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Wüstenkinder

Fortsetzung zu "Kinder des Wassers"
von

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Angelegenheiten

„Und weißt du, warum ich lila so gern mag?“

„Weil... rot und blau lila werden, ich denke.“

„Nein, weil meine Mama es auch mag, jawohl!“

Einige Tage waren vergangen in der Wüste. Serenka würde am darauf folgenden Tag seinen Geburtstag feiern, zu seiner Ärgernis hatte er sich jedoch noch nicht komplett geschält und sah so nun etwas aus wie ein gerupftes Huhn oder auch ein Dalmatiner durch die verschiedenen dunklen und hellen Hautstellen. Es störte ihn enorm, so sehr dass er einen Abend zuvor bloß in Unterhosen im Badezimmer gestanden hatte und sich mit der härtesten Schuhbürste, die sie besaßen, überall versucht hatte, die tote Haut ab zu reiben. Das war wirklich sehr widerlich gewesen, denn von der alten Haut hatte er reichlich wenig abbekommen, stattdessen bloß die neue verletzt und so hatte er am Ende verzweifelt heulend auf dem Boden gesessen. Ihm war sein Äußeres sehr wichtig. Zum Trost war kurz darauf das Schneidermädchen Kirima da gewesen und hatte Klamotten gebracht, auch viele für ihn, was ihn aufgeheitert hatte. Sich vor ihr zu zeigen, wie er war, war ihm momentan jedoch sehr peinlich.

Aber das war jetzt egal, der kleine Bruder ging gerade ziemlich guter Laune mit Yivakavi vom Unterricht nach Hause. Er blinzelte verwundert.

„Wo ist deine Mama?“

Sie lebte weder bei ihr, noch bei ihrem Vater, das wusste der Junge inzwischen. Irgendein freundliches Ehepaar hatte sie bei sich aufgenommen, als sie vor wenigen Jahren einfach hier aufgetaucht war und irgendwohin hatte müssen. Es hieß, sie sagte keinem, wer sie war, aber hatte sie ihm gegenüber nicht zufällig gerade ihre Mama erwähnt?

„Nicht hier.“, antwortete sie unbekümmert und lachte.

Sie lachte sehr oft, hatte er bemerkt, häufig völlig ohne Grund. Er beneidete sie darum, er war zwar an sich fröhlich, aber auch oft deprimiert. Die Schwarzhaarige schien nie traurig zu sein.

Es musste doch toll sein, immer zu strahlen, nicht? Er hatte oft Schmerzen, besonders wenn er allein war. Nicht nur körperliche, sondern seelische. Er war als einziges Kind in seinem Haus krank, das wurmte ihn sehr...

„Irgendwen hat es treffen müssen, Takoda. Sei froh, dass es nichts schlimmeres ist.“, hatte sein Vater einst zu ihm gesagt und er fühlte sich dreckig, weil er seiner Aufforderung nicht immer nachkommen konnte, aber es gelang ihm einfach nicht. Manchmal konnte er nicht einmal seiner Lieblingsbeschäftigung Puzzlen nachgehen, weil seine Hände zu sehr zitterte... wenn er ehrlich war, hasste er es.

„Sag mal...“, wechselte er so das Thema etwas betrübt, „Kannst du weinen? Du bist anders, ich... denke nicht. Oder?“

Das Mädchen hielt überrascht inne und er tat es ihr gezwungen gleich. Sie sah ihn seltsam an. Ihre beiden verschiedenen Augen waren für ihn noch immer gruselig... aber an ihr war nichts böses, das sagten ihm seine Götter. Sie sprachen leider sehr wenig mit ihm, wesentlich weniger als seinen Altersgenossen. Lag auch an seiner Krankheit.

„Natürlich kann ich weinen.“, antwortete Yivakavi da und klang auf einmal überhaupt nicht mehr „anders“, „Ich weine oft, Takoda.“

Dann lachte sie wieder und nahm ihn an der Hand.

„Musst du nach Hause?“, wollte sie wissen, wartete allerdings keine Antwort ab und zog ihn mit sich. Sie mochte ihn.
 

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„Du schon wieder? Sag mal, das... ach!“

Teneri war wirklich ein liebes und vernünftiges Mädchen, ihre Cousine Samili war sehr froh, dass sie sich gut miteinander verstanden. Sie kamen zwar aus verschiedenen Welten, aber das störte überraschender Weise kaum; im Gegenteil, auf diese Art lernten sie sehr viel voneinander. Einen negativen Nebenaspekt gab es allerdings und der hieß Genda.

Er ließ die Mädchen nie in Ruhe, mindestens einmal, wenn sie bei ihm zu Hause waren, tauchte er im Zimmer seiner Schwester auf, um sie irgendwie zu ärgern... und ihrer Cousine Blicke zu zu werfen, die der nicht gefielen.

Schlimmer war es aber, wenn er sie allein traf.

„Du fragst Imeras Tochter über mich aus, die Wände sind dünn, du kannst es nicht leugnen.“

Sie hasste sein höhnisches Lächeln. Ja, er hatte Recht, trotz allem fand sie ihn interessant – als Persönlichkeit, mehr nicht. Er war seltsam und es war spannend, Dinge über ihn zu erfahren, wo es ihr so unverständlich erschien, dass er so seltsam war, obwohl er eine so liebe Familie hatte. Ja, sie mochte die Familie ihres Onkels.

Was sie bisher wusste, war, dass Genda nicht ihr leiblicher Cousin war, Imera war sowohl sein Stief- als auch Adoptivvater. Er war noch ein Kleinkind gewesen, als dieser seine Mutter geheiratet hatte und laut den Erzählungen seiner Halbschwester hatte ihr Vater ihn immer so behandelt wie seine leiblichen Kinder und die hatten viel Liebe von ihm bekommen.

Teneris Erinnerungen nach war er bereits als kleiner Junge extrem aggressiv gewesen; er hatte die örtliche Schule genau zwei Tage lang besucht, dann hatten ihm seine Großeltern, die die Lehranstalt leiteten, Privatunterricht geben müssen. Dumm war er nicht, aber er hatte einen etwas dämlichen Klassenkameraden beinahe tot geschlagen und war auch sonst sehr grob gewesen... nicht in der Lage, sich der Gruppe anzupassen. Es war zu gefährlich für die anderen gewesen, so hatte er nie die Chance gehabt, aus seinen Fehlern zu lernen, geschweige denn Freunde zu finden. Aber wer wollte schon etwas mit dem zu tun haben?

Samili nicht.

„Ja, das ist wahr!“, bestätigte sie so einfach trotzig und angewidert, weil er sie einfach an den Schultern festhielt. Er war stark, viel stärker als sie, wenn er nicht wollte, dass sie entkam, dann tat sie das auch nicht.

„Du bist so psychisch gestört, das ist einfach unheimlich interessant! Da, wo ich herkomme, trifft man nicht auf Individuen wie dich, die sperrt man nämlich ein.“

Sie grinste.

„Das muss ein sehr eintöniges Leben sein, kleines Mädchen.“

Samili hasste es, wenn er ihr so auf die Pelle rückte. Himmel, er nannte sie kleines Mädchen und im nächsten Moment zog er sie in seine Arme... ebenso wie in diesem Moment. Wenigstens tat er das nur, wenn sie wirklich absolut allein waren, ansonsten wäre sie dann wohl vor Scham gestorben... dieser Kerl war total hässlich und bei ihm von innerer Schönheit zu sprechen, war in etwa so, wie Serenka normal zu nennen. Nein, an diesem Typen war nichts begehrenswertes außer seiner Persönlichkeit selbst, weil die spannend war.

„Nein, eigentlich ist das ganz toll... Hände von meinem Hintern, du notgeile Sau!“

Er lachte nur und hob sie hoch und das Mädchen ärgerte sich enorm, weil es so reflexartig die Arme um seinen Nacken und die Beine um seinen Rumpf schlang, um nicht hinzufallen. Das war auch etwas, was sie von ihm wusste, er war ziemlich pervers. Ständig tummelte er sich in der Dorfbar und füllte irgendwelche Weiber ab, die er dann mit zu sich nahm, um sie durchzunehmen. Das machte ihn nicht unbedingt beliebter im Ort, noch weniger, dass er es immer wieder bei der geistig verwirrten, aber bildschönen Yivakavi versuchte, die allerdings gar nicht so verwirrt war, wie es immer schien, zumindest in solchen Dingen. Immerhin hatte er es noch nie geschafft, sie bis in sein Zimmer zu bekommen... was nicht viel heißen musste. Was er von Samili wollte war so auch ziemlich klar, zu ihrer Freude hatte er bisher aber noch nie mehr getan, als sie verkraften konnte.

Sie schnaubte dennoch.

„Bin ich dir denn nicht zu... unreif?“

Er sah ihr auffallend auf ihre Brüste.

„Eigentlich... nicht.“

Auf ihren abermals ziemlich doofen Blick musste er grinsen. Ja, er wusste, dass sie das nicht gemeint hatte.

„Ich meinte geistig, du Idiot. Meine Eltern nennen mich gelegentlich unreif, aber bei dir scheint es sich wohl zu erübrigen...“

Das war es, was sie nicht verstand an ihm. An sich erschien Genda ihr ganz gescheit, aber gleichzeitig auch so furchtbar dumm... eben interessant. Was darauf kam, war jedoch neu... nicht unbedingt überraschend, sie war ja schon eine Weile in der Wüste und kannte ihn, aber das hatte es bisher nicht gegeben.

Der Ältere sah sich zu beiden Seiten um. Er hatte sie unhöflicherweise in eine leere Seitengasse gezerrt.

Immerhin war es schattig, aber auch ziemlich stickig und etwas schwül. Der Staub bekam Samilis armen verwöhnten Lungen nicht wirklich, aber es ging ihr immer noch besser als Serenka mit seiner Haut, so tröstete sie sich.

„Jetzt mal im Ernst.“, schnappte er, sie weiter ohne irgendwelche Probleme tragend, „Du spionierst mir nach... was soll ich denn davon halten? Deine Absichten sind mir egal, aber so viel Aufmerksamkeit macht mich doch stutzig. Halt still.“

Sie war empört. Halt still, sagte er und küsste sie einfach auf die Lippen. Das war ein Skandal und entkommen konnte sie kaum, so drehte sie nach ein paar Augenblicken einfach das flammende Gesicht weg.

„Das...“, zischte sie, „... ging zu weit.“
 

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„Und was tun wir hier? Hier ist es langweilig, ich denke.“

Takoda stand unbeeindruckt an irgendeiner komischen Klippe. Es ging ziemlich tief hinab, unten war genau so feiner Sandboden wie hier oben, wenn man von dort gerade aus ging, kam man direkt in die offene Wüste. Yivakavi stand neben ihm. Sie hatte unbedingt hier hin gewollt.

„Ich habe mich letztens mit meiner Mama über dich unterhalten!“, erklärte sie und wedelte dabei wichtigtuerisch mit dem Zeigefinger in der Luft herum, „Meine Mama hat gemeint, dass deine Mama schon einmal ein Kind hatte und dass es da...“

Sie zeigte die Klippe herunter.

„... dass es da hinunter gefallen und gestorben ist!“

Der Junge hob beide Brauen. Seine Mutter hatte ihm bereits erzählt, dass er schon einmal zwei Brüder gehabt hatte und dass der eine nicht der Sohn seines Papas und der andere nicht der Sohn seiner Mama gewesen war. Komische Sache.

„Das... ist nicht schön, ich denke.“, antwortete er so, „Aber was habe ich davon?“

War ihm doch egal, wo der eine gestorben war. Er vermisste ihn nicht, er war sehr lange Zeit bevor seine Seele diese Welt betreten hatte aus selbiger gegangen, folglich hatte er ihn auch nie gekannt.

Das Mädchen kicherte.

„Na, jetzt weißt du, wo dein Bruder gestorben ist, das hast du davon! Ich finde Orte, an denen Leute verstorben sind, sehr romantisch, jawohl.“

Er verdrehte die blauen Augen. Sie konnte nichts dafür, genau. Das war zwar schwer zu verstehen für den selbst doch etwas zurückgebliebenen Jungen, aber es war so. Romantisch, tse...

Ihm fiel etwas ein.

„Deine Mama weiß aber viel, ich denke!“, begann er, zu dem Mädchen sehend, das darauf doof blinzelte, „Weiß sie zufällig auch, warum mein Cousin Lichtbilder von meiner Mami besitzt, auf denen sie... na ja, nackig ist?“

Wer auch immer Yivakavis Mutter war, sie kannte sich wohl aus. Vielleicht hatte sie ihrer Tochter ja auch darüber etwas erzählt, das hätte ihm sehr geholfen...

„Aber das ist doch ganz einfach!“, antwortete man da verblüfft, „Weil er sie schön findet! Er küsst sie doch sogar! Auf den Mund und mit Zunge!“

Sie wunderte sich, als Takoda angewidert das Gesicht verzog. Hatte er das nicht gewusst? Was für ein dummer Kerl!

Sie mochte ihn trotzdem.

„Wirklich mit Zunge?“, fragte er ungläubig, „So... richtig...? Und... sie fassen sich an?“

Die Ältere nickte übermütig. Irgendwie wollten ihre Götter ihr sagen, dass sie zu viel sprach, aber sie widersetzte sich ihnen ohnehin immer, von daher...

„Ja, und wie die sich anfassen! Pass auf!“

Sie trat einen Schritt auf ihn zu und zog ihn in eine enge Umarmung, etwas planlos an ihm herum fummelnd.

„So in etwa. Soll ich dich auch küssen?“

Er überlegte kurz. Ja, also er war schon etwas schwer von Begriff. Das tat sein Cousin mit seiner Mama? War das nicht eigentlich Papas Aufgabe?

„Ja, mach mal!“, nickte er reichlich planlos und sie kicherte doof und überwand den geringen Abstand, um seiner Aufforderung nachzukommen. Sie gab sich ziemliche Mühe, es gut zu machen, nämlich so, dass es sich so anfühlte, wie es ausgesehen hatte... aber ob sie es richtig machte, wusste sie nicht. Jedenfalls kribbelte es im Bauch, sie mochte das Kribbeln.

Takoda an sich auch, auch wenn er das Gefühl befremdlich fand. Das war es doch, das machte Mama normalerweise mit Papa! Und auch mit seinem Cousin, wie es schien.

War das nicht Ehebruch?

Als sie sie nach wenigen Sekunden von ihm abließ, war er entsetzt.

„Das darf er nicht!“, empörte er sich, „Dazu ist nur mein Vater privi... privil... der darf das nur, ich denke!“

Das war etwas ganz böses, das wusste er. Und Yivakavi hatte allem Anschein nach einfach zugesehen, warum hatte sie die beiden nicht aufgehalten.

„Aber was dein Vater nicht weiß, kann ihn auch nicht stören, nicht?“

Das Mädchen war scheinbar weiterhin fröhlich. Es wiegte sich selbst leicht im sanften Wind hin und her und schien bester Laune zu sein. Konnte die sich nicht in seine Lage hinein versetzen? Er hatte gerade etwas schlimmes erfahren! Und dabei nahm er die Information vermutlich noch nicht einmal selbst in angemessener Intensität zur Kenntnis...
 

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An so etwas dachte Serenka gerade im Traume nicht, er hatte ganz andere Probleme.

„Das ist... es tut mir wahrlich Leid, aber das ist unwürdig, Mutter!“

Die Frau sah ihn bedauernd an. Sie war gerade etwas beunruhigt, weil ihr jüngerer Sohn sich anscheinend verspätete und sie nicht wusste wieso, widmete sich an sich im Moment aber mehr dem Älteren. Er wollte seinen Geburtstag feiern – aber nicht hier. Normalerweise wurden immer jede Menge Leute eingeladen, mit denen die Mutter eigentlich weniger einverstanden war. Kontakte seines Vaters, von denen die wenigsten Kinder im Alter des Jungen hatten und selbst wenn, kannte er sie kaum. Serenka hatte keine Freunde, die nicht blutsverwandt mit ihm waren. Odohri und er waren wie Brüder aufgewachsen, sie hielten zusammen und die Frau vermutete, dass sie es in ihrer Schulklasse auch nur aushielten, weil sie zu zweit waren. Samili und Korhota hatten es da schon leichter gehabt, ihre Mitschüler, oder besser deren Eltern, waren mehr auf sie vorbereitet gewesen und so hatten sie bloß geringfügige Probleme, die sich immer wieder leicht aus der Welt schaffen ließen.

Nun stand also der bereits vierzehnte Jahrestag des Sohnes an und es galt, irgendeine Art von Feier zu organisieren – was Chatgaia bereits getan hatte, sie hatte sich genau überlegt, was sie zubereiten würde und wie man den Garten herrichten musste. Scheitern schien es nun bloß an der Gästeliste.

„Nimmst du ernsthaft an, der Tag würde an Wert verlieren, weil dich einige Leute, die du ohnehin kaum kennst, nicht beehren können? Das ernüchtert mich ehrlich gesagt, aber wenn es dich freut, dein Vater meinte gestern Abend, in der Stadt gäbe es Fortschritte, man setzt alles daran, deine Heimat wieder sicher zu machen.“

Serenka senkte den Blick etwas ernüchtert. Ja, sie hatte ja Recht. Aber... sein Ansehen! Da war er wohl doch ein Magafi.

„Du sprichst vermutlich vernünftig.“, gestand er dennoch ein, „Aber wer soll denn kommen, außer der Familie? Ich meine, kenne ich hier jemanden? Hast du hier irgendwelche guten Freunde? Ich fürchte nicht, du warst mit Verlaub nie sonderlich umgänglich.“

Dank seiner Haut hatte er ziemlich schlechte Laune, das bekam dann sogar seine heiß und innig geliebte Mutter etwas zu spüren. Sie setzt sich ernst zu ihm an den Tisch. Er kannte sie wohl besser, als ihr lieb war.

Sie wollte, ebenso wie vermutlich alle anderen halbwegs vernünftigen Frauen der Welt, von ihren Kindern als liebevolle, anständige Dame gesehen werden und nicht als verdorbene, eiskalte Furie. Wie gut ihr das gelang, wusste sie jedoch nicht – sie liebte ihre Söhne mehr als alles andere auf der Welt, aber sie war und blieb nun einmal sie selbst, das strenge, berechnende Oberhaupt der Wüstendorfes Thilia. Sie hoffte, dass die Jungs wussten, wo sie waren mit ihr.

„Das ist wohl wahr.“, antwortete sie so ernst, „Gratulieren wird dir ohnehin beinahe jeder, ich denke, die Nachricht, dass es morgen soweit ist hat sich bereits weit verbreitet und hier in der Wüste gibt es keinen wichtigeren Anlass, jeder möchte dich an diesem Tag ehren. Wie du jedoch siehst ist unser Haus lange nicht so groß wie in der großen Stadt, selbst wenn wir wollten, könnten wir nicht so viele Gäste einladen. Ich denke, die Familie reicht für dieses Jahr. Kennst du in der Schule vielleicht noch jemanden, den du gern dabei hättest?“

Er dachte nach. Spontan fiel ihm bloß einer ein, der da in Frage kam, denn auch wenn ihr Himmelsblut hier normal war, so waren sie als Städter doch etwas ungeliebt. Die, die das Dorf vor vielen Jahren ins Unglück gestürzt hatten, waren schließlich auch welche gewesen. Und von denen stammte diese Person auch, fiel ihm auf.

„Semiry Tebettra, ich hatte selbst noch nicht all zu viel mit ihm am Hut, aber Odohri versteht sich äußerst gut mit ihm. Er würde sich sicherlich sehr glücklich schätzen, wenn er auch da wäre – dann könnte man seine Eltern auch her bitten, nicht?“

Die Mutter nickte. Und das wiederum würde ihrer Stieftochter gefallen, die mit beiden eng befreundet war. Chatgaia selbst hatte noch nicht viel von dem Paar mitbekommen, sie fragte sich, wie es ihnen wohl ergangen war. Das musste doch schwierig gewesen sein, Taininis Behinderung machte es ihnen mit Sicherheit nicht leicht und Maigis Vergangenheit schon zwei Mal.

„Das klingt vernünftig.“, stimmte sie so auch zu und lächelte. Darauf fiel ihr noch etwas ein.

„Ich wüsste sogar noch jemanden, den du einladen könntest.“, sie machte eine Spannungspause und der Sohn hob interessiert beide Brauen, „Das Schneidermädchen, Kirima heißt sie doch. Ich habe immer das Gefühl, sie scheint dich zu mögen.“
 

Er hatte seiner Mutter nicht weiter widersprechen wollen und war auch artig gewesen, als sie ihn geschickt hatte, selbst die Leute einzuladen – auch wenn er es unerhört gefunden hatte, wer war er denn?

Ein Magafi!, kam ihm grantig, als er schnaubend durch den Ort marschierte, natürlich nicht, ohne sich zuvor noch einmal gründlich mit dem grünlichen Ekelbrei eingerieben zu haben. Er hatte sehr empfindliche Haut, empfindlicher als die der anderen, hatte er bemerkt, er hielt wesentlich weniger aus als die. Aber er war ja auch edel, er musste nicht braun wie die Borken der Bäume im Wald vor der großen Stadt werden. Wollte er auch nicht, das sah nicht schick aus.

Sein größeres Problem war nun auch seine Aufgabe – wo wohnte Semiry denn? Er war bloß bis zu der entsprechenden Straße gekommen vor ein paar Tagen, aber die war lang mit vielen Häusern. Sollte er an jedem nachfragen oder was?

Er hielt seufzend inne. Er musste zuerst zur Schneiderei und nachfragen. Doch auch da klang einfacher, als es war, als er sich wenig später vor einem „Geschlossen“-Schild wiederfand. An sich konnte er die komischen Zeichen noch nicht wirklich gut lesen, aber angesichts der Tatsache, dass sich die Eingangstür nicht öffnen ließ...

„Der Eingang zur Wohnung ist auf der Rückseite!“

Der Junge sah auf. Vor ihm stand sein Bruder mit dem verrückten Mädchen mit den zwei verschiedenen Augen. Er mochte sie nicht, sie war ihm suspekt, aber höflich wie er war sagte er ihr das natürlich nicht direkt ins Gesicht. Viel mehr empörte ihn Takodas Auftauchen, der bloß bleich daneben stand.

„Mutter sorgt sich!“, schnappte er und stemmte säuerlich die Hände ihn die Hüften, „Wo hast du gesteckt? Wir wollten meinen Jahrestag doch vorbereiten, doch sie war völlig unruhig, ich möchte, dass du dich bei ihr entschuldigst!“

Der kleine Bruder sah blinzelnd auf, starrte sein Gegenüber einige Momente ungewohnt an.

„Nein.“, machte er dann einfach, „Es ist gut, dass sie sich gesorgt hat, ich denke.“

Dann ging er an ihm vorbei weg. Der Ältere war zu entsetzt, um in den nächsten Sekunden etwas zu tun.

Es ist gut, dass sie sich gesorgt hat? Dass er behindert war, wusste er ja schon länger, aber das war einfach gestört, wie konnte er es wagen, ihrer geliebten, wundervollen Mutter absichtlich Sorgen zu bereiten?!

Yivakavi wusste es.

„Ich darf es nicht verraten!“, lachte sie jedoch bloß demotivierend. Er hatte irgendwie gemeint, es dürfe niemand mehr erfahren, weil es sonst Probleme mit seinem Vater geben könnte... ja, das war sicher möglich. Das Mädchen kannte sich damit nicht aus, ihr Vater war leider bereits tot, seit sie sehr klein war. Sie hatte ihn kaum gekannt, aber lieb gehabt.

„Normalerweise würde ich dich jetzt höflich darauf hinweisen, dass es eine bodenlose Unverschämtheit von einem unzivilisiertem Weibsbild wie dir ist, mir eine Antwort zu verweigern, noch ehe ich dazu kam, meine Stimme zu erheben, aber ich unterlasse es gütiger Weise, du bist schließlich verrückt. Außerdem... -“

Er stoppte, als sie sich doof kichern mit leichten Rotschimmer im Gesicht vor ihm hin und her wiegte. War denn das die Möglichkeit?! Sie hatte ihm gar nicht zugehört, dieses Luder! Ehe er sie entgegen seiner Art darauf anschreien konnte, sprach sie selbst.

„Ich habe deinen Bruder geküsst...“
 

Und darauf schien sie reichlich stolz zu sein. Serenka hatte sie kurz darauf stehen lassen und ihren vorherigen Rat befolgt, so stand er nun sehr schlecht gelaunt vor der Haustüre der Schneiderfamilie.

Geküsst hatten die sich?! Da hatten sich ja die beiden richtigen Behinderten gefunden! Oh, sein Bruder würde leiden!

Es war nicht so, dass der Ältere bereits besonders großes Interesse an irgendwelchen Mädchen gehabt hätte, aber dass der ach so zurückgebliebene Takoda da vor ihm an war, machte ihn äußerst sauer, dafür würde er sich ein paar fangen, das schwor er sich!

Aber Ruhe bewahren, er musste jetzt diese komische Tante einladen.

Nachdem er angeklopft hatte und sich an der alten Holztür einen Splitter gezogen hatte, stand er vor ihrem Vater, der ihn irgendwie... unfreundlich musterte. Na toll, wenn der jetzt auch noch schlechte Laune hatte, drehte er durch!

„Guten Abend!“, knirschte er gezwungen, „Ist ihre werte Tochter zu sprechen?“

Der Mann hob kurz etwas überrascht die Brauen, dann senkte er sie wieder. Zu Kirima wollte der? Er hatte schon gedacht, der würde sich schon wieder schwule Rüschen-Klamotten verlangen, dabei hielten sie mit dem Zeug doch schon so sehr drauf wie nur irgendwie möglich. Aber er hatte sich geirrt, was wollte er von seinem Mädchen? Jungs in dem Alter traute er nicht, auch wenn es sich dabei um den Sohn des ehemaligen Dorfoberhauptes handelte. Oder gerade deswegen, wenn der nach seiner Mutter kam... seine arme Umkleide.

„Vielleicht.“, entgegnete er so mit väterlichem Misstrauen, „Worum geht es denn?“

Der Blick des Jungen wurde seltsam. Gedanklich wog er ab, was nun besser war, kuschen und artig sein oder diesen Kerl in Grund und Boden stampfen für seine Unverschämtheit. Er entschied sich schließlich für ersteres, er hatte keine Lust auf Stress, außerdem hing von dem Kerl sein gutes Aussehen ab, zum Teil zumindest.

„Ich feire morgen meinen vierzehnten Jahrestag und würde sie gern dazu einladen. Ich würde mich sehr geehrt fühlen über ihren Besuch.“

Tafaye seufzte. Na toll.

„Komm rein.“
 

„Sie kleidet sich gerade an, ich habe ihr ein altes Kleid etwas umgeändert und sie schaut nun, ob das so in Ordnung ist – nicht, dass sie ein Recht hätte, sich zu beschweren, ich habe es schließlich freiwillig getan, es war ein Geschenk.“

Die Wohnung des Schneiders war bescheiden oder eher schäbig, auch wenn sie sehr sauber und ordentlich war. Ja, er hatte tatsächlich Glück gehabt mit dem Haus, in dem er da gelandet war, hier würde er es keinen Tag lang aushalten.

„Kirimachen, bist du angezogen? Hier ist jemand für dich!“

„RUHE!“

Beide fuhren zusammen – das war definitiv nicht das Mädchen gewesen.

„Halts Maul du alter Sack! Stirb doch, wenn wir dich nerven! - Ähm, Kirimachen...?“

Serenka blinzelte entsetzt. Was genau war das denn gewesen...?

„Einen Moment bitte noch...“, antwortete da die sanfte Stimme der jungen Frau und ihr Vater kratzte sich etwas verlegen lächelnd am Kopf bei dem empörten Blick des Jungen.

„Ja, mein Vater. Ich stelle dich ihm nicht vor, der schreit, wenn er fremde Leute sieht, oder Tageslicht...“

Der Grünhaarige verbesserte seine Gedanken, hier würde er es nicht nur nicht einen Tag, sondern nicht einmal eine Stunde aushalten, das war fürchterlich, so ein rauer Umgangston war gar nichts für seine sensiblen Ohren...

So fiel ihm auch keine entsprechende, seinem Sprachgebrauch würdige Antwort ein und wartete, bis sich die Tür vor ihm öffnete.

„Schau Vati, wie wunderschön...“, sie erstarrte und der Grünhaarige neigte leicht den Kopf. Das Gesicht des Mädchens flammte entsetzt auf.

„Himmel!“, war alles was sie heraus brachte. Serenka unterdessen musterte sie, oder eher ihr Kleid anscheinend überrascht. Da hatte er sich aber Mühe gegeben, der alte Herr.

„Welch nettes Kleid!“, sprach er ehrlich und sein Gegenüber taumelte, fasste sich erst wieder, als es sich einen vielsagenden Blick von seinem Vater fing. Oh ja, er hatte ja Recht! Aber hatte sie damit rechnen können? Weshalb besucht er sie, wenn nicht für Klamotten – denn wenn er die gewollt hätte, hätte er sich auch an Tafaye wenden können.

Egal, höflich sein. Nein, sehr höflich sein, sie hatte so lange vor dem Spiegel geübt, das musste doch klappen!

„Guten Abend!“, sie verneigte sich tief, „Ich... vielen Dank für das liebe Kompliment!“

Kompliment? War es das gewesen oder hatte sie jetzt übertrieben? Himmel, warum half ihr niemand. Er hob bloß eine Braue und sie blinzelte. Oh nein, was bedeutete das nun wieder? Sie ignorierte ihren Vormund, der sich kopfschüttelnd abwandte. Na wenigstens war sie schick...

„Ich... ich habe Kaliri-Kuchen gebacken, möchtest du vielleicht ein Stück davon?“

Na das klang ja nett. Aber davon würde er morgen sicher genug bekommen, was das also betraf...

„Vielen Dank, aber nein.“

Sie verstand ihn falsch und erbleichte.

„Habe ich... dich irgendwie beleidigt? Verzeih bitte, ich... ich habe doch keine Ahnung von Höflichkeit, die Stadt habe ich zum letzten Mal als Säugling gesehen!“

Heute schienen alle verrückt zu sein, kam Serenka darauf nur und er seufzte, bemerkte förmlich, wie das arme Ding dachte, schon wieder etwas falsch gemacht zu haben. Nein, was stellte die sich so an?! Nicht, dass es ihn störte, dass es außer ihm immerhin eine einzige Person gab, die zumindest auf Höflichkeit bedacht war, aber übertrieb sie es nicht?

„Ich wollte dich eigentlich bloß zu meinem Geburtstag am morgigen Tag bitten, ich würde mich über dein Kommen in höchstem Maße geehrt fühlen.“

Jetzt errötete sie wieder. Ach herrje, da war aber jemand nervös. Ob man sie noch nie irgendwohin eingeladen hatte? Dann war er nun einmal der Erste, war doch gut.

„Ist... ist das dein Ernst?!“, keuchte sie da, „Ich meine, ich fühle mich im allerhöchsten Maße geehrt, aber... bin ich dir nicht zu... unwürdig?“

Moment – das gefiel ihm nicht. Er erniedrigte die Leute wenn schon, wenn sie es bei sich selbst taten, war ihm das zuwider.

„Ich entscheide selbst, wer meiner würdig ist, aber danke.“, zischte er so, entspannte sich bei ihrem verzweifelten Blick jedoch gleich wieder, „Komm einfach, es würde mich wirklich sehr glücklich machen, eine talentierte junge Dame in unserem leider sehr bescheidenem Heim willkommen heißen zu dürfen.“

Sie nickte leichenblass und vermochte nichts mehr darauf zu erwidern.
 

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Der nächste Tag war anders, als vorgesehen. Im Nachhinein dachte sich das Geburtstagskind, es hätte es sich am Vortag sparen können, durch das halbe Dorf zu rennen, um sich seine Gäste zu suchen, denn am nächsten Abend waren plötzlich alle möglichen Leute da, die er gar nicht hatte sehen wollen. Und irgendwo hörte es dann doch mit der Toleranz auf – zumindest im engeren Kreis beschwerte er sich da, als er in der kleinen Küche stand, wo seine Mutter und seine Schwester sich hektisch um das Essen kümmerten. Hektisch, Himmel, sie sollten doch mit ihm feiern und sich nicht abmühen für Leute, die er ohnehin kaum kannte, geschweige denn irgendwie mochte.

„Da winkt mir doch dieser Idiot, dieser Volltrottel, dieser Affenarsch... ach! Ich beschmutze meinen Mund hier mit Wörtern, auf meinen Jahrestag, kaum zu fassen! Er sitzt da, isst Salat und winkt mir zu, ich meine, was wagt der sich, zu erlauben?! Er hat mir meinen sensiblen Rücken zerstört!“

Choraly seufzte laut, während sie irgendwelches Pseudo-Gemüse zubereitete.

„Iss Seife, damit dein Mund sauber wird. Genda ist dein Adoptiv-Cousin, er gehört nun einmal zur Familie, finde dich damit ab.“

Er schielte etwas säuerlich zu seiner Mutter, die irgendwelches Fleisch zubereitete. Hier in der Wüste war die Anzahl an essbarem Vieh doch sehr eingeschränkt, der Junge wollte gar nicht so genau wissen, was das war. Er vertraute darauf, dass es lecker schmeckte, Mama bereitete es ja zu, auch wenn ihm das, was die Oase bot, an sich nicht reichte. Und Chatgaia schenkte seiner Empörung einfach kein Gehör.

„Nun gut, so sei es!“, schnappte er, dabei demonstrativ den Rücken der Magierin ansehend, „Aber warum ist diese kleine Behinderte hier? Verzeiht die Bezeichnung, aber meine Zunge vermag sich nicht derart zu verbiegen, dass sie ihren Namen jemals ordnungsgemäß aussprechen könnte.“

Zu seiner Ärgernis antwortete ihm abermals die ältere Schwester. Was mischte die sich die ganze Zeit ein?!

„Takoda hat sie nun einmal mitgebracht, das ist doch nicht so schlimm. Und nun gehe lieber zu deinen Gästen, anstatt deine Zeit hier in der Küche mit uns Frauen zu vergeuden. Entspanne dich, versuche doch einmal, dich zu amüsieren.“

Sich amüsieren? Na die war gut! Seine Mutter ignorierte ihn einfach, das war alles so gemein! Vor Wut schäumend machte er tatsächlich auf dem Absatz kehrt und stampfte in den Garten.
 

Choraly warf ihrer Stiefmutter einen fragenden Blick zu.

„Ich hätte ihn gern in meine Arme gezogen und den Rest des Tages nicht mehr losgelassen.“, begann die da auch schon unaufgefordert zu erklären, „Aber hätte ich das getan, hätte er niemals die Chance, das Positive am Leben hier zu erfahren.“

Die jüngere Frau verstand sie nicht.

„Aber ist das denn so wichtig, dass du es in Kauf nimmst, ihn derart zu verwirren und aufzuregen? Wir kehren ohnehin in den nächsten Wochen zurück, so wie es scheint...“

Serenka war eben etwas besonderes. Nicht, dass sie das besonders gut fand, aber er war nun einmal so und es erschien ihr sinnlos, ihn mit einem Mal irgendwie ändern zu wollen, bloß weil er ihren Aufenthalt hier in seinem Inneren verabscheute.

Chatgaia klärte sie über ihr Denken auf.

„Genau genommen ist Serenka der rechtmäßige Erbe dieses Dorfes – er wird dieses Erbe zwar niemals antreten, doch er soll seine Heimat zu schätzen lernen. Er ist ein Kind der Wüste...“, sie lächelte, „Er bemüht sich, mir zu gefallen, doch im Augenblick macht er eine ähnliche Wandlung durch wie du vor vielen Jahren, Choraly. Man merkt, dass ihr vom selben Blute seid.“

Die Jüngere errötete.
 

--
 

„Nanu, so abgeneigt?“

Samili wandte sich demonstrativ ab. Ja, sie war abgeneigt, verdammt! Dieser widerliche Kerl...

„Du warst doch die ganze Zeit so interessiert...?“

„Aber nicht so!“

Sie musste sich immerhin nicht selbst verteidigen, Teneri tat es. Ja, die wich ihr nicht mehr von der Seite, seit sie ihr von gewissem Vorfall berichtet hatte. Als einzige, im übrigen, wer wusste schon, was ihr Vater darauf getan hätte? Am Ende hätte er sich noch die Finger wegen so etwas schmutzig gemacht... ärgerlich bloß, dass sie bereits mit Konsequenzen gedroht hatte und der Idiot sie nun doppelt lächerlich fand. Ach, konnte ihr gleich sein, auf so einer Ebene dachte sie nicht, fertig.

„Misch dich nicht ein, Timaro.“, schnaubte Genda darauf und schielte zu Odohri, der gerade eben unbeteiligt an dem Tisch, an dem die anderen saßen, vorbei gehen wollte.

„Komm mal.“

Er hielt inne und fasste sich überrascht an den Kopf, als er den mürrischen Blick auf sich spürte. Was wollte der denn?

„Ja?“

Er winkte ihn näher zu sich, ehe er leise zu ihm sprach.

„Meine Schwester.“, er deutete auf Teneri, die ihn nicht verstand und nur irritiert eine Braue hob, „Meine Schwester scheint ja etwas schüchtern – das ist sie gar nicht! Um ehrlich zu sein, sie redet den ganzen Tag nur von dir und so... Dinge...“

Der Jüngere errötete. Sie sprach von ihm? Warum das denn? Hatte er ihr etwas getan?! Vermutlich war er doch zu hochnäsig gewesen oder so, verdammt...

„Welche Dinge?“, wollte er so verlegen wissen, ebenso leise, dass es niemand mitbekam. Genda seufzte aufgesetzt verlegen.

„Nun ja, wie soll ich die das sagen... sie scheint ein äußerst ausgeprägtes Interesse an dir zu haben, mein Guter. Ich gehe lieber nicht ins Detail, es gibt manches, das will Mann gar nicht wissen...“

Odohris Gesicht flammte hochrot auf. Was? Sie war doch seine Cousine, seine extrem männerfeindliche Cousine überdies. Das klang ja beinahe so, als würde er ihr gefallen! Oh Himmel...

Als er zu dem Mädchen sah, das sich mittlerweile wieder guter Laune mit Samili unterhielt, kam er ins Staucheln.

„Sei nicht so nervös deswegen.“, sprach der Braunhaarige weiter, „Rede doch mit ihr, sie freut sich sicher. Und lass dich nicht abschrecken, wenn sie irgendetwas schlechtes spricht... sie meint es nicht so. Sie will deine Aufmerksamkeit.“

Seine Aufmerksamkeit!

„Oh mein Himmel! Ich... nun gut, Onkel hat auch gemeint, ich solle mich mit ihr anfreunden, es wird wohl keine schlechte Idee sein. Ich war bloß... verwirrt. Gut, dass du mir das gesagt hast.“

Er nickte ihm zu, dann trat er auf die andere Seite und überlegte sich unterdessen, wie er es am besten anstellte, seiner komischen Cousine näher zu kommen, ohne, dass sie ihn erschlug. Seltsames Mädchen, Genda schien doch gar nicht so schlecht zu sein.

Dachte er.
 

Der Ältere beobachtete zufrieden, wie er versuchte, seine Halbschwester in eine Unterhaltung zu verwickeln. Da würde er auf Granit beißen, das war Imeras bescheuerte Tochter, die hatte sich in den Kopf gesetzt, das alle Männer schlecht waren und das würde in diesem Leben sicherlich niemand mehr aus ihrem primitiven Hirn heraus bekommen. Lächerlich, aber sollte er doch versuchen, er lenkte ihre Aufmerksamkeit von Samili ab, die nun gelangweilt dabei zusah, wie ihr Bruder sich um das andere Mädchen bemühte.

Samili war interessant. Sie spionierte Genda nach, gab aber an, keinerlei Interesse an ihm zu haben. Vermutlich hatte sie das auch nicht, sie war bloß neugierig, weil er nicht so war, wie alle anderen auf der Welt. Dumm, aber wie oft rannte ihm schon freiwillig eine Frau nach?

Er wusste selbst, dass er sicherlich nicht das war, was man unter einem hübschen Jungen verstand und es ärgerte ihn wenn er ehrlich war auch etwas, obgleich es natürlich nicht so schlimm war, dass es ihm Komplexe verursacht hätte. Aber wenn einmal eine Dame freiwillig bei ihm aufgetaucht wäre, hätte ihn das bestimmt nicht gestört. Nun gut, er konnte es nicht ändern, die Götter hatten es nun einmal nicht gut gemeint mit ihm.

In keinem Punkt.

Es überraschte ihn, als sie ihn abermals von selbst ansprach, ja, sogar die Tischseite wechselte und sich neben ihn setzte. Sie zischte.

„Ich habe keine Ahnung, was du meinem Bruder da gerade erzählt hast, aber ich bin mir sicher, dass es nicht zu Teneris Bestem war!“

Das hatte sie gut erkannt. Er grinste bloß.

„Was hast du davon, wenn du so bist, wie du eben bist? Ich finde dich unmöglich, so etwas wie dich verdient deine Familie doch gar nicht! Und dabei glaube ich, dass du anders sein kannst, wenn du nur willst...“

Sie schnaubte empört, als er zu lachen begann. Er konnte es anders, wenn er nur wollte, ja. Das galt für so unglaublich viele Dinge, es war einfach nur lächerlich. Diese Stadtmenschen waren so vollkommen verblendet und dämlich, es tat einem fast schon weh.

„Was ich davon habe? Tse, hast du etwas davon, wenn du du selbst bist? Und meine Familie... meine Familie besteht aus einem ängstlichen kleinen Mauerblümchen, einem männerphoben Kampfweib, meiner vollkommen verblödeten Mutter und dem größten Abschaum unter der Sonne, in Wahrheit passe ich doch wunderbar dort hinein, nicht?“

Sie weitete entsetzt die Augen, als er so herablassend sprach, kam aber nicht dazu, etwas zu sagen, denn darauf folgte etwas für sie noch wesentlich Unverschämteres.

Und mit einem Mal fragte sie sich, wie dämlich ein einzelner Mensch sein konnte.

„Ich weiß, was dir jetzt auf der Zunge liegt und irgendwo hast du natürlich Recht, ich sollte mich niemals über diesen abscheulichen Haufen beschweren. Wenn ich mir vorstelle, bei euch zu leben, in der großen Stadt, jeden Morgen gepudert und parfümiert in eine Schule voller eingebildeter adliger Schnöselkinder zu gehen, als Erbe einer Familie voller Schwerverbrecher, die euren idiotischen Staat einzig zu eurem Vorteil lenken, dann will ich mich doch zufrieden bekennen.“
 

Sie hätte ihn erschlagen. Sie hätte es so gern getan. Ihn angeschrien. Jeden wissen lassen, wie tief dieses Scheusal sie beleidigt hatte, doch sie tat es nicht. Serenka, der diesen Bastard selbst nicht mochte, zu Liebe. Denn sie hatte ihn, gepuderten und parfümierten Erben einer Verbrecherfamilie, sehr lieb und wollte ihm nicht den Jahrestag verderben. Das verdiente er nicht.

Ruhe bewahren, das hatte ihre Mutter ihr immer gepredigt und vermutlich überraschte es den jungen Mann, als sie sich einfach erhob und ins Haus rannte. Sie musste weg, sonst konnte sie für nichts garantieren.
 

--
 

Serenka war selbst nicht bester Laune. Das war eine Veranstaltung voller ignorantem Abschaum! Er rannte herum, war völlig unzufrieden und wen scherte es? Niemanden! Noch nicht einmal seinen Vater, der führte lieber eine Pseudo-Unterhaltung mit dem Dorfoberhaupt. Es war wirklich lächerlich.

„Und über welches politisches System verfügt das Dorf so?“

„Na ja, ich bin das Oberhaupt, die sollten alle auf mich hören...“

„Ah... nun ja, ich meine, etwas tiefgründiger, treffen Sie alle Entscheidungen alleine? Gibt es Abstimmungen? Einen Rat?“

„Also... Maigi gibt mir manchmal einen guten Rat. Also... und wenn jemand irgendetwas will, dann kommt er und sagt es.“

„... aber schönes Wetter ist, doch.“

Das war so, als würde der Junge sich mit einer kleinen Ratte unterhalten, das war völlig gehirnamputiert und sinnlos, verstand sein Vater das denn nicht? War er mehr auf den guten Ton bedacht als auf das Wohle seines Kindes?! Nun ja, das hatte er ja bereits geahnt an dem Tag, an dem seine Familie sich dazu entschieden hatte, in die Wüste zu gehen. Zu seiner Freude, bloß vorübergehend.

So rannte er wütend und traurig über den seiner Meinung nach verlorenen Geburtstag durch den Garten und merkte gar nicht, dass es jemanden gab, dem er definitiv nicht egal war, ihn sogar mit größter Vorsicht verfolgte und es erst wagte, ihn anzusprechen, als er sich enttäuscht gegen einen seltsamen Baum anlehnte.

„Du... siehst nicht glücklich aus.“

Er sah erschrocken auf. Ach ja, Kirima, die gab es auch noch. Stimmt, er hatte sie ja sogar eingeladen. Hübsch sah sie aus, sie trug das nette Kleid vom Vortag, das heute irgendwie noch schöner schien.

„Du auch nicht.“, entgegnete er dennoch bloß nüchtern. Recht hatte er, sie stand da in der Gegend herum und schien sich ganz und gar unwohl zu fühlen, furchtbar, so etwas auf seiner Feier sehen zu müssen. Die anderen unverschämten Schandflecken hatten wenigstens Spaß.

„Nun ja, das liegt an dir.“, gestand sie da auch noch zu seiner Betroffenheit und tänzelte etwas unruhig hin und her. Nervös war sie. Und was hatte er jetzt schon wieder angestellt? Konnte man diesen Tag nicht einfach überspringen? Ach, es machte ihn sauer.

„Wegen mir, sagst du? Ich lade dich zu dieser unredlichen Feier ein und dann schiebst du deine schlechte Laune auf mich?! Wie kannst du das verantworten?!“

Er schnaubte und konnte seine Wut nicht unterdrücken, auch nicht, als das Mädchen sich geschockt beide Hände vor den Mund schlug und ein paar Schritte zurück trat.

„Ich bin völlig zerfressen von Wut und Enttäuschung, niemand nimmt sich Zeit für mich! Ich beteure, ich hasse diesen Ort!“

Am liebsten hätte er ihr all seinen Frust ins Gesicht geschrien, er hatte es satt! Warum sollte er in diesem verdammten Dorf derart auf sein Ansehen achten, das verdienten diese Primitiven doch gar nicht, er war viel zu gut für sie!

Er hielt in seinen Gedanken inne, als die junge Frau sich plötzlich in dem hübschen Kleid vor ihm auf die Knie warf. Er stutzte.

„Es tut mir so Leid!“, keuchte sie, „Das verdienst du nicht, Herr! Viel mehr Respekt gebührt dir, ich weiß es! Ich will ihn dir zollen, ich... ich bin beeindruckt von dir, seit ich dich zum ersten Mal sah! Solch einen edlen Herrn habe ich zuvor nie zu Gesicht bekommen, ich habe mich so über deine Aufmerksamkeit gefreut, wo ich doch so weit unter dir stehe! Vielen Dank!“

Er wusste nicht, was er darauf sagen sollte. Sie senkte den Blick tief, wieder so, dass ihr beinahe weißes Haar ihr Gesicht bedeckte. Sie erniedrigte sich vor ihm.

Und warum? Weil er schlechte Laune hatte. Weil sich einmal in seinem Leben nicht die ganze Welt um ihn drehte.

Darauf fühlte er sich schlecht.

„So steh doch auf.“, bat er kleinlaut und fasste sich erschrocken über die eigene Überheblichkeit an den Kopf, „Beschäme dich nicht zu meinen Füßen, Kirima. Ich zolle dir höchsten Respekt, die du in deinem jungen Alter deine Handwerkskunst bereits derart perfekt beherrschst. Die Hitze ist mir wohl zu Kopfe gestiegen, verzeih.“

Als sie dennoch nicht aufsah und bloß weiter vor ihm kniete, piekste er sie sachte mit seinem Spazierstock an. Ja, er besaß seit dem heutigen Tage einen, von Papa bekommen und das, obwohl er seine reichliche Bescherung erst in der großen Stadt haben würde, wie es bereits zu Beginn der Reise abgemacht gewesen war. Der hat ja nicht viel Platz weg genommen., hatte er gesagt, Ein Statussymbol, wie du es nennst. Hast du dir nicht einen gewünscht?

Hatte er. Und er hatte sich sehr gefreut darüber am Morgen. Er liebte seine Eltern sehr.

Das Mädchen sah verschüchtert auf und er fuhr sich geschockt an die Stirn, als er ihre bedrohlich glänzenden Augen sah.

„So bin ich normalerweise nicht!“, schnappte sie darauf, „Ich bin nicht schwach! Nie! Nur bei dir.“

Sie erhob sich langsam und klopfte sich den Staub vom Kleid, soweit sie konnte, leicht errötend. Himmel, war das peinlich hier. Sie hätte auf ihren Vati hören und zu Hause bleiben sollen, genau. Er war ein gescheiter Mann und dennoch übte der Junge aus der großen Stadt eine enorme Faszination auf sie aus.

Er musterte sie etwas besorgt. Hatte er Ahnung von Mädchen? Alles, was er wusste, war, dass man sie nicht zum Weinen bringen durfte, aber daran hielt er auch fest.

„Ich habe nie gedacht, du seist schwach.“, sprach er leiser, ohne die Blicke zu bemerken, die sein Vater ihm vom nicht all zu weit entfernten Tisch ab und an zuwarf, „Nehme es nicht persönlich, wenn du das nun nicht magst, aber mir kam es in den Sinn, dich einmal zu umarmen. Mir selbst tut es ja immer sehr gut, wenn ich meine geliebte Mutter umarmen kann, wenn es mir nicht so gut geht.“

Er lächelte und wurde seinen Worten gerecht, Kirima erwiderte die freundliche Geste erbleichend.

Uda Magafi und Imera, der dessen Blick gefolgt waren, grinsten.
 

--
 

Nicht weit entfernt fand das jemand sehr komisch.

„Boah, Takoda, schau, die grinsen beide!“

Yivakavi hatte darauf bestanden, auch mitfeiern zu dürfen. Der Junge hatte zwar geahnt, dass sein Bruder das nicht unbedingt gut heißen würde, aber in „Nein“ sagen war er nie besonders begabt gewesen. Wie in eigentlich allem.

So saßen sie nun gemeinsam auf einer vergammelten kleinen Mauer, weil es ihnen an den Tischen zu eng war und das Mädchen zeigte unhöflicherweise mit dem nackten Finger auf die beiden Männer. Er wusste, worauf sie hinaus wollte, ausnahmsweise. Aber hatte er auch sehr viel darüber nachgedacht.

Was es bereute, denn je länger er es getan hatte, desto schlechter war sein Gefühl betreffend geworden.

Er schreckte aus seinen Gedanken, als ein Schatten über ihn fiel.

„Darf ich mich zu euch setzen?“

Ausgerechnet Lilliann, seine liebe Lehrerin, war es. Das schwarzhaarige Mädchen machte ihr Platz und so setzte sie sich guter Laune zwischen die beiden Kinder.

„Hier ist es besser, auch schattiger!“, begann die Frau fröhlich, „Ich hätte ja gern geholfen, aber die werten Damen in der Küche lassen mich nicht, ich bin Gast, sagen sie, ich soll nichts tun! Und Genda ist irgendwie auch weg, der ist mit mir nach drinnen gegangen, kam aber nicht mehr mit mir nach draußen – ach, egal, wird schon.“

Yivakavi kicherte doof. Ja, sie kicherte ständig, obwohl sie selten einen Grund dazu hatte.

„Weißt du, wovon wir gerade sprachen?“, wollte sie dämlich wissen und zeigte wieder auf die beiden Herren, „Davon, wie komisch es ist, dass die beiden einfach da sitzen und sich unterhalten! Und grinsen dabei!“

Takoda zog scharf die Luft ein. Was redete sie da?! Das sollte sie doch nicht! Hatte er ihr denn nicht gesagt, dass sie das unbedingt für sich behalten musste? Niemand durfte davon etwas wissen.

„Was meinst du denn damit?“, gackerte Lilli darauf nur unwissend, „Weil Herr Magafi so ein toller Hecht ist und mein Mann bloß... Imera?

So sehr sie ihn auch liebte und respektierte, er war nun einmal ein Idiot und in ein Bild mit dem Herrn aus der großen Stadt wollte er beim besten Willen nicht passen. Wenn es das war, dann konnte sie ihre Schülerin durchaus verstehen.

Soweit dachte diese aber gar nicht, Takodas Gesichtsausdruck ebenfalls nicht bemerkend. Und sein Problem war ihr entfallen.

„Nein, dass dein Mann Imera ist, ist doch völlig egal! Aber er unterhält sich mit dem Herrn, dessen Frau er heimlich stiehlt, das ist doch lustig!“

Der erbleichende Freund fand das nicht so lustig, ebenso die Lehrerin.
 

Mayora sah aus ein paar Metern Entfernung kaum, was mit den dreien los war. Sein Blick lag auf Yivakavi.

Ich habe doch eine Tochter, sie ist hier, weil es ihr hier besser geht, aber ich vermisse sie sehr.

Shakki Kaera war ihm in Form einer schönen, beinahe normalen Frau erschienen. Dieses Mädchen war ihr... es war ein komischer Gedanke.

Sie war nicht so, wie sie vorgesehen gewesen war... vielleicht, weil sie sein Kind hätte sein sollen und es nicht war. Wer sie stattdessen gezeugt hatte, war ein Mysterium.

Es gibt Dinge, bei denen ist es besser, wenn man sie nicht ausspricht. Und zudem ist es irrelevant, es gibt sie, mehr ist nicht zu Wissen .

Das war wohl wahr. Wie jedes andere Kind lebte die Erbin der Seherin hier im Dorf... nein, sie war eines der „anderen“ Kindern, bis auf ihren besonderen Geist unterschied sie sich nicht im Geringsten von ihnen. Und das war gut für sie.

Er lächelte leicht.

Choraly hatte er nichts von seiner Begegnung erzählt, der Einfachheit halber. Außerdem hatte er das Gefühl gehabt, dass es seiner Ex-Freundin peinlich gewesen wäre, hätte er ihre Geschichte vor seiner Frau erwähnt. Das musste ja nicht sein, er hatte ihr wohl genügend angetan.

Apropos, wo war seine Gattin denn?
 

--
 

Seine Gattin bewirtete noch immer die Gäste und war etwas sauer auf ihre Tochter, die einfach an ihr vorbei gerannt war, als sie sie um Hilfe hatte fragen wollen. Die würde natürlich noch etwas zu hören bekommen, einmal davon abgesehen, dass sie doch nicht einfach so in dem Haus herum rennen konnte, wenn niemand bei war. Wobei... ach, ihre Großeltern störte es sicherlich nicht. Allein war sie überdies auch nicht.

Ich fürchte ja, sie hat mich falsch verstanden!, hatte Genda bedauernd zu ihr gemeint, Ich will mich einmal in Ruhe mit ihr unterhalten.

Dann war sie sicher beleidigt. Dass dieser Kerl nicht ganz so war, wie es gut gewesen wäre, hatte sie bereits gemerkt, wenigstens bemühte er sich um ihr Kind. Schade, als Baby war er so niedlich gewesen.

Konnte man seinen Vater eigentlich vermissen, selbst wenn man ihn nie gekannt hatte?
 

„Man könnte meinen, du hättest Nachhilfestunden bei Imeras Tochter genommen.“

„GEH WEG!“

„Die sperrt sich auch immer im Badezimmer ein.“

„HAU AB!“

„Darf ich rein kommen?“

Er legte es nur darauf an, sie zu reizen, so dachte sie sich. Darf ich rein kommen, fragte er, was für eine Unverschämtheit! Sie hätte es doch ihrem Vater sagen sollen, sie wusste es, der hätte ihn erschlagen dafür! Er hatte ihre Lippen beschmutzt, dieser Widerling...

Sie quiekte, als sich die Tür plötzlich öffnete und er gelangweilt vor ihr stand, den Eingang wieder verschließend. Moment – das ging doch nicht!

„Ich habe abgesperrt mit diesem primitiven Sperrwerk!“, schrie sie ihn an, „Wie hast du es aufbekommen?!“

Er grinste. Sie hatte die Frage doch selbst beantwortet, das Sperrwerk war primitiv, nicht schwer in die Knie zu zwingen. Das war mitunter das Problem der Städter, sie sahen manchmal die Hand vor Augen nicht.

„Ich bin doch einsichtig.“, vertrieb er seine immer gleichen Gedanken, „Ich habe deiner Mutter gesagt, ich will mich mit dir unterhalten. Also... lass mich das doch tun.“

Es gefiel ihr nicht, dass er ihr näher kam, so schritt sie rückwärts, bis sie an die nächste Wand stieß. Das Mädchen zischte, erwiderte aber vorerst nichts. Zunächst einmal war sie damit beschäftigt, böse zu ihm nach oben zu schauen, als er direkt vor ihr stand. Genda war groß, sie war klein. So wirkte er gleich viel älter, als er war – er war größer als Samilis Vater, das machte einen seltsamen Eindruck.

„Was willst du denn mit mir reden, du ungehobelter Sack?!“, rang sie sich dann doch zu einer Erwiderung hindurch, „Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass du völlig gestört bist, lass mich in Ruhe!“

Auf ihre Forderung ging er nicht ein, stützte sich mit den Händen neben ihrem Kopf ab und beugte sich etwas zu ihr. Er grinste.

„Zuerst rennst du mir wie ein kleiner Hund von Neugierde gepackt hinterher und jetzt, da du alles weißt, willst du mir den Rücken kehren? Oh nein, schlag dir das aus dem Kopf, meine Kleine.“

Mit ihm konnte man nicht spielen, zumindest sie konnte es nicht, denn diese Stellung hatte sie nicht inne. Nein, was man begann, musste man auch zu Ende führen, das schien das verwöhnte Gör noch lernen zu müssen.

„Und was willst du jetzt tun?“, giftete sie dennoch weiter, obwohl sie genau ahnte, was er wollte. War wohl doch eine schlechte Idee gewesen, allein weg zu gehen.

Nach einer kurzen Pause überraschte man sie.

„Hör zu, ich lasse dich in Ruhe.“

Er sah ihr den Unglauben nur so aus den Augen tropfen. So naiv war sie hoffentlich nicht ernsthaft – falls doch, war das irgendwie niedlich. Nicht, dass er davon viel verstand.

„Unter einer Bedingung.“, ihre Miene verdunkelte sich zu seinem Amüsement wieder zusehends sehr, „Ich schätze, deine kleinen... Nachforschungen, wie du es bei Imeras Tochter zu nennen gepflegt hast, waren nicht so ertragreich, wie erhofft. So will ich auch nicht zu viel von dir verlangen... einen Kuss und ich verschwinde und alles ist so, wie es war, bevor du mich auf der Straße zu deinem Pech angesprochen hast. Na?“

Er wusste nicht, was ihn so daran reizte, sie dazu zu bekommen. War auch egal, war eben so. Er bekam eben immer, was er wollte, auch wenn Imera ihm oft im Weg stand dabei. Aber der war nicht hier. Zumindest nicht in diesem Raum.

Also bedeutungslos.

„Du bist so widerlich!“, schnappte Samili da, als er ihr noch etwas näher kam, „Ich finde dich furchtbar! Aber... stehst du zu deinem Wort?“

Innerlich lachte er auf. Sie ging darauf ein!

„Selbstverständlich, so viel Ehre erhalte ich mir.“

Sein darauf folgendes Grinsen wirkte leider nicht so freundlich und wohlwollend, wie er es gern gehabt hätte, aber er war sich ohnehin sicher, dass er dieses Mädchen nicht mehr anlügen konnte, dazu hatte er sich zu lange von ihr beobachten lassen. Ihr Interesse verwunderte ihn noch immer.
 

Und sie bereute es. Gleichzeitig war sie heimlich auch stolz, denn er war der erste Mann, der von ihr geküsst werden wollte... ihr Vater hatte Recht, sie wurde echt langsam erwachsen. Irgendwie war es ja aufregend, aber musste es ausgerechnet dieser hässliche Primitivling sein?

So groß war die Auswahl nicht.

„Ich zähle darauf.“, zischte sie noch, dann streckte sie sich zu ihm und tat ihm den Gefallen.
 

Gefallen nannte er es nicht, als er amüsiert in den planlosen Kuss hinein kicherte. Sie kannte sich nicht aus, also half er ihr, weil er so nett war und zeigte ihr, wie es richtig ging. Da hatte sie doch sogar noch etwas von, schließlich musste auch eine Prinzessin aus der großen Stadt irgendwann lernen, wie es ging. Ja, er war schon ein guter Kerl, was hatten die anderen bloß?

Sie löste sich hustend wieder von ihm, errötend aufsehend.

„Danke.“, machte er sachlich, „Jetzt hatte ich, was ich wollte.“

Er entfernte sich ein paar Schritte von dem Mädchen und hoffte doch sehr, sich in seinem Blick darauf nicht zu irren – konnte das denn sein?

„Oder möchtest du noch einmal?“

Dass sie nicht antwortete, wunderte ihn nicht sonderlich, aber es hob seine Laune gewaltig. Wollte da jemand noch lernen?
 

Ja, wollte. Wo sie beim ersten Kuss mit ihm bloß geschockt und angewidert gewesen war, hatte sie dieses Mal nach der Erkenntnis, dass sie nun eine richtige junge Frau wurde, genauer aufgepasst – und so widerlich dieser Typ auch war, er machte das gut. Dieser Perverse hatte wohl genügend Erfahrung... so genau wollte sie da gar nicht dran denken. Wer wusste schon, wen der bereits alles abgeschleppt hatte, hier im Dorf rannten echt seltsame Frauen herum...

Daran wollte sie nicht denken, das war eklig, noch ekliger als die Tatsache, dass sie auf diesen Widerling zutrat und ihn ganz von selbst wieder auf die Lippen küsste. Sie wollte sich gar nicht ausmalen, was der jetzt wohl dachte... aber es gefiel ihr, dieses Gefühl.

Seine Lippen waren warm und weich und an sich war er ganz zärtlich, viel mehr, als ihm ein gesunder Mensch zutrauen konnte. Es fühlte sich wirklich nett an...

Und so stieß sie ihn auch nicht von sich, als er die Arme um sie legte und seine Hände sie unsittlich am Hintern berührten.

Das war wirklich schändlich, aber auch das mochte sie irgendwie... war sie am Ende etwa ein Flittchen? Ihre Mutter hatte Odohri mit sechzehn bekommen, vielleicht vererbte sich so etwas ja...

Als sie mutig die Arme um den Nacken des jungen Mannes schlang, beendete dieser den Kuss. Und er lächelte. Es war tatsächlich ein Lächeln, kein Grinsen. Lächelnd sah er schöner aus, fiel ihr auf. Er hätte es öfters tun sollen.

„Ich sage jetzt nichts, auch wenn mir genügend Dinge einfallen, die dir diesen Augenblick zerstören würden. Ich bin still.“

Dafür war sie ihm dankbar. Erste Erfahrungen sammeln, nannte sich das, und es war viel aufregender als es klang – sie waren hier im Badezimmer ihrer Großeltern auf dem Geburtstag ihres Onkels, wie absurd!

Er küsste sie wieder und sie keuchte erschrocken, als er es dieses Mal mit Zunge tat, das war wiederum neu. Ja, sie mochte neues, sie gab sich Mühe, zu erwidern. Musste sie, sie war eine Magafi. Wenn sie sich nun dumm anstellte, würde dieser Mistkerl sie sicherlich in nächster Zeit vor versammelter Mannschaft bloß stellen, das konnte sie sich auch auf diesem Gebiet nicht erlauben.

Sprechen taten sie erst nach endlosen Minuten wieder – es war eine Frage, deren Ausmaß die junge Frau kaum abschätzen konnte.

„Willst du weiter machen?“

Sie hielt ihr bereitwillig den Hals entgegen, den er zuvor mit den Lippen berührt hatte.

„Ja doch!“, schnaubte sie nur, ohne weiter nachzudenken und er tat ihr den Gefallen... und sich selbst, als er sich bis zu ihrem leider nicht all zu weitem Ausschnitt hervor kämpfte. Er half nach, indem er ihre Bluse einfach ein Stück aufknöpfte und wunderte sich nicht wirklich, als sie darauf erstarrte.

Fast hätte sie gefragt, was das wurde, dann erinnerte sie sich an seine Frage zuvor und verkniff es sich doch... oh je. Das durfte wirklich niemals jemand erfahren.

„Tu mir nicht weh!“, forderte sie bloß mit dem Stolz einer Magafi und er sah kurz zu ihr auf, nickte ihr dann zu und entkleidete ihren Oberkörper dann komplett, worauf sie rot anlief – und er auch, er war überrascht.

So sehr Genda sich auch zurückhielt, dazu musste er nun wirklich etwas sagen.

„Hat dir noch niemand gesagt, dass du kein kleines Mädchen mehr bist? Wenn sie Brüste hat, trägt Frau doch BH...“

„Ich habe doch nicht viel!“, konterte die Grünhaarige bloß garstig, höchst verlegen, dass er sie so direkt anstarrte an dieser doch etwas peinlichen Stelle. Konnte er nicht einfach weiter machen?

Konnte er scheinbar nicht.

„Ich glaube, du misst dich bloß an den Falschen... an Teneri kommt so schnell keine heran, aber das ist nicht wenig, ich kenne mich aus. Und ich habe mich bereits gewundert, warum du so... ansprechend aussiehst, ich wollte dich schon immer einmal... da berühren.“

Und er tat es. Irgendwie hätte er es sich ja denken können, aber er hatte an die Moralvorstellungen der Städter geglaubt... obwohl, kannte er die denn?

Vielleicht war die Kleine auch nur ungeahnt pervers, war an sich auch egal, sie ließ ihn jedenfalls gewähren, zog ihn sogar wieder zu sich und küsste ihn auf dem Mund.

Er begehrte sie, das machte sie irgendwie stolz. Sie wollte doch sexy sein und die Aufmerksamkeit der werten Herren auf sich lenken... jetzt hoffte sie bloß, dass niemand in nächster Zeit auf Toilette musste.

Als sie sich wieder lösten, sah sie ihn ernst an.

„Wir machen jetzt weiter.“, bestimmte sie, „Aber pass auf.“
 


 


 

-------------
 

Sagt mir bitte, wenn hier was mit dem Kuriven nicht geklappt hat óô Yai, das "Serenka rennt in der Gegend herum"-Kapitel! Na ja, dafür bekommt er einen Marken-Spazierstock von Zinca, lol. Ich habe mich gerade über den einen Satz von Uda amüsiert („Irgendwen hat es treffen müssen, Takoda. Sei froh, dass es nichts schlimmeres ist.“). Der Junge wird an dieser Krankheit sterben und sein Vater sagt sowas, der Idiot XD



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Harfe
2010-02-22T10:55:22+00:00 22.02.2010 11:55
An der Krankheit sterben? =( Ui, das ist aber traurig. Doch nicht allzu bald, oder? óò Und der Satz ist schon böse... irgendwie heftig, zum eigenen Kind. So ala, Pech gehabt.

Also dieses Kapi hat mir wirklich sehr gut gefallen. Die Romantik hat eh ein bisschen gefehlt. xD Áber die sind alle so verpeilt was das angeht... schlimmm...
Ein paar Worte zu jedem Pairing:

First: Yivakavi und Takoda - Oh. Mein. Gott. Kann man dazu nur sagen. Da hat Serenka schon recht, da haben sich echt zwei gefunden. oô Und sie "soll ich dich küssen?" ich meine... wtf? XDDD Und dann erzählt sie´s auch noch gleich weiter, die kleine Tratschtante. xD
Und jetzt weiß noch wer von dieser Geschichte... oje oje oje... meine unguten Vorahnungen werden stärker... ausgerechnet Lili... wie sie wohl reagieren wird...
Übrigens fand ich es cool von Serenka, wie er sagt, dass es gut ist, dass Chatgaia sich Sorgen macht, haha.

Second: Kirima und Serenka - dazu kann ich echt nur sagen: Was geeeht? XDD Aber ehrlich, wie die sich anstellen. Schlimm. Besonders sie. xD Voll unterwürfig. oô Aber wie Imera und Uda sie da grinsend beobachten... Spanner... XDD Aber Serenka ist schon arm, ausgerechnet an seinem Geburtstag so vernachlässigt werden ist schon traurig.

And last but not least, mein Lieblingspaar: Samili und Genda - ... XDDD Die Szene am Schluss. Tja, Samili ist nicht so anständig wie sie tut, huh? Scheint ihrer Mutter ja doch nicht so zu ähneln(sonst hätte sie wohl Imera entjungfert... mittlerweile total absurd, dass Choraly und Imera mal zusammen waren). XDD Die zwei sind zu köstlich. Auch wenn Genda ein Arschloch, äh etwas gemeiner Kerl ist, aber Samili ist eh auch nicht das nette Mädchen von nebenan. XD *Genda-Fanclub-Fahne schwenk*´
Übrigens gibt es da noch einen anderen Club, der da so vor sich hingammelt, obwohl man ihn gut gebrauchen könnte, ich denke. XD

Ansonsten... wundertolles Kapitel, schreib schnell weiter^^, freu mich schon, bis dahin...

...lg Fe

PS.: Ich kenn mich jetzt vollständig mit den Namen aus, jawohl. ;D
Von:  Linchan
2010-02-21T17:37:27+00:00 21.02.2010 18:37
uuuuh kapi sieben *___* *kicher*

Der arme Serenka xD mal wieder, ich meine, aawww... er ist echt arm .____.

Und Yivakavi und takoda sind so süß *___________________*

Genda und Samili, uuh... irgendwie sind die beiden rulig xDDD ich meine, lol!
> „Bin ich dir denn nicht zu... unreif?“
Er sah ihr auffallend auf ihre Brüste.
„Eigentlich... nicht.“
xDDDD das war rulig xD

und uuh... ich meine, Yivakavi liebt takoda >/////////////< Das wra süß, wie die sich geküsst haben *__* und sie ist so verpeilt und omg... OMG... Takoda weiß es o__O *schreiend im Kreis renn* ich dcahte noch so, Noooiiin sag es niiiicht, aber zu spät óo

> „Das darf er nicht!“, empörte er sich, „Dazu ist nur mein Vater privi... privil... der darf das nur, ich denke!“
XDDDDDDDDD *kichert*

Die Szene mit Kirima wo Serenka sie einläd war so süüüß .___. und LOL, Tafayes Papa hatte nen random-auftritt, sozusagen xDDD Damit hatte er jetzt mehr Sprechrollen als deine zuyyanischen haustiere xD Kirima ist so scheu und lieb! Ich maaag sie >/////<

> „Da winkt mir doch dieser Idiot, dieser Volltrottel, dieser Affenarsch... ach! Ich beschmutze meinen Mund hier mit Wörtern, auf meinen Jahrestag, kaum zu fassen! Er sitzt da, isst Salat und winkt mir zu, ich meine, was wagt der sich, zu erlauben?! Er hat mir meinen sensiblen Rücken zerstört!“
XDDDDDDDD *lacht* das war so geil xD

Die B-Day-Party ist so cool xD Uda redet mit Imera, ach xDD noch herzen die ey o__o und Genda ist so fies, der arme Odohri denkt schon er könnte bei Teneri landen, ich meine, looool xDDD und, Spazierstock ^o^ *umarmt Serenka* Liiieb <3 Das Gespräch von Uda und Imera war der Hammer xD
> „Und über welches politisches System verfügt das Dorf so?“
„Na ja, ich bin das Oberhaupt, die sollten alle auf mich hören...“
„Ah... nun ja, ich meine, etwas tiefgründiger, treffen Sie alle Entscheidungen alleine? Gibt es Abstimmungen? Einen Rat?“
„Also... Maigi gibt mir manchmal einen guten Rat. Also... und wenn jemand irgendetwas will, dann kommt er und sagt es.“
„... aber schönes Wetter ist, doch.“
xDDDDDD

Die Sache mit Samili und Genda war sehr cool... ich fand es wra gut gemacht, wie sie reden und so, hat mir gefallen ^o^

Kirima *__* *herzt an* sie und Serenka herzen so doll *_____________________* *freut sich auf mehr szenen mit denen* <3333!

Und omg, Yivakavi o__O ich meine, das war sehr überraschend dass Lilli es plötzlich weiß o.o omg o.o *hibbel*

Ah, und dann kommt ja die coole Szene, hust! xDD ich meine... huuuust xD sie war sehr cool! Genda und Samili herzen o.o ich meine, irgendwie herzen sie echt xD im badezimme,r lol xD uuuh >//////////< vllt doch gut dass dus nicht ausgeschrieben hast, wär ja sonst adult gewordne óo

und, @ Nachwort, ja, dieser Satz von Uda war sehr geil, genau daran dachte ich vorhin auch xDDD wie herzlos, eigentlich, lol! XDDDDD


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