Zum Inhalt der Seite

Abseits des Weges

Erinnerungen sind wie Fragmente
von

.
.
.
.
.
.
.
.
.
.

Seite 1 / 1   Schriftgröße:   [xx]   [xx]   [xx]

Chryssabelle

„Worauf warten wir eigentlich?“

Vielleicht kam die Frage ein wenig spät, aber das nur, weil Landis und Nolan oftmals eine ganze Weile vor der Mädchenschule herumstanden und hinüberstarrten. Während Landis einfach nur die moralische Unterstützung von Nolan darstellte, war dieser dabei, die Schülerinnen zu beobachten, um sich seine Favoritin herauszusuchen. Kenton stellte sich hin und wieder dazu, weil er nichts Besseres zu tun hatte, wie er immer sagte – auch wenn das nicht stimmte – und die beiden gleichzeitig vor Ärger bewahren wollte.

Obwohl Kenton zugeben musste, dass Nolan nicht mehr oft mit den Mädchen auf dieser Schule, die auch als Internat diente, in Konflikt kam. Sein natürlicher Charme war von ihm inzwischen derart geschliffen worden, dass kaum noch ein Mädchen diesem widerstehen konnte. Sein gutes Aussehen und seine offene und sympathische Art taten ihr Übriges dazu.

Seitdem er nicht mehr die Probleme der beiden bereinigen musste, weil sie in keine mehr gerieten, fühlte Kenton sich in der Freundschaft ein wenig überflüssig. Aber je stärker dieses Gefühl wurde desto mehr schien er sich an die beiden zu klammern, ein Verhalten, das ihm selbst unheimlich vorkam, doch er konnte nichts dagegen tun und vernachlässigte sogar seine Studien – nur um so etwas Sinnlosem wie Nolans Brautschau beizuwohnen.

Er wiederholte seine Frage, da offenbar keiner ihm zugehört hatte. Beim zweiten Mal wandte Landis sich ihm zu. Um seine Stirn war ein frischer Verband geschlungen, seine rechte Wange war leicht angeschwollen, offenbar war er an diesem Vormittag wieder in eine Prügelei mit Frediano geraten. Seit dieser mit Oriana verlobt war, geschah das fast täglich, egal wie sehr alle anderen zu vermitteln versuchten. Zumindest Kenton war immerhin felsenfest davon überzeugt, dass die beiden gute Freunde abgeben würden, wenn sie es endlich schaffen könnte, sich zusammenzureißen und über ihre Differenzen hinwegzusehen. Aber das war reines Wunschdenken.

„Nolan wartet auf Chryssabelle“, antwortete Landis. „Er will mit ihr ausgehen.“

Kenton wusste, wer diese Person war, so ziemlich jeder in Cherrygrove kannte die wunderbare Chryssabelle, die als wunderschön und intelligent bekannt war und laut Oriana bewies, dass schöne Menschen es im Leben wesentlich leichter hatten. Kenton konnte das nicht bestätigen und erwiderte ihr deswegen stets, dass Chryssabelle es leicht hatte, weil sie intelligent und fleißig war, aber jedesmal gab Oriana dann nur ein genervtes Seufzen von sich, das ihm sagen sollte, dass er keine Ahnung vom echten Leben hätte.

Sicher, Chryssabelle mochte schön sein, aber er wollte nicht glauben, dass sie die Rabatte beim örtlichen Händler und die Geschenke verschiedener Personen nur deswegen bekam. Zumindest bei ihrem bereits sicheren Platz an der königlichen Eliteakademie von Belldam war er sich allerdings absolut sicher, dass es kein Erfolg war, den sie durch ihre Schönheit errungen hatte.

„Ich glaube nicht, dass das funktionieren wird“, erwiderte Kenton. „Ich bin sicher, dass Chryssabelle mehr Wert auf Intelligenz legt als seine sonstigen Freundinnen.“

Doch Nolan blieb die Selbstsicherheit in Person. Er strich sich durch das Haar und schenkte Kenton sein strahlendstes Lächeln. „Ach, das kriege ich schon hin. Sie wird mir gar nichts abschlagen können und bald schon stehen wir gemeinsam vor dem Traualtar, du wirst schon sehen.“

Kenton griff sich an die Stirn, hinter der wie üblich ein leichtes Pochen eingesetzt hatte. Wann immer er mit den beiden sprach, geschah das über kurz oder lang, manchmal fragte er sich, warum er sich diesem Schmerz überhaupt noch aussetzte – und erschrak jedesmal, wenn ihm keine Begründung dafür einfiel, er aber auch nicht aufhören konnte, seine Zeit mit ihnen zu verbringen, egal wie oft er es sich vornahm.

Er erwiderte nichts mehr darauf, schon allein weil Landis plötzlich auf die Eingangstür der Schule zeigte. „Ah, da ist sie!“

Es war eine Weile her, dass Kenton das Mädchen zuletzt gesehen hatte, zumindest aus der Nähe und ohne andere Schülerinnen um sie herum, aber bei ihrem Anblick konnte er verstehen, dass Nolan sie unbedingt für sich gewinnen wollte. Das leicht gewellte blonde Haar, das ihr bis zu den Ellbogen reichte, erinnerte im Sonnenlicht an Gold, die grünen Augen dagegen weckten in Kenton die Assoziation an tiefe Bergseen mit hohem Kupfergehalt – aber ihre gleichgültige Miene holte ihn wieder in die Wirklichkeit zurück und ließ ihn sich fragen, seit wann er so etwas dachte.

Nolan ging inzwischen auf Chryssabelle zu, immer noch das Selbstbewusstsein in Person. Direkt vor ihr blieb er wieder stehen, lächelte wie gewohnt so charmant wie es ihm möglich war. „Hallo, Chryssabelle.“

Kenton merkte, wie schwer es ihm fiel, sie nicht direkt mit einem Spitznamen anzusprechen. Immerhin konnte er sich also ein wenig beherrschen, das freute Kenton und ließ ihn glauben, dass seine Lektionen nicht ganz umsonst gewesen waren.

Sie musterte Nolan skeptisch. „Ja? Was möchtest du?“

Wieder setzte er sein strahlendstes Lächeln auf, das er in seinem Repertoire fand, ehe er den seiner Meinung nach wohl besten Spruch für Chryssabelle hervorkramte. „Ich beobachte dich schon lange aus der Ferne und fand heute endlich den Mut, dich anzusprechen, um dich zu fragen, ob du mit mir ausgehen möchtest.“

Kenton konnte nicht anders als sich zu fragen, ob das wirklich das Beste war, was Nolan bieten konnte. Gut, ein solcher Satz in Verbindung mit seinem Aussehen und seinem Charme dürfte bei einigen Mädchen Früchte tragen, aber doch sicherlich nicht bei Chryssabelle.

Selbst in dem langen Zeitraum in dem sie ihn nur schweigend ansah, schwand seine Selbstsicherheit kein Stück, er schien vollkommen überzeugt von seinem Erfolg und Landis sah ebenfalls aus als wäre er bereit, jederzeit in Jubelschreie auszubrechen.

Nur Kenton schien in Chryssabelles Gesicht ablesen zu können, was sie antworten wollte. Ihre Lippen kräuselten sich zu einem leichten Lächeln. „Erst wenn deine Intelligenz proportional gleich zu deiner Attraktivität verläuft.“

Also wusste sie, dass Nolan nicht unbedingt als intelligent galt. Landis seufzte bereits enttäuscht, während sein Freund nur verwirrt die Stirn runzelte. „Hä?“

Kentons Kopfschmerzen verschlimmerten sich, als er Nolans Antwort hörte. Er musste sich davon abhalten, zu ihm hinüberzugehen und ihm einen Schlag gegen den Hinterkopf zu verpassen, damit er denselben Schmerz erlitt und sein Denkvermögen vielleicht angespornt wurde. Aber erstens war das nicht Kentons Art und zweitens war Nolan in seinem Leben bereits oft genug von seinem Vater geschlagen worden, da mussten seine Freunde sich dem nicht anschließen.

Chryssabelle musste sich offensichtlich davon abhalten, spöttisch zu lachen, als sie ihm antwortete: „Genau deswegen nicht.“

Ohne noch etwas zu sagen, ging sie an ihm vorbei, während Nolan verwirrt und ein wenig geknickt zurückblieb. Er hatte sehr wohl begriffen, dass er einen Korb bekommen hatte, aber der genaue Grund entzog sich seinem Verständnis. Glücklicherweise war Landis direkt da, um ihn zu trösten – denn Kenton musste seine Aufmerksamkeit auf Chryssabelle richten, die vor ihm wieder stehenblieb, um ihn ebenfalls zu mustern. „Ah, du musst Kenton sein.“

„Das ist vollkommen korrekt“, bestätigte er, wenngleich ein wenig verwundert.

Dass ihm sein Ruf vorauseilte, war für ihn nicht neu. Aus einem ihm unerfindlichen Grund hatte er bereits als Zehnjähriger Liebesbriefchen von den Schülerinnen dieser Schule erhalten. Zwar hatte er sie pflichtbewusst alle durchgelesen, aber sich nie die Mühe gemacht, einen zu beantworten, auch nicht als er älter geworden war und er weniger Briefe bekam, weil die Interessen und Geschmäcker der Mädchen sich verschoben.

Von Chryssabelle war allerdings nie einer dabeigewesen, wenn er sich nicht irrte.

„Wäre es dir möglich, mich zu begleiten, falls es in deinen Zeitplan passt?“

„Aber sicher.“

Er fragte nicht einmal, wohin sie eigentlich gehen wollte und schloss sich ihr direkt an. Sie wartete, bis sie beide außerhalb der Hörweite von Nolan und Landis waren, ehe sie Kenton lächelnd ansah. „Du hast gar nicht gefragt, wohin ich gehen möchte.“

„Der Gedanke überkam mich auch gerade. Also, wohin möchtest du?“

Sie wandte das Gesicht ab und kicherte damenhaft hinter vorgehaltenem Handrücken, ehe sie sich erneut zu ihm drehte. „Eigentlich zu keinem besonderen Ort. Ich brauchte nur einen Vorwand, um ein wenig mit dir zusammen zu sein.“

„Wie bitte?“

Chryssabelle verschränkte die Arme vor ihrem Körper. „Ich weiß, dass du dir denken kannst, was ich meine, du giltst nicht umsonst als sehr intelligent.“

„Wissenschaftliche Intelligenz und emotionale Intelligenz unterscheiden sich voneinander“, erwiderte er automatisch. „Die meisten Genies sind sozial gesehen sehr-“

„Oh, ich weiß, ich weiß“, unterbrach sie ihn ungeduldig. „Aber so schätze ich dich nicht ein.“

Er sah sie an, aber sie hielt den Blick nach wie vor stur geradeaus als ob sie sich nicht darum kümmern würde, dass jemand neben ihr herlief. Er konnte nicht leugnen, dass er sich von ihrem Interesse geschmeichelt fühlte und selbst nicht abgeneigt wäre – schon allein wenn er an all die interessanten Gespräche dachte, die er mit ihr führen könnte, wenn sie miteinander ausgingen – aber gleichzeitig fragte er sich, ob er das Nolan antun könnte. Sicher, für ihn war Chryssabelle eher ein weiterer Erfolg auf seiner Liste, während Kenton doch ein wenig mehr in ihr sah, aber nichtsdestotrotz waren sie Freunde und es gab einfach Dinge, die man sich als solche nicht gegenseitig antat.

Dennoch war in diesem Moment seine Zunge schneller als sein Gehirn, was ein sehr rarer Zustand war: „Gut, dann lass uns zusammen essen gehen.“
 

Dem ersten gemeinsamen Essen folgten viele weitere, bei denen Kenton und Chryssabelle über die unterschiedlichsten Dinge diskutierten. Normalerweise kam er nicht dazu, über derlei Dinge mit anderen zu sprechen. Alle, die er in Cherrygrove kannte, waren eher einfach gestrickt und nicht an so etwas interessiert. Nicht, dass es ihn stören würde, er mochte die Einwohner allesamt, aber manchmal sehnte er sich doch danach, über etwas anderes zu sprechen als darüber, wer über wen schlecht geredet hatte, was Nolan und Landis wieder angestellt hatten oder wie die Ernte ausfallen würde – oder ob Hühner wirklich nicht fliegen könnten.

Dementsprechend entspannend empfand er die Gespräche mit Chryssabelle, noch dazu genoss er es, in ihrer Nähe zu sein und er fand, dass er nicht übertrieb, wenn er sagte, er sei verliebt in sie. Zwar fehlten ihm die berühmten Schmetterlinge im Bauch, aber er sehnte sich geradezu danach, sie wiederzusehen, wenn er nicht in ihrer Nähe war, er wollte sie in die Arme schließen und für immer mit ihr über alles sprechen, was ihm durch den Kopf ging und die Art, wie sie sich ihm gegenüber verhielt, sagte ihm, dass es ihr genauso ging.

Sie passte fast schon zu perfekt zu ihm. Aber eben nur fast.

Es dauerte dann auch nicht lange, bis Nolan dahinterkam, dass Kenton regelmäßig mit ihr ausging. Nahm er es beim ersten Hören noch gelassen auf, da er gerade angetrunken war und eine eigene Verabredung in Aussicht hatte, sah es einige Tage später plötzlich ganz anders aus – und so fand Kenton sich vor einem Nolan mit gerunzelter Stirn und vor der Brust verschränkten Armen wieder, der ihn wütend ansah. „Mir ist zu Ohren gekommen, dass du mit Chryssabelle ausgehst, ist das wahr?“

„Ich habe daraus nie ein Geheimnis gemacht“, antwortete er. „Aber du hast auch nie gefragt.“

Die Ausrede war bescheuert, das wusste er selbst, aber Nolan schien sie dennoch zu akzeptieren, denn er nickte bedächtig. „Das ist allerdings wahr.“

Landis, der das Ganze ein wenig abseits beobachtete, seufzte leise, deutete seinen Freund aber auch nicht darauf hin, dass das nur ein Trick gewesen war.

„Aber du hättest es auch so mal sagen können“, bemerkte Nolan. „Immerhin sind wir doch Freunde.“

„Da bin ich mir gar nicht so sicher“, brummte Kenton, schüttele dann aber sofort mit dem Kopf. „Ich hätte es dir ja schon noch gesagt, ich kam nur nicht dazu, tut mir Leid.“

„Du weißt doch aber genau, dass ich Interesse an Chryssabelle hatte“, erwiderte Nolan in einem vorwurfsvollen Ton.

Kenton seufzte leise. „Nolan, du hast an jedem Mädchen in Cherrygrove Interesse, außer Oriana. Ist das denn fair?“

Tatsächlich nachdenklich geworden, neigte er ein wenig den Kopf. „Na ja, vermutlich nicht... Immerhin bliebe dann ja nur Oriana für dich, Lan und Fredi und das geht auch nicht...“

Zu Kentons Glück kam er nicht einmal auf den Gedanken, dass einer von ihnen seine Freundin oder zukünftige Frau auch in einer anderen Stadt suchen könnte.

„Außerdem passt Chryssabelle doch viel besser zu mir als zu dir“, fuhr Kenton fort. „Denk doch nur an all die schwierigen Dinge über die Chryssabelle reden möchte. Philosophie, Geografie, Geschichte, Biologie...“

Das schien zu wirken. Nolan legte die Stirn in Falten. „Darüber will sie sprechen?“

„Stundenlang und sehr ausführlich“, bestätigte Kenton. „Du hättest nicht viel Freude mit ihr.“

Das überzeugte ihn davon, dass es wohl wirklich besser war, wenn er Chryssabelle einfach aufgab. In einem Anfall von Großzügigkeit nickte er zustimmend. „In Ordnung, du darfst weiter mit ihr ausgehen.“

Während Landis leicht schmunzelte, lächelte Kenton ein wenig. „Danke, Nolan.“

Damit schien für seinen Freund das Thema erledigt, denn er wechselte direkt das Thema und kam auf den Unterricht des Vortages zu sprechen. In knappen und dennoch verwirrenden Worten erzählte er Kenton von dem Thema, das sie durchgenommen hatten und dass er nicht alles davon verstanden hatte und deswegen seine Hilfe bräuchte.

Kenton stimmte zu, dass er ihm am nächsten Tag Nachhilfe geben könnte, ohne überhaupt wirklich verstanden zu haben, worum es ging. Aber im Großen und Ganzen war das in seinem Fall ohnehin egal, es gab kein Thema, in das er sich nicht irgendwie hineinfinden könnte und viele der Dinge, die man in der Kavalleristenausbildung lernte, waren von ihm längst abgehakt worden.

Nolan wollte gerade zu einem weiteren Thema ausholen, als er verstummte und hinter Kenton blickte. Dieser drehte sich ihm und entdeckte Chryssabelle, die ihn abwartend anblickte. „Bist du fertig?“

Er gab ihr zu verstehen, dass er gleich bereit wäre und wandte sich noch einmal Nolan zu. Landis hatte sich inzwischen neben diesen gestellt, er wusste vermutlich, was nun folgen würde.

„Tut mir Leid“, sagte Kenton. „Ich weiß, ich habe gesagt, dass wir heute etwas zusammen unternehmen, aber ich habe doch etwas anderes vor.“

Landis schien Einspruch einlegen zu wollen, aber Nolan winkte ab. „Geht schon klar. Amüsier dich. Wir machen einfach irgendwas allein.“

„Danke. Wir sehen uns morgen.“

Kenton winkte ihnen zum Abschied zu und fuhr herum, um Chryssabelle zu begleiten. Sie nickte seinen beiden Freunden nur knapp zu, dann lief sie gemeinsam mit ihm los.

Für eine Weile liefen sie schweigend nebeneinander her. Das taten sie nicht oft, weswegen Kenton direkt wusste, dass etwas nicht in Ordnung war. „Stimmt etwas nicht?“

Sie seufzte leise. „Mein Lieber, ich frage mich das schon eine ganze Weile: Warum verbringst du deine Zeit mit diesen beiden... Neandertalern?“

Etwas in Kentons Inneren zog sich schmerzhaft zusammen. „Meinst du Landis und Nolan?“

„Ja, die beiden. Sie sind doch wesentlich unter deinem Niveau, findest du nicht?“

Er wusste nicht, was er darauf erwidern sollte, deswegen schwieg er, aber sie nahm das als Anlass, um weiterzusprechen: „Wie hältst du es mit den beiden nur aus? Ich kriege schon Kopfschmerzen, wenn ich nur an sie denke und habe das Gefühl, zu verdummen.“

Er schwieg nach wie vor, hielt den Blick aber ein wenig gesenkt. Er müsste eigentlich widersprechen, für seine Freunde eintreten, das war ihm bewusst, aber er fand einfach keine Worte dafür, denn im Grunde hatte sie ja Recht. Er bekam selbst Kopfschmerzen, wenn er zu lange bei ihnen war und er verzweifelte immer fast, wenn sie seine Erklärungen mal wieder nicht verstanden.

Also warum war er so gerne mit ihnen zusammen und fürchtete sogar, einmal überflüssig für sie zu sein?

Etwa weil er sich in ihrer Gegenwart intelligenter fühlte als sonst?

Weil er sie gerne zurechtwies, wenn sie wieder einmal ihre fehlerhafte Logik zur Schau trugen?

Oder vielleicht doch eher, weil...?

„Oder tust du es, um heimlich über sie zu lachen? Oh ja, das muss es sein!“

Während sie über ihren für sie äußerst logischen Schluss lächelte, blieb Kenton abrupt stehen. Mit zusammengepressten Lippen wartete er, dass sie ebenfalls stehenblieb und sich ihm fragend zuwandte. „Was ist denn?“

„Du kannst so nicht über die beiden sprechen“, brachte er hervor. „No und Lan sind vielleicht nicht die Intelligentesten und ja, sie tun manchmal Dinge, bei denen ich auch Kopfschmerzen kriege, aber sie haben ein gutes Herz. Sie stehen einem bei, wenn jemand Hilfe braucht – und sie schaffen es auf ihre einzigartige Weise immer, einem zum Lachen zu bringen.“

Und das selbst wenn sie beide deprimiert waren und Kentons eigene Probleme ihm da eher unwichtig erschienen. Sie schafften es stets, ihre eigenen Sorgen zu vergessen und ihn wieder aufzumuntern. Deswegen war er gern bei ihnen.

Sie munterten ihn auf, sie standen ihm bei und auch wenn er mit ihnen keine intelligenten Gespräche führen konnte, genoss er die Zeit, die er mit ihnen verbrachte, ohne sich dabei viele Gedanken um das machen zu müssen, was er ihnen sagen würde. Selbst wenn er, aus welchem Grund auch immer, den größten Unsinn redete, der ihm in den Sinn kam, akzeptierten ihn beide nach wie vor und suchten auch von selbst den Kontakt zu ihm.

Er musste unwillkürlich lächeln, als er an sie dachte.

Chryssabelle runzelte verständnislos die Stirn. „Warum verteidigst du die beiden auch noch?“

„Intelligenz ist nicht alles. Es gibt auch noch andere Werte, die im zwischenmenschlichen Bereich zählen – und die beiden haben mehr als genug davon. Kannst du das denn nicht verstehen?“

„Nicht im Mindesten.“ Sie schüttelte mit dem Kopf – und in diesem Moment spürte Kenton eine sonderbare Art von Schmerz in seiner Brust.

Es war heiß und gleichzeitig eiskalt und wollte ihm die Tränen in die Augen treiben. Selbst ohne weitere Erklärung, ohne Recherche, wurde ihm bewusst, dass es dasselbe war, was Landis fühlte, wenn es um Oriana ging – nur, dass Kenton nie gedacht hätte, es selbst einmal spüren zu müssen.

„Du verstehst es also nicht?“, fragte er noch einmal tonlos.

„Nein“, bestätigte sie. „Stört dich das etwa?“

In diesem Moment tat es das tatsächlich, denn als sie das sagte, fiel ihm auf, dass nicht nur er Nolan und Landis stets etwas zu lehren versuchte, sie hatte ihm im Gegenzug beigebracht, was im Leben wichtig war und wofür man Freunde brauchte.

„Tut mir Leid, wir können heute nicht ausgehen.“

„Das dachte ich mir nach deinem Verhalten fast schon“, seufzte sie. „Fein, wenn dir diese beiden geistig Armen wichtiger sind als ich, kann ich dir auch nicht helfen.“

Betont gleichgültig zuckte sie mit den Schultern, auch wenn er an ihrem Gesicht ablesen konnte, dass es sie störte, dass ihm Nolan und Landis wichtiger waren. Offenbar hatte sie auf seine Zustimmung gehofft, als es darum gegangen war, sie zu verunglimpfen.

Doch ehe er etwas sagen konnte, ging sie bereits mit großen Schritten weiter. Er folgte ihr nicht, sondern schlug wieder den anderen Weg ein, um Landis und Nolan zu finden. Es gab mit Sicherheit keine bessere Ablenkung von einem gebrochenen Herzen als die beiden.

Ihm war klar gewesen, dass Chryssabelle keine sonderlich hohe Meinung von den beiden hatte, aber dass sie nicht verstand, was er – und so ziemlich jeder andere – in ihnen sah und sogar annahm, dass er nur bei ihnen war, um über sie zu lachen, das hätte er nicht erwartet.

Natürlich waren Landis und Nolan nicht mehr dort, wo er sie zurückgelassen hatte, aber er wusste, wo er sie suchen musste.

Ein wenig außerhalb der Stadt befand sich ein Baum, dessen mächtiger Stamm derart verzweigt war, dass er an eine menschliche Hand erinnerte und genug Platz bot, dass sich mehrere Menschen darauf niederlassen konnten. Landis und Nolan verbrachten ihre Zeit oft dort, wenn sie nichts anderes zu tun hatten und wie erwartet war dies auch an diesem Tag der Fall.

Die beiden jungen Männer saßen auf den Ästen und blickten sehnsuchtsvoll in die Entfernung, genau wie jedes Mal, wenn sie dort waren. Kenton mochte diese Blicke an den beiden, er bekam dabei immer das Gefühl, dass ihnen die ganze Welt offenstand und sie alles erreichen könnten, was sie sich vornahmen, sogar ihr Vorhaben, Helden zu werden, so lächerlich er es sonst fand.

Seine Schritte verlangsamten sich ein wenig, als er sich dem Baum näherte. Immerhin hatte er zuvor einfach kurzfristig eine Verabredung abgesagt, er könnte es verstehen, wenn sie an diesem Tag nichts mehr von ihm wissen wollten.

Doch Nolan lächelte sofort, als er ihn erblickte. „He, Ken! Was ist aus deiner Verabredung geworden?“

„Nun, es lief nicht sonderlich gut.“

Er wollte nicht über das sprechen, was Chryssabelle gesagt hatte und warum es zu einer kurzen Auseinandersetzung mit ihr gekommen war. Und zu seinem Glück fragte auch keiner der beiden nach. Sowohl Nolan als auch Landis lächelten nur verständnisvoll, sie wussten immerhin beide, wie es war, wenn eine Verabredung nicht sonderlich gut lief, egal welcher der Beteiligten schuld daran war.

„Dann komm rauf, wir bleiben wohl eine Weile hier.“ Nolan, der auf einem der tieferen Äste saß, beugte sich zu Kenton hinunter und streckte ihm die Hand entgegen, um ihm hochzuhelfen.

Er ließ sich nicht lange bitten und ergriff die Hand seines Freundes. Auf dem Baum sitzend, ebenfalls schweigend in die Entfernung starrend, fühlte er sich tatsächlich schon ein wenig besser und es war einer der wenigen Momente, in denen er sich wünschte, dass sich niemals etwas in seinem Leben ändern würde, selbst wenn das bedeutete, niemals seine Ziele zu erreichen.

Doch dass er die Zeit nicht anhalten konnte, wurde ihm alsbald bewusst, auch wenn das nicht nur schlechte Seiten hatte. Zwar verlor er im Jahr darauf Landis, der nach Orianas Hochzeit spurlos verschwand, doch schaffte er es, seine Beziehung mit Chryssabelle neu aufleben zu lassen und mittels des Einfluss ihrer Familie und der Caulfields endlich seine langersehnte Karriere als Berater der Königin von Király zu beginnen. Wie er lernte, konnten Freunde auch dafür gut sein, genauso wie sie einen auch enttäuschen konnten.

Aber auch in seinem neuen Leben in New Kinging, das so ganz anders als sein altes schien, würde er niemals jenen Moment vergessen, in dem er mit seinen Freunden auf diesem Baum gesessen hatte, nachdem ihm endlich klar geworden war, weswegen ihm die Freundschaft mit ihnen so wichtig war.



Fanfic-Anzeigeoptionen

Kommentare zu diesem Kapitel (1)

Kommentar schreiben
Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von: abgemeldet
2012-01-18T00:46:46+00:00 18.01.2012 01:46
Ich hatte recht, nun ist mir mein letzter Kommentar peinlich ... in letzter Zeit kommentiere ich immer so kindisch. *hust* Ich sollte mich mal etwas zurücknehmen. D:
Egal, jedenfalls freu ich mich jetzt auf einen weiteren CV-OS. ♥
Ich muss hier direkt zu Beginn sagen, dass mir der Name Chryssabelle äußerst gut gefällt. Er klingt so edel, weiblich und gleichzeitig irgendwie nach purem fantasy. ♥ Leider habe ich mit Google keine wirklich geeignete Auskunft finden können: Was bedeutet der Name denn? Hast ihn dir selbst ausgedacht oder gibt es den so tatsächlich? Würde mich sehr interessieren. ^^
Jedenfalls hat mich der OS allein schon wegen diesem Namen sehr neugierig gemacht und ich hätte nie gedacht, dass Ken sich tatsächlich schon mal verliebt hat, denn irgendwie passt es nicht ganz zu ihm (zumindest ist so mein empfinden, aber JEDEN kann es irgendwann treffen ^^). Aber gerade darum finde ich es auch schon ziemlich süß, bin gespannt wie sie so ist und wie er sich verhält.
Jetzt aber mal genug Vorrede, ich lese jetzt mal~ *anfang zu lesen*
Oh, aber eins doch noch: Sie sieht sooo hübsch aus! *___*
Aber ehrlich gesagt etwas eingebildet. D:

Hehe, ich mag den Anfang auf Anhieb, wie No sich da eine Favoritin rausfischt. :D

> Sein gutes Aussehen und seine offene und sympathische Art taten ihr Übriges dazu.
Oh ja, No ist schon echt ein toller Mann. ♥___♥

> „Nolan wartet auf Chryssabelle“, antwortete Landis. „Er will mit ihr ausgehen.“
Oha. o___Ô
A-auf solche Frauentypen steht er also ... da kann ich nicht mithalten. :,D
Aber er hat später ja ohnehin Nadia~
Oh ja, wo wir gerade bei Nadia wären (passt jetzt zwar gar nicht hier ein, aber egal): Ich hab ja zumindest schon mal die Story Wie im Märchen optisch angeschaut und komm einfach nicht darauf klar, dass Nadia wie Thalia aussehen soll (was bei mir sehr wahrscheinlich daran liegt, dass es mir schwerfällt verschiedene Charas in ein- und demselben Bild dazu zu sehen, ich habe sie für mich schon so sehr in Irgendwo verinnerlicht), ich hab sie mir irgendwie anders vorgestellt. D:
Das passt hier jetzt wie gesagt gar nicht rein und soll jetzt auch keine Aufforderung sein, es zu ändern (schließlich ist es allein deine Sache, wie deine Charas aussehen sollen ^^), ich wollte es schlicht mal loswerden. ^^
Also weiter~

> dass schöne Menschen es im Leben wesentlich leichter hatten.
Oh jaaa, wie wahr. Absolut wahr. *seufz*
Manchmal hasse ich schöne Menschen deswegen, auch wenn sie nichts dafür können (na ja, im gewissen Sinne schon, könnten sich ja auch nicht so schön stylen XD). D:
Aber man ist immer neidisch auf das, was man nicht hat, was?

Wow, die Beschreibung ihrer Haare und Augen ist toll ... da hat man ein traumhaftes Bild vor Augen. *___*

> „Ich beobachte dich schon lange aus der Ferne und fand heute endlich den Mut, dich anzusprechen, um dich zu fragen, ob du mit mir ausgehen möchtest.“
Awwwwwwwwwwwww~ ♥♥♥
Ich hätte schon ja gesagt, als er auf mich zukam. *Nolan-Fangirlher höher schlägt*
Aber eine sonderlich aufregende "Anmache" ist es nicht gerade. :,D
Dafür jedoch unglaublich süß. =3

> „Erst wenn deine Intelligenz proportional gleich zu deiner Attraktivität verläuft.“
Ui~ Sie ist auf jeden Fall nicht auf den Mund gefallen. ^^
... Au weia, dann auch noch so eine Reaktion von Nolan, die es auch noch total bestätigt. :,D

> schon allein wenn er an all die interessanten Gespräche dachte, die er mit ihr führen könnte,
Echt? Wäre es nicht furchtbar langweilig, wenn der andere genauso intelligent ist? D:
Ich stelle mir das zumindest nicht so toll vor ... wenn meine Freundin genauso dumm wäre wie ich ... oh Gott, das wäre schrecklich. x___X"

> oder ob Hühner wirklich nicht fliegen könnten.
Kiki! ♥

> Die Ausrede war bescheuert, das wusste er selbst, aber Nolan schien sie dennoch zu akzeptieren, denn er nickte bedächtig.
No ist zu naiv und gut für diese Welt. XD

> "Mein Lieber, ich frage mich das schon eine ganze Weile: Warum verbringst du deine Zeit mit diesen beiden... Neandertalern?“
Oh, gemein. D:
So dumm sind No und Lan nun auch wieder nicht ... außerdem fühlt man sich selbst dann doch nochmal um einiges intelligenter. :D
... DAS war jetzt auch gemein, oder? o___Ô

> Etwa weil er sich in ihrer Gegenwart intelligenter fühlte als sonst?
Meine Rede. XD
Aber nein, es ist einfach: Freundschaft! <3 Freundschaft überwindet alle Grenzen.

Awww~ Q///Q
Ken tretet für die beiden ein! Jetzt mag ich ihn noch lieber als vorher. *///*

Wow, die ganzen letzten Abschnitte waren so mitreissend. So was ist ja wieder mal genau nach meinem Geschmack. Ich fand es wirklich schön zu sehen, dass Ken zu Lan und No hält und ihm diese Freundschaft mit ihnen wirklich wichtig ist. Und wie No ihm dann auf den Baum geholfen hat und wie sie dann dort saßen ... dieses Bild war einfach wundervoll. Wundervoll und auch schon episch. Ich habe jetzt nach diesem OS ein angenehm warmes Gefühl im Körper und beneide sie so sehr um ihre Freundschaft.
Verzeih mir, wenn ich immer nur Gutes sagen kann und nie etwas kritisiere, es muss manchmal total künstlich rüberkommen, aber ich sagte auch schon oft genug, dass mir deine Geschichten einfach gefallen und dieser OS zeigte mir wie so oft, warum es so ist. Denn du triffst die Botschaften, wegen denen man ja überhaupt schreibt, so haargenau und passend und setzt es dazu noch gut in Szene.
Egal, was andere sagen, ich bleibe dein Fan. <3

Jetzt aber mal genug der Lobeshymnen, der Kommentar ist mittlerweile schon lang genug. :,D
Aber ich ahnte schon seit ihrem Bild, dass sie so eingebildet war, es war einfach zu eindeutig. Hübsche und intelligente Menschen sind eben nicht immer die besten. Aber sie wirklich hübsch. =3
Nun dann, man liest sich. ^^


Zurück