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Abseits des Weges

Erinnerungen sind wie Fragmente
von

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Feindschaft kann man in Not aussetzen

Es gab wenige Dinge, die Frediano ärgerten.

Aber jene, die eindeutig dazugehörten, waren Auseinandersetzungen mit seiner Tante, die in der letzten Zeit immer damit endeten, dass sie ihn aus dem Haus warf – und Landis, der das alles mitbekam.

Letzteres kam glücklicherweise nur selten vor, aber genau an diesem Tag, an dem Frediano ohnehin schon mit den Nerven ganz am Boden war, stand dieser Kerl da. Am Liebsten hätte er ihn beiseite gestoßen und wäre dann zu Oriana gegangen, in der Hoffnung, dass er bei ihr übernachten könnte.

Er riss sich allerdings zusammen und ging an ihm vorbei, ohne ihn weiter zu beachten, aber Landis schien ihn nicht so einfach vom Haken zu lassen: „Deine Tante ist ziemlich sauer, hm?“

Frediano hielt inne. Ihr Kreischen, aus dem nicht mehr herauszuhören war, was ihr Problem war, und das Knallen der zuschlagenden Tür, klang ihm noch immer in den Ohren. „Was geht dich das an?“

„Gar nichts.“ Landis zuckte mit den Schultern. „Ich dachte nur, ich sollte etwas sagen.“

„Solltest du nicht lieber an Nolans Fersen kleben?“

Normalerweise waren die beiden immer zusammen, es war schon ein regelrechtes Phänomen, als ob keiner ohne den anderen überleben könnte. Deswegen erstaunte es Frediano umso mehr, dass er Landis nun schon den zweiten Tag in Folge ohne dessen besten Freund erblickte.

„Nolan ist gerade in Jenkan, bei seinen Großeltern und die wollten nicht, dass ich mitkomme. Wahrscheinlich wollen sie ihm mal wieder ein Mädchen vorstellen, das er heiraten soll.“

Tatsächlich kam es Frediano so vor als ob er bereits etwas in der Art einmal gehört hatte. Wenn er sich richtig entsann, machten Nolans Großeltern sich Sorgen, was aus ihrem Enkel werden sollte und versuchten deswegen, ihn an eine gute Partie zu vermitteln. Als angesehene Stoffhändler verfügten sie über Kontakte zu verschiedenen Adelshäusern, aber Nolan hatte bislang alle Vorschläge abgelehnt.

Landis verstand das nicht, soweit Frediano wusste, aber der Kommandentensohn tat das nur zu gut. Geld, Diener und ein großes Haus machten nicht glücklich, das schien Nolan genau zu wissen und deswegen immer wieder sein einfaches Leben und seine Freunde vorzuziehen.

„Dann hast du wohl nichts zu tun und dachtest, du könntest mich nerven?“

„Eigentlich nicht.“ Landis neigte den Kopf ein wenig. „Ich bin nur durch Langeweile vorbeigekommen und hab das gesehen.“

„Dann kannst du jetzt ja aus Langeweile weiterlaufen und das hier wieder vergessen.“

Landis wandte den Blick ab. „Und wo willst du jetzt hin? Du kannst nicht zu Ria, sie ist nicht da.“

Frediano zuckte zusammen, als er bemerkte, dass er so schnell durchschaut worden war. Landis fühlte sich offenbar wirklich bestätigt und fuhr fort: „Wir haben Sommerferien, da reist Ria mit ihren Eltern in Király herum. Ich bin vorher an ihrem Haus vorbeigekommen, da sind alle Fensterläden geschlossen.“

Das zerstörte seinen Plan, aber er könnte es immer noch bei-

„Ken ist auch nicht da. Seine Eltern fahren im Sommer immer mit ihm und Ren in Tante Yus alte Heimat.“

Ein entnervtes Knurren entfuhr Fredianos Kehle. Als Kommandantensohn könnte er sich immer noch woanders einladen, aber er wusste, dass ihm das nicht gefallen würde und selbst wenn er darum bat, einfach in Ruhe gelassen zu werden, würde das nicht funktionieren, das wusste er bereits aus Erfahrung.

„Mich wundert, dass du nicht nach Hause gefahren bist“, sagte Landis.

Frediano wandte ihm endlich den Blick zu. „Es geht dich absolut nichts an – aber ich hatte keine Lust, nach New Kinging zu fahren.“

Das war gelogen, aber er würde diesem Jungen mit Sicherheit nicht auf die Nase binden, dass sein Vater keinen Besuch über den Sommer wünschte und seine Mutter wieder einmal zu krank war, um selbst ihren eigenen Sohn zu empfangen.

„Warum fährst du denn nicht weg?“, erwiderte er mit einer Gegenfrage, in der Hoffnung, Landis so sehr zu nerven, dass er endlich weggehen würde.

Doch er steckte die Hände in die Hosentaschen und antwortete tatsächlich: „Mein Vater reist nicht gerne und meine Mutter meint, sie ist früher so viel herumgekommen, dass sie jetzt lieber zu Hause bleibt. Mir ist es eigentlich ziemlich gleich, Hauptsache kein Unterricht.“

Er schnitt seine übliche Grimasse, von der Frediano inzwischen wusste, dass sie implizierte, dass Landis das Gesagte eigentlich nicht ernst meinte. Vermutlich mochte er den Unterricht also doch.

„Was hast du jetzt vor?“, wollte er wissen.

Frediano knurrte leise. „Warum fragst du mich dauernd Sachen, die dich nichts angehen?“

„Weil es mich interessiert?“ Verwundert blickte Landis ihn an, als er im Tonfall einer Frage antwortete, es kam Frediano fast so vor als ob ihm wirklich Nolan gegenüberstand.

„Ich werde mich wahrscheinlich irgendwo einladen... auch wenn mir das nicht gefällt.“

Es sprach komplett gegen seinen Stolz, aber es blieb ihm nichts anderes übrig, so wie er es sah.

„So ein Unsinn!“

Frediano blinzelte verdutzt über die enthusiastische Erwiderung. „Was?“

„Du kommst einfach mit zu mir.“ Es schien Landis tatsächlich ernst zu sein. „Meinem Vater wirst du bestimmt lieber sein als No und meine Mutter mag ja nur deine Mutter nicht, das geht schon.“

„Hast du vergessen, dass wir uns nicht leiden können?“

„Sei nicht so kleinlich. Ich lade dich immerhin ein und springe über meinen Schatten.“

Diese Worte erklärten Frediano, was mit dem Jungen los war, er wollte Oriana beweisen, dass er großmütig sein konnte und nicht so nachtragend, wie sie es ihm stets vorwarf.

Unter anderen Umständen hätte er da nie mitgespielt, aber im Moment war ihm so gut wie alles recht, solange er nicht im Freien schlafen musste oder bei irgendeiner Familie, die ihn nerven würde. Immerhin gab es bei Landis auch noch Richard, den Frediano als recht angenehm im Gedächtnis hatte.

„Fein, aber nur weil du darauf bestehst.“

Landis lächelte zufrieden. „Gut, dann komm.“

Enthusiastisch lief er voraus, Frediano schloss sich ihm gleich darauf an. Er war noch nie bei Landis gewesen, weswegen er schon ein wenig neugierig war, wie es bei ihm wohl aussah. So wie er den Jungen kennengelernt hatte, lebte er mit Sicherheit im Chaos, durch das er sich schlau fühlen wollte, weil er darin Dinge fand, nach denen andere eine Ewigkeit suchen würden.

„Und das ist echt in Ordnung?“, hakte er lieber noch einmal nach.

„Aber natürlich. Meine Eltern sind gewohnt, dass ich ständig jemanden mit nach Hause bringe. Sie werden überrascht sein, dass es dieses Mal du bist, aber das ist schon okay.“

Er warf Frediano ein derart aufrichtiges Lächeln zu, dass selbst dieser für einen Moment vergaß, dass er ihn eigentlich gar nicht mochte. Manchmal besaß Landis doch ein sehr einnehmendes Wesen, das musste selbst Frediano zugeben.

Eine Weile schwiegen sie, bis Landis schließlich etwas sagte: „Deine Tante ist ganz schön furchteinflößend.“

„Wenn sie getrunken hat, ja. Aber ist das nicht normal? Nolans Vater war dann doch sicherlich auch so, oder?“

Landis lachte knapp. „Kieran? Oh, der war manchmal auch ziemlich toll. Du hättest ihn sehen sollen, als-“

Sein Lächeln erlosch augenblicklich, für einen kurzen Moment war sein Blick vollkommen leer, doch in der nächsten Sekunde sah er wieder normal aus. „Worüber haben wir gerade gesprochen?“

„Über nichts.“ Fredianos Neugier war zwar geweckt, aber er bekam das Gefühl, dass es besser war, nicht zuviel nachzuhaken.

Zur Überraschung des Kommandantensohns riss Landis, bei seinem Zuhause angekommen, einfach die Tür auf und polterte hinein, wobei er ein „Ich bin wieder da!“ ins Haus hineinrief. Frediano folgte ihm und dachte dabei daran, dass sein eigener Vater ihm längst eine heftige Strafe für solch ein Verhalten aufgebrummt hätte.

Landis allerdings wurde von Asterea begrüßt, die extra aus der Küche kam. „Na, mein Junge. Wurde es dir draußen zu langweilig?“

„Ein wenig.“

Als er zu Frediano sah, wurde Asterea bewusst, dass dieser auch noch da war. Für einen Augenblick befürchtete der Kommandantensohn, dass sich gleich Abneigung auf ihrem Gesicht spiegeln würde, doch stattdessen lächelte sie. „Hallo, Frediano. Schön, dich zu sehen.“

Wie es die Höflichkeit verlangte, verbeugte er sich kurz vor ihr. „Vielen Dank, dass ich hier sein darf. Uhm, wenn ich darf.“

Er war plötzlich ein wenig verunsichert, aber Asterea nickte. „Natürlich, solange du willst.“

Am Liebsten hätte er sie gefragt, warum sie so nett zu ihm war, wenn sie seine Mutter doch so sehr hasste, aber er sparte sich die Frage, immerhin konnte er spüren, dass es ehrlich gemeint war.

„Vielen Dank.“

Er verbeugte sich noch einmal, worauf sie leise lachte. „Es gibt keinen Grund, so förmlich zu sein.“

Sie wandte sich an ihren Sohn. „Das Essen ist noch nicht fertig, bring Frediano doch bitte in dein Zimmer.“

Landis nickte sofort und ging mit ihm nach oben.

Es war ein sehr einfaches Haus, wie Frediano erwartet hatte – aber es war auch keine Überraschung, in Cherrygrove lebte jeder in sehr einfachen Verhältnissen, die Frediano auch nicht sonderlich störten. Er hatte inzwischen beschlossen, dass er nach seiner Rückkehr nach New Kinging ebenfalls in ein eher einfaches Haus ziehen würde. Die Villa seiner Familie war ihm schon lange zuwider.

Als er in Landis' Zimmer trat, war er sichtlich überrascht. „Es ist... sauber.“

Nirgends lag etwas herum, kein Staub ober Spinnweben waren zu sehen.

„Was hast du denn erwartet?“, fragte Landis.

„Mehr... Unordnung.“ Er machte eine unsichere Handbewegung, die das gesamte Zimmer einschloss. „Aber es ist überraschend sauber und aufgeräumt.“

„Ja, meine Mutter sagt immer, ich soll mein Zimmer sauber halten, dann würde es auch meiner Seele besser gehen.“

Frediano blickte Landis an, doch er wirkte absolut ernst, offensichtlich glaubte er das tatsächlich. „Du liebst deine Mutter sehr, oder?“

Er bemerkte gar nicht, dass das eine Abschätzung ihrer Aussage war, sondern nickte direkt. „Aber natürlich. Also, früher nicht so sehr, aber inzwischen schon. Sie ist immerhin meine Mutter und sie kümmert sich immer um mich.“

Frediano gab es nicht gern zu, aber er beneidete Landis um seine Eltern. Sie waren immer für ihn da und liebten ihn offenbar, das konnte Frediano von seinen Eltern nicht behaupten. Er zweifelte nicht an der Liebe seiner Mutter, aber an der seines Vaters sehr wohl.

Doch statt weiter darüber nachzudenken, trat er an das Bücherregal, das ihn in diesem Zimmer am meisten überraschte. Er hätte nicht erwartet, dass Landis in seiner Freizeit las. Weniger überrascht zeigte er sich von den einzelnen Titeln, die ihm verrieten, dass es sich bei allen Büchern um Abenteuerromane handelte, in denen Helden, Drachen und fremde Länder vorkamen.

„Es ist dir ernst damit, ein Held zu werden, was?“

Landis schien ein wenig verlegen, als er sich durch das Haar strich. „Nicht mehr so sehr, aber ich wäre immer noch gerne ein Held.“

„Warum?“

Es interessierte ihn schon lange, aber bislang hatte er nie gefragt. Es war ihm immer lächerlich vorgekommen, diese Frage zu stellen, niemand sollte glauben, dass er sich wirklich damit beschäftigte. Wenn aber schon sonst keiner außer ihnen da war, konnte er das nachholen.

„Helden sind toll“, lautete die einfache Form der Antwort. „Sie retten Menschen und beschützen Dörfer und jeder liebt sie. Frauen verehren sie, Kinder sehen zu ihnen auf... das ist doch toll.“

Wenn er so sprach, glaubte Frediano tatsächlich, dass die Idee nicht ganz so idiotisch war und Landis das tatsächlich schaffen könnte, wenn er sich Mühe gab. Allerdings verwarf er diesen Gedanken sofort wieder und Landis wohl ebenso: „Gut, was wollen wir jetzt bis zum Abendessen machen?“
 

Um nicht zu viel mit Landis sprechen zu müssen, schlug Frediano ein Kartenspiel vor, bei dem erheblich mehr Konzentration benötigt wurde als bei sonstigen Spielen. Zu seiner Überraschung verstand der Junge die Regeln erstaunlich schnell und war tatsächlich eine heftige Herausforderung für ihn. Ohne Nolan schien Landis sogar recht umgänglich zu sein – genau wie umgekehrt. Ein seltsames Phänomen, wie Frediano fand.

Schließlich wurde es Zeit für das Abendessen bei dem tatsächlich die ganze Familie anwesend war. Irgendwann musste Richard heimgekommen sein und sich unbemerkt sogar umgezogen haben, immerhin trug er seine Uniform nicht mehr. Es war das erste Mal, dass Frediano ihn in seiner Alltagskleidung sah, aber überraschenderweise war er dennoch von einer respektvollen Aura umgeben, die hauptsächlich durch seinen stets ernsten Blick verursacht wurde.

Als er Frediano mit Landis hereinkommen sah, weiteten sich seine Augen allerdings überrascht. „Du bist heute unser Gast?“

„Hat Mama dir das nicht gesagt?“

Asterea stellte die zuletzt hereingebrachte Schüssel ab und lachte verlegen. „Ich kam noch nicht dazu – außerdem hätte Ardy mir das ohnehin nicht geglaubt. Also dachte ich, er soll es lieber selbst sehen.“

„Ist es wirklich-?“

Richard winkte sofort ab, als ahnte er bereits, was Frediano sagen wollte. „Es ist schon in Ordnung. Ich bezweifle, dass du mir erst die Haare vom Kopf frisst und mir dann ein Ohr abkaust, du kannst ruhig bleiben.“

Asterea runzelte missbilligend ihre Stirn. „So wie du über Nolan redest, könnte man meinen, du kannst ihn nicht leiden.“

„Im Moment ist er ja nicht hier“, erwiderte Richard kühl, aber für jeden, der ihn näher kannte – und selbst für Frediano – war in diesem Moment ersichtlich, dass er nicht schlecht über Nolan dachte und nur hin und wieder genervt von dessen Verhalten war, so wie viele andere auch.

Landis und Frediano setzten sich an den Tisch, ehe Asterea ihrem Beispiel folgte und sie alle zu essen begannen.

Der Junge beschwerte sich während der Ausbildung oft über das schlechte Essen seiner Mutter, deswegen war Frediano positiv überrascht, als er feststellte, dass es ziemlich lecker war und er keinen Grund für die Beschwerde fand. Jedenfalls in diesem Moment nicht, es war auch gut möglich, dass sie nur manchmal schlecht kochte – oder nur manchmal gut.

Zumindest an diesem Tag aber schmeckte es besser als das, was seine Tante kochte, wenn sie das denn mal tat.

Das Essen verlief schweigend, erst als sie alle fertig waren und den Tisch abgeräumt hatten, aber immer noch beisammen saßen, wurde wieder geredet.

„Ist denn irgendwas mit deiner Tante, dass du nicht bei ihr essen konntest?“ Richards Stimme klang nicht im Mindesten neugierig, es war eher eine ruhige Professionalität, die darin mitschwang.

Er überlegte, ob er darauf die Wahrheit sagen sollte und entschied sich schließlich dafür: „Sie hat mich vor die Tür gesetzt – wieder einmal.“

Während Richards Miene nach wie vor unergründlich blieb, wandelten sich die von Landis und Asterea; der Junge sah ihn überrascht an, sie dagegen blickte mitleidig.

„Armer Frediano“, sagte sie „Wie ungerecht.“

Sowohl er als auch Richard ignorierten sie.

„Hast du denn etwas angestellt, was das rechtfertigt?“, hakte die Stadtwache nach.

Frediano schüttelte den Kopf. „Nein. Sie hat solche Anfälle öfter mal, wenn sie getrunken hat.“

„Trinkt sie denn viel?“

Das letzte Mal, dass sich jemand so sehr für ihn interessiert hatte, war er bei Oriana gewesen. Ihre Eltern konnten genauso neugierig sein wie Richard, vermutlich hing das mit dem Beruf zusammen.

„Das ist unterschiedlich. Manchmal trinkt sie wochenlang nichts und dann scheint sie alles an einem Tag nachholen zu wollen. Sie kommt wohl über ihr gebrochenes Herz nicht hinweg.“

Den vorwurfsvollen Unterton konnte er sich einfach nicht verkneifen, auch wenn er das eigentlich gar nicht wollte. Er gab nicht Richard die Schuld daran, dass sie so geworden war und er fühlte sich glücklicherweise wohl auch nicht beschuldigt.

„Nun, solche Dinge passieren wohl“, erwiderte er darauf nur. „Und manche zerbrechen daran, so traurig es ist.“

„Hmmm, muss ich jetzt ein schlechtes Gewissen haben?“, mischte Asterea sich wieder in die Unterhaltung ein. „Immerhin hat er Allegra wegen mir nicht geheiratet.“

„Unsinn“, erwiderte Richard sofort. „Ich hätte sie auch nicht geheiratet, wenn du nicht gewesen wärst, egal, was sie getan hätte.“

Einen kurzen Moment erlaubte Frediano sich, in Gedanken zu schwelgen, um sich vorzustellen, wie es aussehen würde, wenn seine Tante und Richard tatsächlich verheiratet wären. Mit diesem Mann als Onkel wäre er sehr zufrieden, aber Landis als Cousin?

Andererseits, vielleicht wäre er dann eine angenehmere Person geworden... oder noch schlimmer.

Bei seiner Familie, so viel war Frediano inzwischen bewusst geworden, konnte man doch nie wissen. Es musste schon ein regelrechtes Wunder sein, dass er selbst bislang nicht zu einem so arroganten Mistkerl wie seinem Vater geworden war.

Ja, Frediano hasste seinen eigenen Vater inzwischen, ungeachtet aller Er-will-nur-dein-Bestes-Aufmunterungen, die Oriana ihm in Bezug auf Dario gab. Das konnte sie eben nur sagen, weil sie ihn nicht – oder nur kaum – kannte.

Aber darüber nachzudenken wurde ihm bald zu müßig, immerhin war Richard nicht sein Onkel, würde es auch nie sein und dementsprechend auch Landis nicht sein Cousin.

„Sonst verstehst du dich aber gut ihr?“, fragte Richard weiter.

Frediano nickte. „Meistens schon. Immerhin ignoriert sie mich oft und solange sie klar ist, kann man auch mit ihr sprechen.“

„Du siehst für dich selbst also keinen Grund, von ihr wegzuziehen?“

„Nicht wirklich. Ich komme immer irgendwo unter, wenn sie mich rauswirft und ansonsten...“

„He, warum ziehst du nicht einfach bei Nolan ein?“, fragte Asterea neugierig.

Sowohl Richard als auch Landis warfen ihr einen gleichermaßen verständnislosen Blick zu. „Wie kannst du so etwas nur vorschlagen?“

Sie erwiderte die Blicke. „Huh? Wieso denn?“

Frediano war im ersten Moment selbst ratlos, doch als ihm bewusst wurde, wovon sie sprachen, lachte er leise. „Ich glaube, Nolan ist ganz froh, wenn er allein ist. So hat er mehr... Zeit für sich.“

Und seine Freundinnen, fügte er in Gedanken hinzu, war doch in ganz Cherrygrove bekannt, dass Nolan in geradezu regelmäßigen Abständen eine neue Freundin fand, die er dann, dank seiner fehlenden Eltern, zu sich mit nach Hause nahm. Diese Freiheit würde er mit Sicherheit nicht gern einfach aufgeben, selbst wenn er das nie zugeben würde, um niemanden zu enttäuschen.

Asterea schien das nicht zu verstehen, zuckte aber nur mit den Schultern. „Na schön, dann nicht. Aber lasst uns mal wenigstens über angenehmere Dinge sprechen, Kinder, wenn wir schon mal zusammensitzen.“
 

Der Abend verging, für Frediano äußerst ungewohnt, indem sie über allerlei triviale Dinge plauderten, wie die Ausbildung bei der Kavallerie und ihre Zukunftsaussichten. Auch bei solchen Dingen bemerkte er wieder einmal, wie unterschiedlich er und Landis doch waren. Während der Junge allerlei hochtrabende Pläne gefasst hatte, die ihn zu einem Helden machen sollten, war Fredianos einziges Ziel der Posten des Kommandanten der Kavallerie.

Aber auch ihre Familien waren vollkommen unterschiedlich. Während Asterea und Richard sowohl ihm als auch Landis versicherten, dass sie ihre Ziele erreichen könnten, hätte Dario dem Jungen einen heftigen Schlag gegen den Hinterkopf versetzt und seinem Sohn dann mitgeteilt, dass er mit seinen derzeitigen Bemühungen niemals Kommandant werden würde und er sich gefälligst mehr anstrengen sollte.

Es war angenehm, mit solchen Leuten den Abend zu verbringen und er stellte fest, dass sie alle nicht so furchtbar waren, wie er gedacht hatte.

Ehe er sich versehen hatte, war es bereits spät geworden und er und Landis hatten sich in dessen Zimmer zurückgezogen, um zu schlafen.

„Also, du kannst mein Bett haben oder den Boden.“

„Der Boden reicht völlig, danke.“

Obwohl das Haus doch größer war als er gedacht hätte, besaß es kein Gästezimmer, so dass ihm nichts anderes übrig blieb als den Raum mit Landis zu teilen. Aber der Gedanke, in dessen Bett zu schlafen, stieß ihn immer noch ab, er wusste einfach, dass er so kein Auge zukriegen würde.

„Gut, Moment.“

Landis öffnete einen Schrank und holte etwas hervor, das nach mehreren Decken aussah, die er geschickt auf dem Boden ausbreitete. „Wenn No hier übernachtet, schläft er inzwischen auch lieber auf dem Boden. Früher haben wir gemeinsam im Bett geschlafen, aber inzwischen haben wir nicht mehr genug Platz darin zusammen.“

Frediano sah zu dem von ihm bislang kaum beachteten Bett hinüber und stellte auch fest, dass es für zwei Personen wesentlich zu klein war. Man müsste schon dicht aneinandergeschmiegt schlafen, um zu verhindern, dass einer hinausfiel.

„So, fertig“, verkündete Landis schließlich und trat einen Schritt zurück. „Ich hoffe, du schläfst gut. Auf dem Boden kann es ziemlich ungemütlich werden.“

Frediano blickte auf den Boden und dann wieder zu Landis. Für einen Moment versank er in einer angsteinflößenden Vorstellung, die erklären würde, warum er eingeladen worden war. „Du willst mich nicht im Schlaf umbringen, oder?“

Der Gefragte sah ihn perplex an, er schien über diesen Vorwurf tatsächlich mehr als nur überrascht. Allerdings überwand er diese Phase rasch.

„Natürlich nicht.“ Seine Stimme klang empört und gleichzeitig amüsiert als ob er sich nicht entscheiden könnte, was von beidem nun angebracht war. „Ich bringe niemanden um.“

Für einen kurzen Moment, der nur einen Wimpernschlag lang anhielt, wurden seine Augen wieder leer, aber noch ehe Frediano sich Gedanken darüber machen konnte, sprach er bereits lachend weiter: „Auch wenn ich dich nicht mag, denke ich, dass du manchmal Hilfe brauchst, genau wie ich. Und ich würde wollen, dass mir jemand hilft, wenn sonst niemand da ist, selbst wenn es nur du bist.“

Dieses Mal war es Frediano, der sich nicht sicher war, was er denken oder fühlen sollte. Sollte er sich ärgern, dass Landis so geringschätzig von ihm dachte? Oder sollte er erleichtert sein, dass Landis es schaffte, erwachsen zu sein und ihm so einen amüsanten Abend ermöglicht hatte?

Schließlich entschied er sich dafür, seine Mundwinkel zu einem leichten Lächeln zu verziehen. „Danke, Landis.“

„Ah, schon gut. Vergiss das nur ja nie. So wie ich mich kenne, werde ich früher oder später bestimmt mal in Schwierigkeiten kommen und brauche dann jemanden, der mich da rausholt.“

„Da gehe ich jede Wette ein. Aber gut, ich werde da sein.“

Auch wenn Frediano in diesem Moment schon wusste, dass es eine äußerst nervige Angelegenheit werden würde. Soviel schuldete er Landis für diesen einen Tag, am nächsten würden sie immerhin wieder Feinde sein – und wenn Frediano so darüber nachdachte, war das auch ganz gut so.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-12-20T17:31:35+00:00 20.12.2011 18:31
Sooo~
Nachdem Animexx gestern Abend ja plötzlich nicht mehr funktionieren wollte (-.-), komme ich jetzt endlich dazu, mal wieder ein Kapitel zu lesen (ich brauche eindeutig wieder mehr Freizeit u_û“). Yay! :D
An der Stelle noch mal ein ganz großes DANKE dafür, dass du wirklich all die OSs geschrieben hast, die ich gerne noch lesen wollte (es ist großartig, an der Quelle zu sitzen, wenn man etwas mag ^^). Ehrlich, du bist zu lieb. Q///Q
Ich freue mich deshalb riesig, mal wieder etwas Zeit zum Lesen gefunden zu haben. <3
Hoffentlich finde ich die Zeit jetzt mal öfter ... wenn ich schon selten ENS beantworte, kann ich dir (und natürlich mir selbst ^^) auf die Art eine Freude machen, right? =3
Aber jetzt mal genug mit dem Gebrabbel, zum Kapitel:

Ich mag den Titel total. <3
Titel, die nach alten Weisheiten klingen, finde ich eh immer toll und dieser hier hat noch dazu irgendwie einen Hauch von Humor, finde ich zumindest, aber zeitgleich ist es so etwas Tiefes. Nun, im Titel ausdenken warst du sowieso schon immer gut. ;)
Also dann, auf ins Getümmel! *anfang zu lesen*

> Es gab wenige Dinge, die Frediano ärgerten.
Hmmm ... ach tatsächlich? Ich dachte eher, dass es viele Dinge gäbe. Da hatte ich wohl ein falsches Bild von ihm. :,D

> Aber jene, die eindeutig dazugehörten, waren Streits mit seiner Tante,
Kann es sein, dass hier wieder mal so eine regionale Sache ist (du weißt ja, ich kenne mich da nicht so aus), aber ich finde, dass „Streits mit der Tante“ komisch klingt, so falsch. Vielleicht ist es auch nur Geschmackssache, ich hätte so was wie „Auseinandersetzungen“ statt „Streits“ oder so. Aber my, so tragisch ist es nicht, ich wollte es nur mal angemerkt haben. :,D
Zu viel Lob kann einem schließlich mal zu Kopf steigen, auch wenn du wirklich gut bist. ;D

> „Gar nichts.“ Landis zuckte mit den Schultern. „Ich dachte nur, ich sollte etwas sagen.“
Lan ist so simpel gestrickt. XD
Hach, was habe ich ihn vermisst. <3

> dass er Landis nun schon den zweiten Tag in Folge ohne dessen besten Freund erblickte.
*gasp* D:
Ich dachte schon erst, sie hätten sich vielleicht gestritten, aber nein, No ist nur ist Jenkan. Puh!
Wie dumm von mir ... also ob die beiden sich je ernsthaft streiten könnten. X3
Haha, genial. XD
Wie Lan Fredis Übernachtungspläne zerstört, indem er ihm offenlegt, dass alle weg sind. Zu göttlich.

> „Hast du vergessen, dass wir uns nicht leiden können?“
Oh my, ich liebe diese ganze Unterhaltung zwischen den beiden. XD
Lan ... ist wirklich zu genial. Aber Fredi mit diesem Kommentar erst recht. Ihr zwei seid mir schon welche. <3

> „Ja, meine Mutter sagt immer, ich soll mein Zimmer sauber halten, dann würde es auch meiner Seele besser gehen.“
Stimmt, den Spruch habe ich schon mal gehört, bezüglich der Unordnung in der Wohnung von Fox, hehe. Stimmt’s, Fox? :D
Fox: Und ich sage dazu nur noch mal: Wer Ordnung hält, der ist nur zu faul zum suchen. u_û

> Ohne Nolan schien Landis sogar recht umgänglich zu sein – genau wie umgekehrt.
Haha, das ist bei guten Freunden auch irgendwie immer so, oder?
Ich meine ... irgendwie benimmt man sich im Kreise seiner Freunde ganz anders, als denn Eltern gegenüber und so. Zumindest fällt mir das bei mir selber immer auf. :,D

> Aber lasst und mal wenigstens über angenehmere Dinge sprechen, Kinder, wenn wir schon mal zusammensitzen.“
Statt „und“ ein „uns“, denke ich? ^^

> Für einen Moment versank er in einer angsteinflößenden Vorstellung, die erklären würde, warum er eingeladen worden war. „Du willst mich nicht im Schlaf umbringen, oder?“
XDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDDD *lachflash*

Awww, ich liebe es immer noch, deine Kapitel zu lesen. Mir ist mal wieder bewusst geworden, wie lebendig du schreibst. Ich habe es sehr genossen. *___*
Ich fand die Stellen besonders schön, in denen Landis Augen leer wurden, sobald etwas angesprochen wurde, was in Vergangenheit Spuren hinterlassen hat ... noch dazu, wenn diese Vergangenheit kennt, reisst es einen besonders mit. Q___Q
Ansonsten mochte ich sehr, die beiden mal harmonisch miteinander zu erleben. =D
Und das Versprechen, dass Fredi auch für Lan da sein wird, wenn er mal Hilfe braucht, war auch schön. <3
Alles in einem mal wieder ein gelungenes Kapitel, ich habe nichts anderes erwartet. Danke. <3


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