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HOLLOW II

Bad Moon Rising
von

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Ground Zero

Mit einem schlagfertigen Prolog melden wir uns am Anfang des neuen Jahres zurück! Wir hoffen, dass ihr gut gerutscht und vor allem nicht zu verkatert seid, um dieses Kapitel zu lesen!

Den ersten Teil des Soundtracks gibts natürlich auch schon:
 

The 69 Eyes - Lost Boys
 

http://www.youtube.com/watch?v=p4oRM6tC8PQ
 

Sehr gutes Lied das tatsächlich und ganz offiziell von Vampiren handelt. Eigentlich bezieht sich der Song auf den gleichnamige Film "Lost Boys" aber 1. ist der ziemlich scheiße und 2.trifft der Text auch zu 100% auf sämtliche HOLLOW-Charaktere zu.
 

enjoy ♥
 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*
 


 

Mit einem Krachen fiel die schwere Eisentür ins Schloss und schnelle Schritte hallten von den schmutzigen Wänden des Hinterhofes wider. Hinter der Tür wummerten gedämpfte Bässe.

In einer der vielen dunklen Ecken stand, die Arme um den Bauch geschlungen, eine schmale, komplett in schwarz gekleidete Gestalt.

Die Schritte verstummten.

„Kannst du mir erklären, was das sollte?“, fragte schließlich eine vor unterdrückter Wut zitternde Stimme. Die Person in der Ecke ließ die Schultern hängen und senkte den Blick.

„Ja spitze! Wie darf ich dein Schweigen jetzt deuten?“

„Ich habe dir eben schon versucht zu erklären, dass es nicht meine Schuld war!“, verteidigte sich eine zweite Stimme leise.

„Ja, natürlich war es nicht deine Schuld. Du hast diesen Kerl ganz aus Versehen geküsst, sicher!“

„Saga, bitte! Hör mir doch mal zu!“

„Ich hab dir lange genug zugehört!“

Noch bevor diese Worte verklungen waren, traf eine geballte Faust auf einen Wangenknochen.

Hizumis Kopf schlug mit einem dumpfen Knall gegen die Betonwand. Langsam quoll Blut aus der dadurch entstandenen Wunde und lief träge die rechte Schläfe hinab.

Benommen taumelte der Kleinere der beiden zurück. Sein Rücken berührte das nasskalte Mauerwerk. Der Vampir presste sich die Hand an den Kopf und blickte sein Gegenüber schweigend an.

„Du glaubst wohl du kannst dir alles erlauben, oder? Wieso tust du mir so was an?“

Sagas Stimme überschlug sich.

„Überleg mal, was du da gerade sagst. Wer tut in diesem Moment wem etwas an, mh?“, fragte der andere fast im Flüsterton.

„Halt endlich den Mund!“

Wieder traf ein Faustschlag Hizumis Gesicht. Diesmal war es die Unterlippe, die den Angriff abfing. Hizumi schmeckte Blut und spürte, wie die Wunde innerhalb von Sekunden anschwoll.

Während seine Lippe brannte und seine Schläfe schmerzhaft pochte, herrschte in Hizumis Kopf völlige Stille. Sein Verstand weigerte sich zur Kenntnis zu nehmen, dass er sich nun in der gleichen Situation befand wie schon einige Jahrzehnte zuvor.

Erst, als eine Hand sich um seinen Hals legte und ihm die Luft zuschnürte, erwachte er aus seiner Starre.

„Du bist Abschaum, Hizumi.“, zischte die sonst so warme Stimme hasserfüllt in sein Ohr. Mit einem Krachen landete der Braunhaarige auf dem Boden. Ein wahres Kreuzfeuer aus Fußtritten hagelte auf ihn hinab. Wimmernd schlang Hizumi die Arme um den Kopf, in der Hoffnung, wenigstens diesen Teil seines Körpers vor weiteren Verletzungen schützen zu können.

Er würgte, als ihn ein Tritt mit voller Wucht in den Bauch traf.

Nach einer gefühlten Ewigkeit endete der Angriff so schnell, wie er begonnen hatte.

Wieder erklangen Schritte, die sich in der kalten Nachtluft verloren.

Diesmal jedoch entfernten sie sich vom Ort des Geschehens.

Hizumi blieb allein zurück.

 
 

 

Karyus Fingernägel bohrten sich tief in die Haut seines Opfers.

„Jetzt pass mal auf, du kleines, missratenes Stück Hundescheiße!“

Mühelos hob der Blonde sein Gegenüber an und presste es gegen die Wand.

„Ich weiß ja nicht, was du dir bei dieser Aktion gedacht hast, aber was auch immer es war, es ist ein Grund für mich, dir das Hirn rauszuprügeln!“

Saga schnappte nach Luft und versuchte verzweifelt, sich aus Karyus eisernem Griff zu befreien.

„Ich hab die Kontrolle verloren! Ehrlich! Ich wollte ihm nie wehtun!“

„Das ändert nichts am Endergebnis!“ Karyu beugte sich nach vorn, sodass nun nur noch wenige Zentimeter zwischen seinem und Sagas Gesicht lagen. „Soll ich dir mal verraten, was du angerichtet hast mit deinem kleinen 'Ausraster'?“, flüsterte er heiser. „Du hast es zu verantworten, dass ich Hizumi heute Morgen halb tot aus einer Blutlache gefischt habe, weil er sich die Pulsadern aufgeschnitten hat. Mit einem Silbermesser wohl gemerkt. Keine halben Sachen. Wäre ich fünf Minuten später gekommen, dann wäre er jetzt tot.“

Sagas helle Augen weiteten sich panisch.

„Scheiße.“, hauchte er und senkte den Blick.

„Das kannst du laut sagen!“ Karyus schwarz lackierte Nägel gruben sich tiefer in Sagas Hals. „Am liebsten würde ich dich auf der Stelle in Stücke reißen. Aber das würde leider Konsequenzen mit sich bringen, auf die ich herzlich wenig Lust habe. Du hast Glück, dass Hizumi ein Idiot ist und immer noch an dir hängt.“

Saga fiel ein Stein vom Herzen, der jedoch beim bloßen Gedanken an Hizumis Selbstmordversuch mit doppeltem Gewicht zurückkehrte.

„Hör mir jetzt genau zu. Du wirst dich von Hizumi fernhalten, hast du mich verstanden? Solltest du auch nur ansatzweise in seine Nähe kommen, oder dich sogar erdreisten, mit ihm zu sprechen, dann vergesse ich alle meine guten Vorsätze und werde dich schlachten wie ein Schwein. Kapiert?“

Auf Karyus Zügen breitete sich ein kaltes Lächeln auf, in dem so viel Hass lag, dass es Saga einen Schauer über den Rücken jagte.

Er nickte schwach.

„Gut.“ Abrupt ließ Karyu den Jüngeren zu Boden fallen und wandte sich zum Gehen. „Denk dran, Saga. Ich halte meine Versprechen.“

Mit diesen Worten verschwand er in der Dunkelheit.

1095

Überaschung!

HA! Ich weiß genau, dass hiermit KEINER von euch gerechnet hat. Ein neues, langes, unangekündigtes Kapitel MIT Inhalt!
 

Einige werden sich sicher gefragt haben, wieso zur Hölle ich jetzt ein halbes Jahr lang nichts mehr geschrieben habe. Das lag zum einen daran, dass mein geliebstes Notebook vom Flexing-Fehler dahin gerafft wurde. Zum anderen hat mich mein Leben in den letzten paar Monaten permanent gefickt.

Allerdings hat das Leben vergessen, dass ich wesentlich besser im Bett bin.
 

Momentan ziehe ich mich also mehr oder minder an den eigenen Haaren aus der Scheiße und dieses Kapitel ist nach sechs Monaten, in denen ich wirklich NICHTS zu Stande bringen konnte, ein wahres Wunder.
 

Genug des Gesülzes.

Ich hoffe es gefällt euch.
 

Seid unbesorgt, die nächsten Kapitel werden kein halbes Jahr lang in der Mache sein! ;D
 

Achja.

Hier noch der passende Song:
 

Nine Inch Nails - Dead Souls

http://www.youtube.com/watch?v=3PDZC38doDM
 

Tolles Stück übrigens. Ein Hoch auf Trent Reznor!
 

enjoy ♥
 


 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*
 

Universität der Bildenden Künste, Campus ...
 

Buntes Laub fiel langsam und lautlos von den Bäumen. Der Wind trug ein vereinzeltes Blatt eine Weile durch die nass-kalte Luft, nur um es dann genau vor den Füßen eines augenscheinlich jungen Mannes wieder fallen zu lassen. Das Blatt fiel auf den Boden und blieb dort, seiner Natur vollkommen gemäß, liegen.

Hizumi schenkte dem einsamen Blatt keinerlei Beachtung.

Stattdessen schlug er die Seite seines mitgebrachten Buches um. Angestrengt versuchte er sich auf die Geschichte des Impressionismus zu konzentrieren, doch irgendwie konnten weder Farbmodule noch Kompositionslinien zu seinem überstrapazierten Gehirn vordringen. Hizumi gab schließlich auf und klappte das Buch mit einem lauten Seufzer zu. Er blickte sich auf dem Campusgelände um.

Kaum eine Menschenseele war zu sehen, nur einige vereinzelte Studenten huschten, angesichts der Herbstkälte bereits dick vermummt, über die Kieswege in Richtung Universitätsgebäude.

Gerade als Hizumi Anstalten machte, sich zu erheben, bemerkte er einen Blick im Nacken.

Langsam drehte der junge Vampir sich um und sah in die Augen einer kräftig gebauten Brünetten. Das Mädchen blinzelte ertappt und lief rot an.

„Ähm. Entschuldigen Sie die Störung.“, brachte sie stammelnd hervor. Hizumi erhob sich und schenkte der Studentin ein Lächeln. „Keine Panik, du störst nicht. Was gibt’s denn?“, fragte er so freundlich wie möglich, in der Hoffnung, sein Gegenüber ein wenig beruhigen zu können.

„Ich- wollte nur fragen, wann genau wir jetzt diese Hausarbeit abgeben müssen.“, kam die gestotterte Antwort.

„Nächste Woche Montag.“

„Achso, gut. Danke.“

Mit diesen Worten verschwand das Mädchen mit einer nicht zu verachtenden Geschwindigkeit. Hizumi runzelte die Stirn und sah seiner Schülerin kopfschüttelnd nach. Während er in aller Ruhe zum Universitätsgebäude zurück schlenderte, versuchte er sich zu erinnern, welche seiner Vorlesungen diese soeben Hals über Kopf verschwundene Gesprächspartnerin überhaupt besuchte. Ihr Gesicht war ihm völlig fremd gewesen.

Auch das scharfe Nachdenken brachte nichts außer zusätzlicher Verwirrung. In Momenten wie diesen war Hizumi froh über sein selbst entworfenes Korrektursystem. Da er momentan mehrere Vorlesungen für verschiedene Kurse hielt, konnte es leicht passieren, dass man bei dieser Vielzahl von Menschen und Themen, was die Hausarbeitskorrektur betraf, durcheinander kam. Hizumis Methode das zu vermeiden war genauso simpel wie sie wirkungsvoll war. Er wies schlichtweg alle seine Schüler dazu an, ihre Arbeiten an einem Montag abzugeben. So war die Gefahr einzelne Arbeiten, oder gleich einen ganzen Kurs, zu vergessen fast nichtig.

Dies war nur einer von vielen kleinen Kniffen, die sich Hizumi in seinem dritten Jahr als Dozent, oder viel mehr Universitätsprofessor an der staatlichen Akademie für Bildende Künste, ausgedacht hatte.

Das dritte Jahr.

Das dritte Jahr, das er hier, an einer ihm bis dahin fremden Einrichtung verbrachte, das dritte Jahr, in dem er nicht mehr als Student, sondern als Professor im Hörsaal saß.

Das dritte Jahr allein.

Drei Jahre.

Das waren ganze eintausendfünfundneunzig Tage.

1095 in Zahlen.

1095 Tage.

Potenzierte Einsamkeit.

Noch bevor Hizumis Gedanken in weitere Untiefen abschweifen konnten, rief er sich selbst zur Ordnung. Es machte keinen Sinn noch weitere Augenblicke an Vergangenes zu verschwenden.

Vergangenheit blieb vergangen, so sehr diese Erkenntnis auch schmerzen mochte.

Hizumi warf einen flüchtigen Blick auf seine Uhr. Es war kurz vor zwei. Um zwei begann seine Vorlesung.

Der Brünette schüttelte die erneut aufkeimenden Erinnerungen ab, straffte sich und begab sich in die sterilen Hallen der Lehranstalt.
 


 

Karyus Wohnung, ca. 14.00 Uhr ...
 

Im Schlafzimmer herrschte vollkommene Stille. Nur die zerwühlten Bettlaken auf dem Boden ließen auf die Ereignisse der letzten Nacht schließen. Auf dem Bett lag bäuchlings eine Person, die sehr leise und sehr zufrieden vor sich hin schnarchte. Vollkommen unbemerkt wurde die Schlafzimmertür geöffnet. Eine zweite Person betrat langsam und auf Zehenspitzen das Zimmer und näherte sich vollkommen lautlos dem Bett mitsamt Inhalt.

Schmale Hände strichen vorsichtig einige Blonde Haarsträhnen zur Seite. Der Schlafende schien von alledem nichts mit zu bekommen. Die Hände fanden ihren Weg in eine gewisse Jackentasche und beförderten zwei kleine würfelartige Gebilde an Tageslicht, die in Sekundenschnelle im hinteren T-Shirtkragen des Liegenden verschwanden.

Genau drei Komma fünf Sekunden später ertönte ein markerschütternder Schrei und Karyu fiel mit einem lauten Aufprall aus dem Bett. Noch in der Verwirrung stiftenden Phase des allmorgendlichen Dämmerzustandes gefangen, versuchte er extrem hektisch die beiden Eiswürfel aus seinem Oberteil zu schütteln. Dieser Vorgang gestaltete sich schwerer als erwartet, doch irgendwann löste sich das Problem wie von selbst, indem das Eis schmolz und nun nichts weiter zurück blieb, als ein großer Wasserfleck auf Karyus Oberteil. Vollkommen zerzaust und ziemlich durchnässt starrte der Blonde zum Bett, auf dem der Eiswürfel werfende Eindringling saß und zufrieden lächelte.

„Guten Morgen, Sonnenschein.“, sagte Zero und hob grüßend die rechte Hand.

„Du...“, murmelte Karyu leise und schälte sich aus seinem klebrig-nassen T-Shirt.

„Du!“, wiederholte er noch einmal, diesmal allerdings wesentlich lauter, die Stimme erfüllt von blankem Hass. Mit einem schnellen Satz war Karyu vom Boden aufs Bett, oder viel mehr auf die dort sitzende Person, gesprungen.

„Du blöder Penner kommst hier am frühen Morgen in meine Wohnung spaziert und wirfst mit scheiß Eiswürfeln! Hast du kein Leben oder was!?“, wetterte Karyu und schwang sich breitbeinig auf Zeros Brust, um diesen so bewegungsunfähig zu machen. Der Kleinere grinste breit und konnte sich ein Lachen nicht verkneifen.

„Karyu, wir haben zwei Uhr mittags. Das ist selbst für dich-“ Weiter kam der Jüngere nicht, denn ein nasses Stück Stoff wurde ihm ins Gesicht gepresst.

„Ist mir scheiß egal wie viel Uhr es ist, man!“

Karyu blickte reichlich mordlüstern auf sein Opfer hinunter.

„Das wirst du büßen!“, zischte Karyu.

„Hmpf!“, machte Zero.

Gerade als Karyu ausholte, um seinen vermeintlichen Freund und „Arbeitskollegen“ bis aufs Blut durch zu kitzeln, räusperte sich jemand in der Nähe der Tür. Irritiert wandte Karyu den Blick von Zero ab und starrte zur Schlafzimmertür. Im Türrahmen stand die Person, die Schuld an seinem Schlafmangel hatte.

„Darf man fragen was hier los ist?“, fragte die attraktive Blondine mit den wohlgeformten Brüsten und musterte Karyu. Der gab in der Tat ein eher bedenkliches Bild ab. Immerhin saß er, nur mit einem Paar schwarzer Boxershorts bekleidet, auf einem fremden Kerl, der wiederum murrend auf dem Bett lag und drückte ihm ein nasses Stück Stoff ins Gesicht.

„Ähm.“, war Karyus wenig geistreicher Kommentar zur eben gestellten Frage.

„Das ist doch krank. Echt mal. Das ist vollkommen krank!“, keifte die Blonde und schüttelte angewidert den Kopf.

„Ey. Stop mal! Ayu-...Aya-... Dingsbums! Nein warte! Scheiße, wie heißt du noch gleich?“ Auf Karyus Gesicht machte sich Verzweiflung breit und die gerade aufsteigende Depression veranlasste ihn sogar dazu, den Griff um Zeros Hals ein wenig zu lockern. Der nutzte Karyus kurzen Schwächeanfall und befreite sich von dem nassen Oberteil.

„Guten Morgen.“, sagte er höflich in Richtung Tür und winkte.

„Krank ist das!“, keifte es zurück.

„Jetzt lass mich doch mal erklären!“

„Krank!!“

Mit einem lauten Knall fiel die Tür ins Schloss und Aya-Dingsbums entfernte sich. Mit einem weiteren, diesmal gedämpften Krachen, wurde auch die Haustür gewaltsam geschlossen.

Nun herrschte Stille und Karyu glotzte ungläubig auf den Fleck, an dem eben noch seine momentane Bettgeschichte gestanden hatte. Plötzlich brach etwas die dramatische Stille des Momentes.

Zuerst nur ein leises, rhythmisches Schnauben. Das Schnauben entwickelte sich zu einem Glucksen und mutierte schließlich und endlich zu einem nicht zu verachtenden Lachanfall. Vollkommen überfordert lenkte Karyu seinen Blick auf Zero, der immer noch unter ihm lag und hemmungslos lachte. Ein seltener und gerade darum etwas befremdlicher Anblick.

„Wenn du nicht schon tot wärst, würde ich dich dafür jetzt umbringen.“, murmelte Karyu matt und erhob sich ächzend. Er verließ das Zimmer mit einem Genuschel, dem man mit etwas Fantasie die Worte „Arsch“, „Gulasch“ und „schwul“ entnehmen konnte.
 


 

Sagas/Tsukasas Wohnung ...
 

Saga lag auf dem Sofa und schwebte irgendwo zwischen Wachkoma und tödlicher Langeweile. Er warf einen Blick aus dem Fenster und stellte fest, dass einige vereinzelte Regentropfen vom Himmel fielen.

„Wieso regnet es in letzter Zeit eigentlich ständig?“, fragte er leise in den Raum leeren Raum.

„Weil wir Herbst haben, darum.“, folgte die unerwartete Antwort.

Saga drehte sich etwas erschrocken zur Tür. Ihm war vollkommen entgangen, dass noch eine zweite Gestalt den Raum betreten hatte.

„Seit wann bist du zurück?“ Saga stand auf um seinen älteren Bruder zu begrüßen, der im Flur herum stand und sich gerade seines schwarzen Mantels entledigte.

„Seit ungefähr einer Minute.“ Tsukasa hängte den Mantel an die Garderobe und machte sich nun daran, die dunkelbraunen Combat-Stiefel aufzuschnüren, die seine Füße vor dem toxischen Dreck der Großstadt schützen sollten. „Du siehst müde aus.“, bemerkte er mit einem kurzen Blick in Sagas blasses Gesicht.

„Bin ich auch.“, gab dieser Schulter zuckend zu. „Gestern Abend ist es spät geworden. Außerdem hab ich Hunger.“

Tsukasa nickte verstehend, warf die Schuhe in eine Ecke und begab sich in die Küche. Saga folgte ihm auf dem Fuße. Mit einem leisen Rascheln stellte Tsukasa seine mitgebrachte Umhängetasche auf den Küchentisch und zog einen mit Blut gefüllten Plastikbeutel heraus. Ein weiterer folgte, dann noch einer und noch einer.

Schließlich lagen insgesamt zehn Blutkonserven auf dem kleinen IKEA-Tisch.

„Bitte schön, frisch vom Fass, wenn man so will.“ Tsukasa grinste schief und ließ sich auf einen Küchenstuhl fallen. Aus seinen Augen sprach die pure Erschöpfung.

„Ich könnte jedes mal kotzen, wenn ich neues Blut besorgen gehe. Auch nach all den Jahren noch.“, murmelte er und starrte auf die dunkelrote Flüssigkeit, die fast schon zäh und vollkommen bewegungslos in den Beuteln lag.

„Tsukasa, mach dich nicht verrückt deswegen. Es sind Blutspenden, nichts weiter.“, versuchte Saga, der nun ebenfalls am Tisch Platz genommen hatte, zu argumentieren.

„Ja, Blutspenden, die für sterbenskranke Menschen vorgesehen sind. Dieses Blut soll Lebende vor dem Tod bewahren und nicht Tote am Leben erhalten.“ Während Tsukasa sprach bildete sich zwischen seinen Augenbrauen eine Falte. Saga kannte diese Falte nur zu gut. Sie entstand immer dann, wenn Tsukasa von Gewissensbissen geplagt wurde. Das schien in den letzten Wochen sehr oft der Fall gewesen zu sein.

„Und was glaubst du bringt dir dein schlechtes Gewissen jetzt?“, fragte Saga in die beklemmende Stille die sich über den kleinen Raum gelegt hatte hinein.

„Nichts, das ist ja das Beschissene daran.“

Tsukasa erhob sich und warf Saga eine Blutkonserve zu.

„Hier, iss was. Du kannst es gebrauchen, so wie du momentan aussiehst.“, sagte er und ging.

„Tsukasa, warte! Willst du nichts?“

„Ich hab keinen Hunger.“

Saga blinzelte und schaute zuerst auf den leeren Stuhl, auf dem sein Bruder bis eben gesessen hatte. Dann wanderte sein Blick zu der Blutkonserve auf seinem Schoß. Mit einem tiefen Seufzen nahm er den Plastikbeutel in die Hand und riss das dünne Material an einer der vier Ecken mit den Zähnen auf. Der Geruch von kaltem Blut stieg ihm in die Nase und vernebelte seine Sinne.

Gierig setzte er den Beutel an die Lippen und trank den gesamten Inhalt in einem einzigen Zug.
 

Während Saga seinen Blutdurst stillte, saß Tsukasa auf seinem Bett und starrte Löcher in die gegenüberliegende Wand. Sein Körper fühlte sich schwer und träge an und auch seine Gedanken flossen nicht so schnell wie sonst, sondern zogen nichts weiter als träge Schlieren, während sie sich unaufhörlich im Kreis drehten.

Für einen kurzen Moment dachte Tsukasa über sein bisheriges Leben nach. Zog man ein Résumé aus diesen fünfundzwanzig gelebten Jahren, wurde schnell klar, dass keines der gesteckten Ziele je wirklich erreicht worden war. Bezog man die sechs Jahre als Untoter mit ein, verfestigte sich diese Erkenntnis. Es war offensichtlich, dass Tsukasa unter der momentanen Situation litt. Bevor er sich jedoch in diesen speziellen Gedanken vertiefen konnte, öffnete sich leise die Tür und Sagas hell braune Augen schauten ihn sorgenvoll an.

„Du musst was essen, Tsukasa.“, sagte er leise und setzte sich zu seinem Bruder auf die Bettkante. Der Ältere schüttelte nur vehement den Kopf. Diese Reaktion löste bei Saga ein genervtes Seufzen aus.

„Das Thema haben wir in den letzten Jahren schon geschätzte zehntausend Mal diskutiert. Es bringt keinem von uns was, wenn du jetzt schon wieder anfängst die Nahrung zu verweigern. Du weißt wie es das letzte Mal ausgegangen ist.“ Saga schwieg für einen Moment und musterte Tsukasa eindringlich. „So was kann und will ich nicht noch mal miterleben.“, fügte er schließlich leise hinzu. Er hielt Tsukasa eine Blutkonserve vor die Nase. „Jetzt mach schon.“

Schweigend nahm der Ältere die Konserve entgegen, riss sie auf und setzte sie an die Lippen. Tsukasas Bewegungen wirkten seltsam mechanisch und als der letzte Tropfen Blut in seiner Kehle verschwunden war, warf er den leeren Beutel auf den Fußboden. Eine Weile saßen die beiden Geschwister stumm nebeneinander und lauschten dem Regen, der nun mit einem ungleichmäßigen Prasseln auf das Dachfenster über dem Schreibtisch aufschlug.

„Geht's dir jetzt besser?“, fragte Saga schließlich im Flüsterton.

Tsukasa nickte stumm.
 


 

Karyus Wohnung ...
 

Mit einem leisen Piepen machte die Kaffeemaschine auf ihr vollendetes Werk aufmerksam. Sorgfältig und genau darauf bedacht, keinen einzigen Tropfen dieses magischen Getränks zu verschütten, entfernte Karyu die Tasse aus der Halterung. Er setzte sich an den Tisch, nahm einen tiefen Schluck Kaffee und ignorierte Zero, der ihm gegenüber saß.

„Karyu, es gibt Arbeit.“, sagte Zero knapp und schielte kurz nach der Kaffeetasse, die sich momentan in seinem direkten Blickfeld befand.

„Vergiss es. Leute wie du bekommen von mir keinen Kaffee.“, knurrte Karyu und umklammerte seine Tasse mit beiden Händen. Eine kurze aber heftige Welle der Enttäuschung überschwemmte Zeros gelassene Züge.

„Selber Schuld. Du hättest mich auch liebevoller wecken können! Möglichst ohne meine momentane Freundin zu verschrecken!“

Zeros rechte Augenbraue hob sich wie durch Zauberhand.

„Deine Freundin?“

„Ja, meine Freundin.“

„Karyu.“, begann Zero geduldig. „Du wusstest nicht mal ihren Namen. Das ist im Normalfall die Mindestvoraussetzung für eine Beziehung, weißt du?“

„Ach scheiß doch auf ihren Namen! Hast du dir mal ihre Brüste angeguckt? Bei dem Anblick streikt das Gehirn! Also ihre Brüste, die waren-“

„Ganz wunderbar, ja. Wunderbare Brüste, wirklich.“, unterbrach Zero sein Gegenüber, das gerade voller Euphorie begonnen hatte ein paar Brüste pantomimisch darzustellen.

„Aber jetzt mal weg von Brüsten und hin zum Problem.“

Schmollend lies Karyu die Hände sinken und schlürfte provokant laut seinen Kaffee.

Zero ignorierte diese Geste gekonnt.

„Das Problem ist folgendes: Jemand ist verschwunden.“

„Aha. Und was haben wir damit zu tun? Es verschwinden ständig irgendwelche Menschen.“

„Ich rede nicht von Menschen, ich rede von Clanmitgliedern.“

Bei dieser Aussage wurde Karyu hellhörig.

„Wer?“

„Yuuto, der Typ mit dem Waffenladen. Du erinnerst dich?“

Karyu dachte angestrengt nach. Irgendwo in seinem Hinterkopf klingelte es. Allerdings war das dazugehörige Glöckchen überdeckt mit dem Gedanken an den weiblichen Körper und seine Vorzüge. Karyu schüttelte kurz den Kopf, und prompt rollte der imaginäre Frauenkörper zur Seite und zum Vorschein kam das Bild eines hageren Mittdreißigers, der eine besondere Liebe zu Schuss- und Stichwaffen aufwies.

„Ja, da klingelt was.“, sagte Karyu wahrheitsgetreu. „Ok, also der Kerl ist verschwunden. Das kann vorkommen, vielleicht hatte er genug vom Leben, oder hat sich irgendwohin abgesetzt.“

Zero schüttelte den Kopf.

„Nein. Tot ist er definitiv nicht, das hätte ich gemerkt. Seine Gedankenströme sind noch wahrnehmbar.“

„Alles klar, also schon mal nicht tot. Aber was dann?“

„Wir befürchten, dass er das Land verlassen hat und Informationen an gewisse radikale Organisationen weiter gibt.“

Karyu ließ die Kaffeetasse sinken.

„Woher willst du das wissen?“

„Wir sind schon seit einigen Tagen an diesem Vorfall dran und waren nicht ganz untätig. Es gibt Daten über einen gebuchten Flug nach Sankt Petersburg. One Way, wohlgemerkt. Er plant also nicht zurück zu kommen. Außerdem sind sämtliche Konten leer geräumt und die dazugehörigen Kreditkarten vernichtet. Er will also scheinbar nicht, dass man ihn durch Kontoabbuchungen oder Ähnliches findet. Wir waren in seiner Wohnung und haben mit dem Vermieter gesprochen. Er hat den Mietvertrag gekündigt, aber sämtliche Möbel und persönliche Gegenstände da gelassen. Scheinbar hat dieser Freak die ganze Sache schon länger geplant.“

In Karyus Augen, die Zero bis zum letzten Wort des Lageberichtes emotionslos angeschaut hatten, flackerte etwas auf.

„Ich will mindestens drei Einheiten haben die sich um ihn kümmern. Sämtliche Schläfer in und um Moskau herum sollen aktiviert werden. Wenn die ihn aufgabeln, dann wird die Ratte zurück nach Tokyo gebracht, ich werde mich dann persönlich um ihn kümmern.“, begann Karyu mit angespannter Stimme. „Und wenn ich den Wichser in die Finger bekomme, dann schlitz ich ihn auf und lass ihn seine Eingeweide fressen.“

„Drei Scharfschützen und ein Profiler sind momentan schon auf dem Weg nach Moskau, die Schläfer sind auch schon benachrichtigt. Er wird nicht weit kommen, denke ich. Selbst wenn er sich außerhalb von Moskau mit irgendeinem Informanten trifft kriegen wir ihn. Wir haben einige sehr begabte Seher da unten sitzen. Verschwendet er auch nur den kleinsten Gedanken an verräterische Infos, dann finden sie ihn.“

„Sorg dafür, dass der Rat heute Abend zusammen kommt. Wir müssen den Mistkerl stoppen, sonst kann es ungemütlich werden. Sollten interne Informationen an den verdammten Orden gelangen, sind wir geliefert. Dann suchen die sich hundert prozentig irgendwelche daher gelaufenen Krawallmacher und versuchen sich unser Revier unter den Nagel zu reißen.“

Zero nickte.

„Ja, die Befürchtung habe ich auch. Ich sage das nur ungern, aber wir sollten aufrüsten. Im übertragenen Sinne. Unsere Leute sollten wissen, dass es im schlimmsten Fall mächtig Ärger geben kann. Wir müssen vorbereitet sein.“, zog Zero in Erwägung.

Karyu schien angestrengt zu überlegen.

„Ich bin dafür, dass wir vorerst nur den internen Kreis informieren. Jeden, der irgendwie behilflich sein kann was konkrete Verteidigung betrifft. Wenn wir jetzt noch eine Massenpanik auslösen, können wir gleich das Handtuch werfen. Wir sind zwar verdammt viele, aber wenn wir nicht alle eine geschlossene Einheit bilden, dann ist es für die Russen kein Problem uns fertig zu machen.“

Zero wiegte den Kopf hin und her, dann entschied er sich zu einem Nicken.

„Wie du meinst. Ich werde allen Bescheid geben.“ Er erhob sich und schob den Stuhl zurück an den Tisch. „Wir sehen uns ja dann heute Abend.“ Zero klopfte Karyu flüchtig mit der Hand auf die Schulter und verschwand kurz darauf nach draußen, hinein in den Herbstregen. Karyu blieb zurück und starrte verbissen in seine Kaffeetasse.

Heute war wieder einer dieser Tage.

Ein Scheißtag.

Erst wurde man unsanft geweckt, dann hielt die Freundin einen für schwul und im nächsten Moment entpuppte sich ein langjähriges Clanmitglied als Informant des Feindes.

Außerdem regnete es.

Beschissen.

Karyu stürzte den restlichen Kaffee hinunter. Dann schlurfte er ins Badezimmer, um sich den restlichen Schlaf aus den Zügen zu waschen.

Mad World

Ich hoffe jetzt mal ganz spontan, dass Animexx das hier heute noch pünktlich freischaltet! Gestern fand ich leider keine Zeit mehr zum hochladen, da ich mit grölen, tanzen und pöbeln (public viewing) beschäftigt war~

An dieser Stelle übrigens mal ein liebevolles "Schlaaaaaaand!!!" an unsere Jungs. Die haben das gut gemacht, die alten Säcke! ò.oy
 

Nun zu wichtigen Themen:

Die Suche nach einem neuen Beta-Leser ist beendet:

Die Wahl fiel auf Rizuloid und Wakaremichi!

Herzlichen Glückwunsch, ihr seid jetzt Mitglieder einer sehr verwirrten, meist von Halluzinogenen beeinflussten und irgendwie asozialen Autoren-Truppe! ♥
 

Ich muss jetzt dazu sagen, dass mir die Auswahl unfassbar schwer fiel. Ich hätte nie gedacht, dass sich so viele melden würden. Es schmerzt mich im tiefsten Seeleninneren, dass ich nicht einfach alle nehmen konnte.

An alle die nicht genommen wurden: Ihr seid trotzdem ganz wunderbar! Falls ich nochmal Betas für andere Projekte suche, dann werde ich euch zuerst belästigen!
 

Nachdem hier jetzt mal wieder unsäglich viel steht und ich deswegen garantiert wieder Hass-ENSen von den Freischaltern bekomme, geht es jetzt mit dem nächsten Chap los:
 

Achja, das Lied!
 

Gary Jules - Mad World
 

http://www.youtube.com/watch?v=DR91Rj1ZN1M&feature=related
 


 

enjoy ♥
 


 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*
 


 

Hizumis Wohnung, 19.26 Uhr ...
 

Hizumis POV
 


 

Ziemlich missgelaunt ließ ich die Tür zu meiner Wohnung hinter mir zufallen. Meine Tasche warf ich lieblos in die nächste Ecke und mich selbst danach zielstrebig aufs Sofa.

Im heutigen Tag war definitiv der Wurm drin.

Keiner von diesen dicken, tollwütigen Würmern. Eher ein kleiner, schleimiger Wurm, der trotzdem, oder gerade deswegen nicht minder nervig war. Momentan ging mir alles, um es lapidar auszudrücken, ziemlich auf den Sack. Meine Kollegen nervten mich, meine Schüler nervten mich und der Kater nervte eh permanent.

Wie aufs Stichwort drang plötzlich ein quäkendes Miauen an mein rechtes Ohr. Ich rollte mich zur Seite und blickte vom Sofa aus auf den Boden. Der Kater hockte neben der Couch und funkelte mich wütend an. Um seinen Hass auf mich zu unterstreichen maunzte er kurz und aggressiv.

„Was denn?“, fragte ich und unterdrückte den Impuls das nervtötende Tier im Genick zu packen und gegen die Fensterscheibe zu werfen. Wieder gab Mr Kitty ein Maunzen von sich, diesmal lauter.

Mit einem entnervten Seufzer rappelte ich mich auf und ging zum Kühlschrank, aus dem ich eine Blutkonserve und eine Packung mit rohem Hackfleisch holte. Die Konserve warf ich auf mein Sofa, das Hackfleisch auf einen Teller. Ich stellte den blutigen Klumpen direkt vor die Nase meines antisozialen Katers. Der war undankbar wie immer und begann das rohe Fleisch zu fressen, ohne mir weitere Beachtung zu schenken. Nachdem die Bestie versorgt war, startete ich einen zweiten Versuch, meine wohlverdiente Ruhe zu genießen.

Wieder warf ich mich aufs Sofa und griff nach der Fernbedienung. Gerade als ich mich von Sinnlosigkeit zu Stumpfsinn zappen wollte, klopfte es an der Tür. Ich überlegte eine Sekunde und beschloss mich tot zu stellen. Ich hatte momentan keine Lust auf Besuch. Wieder klopfte es.

Ich blieb liegen und betrachtete gedankenverloren die Decke.

„Hizumi, mach die scheiß Tür auf. Ich weiß genau, dass du da bist, der Fernseher läuft.“

Verdammt.

Und ein weiteres Mal kroch ich vom Sofa, um die Haustür zu öffnen.

„Was denn?“, murmelte ich zur Begrüßung und warf Karyu einen anklagenden Blick zu.

„Jetzt guck nicht so. Lass mich rein, dann erklär ich dir alles.“

Ohne weitere Widerworte ließ ich Karyu eintreten. Widerstand war bei diesem Kerl eh zwecklos.

Karyu fläzte sich auf mein Sofa, ich tat es ihm gleich.

„Du siehst irgendwie fertig aus.“, stellte er fest.

„Tatsächlich? Na das sind ja Neuigkeiten.“

„Werd nicht patzig, Kleiner.“

Karyu sah mich streng an und schnipste mir mit dem Zeigefinger gegen die Stirn.

„Aua!“

Ich schlug Karyus Hand weg und rieb mir den Kopf. Womit hatte ich das verdient?

„Also, was willst du?“

Hoffentlich kam jetzt endlich mal etwas Licht ins Dunkel. Und hoffentlich verschwand Karyu nach der vollendeten Erleuchtung wieder. Ich brauchte Ruhe.

Dringend.

Und tatsächlich begann Karyu ohne weitere Widerworte zu berichten. Zuerst verstand ich nicht, worauf er hinaus wollte, doch dann dämmerte es mir.

„Du glaubst also es wird Krieg geben?“, fragte ich, nur zur Sicherheit, vorsichtig nach.

Karyu wiegte den Kopf bedächtig hin und her, dann antwortete er.

„Es ist unwahrscheinlich, aber es wäre möglich. Momentan ist unsere gesamte Gesellschaft der reinste Hexenkessel. Seit mein Bruder den Löffel abgegeben hat, kümmert sich keiner mehr um das ganze Pack. Der Orden ist scheinbar unfähig eine neue Regierung aufzustellen. Und jetzt will natürlich jeder noch so unbedeutende Clananführer diesen Posten.“

„Wieso nimmst du nicht seine Stelle ein? An dich trauen sie sich nicht ran.“, unterbrach ich Karyus Redeschwall. Als Antwort erhielt ich ein trockenes Lachen.

„Glaubst du ernsthaft ich habe Bock auf diese Freaks da unten? Ich kümmer mich doch nicht um den Dreck, den mein Bruder hinterlassen hat. Außerdem ist mir meine momentane Position wesentlich lieber.“

Ich nickte stumm. Die Lage schien wirklich ernst zu sein. Die ganze Sache roch für mich irgendwie nach Krieg im Untergrund der Untoten.

„Der Orden ist so gesehen aber nicht mal das größte Problem.“, fügte Karyu unvermittelt hinzu.

Ich wurde hellhörig.

„Wie meinst du das?“

„Sollte es wirklich einen Krieg zwischen den größten Clans geben, dann wird das nicht unbemerkt bleiben. Es wird massenweise Tote geben, sowohl auf unserer, als auch auf der anderen Seite. Ich glaube kaum, dass das vollkommen spurlos an den Menschen vorbeizieht. Sie werden verstehen, dass Vampire keine reinen Fantasiegebilde sind. Natürlich werden sie deswegen Panik schieben und dementsprechend reagieren. Und ehe wir uns versehen haben wir hier viele kleine Tsukasas rumlaufen, deren einziger Lebensinhalt die Vampirjagd ist.“

Vollkommen überfordert lauschte ich Karyus beängstigenden Prophezeiungen. Meine Zähne bissen ungefragt auf meiner Unterlippe herum.

„Scheiße.“

Dieses Wort beschrieb meiner Ansicht nach die Situation am ehesten.

„Das kannst du laut sagen.“

Karyu seufzte und ließ sich tiefer in die Sofapolster sinken. Er warf mir einen flüchtigen Blick zu. Offenbar bemerkte er, wie sehr mich sein Vortrag verstört hatte.

„Jetzt mach dir mal nicht ins Hemd. Bis jetzt ist alles nur Spekulation. Ich bin ziemlich sicher, dass wir unseren Verräter finden, noch bevor er überhaupt eine Chance bekommt auch nur das kleinste Wörtchen über uns zu verlieren.“

„Heute ist echt ein Scheißtag.“

„Ja, genau das gleiche hab ich heute Morgen auch gedacht.“
 


 

Tsukasa stand auf dem Dach und rauchte.

Die blauen Dunstwolken die dabei seinen Mund verließen schwebten einige Sekunden in der kalten Nachtluft, dann verflüchtigten sie sich ins Nichts. Der Oktoberwind zerrte an Tsukasas Haar und ließ ihn frösteln. Der verregnete Tag war einer mindestens genauso verregneten Nacht gewichen.

Trotz der Kälte fühlte sich der ehemalige Vampirjäger hier oben wesentlich wohler als in der nur wenige Stockwerke tiefer gelegenen Wohnung. Hier oben hatte man seine Ruhe. Hier nervte keiner.

Schon gar nicht nachts.

Das betonierte Flachdach des modernen Hochhauses war eine von Tsukasas raren Zufluchtstätten. Da sein Blutdurst es fast unmöglich machte zu geregelten Tageszeiten die Stadt zu besuchen, kam er oft hier hoch, um ein wenig Luft zu schnappen. Tsukasa ging eine Weile im Kreis, dann stellte er sich vor das Geländer, das den gesamten Rand der Dachfläche umgab. Eine Weile betrachtete er regungslos das bunte Lichtermeer, das gute fünfzig Meter unter ihm pulsierte.

Der Vampir legte eine Hand auf das Geländer und fröstelte. Der Stahl war eiskalt.

Er zögerte und beugte sich ein Stück über die Absperrung. Unter ihm klaffte der Abgrund.

Das Geländer.

Ungefähr zwei kleine Schritte.

Fünfzig Meter Luftlinie.

Dann Beton.

Tsukasa ließ die Zigarette los und sah zu, wie die Schwerkraft sie mit sich riss.

Sachte legte er nun auch die zweite Hand auf das hüfthohe Geländer. Ohne einen weiteren Gedanken zu verschwenden, schwang Tsukasa sich mit einem Satz über die obere Metallstange. Seine Füße berührten den Boden hinter der Absperrung. Noch immer pfiff der Wind gnadenlos über das Flachdach und peitschte ihm die Regentropfen wie kleine Geschosse ins Gesicht.

Langsam löste Tsukasa seine Hände vom Geländer. Er richtete sich gänzlich auf und blickte auf den Boden, der nun gefühlte tausend Meter unter ihm lag.

Er schloss die Augen.

Plötzlich griff eine Hand nach seiner Schulter.

Erschrocken fuhr der Brünette zusammen und drehte sich ruckartig um. Der Blick zweier panisch geweiteter Augen haftete an ihm.

„Was machst du da?“, flüsterte Saga. Seine Stimme klang ungewöhnlich heiser.

Tsukasa schüttelte die Hand ab und schwang sich ein zweites Mal über das Geländer.

„Nichts.“, antwortete er knapp. „Rauchen, nichts weiter.“

Mit diesen Worten ging er an Saga vorbei zur Tür des Treppenhauses.

Saga blieb reglos stehen und starrte fassungslos auf die Stelle, an der noch bis eben sein Bruder gestanden hatte.
 


 

Hizumis Wohnung, ca. 23.00 Uhr ...
 

Hizumis POV
 

Ich konnte nicht schlafen.

Nachdem ich mich die letzte Stunde über hin und her gewälzt hatte, lag ich nun platt auf dem Rücken und starrte die weiße Zimmerdecke an.

Ich hielt den Atem an und lauschte in die Dunkelheit.

Hinter der großen Fensterfront lärmte irgendwo die Straße und immer wieder zuckten verkrümmte Schatten über die Zimmerwände. Wenn man sich ein wenig Mühe gab konnte man hören, wie draußen der Regen auf dem Asphalt aufschlug. Eine Zeit lang lag ich also reglos da und lauschte den Geräuschen der Nacht, dann bemerkte ich, dass mir kalt war. Fröstelnd rollte ich mich auf die Seite und zog mir die Bettdecke bis zum Kinn. Ich rollte mich ein und schloss die Augen, in der Hoffnung endlich etwas Schlaf zu finden.

Doch während die eine Gehirnhälfte versuchte meinen Körper zum Schlafen zu bewegen, lief die andere Hälfte Amok. Mit schwirrten unzählige Gedanken durch den Kopf, ein undurchschaubares Wirr-Warr vergangener Jahrhunderte. Verblassende Bilder aus einem anderen Leben, dem Leben als Mensch, zuckten durch meinen Schädel. Erinnerungen an meine erste Familie. Erinnerungen an meine zweite Familie. Erinnerungen an den Tod beider Familien.

Ich dachte über meine momentane Situation nach, dachte an Karyu und an das was er mir heute erzählt hatte. Ich dachte an Zero und fragte mich, ob er sich, sechs Jahre nach Toshiyas Verschwinden, noch immer schlecht fühlte. Schließlich dachte ich an Saga. Mit diesem Gedanken ging das altbekannte Ziehen in der Magengegend einher. Auch nach drei Jahren hatte ich die Trennung noch nicht verkraftet. Ich hasste mich regelrecht dafür, ihn nicht einfach vergessen zu können. Seit dieser einen verhängnisvollen Nacht im Hinterhof eines Nachtclubs hatte ich ihn nur ein einziges Mal gesehen. Es war der pure Zufall gewesen. Ein flüchtiger Blick, irgendwo im Halbdunkeln des Treppenhauses. Er schien auf dem Weg in seine Wohnung zu sein, ich verließ gerade Karyus vier Wände. Im Endeffekt war es erstaunlich, dass es nur bei diesem einen nichtigen Treffen blieb. Immerhin wohnten Tsukasa und Saga nur wenige Türen von Karyu entfernt.

Obwohl unsere Blicke sich nicht länger als eine Sekunde trafen und obwohl ich direkt danach das Weite suchte, konnte ich diesen Moment nicht vergessen.

Auch die Folgen dieses Augenblicks würden noch lange, wenn nicht sogar für immer, auf meinem Körper zu sehen sein.

Je länger ich über Saga nachdachte, desto wacher wurde ich. Etwa eine halbe Stunde hing ich also noch meinen Gedanken nach, dann hielt ich es nicht mehr aus und schälte mich aus meinem Bettzeug. Etwas unwillig schwang ich die Beine aus dem Bett und setzte die Füße auf den nachtkalten Holzboden. Nun wusste ich nicht wirklich, wie ich weiter verfahren sollte. Fürs erste entschied ich mich dazu, die Treppe hinunter zu gehen. Planlos stand ich also mitten im Wohnzimmer herum. Schließlich und endlich ließ ich mich direkt vor die große Panoramascheibe auf den Boden fallen und sah hinaus auf die Lichter der Stadt.

Die vielen Lichter deprimierten mich, denn sie waren Zeugen eines Lebens das ich nicht mehr besaß. Ich zog die Beine an, legte den Kopf auf meine rechte Kniescheibe und dachte über den Sinn von Leben und Tod nach. Wenn der Tod, so wie viele Menschen sagten, nichts weiter als „der verborgene Teil des Weges“ war, wo war ich dann?

Du bist vom Weg abgekommen und hast dich verirrt, dachte ich verbittert. Verirrt in dieser absurden Parallelwelt, irgendwo zwischen den Fronten von Leben und Tod. Eine nutzlose Existenz im Schwebezustand, nichts weiter.

Ich wünschte mir Halt.

Halt, der mich davor bewahrte vollkommen die Kontrolle zu verlieren. Halt, der mich auf den Boden der Tatsache zurückholte und all diese Gedanken erträglicher machte.

Etwas, das mich zusammen hielt.

Das Hupen eines Autos riss mich letztendlich aus meiner Starre.

Erschöpft schloss ich die Augen, lauschte dem Regen und versuchte gleichzeitig zu vergessen über was ich in dieser Nacht nachgedacht hatte.
 


 

Sagas POV
 

Noch immer stand ich reglos an der gleichen Stelle. Regentropfen schlugen mir ins Gesicht und verfingen sich in meinen Haaren. Ich fühlte mich nicht in der Lage den Blick von dieser einen speziellen Stelle direkt am Rande des Daches zu lösen. Diese eine Stelle, an der mein großer Bruder eben gestanden hatte.

Mir war schlecht.

Vergeblich versuchte ich meinen Körper dazu zu animieren sich endlich vom Fleck zu bewegen und endlich zurück in die Wohnung zu gehen. Meine Knie fühlten sich so weich an, dass ich befürchtete, auch nur beim kleinsten Schritt sofort Bekanntschaft mit dem Boden machen zu müssen. Ich konzentrierte mich auf die Wassertropfen, die schon seit geraumer Zeit träge über mein Gesicht rannen und letztendlich vom Stoff meines Pullovers aufgesogen wurden.

Endlich schaffte ich es, meine Beine dazu zu animieren mich zurück ins Treppenhaus zu tragen. Ich wankte die Stufen hinunter, bis zur Wohnungstür. Sie war angelehnt.

Zögernd betrat ich den Flur. Es war stockfinster, nur unter Tsukasas geschlossener Zimmertür fiel ein fahler Lichtstrahl hindurch. Ich schluckte schwer und fuhr mir flüchtig mit der Hand übers Gesicht, hauptsächlich um die verdammten Regentropfen los zu werden.

Dann klopfte ich an.

„Ja?“, klang es gedämpft durch das dünne Holz der Tür. Ich drückte die Klinke hinunter und merkte erst jetzt, dass meine Hände vor Kälte schmerzten. Das unangenehme Gefühl in den Fingerspitzen ignorierend trat ich ein. Tsukasa lag auf seinem Bett und schien in ein Buch vertieft zu sein.

„Hey.“, stammelte ich blöde.

„Hey.“, gab er tonlos zurück.

So, jetzt war ich also hier.

Stand klatschnass mitten im Raum und hatte nicht den geringsten Hauch eines Plans.

„Tsukasa, was sollte das eben?“, versuchte ich nun das klärende Gespräch zu beginnen.

„Was sollte was?“, fragte er und schaute mich groß an. Ich biss mir auf die Lippen.

Diese gespielte Unwissenheit in Tsukasas Stimme machte mich einerseits vollkommen fassungslos, andererseits fast schon wütend.

„Das weißt du genau.“

Daraufhin schwieg er und musterte mich eindringlich.

„Geh jetzt schlafen, Saga. Es ist schon spät.“

Ich spürte wie mein rechter Mundwinkel zuckte. Hinter meiner Stirn arbeitete es. Momentan befasste sich mein Gehirn gänzlich damit diese Situation zu verstehen. Es kam jedoch zu keinem Ergebnis. Also versuchte ich in meiner aufkeimenden Verzweiflung einen zweiten Anlauf.

„Tsukasa, bitte! Wenn du irgendein Problem hast, dann rede mit mir!“

„Es gibt nichts zu reden. Gute Nacht.“

Ich starrte meinen Bruder an und war fassungslos. Erst ein einziges Mal hatte ich mich bis jetzt so macht- und vor allem hilflos gefühlt.

„Das kann doch nicht dein Ernst sein...“, stotterte ich.

„Doch, das ist es. Raus jetzt.“

Tsukasa richtete sich auf und kam mir entgegen. Er streckte die Hand aus und machte Anstalten meine Schulter zu berühren.

„Geh jetzt bitte.“

Ich wich zurück und schlug seine Hand weg.

„Jetzt fang nicht schon wieder so an! Wenn du unbedingt willst, dass ich gehe, dann geh ich! Aber glaub ja nicht, dass ich auch nur einen Tag länger auf dieser Erde verbringe, wenn du vorhast dir irgendwas an zu tun!“ Meine Stimme überschlug sich und ich konnte meine Hände nicht daran hindern unkontrolliert zu zittern.

"Saga, jetzt beruhige dich.“

„Nein, verdammt! Wieso soll ich mich beruhigen?!“

„Weil du verwirrt bist, darum.“

„Scheiße nochmal! Wer von uns beiden ist hier verwirrt? Wer von uns beiden stand denn gerade auf dem scheiß Dach und hat sich auf den Sprung vorbereitet?“

Während ich meinem Bruder diese Worte ins Gesicht schrie, stand er nur stumm da und musterte mich mit dem gleichen besorgten Blick, mit dem er mich seit ich denken konnte regelmäßig bedachte.

„Saga, es war nicht das wonach es aussah.“, versuchte er mich mit ruhiger Stimme zu beschwichtigen.

„Ach nein? Was war es dann?“

Tsukasa schwieg. Ich stand da und wartete auf die erlösende Antwort.

Sie kam nicht.

Plötzlich bemerkte ich, dass meine Wangen feucht waren. Für einen kurzen Moment hielt ich die Nässe für übrig gebliebene Regentropfen, erst dann wurde mir bewusst, dass ich heulte.

„Das ergibt doch alles keinen Sinn.“, flüsterte ich zu mir selbst.

„Nicht alles hat Sinn. Diese Welt hier ist viel zu krank und viel zu verrückt, als dass alles einen konkreten Sinn ergeben könnte.“

Tsukasa packte mich an der Schulter, zog mich an sich und nahm mich in den Arm. Ich ließ es zu.

„Wir können morgen darüber reden, ok? Jetzt solltest du erstmal schlafen, du bist ja völlig von der Rolle.“ Wie immer wirkte Tsukasa Stimme beruhigend auf mich. Ich ließ meinen Kopf an seine Schulter sinken und schloss die Augen.

„Du darfst mich nicht einfach allein lassen. Du bist alles was ich noch habe.“, wisperte ich und wunderte mich über den seltsam heiseren Klang meiner eigenen Stimme. Tsukasa seufzte tief.

„Ich lass dich nicht allein.“

„Versprochen?“

Er zögerte einige Sekunden.

Dann nickte er.

Headache

Ich wäre dann auch mal wieder da.

Hier das neue Kapitel. Ich prophezeie in all meiner Weisheit, dass dieses Chap sehr Zero-lastig sein wird und nächste Woche Samstag Weltuntergang ist.
 

Der Song hierzu ist übrigens "Fuck Authority" von Pennywise (Auf welchen Chara der sich bezieht dürfte wohl klar werden)

Dieses Stück hat eine ganz spezielle Bedeutung für mich. Es erinnert mich ziemlich hart an meine frühere Jugend.

Jaja, damals in der Dorfpunk-Szene...

Der erste Vollrausch, die ersten Piercings, die ersten semi-kriminellen Machenschaften und asoziale Freunde.

Vollrausch und Machenschaften verzogen sich, die linke Einstellung und die Vorliebe für Punk blieb. Die asozialen Freunde natürlich auch.

So.

Genug Gefühlsduselei.

Los jetzt!
 

http://www.youtube.com/watch?v=H-Yihs6S0Ac
 

enjoy ♥
 

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Zeros Villa, 09.36 Uhr ...
 

Zeros POV
 

Ein fahler Sonnenstrahl kämpfte sich durch die herbstgraue Wolkendecke. Unaufhaltsam und stur bahnte er sich seinen Weg durch Wasserdampf, schwebende Schmutzpartikel, kahle Äste und schließlich auch durch die Fensterscheibe. Prinzipiell hätte ich ihn für diese Meisterleistung bewundern sollen. Leider machte der Strahl den großen Fehler, auch meine am Vorabend sorgsam zugezogenen Vorhänge zu umgehen. Als sei diese Tat nicht schon Frevel genug, besaß er auch noch die Dreistigkeit, mir frontal ins Gesicht zu scheinen.

Ich ächzte und grabschte blind nach einem meiner Kopfkissen. Meine Hand fand ein rotes Samtkissen. Ich nahm es und drückte es auf mein Gesicht.

Mein Schädel brummte.

Gerade als ich versuchte wieder zurück ins Traumland zu kehren begann auf dem Fenstersims etwas zu piepen.

Ein Vogel.

Ich versuchte ihn zu ignorieren.

Das Tier schien jedoch, trotz Ignoranz, nicht sonderlich daran interessiert, dass ich meinen Kater ausschlafen wollte. Es stimmte nun sein Morgenlied an. Ein Presslufthammer neben dem Bett hätte nicht störender sein können. Wieder suchte ich nach einem Kissen. Keine Minute später knallte das mit Federn gefüllte Stoffsäckchen mit voller Wucht an die Fensterscheibe.

Ich hoffte inständig, dass der bescheuerte Vogel diese Botschaft verstand.

Eine Weile blieb es ruhig, dann begann das Gezwitscher von neuem. Diesmal lauter.

Entweder handelte es sich hier um einen ziemlich blöden Vogel, oder um einen ausgekochten Anarchisten, der sich daran aufgeilte, mir den Morgen zu versauen.

Nachdem ich mich nun mental derart aufgeregt hatte war ich wach. Ächzend rollte ich mich aus dem Bett und schlurfte zum Fenster. Mein Kopf quittierte die plötzlichen Bewegungen mit einem schmerzhaften Pochen. Vorsichtig schob ich den Vorhang zur Seite. Auf meinem Fenstersims hockte doch tatsächlich dieses fette Rotkehlchen und schrie die Nachbarschaft zusammen.

Ruckartig riss ich das Fenster auf. Die Glasscheibe traf den Vogel, der fiel vom Sims und segelte einige Meter nach unten. Gerade als ich eine Freudenarie anstimmen wollte, da ich sicher war dem nervigen Geschöpf den Garaus gemacht zu haben, fing sich das Tier wieder und flog, nicht ohne mir einen bösen Blick zuzuwerfen, davon.

Ich zuckte mit den Schultern.

Wenn er schon nicht tot war, dann hatte er doch wohl wenigstens eine Gehirnerschütterung.

Sein Schädel würde sich dann wohl in etwa so anfühlen wie meiner.

Das geschah ihm recht.

Ein zufriedenes Grinsen schlich sich auf mein Gesicht. Die nächste Kopfschmerzwelle fegte es allerdings wieder fort.

Im Schneckentempo verließ ich mein Schlafzimmer und schlich die Treppe hinunter. Vielleicht fand sich in der Küche ja etwas das diesen verdammten Kopfschmerz linderte. Auf dem Weg in die Küche passierte ich die geöffnete Wohnzimmertür. Ein leises Geräusch brachte mich zum Stehen.

Stirnrunzelnd spähte ich ins Wohnzimmer und wünschte mir noch im selben Augenblick es nicht getan zu haben.

Etwas lag auf meinem Sofa.

Etwas, das im wachen Zustand wesentlich schlimmer war als alle fetten, grölenden Rotkehlchen dieser Erde zusammen.

Auf Zehenspitzen ging ich also nun zu dieser schlafenden Gestalt und kniete mich neben sie.

Ich streckte die Hand aus und packte mit spitzen Fingern eine der wirr herumliegenden, blonden Haarsträhnen. Vorsichtig zog ich daran.

Keine Reaktion.

Ich zog fester. Ein leises Grummeln von irgendwo unter dem Haarwust war zu hören. Dann begann die Kreatur leise und zufrieden zu Schnarchen. Unwillkürlich hob sich meine rechte Augenbraue.

War das zu fassen?

„Karyu! Aufstehen! Frühstück!“, brüllte ich zu der Stelle des Haarbergs hin, an der sich möglicherweise ein Ohr befand.

Innerhalb von Sekunden saß das blondierte Ungetüm kerzengerade und vollkommen verwirrt auf dem Sofa. Karyu blinzelte aus kleinen Augen durch die Gegend und fuhr sich mit seinen Spinnenfingern durch die hoffnungslos zerzausten Haare. Momentan erinnerte er mehr an einen Wischmopp, als an ein humanoides Wesen.

„Mh?“, antwortete er und zog die Stirn kraus.

„Aufstehen.“

Anstelle einer Antwort warf er mir einen hasserfüllten Blick zu und ließ sich zur Seite kippen. Der wollte doch tatsächlich weiter pennen! Ich musterte meinen ungebetenen Gast eine Zeit lang. Als er immer noch keine Anstalten machte sich zu bewegen entschloss ich mich härter durchzugreifen.

Die Kopfschmerzen ignorierend schwang ich mich aufs Sofa und hockte mich über mein schlafendes Opfer. Gnadenlos begannen meine Hände nun, Karyu in den Bauch zu pieken. Die Piekserei wurde schließlich und endlich zu einer ausgewachsenen Kitzelattacke.

Jetzt war er wach.

Definitiv.

„Zero! Lass das! Spinnst du, oder was?!“, fauchte es aus dem Haarberg.

Ungerührt kitzelte ich weiter und nutzte Karyus allmorgendliche Verwirrung voll aus. Ziemlich unkoordiniert schlugen zwei Hände nach meinen Oberschenkeln. Ich grinste gehässig.

„Ey geh runter von mir! Das ist voll schwul, weißt du das?“

Irgendwie war Karyu nun an ein Kissen heran gekommen, das er mir mit voller Wucht auf den Kopf schlug.

Volltreffer.

Da mir ohnehin schon der Schädel brummte, schaffte es dieses Manöver tatsächlich, mich kurz außer Kraft zu setzen. Diesen Moment nutzte die Blondine, um mich an der Hüfte zu packen und vom Sofa zu schubsen. Mit einem dumpfen Knall landete ich auf dem Holzboden.

Nun war es Karyu, der grinste. Ich warf ihm das Kissen ins Gesicht.

„Weißt du was wirklich schwul ist? Jeden Monat zum Frisör zu rennen und sich den Ansatz blondieren zu lassen. Das ist schwul. Oder ernsthaft darüber nach zu denken sich Extentions zu kaufen. Das ist auch schwul. Ziemlich schwul sogar.“ Ich lächelte Karyu süffisant an. Der verschränkte die Arme und kniff die Lippen zusammen. Das beeindruckte mich nicht im Geringsten. Darum setzte ich, um es gelinde auszudrücken, noch einen drauf.

„Außerdem hast du doch momentan eh nichts zu verlieren, man kann dich ruhig für schwul halten. Macht eh jeder. Immerhin hat deine Barbie sich ja auch aus dem Staub gemacht. Wie hieß sie noch gleich? Ach richtig. Aya-Dingsbums.“

„Mach so weiter und ich werf dich über die Schulter und lass dich da verhungern, du Gartenzwerg.“

„Es kann ja nicht jeder fähig sein aus der Dachrinne zu trinken, stimmt's?“

Wir starrten uns hasserfüllt an, dann begann Karyu zu grinsen. Ich hingegen setzte den arrogantesten Blick den ich im Repertoire hatte auf, während ich mir mein eigenes Grinsen angestrengt verkniff.

„Los jetzt, Blondie. Frühstück. Und Kopfschmerztablette.“

„Kopfschmerztablette hört sich gut an.“, murmelte Karyu während er sich vom Sofa aufrappelte.
 


 

Sagas Schlafzimmer, 09.40 Uhr ...
 

Sagas POV
 

Ich schaffte es kaum noch die Augen offen zu halten. Die ganze Nacht über hatte ich wach gelegen, irgendetwas in mir weigerte sich strikt einzuschlafen. So lag ich also noch immer bewegungslos auf der Matratze und starrte an die Decke. Draußen auf dem Flur hörte ich sich nähernde Schritte, die sich, kaum dass sie meine Zimmertür erreicht hatten, in gleich bleibendem Tempo wieder entfernten.

Tsukasa.

Wahrscheinlich auf dem Weg in die Küche zum frühstücken.

Während ich schon seit einigen Jahren ein Leben in der Dunkelheit führte, hatte er all die Jahre über seinen geregelten Tagesablauf beibehalten. Ich wusste bis heute nicht, wie er das durchstand. Er war nicht fähig tagsüber das Haus zu verlassen, weigerte sich aber trotzdem strikt den Tag zu verschlafen. Ich nahm an, dass dieses Verhalten ein letzter Versuch war, sich wenigstens etwas Menschlichkeit zu bewahren. Es war nur eine Frage der Zeit bis er aufgeben würde.

Meine Augen brannten und fühlten sich trocken an. Ich schloss sie für eine Weile, doch auch das änderte nichts an diesem unangenehmen Gefühl. Trotzdem hielt ich sie geschlossen.

Je länger ich herum grübelte, desto deutlicher wurden die zusammenhanglosen Bilder, die sich auf den Innenseiten meiner Lider abzeichneten. Ich dachte an dies und das. An alle, die mir bis jetzt begegnet waren und es geschafft hatten einen bleibenden Eindruck zu hinterlassen.

Eine einzelne Person nahm einen ganz bestimmten Platz in meinem Kopf ein. Gut versteckt und in die hinterste Ecke meines Bewusstseins gequetscht, stand die Kiste in der ich alle Erinnerungen an Hizumi aufbewahrte. Die Guten und die Schlechten.

Manchmal, in einem stillen Moment, fischte ich ganz bewusst einige dieser Gedankenfetzen aus dem Inneren der Kiste und ließ sie Revue passieren. Jedes Mal hinterließ die Erinnerung ein beklemmendes Gefühl. Trotzdem hätte ich mir wohl lieber die Hand abgehackt, als auch nur eine dieser Erinnerungen zu vergessen. Sie waren mir wichtig, so sehr es auch weh tat.

Mit ihnen konnte ich dem was ich verloren hatte nahe sein, wenn auch nur für den Bruchteil einer Sekunde.

Ich fragte mich, ob es Hizumi genauso ging.

Wahrscheinlich nicht. Ich bezweifelte stark, dass er mich nach alledem vermisste. Die Fakten, die ich in manchen Nächten von Freunden und Bekannten zu hören bekam, gaben mir Recht.

Im Großen und Ganzen ist die Vampirgesellschaft, trotz ihrer unterschiedlichen Clans und Sekten, ziemlich überschaubar. Kennt man eine Hand voll bestimmter Individuen, kennt man alle anderen. Und sei es über vier Ecken. Gerade deswegen verbreiten sich Tratsch und Gerüchte jedes Mal wie Lauffeuer. Man sollte kaum glauben wie extrem informationssüchtig die meisten mit den Jahrhunderten werden.

Eine dieser Informationen kam mir vor etwa einem Jahr zu Ohren. Ein Freund steckte mir eines Abends, dass Hizumi offenbar regelmäßig bei einem seiner flüchtigen Bekannten ein und aus ging. Offenbar gab es einige dieser „Bekanntschaften“. Meistens wechselten sie jedoch so schnell, dass selbst die größten Lästermäuler Mühe hatten auf dem neuesten Stand zu bleiben.

Ich gab mich unbeeindruckt, zuckte nur die Schultern und schwafelte etwas von „Nicht mein Problem.“ Mein Freund warf mir einen mitleidigen Blick zu, dann wechselte er das Thema.

Den Rest der darauf folgenden Nacht verbrachte ich damit, zu hause unter der Bettdecke zu liegen und die gesamte Welt zu verfluchen. In mir schwelte eine unsinnige und deshalb umso schrecklichere Eifersucht. Allein die Vorstellung, dass jemand Fremdes Hizumi berührte, machte mich rasend.

Das Schlimmste war, dass ich kein Recht hatte etwas dagegen zu unternehmen.

Ein tiefer Seufzer entwich meiner Kehle.

Es war zum Kotzen.

Ich brauchte dringend Ablenkung. Diese ständigen Grübeleien brachten mich eines Tages noch ins Grab.
 


 

Zeros Villa, ca. 10.00 Uhr ...
 

Mit hängenden Schultern hockte Karyu an Zeros Küchentisch und schlürfte seinen Kaffee.

„Lass das.“, murrte sein Gegenüber.

„Was denn?“

„Das Geschlürfe.“

Karyu hielt inne, und ließ die hellblaue Kaffeetasse ein Stück weit sinken. Er studierte Zeros Mimik sehr eindringlich und stellte fest, dass sein Freund ihn böse anfunkelte. Die Augenbraue stand in Angriffsstellung. Ohne den Blick von Zero zu abzuwenden, hob Karyu die Kaffeetasse im Zeitlupentempo wieder an die Lippen.

„Wag es nicht.“, knurrte Zero und beugte sich ein Stück weit über den Tisch.

Karyu starrte weiter und legte schließlich lautlos die Lippen auf den schmalen Keramikrand der Tasse. Eine spannungsgeladene Sekunde verstrich, in der beide die Luft anzuhalten schienen. Dann durchbrach ein ohrenbetäubendes Schlürfgeräusch die Stille.

„Karyu!“ Mit voller Wucht schlug Zero seinem Gegenüber mit der flachen Hand vor die Stirn. „Benimm dich nicht ständig wie ein Zwölfjähriger!“

Mit leisen Jammerlauten rieb Karyu sich den schmerzenden Kopf und sah beleidigt zu wie Zero in aller Stille seinen Tee trank.

„Nur weil du langweilig bist.“

„Ich bin nicht langweilig, ich bin vernünftig.“

„Ist dasselbe.“

Zero verdrehte die Augen und spülte mithilfe des Tees eine weitere Kopfschmerztablette hinunter. Die dritte an diesem Morgen.

„Eins sag ich dir. Wenn du mich nochmal dazu überredest ein paar Bierchen mit dir zu trinken, dann setzt es was.“, murmelte Zero monoton und rieb sich die rechte Schläfe.

Karyu zuckte daraufhin nur mit den Schultern und legte den Kopf leicht schräg.

Scheinbar dachte er nach.

Dann grinste er.

„Ich dachte du wärst vernünftig. Vernünftige Leute betrinken sich nicht hemmungslos. Auch nicht mit mir. Gehe ich Recht in der Annahme, dass du dich an nichts mehr erinnerst?“ Während er sprach knackte Karyu mit den Fingerknöcheln und stellte seine leere Tasse zurück auf den Tisch.

Er sah den Kleineren breit grinsend an.

„Vergiss es, Karyu. Ich kenne dich schon zu lange. Bei mir zieht der Trick mit dem besoffenen Sex nicht.“, antwortete Zero gelangweilt.

„Vielleicht war es dieses mal ja anders. Du wirst ganz schön anhänglich wenn du getrunken hast, weißt du das?“

„Ich werde höchstens müde. Ich könnte außerdem niemals so betrunken sein, dass ich mit dir in die Kiste springen würde.“

„Gestern Nacht sah das aber ganz anders aus.“

„Wenn du nicht willst, dass ich diesmal die Faust nehme, dann trinkst du jetzt deinen Kaffee und hältst den Mund. Die Kopfschmerzen an sich reichen schon, da muss ich nicht auch noch taub werden von deinem Gefasel.“ Er streckte die Hand aus und schnippte Karyu mit dem Zeigefinger direkt zwischen die Augen. Der wich zurück und rümpfte die Nase.

„Du bist echt langweilig.“

„Und du kämm dir mal die Haare.“

Dieser Satz brachte Karyu nun dazu, endgültig und unwiderruflich zu schmollen. Beleidigt verschränkte er die Arme und bedachte Zero von Zeit zu Zeit mit dem ein oder anderen bösen Blick. Der genoss währenddessen die plötzliche Ruhe und ging zum Kühlschrank, um sich eine frische Blutkonserve zu holen. Er riss die Tüte, wider seiner sonstigen kultivierten Gewohnheiten, direkt mit den Zähnen auf und leerte den Inhalt auf einen Zug. Etikette stand momentan ganz hinten an. Die Bewältigung des Kopfschmerzes ging vor. Als er zu ende getrunken hatte, setzte Zero sich wieder zu Karyu an den Tisch.

„Ich brauch Urlaub.“, murmelte der Ältere träge und wippte auf seinem Stuhl hin und her.

„Nicht nur du, mein Lieber.“

„Eigentlich haben wir nen scheiß Job.“

„In der Tat.“

„Wir sollten mal zusammen nach Hawaii fliegen.“

„Hawaii, ja. Zusammen mit dir, nein.“

„Immer verletzt du meine Gefühle! Du bist kalt und grausam!“

„Und du bist nervig und kindisch.“

Zero gähnte und ließ sich langsam nach vorn fallen. Mit einem leisen „Klonk“ traf seine Stirn auf die Tischplatte.

„Ich hab so in etwa gar keine Lust gleich mit den bescheuerten Anarchen zu reden.“, sagte er mit belegter Stimme. „Alles was die können ist Häuser anzünden und Schwarzgeld scheffeln.“ Zero hob den Kopf ein Stück und verschränkte die Arme unter dem Kinn. Zu seiner Überraschung nickte Karyu bestätigend.

„Ich find sie auch ätzend. Aber sie sind nun mal die einzige wirklich einflussreiche Sekte in der Umgebung. Gerade jetzt müssen wir uns mit ihnen gut halten. Sollte der ganze Scheiß hier eskalieren, dann haben wir immerhin einen starken Verbündeten.“

„Was machst du eigentlich in der Zeit, in der ich mit diesen abgedrehten Punks rede?“

„Ich werde herausfinden wo wir alle momentan stehen. Und vor allem ob es eine Spur von unserer russischen Ratte gibt.“

„Klingt fair.“

Die Beiden warfen sich einen deprimierten Blick zu und seufzten synchron. In Momenten wie diesen wünschte Zero sich einen geregelten Job. Gärtner vielleicht. Die waren den ganzen Tag über draußen in der Sonne, hatten ein geregeltes Einkommen das nicht indirekt durch Drogen, Auftragsmorde und Nutten finanziert wurde und durften außerdem schicke Sonnenhüte tragen.

Ja.

Gärtner zu sein war wohl wirklich cooler.

Ächzend erhob sich der brünette Vampir.

„Ich geh jetzt duschen und mach mich dann auf den Weg. Solltest du übrigens auch tun.“

„Du willst mich loswerden.“

„Stimmt.“

Mit diesen Worten verließ Zero die Küche und verschwand im Badezimmer.
 


 

Schrottplatz, 13.34 Uhr ...
 

Zeros POV
 

Da stand ich nun, die Hände in den Taschen und wartete auf Souta, den selbsternannten Anführer der Anarchen-Truppe. Die Anarchen waren ein Phänomen. Sie hatten ein tief greifendes Problem mit sämtlichen Regierungsreformen und befürworteten eine vollkommen autoriätslose Gesellschaft. Gleichzeitig handelte es sich bei dieser Sekte allerdings um ein System das in Sachen Organisation seinesgleichen suchte. Dieses paradoxe Verhalten war ein weiterer Grund für mich, Mitglieder dieser Truppe zu meiden. Zumal es sich bei einem Großteil der Anarchen-Anhänger sowieso um junge Vampire mit absurden Idealen handelte. Einige von ihnen schreckten auch vor sinnloser Gewalt nicht zurück.

Brachte man es auf den Punkt, dann hieß das, dass es sich um eine Bande punkrockhörender Halbwüchsiger handelte, die mit ihrer ewig andauernden Pubertät allen anderen auf den Sack gingen.

Im Gegensatz zu den meisten Sekten waren die Anarchen, wie eben schon angedeutet, eine relativ junge Bewegung. Erst gegen Ende der sechziger Jahre begannen sich die ersten Vampire zusammen zu rotten. Der damalige Grund war Hass auf die Regierung gewesen. Verständlich, wenn man an Blake und seine Machenschaften zurück dachte. Mittlerweile hatte sich die Sekte jedoch weiter entwickelt. Aus einer anarchistischen Kleingruppe war eine mächtige Untergrundorganisation geworden, die nur aus geschäftlichen Gründen Waffenstillstand mit dem Rest der Tokyoter Vampirwelt hielt. Vor Jahren hatte es eine Eskalation zwischen einer Anarchenbande und einigen jungen Vampiren aus Kyoto gegeben. Im Endeffekt hatte dieser Streit fünf von sieben Personen die Existenz gekostet.

Natürlich blieb die ganze Geschichte nicht ohne Folgen. Überall im Land kam es zu Bandenkriegen und Überfällen. Irgendwann sah also selbst Karyu ein, dass etwas getan werden musste. Aus diesem Grund schlossen er und Souta einen gewissen Vertrag ab. Eine Art offizieller Waffenstillstand, ein Handelspakt. Der Pakt zwang Souta dazu seine Meute in Schach zu halten, im Gegenzug gewährte Karyu ihm und dem Rest der Sekte Schutz vor Angriffen aller Art.

Trotz aller Anfangsschwierigkeiten schien der Plan aufzugehen, es wurde ruhiger. Nur noch ab und an hörte man von vereinzelten Schlägereien. Von ihnen war jedoch keine der Rede wert.

Doch auch dieser innenpolitische Erfolg änderte rein gar nichts daran, dass Souta ein riesengroßes Arschloch war.

Um ehrlich zu sein hatte ich keine Ahnung wie alt er genau war, äußerlich wohl kaum älter als neunzehn. Trotzdem legte dieser Typ eine Arroganz an den Tag, die nicht einmal ich aufzubringen vermochte.

Wie zur Bestätigung drang das Geräusch von Schritten an mein Ohr. Ich hob den Blick und sah, dass Souta mir entgegen kam. Ihm folgten zwei andere, vermutlich noch blutjunge, Vampire, die ich nicht kannte.

„Tagchen Zero.“, begrüßte er mich grinsend und klopfte mir auf die Schulter. Ich ignorierte diese Geste und nickte ihm zu.

„Guten Tag, Souta.“

„Also, was liegt an?“

„Zuerst einmal liegt an, dass wir diese Sache unter vier Augen besprechen. Deine beiden Schoßhündchen können gehen.“

Souta schob die Unterlippe vor und sah mich gespielt deprimiert an.

„Aber Zero, das sind doch meine Freunde.“

Ich bemühte mich ruhig zu bleiben. Genau diese Art verabscheute ich so sehr an ihm. Dieser permanente Versuch der Provokation. Doch ich ließ mich nicht von ihm aus der Bahn bringen. Dieser Triumph würde ihm verwehrt bleiben.

„Komm mit, wir gehen ein Stück.“, sagte ich an Souta gewandt. Seinen Begleitpersonen warf ich einen eindeutigen Blick zu. Ich bemerkte wie sie zusammenzuckten und sich hilflos anschauten.

„Also gut, ihr habt gehört was der alte Mann gesagt hat. Wartet hier auf mich, wird nicht lange dauern.“, säuselte Souta und machte eine verscheuchende Handbewegung. Ich setzte mich in Bewegung, er folgte mir.

„Was wollt ihr?“, fragte er schließlich unverblümt, nachdem wir um einen Berg rostiger Autos gegangen waren.

„Ich denke mal du wirst mitbekommen haben, dass wir kurz vor einem möglichen Krieg stehen?“

Souta entkam ein hämisches Lachen.

„Ja. Ihr steht vor dem Krieg. Ihr und eure Bonzengesellschaft. Was hat das alles mit uns zu tun?“, fragte er scheinheilig.

Ich brauchte gar nicht hinzusehen um zu wissen, dass er immer noch grinste. Langsam blieb ich stehen und drehte mich zu ihm hin.

„Ich werde dir sagen was das mit euch zu tun hat.“, begann ich nun mit ruhiger Stimme zu erklären. „Ihr lebt hier, genau wie wir. Bis jetzt war das alles hier eine schöne, mehr oder minder friedliche Koexistenz zweier vollkommen verschiedener Vampirgruppen. Aber soll ich dir was verraten? Wenn wir Krieg haben, dann juckt das keinen mehr. Am wenigsten die Russen. Glaubst du wirklich ihr seid die einzige Sekte die ein bisschen Anarchist spielen will? Ich verrate dir mal was. Außerhalb dieses Herrschaftsgebietes gibt es Gruppierungen die nur darauf warten Leuten wie euch den Arsch aufzureißen. Die interessieren sich einen Scheiß für eure Piercings, eure Schlagringe und eure blöden Sprüche. Die brechen euch das Genick noch bevor euch überhaupt ein Spruch einfällt.“

Mit großer Genugtuung sah ich, wie Soutas Gesichtszüge für den Bruchteil einer Sekunde entgleisten. „Du bist noch zu jung um begreifen zu können wie so ein Krieg zwischen Vampiren aussieht. Darum solltest du vielleicht ein einziges Mal dein unterstrapaziertes Gehirn einschalten und eine Entscheidung treffen. Die könnte dir nämlich sehr wahrscheinlich den Arsch retten. Also, was ist?“

Souta starrte mich aus zusammengekniffenen Augen an. Seine Springerstiefel kickten ein Stück Altmetall über den staubigen Schottergrund. Momentan erinnerte er eher an ein bockiges Kind, als an einen Anführer.

„Was forderst du?“

Na ging doch.

„Dasselbe wie immer. Ich fordere gegenseitigen Schutz. Sollte es zum Angriff auf euch kommen, werden unsere Leute mit allen Mitteln versuchen euch zu helfen. Umgekehrt erwarten wir also das gleiche. Mehr nicht. Es geht hier lediglich um Kooperation.“

„Ich könnte kotzen bei dem Gedanken euch geldgeilen Arschkriechern schon wieder in die Hand zu spielen. Ewig werdet ihr damit nicht durchkommen.“

Ein triumphierendes Lächeln umspielte meine Züge.

„Das werden wir dann sehen.“ Ich streckte die Hand aus und suchte Soutas Blick. „Also, sind wir uns einig?“ Mit einem angewiderten Schnauben ließ mein Gegenüber nun seinerseits die rechte Hand nach oben schnellen und schlug ein.

„Sehr schön. Dann bist du jetzt entlassen. Viel Spaß mit den Schoßhündchen.“

„Fick dich, alter Sack.“

Souta drehte sich um, zeigte mir zum Abschied den Mittelfinger und verschwand zwischen den Schrottbergen. Ein Seufzer der Erleichterung entfuhr mir. Was für ein Tag.

Erst Kopfschmerzen, dann nervige Vögel, dann Karyu und zu guter letzt noch ein dauerhaft pubertierender Sektenführer. Ich machte mich schleunigst auf den Nachhauseweg.

Immerhin wartete dort ein Bett auf mich.
 

Der Regen der gegen die Fensterscheiben prasselte riss mich aus meinen wirren Träumen. Im Halbschlaf griff ich nach meinem Wecker. Schon halb neun. Ich hatte tatsächlich den gesamten Nachmittag verschlafen. Es war ewig her, dass mir so etwas passiert war. Etwas benommen setzte ich mich auf. Immerhin waren die Kopfschmerzen verschwunden. Zumindest für den Moment.

Ich überlegte kurz, ob es wirklich sinnvoll war aufzustehen. Im Kopf machte ich eine kurze

pro-kontra Überschlagsrechnung. Die ergab im Endeffekt, dass ich genauso gut im Bett bleiben konnte. Karyu würde sich schon melden wenn es ein Problem gab. Ich ließ mich zurück in die weichen Kissen fallen und sah zum Fenster hinaus. Draußen war es bereits stockfinster. Ich mochte die Herbstmonate. Gerade die allgegenwärtige Melancholie, die die meisten Menschen so sehr an den grauen Tag hassten, hatte es mir angetan. Wenn die Tage dunkler wurden lag diese ganz besondere Atmosphäre über der Stadt ...

Ein Klopfen riss mich aus meinen Gedanken. Zweifelsohne mein Türklopfer. Ich blinzelte verwirrt und schaltete das Licht an. Wieder klopfte es. Leise fluchend verließ ich das warme Bett und zog mir eine Jeans und einen herumliegenden Pulli an. Wer auch immer das war musste mich nicht unbedingt in Unterwäsche die Tür öffnen sehen. Wahrscheinlich handelte es sich bei dem nächtlichen Besucher sowieso nur um Karyu. Dem würde ich was erzählen.

Wieder klopfte es. Diesmal lauter.

„Jaja, ich komm ja schon.“, murmelte ich leise. Als ich die Tür öffnete fuhr mir ein kalter Windstoß durchs Haar. Die Hand noch auf der Türklinke versuchte ich im Halbdunkeln zu erkennen wer da auf der Türschwelle stand. Ganz offensichtlich handelte es sich nicht um Karyu.

Die Haare meines Besuchers waren schwarz und nicht barbieblond.

„Wie kann ich Ihnen helfen?“, fragte ich, zugegebenermaßen,

Die Gestalt antwortete nicht, sondern schaute mich wortlos aus hellbraunen Augen an.

Plötzlich durchzuckte mich etwas wie ein Blitz.

„Toshiya?“

The Returning

Und tatsächlich mal wieder ein Kapitel.

Gibt nicht viel dazu zu sagen, außer, dass es übertrieben viele POV-Abschnitte enthält. Das wird sich wohl so schnell auch nicht ändern, da es so wirklich am leichtesten ist, die Gefühle der Protagonisten sinnvoll rüberzubringen. Ich setze einfach mal voraus, dass das keinen stört.
 

EDIT: Der Song wurde geändert! Und zwar zu recht. Ich dachte ja, dass "The Kill" passen würde. Tat's auch. Aber das hier passt nicht zu hundert, sondern zu tausend Prozent o.o Ich war selbst schon schockiert, als ich es heute nochmal gehört hab. Eindeutig Hizumis Lied!
 

Edguy - Forever
 

http://www.youtube.com/watch?v=JRnAo0j6UmM&feature=related
 

Hier die Lyrics.

Sollte man sich mal durchlesen.
 

http://www.sing365.com/music/lyric.nsf/Forever-lyrics-Edguy/917166CF41BB562B48256E72000C7DBF
 

enjoy ♥
 

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Zeros POV
 

Wie vom Donner gerührt stand ich da, die Hand noch immer auf der Türklinke. Mittlerweile hatte sich vor meinen Füßen eine kleine Pfütze gebildet. Ich schenkte ihr keinerlei Beachtung.

Meine volle Aufmerksamkeit konzentrierte sich momentan auf die Person im Türrahmen.

„Hallo.“, hauchte Toshiya leise. Seine Stimme klang heiser. Ganz anders als in meiner Erinnerung.

Mir fehlten die Worte. Meine Gedanken überschlugen sich und ich war nicht fähig zu antworten. Ihm schien es ähnlich zu gehen.

Wir standen beide wie versteinert auf unseren Plätzen. Er draußen im Regen, ich im Halbdunkeln des kalten Flurs. Wind kam auf und ließ die Äste der Bäume knacken.

„Komm rein.“, brachte ich schließlich hervor.

Ich ging ein Stück rückwärts um Toshiya Platz zu machen. Mit lautlosen Schritten betrat er den Flur. Ich schloss die Haustür und schaltete das Licht an. Wir standen uns gegenüber.

Jetzt, im dämmrigen Licht der Wandleuchte, konnte ich zum ersten Mal einen richtigen Blick auf ihn werfen. Er hatte sich verändert. Sein Gesicht war schmaler geworden, die Haare länger. Welche Frisur er eigentlich hatte war schwer auszumachen, denn momentan hing ihm das Haar in wirren, nassen Strähnen ins Gesicht. Doch die größte Veränderung lag in seinen Augen.

Auf die Schnelle konnte ich nicht sagen worin genau der Unterschied bestand, doch er war auf alle Fälle sichtbar. Ich nahm die Hand von der kühlen Türklinke und bemerkte, dass sie zitterte.

Offenbar wartete Toshiya darauf, dass ich etwas sagte.

Hilflos fuhr ich mir mit der Hand übers Gesicht. Plötzlich bemerkte ich, dass meine Wangen nass waren.

Weinte ich?

Fahrig wischte ich mir mit dem Handrücken über die Augen.

Tatsächlich.

Ich heulte ohne es zu merken. Stand da und heulte stumm vor mich hin, ohne jeglichen Einfluss auf diese Handlung. Wieder warf ich einen Blick zu Toshiya. Der stand noch immer da und biss sich auf die Lippen.

„Entschuldige.“, sagte ich und wischte mir ein weiteres Mal übers Gesicht. Diesmal mit dem Ärmel.

Was tat ich hier?

Ich stand vor demjenigen der mir in der letzten Hälfte des Jahrhunderts mit Abstand am meisten bedeutet hatte. Stand da und starrte dumpf auf den Fußboden, anstatt hinüber zu gehen und ihn in den Arm zu nehmen. So wie ich es mir all die Jahre immer wieder ausgemalt hatte. Tausende Male hatte ich mir passende Worte für diesen einen Augenblick des Wiedersehens zurechtgelegt.

Schöne Worte.

Tröstende Worte.

Worte, die all das ausdrückten was ich damals wie heute empfand.

In diesem Moment fiel mir nicht ein einziges ein.

Wieso konnte ich nicht einfach diese zwei Schritte gehen die uns trennten?

Wieso konnte ich ihn nicht in den Arm nehmen?

Er sah so verloren aus, wie er dastand. Vollkommen durchnässt, mit hängenden Schultern und hoffnungsvollem Blick. Es war offensichtlich, dass er auf eine Reaktion meinerseits wartete. Da war er allerdings nicht der Einzige. Auch ich wartete vergeblich, doch mein Gehirn verweigerte mir den Dienst.

„Soll ich gehen?“, fragte er schließlich kaum hörbar.

„Nein!“, entfuhr es mir vollkommen unvermittelt.

Toshiyas helle Augen suchten krampfhaft meinen Blick. Ich tat ihm den Gefallen nicht, starrte stattdessen nur auf den Boden. Meine Hände zitterten immer noch und die Kopfschmerzen waren zurückgekehrt. Eigentlich rechnete ich damit, jeden Moment aus diesem schlechten Traum zu erwachen.

„Du hast mir gefehlt.“

Dieser Satz veranlasste mich schlussendlich doch dazu den Kopf wieder zu heben. Toshiya schaute mich fast schon flehend an. Mit dem Zeigefinger der rechten Hand kratzte er über das Nagelbett seines Daumens. Es würde nicht lange dauern, bis die dünne Haut reißen und Blut freigeben würde.

Ich streckte den Arm aus und nahm seine Hand, um ihn daran zu hindern sich zu verletzen.

„Hast du immer noch nicht damit aufgehört?“

Toshiyas Hand war rau und klamm vom Regenwasser. Er schüttelte den Kopf und wieder schrie sein Blick förmlich nach klaren Worten. Anstatt der Worte schenkte ich ihm eine weitere, flüchtige Berührung. Ich ließ seine Hand los, strich ihm stattdessen einige nasse Haarsträhnen aus der Stirn. Ein winziges, unsicheres Lächeln umspielte daraufhin seine farblosen Lippen.

Dieses kleine Lächeln brachte den Knoten in mir zum Platzen. Meine Arme schlangen sich wie von selbst um Toshiyas Brustkorb. Ich spürte wie er etwas überrascht zurück taumelte, dann legte er seinerseits die Arme um mich und vergrub den Kopf in meiner Halsbeuge.

Schweigend standen wir da, hielten uns gegenseitig fest und lauschten dem Regen.

Und plötzlich erschien mir das alles viel sinnvoller als die schönsten Worte.
 


 

Hizumis POV
 

Irgendwo im Hausflur eines Apartments, ca. 02.15 Uhr ...
 

Zittrig strich ich mir die Haare aus dem Gesicht und zog meine Jacke an. Nur weg hier.

Fast schon erleichtert sog ich die abgestandene Luft des Treppenhauses in meine toten Lungen. Hinter mir fiel die Tür ins Schloss.

Ich lief die Treppen hinunter ohne auch nur einen Blick zurück zu verschwenden. Als ich die Haustür öffnete wehte mir beißend kalte Nachtluft ins Gesicht. Ich schlug den Kragen hoch und machte mich mit schnellen Schritten auf den Heimweg. Der heutige Abend war mehr als beschissen verlaufen und ich hatte mir vorgenommen ihn schnellstmöglich zu vergessen.

Alles hatte mehr oder minder harmlos angefangen.

Spontaner Besuch im Club, angequatscht worden.

Einen oder zwei oder zehn Drinks später fand ich mich in den Armen irgendeines Typen wieder, dessen Namen ich vergaß, kaum dass er ihn mir nannte. Soweit alles noch im Grünen Bereich.

Wir beide entschieden dann also, mehr oder eher minder nüchtern, seiner Wohnung und vor allem seinem Bett einen Besuch abzustatten. Der Rest dürfte wohl einfach zu rekonstruieren sein.

Was den Abend so beschissen machte, war die Tatsache, dass dieser Arsch mich direkt nachdem er mich ins Bett bekommen hatte auch gleich wieder aus Besagtem raus warf.

Faselte irgendwas von wegen wichtigem Termin am nächsten Morgen. Diese Ausrede war dermaßen fadenscheinig, dass sogar ich die Lüge dahinter sah. Im Endeffekt stand ich ohne große Widerworte auf und ging, was blieb mir schon anderes übrig?

Über seine wahren Beweggründe mich einfach so rauszuwerfen konnte ich nur spekulieren.

Ich nahm stark an, dass es die Narben waren die ihn so abgeschreckt hatten. Als die wirklichkeitsverzerrende Wirkung des Alkohols nachließ und mein One-Night-Stand wieder einigermaßen klar im Kopf zu werden schien, musterte er mich eindringlich. Die Art, wie sich sein Blick beim Anblick meiner vernarbten Oberschenkel veränderte , sprach Bände.

Nachdem die Erkenntnis mit einem psychischen Wrack im Bett gelandet zu sein also endlich in seine Schaltzentrale gelangt war, warf er mich raus.

Jetzt lief ich mitten in der Nacht durch diese viel zu große, viel zu laute Stadt und fror, während die letzten Reste des Alkohols sich schleichend aus meinen Nervenbahnen verflüchtigten. Ich konnte nur schätzen wie lange es dauerte, bis ich endlich zuhause ankam. Mehr schlecht als recht schleppte ich mich die Stufen zur Wohnungstür hinauf. Drinnen begrüßte mich mein Kater mit einem leisen Knurren.

„Halt die Fresse.“, sagte ich matt und warf meine Jacke an die Garderobe. Anstatt wie erhofft hängen zu bleiben, prallte sie an einem der Kleiderhaken ab und segelte zu Boden.

Ich ließ sie liegen.

Mein Blick fiel auf die Digitaluhr der Mikrowelle.

Halb drei.

Ich öffnete den Kühlschrank und holte neben einer Blutkonserve eine Flasche Whisky aus einem der Fächer. Beides kippte ich zu gleichen Teilen in ein herumstehendes Glas. Zusammen mit diesem ätzenden Cocktail ließ ich mich aufs Sofa fallen. Mein Kopf schrie nach Betäubung.

In großen Schlucken lehrte ich das Glas, nur um es danach noch einmal mit derselben Mixtur zu füllen. Der billige Whisky brannte im Magen und ließ mich sauer aufstoßen.

Ich ließ mich tiefer in die dunklen Polster meines Sofas sinken und starrte aus dem Fenster. Die Lichter der Stadt blinkten in einem immer wiederkehrenden, monotonen Rhythmus und die Stille, die sich in der Wohnung breit gemacht hatte, fraß sich in meine Gehörgänge. Je angestrengter ich versuchte die letzten paar Stunden zu verdrängen, desto mehr drängten sie sich auf.

Als ich auch das zweite Glas gelehrt hatte und sich endlich das gewünschte Gefühl von Taubheit in meinem Körper ausbreitete, stellte ich das Glas auf den Boden und schlang die Arme um die Knie.

In dieser Position verharrte ich schweigend, bis sich ein fahler Streifen Dämmerlicht am diesigen Stadthorizont abzeichnete. Als die ersten matten Sonnenstrahlen sich auf dem Beton brachen, erhob ich mich schwankend und ging zu Bett.

Während ich mir die Bettdecke bis zum Kinn zog, beschloss ich mich für diesen Tag krank schreiben zu lassen.
 


 

Zeros POV
 

Ich konnte nicht einschätzen wie lange wir so im Hausflur standen. Prinzipiell war es mir vollkommen egal. Die Zeit war bedeutungslos.

Schließlich löste ich mich von diesem schmalen, unterkühlten Körper und strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr.

„Du bist nass geworden.“, stellte Toshiya fest.

Er hatte Recht. In der Tat prangte dort, wo sich mein Brustkorb an Toshiyas gedrückt hatte, ein dunkler Wasserfleck.

„Unwichtig.“, antwortete ich und winkte ab.

Wieder schauten wir uns an. Offenbar kam diese Situation nicht nur mir unrealistisch vor. Auch Toshiya schien überfordert zu sein von diesem plötzlichen Wiedersehen.

„Lass uns in die Küche gehen. Ich mach dir einen Tee, du bist halb erfroren.“

Ohne eine Antwort zuzulassen ging ich in die Küche.

Noch während ich das Wasser aufsetzte fragte ich mich ein weiteres Mal, was genau gerade geschehen war. Mein Gehirn weigerte sich strikt, dieses Ereignis als wahrhaftig anzuerkennen. Während ich mich darauf konzentrierte meine zitternden Finger in den Griff zu bekommen, hatte Toshiya zögerlich auf einem der Stühle Platz genommen. Er sah sich um, rutschte währenddessen nervös auf seinem Stuhl hin und her.

Als ich endlich zwei Teetassen auf den Tisch stellte, eine für ihn, eine für mich, bedankte er sich leise und fuhr fort damit sich weiter umzusehen.

„Es hat sich nichts verändert hier.“, stellte er schließlich fest. Seine Hände umklammerten die warme Tasse.

„Wieso hätte ich etwas verändern sollen?“

Mit dieser Antwort hatte ich ihn scheinbar in Verlegenheit gebracht, denn er senkte abrupt den Blick und schien nun etwas in seiner Teetasse zu suchen.

„Ich weiß nicht. Es ist nur so... Ich war so lange nicht mehr hier, irgendwie hab ich damit gerechnet, dass alles anders aussieht.“, versuchte er sich mit gedämpfter Stimme zu erklären.

Wieder wusste ich nicht, was ich darauf antworten sollte. Also stand ich auf und verließ den Raum. Ich ging die Treppe hoch ins Schlafzimmer und suchte nach trockenen Klamotten für Toshiya. Auch wenn es noch nicht offiziell war ging ich davon aus, dass er die Nacht hier verbrachte. Vermutlich dachte er genauso. Es gestaltete sich als ziemlich schwierig passende Kleidung für ihn zu finden. Immerhin war er gut eineinhalb Köpfe größer als ich. Nach nervenaufreibendem Suchen fand ich endlich einen überlangen weißen Pullover und ein paar frischer Boxershorts.

So bepackt ging ich zurück in die Küche. Toshiya saß noch immer an seinem Platz und sah schweigend aus dem Fenster. Kurz blieb ich in der Tür stehen und betrachtete ihn von hinten. Seine schmalen Schultern hielt er leicht hochgezogen, den Kopf kaum merklich gesenkt. Seine gesamte Haltung glich der eines fluchtbereiten Tieres.

Ich wandte den Blick ab und ging wieder zurück zum Tisch. Als er mich bemerkte hob Toshiya den Blick und schaute mich fragend an.

„Hier. Das solltest du anziehen, du bist vollkommen durchnässt.“

Er nickte zögerlich, dann begann er auf seiner Unterlippe herum zu kauen.

„Heißt das, dass ich hier bleiben darf?“

Dieser naive Satz entlockte mir ein Lächeln.

„Natürlich darfst du hier bleiben.“

„Danke.“
 


 

Toshiyas POV
 

Noch immer konnte ich all das nicht fassen. Nach sechs Jahren saß ich wieder hier in Zeros Küche. Rein gar nichts hatte sich verändert. Sogar die Pflanzen auf der Fensterbank waren dieselben geblieben. Es schien, als sei die Zeit stehen geblieben, als hätte es diese sechs Jahre nie gegeben.

Zeros Verhalten bewies allerdings das Gegenteil. Er hatte tatsächlich geweint. Ich hatte mit allem gerechnet, nur nicht damit. Es tat weh ihn so zu sehen. Noch mehr schmerzte allerdings sein permanentes Schweigen mir gegenüber. Ich bildete mir ein zu wissen, dass er es nicht böse meinte, dass er nur überfordert war. Tief im Inneren aber sagte mir eine leise Stimme, dass ich rein gar nichts mehr wusste. Sechs Jahre waren, verglichen mit der Ewigkeit, ein lächerlich kleiner Zeitraum. Trotzdem hatten sie gereicht, um gravierende Veränderungen auszulösen.

Ich hatte mich verändert, das wusste ich.

Die Richtung in die ich mich verändert hatte war mir jedoch nicht bewusst gewesen. Wenn man lange Zeit einsam ist, bemerkt man Veränderungen die einen selbst betreffen kaum.

Man lebt damit und fertig.

Meine größte Angst war, dass Zeros Gefühle sich mir gegenüber verändert hatten. Mein Kopf sagte klar und deutlich, dass das sehr wahrscheinlich der Fall sein würde. Mein Herz klammerte sich an einen einzigen Funken Hoffnung. Dieser Funke war es gewesen, der mich dazu veranlasst hatte in den Flieger zu steigen. Er war es, der mir den Mut geschenkt hatte zu Zeros Haus zu fahren und den Türklopfer zu betätigen.

Doch jetzt, da ich hier in Schweigen gehüllt in der Küche saß, erlosch der Funke Stück für Stück. Was blieb waren Unsicherheit und Angst.

Wenigstens die Angst ebbte ein wenig ab, als Zero einen weißen Pullover vor mir auf den Tisch legte. Scheinbar hatte er nicht vor mich heute Nacht rauszuwerfen.

Zur Sicherheit fragte ich noch einmal nach. Während er antwortete lächelte Zero. Dieses Lächeln versetzte mir einen heftigen Stich. Wäre ich noch ein Mensch gewesen, mein Herz hätte sich wahrscheinlich überschlagen.

Er war so schön wenn er lächelte. Das war es, was mir mit am meisten an ihm gefehlt hatte. Sein seltenes, aber dafür umso schöneres Lächeln. Ich stammelte ein leises „Danke.“ und kam mir unglaublich dumm vor.

Der Tee tat gut und wärmte ein wenig. Ich trank ihn zügig aus, danach sah ich Zero fragend an.

Und jetzt?

„Du solltest schlafen. Du siehst schrecklich müde aus.“, stellte er fest und musterte mich schon fast mitleidig. Ich sehe immer so aus, wollte ich antworten. Stattdessen nickte ich nur, nahm die Klamotten und verzog mich ins Bad. Auch hier war alles wie immer.

Als ich die durchnässte Kleidung abgelegt hatte, nahm ich den weißen Pullover und vergrub mein Gesicht darin. Er war genauso weich wie er aussah und roch nach Zero. Dieser feine Geruch löste augenblicklich eine wahre Flut von Erinnerungen aus. Ich wartete bis sie vorüber war und zog mir den Pulli über den Kopf. Dann schaute ich in den Spiegel. Zwei hellbraune, rot geränderte Augen starrten mich unnachgiebig an. Mittlerweile war mein Haar mehr oder minder getrocknet, doch auch das änderte nichts daran, dass ich mich schrecklich hässlich fand.

Ich wandte mich vom Spiegel ab und ging zurück in die Küche. Zero saß auf der Anrichte, genauso, wie er es auch früher oft getan hatte. Er hatte ein frisches Oberteil angezogen und wippte gedankenverloren mit den Beinen.

Als er mich bemerkte ließ er sich von der Anrichte rutschen und kam mir entgegen.

„Wo willst du schlafen?“

Zuerst verstand ich den Sinn dieser Frage nicht, dann dämmerte es mir.

Ich zuckte die Schultern.

„Mir egal.“

Gelogen. Und wie.

Ich wünschte mir nichts mehr als diese Nacht in Zeros Bett verbringen zu dürfen. Einfach nur neben ihm zu liegen und seine Nähe zu spüren. Vielleicht ein bisschen reden, sofern er wollte. Mehr nicht.

Offenbar schien er zu bemerken was in mir vorging, denn zu meiner großen Überraschung nahm er meine Hand und zog mich hinter sich her in Richtung Schlafzimmer.

Genau wie alles andere war auch dieser Raum kein Stück anders als in meiner Erinnerung. Nur den Bettbezug hatte er gewechselt, er war jetzt nicht mehr schwarz, sondern dunkelrot.

Zero warf sich aufs Bett.

Ich wusste nicht wie ich reagieren sollte und stand planlos im Türrahmen herum. Das Gefühl vollkommen fehl am Platz zu sein machte sich in mir breit.

„Wenn du nicht hier schlafen willst kannst du auch runter gehen. Ich dachte nur du würdest vielleicht gern-“ Er brach ab und sah auf seine Hände.

Um ihm weitere Ausflüchte zu ersparen setzte ich mich neben ihn aufs Bett. Wieder schwiegen wir uns an. Mir war vollkommen klar, dass keiner von uns beiden in dieser Nacht Schlaf finden würde.

Trotzdem legte ich mich hin und zog mir die Bettdecke über. Zero tat es mir gleich. Wir lagen da und sahen uns stumm an. Der Wind draußen vor dem Fenster war zu einem ausgewachsenen Sturm geworden und peitschte den Regen gegen das große Fenster neben dem Bett.

Zero löschte das Licht.

Ich ertrug die Stille nicht.

„Warum redest du nicht mit mir?“, fragte ich gerade heraus. Natürlich bereute ich diese allzu ehrliche Frage kaum dass ich sie ausgesprochen hatte. Jetzt, da meine Augen sich an die Dunkelheit gewöhnt hatten, konnte ich Zeros Silhouette ausfindig machen. Er lag auf der Seite, genau wie ich.

„Es tut mir Leid. Ehrlich.“, begann er leise „Das kommt alles so plötzlich. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass du einfach so zurück kommst.“

„Ich auch nicht.“, gab ich zu.

„Um ganz ehrlich zu sein hatte ich mittlerweile nicht mal mehr damit gerechnet, dass du überhaupt noch lebst.“

Dieser Satz versetzte mir einen Stich.

„Oh.“, hauchte ich. Damit hatte ich nicht gerechnet.

„Ich- Bitte versteh mich nicht falsch, Toshiya. Ich hab gehofft, dass du zurück kommst. Immer. Aber irgendwann erschien es mir so unrealistisch, verstehst du?“ Die Matratze bewegte sich, das Bettlaken raschelte. Er war näher zu mir hin gerückt.

„Hast du jemand anderen?“

Diese Frage brannte mir seit Jahren auf der Seele. Ich hatte panische Angst vor der Antwort die nun folgen würde. Zero stieß ein verächtliches Lachen aus.

„Glaubst du das wirklich? Kennst du mich so schlecht? Ich hatte nie jemand anderen, wozu auch?“

Mir fiel ein Berg vom Herzen. In meiner aufkeimenden Euphorie überhörte ich fast den schneidenden Unterton in Zeros Stimme. Zum Glück fing ich mich rechtzeitig.

„Tut mir Leid. Es war dumm von mir so etwas zu denken.“

„Ich habe damals immerhin versprochen auf dich zu warten und meine Versprechen halte ich, das weißt du, oder?“

Dieser Satz verschlug mir die Sprache.

„Gib mir Zeit, Toshiya. Ich weiß nicht was ich fühlen soll oder kann. Ich will dich nicht enttäuschen. Nicht nochmal.“

Ich nickte. Dann fiel mir ein, dass es dunkel war.

„Du hast alle Zeit der Welt.“, antwortete ich deshalb und zog die Decke weiter hoch. Meine Hand lag neben mir auf dem Kopfkissen. Plötzlich spürte ich eine Berührung.

Zero.

„Schlaf jetzt. Wir reden morgen weiter.“, sagte er leise und strich flüchtig über meinen Handrücken. Ich saugte die Berührung auf wie ein Schwamm. Dann wünschte ich Zero eine gute Nacht und schloss die Augen. Schon nach wenigen Minuten riss der Schlaf mich mit sich.
 


 

Am nächsten Morgen in Karyus Wohnzimmer...
 

Ein leises Schnarchen durchbrach die Morgenruhe in unregelmäßigen Abständen. Karyu wälzte sich auf dem Bauch und schob den Arm neben das Kinn. Unter seiner linken Wange bildete sich langsam aber stetig eine kleine Sabberlache. Als die Feuchtigkeit nach einer Weile zum Störfaktor wurde blinzelte der Blonde verschlafen und setzte sich auf.

„Ih.“, gab er von sich und wischte sich über die Wange.

Mit einem leisen Stöhnen erhob sich der übermüdete Vampir und schlurfte ins Bad.

Duschen.

Dringend.

Unter der Dusche erwachten nun auch endlich Karyus verbliebene Lebensgeister.

Schon wieder vor dem Fernseher eingeschlafen. Eine schreckliche Angewohnheit, die sonst meistens nur Rentner an den Tag legten. Karyu platschte aus der Dusche und schaute in den Spiegel.

So weit alles normal.

Prüfend schob er sein Gesicht bis auf wenige Zentimeter vor das Glas. Akribisch scannte er jeden noch so kleinen Gesichtsteil nach möglichen Anzeichen eines äußeren Rentenalters ab. Doch bis auf einige winzige Fältchen neben den Augen war nichts zu sehen.

Karyu atmete erleichtert auf und machte sich daran, seine Klamotten anzuziehen.

Kurze Zeit später saß er in der Küche und schlürfte genüsslich eine Tasse Kaffee.

Dieses altbekannte Morgenritual wurde jedoch durch einen störenden Laut, der sich als Klingelgeräusch entpuppte, unterbrochen.

„Verdammte Scheiße.“, knurrte der Untote etwas ungehalten und stapfte zur Haustür.

Mit einem liebenswerten „Was soll der Scheiß am frühen Morgen!?“, riss er die Tür auf und sah geradewegs in Zeros Gesicht.

Karyu verdrehte die Augen und seufzte genervt.

„Und ich dachte ich hätte ein Talent dafür in unpassenden Momenten die Häuser meiner Freunde zu stürmen.“ Er grummelte einen weiteren, unverständlichen Satz, ließ Zero dann jedoch widerstandslos eintreten. Der machte sich ohne ein Wort auf den Weg in die Küche.

Synchron ließen sich beide jeweils auf einen der Stühle fallen.

„Deinem Gesicht kann ich entnehmen, dass wieder irgendwas Bescheuertes passiert ist, das uns ohne Zweifel Ärger bereiten wird.“, mutmaßte Karyu zwischen zwei Schlucken Kaffee.

Zero nickte.

„In der Tat, ja.“

Als er diesen etwas abgehackten Satz nicht beendete, hakte sein Gegenüber ungeduldig nach.

„Jetzt rück raus mit der Sprache, Idiot!“

Zero seufzte und schien für einen winzigen Augenblick im Holz des Stuhles verschwinden zu wollen.

„Toshiya ist wieder da.“

Karyu brach in ein unkontrolliertes Husten aus.

Kaffee und Luftröhre vertrugen sich nicht...

Death Dies Hard

Und schon wieder nicht ans versprochene Upload-Datum gehalten. Diesmal jedoch weise ich alle Schuld meinerseits vehement ab. Es gab massive Probleme mit den Betas und im Endeffekt haben Yves und MissNothing die ganze Arbeit allein gemacht. What ever.

Hier das neue Kapitel.
 

Jetzt der passende Song:
 

Leave Out All The Rest - Linkin Park
 

http://www.youtube.com/watch?v=2W3u5yXt9Zc&feature=related
 

enjoy ♥
 

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Karyus Küche, 09.36 Uhr ...
 

Mit jedem Wort, das Zeros bleiche Lippen verließ, gewann der Blick in Karyus Bernsteinaugen an Fassungslosigkeit. Als Zero schließlich schwieg und sein Gegenüber erwartungsvoll anschaute, entkam diesem ein Geräusch, das am ehesten einem deprimierten Knurren glich.

„Das darf doch alles nicht wahr sein.“

Diesen Satz beantwortete Zero mit einem Seufzer, der dem Laut seines Kollegen in gewisser Weise ähnlich war. Gleichzeitig huschten Karyus Augen unaufhörlich über Zeros Körper. Der Brünette gab ein tragisches, um nicht zu sagen erbärmliches Bild ab. Er saß zusammen gesunken, mit hängenden Schultern, auf dem Küchenstuhl und verschränkte seine Finger auf eine sehr eigentümliche und schmerzhaft anmutende Art und Weise miteinander. Sein Gesicht wirkte unnatürlich blass und dunkle Ringe zeichneten sich unter leicht geröteten Augen ab.

„Du siehst echt scheiße aus, Mann.“, stellte Karyu mitleidig fest.

Zero nickte stumm.

„Du willst jetzt nicht ernsthaft einen Rat von mir hören, oder?“

Zeros Augenbraue hob sich, während seine übernächtigten Iriden sich förmlich in Karyu hinein bohrten. Der bemerkte plötzlich wie seine Kehle begann sich trocken anzufühlen und musste schlucken.

„Du weißt, dass ich in solchen Sachen schlecht bin.“, warf er ein.

Die nonverbale Antwort folgte auf dem Fuße: Zero seufzte tief und starrte auf seine verknoteten Finger. Er biss auf seiner Unterlippe herum und gab ein herzzerreißendes Bild ab.

„Zero, nein! Bitte! Nicht dieser Blick!“

Karyu war vollkommen überfordert mit dem plötzlichen Gefühlsausbruch seines Freundes.

„Ach Scheiße.“, murmelte Karyu deprimiert. „Ich weiß doch auch nicht, was du machen sollst. Das einzige, das ich dir raten kann, ist ihn gut zu verstecken, falls du vor hast, ihn bei dir zu behalten. Immerhin ist er der meistgesuchte Untote seit Nosferatu. Es würde mich nicht wundern, wenn noch immer irgendwelche Spinner auf der Jagd nach ihm wären.“ Sobald er diesen Satz beendet und die Worte den Weg zu seinem Gehirn gefunden hatten, wünschte Karyu sich, sie nicht ausgesprochen zu haben. Wieder bestätigte sich die Annahme, dass nur Geschäftliches und Politisches und nicht etwa Emotionales seine Welt ausmachten.

Außerhalb diesen Universums versagten sowohl seine Fähigkeit zur Reflexion, als auch sein Sprachschatz. Er war ein schrecklich mieser Tröster, wenn es um pure Gefühlsangelegenheiten ging. Fast schon ängstlich warf er einen Blick zu Zero. Der sah aus, als habe er die eben gefallenen Worte nicht einmal wahrgenommen. Noch immer hatte er den Blick nicht von seinen ineinander verkeilten Fingergliedern abgewendet.

„Wie auch immer.“, versuchte Karyu einzulenken. „Du solltest auf jeden Fall das tun, was du für richtig hältst.“

„Karyu! Ich hab keine Ahnung was ich für richtig halten soll! Genau das ist mein beschissenes Problem!“, keifte Zero plötzlich unvermittelt.

Karyu starrte seinen Freund schockiert an. Die ganze Sache ging ihm definitiv extrem nahe. Es war selten, dass Zero offensichtlich deprimiert war. Noch seltener war jedoch, dass er die Stimme gegen ihn erhob.

„Sorry.“, stammelte der Blonde stockend und hob beschwichtigend die Hände. Zero seufzte tief und lange. Dann schüttelte er den Kopf und stand auf.

„Schon gut.“ Er warf Karyu einen undeutbaren Blick zu. „Ich sollte wieder nach Hause. Toshiya fragt sich sicher schon wo ich bin.“ Der Vampir wandte sich zum gehen, doch bevor er die Flurtür erreichte, sprang Karyu auf und holte ihn ein. Ohne jede Vorwarnung schlang er die Arme um den Kleineren und drückte ihn an sich. Zero erstarrte reflexartig, dann jedoch schien er die Situation zu begreifen und legte zögerlich die Arme um Karyus Schultern.

„Ich bin ein scheiß Tröster, ich weiß.“, murmelte Karyu in Zeros dunklen Haarschopf. „Aber falls du mal Ablenkung brauchst oder wen zum auskotzen oder einfach nur ein paar Gläser Rotwein, dann komm vorbei, ok?“ Zero lehnte die Stirn gegen Karyus Schlüsselbein und konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen.

„Danke. Lieb von dir.“, sagte er und fragte sich gleichzeitig, wie viele Jahrzehnte es wohl schon her war, dass Karyu ihn freiwillig umarmt hatte.

„Und jetzt sollten wir uns loslassen. Es wird schwul.“

Die beiden ließen voneinander ab und grinsten sich an. Mit einem freundschaftlichen Klaps auf die Schulter verabschiedete Karyu seinen problembeladenen Gast. Als Zero die Tür hinter sich ins Schloss fallen ließ, blieb Karyu alleine im Hausflur zurück. Akribisch ließ er sich alle ihm bekannten Neuigkeiten durch den Kopf gehen. So sehr er auch versuchte, sich für Zero zu freuen, schien es ihm, als würde Toshiyas plötzliche Rückkehr nichts Gutes bedeuten.
 


 

Hizumis Wohnung, ca, 16.00 Uhr ...
 

Schwerfällig wälzte Hizumi sich auf den Rücken. Er lag in seinem Bett, die Decke bis zum Kinn gezogen, und wartete. Die letzten paar Stunden hatte er damit verbracht, darüber nachzudenken worauf genau er eigentlich wartete. Im Raum herrschte völlige Stille. Der Kater schlief unten auf dem Sofa und rührte sich nicht. Etwas benommen setzte Hizumi sich schließlich auf und blickte durch die große Fensterfront hinaus in die herbstgraue Stadt. Auch draußen tat sich nichts Besonderes.

Einige Autos fuhren unten auf der Straße vorbei, vereinzelte Fußgänger kreuzten die Fahrbahn. Ansonsten gab es nichts Außergewöhnliches unter den bleichen Strahlen der Herbstsonne. Als Hizumi sich aus seiner Bettdecke schälte und die Stufen hinunter ins Wohnzimmer stolperte, blinzelte der tote Kater träge und gab ein lächerlich hohes Miauen von sich.

Hizumi warf ihm einen geringschätzigen Blick zu und verschwand im Bad, um sich etwas Straßentaugliches überzuwerfen. Hier drinnen würde er wohl in den nächsten Stunden eingehen oder mindestens wahnsinnig werden. Nachdem er in eine schwarze Jeans und einen gleichfarbigen Pullover geschlüpft war, wusch er sich das Gesicht, in der Hoffnung so ein wenig lebendiger zu wirken. Ob dieser Versuch gelang war Ansichtssache.

Hizumi verließ das Bad, schnappte sich seine Umhängetasche und machte sich auf die Suche nach seinem Mantel. Man brauchte kein Wetterfrosch zu sein, um zu wissen, dass draußen bereits die Kälte herrschte. Nach einigem Hin und Her fand Hizumi die Jacke schließlich zusammengeknüllt unter dem Sofa. Kurz fragte er sich, wie sie wohl an diesen ungewöhnlichen Ort gekommen war.

Insgeheim verdächtigte er den Kater.

Endlich verließ der junge Vampir die Wohnung. Drei Treppen und eine Haustür später stand er im Freien. Wie erwartet schlug ihm ein eisiger Wind ins Gesicht. Hizumi schlug den Kragen hoch und lief los. Etwa eine halbe Stunde irrte er ziellos umher und versuchte während dessen seine wirren Gedanken zu ordnen. Schließlich blieb er bei einem Blumenladen stehen und öffnete die Umhängetasche. Seine Hand wühlte im Chaos der Kampftasche herum, bis sie schließlich, zwischen Stiften, Notizblöcken und altem Kaugummipapier, ein kleines, rechteckiges Plastikding ertastete. Hizumi zog das Handy hervor und wählte eine der wenigen Nummern, die er auswendig wusste. In der Leitung ertönte das regelmäßige Tuten das Freizeichens.

Schließlich meldete sich jemand mit einem gehetzten „Ja?“.

„Karyu? Ich bin's.“, begann Hizumi. Bevor er jedoch weiter sprechen konnte, unterbrach Karyu ihn. Er klang ein wenig gereizt.

„Du liebe Güte! Seit wann rufst du mich auf dem Handy an? Zu faul den Kopf anzustrengen, oder was?“

Hizumi verdreht die Augen.

„So ähnlich, ja.“ Er musste Karyu nicht am Telefon auf die Nase binden, dass er momentan nicht in der Lage war Gedanken zu übertragen. Sein Gehirn war definitiv zu voll für solche Späße.

„Hizumi. Momentan ist das ganz schlecht, ich hab' zu tun.“

„Oh. Tut mir Leid. Das wusste ich nicht.“

„Ist es dringend?“

„Geht so. Kann ich heute noch irgendwann vorbeikommen?“

Ein schweres Seufzen ertönte in der Leitung.

„Von mir aus. Ich weiß allerdings nicht, wann ich hier fertig bin.“

„Dann warte ich auf dich.“

„Von mir aus. Bis dann.“

Das Freizeichen drang dumpf an Hizumis Ohr. Er ließ das Telefon sinken und atmete tief ein. Dann machte er sich auf den Weg zu Karyus Apartment.
 


 

Zur selben Zeit irgendwo am anderen Ende der Stadt ...
 

Karyu stopfte das Handy zurück in seine Hosentasche. Die Person neben ihm räusperte sich vernehmlich und bedachte Karyu mit einem ungeduldigen Blick.

„Wenn Sie jetzt bitte so nett wären mir endlich zu folgen.“, stammelte der Kommissar und deutete auf eine Hausecke, neben der eine schmale Gasse verlief. „Es ist gleich da drüben.“

„Jaja doch.“ Karyu fischte desinteressiert ein Haargummi aus seiner Jeanstasche und bändigte so vorübergehend seine blonde Mähne zu einem lockeren Pferdeschwanz. „Wer sind die da überhaupt?“ Er deutete auf zwei junge Männer, die sich hinter dem Kommissar herumdrückten. Einer der beiden hatte ein Gesicht, das vor Akne nur so blühte und strohige, braune Haare. Der andere sah etwas gepflegter aus. Allerdings wurde sein Gesicht von einer dunklen Brille, Marke Kassengestell, förmlich erdrückt.

„Das sind unsere Neulinge. Ist ihre erste, richtige Tatortbesichtigung.“

„Aha.“

Karyu setzte sich endlich in Bewegung und steuerte auf die Hausecke zu.

„Um was handelt es sich?“, fragte er den kleinen, etwas untersetzten Mann, der sich bereits seit einigen Jahrzehnten Hauptkomissar nennen durfte.

„Das ist es ja.“, druckste er herum. „Wir wissen es nicht genau.“

„Was soll das jetzt heißen? Sie wollen mir nicht ernsthaft erzählen-“ Karyu brach ab. Er stand jetzt in der Mitte der kleinen Gasse. Vor ihm zogen sich gelbe Absperrbandstreifen durch die Luft. Rechts und Links standen jeweils zwei Polizisten, die den Tatort bewachten und ihn vor den Zugriffen Unbefugter schützten. Am Ende der Straße, die sich als Sackgasse entpuppte, lag etwas, das von weitem aussah wie ein Haufen Schlachtabfälle. Karyu kletterte durch die Absperrung und bewegte sich geradewegs auf den merkwürdigen Haufen zu. Die drei Ermittler folgten ihm.

Vor einer unnatürlich großen Blutlache kam die Gruppe schließlich zum Stehen.

„Heilige Scheiße.“, murmelte Karyu. Er hörte, wie sich einer der beiden Frischlinge lautstark übergab.

Der Vampir wandte sich an den leitenden Ermittler, der dem leichenblassen Brillenträger besorgt die Schulter tätschelte.

„Wann wurde sie gefunden?“

„Erst vor einer Stunde.“

„Irgendwelche Verdächtigen?“

„Zu meinem Bedauern nicht. Genau deswegen haben wir uns an Sie gewandt.“ Der Kommissar nahm Karyu zur Seite und senkte die Stimme. „Wir bezweifeln, dass ein Mensch zu solchen Taten fähig ist.“ Er warf den beiden jungen Polizisten einen verstohlenen Blick zu. Die waren jedoch ganz mit sich und ihren Mägen beschäftigt und schienen der momentanen Unterhaltung keine Aufmerksamkeit zu schenken. „Ich will nicht unhöflich sein, aber wäre es nicht möglich, dass einer von ihnen-“ Er ließ den Satz unbeendet und warf Karyu einen Blick zu, der Bände sprach. Der Blonde schüttelte den Kopf.

„Bezweifle ich stark. Unsere Gesellschaft verbietet den Mord an Menschen. Zuwiderhandlung wird hart bestraft. Außerdem spricht etwas Entscheidendes gegen einen Vampirmord: Das Opfer hat Blut verloren. Zu viel Blut. Keiner von uns tötet, ohne zu fressen. Und nebenbei...“

Er deutete auf die bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte Leiche. „Das ist sogar für unsereins ein bisschen zu barbarisch.“

Der Kommissar nickte langsam. Dann schien er sich an etwas zu erinnern.

„Ach, was ich vergaß zu erwähnen: So verstümmelt die Leiche auch sein mag, keine Extremität wurde entwendet. Alles noch da. Zwar nicht mehr so ganz an seinem naturbedingten Platz, aber immerhin nicht entwendet.“ Der Kommissar atmete zittrig aus und strich sich eine Schweißperle von der Stirn. Es war offensichtlich, dass er sich in Karyus Nähe unwohl fühlte.

„Nur weiter, mein Lieber. Und keine Angst, ich habe gut gefrühstückt.“ Karyu grinste breit, so dass der Mensch einen Blick auf ein Paar Eckzähne werfen konnte, das momentan vollkommen normal und unspektakulär aussah. Trotzdem ließ diese Geste den Kommissar einen Schritt zurückweichen.

„Auch alle inneren Organe scheinen noch an ihrem Platz zu sein. Die einzige Ausnahme bildet hier das Herz. Das ist bis jetzt unauffindbar gewesen.“

„Sind sie sicher?“

Der Kommissar nickte.

„Wir geben die Leiche gleich in die Gerichtsmedizin, die werden sich das Ganze dann mal näher ansehen.“

„Könnte es sich um einen Ritualmord handeln?“, fragte Karyu, nachdem er eine Weile vor sich hin gegrübelt hatte.

„Das haben wir auch schon in Betracht gezogen. Allerdings ist mir keine Sekte bekannt, die solche Rituale zu ihrem Repertoire zählt. Das hier ist sogar für Satanismus zu extrem. Ausschließen können wir es natürlich noch nicht.“

Karyu nickte bedächtig, dann wandte er sich wieder an den Kommissar.

„Ich werde die Augen offen halten und Ihnen, falls nötig, Bescheid geben.“

Der etwas dickliche Mann nickte, sah dabei jedoch wenig erfreut aus. Er begann auf der Stelle auf und ab zu treten.

„Ist sonst noch was?“, bohrte Karyu ungeduldig nach.

„Nun ja, ich weiß ja nicht, ob ich mir nicht zu viel herausnehme, aber ich würde Ihnen gerne noch ein paar Fragen stellen.“, stammelte er in gedämpfter Lautstärke.

Der Vampir verdrehte die Augen. Was blieb ihm schon anderes übrig.

„Wenn's sein muss ...“
 


 

Fünf Minuten später vor Karyus Wohnung ...
 

Hizumi stand im Flur und musterte Karyus verschlossene Haustür. Er spürte deutlich, dass der Bewohner der vier Wände, die sich dahinter verbargen, noch nicht zu Hause war. Um die Wartezeit zu überbrücken, begann Hizumi im Hausflur auf und ab zu trotten. Nach zehn Minuten fühlte er sich durch diese fragwürdige Beschäftigung jedoch reichlich angeödet. Er entschied sich dafür, den Rest der Zeit oben auf dem Hausdach zu verbringen. Obwohl es dort wahrscheinlich kalt und windig war, zog er den freien Himmel dem beengenden Treppenhaus hier unten auf alle Fälle vor. Langsam erklomm Hizumi Stufe für Stufe, bis er endlich auf dem kahlen, betonierten Flachdach des Hochhauses stand. Wie erwartet zog es gewaltig.

Das gesamte Dach war von einem schwarzen Maschendrahtzaun umgeben, nur an der Frontseite befand sich anstatt des Zaunes ein Geländer. Hizumi ging auf eben dieses Geländer zu und legte die Hände auf die oberste Stange. Sie war eiskalt. Schnell stopfte er beide Hände in die Manteltaschen zurück, er fror ohnehin genug. Trotz allem kam Hizumi nicht umhin, die schöne Aussicht zu bewundern, die man von diesem Plateau aus hatte. Von hier oben ließ sich sogar der überfüllten Millionenmetropole am Boden eine gewisse Schönheit abgewinnen.

Während Hizumi die ihn umgebende Stadtlandschaft bewunderte, spielten sich nur wenige Stockwerke tiefer ganz andere Dinge ab.
 

Saga saß im Wohnzimmer und versuchte seinen großen Bruder auf dem Handy zu erreichen. Tsukasa hatte sich vor ungefähr einer Stunde aus dem Staub gemacht, der Teufel allein wusste wohin. Fakt war, dass Saga sich genau in dieser Sekunde große Sorgen um ihn machte. Nach dem einschneidenden Ereignis auf der Dachbrüstung konnte der Jüngere keinen klaren Gedanken mehr fassen. Zum sechsten Mal drückte er nun auf Wahlwiederholung. Zum sechsten Mal vertröstete ihn die Mailbox.

„Ach Scheiße.“, zischte er frustriert und sprang auf. Das Handy landete mit einem leisen Scheppern auf dem Fußboden. Saga bemühte sich nicht es aufzuheben. Tsukasa würde sowieso keinen seiner Anrufe annehmen, geschweige denn zurückrufen. Er kannte seinen Bruder gut genug um sich dessen bewusst zu sein. Nun stand Saga also im Wohnzimmer herum und fühlte sich auf eine ziemlich unangenehme Art und Weise recht nutzlos. Der Gedanke Tsukasa zu suchen kreuzte sein Großhirn.

Ohne diese Idee weiter zu hinterfragen, grapschte Saga nach seiner Jacke und verließ die Wohnung. Etwas ungestüm hastete er die Treppen hinunter. Gerade als er die Türklinke betätigen wollte, um so ins Freie zu gelangen, kam ihm ein zweiter, spontaner Gedanke. Der Brünette machte auf dem Absatz kehrt und marschierte nun fest entschlossen in die Richtung aus der er gekommen war. Dabei stellte er fest, dass dieses Haus definitiv zu viele Treppen und zu wenige, um genau zu sein gar keine, Aufzüge vorweisen konnte. Als er, zugegebenermaßen etwas aus der Puste, im obersten Stockwerk angelangt war, beschlich ihn ein sonderbares Gefühl. Etwas stimmte nicht.

Mittlerweile hatte er sich einigermaßen an die neuen Empfindungen und Wahrnehmungen des Vampirdaseins gewöhnt und war in der Lage sie teilweise zu deuten. Das momentane Gefühl glich am ehesten einer Vorahnung der nahenden Gefahr. Saga runzelte die Stirn und legte die Hand auf die Türklinke. Seine Finger schlossen sich langsam um das kühle Metall und drückten es nach unten. Die Tür öffnete sich lautlos.

Saga ließ den Blick über das Flachdach schweifen. Sofort fiel ihm eine Person ins Auge, die ,mit dem Rücken zu ihm, in einiger Entfernung herumstand und vom Rand des Daches zu schauen schien. Für einen kurzen Moment durchzuckte dieses fremdartige Gefühl, das sich nun stetig verstärkte, Saga wie ein Blitz. Er ignorierte die Empfindung so gut es ging. Momentan war die Suche nach Tsukasa wichtiger. Von seinem Standpunkt aus konnte Saga nicht genau erkennen, ob es sich bei der anwesenden Person um seinen Bruder oder um einen Fremden handelte. Lautlos lies er etwa die Hälfte des Daches hinter sich.

„Tsukasa?“, fragte er leise und verstand im selben Moment, dass es sich bei dieser Person definitiv nicht um seinen Bruder handelte.

Der Fremde drehte sich hastig um und starrte ihn aus gelblichen Augen an. Der Novemberwind zerrte gewaltsam an seinem Haar und warf ihm immer wieder dunkelbraune Haarsträhnen ins Gesicht.

Saga spürte wie seine Kehle trocken wurde. Tausend Worte schossen ihm durch den Kopf, doch keines von ihnen verließ seine Lippen. Schweigend standen die beiden Vampire da und schauten sich an. Es war Hizumi, der seine Sprache als erster wiederfand.

„Tsukasa ist nicht hier.“, sagte er ohne den Blick von Saga abzuwenden.

Der Wind trug die Worte an Sagas Ohr und löste ihn so aus seiner Schockstarre. Er blinzelte.

„Ja. Das hab ich gemerkt.“

Wieder entstand ein peinliches Schweigen.

„Wie geht’s dir?“, brachte Saga schließlich stockend hervor. Der Kleinere setzte ein künstliches Lächeln auf.

„Ganz gut so weit.“

Es war offensichtlich, dass sein Gesprächspartner ihm kein Wort glaubte. Trotzdem spielte er mit.

„Das freut mich zu hören.“

Wieder machte sich Stille breit. Das entfernte Rumoren der Stadt ließ die Situation auf diesem vollkommen isolierten Stück Beton noch beklemmender wirken. Ein leises Seufzen entkam Sagas Lippen.

„Ich glaube ich sollte gehen.“ Er rang sich ein schiefes Lächeln ab. „Das hat so keinen Sinn.“
 


 

Sagas POV
 

„Das hat so keinen Sinn.“, stellte ich überflüssigerweise fest und sah zu, wie Hizumi sich mit dem Rücken zum Abgrund auf das Geländer setzte. Ein heftiges Ziehen flutete meine Magengrube, doch ich hielt mich zurück. Ich hatte nicht das Recht ihn zurecht zu weisen, geschweige denn ihn in irgendeiner Weise zu berühren oder aufzuhalten. Er saß da und sah mich an. Sein Gesicht ließ keinerlei Mimik zu. Nicht die geringste Spur von Gefühl. Auch seine Stimme war vollkommen ruhig. Trotzdem, oder gerade deswegen, fiel mir auf, dass er krank aussah.

„Ja, vielleicht solltest du das.“

Er nickte leicht und schien für den Bruchteil einer Sekunde mit seinen Gedanken in einem gänzlich anderen Universum zu sein. Sein Blick ging ins Leere.

Ich fühlte mich regelrecht furchtbar. So furchtbar, dass ich sogar Tsukasa temporär vergaß. Und auch, wenn ich gerade auf dem besten Weg war mich umzudrehen und diesen Ort schnellstmöglich zu verlassen, konnte ich nicht anders als Hizumi noch einmal genau zu betrachten. Er hatte sich in all den Jahren nicht wesentlich verändert. Die einzig Auffälligkeit waren seine Wangenknochen, die sich deutlicher als früher unter der hellen Haut abzeichneten. Er hatte ganz offensichtlich an Gewicht verloren.

Ich warf einen kurzen Blick auf seine schmalen Hände, die sich an der obersten Geländerstange festkrallten. Plötzlich kamen mir Karyus Drohungen in den Sinn. Bis zu diesem Tage hatte ich nie in Erfahrung bringen können, ob sie auf einem Bluff basierten oder ob die Aussage damals der Wahrheit entsprochen hatte. Diese winzige Frage grub sich rasendschnell in mein Bewusstsein.

„Darf ich dich was fragen?“, platzte es ohne Vorwarnung aus mir heraus. Noch bevor ich mich selbst als hirnlosen Volltrottel bezeichnen konnte nickte Hizumi.

Jetzt gab es sowieso kein Zurück mehr.

„Stimmt es, was Karyu gesagt hat?“

Er sah mich irritiert an.

Scheiße.

Mir blieb nichts anderes übrig als meine Frage genauer zu formulieren. Unerheblich wie viel Überwindung es mich kostete.

„Hast du wirklich versucht dich umzubringen?“ Mit einem Mal fühlte sich mein Hals rau an. Auch meine Stimme klang heiser. Trotzdem brachte ich es nicht über mich, mich zu räuspern oder generell irgendeinen weiteren Ton von mir zu geben.

Hizumis darauf folgende Reaktion verwirrte mich.

„Komm her.“, sagte er leise.

Ich verstand nichts als Bahnhof, gehorchte aber dennoch. Meine Füße bewegten sich in seine Richtung. Schließlich trennte uns nur noch ein halber Meter. Ich musste mich stark zusammenreißen um nicht auf der Stelle loszuheulen. Ich ertrug seine Nähe nicht. Das hier war definitiv zu viel.

Seine nächste Aktion setzte dem Ganzen die Krone auf. Er rutschte zurück auf den Boden, stand so nun unmittelbar vor mir. Ich konnte einen Hauch seines Parfums wahrnehmen, das er in all den Jahren offenbar auch beibehalten hatte. Dieser vertraute Duft löste so einiges in mir aus.

Mit bedächtigem Schweigen zog er seine Jacke aus und warf sie achtlos auf den schmutzigen Boden. Darunter trug er einen schwarzen, eng anliegenden Pullover. Er zog beide Ärmel ein Stück weit nach hoch und drehte die Hände mit der Handfläche nach oben.

Entsetzt betrachtete ich die elfenbeinfarbenen Streifen auf seiner Haut. An jedem Arm verlief eine saubere, gerade gezogene Narbe von gut und gern sechs Zentimetern Länge. Das Narbengewebe wölbte sich leicht nach außen, er schien tief geschnitten zu haben.

Mir wurde schlecht, ich spürte wie mein Magen rebellierte. Ich ertrug den Anblick nicht länger und senkte den Blick.

„Es tut mir so Leid.“ Meine Stimme gab nicht mehr als ein heiseres Flüstern her. Ich war jedoch sicher, dass er mich verstanden hatte, denn er zupfte sich die Ärmel zurecht und bückte sich nach seiner Jacke.

„Schon gut.“

Das war alles was mir noch gefehlt hatte.

Ich hatte mit allem gerechnet. Mit einem zynischen Spruch, mit hasserfüllten Schimpftiraden und mit Ignoranz. Aber nicht mit etwas, das nach Vergebung klang.

Die ersten Tränen bahnten sich unaufhaltsam ihren Weg ans Licht. Ich wandte mich ab. Es war nicht notwendig, dass er mich jetzt auch noch heulen sah. Während ich also da stand und vergeblich versuchte einen Heulkrampf zu unterdrücken, stand Hizumi nur vollkommen ruhig da und beobachtete mich schweigend.

„Wieso geht es dir noch immer so nahe?“, fragte er nach einer Weile.

Ich stieß ein kurzes, verzweifeltes Lachen aus, wischte mir mit der Hand über meine brennenden Augen.

„Weil diese ganze Sache mit uns der größte Fehler meines Lebens war. Sowas vergisst man so schnell nicht.“ Erst Hizumis verletzter Blick machte mir klar, wie missverständlich die Worte waren, die ich da gerade während meines Gefühlsausbruchs gewählt hatte.

„Nein, warte. So war das nicht gemeint.“

Er schob sich an mir vorbei.

„Lass gut sein, Saga.“, murmelte er. Bevor ich groß darüber nachdachte, fasste ich ihn an der Schulter und drehte ihn wieder zu mir. Er sah mich schockiert an. Sofort schoss meine Hand zurück, als hätte sie eine heiße Herdplatte berührt.

„Hör mir zu, bitte.“

Sein Blick sagte mir, dass ich die Sache jetzt schnell klären musste.

„Ich rede Scheiße im Moment. Ich bin fertig mit den Nerven, verstehst du? Das hier ist alles zu viel für mich. Ich meinte nicht, dass unsere Beziehung ein Fehler war. Die war das Beste was mir bis dato passiert ist. Ich würde weiß Gott was dafür geben, um das alles nochmal erleben zu können. Egal wie schmerzhaft es manchmal war.“ Die Worte sprudelten nur so aus mir heraus. Ich machte mir nicht die Mühe sie zu stoppen. Es würde sowieso nichts mehr ändern können.

„Mit dem Satz eben meinte ich, dass ich mir nie verzeihen werde, was ich dir damals angetan hab. Ich hab so oft über alles nachgedacht. Geschätzte tausend mal. Und immer bin ich zu dem Entschluss gekommen, dass du es ohne mich besser gehabt hättest. Wäre ich nicht so hartnäckig gewesen, wären wir wahrscheinlich nie ein Paar geworden. Du hättest jemand anderen gefunden, der dich glücklich gemacht hätte. Du verdienst jemanden, der dich gut behandelt.“ Ich atmete zittrig ein. „Das meinte ich damit. Ich hab dein Leben versaut. Ich bin Schuld an diesen Narben. Und wenn ich darüber nachdenke, dann wäre es mir wirklich lieber, wir hätten uns nie getroffen. Deinetwegen.“

Während diese, lange nur gedachten, Worte sich an die Oberfläche kämpften, wischte ich mir immer wieder über die Augen, in der Hoffnung, den Tränenfluss endlich stoppen zu können.

Ich blieb erfolglos.

Als ich mit meinen Emotionen kämpfte, machten sich selbige zum ersten Mal auch auf Hizumis Gesicht breit. In den hellbraunen Augen flackerte etwas auf, das wahrscheinlich seit Jahren nicht mehr zum Vorschein gekommen war. Sein rechter Mundwinkel zuckte.

„Bereust du es?“ Er sah mich fragend an. „Dass du für mich gestorben bist, meine ich.“, fügte er nach einer kurzen Pause hinzu.

Augenblicklich verneinte ich. Und konnte plötzlich nicht umhin zu lächeln.

„Das war's mir wert.“

Seine schmalen Augenbrauen zogen sich kaum merklich zusammen und er begann an der Innenseite seiner Unterlippe herumzukauen. Geduldig wartete ich auf eine Antwort. Was blieb mir schon anderes übrig. Während ich Hizumi also nach den passenden Worten suchen ließ, versiegten die Tränen so plötzlich, wie sie gekommen waren. Allerdings blieben die unangenehm trockenen Augen und das schreckliche Gefühl in der Magengegend.

Nach einer gefühlten Ewigkeit schien mein Gegenüber endlich die Sprache wiedergefunden zu haben, denn er schürzte die Lippen. Bevor er jedoch zu einer Antwort ansetzen konnte, ließ das Schlagen einer Tür uns beide herumfahren.

Am anderen Ende des Daches stand, halb im Schatten verborgen, eine hochgewachsene Gestalt. Der Wind bauschte ihre langen, blonden Haare in unregelmäßigen Wellen und ließ sie dadurch umso mehr wie einen neuzeitlichen Rachenegel wirken. Der dramatisch wehende, schwarze Mantel tat sein übriges. Endlich dämmerte mir, dass es sich nicht etwa um den Gehörnten persönlich, sondern um etwas viel Schlimmeres handelte.

„Oh Scheiße.“, entfuhr es mir leise. Hizumi schien mich vollkommen ausgeblendet zu haben.

Karyu näherte sich erschreckend schnell und ohne ein Wort zu verlieren. Ohne ihn eines Blickes zu würdigen, ging er an Hizumi vorbei und kam schließlich vor mir zum Stehen. Er schaute stumm auf mich herab und seine unnatürlich hellen Augen loderten förmlich.

„Karyu, lass ihn in Ruhe.“ Hizumi schob sich zwischen uns. Im Vergleich zu Karyu bot er einen geradezu lächerlichen Anblick. Wieder schenkte Karyu seinem Schützling keinerlei Beachtung. Stattdessen schlossen sich die dürren Finger seiner rechten Hand um meinen Hals. Sein Griff brachte mich augenblicklich zum Würgen.

„Warte.“, krächzte ich und bohrte meine Fingernägel in Karyus Handgelenk, in der Hoffnung, ihn so zum Loslassen bewegen zu können. Er schien meinen Angriff nicht einmal zu bemerken.

„Karyu! Lass ihn los! Bitte!“

Mir wurde langsam aber sicher schwarz vor Augen. Karyus Schraubstockfinger drückten punktgenau auf meine Halsschlagader. Das bisschen fremdes Blut, das mich am Nicht-Leben erhielt, fand keinen Weg mehr in mein Gehirn. Grelle Lichtblitze zuckten vor meinen Augen und ich spürte deutlich, wie die Ohnmacht nach mir griff.

Am Rande des Geschehens hörte ich, dass etwas Schweres zu Boden fiel.

„Pass auf, Arschloch.“, wisperte es direkt neben meinem Ohr. „Ich lasse dich dieses eine Mal noch laufen. Sollte ich dich noch einmal in seiner Nähe erwischen, dann breche ich dir jeden einzelnen Knochen. Bei vollem Bewusstsein.“

Er ließ mich fallen und ich schlug mit der Schläfe gegen das rostige Geländer. Ein metallischer Geschmack breitete sich in meiner Mundhöhle aus. Dann verlor ich das Bewusstsein.

Trouble On The Way

So, ihr Süßen. Ich melde mich, wie versprochen, noch vor dem Wochenende mit einem neuen Kapitel zurück. Dieses Chap hat mir großen Spaß gemacht, da zum ersten Mal Kaoru und Die vorkommen & ich die beiden jetzt schon klasse finde xD
 

Das Lied, das die beiden direkt in der ersten Szene im Radio hören passt übrigens nicht nur textlich extrem gut. Es ist auch der Titelsong dieses ultra geilen, ultra trashigen Films "Amercian Werewolf in London", der mir früher als Kind ne Heidenangst einjagte, aber möglicherweise gerade deshalb dafür gesorgt hat, dass HOLLOW II einen coolen Untertitel hat xD (Übrigens lief der Song auch schon bei Supernatural im Auto von Sam und Dean. Noch ein Grund, ihn einfach cool zu finden "xD)
 

Aber wo wir schon bei London sind...
 

Die nächsten drei Wochen wird es keine neuen Kapitel geben, da ich am Wochenende wieder nach England fliege. Zwecks Freunde besuchen & kreativer Schaffenspause.

Ich hoffe ich lese euch alle gesund wieder & wünsche euch viel Spaß beim nächsten Chap!
 

Bad Moon Rising - CCR

http://www.myvideo.de/watch/6424868/CCR_Bad_Moon_Rising

(Und bitte nicht über das Video wundern xDDD Ich hab einfach kein anderes mit dem Original-Song gefunden... Bedankt euch bei der GEMA.)
 

Lyrics

http://www.lyricsfreak.com/c/creedence+clearwater+revival/bad+moon+rising_20034328.html
 

enjoy ♥
 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*
 

Mit quietschenden Reifen hielt der schwarze Landrover an der Zapfsäule. Der Fahrer stieß die Tür auf und sprang mit einer fließenden Bewegung aus dem, zugegebenermaßen ziemlich staubigen, Fahrzeug. Routiniert hakte er den Schlauch aus der Zapfsäule und wandte seinen Blick wenig später dem stetig steigenden Zählerstand zu. Als die kleinen Rädchen am Zähler mit einem leisen Klicken ihren Stillstand verkündeten, hängte er den Benzinschlauch zurück an seinen Platz und verschwand in dem kleinen, trostlosen Tankstellengebäude, um zu bezahlen.

Im Inneren des Wagens saß eine weitere Gestalt und sah missmutig durch die verdreckten Fenster hinaus. Die Sonne war im Begriff unter zu gehen und tauchte so die Welt in ein weiches Licht. Denn obwohl der Tag grau und regnerisch gewesen war, hatten sich die Wolken nun, gegen Abend hin, größtenteils verzogen. Trotzdem war es für diese Jahreszeit ungewöhnlich kalt.

Das Schlagen der Autotür ließ den Wartenden aufschauen.

„Wie lange wollen wir hier jetzt noch rumgurken?“, fragte er den Fahrer des Wagens, der genau in diesem Moment den Zündschlüssel herumdrehte.

„In zwei oder drei Stunden dürften wir da sein.“

„Das hast du vor einer Stunde schon gesagt.“

„Meine Güte, Daisuke. Kann ich was für die beschissene Umleitung?“

Dieser Satz beendete das Gespräch für die nächsten zwanzig Minuten. Die hatte den Kopf gegen die Fensterscheibe gelehnt. Draußen flog die Landschaft vorbei und langsam aber sicher wurde es dämmrig. Die bemerkte, dass er im Begriff war ein zu nicken und stellte kurzerhand das Radio lauter. Dort verkündeten CCR voller Enthusiasmus den bevorstehenden Weltuntergang.
 

„Don't go around tonight, well it's bound to take your life. There's a bad moon on the rise...“
 

Kaoru grinste breit als ihm die Zweideutigkeit des Liedes bewusst wurde.

„Wie passend.“, sagte er gut gelaunt und beschleunigte den Wagen um weitere zehn Stundenkilometer. Auch Die konnte sich ein müdes Lächeln nicht verkneifen.

Trotz der nun erheblich lauteren Musik fielen dem Rothaarigen die Augen zu und er dämmerte in einen unruhigen Schlaf. Kaoru warf seinem Bruder einen Seitenblick zu und ein mildes Lächeln erhellte seine Züge.

Die letzten Wochen waren hart gewesen, besonders für Die. Ihm bekam die weite Reise nicht wirklich und das obwohl er einen Großteil der Zeit lediglich auf dem Beifahrersitz verbracht hatte.

Der Mond stand schon hoch am Himmel, als Kaoru den Wagen endlich auf einen unbeleuchteten Parkplatz lenkte. Er stellte den Motor ab und ließ den Kopf an die Rücklehne des schwarzen Sitzes kippen. Für einen kurzen Moment schloss er die Augen.

Dann griff er nach Dies Arm und rüttelte vorsichtig daran.

„Aufwachen, wir sind da.“

Der Jüngere schreckte auf.

„Was?“, nuschelte er verschlafen und rieb sich die Augen.

„Wir sind am Hotel angekommen. Schnapp dir deine Tasche und komm mit einchecken. Dann kannst du oben weiterschlafen.“

Die nickte und tat wie ihm geheißen.

Auch Kaoru griff nach seiner Tasche, die nur das Nötigste für die heutige Nacht enthielt. Die Koffer konnten auch Morgen noch ihren Platz wechseln. Die beiden Brüder betraten das grau in grau gehaltene Foyer und mussten feststellen, dass es sich eher um eine Absteige als um ein Hotel zu handeln schien. Kaoru brauchte nur wenige Worte um der gelangweilten, übermüdeten Aushilfe hinter der Rezeption die Situation zu erklären. Das Mädchen drückte ihm einen einzelnen Schlüssel in die Hand und zeigte mit dem Finger auf eine Tür zu ihrer rechten.

„Da durch, Treppe hoch, dritte links.“

Kaoru bedankte sich und schlug, dicht gefolgt von Die, eben diesen Weg ein.

Das Zimmer erwies sich, wie erwartet, als spartanisch ausgestattetes Wohnklo und beinhaltete neben einem Doppelbett einen Tisch und ein speckiges Sofa. Die Tapeten schimmerten olivgrün und es roch ein wenig muffig.

Kaoru hob eine Augenbraue.

„Wie ich es hasse.“, sagte er tonlos und warf seine Tasche auf das Sofa.

Die hingegen nahm augenblicklich das Bett in Beschlag und rollte sich auf der abgegriffenen Decke zusammen. Er machte sich nicht mehr die Mühe, gegen die übermächtige Müdigkeit anzukämpfen und schlief innerhalb weniger Sekunden ein.

Im Gegensatz zu Die schaffte Kaoru es immerhin, sich Schuhe und Hose auszuziehen, bevor er sich vollkommen übermüdet in die Kissen fallen ließ. Er löschte das Licht und schloss die Augen.

Eine ruhige Nacht hatte er nach den vergangenen Geschehnissen bitter nötig.
 


 

Zur gleichen Zeit ...
 

Die dünne Mondsichel warf nur spärliches Licht auf den Asphalt. Genau aus diesem Grund stand Tsukasa unter der Straßenlaterne. Es war lausig kalt, windig und eigentlich viel zu spät zum rauchen. Trotzdem stand er nun schon seit einer geschlagenen halben Stunde unter dieser ewig flackernden Laterne und sah zu, wie die bläulichen Rauchschwaden, die er ausstieß, sich in Luft auflösten. Sein Blick richtete sich seit geraumer Zeit entweder starr geradeaus, oder suchte den Boden nach möglichen Unebenheiten ab.

Plötzlich vernahm er ein leises Geräusch, das ihn dazu veranlasste, den Kopf zu heben. Auf der anderen Straßenseite konnte Tsukasa eine schemenhafte Gestalt ausmachen, die sich ihm zu näheren schien. Als die Gestalt den äußersten Lichtkreis der Laterne durchschritt, entwich Tsukasa ein angespanntes Seufzen.

„Was suchst du denn hier?“

„Meine Wohnung. Und du?“

Karyu musterte ihn mit einem leichten Grinsen.

„Bisschen spät zum rauchen, findest du nicht?“

„Wir sind Vampire. Rein naturwissenschaftlich betrachtet sollten wir unser Dasein nur während dieser Tageszeit fristen.“

„Wow, Tsukasa. So was aus deinem Mund?“ Karyu lehnte sich neben dem Kleineren an die Hauswand und warf einen kurzen Blick zum Nachthimmel. „Gibst du mir auch eine?“

Er deutete mit dem Kinn zu Tsukasas Hand, die schon seit geraumer Zeit ein hoffnungslos zerbeultes Kippenpäckchen umklammerte. Der Jüngere runzelte die Stirn.

„Seit wann rauchst du?“

„Gar nicht.“

Tsukasa hob eine Augenbraue, reichte Karyu dann jedoch eine Zigarette. Der nahm sie dankend an und zauberte ein Feuerzeug aus seiner Manteltasche hervor.

„Du warst noch nicht drinnen, kann das sein?“, fragte der Blonde, während er den ersten Schub Nikotin in seine Lungen beförderte.

Tsukasa verneinte.

„Dachte ich mir fast.“

Nach diesen Worten schwieg Karyu und rauchte versonnen vor sich hin. Von Zeit zu Zeit betrachtete er den Himmel. Leicht genervt drehte Tsukasa sich zu seinem Nebenmann.

„Worauf willst du hinaus, Karyu?“

„Ich will darauf hinaus, dass du dich besser um dein Brüderchen kümmern solltest. Heute musste ich diese Aufgabe wohl oder übel für dich übernehmen.“ Er warf Tsukasa einen intensiven Blick zu, den dieser jedoch nicht genau deuten konnte.

„Was hast du mit ihm gemacht?“, hakte Tsukasa augenblicklich nach. Ihm schwante Übles.

„Er dürfte eine kleine Platzwunde am Kopf haben.“

„Er dürfte was?!“

Eine Zigarette fiel zu Boden und verglühte im Straßenstaub. Tsukasas Hand schoss nach vorn und packte Karyu am Mantelkragen.

„Was hast du gemacht, du Arschloch?“, fauchte der Brünette und zog seinen Gegenüber gewaltsam ein Stück zu sich nach unten. Der schien im ersten Moment ernsthaft überrumpelt zu sein, dann jedoch grinste er etwas verächtlich.

„Reg dich ab und hör mir zu, ok?“

Er griff nach Tsukasas knochigem Handgelenk und drückte es von sich, bog ihm dabei gleichzeitig mit der anderen Hand die Finger auseinander. Wütend, aber ohne größere Gegenwehr, wartete der ehemalige Vampirjäger auf die versprochenen Antworten.

„Dein kleiner Bruder hat sich heute mit Hizumi getroffen. Auf dem verdammten Hausdach.“

Er nickte mit dem Kopf schräg nach oben. Tsukasas Blick folgte dieser Geste unnötigerweise.

„Keine Ahnung ob es Zufall oder Absicht war. Hizumi wollte nämlich eigentlich zu mir. Weiß der Teufel, was er auf dem Dach zu suchen gehabt hat. Fakt ist, dass er dort deinen Bruder getroffen hat. Natürlich ist das ganze, wie zu erwarten, in ein neues, unnützes Drama ausgeartet. So was kann hier keiner von uns gebrauchen, verstehst du das?“

Tsukasa nickte mechanisch, durchbohrte Karyu aber trotzdem weiterhin mit einem Todesblick erster Güte.

„Wie du wissen müsstest, habe ich Saga vor ein paar Jahren gewarnt. Er weiß, dass ich ein massives Problem damit habe, wenn er sich, nach allem was geschehen ist, in Hizumis Nähe aufhält.“, fuhr Karyu betont lässig fort. „In diesem Fall habe ich also nochmal Gnade vor Recht ergehen lassen und ihm lediglich verdeutlicht, dass ich das nächste Mal ernst machen werde. Ich kann auch nichts dafür, dass dein Bruder keinen intakten Gleichgewichtssinn zu haben scheint. Er hat sich aufs Maul gelegt und dabei den Kopf angeschlagen. Hat sich sozusagen selbst ausgeknockt. Mittlerweile müsste die Wunde schon längst wieder verheilt sein.“

Während Karyu sprach, verfinsterte sich der Gesichtsausdruck des zweiten Vampirs zusehends. Karyu mutmaßte, dass es nicht mehr lange dauern würde, bis Tsukasa ihm buchstäblich an die Kehle sprang. Ein winziges Grinsen umspielte seine Mundwinkel, denn der Gedanke amüsierte ihn.

„Was zur Hölle ist eigentlich dein Problem, Karyu?“

„Mein Problem?“ Verdutzt hob Karyu die Augenbrauen und deutete mit dem Zeigefinger auf sich selbst. Dann lachte er. „Ist nicht dein Ernst, oder?“

„Doch, ist es.“

„Mein Problem ist, dass dein Bruder die alleinige Schuld an Hizumis Selbstmordversuch trägt. Das ist mein Problem.“ Er machte einen Schritt auf Tsukasa zu und wirkte mit einem Mal ziemlich bedrohlich. „Nicht zu vergessen die drei gebrochenen Rippen, die ausgerenkte Schulter und das angeknackste Jochbein. Diverse Blutergüsse und Prellungen sind ja nicht der Rede wert. Was das alles mit Hizumis Psyche angestellt hat wohl auch nicht.“

Mit einem zunehmend mulmigen Gefühl in der Magengrube wich Tsukasa einen Schritt zurück. Karyu erschien in diesem Moment noch größer als er ohnehin schon war und trotz der Dunkelheit erkannte Tsukasa, dass seine Augen sich hell färbten. Der junge Vampir fuhr sich nervös mit der Zunge über seine spröden Lippen.

„Er hat das nicht absichtlich getan.“, versucht er seinen Bruder zu verteidigen. „Es war ein Ausrutscher.“

Offenbar ließ Karyu das nicht gelten, denn er lachte kurz und trocken auf.

„Es ist mir scheißegal, ob das ein Ausrutscher war oder nicht. Wenn es einer war, dann wird das nicht sein letzter gewesen sein. Es braucht Jahrhunderte, bis er sich komplett im Griff hat. Und solange hat er sich gefälligst von Hizumi fern zu halten!“

„Wieso lässt du Hizumi das nicht selbst entscheiden? Er ist alt genug, oder?“

„Weil Hizumi was Gefühlsangelegenheiten betrifft ein kompletter Idiot ist. Mir ist vollkommen klar, dass er noch immer nicht über Saga hinweg ist. Und er wird nie über ihn hinweg kommen, sofern noch eine Chance darauf besteht, dass die beiden wieder ein Paar werden. Und solange das der Fall ist, macht er sich selbst fertig. Und mit fertig machenmeine ich nicht nur depressives Gejammer oder vollgeheulte Kopfkissen.“

Stirnrunzelnd musterte Tsukasa den Älteren. Ein Großteil der Wut war nun aus Karyus Augen gewichen und an ihre Stelle trat etwas, das man mit viel Fantasie als Sorge bezeichnen konnte.

„Wieso ist er dir so wichtig?“ Diese Frage stellte Tsukasa sich schon, seit er das erste Mal von Hizumi erfahren hatte. Nun war der Zeitpunkt gekommen, an dem es ihm sinnvoll erschien, diese Frage laut zu äußern. „Hizumi meine ich.“

Irritiert hob Karyu die Augenbrauen. Er zuckte, wohl unbewusst, die Schultern und ließ sich zurück an die Hauswand sinken. Offenbar dachte er nach.

„Ich bezweifle, dass du das verstehen kannst.“, antwortete er schließlich. Diesmal klang seine Stimme wie gewohnt ruhig und sein Tonfall war gefasst. Insgeheim schickte Tsukasa ein kurzes Dankesgebet an die dafür zuständige Institution. Ob es sich dabei nun um Himmel oder Hölle handeln mochte war pure Spekulation.

„Du könntest wenigstens versuchen es mir zu erklären. Vielleicht würde das auch das Bedürfnis, dir in die Fresse zu hauen, mildern.“, gab Tsukasa zu bedenken.

Wieder schwieg Karyu eine Weile, dann seufzte er lautlos und verschränkte die Arme vor der Brust.

„Ach... was soll ich dazu groß sagen?“

Scheinbar hatte ihn noch nie jemand offen darauf angesprochen, dachte Tsukasa strinrunzelnd. Das war natürlich ein Faktor, der seine Neugierde noch zusätzlich schürte. Bevor er Karyu jedoch erneut zum Reden animieren konnte, fuhr dieser von selbst fort.

„Ich kenne Hizumi schon über zweihundert Jahre. Das ist eine Zeitspanne, die du dir noch überhaupt nicht vorstellen kannst. Ich war derjenige, der ihn damals zum Vampir gemacht hat.“

Als Tsukasa darauf hin empört die Lippen schürzte, fiel Karyu ihm ins Wort.

„Auf eigenen Wunsch. Bevor du hier wieder anfängst zu meckern.“

Offenbar hatte er hiermit richtig gelegen, denn der Brünette stieß die, für mindestens einen Vorwurf notwendige, Luft mit einem leisen Zischen wieder aus und erinnerte so ein wenig an einen alten Luftballon.

„Wir haben schon einigen Mist zusammen durchgemacht, glaub mir. Selbst Zero hat die meisten dieser Geschehnisse nicht miterlebt. Einfach weil ich ihn nicht einmal halb so lange kenne wie Hizumi.“ Karyu machte eine Pause und schien den Mond zu betrachten. „So bescheuert es auch klingen mag... Hizumi ist die einzige Familie die ich je hatte.“

Karyu schien seine Erzählung hiermit beendet zu haben, denn er machte keine Anstalten weiter zu sprechen, sondern schaute nur wieder nachdenklich zum Himmel hinauf. Im Dämmerlicht der Straßenlaterne wirkten Karyus Züge plötzlich viel weicher als sonst und in ihnen lag ein Ausdruck, der Tsukasa vollkommen fremd war.

„Also ich finde das gar nicht bescheuert.“, sagte er schließlich leise.

Diese Worte schienen Karyu aus seinen Gedanken zu reißen und innerhalb von Sekunden war er wieder der Alte.

„Was soll's.“ Er stieß sich mit dem Fuß von der Hauswand ab und knackte geräuschvoll mit den Nackenwirbeln. „Ich für meinen Teil hab jetzt genug hier draußen rumgestanden. Langsam wird mir der Arsch zu kalt.“

Gerade wollte Tsukasa nicken, als Karyu innehielt.

„Moment. Bevor ich's vergesse.“ Er sah wie gewohnt auf Tsukasa herab und rieb sich auf höchst intellektuelle Art und Weise das Kinn.

„Was suchst du eigentlich um diese Uhrzeit hier draußen?“

„Ich wüsste nicht was dich das angeht.“

Ein etwas manisches Grinsen umspielte Karyus Lippen.

„Ah-Ah.“ Er wedelte mit dem Zeigefinger vor Tsukasas Gesicht herum.

„So nicht. Quid pro quo, mein Süßer.“

„Ich kann kein Italienisch.“

„Das war Latein, du Intelligenzbolzen.“

„Oh... Und was bitte schön soll das heißen?“

„Naja, das heißt ganz einfach, dass du.“ Karyu piekte einen knochigen Spinnenfinger in Tsukasas Brust. „mir jetzt auch eine Erklärung schuldest. Nachdem ich ja so großmütig etwas von mir preisgegeben habe. Das ist nur fair.“

Tsukasa schlug Karyus Hand unsanft weg.

„Seit wann interessiert dich Fairness?“

„Seit heute Mittag um zwölf.“, gab Karyu schlagfertig zurück und ignorierte Tsukasas sich in den Höhlen verdrehende Augen.

„Also gut, du gibst ja sowieso keine Ruhe.“, antwortete der schließlich mit einem nicht zu überhörenden, entnervten Unterton in der Stimme. „Mir geht’s scheiße, ok? Ich komm nicht klar auf dieses verdammte Vampir-Leben. Das ist mir in der letzten Zeit bewusst geworden.“ Er sah starr zu Boden. „Wer weiß ob ich den Mist hier noch durchziehen würde, wenn Saga nicht wäre. Wahrscheinlich hätte ich mir schon die Kugel gegeben.“ Er schwieg einen Moment, dann sah er auf und blickte Karyu direkt in die Augen. „Wie hältst du das aus?“

Ganz wider Tsukasas Erwarten, gab Karyu keinen dummen Spruch von sich, sondern schien sich wirklich Gedanken über diese Frage zu machen.

„Ich kenne es nicht anders. Ich wurde schon so geboren, ich war nie Mensch.“

Diese Antwort versetzte Tsukasa einen leichten Stich in der Magengegend. Er hatte vollkommen vergessen, dass Karyu ein Native war. Aus Scham über seine unsinnige Frage und aus Frustration über die verwährte Antwort, verschränkte Tsukasa die Arme vor der Brust und starrte auf seine Schuhe. Der andere schien das zu bemerken, denn fast augenblicklich schoben sich zwei Finger unter sein Kinn und drückten es vorsichtig nach oben.

„Aber auch wenn ich es nie selbst erlebt habe, hab ich es oft genug bei anderen miterlebt. Und Fakt ist, dass solche Phasen vollkommen normal sind. Es wird besser, glaub mir. Irgendwann kommt der Punkt, an dem du es akzeptieren kannst.“

Tsukasa blinzelte Karyu verblüfft an. Er wusste nicht, was ihm erschreckender vorkommen sollte. Diese Hand unter seinem Kinn, oder dass Karyu wohl tatsächlich versuchte ihm Mut zu machen.

„Lass den Scheiß.“, knurrte er und schüttelte Karyus Hand ab, indem er den Kopf ruckartig zur Seite bewegte. Diese Reaktion entlockte Karyu ein leises Lachen.

„Denk drüber nach.“, sagte der Blonde schließlich und strich sich eine Haarsträhne aus dem bleichen Gesicht. „Ich verschwinde. Gute Nacht, Tsukasa.“

Mit diesen Worten drehte er sich um und ließ einen sichtlich verstörten Tsukasa draußen zurück.
 


 

Tsukasas POV
 

Er ließ mich einfach stehen und verschwand ohne ein weiteres Wort im Hauseingang.

Ich ließ die vergangenen zwanzig Minuten revue passieren und kam zu dem Schluss, dass Karyu irgendeine psychische Störung haben musste. Es war nicht normal, dass sich eine Persönlichkeit innerhalb von so kurzer Zeit so drastisch verändern konnte. Als ich so darüber nachdachte, bemerkte ich zu meiner Verwunderung, dass meine anfängliche Wut auf Karyu verflogen war. Ich kniff mich kurz aber heftig in den Arm.

Blöde Idee, denn der Schmerz fühlte sich wirklich fies an.

Dann wartete ich genau drei Sekunden und dachte noch einmal über Karyu nach.

Noch immer keine Wut. Die übliche Abscheu, ja. Die eigentlich angebrachte Wut, nein.

Möglicherweise lag es daran, dass ich ihn auf eine, zugegeben oberflächliche, Art und Weise verstehen konnte. Es hatte keinen Sinn Sagas Kontrollverluste schön zu reden, das begriff selbst ich. Ich nahm an, dass ich in gleicher Weise reagiert hätte, wäre die Situation umgekehrt gewesen.

Vielleicht waren all diese Gefühle von Verständnis und Verstand aber auch nur müdigkeitsbedingte Hirngespinste.

Der morgige Tag würde es zeigen.

Ich stieß einen tiefen Seufzer aus und kramte in der Hosentasche nach meinem Handy, um dort die Uhrzeit abzulesen.

Das Neondisplay zeigte 02.13 an.

Soviel zum Thema Müdigkeit.

Es half ja doch nichts. Ich konnte nicht für immer hier draußen in der Kälte herumstehen. Also machte ich mich wohl oder übel auf den Rückweg in meine Wohnung. Vor der Tür verharrte ich eine Weile und lauschte in die Dunkelheit. Vollkommene Stille umgab mich.

Ich drehte den Schlüssel und betrat die Wohnung. Hier bot sich mir das gleiche Bild wie draußen im Flur. Als die Tür ins Schloss fiel, tastete ich blind nach dem Lichtschalter.

Schließlich klickte es vielversprechend und die Deckenlampe flutete den Raum mit Licht. Ich kniff unweigerlich die Augen zusammen. Wenn es etwas gab, das mir bereits nach kurzer Zeit in den Reihen der Untoten aufgefallen war, dann, dass Licht und Vampirpupillen sich nicht wirklich gut vertrugen. Endlich gewöhnten sich meine Augen an die Helligkeit.

Ich zog die Schuhe aus und ging durch den winzigen Flur hinüber ins Wohnzimmer. Das dunkle Bündel auf dem Sofa fiel mir direkt ins Auge.

Im gleichen Augenblick überkam mich ein schlechtes Gewissen erster Güte. Saga hatte auf mich gewartet. Wie lange, konnte ich nur schätzen. Ich hockte mich neben das Sofa und strich meinem Bruder vorsichtig über den Rücken. Er schien tief und fest geschlafen zu haben, doch schon diese sanfte Berührung brachte schleichend Leben in seinen Körper. Ächzend rappelte er sich auf und rieb sich die Augen.

„Du solltest nicht auf der Couch schlafen, das ist scheiße für den Rücken.“, sagte ich und versuchte ein gekünsteltes Lächeln.

„Wo warst du?“

Natürlich. Musste ja kommen. Was sollte ich sagen?

Die Wahrheit brachte ich nicht über die Lippen, denn ich wusste, dass Saga sich deswegen Sorgen machen würde. So ungern ich meinen kleinen Bruder anlog, in diesem Fall war es besser für ihn.

„Überall und nirgends. Ich bin rumgelaufen, mehr nicht.“

Er runzelte die Stirn und gähnte.

„Was ist los mit dir in letzter Zeit?“

„Nichts.“

Schon wieder gelogen.

„Aber mal eine Gegenfrage.“, sagte ich hastig, bevor Saga auf die Idee kam, noch weitere Fragen zu stellen. „Was ist das da an deiner Stirn?“ Ich deutete auf einen etwa münzgroßen, roten Fleck an seiner Schläfe, den ich wahrscheinlich, ohne Karyus Hinweis, nie im Leben bemerkt hätte.

Hastig schüttelte er sich das Haar ins Gesicht.

„Nichts.“

„Lüg mich nicht an.“

Er schaute mir kurz in die Augen, dann senkte er den Blick und begann mir seine Version des Geschehenen zu berichten. Ich war ernsthaft überrascht, dass sie sich zum größten Teil mit Karyus Aussage deckte. Offensichtlich hatte er mich nicht belogen.

Als Saga geendet hatte sah er mich erwartungsvoll an.

„Was erwartest du jetzt von mir?“

Er zuckte mit den Schultern.

„So ungern ich es auch zugebe, ich bin der gleichen Meinung wie Karyu. Du solltest es gut sein lassen, was Hizumi betrifft.“

Diese Aussage wirkte auf Saga wie ein Schlag ins Gesicht. Er biss sich auf die Lippe und ließ den Kopf hängen.

„Vielleicht hast du Recht.“, murmelte er „Es ist besser für ihn.“

„Vor allem ist es besser für dich.“

Bis heute fragte ich mich, was Saga an diesem dürren, depressiven Kerl gefunden hatte und offenbar immer noch fand. Es war kein direkter Hass, aber ich musste zugeben, dass ich seit unserer ersten Begegnung eine tiefe Abneigung gegen Hizumi hegte. Möglicherweise lag das daran, dass er mir damals, bei dem Anschlag auf seine Familie, als einziger durch die Lappen gegangen war.

Meine Verachtung konnte natürlich auch daher rühren, dass er Schuld an diesem ganzen Schlamassel hier trug. Ohne Hizumis Einwirken wäre garantiert keiner von uns beiden verreckt, nur um kurz danach erneut zum Leben zu erwachen.

Berücksichtigte man allein diese Punkte, dann war es, wie ich persönlich fand, verständlich, dass ich den Blutsauger nicht sonderlich gut leiden konnte.

„Das ist Ansichtssache.“, antwortete Saga und stand auf. „Ich geh ins Bett.“

Schon wieder wurde ich stehen, oder viel mehr sitzen gelassen.

Seufzend richtete ich mich schließlich auf. Meine Kniescheiben gaben ein eigentümliches Knacken von sich.

Grandios.

Jetzt wurde dieser tote Körper in dem ich mein Dasein verbrachte auch noch morsch.

Killing Loneliness

Pünktlich melde ich mich zurück!
 

Gibt nicht viel zu sagen, außer, dass dieses Kapitel hier irgendwie unterschwellig dramatisch ist, wie ich finde.
 

Jetzt mal ein bisschen Off-Topic: Ich habe jetzt einen eigenen Blog!

Wer an meinem persönlichen Alltag, Make-Up-Tipps, Pseudo-Wissenschaftlichem und natürlich Buchrezensionen und Literatur im allgemeinen interessiert ist, der wird dort vielleicht ein paar Zeilen lesen wollen. Ist natürlich alles noch im Aufbau und wird stetig erweitert. Wie man das mit Blogs halt so macht.
 

http://aliceleech.blogspot.com/
 


 

Lied zum Kapitel, bzw zum Part von Hizumi und Saga, wäre folgendes:
 

Ein Teil von mir - Die Toten Hosen
 

http://www.youtube.com/watch?v=jxjJUEc6GSA
 


 

enjoy ♥
 


 

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Universität der Bildenden Künste, 19.28 Uhr ...
 

Das alles übertönende Stimmengewirr wurde langsam leiser. Nach und nach erhoben sich die Studenten von ihren Plätzen, rafften hastig die Aufzeichnungen zusammen und verließen den Hörsaal. Einige machten ihren Weg am Pult vorbei, um die fertigen Hausarbeiten abzugeben.

Auf dem dunklen Holztisch hatte sich bereits ein beachtlicher Stapel verschiedenfarbiger Mappen gebildet. Hizumi gab sich Mühe, jedem der vorbei eilenden Menschen einen freundlichen Blick zu schenken und war heilfroh, als der letzte Ordner auf seinem Tisch landete und jemand die Tür zum Hörsaal hinter sich schloss.

Hizumi knackte mit den Fingerknöcheln und ließ sich mit einem lauten Seufzen gegen die Rückenlehne seines Stuhles sinken. Er warf einen kurzen Blick auf die große Wanduhr über der Tafel. Es war bereits halb acht. Bis er hier fertig war würde es draußen stockfinster sein. Der Vampir gönnte sich noch einen kurzen Moment der inneren Einkehr, bevor er begann die Hausarbeiten alphabetisch zu ordnen und sie schließlich in seine Umhängetasche stopfte.

Dann verließ er den Raum.

Auf dem Gang traf er zwei Kollegen. Obwohl die beiden freundlich grüßten, wusste Hizumi, dass er zum Gesprächsthema werden würde, sobald er außer Sichtweite war.

Die meisten Dozenten und Professoren tuschelten hinterrücks über ihn, das war kein Geheimnis. Die Gründe dafür waren verschieden und variierten meist mit dem Alter der Lehrkörper.

Wirklich geheuer war der junge Kunstdozent, der sich nie in der Lehrerkantine blicken ließ und auch sonst den Kontakt zu Menschen scheute, allerdings keinem. Nicht einmal den Studenten.

Hizumi durchquerte das Foyer. Schon hier konnte man die Herbstkälte, die durch die schlecht isolierte Eingangstür von draußen herein kroch, deutlich spüren. Als Hizumi endlich das Außengelände erreichte, kondensierte sein Atem, kaum dass er die Lippen verlassen hatte, zu kleinen Dunstwolken. Wie erwartet herrschte hier draußen bereits tiefe Nacht.

Hizumi ging an einer Reihe angeketteter Fahrräder vorbei in Richtung U-Bahn Station. In der letzten Nacht hatte er kaum Schlaf gefunden, dementsprechend groß war nun der Wunsch nach einem warmen Bett. Die Korrekturen konnten auch noch bis morgen warten.

Gerade als Hizumi um die Ecke biegen wollte, spürte er eine seltsame Anwesenheit.

Jemand beobachtete ihn.

Er verlangsamte seine Schritte und blieb schließlich stehen. Dann drehte er sich um und konnte tatsächlich einige Meter entfernt eine Gestalt ausmachen. Ganz offensichtlich hatte dieser Jemand vorgehabt ihm zu folgen. Hizumi kniff die Augen zusammen, in der Hoffnung etwas erkennen zu können. Doch der Fremde nahm ihm diese Anstrengung ab und kam geradewegs auf ihn zu. Schließlich verstand Hizumi, um wen es sich bei diesem nächtlichen Verfolger handelte.

„Was tust du denn hier?“, fragte er und schaute sich verstohlen um.

Im Umkreis von hundert Metern war keine Menschenseele zu sehen.

„Ich musste dich sehen. Es gibt Dinge, die ich dir noch sagen will.“

Hizumi seufzte tief und bemühte sich, wenigstens äußerlich die Fassung zu wahren.

„Karyu bringt dich um wenn er erfährt, dass du mir hinterher läufst.“

„Ich laufe dir nicht hinterher. Ich hab auf dich gewartet.“, verteidigte sich Saga und fügte ein leises „Und Karyu geht mir am Arsch vorbei.“ hinzu, das Hizumi gepflegt ignorierte.

„Also gut. Dann lass uns ein Stück gehen.“

Schweigend verließen die beiden Untoten den Campus. Hizumi hielt den Blick starr auf die Straße gesenkt und zählte die Betonplatten unter seinen Füßen. Nach quälenden Minuten der Stille erreichten sie eine schmucklose Fußgängerbrücke. Saga blieb stehen und sah hinunter auf die unzähligen Autos, die unter ihm über einer grell erleuchtete Hauptstraße fuhren.

Er konnte hören wie Hizumi neben ihm zum Stehen kam.

„Hat Karyu noch irgendwas zu dir gesagt?“

Zugegeben eine recht klägliche Einleitung für ein Gespräch dieser Wichtigkeit. Trotzdem wusste Saga nicht, wie er es hätte besser machen können.

„Nichts was er mir nicht schon vorher tausendfach gepredigt hätte.“, antwortete Hizumi mit einem schiefen Lächeln. Er trat einen Schritt vor und sah hinunter auf die Straße. Saga kam nicht umhin einen Blick auf Hizumis Handgelenke zu werfen.

„Aber an diesem Abend war ich ohnehin nicht aufnahmefähig. Das kam alles ein bisschen zu plötzlich. Ich denke du weißt was ich meine.“

Saga nickte langsam und wandte den Blick zum Horizont, wo das nächtliche Lichtermeer gegen die Dunkelheit des Nachthimmels ankämpfte.

„Und heute ist es weniger überraschend für dich?“

„Um ehrlich zu sein wäre ich eher überrascht gewesen, wenn du mich nicht nochmal hättest treffen wollen. Du bist und bleibst nun mal ein sturer Idiot. Ich hab mich damit abgefunden.“, sagte Hizumi. Saga konnte im Licht der Straßenlaterne erkennen, dass er lächelte. Der Größere war sich ziemlich sicher, dass das ruhige Auftreten seines Ex-Freundes nichts weiter als eine ausgeklügelte Fassade war.

„Jetzt spucks schon aus, Saga. Was willst du?“, fragte Hizumi schließlich ruhig und ohne Saga eines Blicks zu würdigen.

„Ich-“ Er räusperte sich umständlich. „Ich will wissen, ob du mir verzeihen kannst.“

Hizumi fixierte stirnrunzelnd eine der vielen Straßenlaternen. Mit dem antworten ließ er sich Zeit.

„Wenn du es genau wissen willst, habe ich dir längst verziehen.“

Saga traute seinen Ohren nicht. Gerade als er eine ungläubige Bemerkung in den Raum werfen wollte, fuhr Hizumi fort. „Ich habe dich nie deswegen verurteilt, das müsstest du eigentlich wissen. Ich weiß wie schlimm so ein Kontrollverlust ist, ich habe in solchen Situationen schon viel schrecklichere Dinge getan.“ Er wandte sich ab und ließ den Kopf hängen. Der andere zog kurz in Erwägung, tröstend die Hand auf Hizumis Schulter zu legen, entschied sich dann aber dagegen. Körperkontakt jeglicher Art war momentan einfach nicht angebracht.

„Mein einziges Problem ist, dass-“ Er brach ab und wischte sich mit der Hand übers Gesicht.

„Dass du Angst vor mir hast?“, beendete Saga den unfertigen Satz in leicht fragendem Tonfall.

Ein stummes Nicken war die Antwort.

Obwohl Saga mit nichts anderem gerechnet hatte, spürte er, wie sich ein schmerzhafter Knoten in seiner Magengegend festsetzte.

„Ok.“, brachte er tonlos hervor. „Das ist verständlich.“

Endlich hob Hizumi den Kopf und wandte sich Saga zu.

„Was hast du erwartet?“

„Nichts anderes eigentlich.“, murmelte Saga und kratzte sich am Hinterkopf. Ein Seufzen verließ seine Lippen und er stieß ein freudloses Lachen aus. „Erwartet hab ich nichts anderes, erhofft schon.“ Er starrte auf seine Finger, die bereits taub vor Kälte waren und sich verkrampft um das Brückengeländer krallten. Im Nacken spürte er Hizumis durchdringenden Blick.

„Du möchtest, dass ich dir eine zweite Chance gebe, kann das sein?“

Volltreffer, schoss es Saga durch den Kopf. Im gleichen Moment überlegte er bereits, wie er sich nun am besten verhalten sollte.

„So direkt würde ich das jetzt nicht sagen. Ich meine, ich weiß ja, dass das Unsinn ist. Ich dachte nur, dass wir vielleicht-“

Unterkühlte Fingerspitzen legten sich sanft auf Sagas Lippen und hinderten ihn daran weiter zu sprechen. Hizumi sah ihm zum ersten Mal seit Beginn des Gesprächs direkt in die Augen.

Er ließ die Hand sinken.

„Ich weiß was du dachtest. Ich kann deine Gedanken lesen, schon vergessen?“

Beschämt senkte Saga den Blick.

„Ich würde Lügen wenn ich sagen würde, dass ich nicht auch schon darüber nachgedacht hätte.“, fuhr Hizumi fort „Tatsache ist, dass es Zeiten gab, in denen ich mir nichts mehr gewünscht habe, als dich mit offenen Armen zurück zu nehmen.“

Er blickte auf seine Hände.

„Aber ich weiß nicht, ob ich das kann.“

Mit jedem gesprochenen Wort verlor seine Stimme an Lautstärke. Saga konnte deutlich sehen, wie sehr sein Gegenüber gerade mit sich kämpfte.

„Am liebsten würde ich sofort ja sagen. Aber das bisschen Verstand, das ich noch habe, sagt mir, dass das ein Fehler wäre.“

„Ok. Schon verstanden.“

Saga bemühte sich, nicht allzu viel maßlose Enttäuschung nach außen dringen zu lassen.

„Es tut mir Leid.“, murmelte Hizumi leise. Doch daraufhin schüttelte der andere nur den Kopf.

„Dir brauch gar nichts Leid zu tun. Du hast nichts falsch gemacht.“

Diese Meinung schien Hizumi nicht zu teilen, denn er betrachtete nur weiterhin seine Schuhe. Dann ging ein Ruck durch seinen Körper und er schlang die Arme um Sagas Brust.

Überrascht taumelte der einen Schritt zurück, legte aber trotzdem seinerseits die Arme um den Kleineren. Hizumis Nähe verursachte eine wahre Emotionslawine in Sagas Innerem.

„Vielleicht könnten wir uns trotzdem noch ab und zu sehen?“, wisperte Hizumi gegen Sagas rechte Schulter. „Als Freunde oder so.“

Diese Bitte sorgte dafür, dass sich ein trauriges Lächeln auf Sagas Gesicht schlich.

Er hoffte inständig, dass Hizumi es nicht bemerken würde.

„Alles klar. Dann also Freunde.“, sagte er ruhig. Gleichzeitig schloss er die Augen und drückte Hizumi etwas fester an sich. Wenigstens für diesen kurzen Moment wollte er vergessen, dass der Mann, für den er durch die Hölle gegangen war, ab jetzt nicht mehr für ihn sein würde, als ein Freund.

Die Wahrheit konnte noch ein paar Sekunden warten...
 


 

Moskau (Golowinski), 00.36 Uhr ...
 

Schritte hallten durch die menschenleeren Gassen. Eine abgemagerte Katze schoss erschrocken zwischen zwei Mülltonnen, als ein Mann um die Ecke bog und gehetzt über seine Schulter blickte.

Der Mann schien mittleren Alters zu sein, er war hochgewachsen und spindeldürr. Seine Gliedmaßen erinnerten an die eines mit blasser Haut überzogenen Skelettes. Ein Büschel dünner schwarzer Haare hing ihm in fettigen Strähnen in die Stirn.

Atemlos lauschte er in die Dunkelheit.

Hier, im Schutze der riesigen Industriegebäude, fühlte er sich sicher.

Er gönnte sich einen Moment Ruhe und ging nun in gemäßigtem Schritt die löchrige Straße entlang. Die Katze fauchte, als er ihr Versteck passierte und drückte sich näher an die Blechtonnen.

Plötzlich fuhr der Mann herum. Obwohl noch immer eine nahezu gespenstische Stille herrschte, wusste er, dass seine Verfolger dicht hinter ihm waren. Er konnte sie deutlich spüren.

Sofort begann er zu rennen.

Vollkommen plan- und ziellos bog er um die Ecke am Ende der schmalen Straße, nur, um sich am Eingang zu einer zweiten, genauso düsteren und einsamen, Gasse wieder zu finden.

In dieser verdammten Stadt sah alles gleich aus!

Ohne nachzudenken folgte er der Straße. Aus der Ferne drangen Stimmen an sein Ohr. Wenn er sich nicht beeilte würden sie ihn bald eingeholt haben. Reflexartig ließ er die Hand zur Innentasche seiner grauen Bomberjacke gleiten. Die harten Metallkanten der HK P8 drückten sich durch den dünnen Stoff. Im Magazin befanden sich neun versilberte Patronen. Nur für den Fall.

Er bog um die nächste Ecke und lief bis zum Ende der Gasse. Zu spät bemerkte er, dass ihm etwas den Weg versperrte. Ein drei Meter hoher Metallzaun ragte vor ihm in den Nachthimmel.

„Scheiße.“, zischte er und sah sich noch einmal um. Die Stimmen kamen näher.

Lief er den gleichen Weg zurück, würden sie ihn entdecken. So blieb nur die Flucht nach vorn.

Der Mann nahm Anlauf und sprang mit nach vorn gestreckten Händen an die Gitterstäbe. Seine Finger verfehlten das obere Ende der Absperrung um mindestens zehn Zentimeter. Er versuchte es erneut. Tatsächlich bekam er die richtige Stange zu fassen, doch das Metall war nass und bevor er reagieren konnte, griff seine Hand nur noch Luft. Mit einem leisen Schrei fiel der Waffenhändler mit dem Rücken zuerst auf den harten Betonboden. Der Aufprall presste ihm die Luft aus den Lungen und nahm ihm für einige Sekunden alle Orientierung. Er blinzelte hilflos, in der Hoffnung, so den schwarzen Schleier, der sich über seine Netzhaut gelegt zu haben schien, verschwinden lassen zu können. Sein Kopf dröhnte.

Gerade als die Umgebung wieder klarer wurde, spürte er kaltes Metall an seiner Schläfe. Er schnappte nach Luft.

„Aufstehen.“, sagte eine ihm unbekannte Stimme barsch.

Er richtete sich auf. Sein Körper quittierte diese Aktion mit einem stechenden Schmerz.

„Und jetzt da ans Gitter. Hände über den Kopf.“

Mit zittrigen Knien wankte er ans Ende der Gasse und hob die schmerzenden Arme über den Kopf. In seinem Kopf arbeitete es.

„Umdrehen.“

Er gehorchte und sah seinem Verfolger zum ersten Mal ins Gesicht. Er war nicht überrascht, als er erkannte, dass es sich um eine Frau handelte. Ihre Stimme hatte sie verraten.

Nun stand sie in gebührenden Sicherheitsabstand vor ihm und hielt die Waffe auf seine Brust gerichtet. Er zweifelte nicht daran, dass sie im Umgang mit Mordwerkzeugen jeder Art sehr geübt war. Immerhin gehörte auch sie dem Elite Suchtrupp an, der ihm bereits seit einigen Tagen auf den Fersen war.

„Ich werde dich jetzt abtasten. Eine falsche Bewegung und diese Kugel hier steckt in deinem Schädel.“ Sie spannte den Abzug, um ihre Worte zu unterstreichen und kam näher. Als sie in Reichweite stand, ließ sie die Waffe sinken und begann mit der linken Hand die abgetragene Jacke ihres Opfers abzutasten. Yuuto nutzte die Gelegenheit und rammte ihr blitzschnell den Ellbogen auf den Kehlkopf. Damit hatte die junge Soldatin nicht gerechnet.

Sie taumelte hustend einen halben Meter rückwärts. Mit ihrer rechten Hand umfasste sie die Handfeuerwaffe, ihre linke presste sie an den Hals. Yuuto machte einen Satz zur Seite und drängte sich an seiner Verfolgerin vorbei. Ein gezielter Schuss in den Fuß beendete diesen Fluchtversuch jedoch vorzeitig.

Der Vampir stieß einen heiseren Schrei aus und ging zu Boden. Blut durchtränkte sein linkes Hosenbein.

„Bleib liegen oder ich schieß dir das Hirn weg, Arschloch!“, keifte sie, bevor ein Hustenanfall ihr den Atem nahm. Noch immer fuchtelte sie mit der Waffe vor Yuutos Nase herum. Diesmal allerdings etwas unbeherrschter. Yuuto spürte, wie Hysterie in ihm aufstieg.

Mit einem Mal begriff er was zu tun war.

Es war so einfach.

Ein Grinsen verzerrte sein bleiches Gesicht und er sah der Frau über sich herausfordernd in die hellbraunen Augen.

„Es gibt da was, das du nicht verstanden hast, mein Mädchen.“, sagte er so deutlich wie möglich. Sein Grinsen wurde breiter, als er bemerkte, dass dieser Satz die Soldatin irritiert hatte. „Du bist nicht befugt mich zu töten. Sie wollen mich lebend.“

„Oh, bilde dir das mal nicht ein.“

Er will mich lebend. Er will Antworten, weil er Schiss hat, verstehst du. “ Ein dumpfes Lachen entkam Yuutos brennender Kehle. „Und er wird jedem Einzelnen von euch den Arsch aufreißen, wenn er die nicht bekommt.“

„Das ist vollkommener Unsinn!“

„Wirklich? Na, dann hast du ja nichts zu befürchten.“

Mit diesen Worten griff Yuuto in seine Jacke und zog seine Waffe. Die Soldatin rief etwas, doch der Vampir ignorierte es. Er öffnete den Mund. Die Stimme der Frau überschlug sich, als Yuutos Lippen sich um das kalte Metall legten.

Offensichtlich hatte ich doch recht, dachte er zufrieden.

Dann drückte er ab.
 


 

Nächster Morgen, Karyus Wohnung, ca 08.00 Uhr ...
 

Karyu saß auf dem Badewannenrand und föhnte sich die Haare. Es war definitiv zu früh.

Mit sinkender Laune dachte er an die Krisensitzung des Ältestenrats, die in einer Stunde stattfinden sollte. Missmutig zupfte der Blonde an seinen Haaren herum, als ein Klingeln seine Aufmerksamkeit forderte.

Karyu schaltete den Föhn ab und sah stirnrunzelnd zur Badezimmertür. Wieder ertönte das rappelnde Geräusch. Da war eindeutig wer an der Haustür.

„Herrgott nochmal.“ Fluchend grapschte Karyu nach seiner Jeans. Wer auch immer da an der Tür war, er musste ihm bei aller Liebe nicht in Boxershorts gegenübertreten. Der ungebetene Besucher klingelte jetzt Sturm.

„Ja verdammt! Ich komm ja schon!“, blaffte Karyu ungehalten, während er versuchte, sich im Gehen die Hosen anzuziehen. Er riss die Haustür auf und stellte fest, dass es sich nicht um einen, sondern gleich um zwei Störenfriede handelte. Zwei dezent gekleidete Männer, ungefähr Anfang dreißig, standen im Hausflur und starrten ihn an.

Karyu starrte zurück.

Einer der beiden hob die Augenbrauen, der andere lief rot an und zählte die Bodenfliesen.

Karyu, etwas überrascht über die Reaktion der beiden, sah an sich hinunter. Vor lauter Hektik hatte er vergessen seinen Hosenknopf zu schließen. Das Oberteil hing noch über der Badewanne. Ohne den Blick von den beiden Männern im Flur zu nehmen, schloss er seine Hose. Dann verschränkte er die Arme und hob gelassen die rechte Augenbraue.

„Gibt's ein Problem?“, fragte er trocken.

Der vordere der beiden Männer nickte. Der hintere starrte noch immer traumatisiert auf den Fußboden.

„Dann raus damit, ich hab nicht den ganzen scheiß Tag Zeit.“, fauchte Karyu und durchbohrte die beiden mit seinem Blick. Der Größere der beiden, er musste derjenige gewesen sein, der auf den Klingelknopf gedrückt hatte, räusperte sich vernehmlich.

„Wir kommen von der Außeneinheit und sollen Ihnen etwas ausrichten.“

„Außeneinheit?!“ Karyu prustete los. „Außeneinheit! Das Jüngelchen da soll bei der Außeneinheit sein? Was macht der da? Fußböden putzen?“

Der Hintere schrumpfte unter den spottenden Worten in sich zusammen und schien nun nur noch mehr auf den Bodenbelag fixiert zu sein.

„Ähm-“

„Jaja, schon gut. Red weiter.“

„Es geht um den Verdächtigen Yuuto Takahara. Wir haben ihn gefunden.“

Als der junge Mann die Nachricht ausgesprochen hatte, blitzten Karyus Augen interessiert auf.

„Sehr schön, mein Junge!“ Euphorisch klopfte er seinem Gegenüber auf die Schulter und ignorierte gekonnt, dass der Mann, den er hier gerade „Junge“ nannte, äußerlich um einige Jahre älter war als er selbst. „Und? Bis wann haben sie die Ratte eingeflogen?“

„Er ist auf dem Weg. Es gibt allerdings einen Haken...“

Der Fremde biss sich auf die Lippe und Karyu bemerkte eine kleine Schweißperle an seiner Schläfe.

Etwas schien wohl nicht so ganz nach Plan zu laufen.

„Und der wäre?“,fragte das Clanoberhaupt mit einem einschüchternden Unterton in der Stimme.

„Er ist tot.“
 

Auf dem Dach des weißen Mehrfamilenhauses saßen vier Spatzen. Die possierlichen Tierchen zwitscherten um die Wette und sangen Lobeshymnen auf den neuen Tag. Eine Frau, die auf dem Bürgersteig entlang ging, blieb ergriffen stehen und lauschte andächtig den süßen Klängen. Plötzlich drang ein anderer Klang an ihr Ohr, der weniger süß, als vielmehr beängstigend war.

Der Klang kam direkt aus einem halb geöffneten Fenster aus dem zweiten Stock.

Hastig ging die Frau weiter.

Auch die Spatzen flohen verängstigt. Genau zehn Sekunden später taten es ihnen die zwei Sondereinsatzkräfte der Außeneinheit gleich.
 


 

Zur gleichen Zeit in Zeros Villa...
 

„Möchtest du noch eine Tasse Kaffee?“, fragte Zero vorsichtig nach.

Sein Gegenüber nickte verschlafen.

„Ja, du siehst aus, als könntest du noch einen gebrauchen.“ Der Ältere grinste unterdrückt, während er Toshiyas Tasse nahm und sie zum zweiten Mal mit dem koffeinhaltigen Getränk füllte. Dankend griff Toshiya nach der Tasse und nahm einen Schluck.

„Was ist los mit dir? Hast du schlecht geschlafen?“ Zero stützte den Ellbogen auf die Tischplatte und bettete seine rechte Wange in der Handfläche. Er musterte Toshiya mit einer Spur Besorgnis. Der zuckte auf Zeros Frage hin nur die Schultern.

„Ich weiß nicht.“, antwortete er schließlich matt. „Wirklich schlecht geschlafen hab ich nicht, wenn man davon absieht, dass ich extrem absurden und verstörenden Mist geträumt habe.“ Er fuhr sich durch die zerzausten Haare und nahm einen großen Schluck Kaffee. Erst jetzt bemerkte er, dass Zero ihn noch immer mit leicht gerunzelter Stirn anschaute.

„Ist was?“ Toshiya blinzelte verwirrt und lies die Tasse sinken.

„Hast du öfters Alpträume?“

„Ja.“, antwortete Toshiya nach einer kurzen Bedenkpause. „Ziemlich regelmäßig sogar, wenn ich ehrlich bin.“ Er rutschte unruhig auf seinem Stuhl herum. Offenbar schien diese Antwort Zero ganz und gar nicht zu gefallen.

„Wie lange schon?“

„Seit ein paar Jahren. Aber wieso willst du das wissen?“

Die Antwort auf diese Frage blieb Zero ihm vorerst schuldig, denn es klopfte an der Tür. Der Brünette verdrehte die Augen und rappelte sich auf. Ihm war vollkommen klar, wer draußen vor dem Haus auf ihn wartete. Es gab nur eine Person die den Türklopfer auf solch rabiate Art und Weise betätigte.

„Karyu. Das Treffen ist erst in vierzig Minuten.“, warf Zero seinem Kollegen an den Kopf, kaum, dass er ihm geöffnet hatte. Wortlos schob Karyu sich an Zero vorbei und stampfte in die Küche, wo er sich grußlos auf einen der Stühle fallen ließ. Toshiya musterte ihn über den Rand der Kaffeetasse hinweg.

„Was ist los?“ Zero stand, die Arme verschränkt, im Türrahmen. Karyus angespannter Mine nach zu urteilen liefen die Dinge wohl nicht wie geplant.

„Wir haben ein Problem.“, antwortete Karyu nüchtern.

„Ein großes Problem?“

„Ein verdammt großes.“

Zero setzte sich neben Toshiya und hörte schweigend zu, als Karyu ihm berichtete, welche haarsträubenden Nachrichten die Agenten der Außeneinheit ihm an diesem Morgen überbracht hatten.

„Dieses Arschloch hat sich in den Mund geschossen. War direkt tot.“, knurrte der Blonde hasserfüllt. „Ich will mir nicht vorstellen, was das für 'ne Sauerei gegeben hat.“

„Wissen wir, ob er überhaupt mit dem Orden Kontakt hatte? Wäre doch möglich, dass wir ihm zuvor gekommen sind und er noch niemandem irgendwas erzählt hat.“

„Stimmt, kann sein. Leider werden wir das nie rausfinden. Wir können schlecht zu Blakes rachsüchtigen Schoßhunden rennen und nachfragen. Damit würden wir uns verraten und sie womöglich auf dumme Gedanken bringen. Falls sie die nicht ohnehin schon haben.“ Er fuhr sich mit der Hand über das blasse Gesicht und atmete tief durch. „Yuuto war nicht dumm. Er wusste genau, dass er uns nur lebend etwas genutzt hätte. Jetzt ist die Ratte tot und keiner hier weiß, ob die Russen einen Angriff gegen uns planen. Wir sind vollkommen blind!“

Gut, dachte Zero, das sind in der Tat beschissene Nachrichten.

„Wieso glaubt ihr überhaupt, dass sie euch angreifen wollen?“, meldete Toshiya sich zaghaft zu Wort. Der durchdringend böse Blick, den Karyu ihm zuwarf, ließ ihn allerdings schnell wieder verstummen.

„Sag mal wo zur Hölle hast du dich all die Jahre aufgehalten? Am Nordpol?“

Mit dieser Frage hatte Toshiya nicht gerechnet. Eigentlich hatte er allgemein nicht mit irgendeiner Antwort gerechnet. Er räusperte sich und gab sich alle Mühe, Karyus Blick stand zu halten.

„Nein. Aber ich war, wie du dir vielleicht denken kannst, nicht wirklich oft in Gesellschaft unterwegs.“

„Das glaub ich dir gern. Sonst wüsstest du nämlich, dass hier seit einiger Zeit alle Zeichen auf Sturm stehen. Die dummen Russen haben noch immer keine neue Führungspersönlichkeit gewählt. Und jetzt denkt jeder noch so unbedeutende Wicht, er könne sich diesen Posten unter den Nagel reißen. Das ganze beschissene System bricht auseinander. Wenn das so weiter geht, dann herrscht hier bald Krieg auf der Straße. In manchen Revieren ist es schon so weit. Alle warten doch nur darauf, dass ihre Gegner eine Schwachstelle offenbaren. Und auch wir haben Schwachstellen. Besonders jetzt, wo hier alles so drunter und drüber geht.“

Toshiya hört schweigend zu und warf schließlich einen Seitenblick zu Zero. Der hatte einen reichlich finsteren Gesichtsausdruck aufgelegt. Offenbar war die Situation wirklich ernst.

„Und dass ausgerechnet du hier jetzt aufgetaucht bist, macht die Sache nicht unbedingt besser. Immerhin bist du einer der meist gesuchten Verbrecher der gesamten Unterwelt.“, fügte Karyu an Toshiya gewandt hinzu. Obwohl der Karyus Blick die meiste Zeit über stand gehalten hatte, schlug er nun die Augen nieder. Er machte keine Anstalten Karyus Aussage zu dementieren oder sich anderswie zu verteidigen. Schließlich versuchte Zero die Situation zu entschärfen.

„Wir sollten das gleich alles mit dem Rat besprechen. Die werden wahrscheinlich auch schon was mitbekommen haben. Jetzt hier am Küchentisch zu diskutieren bringt uns auch nicht weiter.“, sagte er ruhig. „Wir können sowieso nichts anderes tun als abwarten...“

Two Minutes To Midnight

Die Welt hat mich wieder!

Erstmal entschuldige ich mich für meine lange Abwesenheit, ich hatte viel um die Ohren.

Im Schnelldurchlauf klingen meine letzten Monate in etwa so: Ich hab mein Abitur in der Tasche, hab mit Cat Casino und Skinny Disco (Deathstars) Bier getrunken, war ne Weile in Prag, habe meine Ausbildung so gut wie sicher und war gestern zusammen mit meinem Vater auf nem Iron Maiden Konzert.

Außerdem zieh ich im August zurück nach Köln und schreibe gerade an meinem ersten eigenen 400-Seiten-Fantasy-Roman.

So. Jetzt seid ihr informiert.
 

Megaherz - 5.März
 

http://www.youtube.com/watch?v=Yy_ITHfEKsc
 

Auf wen genau der Song sich jetzt bezieht, könnt ihr euch selbst aussuchen.

Der ist voll universell einsetzbar!
 

enjoy ♥
 

*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*-*
 

Seine Knie schlugen schmerzhaft auf dem weißen Fliesenboden auf. Die dünnen Finger umklammerten die Kloschüssel. Immer wieder wurde Hizumis Oberkörper von Krämpfen geschüttelt. Solange, bis er sich schließlich übergab und blutroter Mageninhalt das helle Porzellan beschmutzte.

Der Vampir atmete schwer und ließ den Kopf erschöpft auf seinen nach vorn gestreckten Oberarm fallen. Während er versuchte die Übelkeit in den Griff zu bekommen, tastete er mit geschlossenen Augen nach dem Spülknopf. Schließlich rappelte er sich auf und schwankte zum Waschbecken, um sich den Mund auszuspülen. Ein paar Sekunden lang sah Hizumi seinem Spiegelbild ins Gesicht. Aus dem Gerüst aus bleicher, unreiner Haut und jahrhundertealten Knochen, starrten ihm zwei hellbraune Augen anklagend und unausweichlich entgegen. Einen kurzen Moment lang zweifelte Hizumi ernsthaft daran, dass dieses Schreckgespenst im Spiegel er selbst sein sollte. Prüfend strich er sich über die eingefallenen Wangen. Das Spiegelbild tat es ihm gleich.

Seufzend wandte er sich ab und verließ das Badezimmer.

Im Wohnzimmer strahlte der helle Tag. Sonnenlicht fiel durch die riesige Fensterfront, während am Himmel nicht eine einzige Wolke zu sehen war.

//Was für eine Ironie//, dachte Hizumi verbittert, als er sich an seinen Schreibtisch setzte, um mit dem Korrigieren der Hausarbeiten fortzufahren. Vorlesungen fanden für ihn erst am Nachmittag statt. Den Vormittag konnte er also ohne weiteres zur Korrektur nutzen.

Hizumi las jede der verbliebenen Arbeiten fast schon peinlich genau und übertrieben langsam. Er war dankbar für jedes bisschen Ablenkung. Trotz aller Gründlichkeit kam der Moment, in dem das letzte Blatt auf den Ablagestapel schwebte. Hizumi lehnte sich zurück und starrte auf den Papierstapel. Dann ließ er den Blick durch die Wohnung wandern. Alles war sauber, aufgeräumt und wirkte fast schon steril. Sogar der Kater gab Ruhe. Er schlief zusammengerollt und seelenruhig auf dem Sofa.

Die Stille beherrschte den Raum mit eiserner Gewalt.

Hizumi sprang auf und stolperte zur Garderobe. Er warf sich hastig seinen Mantel über und zog sich die Schuhe an. Dann verließ er die Wohnung.

Draußen vor dem Haus schlug ihm eiskalte Winterluft entgegen. Der Sonnenschein ließ leicht falsche Schlüsse zu, es war kalt. Hizumis erste Reaktion auf das grelle Sonnenlicht war ein gezielter Griff in die Innentasche seines Mantels. Er zog die Sonnenbrille heraus und setzte sie auf.

Als das leichte Brennen in seinen Augen verschwunden war lief er los und irrte eine ganze Weile ziellos durch die Gegend. Nach einiger Zeit stellte Hizumi fest, dass er, wohl aus Gewohnheit, in den Stadtteil gelaufen war, in dem sich Karyus Wohnung befand. Etwas unsicher verlangsamte er seinen Schritt. Es waren nur noch zwei Blocks bis zu dem modern gestalteten Mehrfamilienhaus in dem sich Karyus Domizil befand.

Auf der einen Seite hatte er herzlich wenig Lust Karyu heute unter die Augen zu treten. Der gestrige Vorfall steckte ihm noch zu tief in den Knochen. Andererseits war Karyu der einzige, der immer ein offenes Ohr für ihn hatte. Ausgenommen Zero. Aber der hatte im Moment wohl genug eigene Probleme zu meistern und Hizumi hatte nicht vor, ihn nun auch noch mit seinen Wehwehchen zu belästigen.

„Sieh mal einer an. Wen haben wir denn hier.“, sagte plötzlich eine wohl bekannte Stimme, die Hizumi aus seinen Gedanken riss. Er drehte sich um und sah direkt in Karyus ebenfalls sonnenbebrilltes Gesicht.

„Wolltest du zu mir?“, fragte der Ältere und kam näher. Hizumi verzog das Gesicht.

„Nicht wirklich. Ich wollte nur nen Spaziergang machen. Und irgendwie bin ich dann hier gelandet.“

„Seit wann machst du denn freiwillig Spaziergänge?“

„Seitdem mir zuhause buchstäblich die Decke auf den Kopf fällt.“

Karyu sah stirnrunzelnd auf sein Gegenüber hinab. Dann legte er eine Hand auf Hizumis Schulter und nahm die Brille ab.

„Lass uns reingehen, ok? Hier draußen wird’s mir zu ungemütlich.“

Mit diesen Worten drehte er Hizumi herum und setzte die Sonnenbrille wieder auf. Schweigend liefen beide den Gehweg entlang, vor Hizumis Lippen bildete der Atem feine Wolken. Karyu hingegen hatte seine gesamte Mundpartie in einem schwarzen Schal vergraben, den er sich um den Hals gewickelt hatte. Endlich erreichten sie das Haus und Karyu öffnete die Tür. Als sie die Wohnung betraten schlug ihnen angenehm warme Luft entgegen. Karyu legte wortlos Schuhe und Mantel ab und warf beides achtlos auf die Garderobe. Hizumi tat es ihm gleich. Als der Jüngere die Sonnenbrille abnahm legte Karyu die Stirn in tiefe Falten.

„Du siehst unfassbar scheiße aus heute.“

„Und du bist wieder unfassbar liebenswürdig.“

Karyu schüttelte den Kopf und betrachtete Hizumi schweigend.

„Könntest du bitte aufhören mich so anzustarren?“, fragte der schließlich und schob sich an Karyu vorbei ins Wohnzimmer. Er ließ sich aufs Sofa fallen und schaute den anderen fragend an.

„Wann hast du das letzte Mal was getrunken?“, fragte Karyu ernst.

Hizumi zuckte die Schultern.

„Gestern.“

„Sag mal lügst du mich gerade an?“

„Nein. Ich hab gestern getrunken. Heute Morgen kam mir allerdings alles wieder hoch.“

Karyu nahm auf einem der beiden herumstehenden Sessel platz und musterte Hizumi mit gehobenen Augenbrauen. „Bist du jetzt schon so weit, dass dein Körper sogar die Nahrung verweigert, oder was?“ Sein Gesicht verfinsterte sich. „Wie lange glaubst du wirst du so durchhalten?“

„Wer sagt denn, dass ich Nahrung verweigere? Mir war nur schlecht, dass ist alles.“

Hizumis Rechtfertigung entlockte Karyu ein freudloses Lachen.

„Ja, sicher.“, schnaubte er und ließ sich mit dem Rücken gegen die Lehne fallen. „Ich mag zwar alt sein, aber blöd bin ich noch lange nicht. Was ist wirklich passiert? Ich könnte wetten, dass es was mit Saga zu tun hat.“

Die Wintersonne warf ihre Strahlen unbarmherzig durch die hohen Wohnzimmerfenster. Karyu erhob sich, zog die Vorhänge zu und tauchte den Raum so in dämmriges Licht.

„Und selbst wenn es so wäre... Es ist immer noch meine Sache.“, murmelte Hizumi mit gesenktem Blick. Langsam aber sicher ließen die Kopfschmerzen nach. Er betrachtete Karyu, der jetzt mit dem Rücken zu ihm vor dem Fenster stand und scheinbar die Gardinen betrachtete. Er schwieg.

Dann hallte ein leises Lachen durch den bis dahin totenstillen Raum.

„Du bist ein richtiges Arschloch, weißt du das?“

Perplex hob Hizumi den Kopf und bohrte seinen Blick in Karyus Rückenpartie. Er wollte zu einer Antwort ansetzen, doch Karyu kam ihm zuvor.

„Nein, warte. Du bist schlimmer. Du bist egoistisch.“ Der Blonde drehte sich um und sah Hizumi ernst an. „Ist dir eigentlich bewusst was du hier mit dir und deiner Umwelt veranstaltest?“

Hizumi legte die Stirn in Falten und bemühte sich nicht einmal darum, seine Verwunderung geheim zu halten. Bevor er etwas auf diese Anschuldigung erwidern konnte, begann Karyu seine eben in den Raum geworfene These zu untermauern.

„Ist dir eigentlich schon mal in den Sinn gekommen, dass du nicht nur dir selbst schadest? Es gibt Leute denen du was bedeutest, verstehst du das?“ Der ältere Vampir drehte sich um und musterte Hizumi. Sein Gesicht wirkte gefährlich angespannt.

„Nur weil du Saga am Arsch vorbei gehst, brauchst du nicht zu glauben, dass das bei allen anderen auch der Fall ist. Was glaubst du, wie es sich für mich anfühlt, dich seit Jahren in so einer Verfassung zu sehen?“ Er verschränkte die Arme vor der Brust. „Ich weiß, dass du psychisch noch nie der Stärkste warst, aber was in den letzten Jahren bei dir abgegangen ist, entsagt jeder Vernunft! Du glaubst gar nicht wie gerne ich Saga den Arsch dafür aufreißen würde! Ich meine, guck dich doch mal an! Du siehst mittlerweile fast buchstäblich nach dem aus was du eigentlich bist: Nach einer zweihundert Jahre alten Leiche. Glaubst du, es macht mir Spaß dich so zu sehen?! Du könntest dich einfach mal zusammenreißen, diesen Idioten endgültig abschießen und dein verdammtes Leben auf die Reihe kriegen!“

Während Karyu sich in Rage geredet hatte, war Hizumi still geblieben, hatte nur von Zeit zu Zeit auf seiner Unterlippe herum gekaut. Schließlich senkte sich eine unangenehme Stille über die beiden.

Karyus Pupillen waren heller geworden und sein Blick ruhte unverändert auf seinem Abkömmling.

„Hast du nichts dazu zu sagen?“

Hizumi zuckte die Schultern.

„Was soll ich dazu sagen? Es macht mich verdammt traurig, dass du scheinbar glaubst, ich würde die ganze Nummer hier mit Absicht durchziehen. Ich hab gedacht, du würdest mich besser kennen.“ Er stand schwankend auf und griff nach seiner Jacke.

„Ich geh jetzt lieber.“, sagte er leise. „Mein Leben auf die Reihe kriegen und so.“

Mit diesen Worten verließ er die Wohnung. Mit einem leisen Klicken fiel die Tür ins Schloss. Karyus Blick hatte sich förmlich auf der Türklinke fest gesaugt. Es dauerte eine Weile, bis er sich davon lösen konnte. In der Wohnung war es still. Nur das gedämpfte Ticken der Küchenuhr drang von Zeit zu Zeit herüber. Der Vampir atmete zittrig aus und ließ sich in den Sessel sinken.

„Scheiße...“, wisperte er leise, während er das Gesicht in den Händen vergrub.
 


 

Zeros Villa, 15:37 Uhr ...
 

Zero saß in seinem abgedunkelten Büro und brütete über einem Haufen Akten. In dem Aktenberg

verbargen sich Unmengen von Blut, Gewalt und unnatürlichem Tod. Der Chefinspektor hatte ihm die Kopien der Mordakten unter strengster Geheimhaltung zukommen lassen. Ein weiteres Zeichen dafür, dass die Polizei sehr verzweifelt war. Nur wenige einflussreiche Menschen wussten überhaupt von der Existenz der Vampire. Dementsprechend selten kam es vor, dass man die Untoten um Hilfe bat.

Nicht nur Karyu hatte also bemerkt, dass in der Mordkommission ordentlich „die Hütte brannte“.

Immer wieder überflog Zero die getippten Zeilen. Ihnen war nichts wirklich Neues zu entnehmen und so oft er auch darüber nachdachte, dieser Mord wollte keinen Sinn ergeben.

//Wahrscheinlich wirklich nur ein perverser Spinner.//, dachte das Clanoberhaupt missmutig und schlug die oberste Akte zu. Darunter befanden sich noch weitere, ältere Fälle, bei denen der Chefinspektor glaubte, gewisse Zusammenhänge zu erkennen. Bei den meisten von ihnen handelte es sich um Vampirmorde. Zero für seinen Teil fand, außer auffälliger Grausamkeit, keinen wirklichen gemeinsamen Nenner. Er warf einen flüchtigen Blick auf die Uhr. Es war bereits halb vier. Das hieß, dass er nun wahrhaftig schon zwei Stunden hier gesessen hatte.

Zwei Stunden voll absoluter Zeitverschwendung!

Zero erhob sich und machte sich auf den Weg nach unten. Sein Blutdurst machte sich schon seit einer ganzen Weile bemerkbar.

Im Wohnzimmer traf er auf Toshiya, der auf dem Sofa herumlungerte und in der aktuellen Zeitung blätterte. Er sah auf als Zero durch die Tür kam und legte das Papier beiseite.

„Und, hast du was rausgefunden?“

„Nein, nichts. Außer, dass es sich um irgendeinen perversen Freak handelt. Aber das wusste ich auch schon vorher.“ Aus dem Kühlschrankinneren ertönte ein leises Klirren, als Zero die Tür etwas zu ruckartig öffnete. Er griff nach einer Blutkonserve.

„Willst du auch was? Das ist A Positiv, ich hab's gestern erst geholt. Es dürfte noch recht frisch sein.“

Toshiya schüttelte den Kopf.

„Nein danke, ich hab keinen Hunger.“ Er hielt Zero die Zeitung entgegen. „Hier drin steht auch was über den Mord. Hast du das schon gelesen?“

„Nein, ich bin heute vor lauter hin und her nicht mal dazu gekommen.“

Zero setzte sich neben Toshiya und nippte gesittet an dem Glas, das er soeben mit frischem Blut gefüllt hatte. „Was steht denn drin?“

„Nicht viel. Sie sagen, dass es sich um eine Art Ritualmord handeln könnte. Wegen des fehlenden Herzens.“ Toshiya legte die Zeitung wieder zurück auf den Wohnzimmertisch und sah Zero fragend an. „Glaubst du, dass das stimmt? Oder könnte es wirklich ein Vampir gewesen sein?“

Zero nahm einen tiefen Schluck und schüttelte den Kopf.

„Ich schließe die Möglichkeit mit dem Vampir fast vollkommen aus.“

„Wieso?“

„Überleg mal. Was passiert, wenn man einem Menschen das Herz herausschneidet?“

„Ähm... Er stirbt?“

„Ja, das ist die Folge, aber darum geht es mir nicht. Stell dir eine dermaßen verstümmelte Person jetzt mal bitte bildlich vor.“

Toshiyas leicht angewidertes Gesicht brachte Zero zum Grinsen. Es dauerte eine Weile, doch dann schien dem Jüngeren ein Licht aufzugehen.

„Jetzt weiß ich was du meinst! Es geht um das Blut. Bei solchen Verletzungen würde ein Mensch wahrscheinlich in kürzester Zeit vollkommen ausbluten und das-“

„-würde selbst der stärkste Vampir nicht aushalten, ohne sich nicht noch wenigstens einen Rest warmen Blutes zu sichern. Richtig. Und da der Körper keinerlei Bissspuren aufweist, ist es unwahrscheinlich, dass der Mörder einer von uns war.“

„Ja, stimmt. Obwohl... Bei so riesigen Wunden hätte er doch überhaupt nicht beißen müssen. Weißt du was ich meine? Er hätte nur stark genug sein müssen, den Beiß-Reflex zu unterdrücken.“

„Ja, da ist was dran. Das kam mir auch schon in den Sinn. Ich sagte ja auch nur, dass es unwahrscheinlich ist. Unmöglich ist es nicht. Es hätte in der Tat ein sehr mächtiger Vampir sein müssen. Davon haben wir nicht allzu viele hier im Bezirk. Und was natürlich offen bleibt, ist das Motiv. Wieso sollte einer von uns, der dazu noch sehr stark ist, so etwas Sinnloses tun?“

Toshiya zuckte die Schultern und stieß ein Seufzen aus.

„Keine Ahnung. Vielleicht, weil er hinter der Fassade ein Monster ist?“

Diese Antwort ließ Zero die Stirn runzeln.

„Wie meinst du das?“

„Ach vergiss es. Ist nicht weiter wichtig.“

Angetrieben von enormer Skepsis und einem Hauch Verwirrung hob sich Zeros rechte Augenbraue wie von selbst. Er stellte das Glas auf den Tisch und musterte Toshiya.

Der ließ die Schultern hängen und sah aus dem Fenster. Es schien, als versuche er damit, Zeros Blick auszuweichen. In Zeros Magengegend machte sich ein ungutes Gefühl bemerkbar.

„Toshiya.“, sagte er eindringlich. „Sag mir jetzt bitte, was du damit gemeint hast.“

In Zeros Stimme schwang eine Note, die keine Widerworte zuließ.

Wieder stieß Toshiya ein Seufzen aus, diesmal tiefer und wesentlich deprimierter.

„Ich will damit nur sagen, dass auch ich schon einige Dinge getan habe, von denen ich nie gedacht hätte, dass ich dazu fähig bin.“ Er hielt den Blick starr auf seine Hände gerichtet. „Und wenn ich so was tun konnte, wieso sollen es andere dann nicht auch tun können?“

„Hast du irgendwas mit der Sache zu tun?“

Sowohl Toshiya als auch Zero selbst schienen gleichermaßen überrascht über diese Worte.

„Nein. Natürlich nicht.“, stammelte Toshiya verwirrt. „So meinte ich das jetzt nicht.“

Noch bevor Toshiya diesen Satz beendet hatte, fasste Zero sich an die Stirn.

„Entschuldige. Die Frage war total unnötig.“ Er schüttelte den Kopf. „Dieser ganze Scheiß macht mich noch vollkommen fertig.“

„Schon ok.“

Zero streckte sich und ließ sich zurückfallen. Es kostete ihn ein paar Sekunden, um seine Gedanken wieder halbwegs zu ordnen. Es war absolut unsinnig Toshiya zu beschuldigen. Immerhin hatte er die letzte Zeit ausschließlich bei und mit Zero verbracht. Trotzdem machten ihn Toshiyas letzte Sätze neugierig.

„Aber was genau meintest du damit?“

Toshiya schrumpfte unter Zeros Blick förmlich in sich zusammen. Er schaute kurz auf und erinnerte den anderen dabei eher an einen misshandelten Hund als an einen Vampir.

„Ich hab schlimme Dinge getan. Sehr schlimme Dinge. Und ich möchte eigentlich nicht darüber sprechen.“

„Wovor hast du Angst?“

„Wie meinst du das?“

„Ach Toshiya. Wir haben uns zwar jetzt einige Jahre nicht mehr gesehen, aber ich merke trotzdem, dass du den ganzen Mist gern loswerden würdest. Das belastet dich offensichtlich ganz enorm. Der einzige Grund, warum du es nicht erzählen willst, ist, dass du Angst davor hast. Und ich würde gerne wissen warum. Nur dann kann ich dir helfen.“

„Naja... Ich hab hauptsächlich Angst, dass du mich wegen dem was ich getan habe verurteilst. Und dass du dann merkst, dass es eigentlich unmöglich ist jemanden wie mich zu dulden, geschweige denn gern zu haben.“

„Ach Toshiya.“, seufzte Zero und rückte näher an den anderen heran. „Es ist unmöglich für mich, dich nicht gern zu haben. Ich habe selbst schon Sachen getan, die sich fernab von jeder Moral bewegen. Das haben wir alle. Du musst es mir nicht erzählen, wenn du nicht willst. Ich versuche nur dir zu helfen, das weißt du, oder?“

Das einzige was Toshiya daraufhin zustande brachte, war ein kurzes Nicken. Dann ließ er den Kopf an Zeros Schulter sinken. Sofort legte der den Arm um den Jüngeren.

Ohne Zero ins Gesicht zu sehen, begann Toshiya schließlich zu erzählen.

„Nachdem die ganze Geschichte in Moskau passiert ist, musste ich mich verstecken. Es war schon ein kleines Wunder, dass ich es überhaupt wieder lebend an die Erdoberfläche geschafft hab. Wobei... eigentlich war es kein Wunder. Ich bin nur da unten raus gekommen, weil ich jeden der mir im Weg stand ... beseitigt habe. Als ich dann wieder an der Oberfläche war, bin ich nur noch gerannt. Zum Glück war es noch dunkel. Es hat nicht allzu lange gedauert, bis ich die Stadt komplett verlassen hatte. Von da an bin ich eigentlich ständig umher geirrt, immer auf der Suche nach irgendeinem Versteck. Ich wusste ja, dass es unmöglich sein würde zurück nach Japan zu kommen. Ich wurde landesweit gesucht und am Flughafen hätte man mich direkt erwischt. Also habe ich mich meistens da rumgetrieben, wo möglichst wenige Menschen oder Vampire waren. Ich hab etwa ein Jahr in Skandinavien verbracht, von da aus bin ich dann auch hier hingekommen.“ Er machte eine kurze Pause und schien sich zu sammeln. „Das wäre auch alles gut gegangen, wenn da nicht-“ Wieder stoppte er. Zero strich ihm beruhigend über den Oberarm. „Ich- war so hungrig. Schon kurz nachdem ich Moskau verlassen hatte, setzte dieses schreckliche Hungergefühl ein. In der ersten Zeit hab ich mich mit Tierblut über Wasser gehalten. Hauptsächlich Rattenblut. Aber es dauerte nicht lange, bis das Zeug keine Wirkung mehr zeigte. Und dann traf ich durch Zufall auf einen Landstreicher. Ich saugte ihn bis auf den letzten Tropfen aus und ließ ihn einfach liegen. Danach bin ich vollkommen durchgedreht, mein Körper hat das viele frische Blut nicht verkraftet, glaub ich. Ich war vollkommen im Rausch. Diese Phase hielt so in etwa zwei Tage an, ich kann mich nicht wirklich an die Dinge erinnern die in dieser Zeit geschehen sind, aber nur zwei Wochen später habe ich wieder einen Menschen getötet. Dieses Mal einen Mann, der sehr wahrscheinlich Frau und Kinder hatte die auf ihn gewartet haben. Ich hab ihn einfach umgebracht!

Und er war ja nicht der letzte. Ich hab so viele unschuldige Menschen getötet. Und das nur, um am Leben zu bleiben! Und das Schlimmste daran ist, dass es mir irgendwann nicht mal mehr etwas ausgemacht hat! Es wurde so verdammt normal! Ich hab die letzten Jahre gelebt und gefühlt wie- wie ein Tier! Ich glaube, in dieser Zeit hatte ich überhaupt nichts Menschliches mehr an mir. Und ich habe Angst, dass das immer noch so ist. Dass ich das Monster bleibe, was ich all die Jahre über war.“

Noch während er sprach, war Toshiya in Tränen ausgebrochen. Er stützte die Ellenbogen auf die Knie und vergrub das Gesicht in den Händen.

„Ich kenne mich selbst nicht mehr. Ich hab keine Ahnung wer oder was ich überhaupt bin. Sogar unter meiner eigenen Rasse bin ich nicht normal. Guck dir nur mal meine Augen an! Keiner von den Vampiren, die ich bis jetzt getroffen habe, hatte solche Augen. Nicht mal Blake!“

Immer wieder wurde Toshiyas dünner Körper von heftigen Schluchzern geschüttelt.

„Ich hab solche Angst, dass das mein wahres Ich ist. Der Gedanke, dass ich noch mehr Unschuldige umbringen könnte, macht mich ganz krank! Wäre ich nicht so ein verdammter Feigling, hätte ich mich schon längst umgebracht. Aber nicht mal dazu bin ich fähig.“

Toshiya wimmerte leise und grub die Fingernägel in seinen Haaransatz. Etwas überfordert beobachtete Zero den jungen Vampir, der nun leicht mit dem Oberkörper hin und her schaukelte. Wahrscheinlich nahm er diese Bewegung nicht einmal wahr.

Zero rutschte von Sofa und ging vor Toshiya in die Knie. Er nahm die Hände des anderen in seine und zwang ihn so zum direkten Blickkontakt. Toshiyas Augen waren vom vielen Weinen gerötet. Dieser Kontrast ließ die gelblichen Pupillen noch einen Tick heller erscheinen. Schweigend und unfähig auch nur ein weiteres Wort zu sagen, schaute er Zero an.

„Toshiya, du bist kein Monster. Glaub mir das.“, begann Zero eindringlich. „Du bist allerdings auch kein Mensch mehr. Du stehst jetzt, genau wie ich, am obersten Ende der Nahrungskette. Und ich stimme dir zu, es ist schlimm, dass du diese Menschen getötet hast. Aber es war nicht deine Schuld. Du hast es nicht vorsätzlich getan, das war dein Instinkt. Und der lässt sich nicht unterdrücken. Du bist noch so jung, es ist ganz natürlich, dass du dich nicht kontrollieren kannst.“

Zero ließ von Toshiya ab und stand auf, um sich wieder neben ihn zu setzen. Er kramte in seiner Hosentasche herum und zog ein frisches Papiertaschentuch heraus, das er Toshiya entgegen hielt. Der nahm es schweigend an und trocknete sich die Tränen.

„Und allein die Tatsache, dass du hier gerade sitzt und weinst, zeigt mir, dass du alles bist, aber kein Monster.“

Toshiya putzte sich die Nase und schniefte leise. Er sah mitgenommen aus.

„Ich hasse mich so sehr für all das was ich getan habe.“, flüsterte er heiser. „Ich kann einfach nicht verstehen, wie jemand der so gut ist wie du mich mögen kann.“

Zero stieß ungewollt ein kurzes, freudloses Lachen aus.

„Toshiya, glaub mir. Ich bin nicht gut. Und ich weiß wie du dich fühlst. Jeder einigermaßen kultivierte Vampir weiß das. Was glaubst du, wie es hier früher zuging? Vor den Zeiten der kontrollierten Bezirke und der Blutkonserven? Vampire lebten entweder in Nestern, oder waren Einzelgänger. Egal welche Lebensform man bevorzugte, die Jagd entwickelte sich regelmäßig zum reinsten Schlachtfest. Wir haben ganze Dörfer leer gefressen. Manchmal aus Hunger, manchmal aus purer Langeweile. Streng genommen sind wir alle Mörder. Das liegt in der Natur unserer Art.

Wir sind und bleiben Raubtiere, egal hinter welchen Konventionen wir uns verstecken. Den einzigen Unterschied macht hierbei das Gewissen. Es gibt solche, denen ihre Taten scheißegal sind und solche, die sich damit auseinandersetzen und im Endeffekt daran zerbrechen.

Aus dem einfachen Grund, weil es unmoralisch ist. Unsere ganze Existenz ist unmoralisch.

Aber wenn du mich fragst, sind die Menschen auch nicht viel besser. Nur ist ihre Grausamkeit nicht so offensichtlich und scheinbar verursacht sie ihnen auch kein wirklich schlechtes Gewissen.“

Als Zero geendet hatte, warf er einen Seitenblick zu Toshiya. Der hockte noch immer mit gekrümmtem Rücken und geschwollenen Augen auf der Sofakante. Zu seiner Erleichterung bemerkte Zero jedoch, dass er nun wieder ruhig da saß.

„Ich kann dir nichts weiter sagen, als dass die Gedanken und das Selbstbild, das du jetzt von dir hast, ganz normal sind. Leider. Aber mit der Zeit wirst du dich damit abfinden. Das ist das tragische und gleichzeitig erlösende an diesem Dasein. Man hat genug Zeit, um sich selbst in irgendeiner Weise zu akzeptieren. Aber eins kann ich dir versprechen: Du wirst mir immer etwas bedeuten.“
 


 

Zur selben Zeit in einem anderen Winkel der Stadt ...
 

Daisuke saß auf der Motorhaube und drehte sich eine Zigarette. Sein älterer Bruder stand mit verschränkten Armen neben ihm, den Blick starr auf das andere Ende des weitläufigen Parkplatzes gerichtet. Der Beton unter Kaorus Füßen war von tiefen Rissen durchzogen, an einigen Stellen wucherten Unkraut und Gras. Auch die weißen Quadrate, die die einzelnen Stellflächen markieren sollten, waren bereits größtenteils verblasst oder lückenhaft.

„Glaubst du wirklich, dass er noch kommt? Wir warten jetzt schon fast eine Stunde.“

„Er wird kommen. Am Telefon klang er nicht so, als wäre er bereit das Angebot auszuschlagen.“

Die zuckte nur mit den Schultern und durchsuchte seine Jackentasche nach einem Feuerzeug.

Im gleichen Moment erspähte Kaoru eine Gestalt. Sie bog schnellen Schrittes aus einer der Seitenstraßen, die in den Parkplatz mündeten und nahm geradewegs Kurs auf die beiden Wartenden.

„Siehst du? Ich kann hellsehen.“, murmelte Kaoru mit einem Grinsen auf den Lippen.

Die Gestalt war nicht mehr weit entfernt und Dai konnte nun das Gesicht eines jungen Mannes erkennen. Der Mann wirkte angespannt. Er lief leicht geduckt und sah sich immer wieder misstrauisch um. Kaoru begrüßte ihn gut gelaunt, fast schon überschwänglich.

„Da ist er ja, unser Mann!“ Er verbeugte sich kurz vor dem Fremden. „Kommen wir gleich zum geschäftlichen Teil? Du siehst aus als hättest du es eilig.“

Der Fremde sah sich noch einmal um, bevor er die Begrüßung erwiderte.

„Ja, es wäre mir sehr recht, wenn wir das alles hier schnell über die Bühne bringen könnten.“

„In Ordnung. Die, zeig unserem Freund hier doch mal seine versprochene Bezahlung.“

Dai ließ sich von der Motorhaube gleiten und umrundete das Auto. Am Heck des Fahrzeugs blieb er stehen und klopfte einmal mit der flachen Hand auf die Kofferraumklappe.

„Es ist dadrin, du solltest besser her kommen und es dir gleich hier ansehen.“, sagte er gelangweilt. Der Fremde ließ sich das nicht zwei Mal sagen. Kaoru folgte ihm.

Als die drei Männer sich schließlich um den hinteren Teil des Autos herum versammelt hatten, stemmte Kaoru die Hände in die Hüften und sah den Unbekannten durchdringend an.

„Also, bevor wir jetzt diesen Kofferraum öffnen, erkläre ich dir noch mal unsere Geschäftsbedingungen. Erstens: Kein Wort. Zu Niemandem! Du bist nie hier gewesen, genauso wenig wie wir es waren. Zweitens: Wenn du versuchst uns übers Ohr zu hauen werden wir das rauskriegen. Und dann kannst du dich warm anziehen. Drittens: Warte mit dem Essen bis wir wieder weg sind. Klar soweit?“

Der Fremde nickte.

„In Ordnung. Dann lasse ich dich jetzt einen Blick auf deine Entlohnung werfen. Wenn sie dir zusagt, dann rückst du mit den Informationen raus. Erst danach darfst du deine Bezahlung entgegen nehmen und wir werden verschwinden.

Ein weiteres Nicken.

„Ok, dann wollen wir mal.“

Mit diesen Worten öffnete Kaoru die Klappe des Kofferraums. Der fremde Mann hielt den Atem an.

Im geräumigen Kofferraum des Landrovers lag, sorgsam verschnürt, ein Mädchen im Teenageralter.

Sie trug ein pinkes Tanktop und eine Bluejeans mit hellen Auswaschungen. Das gebleichte Haar klebte ihr in fettigen Strähnen am Kopf und die verlaufene Wimperntusche hatte dunkle Schlieren auf ihren Wangen hinterlassen. In ihrem Mund steckte ein zusammengeknüllter Lappen, den Die zusätzlich mit Klebeband befestigt hatte. Das Mädchen lag gekrümmt und mit geschlossenen Augen da. Ihre Atmung ging unregelmäßig, doch ansonsten zeigte sie keinerlei Regung.

„Wir haben ihr nur ein leichtes Schlafmittel gegeben, damit sie aufhört gegen die Innenwände zu treten. Sie sieht mitgenommener aus als sie eigentlich ist. Wir haben sie erst vorgestern aufgegabelt und ich kann dir versichern, dass sie jung, gesund und voll frischem Blut ist. Also-“ Kaoru tätschelte dem Mädchen den Kopf. „kommen wir ins Geschäft?“

Der Blick des Fremden schien sich bereits am Hals des Mädchen festgesaugt zu haben.

Erst Kaorus Stimme holte ihn wieder zurück in die Realität. Er nickte hastig.

„Super!“ Kaoru strahlte. „Ich würde sie dir ja einpacken, aber so eine große Tüte hab ich leider gerade nicht zur Hand. Egal! Du wirst sie schon transportiert kriegen, oder nicht?“

„Doch doch, geht schon.“, nuschelte der Vampir und leckte sich über die Lippen. Seine Augen hatten bereits einen gelblichen Ton angenommen.

„So, jetzt kommen wir zu deinem Teil der Abmachung. Du sagst uns wo wir Karyu finden können und dafür bekommst du die Kleine hier.“

„Ich- ich hatte euch aber gesagt, dass ich für nichts garantieren kann, das wisst ihr, oder?“

„Wissen wir. Aber wir vertrauen dir und deinen Fähigkeiten.“

„Ich hab keine Ahnung wo er genau wohnt, aber hier ist eine Liste mit Orten die er regelmäßig aufsucht. Da könntet ihr ihn erwischen. Aber was genau wollt ihr eigentlich von ihm?“

„Nichts um das du dich kümmern müsstest.“

„Wenn ihr ihm was tun wollt, dann vergesst es am besten. Er reißt euch den Arsch auf.“

„Keine Angst, wir wollen nur reden.“

Über diese Worte runzelte der Vampir die Stirn. Er musterte Kaoru eindringlich und schien zu überlegen. Dann warf er einen Blick auf das betäubte Mädchen im Kofferraum. Er konnte ihr Blut förmlich riechen.

„Ok, damit wäre die Sache dann beendet. War schön mit dir Geschäfte zu machen, mein Lieber.“

Während Kaoru sprach, machte Daisuke sich daran, die Geisel aus dem Kofferraum zu buchsieren. Diese Aktion forderte recht großes Geschick, da das Mädchen durch die plötzliche Bewegung aufwachte und begann sich zu wehren. Als sie nach ihrem Entführer trat, entfuhr dem ein kurzes Knurren und er verpasste ihr eine schallende Ohrfeige. Offensichtlich wirkte diese Behandlung, denn nun entkam der jungen Asiatin nur noch ein leises Wimmern. Sie hatte aufgehört sich zu wehren. Die legte den Körper behutsam auf dem asphaltierten Boden ab und schloss den Kofferraum.

„Wir machen uns vom Acker. Viel Spaß mit ihr und guten Hunger.“

Kaoru winkte kurz und stieg dann, gefolgt von Dai, ins Auto. Kurz darauf wurde der Motor gestartet und der schwarze Landrover verließ den Parkplatz...

Bad Times Today

Ich kann selbst kaum fassen, dass ich mal pünktlich hochlade!
 

Einen Haken hat die Sache: Da ich momentan quasi nur aus dem Koffer lebe und ständig durch die Weltgeschichte reise, hatte ich nur heute Zeit, um dieses Chap in die Beta zu geben. Leider traf ich nur eine meiner drei Betas an. Es ist also sehr gut möglich, dass noch Fehler drin sind!

Wer sie findet, der möge sie bitte nicht behalten, sondern mir mitteilen!
 

Der Song zum Kapitel stammt von Cradle of Filth und ist seit einem gefühlten Jahrtausend eines meiner Lieblingslieder. Ich werde wohl schreien wie ein kleines Schulmädchen, wenn ich Cradle im August live auf Wacken sehe...

Das Video zum Song ist übrigens auch sehr schön. Eine kleine aber feine Inspiration für Hobby-Sadisten und alle die es werden möchten.

Zu blutigen Morden passt das allemal.
 

Cradle of Filth - Babalon AD (So Glad For The Madness)
 

http://www.youtube.com/watch?v=PwOjmVfvEqI
 

enjoy ♥
 


 

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Irgendwo, 03:46 Uhr ...
 

Hizumis POV
 

Die Kälte kroch mir unter die Haut. Sie ließ meine Finger taub werden und meine Zehen schmerzen. Nur an dem Dröhnen in meinem Schädel änderte sie nichts.

Ich hielt kurz inne und sah mich um.

Meine Umgebung war mir vollkommen fremd, ich hatte nicht die geringste Ahnung wo ich mich befand, oder auf welchem Wege ich überhaupt hier her gelangt war.

Zu meiner Rechten ragte ein trostloses Mehrfamilenhaus in den Himmel, direkt daneben befand sich ein weitläufiger, von Maschendrahtzaun begrenzter, Parkplatz. Die Fenster des Hauses starrten schwarz und leer in die Dunkelheit und ließen keinen Gedanken an das zu, was sich hinter ihnen befand. Ich fröstelte und ging ein paar Meter weiter. In Bewegung zu bleiben erschien mir die einzige Möglichkeit, meinen unterkühlten Körper wenigstens halbwegs warm zu halten. Während ich die menschenleere Straße entlang wanderte, ließ ich die vergangene Nacht Revue passieren und fasste den Entschluss, das Geschehene in die hinterste Ecke meines benebelten Gehirns zu verbannen.

Nach dem Streit mit Karyu war ich auf direktem Wege zur Universität gegangen, hatte dort die geplanten Vorlesungen gehalten und mich bis zum Abend mit diversem Papierkram befasst.

Erst als auch der letzte meiner Kollegen den Heimweg angetreten hatte, konnte ich mich dazu überwinden meinen Platz zu verlassen. Die Stunden danach waren mir nur als ein unsortierter Haufen verzerrter Trugbilder in Erinnerung geblieben.

Mit den Jahren hatte ich die verschiedensten Ablenkungsstrategien ersonnen und getestet.

Im Endeffekt war es immer die gleiche Taktik, die mir etwas brachte: Laute Musik, zu viel Alkohol und unverbindliche Beziehungen.

Mein Körper sagte mir, dass ich an diesem Abend beides zur Genüge gehabt hatte.

Während ich ziel- und planlos durch die Stadt ging, ertappte ich mich dabei, ein oder auch zwei Gedanken an Saga zu verschwenden. Ich verscheuchte sie, versuchte stattdessen mich an das Gesicht desjenigen zu erinnern, der mich noch vor wenigen Stunden in Richtung der Toilettenkabinen gezerrt hatte. Mein Erinnerungsvermögen streikte.

Eigentlich war es mir egal.

Ich spürte, wie es in meinem Magen rumorte. Zu viel Alkohol und zu wenig Blut.

Das leichte Grummeln verwandelte sich schon bald in eine ausgewachsene Übelkeit und zwang mich dazu stehen zu bleiben. Ich lehnte mich gegen eine der abgeschalteten Straßenlaternen und rang nach Luft. Auf der anderen Straßenseite konnte ich einen quadratischen Betontopf ausmachen, in dem sich, außer ein wenig Kies, nichts weiter befand. Ich überquerte die Straße und setzte mich auf den Rand des Topfes.

Kälte und Übelkeit hatten meinen Körper nun vollkommen im Griff. Angestrengt konzentrierte ich mich darauf, meinen Mageninhalt bei mir zu behalten. Nach einer gefühlten Ewigkeit ließ der Würgereiz endlich nach und ich schloss erschöpft die Augen. Doch die Welt in meinem Kopf drehte sich munter weiter.

Plötzlich stieg mir ein Geruch in die Nase. Verwirrt öffnete ich die Augen und sah mich um.

Weit und breit war keine Menschenseele zu sehen. Ich rappelte mich schwankend auf und beschloss, mich auf die Suche nach irgendeinem Anhaltspunkt zu begeben, denn mein Körper schrie nach Schlaf. Irgendwo würde ich schon eine Bahnstation oder einen Sraßennamen finden, der mir Auskunft über meinen momentanen Aufenthaltsort geben könnte.

Ich machte kehrt und ging zurück in die Richtung aus der ich gekommen war.

Der Geruch wurde stärker. Es war mein Instinkt, der mich erst innehalten und schließlich der Duftspur folgen ließ. Mein Hirn schien zu müde zu sein, um Einspruch gegen diese Handlung zu erheben.

Ich passierte weitere Wohnblocks, einer hässlicher als der andere, bis ich schließlich vor dem Eingang zu einem kleinen Park stand. Ein schmaler, gewundener Kiesweg führte zwischen frisch gemähtem Rasen und wild wucherndem Gestrüpp hindurch, geradewegs zu einem künstlich angelegten Wäldchen. Der Geruch war hier wesentlich intensiver.

Ich blieb stehen und starrte in die Dunkelheit. Der Versuch meine Sinne zu fokussieren scheiterte kläglich. Wahrscheinlich waren der Alkohol und die Müdigkeit dafür verantwortlich.

Unsicher setzte ich einen Fuß auf den Weg. Das Knirschen der Steine unter meinen Füßen erschien mir unsagbar laut. Als ich den Weg ein paar Meter entlang gegangen war, bemerkte ich am Rand des Wäldchens einen schwarzen Fleck. Er war unförmig und hob sich deutlich vom Grau des Rasens ab.

Der Geruch frischen Blutes war nun allgegenwärtig.

Vorsichtig näherte ich mich dem Ding, das da im Gras lag. Im nächtlichen Dunkel konnte ich nur grobe Umrisse wahrnehmen, darum kramte ich mit zittrigen Fingern nach meinem Handy. Die Displaybeleuchtung war schwach, doch sie reichte aus, um aus dem am Boden liegenden Schatten eine Person zu formen. Was ich sah fühlte sich an wie ein Schlag vor den Kopf.

Das Telefon fiel mir aus der Hand und landete lautlos im Gras. Ohne dass ich es hätte verhindern können, gaben mir die Knie nach und der Brechreiz siegte...
 


 

ca. zwanzig Minuten später ...
 

Hizumi saß, in eine graue Wolldecke gewickelt, neben Zero und beobachtete das Geschehen, das sich ein paar Meter weiter abspielte. Karyu kniete am Boden und versuchte gewaltsam den Mund der Leiche zu öffnen. Um ihn herum standen drei fremde Gestalten, die jeden von Karyus Handgriffen genau zu analysieren schienen. Angewidert wandte Hizumi den Blick ab.

„Geht's dir gut?“, fragte Zero besorgt.

„Ging schon mal besser.“

Hizumi starrte missmutig auf seine Schuhe, während Zero mit ansah wie Karyu die Kiefer des Toten knackend auseinander schob.

„Zero?“

„Hm?“

„Ich will heim.“

„Ist gut. Warte einen Moment, ich rede nur kurz mit Karyu, dann fahr ich dich.“

Zero stand auf und schob sich an den Herumstehenden vorbei. Er wechselte einige Worte mit dem Blonden und sah dann zu Hizumi hinüber. Karyu tat es ihm gleich.

Als Hizumis Blick den seines Machers traf, schlug er eilig die Augen nieder und begann auf seiner Unterlippe herum zu kauen. Zu seiner Erleichterung hörte er bald darauf Zeros Schritte auf dem Kiesweg.

„Na komm, wir fahren.“

Das ließ Hizumi sich nicht zwei mal sagen. Er rappelte sich auf und folgte Zero zum Auto.

Die Decke behielt er weiterhin um. Wem auch immer sie gehörte, er würde sie auch noch bis morgen entbehren können.

Als Zero den Motor startete lehnte Hizumi den Kopf gegen die Fensterscheibe. Das Glas war eiskalt, doch er war zu erschöpft um sich darum zu kümmern. Hinter dem Fenster begann die nächtliche Stadtlandschaft vorüber zu ziehen.

„Wo zur Hölle sind wir hier eigentlich?“

„Wie viel zur Hölle hast du heute Nacht getrunken?“

„Zu viel.“

„Wir sind ziemlich weit ab vom Schuss, das kann ich dir verraten.“

„Mh-hm ...“

Für Hizumi schien die Unterhaltung damit beendet zu sein, denn er schloss die Augen und zog die Decke fester um seine Schultern. Zero warf ihm einen skeptischen Seitenblick zu.

„Ihr habt Streit, oder?“

„Mh.“

„Hizumi, ich akzeptiere, dass es spät ist, ich akzeptiere, dass du noch immer genug Restalkohol für zwei Mann intus hast und ich akzeptiere auch, dass du gerade eine entstellte Leiche in einem beschissenen Park gefunden hast. Aber diese Form der Konversation, die akzeptiere ich nicht! Haben wir uns verstanden?“

„Mh.“

Der Blick, den Zero seinem Beifahrer nach dieser Antwort zuwarf, versprach Folter, Flüche und einen qualvollen, unnatürlichen und vor allem endgültigen Tod.

„Also, willst du mir jetzt sagen was los ist, oder muss ich dich erst an der nächsten Tankstelle aussetzen?!“

„Wieso glaubst du eigentlich, dass dich das was angeht?“

„Oh, das kann ich dir sagen! Weil du mich was angehst und weil, leider Gottes, auch Karyu mich was angeht. Und wenn ihr beide Streit miteinander habt, dann bin ich jedes Mal der arme Tropf, der zwischen den Stühlen steht und sich euren Mist anhören muss. Nicht, dass ich das nicht gerne und mit jeder Faser meines toten Herzens tun würde, aber in letzter Zeit verkracht ihr euch ständig!

Und jedes Mal wird es schlimmer. Wenn der Härtegrad proportional zur Häufigkeit eurer Meinungsverschiedenheiten ansteigt, dann habt ihr euch nächsten Monat gegenseitig die Schädel eingeschlagen. Und ich kann dann entweder sehen, wo ich einen neuen Kollegen her bekomme, oder einen Käufer für deine Wohnung finden. Für beides habe ich weder Zeit noch Muße! Und genau das ist der Grund, warum du mir jetzt erzählen wirst, was schon wieder los ist. Vielleicht kann man ja noch was retten. Also?!“

Während seines Vortrags hatte Zero den Blick keine Sekunde lang von der Fahrbahn abgewandt. Nur die Finger seiner rechten Hand trommelten ungeduldig auf dem Lenkrad herum.

Hizumi war sich sicher, dass Zero zur Not die ganze Nacht mit ihm im Wagen verbringen würde, sofern er ihm nicht die gewünschten Informationen gab. Es wäre nicht das erste Mal gewesen.

„Du bist eine Nervensäge, weißt du das?“

Das Trommeln der Finger wurde lauter.

„Jaja, ist ja gut.“, seufzte Hizumi resigniert. Er straffte sich ein wenig und begann den Grund des Streits zu erläutern.

„... Das Beschissene ist, dass er recht hat. Ich weiß ja selbst, dass ich mein Leben endlich mal wieder in geregelte Bahnen lenken sollte, aber ich schaff das einfach nicht. Das Schlimmste ist wirklich, dass ich mittlerweile keinen Schimmer mehr habe, wofür ich überhaupt noch existieren soll. So wie es jetzt ist, macht es keinen Sinn mehr, verstehst du? Und ich glaube, dass sich das nicht mehr ändern wird...“

Zero hatte die ganze Zeit über aufmerksam zugehört, allerdings hatte er bis jetzt keinen einzigen Kommentar abgegeben. Er trat auf die Bremse, denn die Ampel am Straßenrand war auf rot gesprungen. Diese Zeit nutzte Zero, um dem Jüngeren einen ernsten Blick zuzuwerfen.

„Oh, glaub mir, ich weiß ganz genau wie du dich fühlst. Ich könnte dir jetzt sagen, dass das normal ist, dass es wieder vorbei geht und den ganzen restlichen Kram, den ich eigentlich jedem jungen Vampir erzähle. Aber das würde nichts an der ganzen Geschichte ändern. Die Wahrheit ist, dass weder ich noch Karyu dir dabei helfen können. Du musst da alleine durch. Ich weiß, dass es hart klingt. Das ist es auch. Aber irgendwann wird sich dir sicher wieder ein Sinn erschließen, und sei er noch so banal. Das ist der Nachteil an diesem Leben. Man hat genug Zeit sich seiner Sinnlosigkeit bewusst zu werden. Der einzige Vorteil ist, dass man gleichzeitig genug Zeit hat, den Sinn seiner Existenz zu finden.“

„Das ist paradox.“

„Ich sag dir was paradox ist: Lebende Tote. Das ist paradox.“

Ein kleines Grinsen schlich sich auf Hizumis Lippen.

„Ja, da hast du wohl recht.“

Den Rest der Fahrt über schwiegen die beiden und jeder hing seinen eigenen Gedanken nach.

Der Alkohol in Hizumis Körper war nun größtenteils verflogen, er fühlte sich nicht mehr elend, war aber dafür umso erschöpfter. Als Zero den Wagen vor den renovierten Fabrikhallen parkte, waren Hizumis Augen auf dem besten Wege, endgültig zuzufallen.

„Ich komm morgen noch mal vorbei. Zur Zeugenbefragung.“ Zero grinste breit. „Laut Protokoll bist du nämlich jetzt ein Verdächtiger. Das bedeutet, dass entweder Karyu oder ich dich morgen vernehmen müssen. Und wenn du nicht redest, dann sind wir befugt, dich auf sehr fantasievolle Art und Weise zu foltern.“

Für diese Worte hatte Hizumi nichts weiter übrig als ein müdes Lachen.

„Alles klar, dann bis morgen, Sheriff.“

Er kletterte etwas umständlich aus dem Auto und erklomm die Treppen in den zweiten Stock.

Das Türschloss aufzuschließen gestaltete sich als ernstzunehmende Aufgabe, denn Hizumis Feinmotorik war an diesem Abend in einem Wodka-Blut-Gemisch ertrunken. Endlich gab das Schloss ein erlösendes Klicken von sich. Hizumi stolperte in seine Wohnung und steuerte ohne Umschweife das Bett an. Das einzige was jetzt zählte, waren ein paar Stunden Schlaf, die ihm halfen, die Geschehnisse zu verarbeiten. Alles andere konnte warten...
 


 

Am nächsten Morgen; 06:04 Uhr...
 

An diesem Morgen spuckte der bleigraue Himmel die ersten vereinzelten Regentropfen.

Einer dieser Tropfen verfehlte den Rasen und landete unglücklicherweise in Karyus Auge.

Der Vampir wischte sich fluchend über das Gesicht, bevor er sich auf eine herumstehende Parkbank fallen ließ.

„Da fragt man sich wirklich, ob es noch besser kommen kann.“, murmelte er zähneknirschend. Er hatte die letzten Stunden am Tatort verbracht und sich mit einigen Ratsmitgliedern herumgeschlagen. Die Leiche befand sich nun auf dem Weg in die Pathologie und momentan stellte Karyu sich die Frage, ob es ratsam war, den menschlichen Ermittlern von diesem Mordfall zu berichten. Im Großen und Ganzen schien dieser Mord identisch mit dem aktuellen Fall zu sein. Auch hier war das Opfer verstümmelt worden, auch hier fehlte das Herz und auch hier waren keine Anzeichen von Missbrauch zu erkennen. Es gab nur einen Unterschied, doch der war gravierend: Das Opfer war in diesem Fall ein Vampir gewesen.

Sofern die beiden Opfer, und das schien plausibel, durch die gleiche Hand umgekommen waren, warf das ein ganz neues Licht auf den Mörder. Dessen war sich nun auch Karyu bewusst geworden.

Der Untote streckte sich ächzend und spürte kurz darauf ein Stechen in der linken Brust.

//Herzlichen Glückwunsch//, dachte er verbittert.

Karyu war nun schon seit etlichen Tagen auf den Beinen. Es war nicht ungewöhnlich, dass er nur eine einzige Nacht pro Woche nutzte, um etwas Schlaf zu finden, denn mehr war schlicht und einfach nicht mehr nötig. Doch nun pochte die Narbe an seiner linken Brust unangenehm und sein Körper signalisierte Energiemangel.

Als Karyu aufstand schoss ihm der Schmerz bis ins Mark. Er taumelte und bekam die Lehne der Parkbank zu fassen. Vollkommen überrascht über die heftige Reaktion seines Körpers, verbrachte Karyu die nächste Minute damit, sich zu sammeln und den Gehweg zu begutachten. Gerade als er erneut zu den anderen stoßen wollte, drang eine Stimme an sein Ohr. Die Stimme klang keinesfalls freundlich und gehörte zu einem jungen Mann mit Irokesen, dessen Beine in durchlöcherten Jeans steckten.

Karyu warf einen Blick gen Himmel.

„Du willst mich echt verarschen heute, kann das sein?“, knurrte er leise. Bevor noch weitere gotteslästerliche Worte seinen Mund verlassen konnten, hatte sich Souta vor ihm aufgebaut.

„Sag mal wollt ihr mich eigentlich verarschen!?“, wetterte der ohne jede Vorwarnung.

„Witzig, das gleiche dachte ich auch gerade.“

„Halt's Maul, Karyu. Ernsthaft!“

„Pass auf, dass ich dir nicht gleich dein Maul stopfe.“

„Oh, so wie unserm lieben Yuto hier?“

Karyu runzelte die Stirn und musterte Souta, der mit verschränkten Armen vor ihm stand und angriffslustig zu ihm aufschaute.

„Wovon sprichst du, Anarch?“

„Jetzt tu nicht so! Ihr hängt doch in der Sache drin! Hältst du mich für komplett bescheuert?“

„Nein, nur für verwirrt und verblendet.“

„Provozier's nicht! Wir wissen beide, dass ihr uns am liebsten aus der Stadt haben würdet. Und dafür ist euch jedes Mittel recht! So war es doch schon immer. Du und dein feudales Regiment! Ich hoffe wirklich, dass irgendwer dir möglichst bald den Arsch aufreißt. Vielleicht entwickelt sich dann ja so etwas wie eine freie Vampir-Gesellschaft!“

„Wenn man die Stammtischparolen jetzt streicht, was wäre dann der Kern dieser Aussage? Hilf mir etwas auf die Sprünge bitte. Das Alter spielt mir in letzter Zeit übel mit. Nachlassende Hirnkapazität, Krampfadern, schütteres Haar.. du weißt schon.“

„Die Kernaussage ist, dass ich dich und deine Speichellecker des Mordes an einem unserer Mitglieder beschuldige! Das ist die Kernaussage! Und sollte sich herausstellen, dass ich damit auch nur ansatzweise richtig liege, dann ist unser Bündnisvertrag null und nichtig und wir werden euch bei nächstbester Gelegenheit fertig machen. Koste es was es wolle!“

„Souta, hörst du dich eigentlich reden?“

„Die Frage ist, ob du mich reden hörst! Wenn du nichts damit zu tun hast, dann sag mir doch bitte, wer Yuto umgebracht haben soll? Und jetzt komm mir nicht mit dieser Geschichte vom verwirrten Serienmörder, die zieht nicht! Außerdem-“

„Moment, Auszeit! Woher weißt du davon?“

Souta hob überrascht die Augenbrauen, ihm entwich ein fassungsloses Lachen, das Karyu dazu brachte die Augen zu verdrehen.

„Karyu, ich bitte dich! Fast jeder weiß davon. Glaubst du, nur weil wir gegen das System sind, lesen wir keine Zeitung? Auch, wenn das erste Opfer ein Mensch war und darum eigentlich uninteressant ist, hat der Mord hier für Aufsehen gesorgt. Vor allem wegen der Sache mit dem fehlenden Herzen. Und jetzt, nur ein paar Tage später, muss ich hören, dass einem meiner Männer das gleiche zugestoßen ist!“

„Schon mal daran gedacht, dass es sich um einen Serienmörder handelt?“

„In der Tat, soweit hab auch ich schon gedacht. Und hast du schon mal daran gedacht, dass dieser Serienmörder definitiv kein Mensch sein kann, wenn er es geschafft hat, einen ausgewachsenen Vampir zu erledigen? “

„Ja, das kam mir eben schon in den Sinn.“

„Schön. Dann sag mir jetzt bitte, warum ich dich nicht verdächtigen sollte!“

„Das hat mehrere Gründe. Erstens: Meine Freizeit ist momentan ein seltenes Gut, ich habe schlichtweg keine Zeit zum Morden.

Zweitens: Ich habe ein handfestes Alibi. Ich kann sie dir gern vorstellen, wenn du das wünschst. Sie ist blond und sehr gut gebaut. Nur an ihren Namen kann ich mich nicht erinnern. Irgendwas mit „A“. Was auch immer.

Drittens: In der Tat kann ich eure kleine Punk-Sekte nicht leiden, aber wer kann das schon. Trotzdem würde es mir, rein objektiv betrachtet, gar nichts bringen, nur einen von euch auszuweiden. Ihr seid wie Schaben. Klein, dreckig und für meinen Geschmack zu vermehrungsfreudig. Und genau deswegen müsste man, um euch linke Brut endgültig loszuwerden, alle gleichzeitig platt machen. Und glaub mir, du wärst der Erste.“

„Sehr liebenswürdig, Arschloch.“

„So bin ich.“

„Wie auch immer. Wenn du es nicht warst, wer dann?“

„Genau dieses Rätsel gilt es jetzt zu lösen. Bevor unser kleiner Psychopath noch mehr Herzen bricht...“

Second Chance

Nach drei langen und ereignisreichen Monaten bin ich tatsächlich dazu in der Lage gewesen, ein neues Kapitel hochzuladen!

Im Schnelldurchlauf: Ich bin durch die Weltgeschichte gereist (Nichts Neues), wohne jetzt wieder in Köln (Umzüge sind teuer, anstregend und unendlich nervig!), habe einen Kater namens "Schrödinger" und arbeite momentan als Betreuerin in einer Grundschule (Nein, kein Witz!), während ich abends fleißig an "Blackvault" herumtippe (Bis Ende des Jahres soll der erste Band fertig sein).
 

So. Das waren eine ganze Menge Klammern, die alle nur dazu dienten, die Spannung vor dem Start dieses Kapitels bis ins Unerträgliche zu steigern.
 

enjoy <3
 

[Der Soundtrack folgt, wenn ich ausgeschlafen bin und mein Gehirn wieder richtig arbeitet!]
 

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Der Mond warf sein fahles Licht auf die Stadt. Zwischen den Häusern stand ein junger Mann und rauchte. Sein linkes Bein hielt er leicht angewinkelt, der dazugehörige Fuß wippte ruhelos hin und her.

Tsukasa starrte auf den Boden, während er einen tiefen Zug inhalierte. Seine Gedanken drehten sich unaufhörlich im Kreis und er befürchtete, dass er auch in der heutigen Nacht kaum Schlaf finden würde. Das Geräusch leiser Schritte ließ ihn aufschauen.

Am Ende der Straße wurde ein Schatten sichtbar, der sich zügig auf ihn zu bewegte. Er brauchte nicht einmal mehr genau hinzusehen, um zu wissen, um wen es sich handelte.

Tsukasas Vermutung bestätigte sich, als die Gestalt durch den Lichtkegel einer Straßenlaterne ging. Die Helligkeit offenbarte einen Mann mit langem, blondem Haar. Seine Füße steckten in einem Paar abgetragener, schwarzer Kampfstiefel und er trug einen Mantel in der gleichen Farbe. Die untere Partie seines blassen Gesichtes wurde von einem petrolblauen Wollschal verdeckt.

„Was treibst du eigentlich immer so spät nachts noch draußen?“, fragte Tsukasa, als Karyu ohne einen Gruß an ihm vorbei rauschte.

„Geschäftliches, was sonst.“

Etwas irritiert über diese knappe Antwort beobachtete Tsukasa, wie der ältere Vampir seinen Haustürschlüssel aus der Hosentasche kramte. Etwas musste vorgefallen sein, denn normalerweise war es Karyu, der jede Gelegenheit für einen dummen Spruch oder eine kurze Unterhaltung nutzte. Besonders wenn es ihm gelang Tsukasa einmal allein anzutreffen.

„Ist irgendwas nicht in Ordnung?“

„Oh, glaub mir, mein Lieber, hier ist so einiges nicht in Ordnung!“

Tsukasa hob die Augenbrauen und bedachte Karyus Rücken mit fragenden Blicken. Wider Erwarten fühlte Karyu sich offensichtlich nicht dazu verpflichtet, genauere Auskünfte zu geben. Genau das war es, was Tsukasas Neugier weckte.

„Und darf man fragen, was genau hier nicht in Ordnung ist?“

„Nein, darf man nicht. Schon gar nicht als Zivilist.“

Karyu hatte seinen Schlüssel gefunden und öffnete die Tür. Als er den ersten Fuß in den Hausflur setzte, schob Tsukasa sich an ihm vorbei und stellte sich mit verschränkten Armen in die Tür.

„Aus deinem Wortlaut und deiner äußerst angepissten Art schließe ich, dass es hier um diesen merkwürdigen Mordfall geht. Das wiederum bedeutet, dass hier ein perverser Spinner frei herumläuft, der Zivilisten wie dich und mich am liebsten tot und ohne Herz sieht. Und genau aus diesem Grund wäre ich dir sehr verbunden, wenn du mir wenigstens ansatzweise sagen würdest was hier gerade läuft! In den Zeitungen steht nur schlecht recherchierter Unsinn. Wenn dieser Kerl hier noch immer rumläuft, dann geht mich das verdammt nochmal was an!“

Tsukasas kleiner Ausbruch sorgte bei Karyu nur für ein mildes Lächeln.

„Also gut, wie du willst. Sie haben eine zweite Leiche gefunden. Fast vollkommen ausgeblutet und ohne Herz, das gleiche Spiel. Gerissen wie du nun mal bist, brauche ich dir ja wohl nicht zu sagen, dass wir davon ausgehen, dass es der gleiche Mörder war. Ich hoffe doch, Sie fühlen sich nun zur Genüge informiert, Dr. Watson?“

Mit diesen Worten schubste Karyu den anderen zur Seite und stieg die Treppenstufen hinauf. Tsukasa stolperte rückwärts, bevor er sich am Türrahmen festhalten konnte. Fassungslos sah er dem Blonden nach. Ohne groß darüber nachzudenken, erklomm er hinter Karyu die Treppenstufen.

„Nur weil du nen beschissenen Tag hattest, brauchst du das nicht an mir auszulassen! Ich wollte nur wissen was los war, ok? Ich kann auch nichts dafür, dass diese Leute tot sind, ich hab sie nicht umgebracht!“

Mit einem Ruck drehte Karyu sich um. Seine Augen leuchteten gelblich, was Tsukasa dazu veranlasste, augenblicklich einen Schritt zurück zu machen. Noch bevor er wusste wie ihm geschah, spürte er eine Hand an seinem Hals. Karyu drückte ihn gegen die kalte Wand des Treppenhauses und machte dabei keinen sonderlich freundlichen Eindruck.

„Tsukasa, ich sage es dir jetzt nur noch ein einziges Mal: Halt dich verdammt nochmal da raus!“, zischte er wütend. „Und erzähl mir nichts über perverse Mörder, du selbst bist auch nicht besser! Hätte ich nicht selbst schon so einiges auf dem Kerbholz, würde ich dich, mit allem was ich habe, direkt in die Hölle wünschen. Zum Glück weiß ich aber, dass sogar Personen, die einen großen Teil ihres Lebens damit verbracht haben, Familien zu zerstören und Existenzen kaputt zu machen, so was wie eine Seele besitzen. Und jetzt geh mir aus dem Weg und lass mich wenigstens ein paar Stunden Schlaf finden!“

Er ließ Tsukasa los und verschwand ohne ein weiteres Wort ins nächste Stockwerk.
 


 

Am nächsten Morgen ...
 

Als Saga schlaftrunken ins Wohnzimmer taumelte, sah er, wie sein großer Bruder am Fenster stand und rauchte.

„Kann es sein, dass du in letzter Zeit ganz schön viele Kippen konsumierst?“

„Wen interessiert's? An Lungenkrebs sterben geht ja schlecht, ich kann also rauchen so viel ich will, ganz ohne schlechtes Gewissen.“, antwortete Tsukasa ohne sich umzudrehen. Er beobachtete stattdessen, wie die Regentropfen auf dem Boden aufschlugen oder sich mit dem Wasser der Pfützen vermischten.

„Guten Morgen erst mal.“, murmelte Saga, nachdem er sich gesammelt und die Kaffeemaschine geortet hatte. In den nächsten Minuten waren das Surren der Maschine und die unter dem Fenster entlang fahrenden Autos die einzigen Geräuschquellen.

Als Saga am Tisch saß und in seinem Kaffee herum rührte, war Tsukasa gerade dabei sich eine weitere Zigarette anzustecken. Sein Bruder beobachtete jede seiner Bewegungen mit größtmöglichem Argwohn.

„Du weißt, dass du mit mir reden kannst, wenn's dir nicht gut geht, oder?“, fragte er schließlich so vorsichtig wie möglich.

„Mach dir keine Sorgen, mir geht's gut. Ich bin nur müde. Hab die letzten Nächte nicht sonderlich gut geschlafen.“

Sagas gerunzelte Stirn zeigte deutlich, wie glaubwürdig ihm diese Ausrede erschien.

Trotzdem, oder gerade deswegen, bohrte er nicht weiter nach und stürzte stattdessen seinen Kaffee hinunter.

Das bloße Dasitzen, gepaart mit dem eisernen Schweigen, das den Raum beherrschte, war ihm unangenehm. Aus diesem Grund griff Saga sich die Zeitung, die gefaltet auf dem Esstisch lag.

Auf der Titelseite prangte das Passfoto eines lächelnden Mannes. Er war ungefähr im mittleren Alter und sah aus wie jemand, der hinter einem Bankschalter oder in einem Versicherungsbetrieb arbeitete.

“Grausamer Mord erschüttert die Stadt!“ prangte in roten Lettern unter seinem Gesicht. Das ganze wurde mit einer kleiner gedruckten, dafür aber nicht weniger reißerischen Zeile untertitelt.

Saga entschied sich dafür, die Zeitung Zeitung sein zu lassen und betrachtete stattdessen lieber den Kaffeesatz, der sich am Boden seiner Tasse angesammelt hatte.

Wenn man die Augen zusammenkniff und die Tasse etwas schräg hielt, ließ sich das freundlich lächelnde Gesicht eines kleinen Kaninchens erkennen.

Bevor Saga sich weiter im Kaffeesatz verlieren konnte, drang ein schrilles Läuten an sein Ohr.

„Ich geh schon!“, sagte er und sprang auf um die Tür zu öffnen. Zu spät fiel ihm ein, dass Besuch im Normalfall nichts Gutes bedeuten konnte. Diese Annahme bestätigte sich als Saga die Wohnungstür öffnete. Er sah sich geradewegs mit Karyu konfrontiert, der, ziemlich missgelaunt, im Flur stand und ihn von oben nach unten musterte.

„Ist dein Bruder da?“, fragte er, ohne sich die Mühe einer Begrüßungsfloskel zu machen.

Saga nickte und ging rückwärts zurück ins Wohnzimmer.

„Tsukasa, komm mal, ist für dich.“, murmelte er noch, bevor er sich endgültig in sein Zimmer verzog.

Tsukasa warf den Kippenstummel aus dem Fenster und hörte wie die Tür geschlossen wurde.

Auch ohne sich umzudrehen wusste er, dass Kayru bereits hinter ihm stand.

„Hast du kurz Zeit?“ Die tiefe Stimme, deren Ursprung sich irgendwo in der Nähe seiner linken Schulter befinden musste, gab ihm Recht.

„Kommt ganz drauf an.“ Tsukasa drehte sich um und verschränkte die Arme vor der Brust. Karyu stand ihm nun gegenüber und hatte die gleiche Pose eingenommen.

Die beiden starrten sich einige Sekunden lang an.

„Auf was genau kommt's denn an?“, fragte Karyu schließlich und hob die Augenbrauen.

„Es kommt darauf an, wohin diese Unterhaltung führt. Wenn du mich wieder beleidigen willst, kannst du dich gleich wieder vom Acker machen. Auf so was hab ich am frühen Morgen echt keinen Bock.“

„Keine Sorge, hab ich nicht vor.“

„Aha.“

Wieder folgten endlose Sekunden des schweigsamen Starrens.

„Und was hast du dann vor?“, warf Tsukasa stirnrunzelnd in den Raum.

Mit dieser Frage schien Karyu nicht gerechnet zu haben, denn für einen kurzen Moment machte es den Anschein, als müsste er ernsthaft über diese Frage nachdenken. Die Falte zwischen Tsukasas Augenbrauen wurde langsam tiefer.

„Naja, also ich wollte dir eigentlich nur sagen, dass das gestern Nacht nicht so gemeint war.“

Karyu war offensichtlich der Ansicht, genug gesagt zu haben, denn er sprach nicht weiter und strich sich betont lässig eine Haarsträhne hinters Ohr.

Langsam dämmerte Tsukasa der eigentliche Sinn hinter diesem undeutlichen Genuschel.

„Sollte das gerade eine Entschuldigung sein?“

„Vielleicht. Ein bisschen“

Ein kleines, aber dafür sehr boshaftes Grinsen huschte über Tsukasas Züge.

„Die war aber ziemlich scheiße. Ich hätte gern eine die schöner formuliert ist.“

Karyu verdrehte die Augen und grummelte etwas in seinen nicht vorhandenen Bart. Erst dann konnte er sich zu einem erneuten Versuch aufraffen.

„Es tut mir Leid, ok?“

„Was genau?“

„Ach Tsukasa, jetzt reicht’s aber la-“

„Oh nein, mein Lieber! Wir sind hier noch nicht fertig! Was genau tut dir Leid?“

„Es tut mir Leid, dass ich dich gestern Nacht angepöbelt und beleidigt habe, das war unberechtigt und gemein von mir.“, leierte Karyu in monotonem Tonfall. Seine Blicke sprachen Bände.

„Ich glaube, wenn ich dich jetzt noch bitte, das in einem Tonfall zu wiederholen, der mir zeigt, dass dir das alles nicht total am Arsch vorbei geht, dann brichst du mir das Genick, kann das sein?“

„Worauf du dich verlassen kannst!“

Und wieder senkte sich Stille über den Raum. Als Tsukasa plötzlich ruckartig die Hand ausstreckte, machte Karyu instinktiv einen Satz zurück.

„Frieden?“, fragte er ohne den Blick von Karyu abzuwenden.

„Frieden. Fürs erste.“

Karyu schlug ein und nach einem kurzen Händedruck schienen die beiden Vampire sehr darauf erpicht zu sein, die Hand des jeweils anderen schnellstmöglich wieder loszuwerden.

„So. Ich geh dann jetzt mal wieder.“

„Mach das.“

Mit einem letzten kurzen Kopfnicken machte Karyu auf dem Absatz kehrt und stapfte hoch erhobenen Hauptes aus der Wohnung. Als die Tür sich schloss konnte Tsukasa ein breites Grinsen nicht unterdrücken.
 

Zur gleichen Zeit spielten sich in Sagas Zimmer merkwürdige Dinge ab. Während der letzten Minuten hatte Saga auf dem Bett herum gelegen und versucht, wenigstens ein paar Wortfetzen von dem zu erhaschen, was sein großer Bruder und Karyu dort draußen im Wohnzimmer zueinander sagten. Die geringe Lautstärke der Unterhaltung ließ das allerdings zu einem Ding der Unmöglichkeit werden. Das war auch Saga recht schnell aufgefallen, also hatte er sich die Zeit damit vertrieben, die Zimmerdecke zu betrachten und geduldig darauf zu warten, dass Karyu endlich das Weite suchte.

Als er hörte, wie die Haustür geschlossen wurde, streckte er sich und seufzte erleichtert. Noch während er sich aus dem Bett schwang, vibrierte sein Handy auf dem Nachttisch.

Verwirrt griff Saga nach dem Telefon. Es kam so gut wie nie vor, dass er tagsüber Nachrichten erhielt. Die meisten, um nicht zu sagen alle, seiner Bekanntschaften waren genauso untot wie er selbst und mieden die hellen Stunden. Hauptsächlich deswegen, weil sie, wie Saga selbst, noch sehr jung waren und die Sonne deshalb noch nicht einmal ansatzweise ertragen konnten.

Seufzend warf Saga einen Blick auf die herunter gelassenen Rollläden. Es würde wohl noch einige Jahrzehnte dauern, bis er die Sonne wieder für ein paar Minuten zu Gesicht bekommen konnte.

Als Saga schließlich die neue Nachricht in seinem Postfach las, verflüchtigten sich seine wehmütigen Gedanken auf der Stelle. Er las die neue SMS ein zweites Mal, doch noch immer war sein Kopf nicht dazu bereit, die darin enthaltenen Informationen richtig zu verarbeiten.

Erst nach dem fünften Versuch dämmerte es ihm allmählich.

Mit zittrigen Fingern tippte Saga eine Antwort in die Tasten und drückte schließlich auf “Senden“. Dann ließ er sich zurück aufs Bett fallen.

Das Gespräch zwischen Tsukasa und Karyu war, wie durch ein Wunder, plötzlich sehr unwichtig geworden...
 


 

Fußgängerbrücke in der Nähe der Universität, 20:32 Uhr ...
 

Schon von weitem konnte Saga eine dunkle Silhouette erkennen, die sich gegen das Brückengeländer gelehnt hatte. Außer dieser Gestalt war weit und breit keine Menschenseele zu sehen.

Saga nahm all seinen Mut zusammen und steuerte direkt auf die Brücke zu. Bevor er sich bewusst bemerkbar machen konnte, hatte Hizumi ihn jedoch schon entdeckt und schenkte ihm ein unsicheres Lächeln.

„Da bist du ja.“, sagte er und löste die Hände vom Brückengeländer.

„Ja, ich bin etwas spät, tut mir Leid. Hat noch ne Weile gedauert, bis ich Tsukasa davon überzeugen konnte, mich gehen zu lassen.“

„Hat er Stress gemacht?“

„Stress ist gar kein Ausdruck.“

„Oh...“

„Kein Ding, der kriegt sich wieder ein. Er hat ja noch ein paar Jährchen Zeit, um an seiner Einstellung zu arbeiten. Vielleicht entwickelt er sich ja irgendwann zu einer halbwegs ausgeglichenen Persönlichkeit.“

Diese Vermutung entlockte Hizumi ein leises Lachen.

„Möglich.“

Die beiden standen sich jetzt gegenüber und Saga hatte alle Hände voll damit zu tun, das schlechte Gefühl in der Magengegend in den Griff zu bekommen, das ihn jedes Mal ergriff sobald es um Hizumi ging.

„Was genau wolltest du denn jetzt mit mir besprechen? Kam ja ziemlich überraschend, diese SMS.“, fragte Saga nach. Egal wie die Antwort ausfallen würde, alles war besser als dieses furchtbare Schweigen, das zweifelsohne schon sehr bald einsetzen würde.

Hizumi seufzte und schien nicht zu wissen, wie er anfangen sollte. Es dauerte eine Weile, bis er sich gefangen hatte.

„Ich könnte jetzt lange drum herum reden, aber das würde wahrscheinlich nichts bringen. Um es kurz zu machen: Ich will dich zurück.“

Saga blinzelte. In seinem Kopf arbeitete es.

Entweder er hatte sich vollkommen verhört, oder sein Hirn produzierte nun täuschend echte Halluzinationen. Beide Optionen boten reichlich Grund zur Sorge!

„Saga? Hast du gehört was ich gesagt hab?“

„Wa- was?“

„Ich würde dir gern noch ne Chance geben.“

Als Hizumi diese Aussage wiederholt hatte, begann es Saga zu dämmern und er konnte sich nur mit Mühe daran hindern, die Kinnlade gen Boden klappen zu lassen.

„Wie meinst du das jetzt?“

„So wie ich es sage.“

„Aber wieso-? Warum so plötzlich?!“

„Weil-“ Hizumi stockte und seufzte erneut „Weil ich ohne dich nicht klar komme, darum. Ich hab es fast drei Jahre lang versucht und mir geht’s beschissener denn je. Ich hab in etwa alles versucht um dich endlich zu vergessen oder wenigstens über dich hinweg zu kommen. Nichts davon hat wirklich funktioniert.“

„Das klingt für mich jetzt so, als wolltest du den Versuch nur starten, um endlich von mir los zu kommen.“

„Nein, so war das jetzt nicht gemeint, ehrlich nicht!“, versuchte Hizumi sich zu verteidigen. Er senkte den Blick und schlang die Arme um die eigene Taille.

„Ich dachte nur, dass es vielleicht falsch war zu versuchen dich einfach zu vergessen. Vielleicht ist es auch falsch, dass ich jetzt hier stehe und dir diesen Vorschlag mache. Eigentlich hab ich überhaupt keine Ahnung mehr, was richtig und was falsch ist.“

Saga glaubte, dass sowohl sein Hirn, als auch sein Herz kurz vor der alles beendenden Explosion standen. Tausend Gedanken schwirrten ihm durch den Kopf, doch keiner schaffte es seinen Mund zu verlassen. Dieses Schweigen schien Hizumi falsch zu deuten.

„Vielleicht sollten wir das alles einfach vergessen.“, sagte er leise. „War scheinbar keine so gute Idee von mir.“

Sagas verbliebener Verstand zog die Notbremse.

„Nein, warte! Langsam jetzt!“

Etwas überrascht über Sagas plötzlichen Ausbruch, machte Hizumi zwei Schritte zurück.

Er verschränkte die Arme vor der Brust und sah Saga erwartungsvoll an.

„Bitte, versteh mich nicht falsch!“, begann er stotternd „All die Jahre über hab ich gehofft, dass du mir irgendwann verzeihst, oder mir wenigstens noch ne Chance gibst es wieder gut zu machen. Ich hab genau diese Situation mindestens tausend Mal in Gedanken durchgespielt und immer fiel mir irgendwas halbwegs Intelligentes ein, was ich dir antworten konnte. Aber ich hab nie damit gerechnet, dass das mal real werden sollte! Ich dachte, du hättest mich für alle Ewigkeiten abgeschrieben. Ich hab einfach keine Ahnung, was ich jetzt sagen soll!“

„Liebst du mich?“

„Was?“

„Ob du mich noch liebst!“

Diese Frage ließ Saga zur Salzsäule erstarren.

„Was- was soll ich denn jetzt dazu sagen?“

„Die Wahrheit!“

Saga musterte seinen Exfreund. Er schien es ernst zu meinen!

„Gott... Scheiße, ja!“, stammelte Saga und fuhr sich hektisch durch die Haare. „Wenn du's genau wissen willst, hab ich nie aufgehört dich zu lieben. Wobei, zwischendurch gab es auch Phasen, in denen ich dich ein bisschen gehasst habe. Immer dann, wenn mir gesagt wurde, mit wem du wieder im Bett warst. Diese Phasen haben aber meistens nicht lange angehalten, denn irgendwann fiel mir ein, das es ja nur meine Schuld war, dass-“

Sagas hektische Erklärung wurde von Hizumi unterbrochen, der nun näher gekommen war und nach Sagas Hand griff.

Verwirrt blickte der Größere erst auf ihre Hände und dann in Hizumis Gesicht, das von einem kleinen, aber zuversichtlichen Lächeln geschmückt wurde.

„Wie wär’s wenn wir einfach versuchen den ganzen Scheiß zu vergessen und noch mal von vorn anfangen?“, schlug er leise vor und drückte Sagas Hand.

Der erwiderte das Lächeln zögerlich, sein Kopf war noch immer damit beschäftigt, das Geschehene zu verarbeiten, und nickte.

„Das klingt nach nem Plan...“



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Von: abgemeldet
2013-12-29T21:45:04+00:00 29.12.2013 22:45
moment mal, das soll's gewesen sein?

da bin i grad so schön in fahrt dein werk zu lesen
und nun muss ich feststellen, es geht net weiter *sniff*
hab beide teile in einem durch gelesen und ich muss sagen
ich liebe es wie du allein schon D'espairsRay in Action setzt

ich liebe allein die unterhaltungen zwischen karyu & tsu
sie sind sowas von herrlich zu lesen und teilweise musste
ich mich dabei auch recht ablachen

zero & toshi sind wirklich waii,
genau wie hizu & saga - du beschreibst
die verbindung zwischen ihnen wirklich gut

wäre wirklich toll von dir, wenn Hollow II
auch zu einem offiziellen Ende finden würde
sagst du mir bescheid, wenn's hier wieter geht?
Von:  ChiChii
2012-03-18T21:50:51+00:00 18.03.2012 22:50
ein kurzes Vorwort bevor ich schreib wie toll das hier ist:
Snii hat mich dazu bewegt HOLLOW zu lesen und das war auch der Grund warum sie heute um 2 Uhr morgens ne ENS von mir bekommen hat wie toll diese Geschichte ist

und das schlicht und einfach weil sie TOLL ist! ich hab mich seit Freitag vom Nachmittag bis zwei oder drei Uhr morgens durch beide Teile geackert, weil mich die Geschichte nciht losgelassen hat
ich liebe diese Mischung aus Drama, Liebeskummer, düsteren Emotionen und Sarkasmus! oh ja, ich liebe den Sarkasmus der Geschichte!
ich war ja eigentlich mit dem Ende vom ersten Teil nicht zufrieden aber ich wusste ja das es weitergeht, weshalb ich beruhigt war
aber als ich dann in den Charakterbeschreibungen mitbekommen hab, was alles bei Hizumi und Saga schief lief und dass Toshiya immer noch weg ist und Zero deswegen leidet, hab ich heulen müssen (toll, dass meine Mutter schlief, auch wenn das unwichtig ist)
Ich finde ja toll, wie du das so gut hinbekommst mit der Story und Kompliment dass du mich überzeugt hast, weil eigentlich mag ich JRocker in Vamnpirrollen nicht dermaßen weil es teilweise so unrealistisch ist
aber bei dir war es fantastisch!
ich finds irgendwie episch, dass man da gerade in eine irre dramatische Szene liest und dann auf einmal ZACK!BUMM! muss man loslachen weil etwas total unerwartetes kommt

Und bei den Charaktern hab ich ja am liebsten Hizumi! ich liebe die kleinen, niedlichen und süßen Typen, aber Saga mag ich auch, weil er einfach so lieb rüberkommt und Karyu mit seinem beißendem Sarkasmus aber seiner sorgenvollen Ader und dern kühlen Zero (OMG ich liebe die kaltblütigen Typen) mit seinen Klischees und den sanften und unsicheren Toshiya find ich auch toll

und oha der Kommi is ewig für meine "ich hasse Kommi schreiben" Philosophie und ich schreib nur zu Geschichten die ich wirklich mag!
also fühl dich geehrt (scherz musst du nicht)

LG und hoffe es geht bald weiter
ChiChii
Von:  xX_REBELL_Xx
2011-12-11T20:16:51+00:00 11.12.2011 21:16
fuck, du sorgst echt dafür, das ich mich blamiere. ich saß im wohnzimmer, hab das gelesen und musste am ende unweigerlich quietschen. im beisein meiner familie. naja, egal

es ist mal wieder genial geworden, wirklich. ich steh auf karyu mehr oder weniger entschuldigung. die beiden haben echt ne hass-liebe vom feinsten.

und was die sache mit hizu und saga angeht... ich bin froh, dass es in diese richtung läuft, immerhin konnte man sich hizu ja nicht mehr anschauen. was mir dabei allerdings kopfschmerzen berietet, ist karyu. immerhin hatte dieser ja mehr als deutlich gemacht, dss er saga recht unfreundlich um die ecke bringen wird, sollte er sich nochmal mit hizu treffen. das scheint saga vergessen zu haben...

aber naja, ich bin sehr gespannt, was all das noch bringt.
:D

lg

tsutsu chaos
Von:  Rizuloid
2011-11-11T00:31:30+00:00 11.11.2011 01:31
So, ich hatte ja eigentlich versprochen, noch zu kommentieren, also mach ich das jetzt auch :3

Wie immer sehr schön geschrieben - allerdings kam es mir diesmal ein klein wenig abrupt im Vergleich zu früheren Kapiteln vor, kanns sein dass du dich ziemlich beeilt hast damit? xD
Whatever, es ist dennoch gut und ein Kapitel, dass sehr gut Spannung aufbaut.
Ich habe beim Lesen hier immer noch so ein "Ruhe vor dem Sturm"-Feeling...
Und ich hoffe doch sehr, dass der Sturm mindestens so grandios wird wie im ersten Teil ;)

Ich mach mir etwas Sorgen, ob das mit Hizumi und Saga gut gehen soll... einfach so.
Verzeihen schön und gut, aber wenn man das zu oft tut und einer Person aus Liebe einfach alles durchgehen lässt, geht man dran kaputt. Just sayin - weiß ja immer noch nicht so genau, was Saga denn mit dem armen Hizu angestellt hat, dass der danach so fertig war?

Uuuuh, Karyu entschuligt sich. Der Ärmste xD
Ich stell ihn mir ja richtig süß vor, wie er im wahrsten Sinne des Wortes die Zähne zusammenbeißt um diese Worte über sich zu bringen. Approved, und wieder einmal kann ich generell nicht genug von Karyu und Tsukasa kriegen <3

Immer weiter so, ich freue mich auf die nächste Mail + Kapitel von dir :P
Lg, -Snii
Von:  Arisa_abukara
2011-09-23T21:40:28+00:00 23.09.2011 23:40
*kreisxh*
erst entschuldigt sich Karuy bei Tsukasa xD
u.d dann kommen auch noch Saga und Hizumi wieder zusammen x3
boah, nee!!
ich kann nicht mehr xDD

mach bitte ganz schnell weiter,
ich will wissen wie's weiter geht *w*

lg Arisa^^
Von:  Snyder
2011-09-23T19:20:16+00:00 23.09.2011 21:20
Huuuuu *___* neues chaaaaapter. Klasse du rettest mir meinen Tag!
Also den umzugsstress kann ich verstehen ich bin auch grade umgezogen xD und ich musste grade echt etwas schmunzeln.. eine schreiberin solcher Geschichten mit dem Beruf... Ich finds irgendwie geil xD
So. Nun aber zur ff.
Wie immer hat sich das warten gelohnt. Und dieses mal hat mich der Verlauf doch wirklich sehr ueberascht! Drei Jahre ist eine lange Zeit und wenn man bedenkt, was da alles passiert ist... Ich bin sehr gespannt wie es weiter gehen wird und wie die anderen darauf reagieren!

=D
Von:  _-Vanna-_
2011-09-23T18:23:39+00:00 23.09.2011 20:23
SOOOOOOOOOOOOOOOO süß die Beiden. Ich freu mich endlich kein depressiver Hizumi mehr - hoffe ich doch :D
freue mich richtig das es weiter geht JEAR!!!!

Also ich bin echt gespannt was es mit der Sache nun auf sich hat. Ich kann es kaum erwarten - ich will es endlich wissen *hibbel*
schreib SCHNELL weiter *knuff*

lg Vanna <3
Von:  Haidogirl
2011-09-23T08:56:25+00:00 23.09.2011 10:56
Ohhh das Kapi mag ich! (*-*)
Besonders das Ende und die Entschuldigung von Karyu, da hab ich mich weggeschmissen XD
Bitte schreib bald weiter ja, ich liebe diese Fanfic!
Von:  Aya_ko
2011-09-22T22:42:22+00:00 23.09.2011 00:42
jaaaaaaaa~ sie haben sich wieder!*freu* wurde aber auch zeit das konnte man ja nicht mitansehen! und wehe saga vermasselt es wieder, dann darf karyu ihn gern nen kopf kürzer machen xD bin eh schon tierisch gespannt wie der auf die neuigkeit reagieren wird *kicher*
und er hat sich entschuldigt...bei tsu...der mann äh vampir macht ja doch mal fortschritte XD ich liebe die gespräche der beiden! dieser wechsel zwischen rubbig und freundlich und immer diese neckerei...genial xD

kans kaum erwarten zu erfahren wies weitergeht! =D

lg aya
Von:  Vampire-Mad-Hatter
2011-09-22T16:02:01+00:00 22.09.2011 18:02
Wie ich die Gespräche zwischen Karyu und Tsukasa liebe! XD
Aber eine Stelle musste ich mehr mals lesen... Karyu hat sich allen ernsts Entschuldigt, einfach herrlich. Und wie Tsukasa es geschafft hat ihn damit zu ärgen, genial.
Zu Hizumi und Saga... hm, da bin ich etwas skeptisch ob das gut aus geht. Ich hoffe es ja sehr. Denn Hizumi leidet ja doch sehr unter der Trennung. Und wehe Saga nimmt diese Chance nicht an...

Bin gespannt wie es weiter geht ;)

LG Mad Hatter


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