bin fünfundzwanzig. Noch.“
 

„Dann haben Sie bald Geburtstag?“, hakt sie nach.
 

„Mitte August, ja“, bestätige ich, trinke nun doch von dem Kaffee, der mir viel zu heiß erscheint. Der lauernde Blick aus ihren Augen gefällt mir gar nicht.
 

„Wie er mir erzählte haben Sie meinen Vater bereits gestern kennen gelernt, nicht wahr?“
 

„Ja.“
 

Ihr Lächeln wird immer dünner, die Lippen sind kaum mehr als Strich und mit jeder Sekunde die verstreicht fühle ich mich unwohl. Ich bin hier nicht willkommen, dass spüre ich an ihrer Art wie sie mich ansieht. Was auch immer es ist, aber irgendetwas passt ihr an mir ganz und gar nicht.
 

„Was machen Sie beruflich?“, setzt sie nach einer kurzen Pause ihr Verhör weiter fort.
 

„Ich bin der Chef des BlackRaven. Eine Art Pub.“
 

„Ja, ich kenne den Laden“, gibt sie zu. „Und Ihre Eltern?“, hakt sie nach.
 

„Gehen Sie nichts an“, gebe ich schroffer zurück als beabsichtigt. Fast erwarte ich, dass sie mich dafür scheltet, doch sie nickt mir nur zu, schenkt sich eine zweite Tasse Kaffee ein und lässt das Thema damit fallen.
 

„Chris berichtet mir auch oft von seinem neuen Freund Jamie. Ihr Bruder, wie ich verstanden habe?“
 

„Ja.“
 

„Meine Glückwünsche zu seiner Hochzeit.“
 

„Danke. Ich richte es ihm aus“, versichere ich ihr steif, frage mich dabei wiederholt zu was das hier alles führen soll. Ich wusste ja, dass mit Chris’ Mum nicht gut Kirschen essen werden würde, aber für so steif hätte ich sie dann doch nicht gehalten.
 

„Sie wissen, dass Chris’ eine Neigung zum eigenen Geschlecht hat?“
 

„Ja, das weiß ich“, gebe ich ihr zu verstehen und glaube, dass wir uns so langsam dem eigentlich Kern der ganzen Angelegenheit zuwenden.
 

„Gut. Glauben Sie mir, Herr… Montega…, dass ich absolut keinerlei Vorurteil oder gar eine gewisse Abscheu gegen Homosexuelle hege. Das tue ich in keinster Weise. Allerdings fühle ich mich als Mutter dazu verpflichtet, dafür zu sorgen, dass mein Sohn in gute Hände gerät.“
 

„Ich verstehe.“
 

„Chris ist noch sehr jung und viel zu oft ein Heißsporn und Dickkopf der manchmal mehr will als gut für ihn ist. Ich vertraue also darauf, dass Sie, als sein Freund, ihm zur Seite stehen und ihn vor üblem Gesindel bewahren, das sich an seine Fersen heftet.“
 

„Natürlich“, bestätige ich ihr das und sie schafft es tatsächlich mich für einige Sekunden ehrlich anzulächeln. Dieses ganze vornehme Gehabe ist wohl im Endeffekt nur die Show einer besorgten Mutter, die glaubt, als schützende Barrikade vor ihm Sohn stehen zu müssen.
 

Dieser Gedanke nimmt mir einen Teil meiner Befangenheit, bringt ihr sogar ein wenig meiner Sympathie ein. Frau Berger will Chris nur beschützen. Was dieser zweifellos nötig hat, da er ohne darüber nachzudenken durch sein Leben wandelt, einfach alles auf sich zukommen lassend, was da eben so auf ihn wartet.
 

„Ich kann also darauf vertrauen, dass Sie sich meinem Sohn in keiner anderen Weise als der eines ehrlichen Freundes nähern?“
 

Ich unterdrücke ein heftiges Husten, nehme zur Tarnung einen Schluck meines erkalteten Kaffees und vermeide dabei so gut es geht ihr in die Augen zu sehen.
 

„Chris hat nur wenige Freunde in seinem Alter. Die meisten Leute trifft er im Studio seines Großvaters… Models, Fotografen, Make-Up Artist und wie sie alle heißen… ich finde, dass das kein Umgang für ihn ist. Er gerät zu sehr ins träumen“, führt Frau Berger während meines Schweigens weiter aus. „Mein einziger Wunsch ist, dass er auf vernünftige Art und Weise sein Abitur abschließt und jemanden findet, der ihn wirklich liebt. Ist das zu viel verlangt?“
 

Ich schüttle den Kopf, unfähig eine klare Antwort zu formulieren. Mit einem Mal ist jede Haltung aus Frau Berger gewichen und sie sitzt eingesunken auf ihrem Stuhl, blickt betrübt in ihre Tasse, schwenkt deren Inhalt hin und her, ohne noch einen weiteren Blick auf mich zu werfen.
 

„Ich bin froh, dass Sie mir da zustimmen, Herr Montega“, gibt sie dann zu.
 

Als sie aufsteht, erhebe ich mich ebenfalls, reiche ihr die Hand und verabschiede mich mit knappen Worten. Als hinter mir die Haustür ins Schloss fällt, merke ich erst die Anspannung, die die ganze Zeit in meinen Schultern gesteckt hat. Über mir höre ich es gegen die Fensterscheibe klopfen und ich erkenne Chris, der mir wilde Zeichen gibt, die ich jedoch mit einem finsteren Blick abwehre.
 

Ohne noch einmal zu ihm aufzusehen mache ich mich auf den Weg zu Thomas. Der hat sicherlich auch heute für mich Zeit. Ich ignoriere dabei das beharrliche Klingeln meines Handys. Ich habe ja gewusst, dass es ein Fehler sein würde mich auf Chris einzulassen.
 

Warum tut mir nur dann meine Brust so schrecklich weh?
 

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„Bitte was?“, ruft Thomas völlig entsetzt aus, als ich nur eine knappe Stunde später bei ihm auf der Couch hocke. Ich habe ihn gerade von seinen Unterlagen abgelenkt. Er lernt für die Abschlussprüfung seiner Ausbildung.
 

„Was hätte ich denn machen sollen? Hätte ich ihr sagen sollen, dass ich erst kürzlich entschieden habe ihren kleinen Jungen flach zu legen?“, keife ich zurück, raufe mir dabei die Haare.
 

„Warte mal, hast du? Du willst ihn flach legen?“
 

„Was? Nein, ich… na ja…“, stammle ich unbeholfen, raufe mir die Haare noch mehr.
 

„Du wolltest ihn vor kurzem nicht einmal mit dem Arsch ansehen und jetzt willst du ihn schon flach legen?“
 

„Hey, ich habe nie behauptet, dass ich es mir nicht ausgemalt habe!“, gebe ich heftig zurück. „Nur bisher… hatte ich Zweifel…“
 

„Und die hast du jetzt nicht mehr?“, fragt Thomas leise nach, legt mir seine Hand auf die Schulter, drückt sie fest.
 

„Ganz im Gegenteil. Noch mehr als je zuvor…“, seufze ich schwer, verberge mein Gesicht in meinen Händen und kann ein starkes Zittern nicht länger unterdrücken.
 

Thomas kniet neben mir, hält mich fest und fragt nicht weiter. Seit dem Gespräch mit Frau Berger, geht es mir so schlecht wie nie zuvor. Und das Chris mich in immer kürzer werdenden Intervallen anruft macht es mir auch nicht leichter.
 

„Raphael… ehrlich Mann, ich versteh’ überhaupt nicht worum es gerade geht…“, gesteht Thomas nach einer Weile leise, zwingt mich dazu, ihn anzusehen.
 

„Ich mag den Kleinen. Wirklich. Und ich mochte ihn von Anfang an“, erzähle ich meinem besten Freund widerstrebend. „Aber… Herrgott, er ist so jung! Nicht mal volljährig! Und ich bin alles andere als einfach! Außerdem… bin ich mir nicht sicher, ob ich wirklich mehr für ihn empfinde, als nur den Wunsch ihn flach zu legen…“
 

„Und das Gespräch mit seiner Mum hat dir wieder ein schlechtes Gewissen gemacht“, schlussfolgert Thomas richtig, pflanzt sich neben mir aufs Sofa und starrt eine Weile Löcher in seine Decke.
 

„Soll ich dir sagen was ich von der Sache halte, Brüderchen?“, fragt mein bester Freund nach einiger Zeit und bemerkt das schwache Nicken, das ich ihm als Einverständnis gebe.
 

„Ich denke, dass Chris das Beste ist, was dir in deinem ganzen verfluchten Scheißleben nur passieren konnte. Und ich glaube, dass du dich wirklich in ihn verliebt hast. Ist doch klar, dass du ihm an die Wäsche willst, aber ich denke nicht, dass das bei dir im Vordergrund steht. Dafür könntest du zu leicht jemanden haben, wenn du wolltest.

Und in der Liebe ist das Alter doch egal. Warum machst du dir deswegen so einen Druck? Er will dich, dass hat dir der Kleine von Anfang an deutlich gemacht. Und ich finde, dass er für seine wenigen Jahre schon ein verdammt schlaues Kerlchen ist. Chris braucht keinen Aufpasser, nur einen festen Partner.

Wenn seine Mum ein Problem mit dir hat, scheiß drauf. Hauptsache ihr zwei habt keins miteinander und könnt endlich mal anfangen Zeit miteinander zu verbringen.“
 

„Aber…“
 

„Noch was?“, hebt Thomas skeptisch eine Augenbraue. „Zack?“, trifft er mitten ins Schwarze, seufzt hörbar auf, als ich zusammen zucke und gibt mir einen Klaps auf den Kopf. „Wann vergisst du den Spacken endlich? Der Kerl war nicht gut für dich, der hat dich nur ausgenutzt. Außerdem solltest du doch merken, dass es mit Chris viel besser ist als mit ihm damals.“
 

„Hm“, brumme ich nur unverständlich, rolle mich auf dem Sofa zusammen und lege meinen Kopf in Thomas’ Schoß. Mir ist nicht mehr nach reden oder gar denken zu mute. Ich will einfach endlich aufhören mir diese Dinge immer und immer wieder vorzukauen.
 

„Ich denke nur, dass es falsch ist, ihn zu wollen“, sage ich schließlich.
 

„Es ist nie falsch zu lieben, Rapha. Und das ist es, was ich dir schon seit Jahren versuche zu erklären. Solange du ehrlich zu dir und deinen Gefühlen stehst, ist es nicht falsch was du empfindest, auch wenn es gegen die Konventionen der Gesellschaft ist.“
 

„Er ist noch ein Kind…“, gebe ich meine Einwände nicht auf.
 

„Aber nicht mehr lange. Und jetzt hör auf Ausreden zu suchen. Du liebst ihn, basta!“
 

Lange hocke ich noch mit Thomas zusammen. Wir trinken ein ekliges Dosenbier nach dem anderen, zocken dabei ein Playstation-Spiel nach dem anderen und quatschen nur noch über Dinge im Allgemeinen.
 

Thomas erzählt mir unter anderem, dass Erich bald von seinen Eltern nach Frankreich geschickt wird, wo er den Juwelierladen seiner Mutter leiten soll und das es nur noch eine große Abschiedsparty für ihn geben wird, da er bis dahin in elterliche Pflichten eingespannt sein wird.
 

„Warum hat er sich nicht bei uns gemeldet?“
 

„Weil es ihm schwerer fällt als du glaubst uns hier zurück zu lassen“, erklärt Thomas, während er sich einen weiteren seiner Tortillachips in den Mund stopft. „Der sitzt bestimmt zu Hause und heult sich die Augen aus.“
 

„Klappe“, gebe ich meinem Kumpel eine Kopfnuss.
 

Bis spät in die Nacht hinein zocken wir einen Ego-Shooter nach dem anderen, ehe ich es mir auf dem Sofa bequem mache und Thomas mit einem letzten freundlichen Wort an mich in sein bett verschwindet.
 

Lange liege ich wach, denke über alles nach was heute gesagt wurde, ehe ich schließlich doch noch in den Schlaf sinke.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  chaos-kao
2010-07-10T09:13:17+00:00 10.07.2010 11:13
Hey ^^
Er lässt sich viel zu leicht verunsichern und gibt viel zu viel auf die Meinung anderer ... aber andererseits kann man ihn auch verstehen ... seine Vergangenheit lässt wohl nichts anderes zu ...

Ich wünsche ihm wirklich, dass er glücklich wird. Mir sind mittlerweile alle wirklich ans Herz gewachsen und du schaffst es wirklich wunderbar ihre Gefühle darzulegen, ohne dass es zu dramatisch oder kitschig wird ^^

Lg
KaNi


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