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Bilder unserer Zeit

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Licht in der Dunkelheit (2001 / 10)

20. Kapitel (2001 / 10)
 

Das hellbraune Haar rinnt zart durch meine Finger, streichelt sie und schenkt mir ein anhaltendes Gefühl von Wärme. Sein Gesicht ist mir zugewandt, die Augen im Schlaf geschlossen, die rechte Hand auf meiner Brust ruhend, während er die Linke unter das Kissen und seinen Kopf geschoben hat.
 

Die Decke bedeckt uns bis zu den Hüften, danach verschwindet sie zu seiner linken Seite, liegt schräg über ihm und halb auf dem Rest des Bettes. Leise murrend dreht er den Kopf ein wenig, kuschelt sich in eine leicht veränderte Position hinein und schläft dann friedlich weiter.
 

Mit einem Lächeln auf den Lippen beobachte ich die kleine Schönheit neben mir und kann selbst nicht ganz glauben, dass ich gestern gesagt habe, dass ich mit ihm eine Beziehung führen möchte. Aber heute Morgen hat es sich nicht anders angefühlt ihn im Arm zu halten und anzusehen, deswegen glaube ich, dass es richtig war, es zu sagen.
 

Ohne Chris ist es nicht einmal halb so schön wie mit ihm. Immer öfters denke ich an ihn, frage ich mich was er tut und hege den stetig größer werdenden Wunsch an seinem Leben direkt Teil zu haben. Ein Mitspracherecht zu besitzen.
 

Zum ersten Mal gestehe ich mir ein, dass Chris mir voll und ganz den Kopf verdreht hat.
 

Schmunzelnd beuge ich mich über ihn, küsse seine Schulter, seinen Oberarm, schließlich seine Wange, die Nasenspitze, die keck hervorschaut und als er sich ein wenig herumdreht, platziere ich auch einen Kuss auf seine Lippen.
 

Langsam schlägt er die Augen auf, blinzelt mehrmals, ehe er mir die Arme in den Nacken legt und mich näher zu sich heran zieht. Er ist ein Schmusekater durch und durch. Seufzend schmiege ich mich an ihn, lasse mich halten und streicheln, küsse ihn immer wieder und beginne einen Morgen so zärtlich wie noch nie.
 

So könnte es bleiben, finde ich. Genau so. Einfach die Zeit anhalten und immer nur mit Chris in diesem Bett liegen, ihn spüren und ansehen, berühren und schmecken. Mehr nicht. Ich finde, dass das Leben durchaus einmal so ablaufen sollte.
 

„Bleib bei mir“, nuschle ich in seine Halsbeuge hinein, bemerke dabei das leichte Zittern, das ihn erfasst. Kurz darauf streichen seine Hände durch meine Haare und er drückt sich noch viel dichter an mich.
 

„Bin ich doch bisher immer“, sagt er dann. „Und ich habe nicht vor plötzlich wegzugehen.“
 

„Auch nicht, wenn ich wieder gemein und garstig werde?“, hake ich nach, traue mich nicht, ihm in die Augen zu sehen.
 

„Nein, auch dann nicht. Nur eins, musst du mir versprechen…“
 

„Was denn?“
 

„Egal was auch immer in der Zukunft passiert“, spricht er leise, ernsthaft. „Du darfst niemals, wirklich niemals, vor mir weglaufen.“
 

Ich brauche einen Moment, ehe ich ihm antworten kann. Natürlich möchte ich jetzt nicht mehr von ihm weg, aber… ich bin es gewohnt vielen Dingen aus dem Weg zu gehen, alles einfach laufen zu lassen und dabei möglichst in Deckung zu bleiben. Mich jetzt auf einmal jemandem vollkommen zu öffnen ist schwierig.
 

„Ich versuch’s“, gebe ich trotzdem zurück, spüre ihn nicken.
 

Nach einigen Augenblicken, in denen wir nur schweigend beieinander liegen, schlafe ich wieder ein.
 

---
 

Als ich zum zweiten Mal aufwache ist bereits später Nachmittag und Chris neben mir verschwunden. Ich drehe mich einmal herum, streiche mir die zerzausten Haare aus der Stirn und starre unentwegt an die Decke.
 

Ich denke nicht. Da ist einfach nichts in meinem Kopf. Nur das Bild dieser weißen Decke über mir und der Wärme des Kissens unter meinem Kopf. Irgendwann erinnere ich mich daran, wie ich mit Chris im Arm dastand und ihm gesagt habe, dass ich eine Beziehung mit ihm gar nicht mal so schlecht fände.
 

Mir schaudert bei dem Gedanken noch immer, aber es ist weit weniger unangenehm als noch zu Beginn. Ehrlich gesagt, kann ich mir nicht vorstellen wie es sein wird, wenn ich wirklich etwas wie eine feste Beziehung habe. Sowas hatte ich noch nie.
 

Ich zucke erschrocken zusammen, als sich etwas Kühles auf meine Stirn legt. Chris lehnt über mir und lächelt mich ganz sanft an. Kurz darauf liegt er neben mir.
 

„Willst du nicht aufstehen?“
 

„Irgendwie nicht“, antworte ich leise.
 

Mir ist wirklich nicht danach. Einfach liegen bleiben, schlafen und sehen ob der morgige Tag sich besser anfühlt. Dennoch stemme ich mich ein wenig hoch.
 

„Ich sollte aber.“
 

Chris Hand drückt mich wieder herunter und dann platziert er sich vollkommen auf mir, hält mich zurück, schüttelt den Kopf.
 

„Nein. Bleib liegen, wenn dir danach ist.“
 

„Okay“, flüstere ich.
 

Ich mache es mir wieder gemütlich, breite die Decke ordentlich über ihm und mir aus, schließe die Augen und atme seinen herrlich frischen Duft ein. Er war duschen. Nach einer Weile fange ich an ihm über den Rücken zu streichen.
 

Wenn ich so darüber nachdenke, hat es solche Momente nie zwischen mir und Zack oder auch nur irgendeinem anderen Mann gegeben. Thomas und seine Familie sind da eine Ausnahme, aber auch da ist es selten genug vorgekommen, dass ich einfach nur ruhig dagelegen habe um mich allein auf die Anwesenheit des anderen zu konzentrieren.
 

Chris ist so warm und anschmiegsam, ganz zart und weich und trotzdem… trotzdem hat er etwas Hartes an sich: seinen Willen. Ich habe niemals jemanden wie ihn getroffen, der so konsequent gegen meine inneren Mauern angestürmt ist. Und jetzt ist sogar ein Riss drin. Ein riesiger Riss. Groß genug damit Chris hindurch schlüpfen kann.
 

Als er seinen Kopf hebt um ihn einmal herumzudrehen und sich mit der anderen Seite auf meine Brust zu legen, halte ich ihn fest, ziehe ihn zu mir, richte mich auf und küsse ihn ganz sanft auf seine Lippen, die leicht zitternd nachgeben. Ich umfange ihn mit meinen Armen, drücke ihn fest an mich, genieße diese Ruhe, diesen Frieden.
 

Immer wieder küsse ich zart seine Lippen, dann stoße ich sachte mit meiner Zunge vor, was Chris mit einem leisen Stöhnen quittiert. Ich ziehe an seinem Hemd, schiebe es nach oben, lege meine Hände endgültig auf seine freie Haut. Ich halte ihn einfach nur, lasse ihn spüren, dass ich da bin.
 

Als mir seine Lippen entkommen, setze ich ihnen nach, fange sie wieder ein. Schnell drehe ich mich herum, schiebe Chris in einer fließenden Bewegung unter meinen Körper, lege mich Stück für Stück auf ihn. Meine Arme liegen nun neben seinem Kopf, meine Finger streicheln durch seine Haare und schließlich vergrabe ich meine Nase darin.
 

„Du riechst gut“, flüstere ich leise, küsse seine Stirn, sehe ihn dann einfach nur noch an.
 

„Ich leih dir gerne Opas Shampoo“, neckt er mich, reckt sich ein wenig um für einige Sekunden liebevoll an meinem Kinn zu knabbern. Es ist ein schönes Gefühl.
 

„Guten Morgen“, raune ich ihm entgegen, bekomme ein unvergleichliches Lächeln geschenkt.
 

„Ja. Guten Morgen.“
 

Als ich seine Hände zwischen meinen Schultern spüre, beuge ich mich zu ihm herunter, küsse ihn wieder und wieder und wieder. Vorsichtig beginne ich damit mein Becken gegen seines zu bewegen, reibe mich an ihm und genieße den Anblick seiner lustverhangenen Augen.
 

Wir sind nicht leidenschaftlich, sondern vorsichtig. Als könnten wir den anderen durch eine einzige falsche Bewegung zerbrechen. Alles ist so sanft, so zaghaft und doch voller Gefühl, dass ich mich jeden Augenblick mehr in diesem Rausch verliere.
 

Einfach nur Chris. Chris. Chris.
 

Ich breche unseren Kuss ab, verberge mein Gesicht an seiner Halsbeuge, höre sein stetes Keuchen, spüre wie er sich mit mir bewegt und gehe ganz in diesem Gefühl auf, dass mir sagt, dass das hier so ganz anders ist als damals. Es ist kein Zwang.
 

Seine Beine schlingen sich um mich und er wird ungestümer, fahriger – hilfloser. Chris kommt mir der Flut an Eindrücken und Gefühlen nicht klar, alles geht mit ihm durch und Schutz suchend klammert er sich an mich.
 

„Ich bin hier“, flüstere ich. „Keine Angst, ich bin hier.“
 

„Rapha“, keucht er, schmiegt sich eng an mich.
 

„Schon gut, ich bin hier. Bleib ganz ruhig, ich pass auf dich auf.“
 

Ich lenke meine linke Hand zwischen uns, schiebe sowohl seine als auch meine Hose ein wenig nach unten, nehme unsere Glieder in die Hand, reibe sie aneinander und kann nun selbst ein Stöhnen nicht länger unterdrücken. Chris wird ganz weich in meinen Armen, verliert sich in dem Gefühl der Lust, das ich ihm beschere.
 

Seine Lippen suchen nach meinen und ich küsse ihn. Bis zum allerletzten Augenblick verschließe ich seinen Mund mit meinem, führe ihn zur absoluten Ekstase und springe im selben Moment von der Klippe wie er. Es ist das Gefühl fliegen zu können, in einem warmen Wind zu gleiten, getragen von den Strömungen.
 

Als Chris wieder auf der Erde landet und die Augen öffnet, bin ich da um ihn zu begrüßen. Ich lächle ihn an, küsse seine Stirn und ziehe meine Hand wieder nach oben. Sie ist verklebt, weswegen ich sie etwas weiter weg von seinem Kopf auf eines der Kissen ablege.
 

„Hey“, raune ich sanft, knabbere ein wenig an seinem Ohr.
 

„Hi“, lacht er, streichelt meine Wange und sieht in diesem Moment schöner aus als je zuvor. Das hier wäre der perfekte Moment für ein Ich liebe dich, aber ich lasse ihn ungenutzt verstreichen. Stattdessen fahre ich sachte durch seine Haare, warte solange bis er sich vollkommen beruhigt hat, ehe ich mich aufrichte.
 

„Ich wasch mir die Hände“, grinse ich ihn herausfordernd an und genieße es, dass er schlagartig rot wird.
 

Ich bin froh, dass Hans-Wilhelm nirgendwo zu sehen ist. Anstatt mir nur die Hände zu waschen, steige ich komplett unter die Dusche, schrubbe mich gründlich ab und tapere schließlich vollkommen nackt wieder zurück ins Wohnzimmer.
 

Chris liegt einfach nur da, die Augen geschlossen, eine Hand auf seiner Brust liegend und lauscht scheinbar auf seinen Herzschlag. Ich suche mir frische Sachen heraus, ziehe mich an, stopfe alles andere zurück in meine Tasche, schultere sie und beuge mich schließlich zu Chris herab, der augenblicklich die Augen öffnet, als ich ihm über die Stirn streichle.
 

„Ich gehe nach Hause“, erkläre ich. „Und dann rede ich mit Thomas.“
 

„Nicht mit Jamie?“, legt er den Kopf fragend schief.
 

„Nein. Erst mit Thomas.“
 

„Okay“, ist alles was er dazu sagt. Als er mich weiterhin unentwegt ansieht, fühle ich mich fast dazu gezwungen mich noch einmal neben ihn zu setzen.
 

„Dieses Mal habe ich dich nicht benutzt“, stelle ich schließlich fest, sehe ihn direkt an und lege ein wenig Nachdruck in meine Stimme. „Ich hab es getan, weil ich es wirklich wollte.“
 

„Ich wollte es auch.“
 

„Hab ich gemerkt“, lache ich auf, lege mich noch einmal neben ihn. „Geht’s dir gut?“
 

„Bestens“, kommt es verträumt zurück.
 

„Chris, ich möchte, dass du eines weißt“, sage ich schließlich ziemlich ernst. „Du bist ein wunderbarer Mensch. Und ich bin dir dankbar für alles.“
 

„Das klingt nach Abschied“, stellt Chris traurig fest, sieht mich mit zweifelnden Augen an.
 

„Nein“, wehre ich ab. „Es ist ein Anfang.“
 

Noch einmal küsse ihn sanft. Ich ziehe es in die Länge, erlaube es ihm, seine Zunge mit ins Spiel zu bringen, schließe ihn fest in meine Arme und lasse ihn eine ganze Weile lang nicht los. Dann jedoch stehe ich auf, lächle ihn an und gehe.
 

---
 

„Ist er da?“, frage ich Lars, der vor mir in der Tür steht.
 

„Ja“, nickt er. „Hat sich schon seit einiger Zeit in seinem Zimmer verkrochen.“
 

„Ich geh zu ihm.“
 

„Ist gut“, meint Lars, lässt mich rein und verschwindet dann wieder zu seinem Zwillingsbruder vor dem Fernseher.
 

Ich schließe die Tür hinter mir, stelle meine Sporttasche ab, die ich noch immer bei mir habe und hänge meine Jacke auf einen freien Haken. Bevor ich nach Hause gehe, will ich unbedingt mit Thomas sprechen und endlich klären, was zwischen uns steht.
 

Außer ihm und den Zwillingen ist keiner zu Hause. Zunächst gehe ich in die Küche, klaue mir eine Tafel Nussschokolade aus dem Kühlschrank und gehe dann bis vor die Tür seines ehemaligen Zimmers. Einen Moment bin ich unschlüssig ob ich klopfen oder einfach so rein gehen soll. Ich entscheide mich schließlich für Letzteres und bin erleichtert, dass die Tür unverschlossen ist.
 

„Verschwindet ihr Nervensägen“, kommt es grummelig vom Bett her.
 

„Hab dir Frustschoko mitgebracht“, werfe ich ihm die Schokoladentafel auf den Rücken.
 

Ruckartig setzt er sich auf, wirft die Decke von sich unter der er sich vergraben hatte und starrt mich wie einen Geist an. Sein Mund steht offen, seine Haare sind zerzaust und im ganzen Raum herrscht furchtbar schlechte Luft. Ich gehe zum Fenster und öffne es, ziehe dabei die Vorhänge zurück und sammle die Schokolade vom Boden auf, wo sie undankbarer Weise gelandet ist.
 

„Bevor du irgendetwas sagst“, beginne ich schließlich. „Es tut mir leid.“
 

Wie ein Stromstoß geht ein gewaltiges Zittern durch Thomas’ Körper, dann springt er auf, ist mit zwei Schritten bei mir und reißt mich in seine Arme. Er presst mich so fest an sich, dass ich fast glaube mein Brustkorb zerbricht gleich in viele kleine Einzelteile, doch noch ehe dazu kommen kann, hat er mich losgelassen und mir ziemlich schmerzhaft eine runter gehauen.
 

„Das wird aber auch Zeit, Mann“, nörgelt er, reißt die Schokolade an sich die er mit wenig Mühe aus ihrer Pappe befreit und schließlich einen großen Biss davon nimmt.
 

„Das tat weh“, reibe ich mir die schmerzende Stelle auf meinem Kopf.
 

„Sollte es auch, Hornochse. Miesepeter, Idiot, Dummbolzen, Mistkerl, Bratze, Blage, dummer Kerl, Grobian, Holzklotz, Affengesicht… oh… Affenarsch…“
 

„Schon gut, schon gut“, wehre ich die Flut an Beleidigungen ab, sehe Thomas kritisch an, wie er in legeren Sportklamotten vor mir steht und wie ein kleiner Junge an seiner Schokolade herumkaut.
 

Keiner sagt irgendetwas. Schließlich lässt Thomas sich zurück aufs Bett fallen, während ich mich auf seinem Schreibtischstuhl platziere. Wie in alter Zeit sitzen wir uns so gegenüber, schweigen uns an, während allein unsere Blicke uns verraten, was in dem anderen vorgeht.
 

„Du hast mit Jamie gesprochen“, stellt er nüchtern fest.
 

„Hat er dir das gesagt?“, frage ich.
 

„Nein. Ich kann’s dir ansehen.“
 

„Das hast du schon immer gekonnt“, lächle ich schief.
 

„Na klar“, kommt es in aggressivem Tonfall zurück. „Ich bin ja auch dein Bruder.“
 

Einen Moment lang bin ich überrascht, aber dann lache ich ehrlich auf.
 

„Stimmt“, antworte ich schlicht.
 

Thomas ist verwirrt.
 

„Einfach so?“, fragt er. „Ohne ein wir sind aber nicht blutsverwandt?“
 

„Ja, einfach so.“
 

Thomas ist sprachlos. Die Tafel Schokolade ist aus seiner Hand gerutscht, liegt jetzt neben ihm auf dem Bett. Er starrt mich einfach nur an, fährt sich immer mal wieder durch die Haare, bis sich schlussendlich ein warmherziges Lächeln auf seinem Gesicht breit macht.
 

„Wow…“, haucht er. „Komm her.“
 

Ohne zu zögern stehe ich auf, setzte mich neben ihn aufs Bett, lehne mich an ihn und verschränke meine Finger mit seinen, als er mir seine Hand anbietet.
 

„Mann, wer hat das Wunder gewirkt?“
 

„Hm… die Zeit, denke ich.“
 

„Nur die Zeit?“, boxt mich Thomas in die Seite, zwinkert mir verschwörerisch zu, was mich lachen und den Kopf schütteln lässt.
 

„Na ja… Chris… hat vielleicht auch seinen Teil dazu beigetragen“, gestehe ich.
 

„Erinnere mich bitte daran, wenn ich den Kleinen das nächste Mal sehe, ihn Jesus zu nennen.“
 

„Hör auf“, brumme ich missmutig.
 

„Warum denn? Ich freu mich. Wirklich. So jemanden wie ihn hast du dringend gebraucht.“
 

„Hmpf“, mache ich nur, kann mir aber ein glückliches Lächeln nicht länger verkneifen. Es bricht einfach aus mir hervor und ich kann es nicht wegsperren. Thomas starrt mich verblüfft an, lacht irgendwann über meine vergeblichen Versuche es vor ihm zu verstecken und schließlich endet alles in einer gewaltigen Kabbelei.
 

Lachend liegen wir nebeneinander. Thomas dreht sich zu mir um, stützt seinen Kopf auf seiner Hand ab, blickt auf mich herunter. Sein Gesicht wirkt sorgenvoll.
 

„Du magst Chris wirklich?“, fragt er mich.
 

„Ja“, gebe ich zu. „Sehr sogar.“
 

„Das ist gut. Ich hab dich noch nie so glücklich erlebt.“
 

„Wirklich?“, hake ich nach.
 

„Wirklich“, bestätigt Thomas erneut. „Seit ich dich kenne, hast du nie so… so gestrahlt! Echt der Wahnsinn! Deine Augen leuchten richtig und… ich weiß auch nicht… du bist nicht so verkrampft wie sonst immer.“
 

Nachdenklich lehne ich mich vertrauensvoll an seine Brust, atme ruhig ein und aus. Thomas ist nicht wirklich sauer auf mich, dass weiß ich jetzt. Er versteht warum ich all diese Dinge tue, warum ich so garstig werde. Und viel besser als jeder andere weiß er auch, dass ich manchmal sehr viel Zeit brauche um gewisse Sachen zu verstehen.
 

„Es tut mir leid“, sage ich noch einmal.
 

„Ist okay. Brüder streiten sich ab und an“, wiegelt er ab.
 

„Thomas?“
 

„Hm?“
 

„Ich hab dich wirklich lieb. Sehr lieb“, flüstere ich, klammere mich an ihn und genieße die Geborgenheit in seinen Armen, als er sie um mich legt und wir uns gegenseitig halten, Trost und Vertrauen spenden.
 

„Ich dich doch auch, Dummchen“, haucht er. „Schön, dass du wieder da bist.“
 

„Ja“, ist alles was ich dazu noch sagen kann.
 

„Mum hat sich ganz schön Sorgen um dich gemacht. Hast du mit Jamie geredet?“
 

„Nein. Noch nicht.“
 

„Lass dir Zeit. Ich finde ihm tut es mal ganz gut, wenn du ihm nicht sofort nachläufst“, brummt Thomas grimmig, verstärkt seinen Griff um mich.
 

„Ich dachte du magst ihn.“
 

„Tu ich auch. Trotzdem ist er ein Idiot“, meint Thomas bestimmt. „Er hat ausgenutzt, dass er dir alles bedeutet und das nur weil er Angst davor hatte auf der Straße zu landen. Ich meine, er hat ganz genau gewusst was du durchgemacht hast und dann kommt er her und…“
 

Thomas gräbt seine Hände in mein Shirt, atmet einmal tief ein und aus, ehe er mich wieder los lässt. Scheinbar ist er wirklich sauer auf Jamie. Ich selbst habe das Ganze noch nicht wirklich durchschaut.
 

„Ich weiß nicht wie ich mit ihm umgehen soll“, gestehe ich sowohl ihm als auch mir ein, drehe mich seufzend auf den Rücken und verschränke die Arme hinter dem Kopf. „Irgendwie kapier ich nicht ganz was los ist.“
 

„Dabei kann ich dir nicht helfen. Ich schätze Jamie hat recht klare Worte dafür gefunden und jetzt ist es an dir was du daraus machst“, gibt Thomas leise zurück, rückt sich in eine aufrechte Position, platziert seine Hand locker auf meiner Schulter.
 

„Tatsache ist doch scheinbar, dass Jamie mich nicht so sehr liebt wie ich ihn. Vermutet habe ich das schon immer. Neu ist, dass Vater ihn nicht misshandelt hat“, fasse ich es einmal kurz zusammen. Es hilft mir, wenn Thomas mir einfach nur zuhört. „Das heißt ich werde mich wohl von dem Bild trennen müssen, dass ich von Jamie habe.“
 

Mein Bild von meinem kleinen Bruder… eine schwierige Sache, denn schließlich war es immer mein Traum gewesen mit Jamie zusammen zu leben, glücklich zu sein und nie etwas zwischen uns kommen zu lassen. Martina hat mich gestört, auch wenn ich gelernt habe sie zu akzeptieren, aber mich so komplett von Jamie zu trennen scheint mir unmöglich. Aber Jamie ist nun einmal nicht das was ich in ihm gesehen habe.
 

„Ich muss ihn neu kennen lernen“, sage ich leise.
 

„Wäre zumindest ein Anfang. Vielleicht solltet ihr euch noch einmal zusammensetzen und reden“, schlägt Thomas weiter vor und ich stimme dem nickend zu.
 

Als Marianne am späten Abend nach Hause kommt ist sie überglücklich mich zu sehen und kocht gleich in einem größeren Stil. Bernhard ist auf langen Fahrten unterwegs und so fällt das Abendessen mit den Zwillingen, Marianne, Thomas und mir sehr überschaubar, dafür aber umso liebevoller aus.
 

Keiner der vier lässt mich an diesem Tag nach Hause gehen und so schlafe ich, wie in alten Zeiten, mit Thomas zusammen in dessen Bett und kurz bevor ich mich endgültig hinlege, greife ich nach meinem Handy und schicke Chris eine letzte SMS:
 

„Für den Stern an meiner Seite: Danke“
 

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