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Drei weise Affen

nichts sehen, nichts hören, nichts sagen
von

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PROLOG

PROLOG
 


 

Jeder wusste es.

Es war nicht mal ein offenes Geheimnis, er hatte es ja gesagt. Er hatte nicht mehr mit geschlossenem Mund dastehen wollen. Nur weil man es erwartete.

Frei sein.

Marlon hatte früher nicht verstanden, was daran eigentlich so wichtig war.

Normal sein.

Er war normal. Er sah aus wie alle anderen, er sprach und aß und lebte wie alle anderen. Aber wenn es dann darum ging, dass er liebte wie sie. War er nicht normal. Es gab sogar ein eigenes Wort dafür, es gab eigene Schimpfwörter dafür.

Irgendwann fand er sich einfach damit ab, dass er niemals mehr normal sein würde, nicht in diesem Sinne. Nicht wie „sein wie alle anderen“.

Anders.

Ein gutes böses Wort.

Das sagte er auch. Und weil Marlon ein Liebhaber des großen Auftritts war, des Dramas, des Scheinwerferlichts. Sagte er es allen.

Ray war der Meinung, er hätte auch gleich noch sein Testament machen können. Eigentlich sagte Ray es nicht einmal so, und außerdem dachte er es nur. Er dachte: Todessehnsucht, der Junge hat echt Todessehnsucht.

Er sagte nichts. Es ging ihn nichts an. War ihm so egal, wie der Reissack in China und Deutschlands neueste Modelsuche.

Egal.

Er sagte nichts. Er sah weg, weil es ihn nicht interessierte. Gab doch so viele, die darauf herumhacken würden. Todessehnsucht, ja, vielleicht. Aber ohne ihn. Mund halten und wegsehen, blind sein, das war immer das Beste.

Ray vergaß schnell. Weil er schnell vergessen wollte. Bis er in dieser einen Nacht – er war nur leicht betrunken – einen Abstecher gemacht hatte. Dahin, wo man normalerweise nicht ging, schon gar nicht im Dunkeln.

Für Daphne war die Dunkelheit immer ein willkommenes Geschenk gewesen. Unsichtbar sein fiel so leicht, wenn man selbst auch nichts sah. Das war ein bisschen wie das Versteckspiel eines Kindes: Ich sehe dich nicht, du siehst mich nicht.

In der Dunkelheit funktionierte das. Meistens.

Sie nahm eigentlich nicht gern diese Abkürzung, aber sie war schon spät dran und ihr Vater sollte nicht schon wieder enttäuscht sein von ihr, nur weil sie nicht rechtzeitig nach Hause kam.

Natürlich hatte sie von der Sache gehört und… irgendwie war es schon seltsam. Vielleicht auch ganz nett. Wenn die in ihrer Stufe etwas sagten, lächelte Daphne und nickte – bravbravbrav –, aber sie hätte vermutlich auch schreien können, niemand achtete auf sie.

Sie war unsichtbar. Invisible girl.

Sicher war sicher. Sie lächelte und nickte. Sah und hörte und sagte. Nichts. Warum auch? Um vermutlich selbst noch in die Schusslinie zu geraten?

In dieser einen Nacht dachte sie das auch. Sie dachte es und sie verhielt sich wie immer, wie sich jeder Mensch – jeder unsichtbare Mensch – verhalten würde: verstecken.

Natürlich sah sie. Natürlich hörte sie.

Alles.

Sie sah Marlon. Und Ray. Und Felix.

Ganz kurz nur hatte sich Felix gewünscht, mitzumachen. Frust ablassen nannte er das und Frust hatte er genug in der letzten Zeit, ganz klar.

Er dachte es. Kurz. Und dann stellte er sich taub und blind und machte einen großen Bogen um sie alle. Die Bilder blieben in seinem Kopf, die Geräusche in seinem Ohr. Blieben wie festgeklebt.

Felix wollte nicht. Daran denken. Oder helfen. Er wollte einfach nur, dass der Scheiß endlich vorbei war und dass alles wieder normal sein würde.

Ohne Marlon.

Ohne Ray und ohne Daphne.

Aber weil sie nun mal klebten, da wo sie nicht hingehörten, lernte er, damit zu leben. Musste nun mal damit leben.

Felix war taub und blind und stumm.

Bis alles wieder normal sein würde. Und das würde geschehen, er musste einfach nur warten. Einfach abwarten.

EINS

EINS
 


 

Der Gang war voller Schüler, die in die Pause strömten. Trotzdem entdeckte Daphne sie. Ihre Gesichter waren wie Magnete und Daphne war das Eisen, das von ihnen angezogen wurde.

Deshalb sah sie sie in der Menge.

Ray ging etwas abseits, drückte sich an den anderen vorbei, er hatte die Tür schon fast erreicht. Vermutlich würde er gleich hinter das Schulgebäude verschwinden, rauchen.

Dann wusste sie ja, wo sie ihn später finden würde. Der Gedanke schoss Daphne durch den Kopf, ungefragt.

Bei Felix war das schwieriger, aber nur ein bisschen. Sie hatte drei Kurse mit Felix, zwei davon heute. Er war im Eingangsbereich stehen geblieben, Daphne hörte sein Lachen. Und es kam ihr falsch vor. Aber vielleicht interpretierte sie da auch zu viel hinein.

Luka war bei ihm, natürlich, Luka und die ganzen anderen Schulbekanntheiten. Bekannt aus dem ein oder anderen positiven und negativen Grund. Daphne wusste davon. Man bekam viel mit, wenn man unsichtbar war.

Als sie an der Treppe vorbeiging, die nach oben Richtung Sekretariat führte, huschte ihr Blick automatisch zur Heizung an der Wand. Noch so ein Magnet.

Marlon war immer mit allen gut ausgekommen, eigentlich. Marlon war nett und witzig, ganz passabel in Mathe und ziemlich gut in Sport.

Marlon war mit allen gut ausgekommen. Daphne sah noch immer, wie er auf der Treppe stand, auf genau dieser Treppe. Mutig, fand sie. Fand sie immer noch. Und so verdammt leichtsinnig, das sah selbst sie.

An der Heizung stand Freya. Allein. Sie sah so verloren aus. Einsam. Daphne fragte sich, ob sie es schon vorher gewusst hatte.

Und: Wie war das, wenn die bessere Hälfte fehlte?

Am liebsten wäre Daphne zu ihr hingegangen, am liebsten hätte sie gefragt, hätte sie vielleicht sogar in den Arm genommen.

Aber Daphne war Daphne. War unsichtbar. Und Unsichtbare handeln nicht, sie schauen zu. Schauen einfach zu. Oder schauen weg.

Handeln.

Das machten andere.

Daphne wollte weg, wollte raus und vielleicht Vokabeln lernen, vielleicht las sie auch einfach nur noch ein wenig. Die Sonne schien und der Platz am hinteren Teil der Mauer würde warm sein.

Eine Hand packte sie an der Schulter, gerade als sie den Hof halb überquert hatte. Als Felix’ Augen sie anblitzten, über sie hinwegblitzten, wurde ihr ganz anders. Die Hand lag schwer und kalt und heiß auf ihrem Arm, er zerrte sie davon, ohne weiter zu erklären. Und Daphne fragte nicht.

Unsichtbarsein hieß auch: Keine Rechte. Keine Fragen.

Jetzt waren sie außerhalb des Schulgeländes und das war verboten, aber Felix riss sie mit sich. Er war stärker als sie. Und er war mächtiger.

Hinter dem Gebäude stand ein riesiger Baum, ein breiter Stamm und dahinter kamen sie zum Stehen und Daphne war sehr nah dran, einfach los zu schreien, als sie Ray sah. Er lehnte an dem Baum, hatte sich eine Zigarette angesteckt und blinzelte grade mal kurz.

So unnahbar.

Sie standen im Dreieck, Ray direkt am Baumstamm, Felix vor ihm mit dem Rücken zur Schule, Daphne nebendran.

„Ihr wisst… warum ihr hier seid?“ Felix leckte sich über die Lippen, das war ein Tick von ihm; Nervosität.

„Kann’s mir denken“, brummte Ray, paffte den Rauch aus dem Mund, Felix entgegen. „Ich hab dich gesehen. Freitagnacht.“

Gesehen.

Freitag. Nacht.

Daphne schluckte, schluckte ihre Angst hinunter, ihre Unsichtbarkeit. Ihren Schutzschild.

„Was willst du?“, fragte sie, leise, er könnte sie überhört haben, er könnte…

Felix hatte sie gehört. Ray auch. Sie starrten sie an, undurchdringlich und als wäre sie verrückt geworden.

Sie sahen sie an.

„Schweigen“, sagte Felix. Vielleicht fragte er sogar, vielleicht klang er unsicher. „Wir werden nichts davon erzählen.“

Ray hob eine Braue, die Zigarette wippte lose in seinem Mundwinkel, als er lächelte. „Ich misch mich da nicht ein. Garantiert nicht.“

Daphne sah von einem zu anderen. „Aber… ihr habt sie doch auch gesehen. Oder? Die Gesichter, ich meine…“

„Was?“ Felix baute sich vor ihr auf, er war so viel größer. „Was meinst du? Was meinst du, passiert, wenn du zur Polizei gehst? Die werden dich nicht in Ruhe lassen. Die werden mit dir machen, was sie mit der Schwuchtel gemacht haben.“

Schwuchtel. Daphne mochte das Wort nicht, aber sie hielt den Mund, wollte zu Boden sehen, aber Felix hielt ihren Blick fest, gefangen. Du bist nur das Eisen.

„Dann wär das ja geklärt“, murmelte Ray, nahm noch einen Zug, spuckte den Rauch aus und zerdrückte den Glimmstängel im Gras. „Raushalten. Wie immer.“ Er ging, ohne noch etwas zu sagen, die Hände in den Hosentaschen vergraben, schlurfende Schritte. Daphne hörte die Klingel zum Ende der Pause.

Sie bewegte sich kein Stück, Felix stand noch immer da, seine Augen huschten vom Schulgebäude zu Daphne und dann zum Baum, zum Himmel… Er wirkte seltsam gehetzt. Das Ganze ging nicht so spurlos an ihm vorbei, wie er vorgab.

„Kein Wort. Niemals. Okay?“, sagte er schließlich. Daphne nickte nur.
 

Die nächsten Stunden kritzelte Ray in seine Schulbücher, malte Albert Einstein einen Zungenpiercing und dem Mädchen im Englischbuch einen Joint. Er sah so abwesend aus, dass selbst die Lehrer ihn nicht ansprachen.

Dabei war er vollkommen da. Körperlich, geistig. Hörte zu, passte auf, aber… sein Kopf tat weh. Am Wochenende hatte er es wirklich übertrieben mit dem Alkohol, nicht nur einmal. Verdammt, er war müde.

Kaum geschlafen. Die Nächte waren düster geworden, dunkel. Noch dunkler als sonst.

Ray sah auf sein neuestes Kunstwerk hinab. Blut floss über die bedruckten Seiten, tropfte zwischen den Buchstaben hervor. Nur rote Farbe, aber er klappte das Buch trotzdem schnell zu.

Das schlimmste war, dass er eigentlich wusste, dass er es falsch machte. Was er falsch machte. Ihm war so klar, dass er zur Polizei müsste, zu den Bullen rennen und diese Volltrottel anzeigen, die nicht mal so schlau gewesen waren, ihre Gesichter zu verstecken. Als sie…

Einer saß nur zwei Reihen von ihm entfernt. Er war einer der besseren Schüler, großes Maul, aber scharfe Freundin.

Franky.

Wenn Ray nicht solche Kopfschmerzen hätte. Wenn Ray nicht so besoffen gewesen wäre, in der Nacht.

Wenn.

Dann wäre er vielleicht so schlau gewesen, einen anderen Weg zu nehmen. Oder wegzusehen.

Es geht dich nichts an, schrieb er auf die Rückseite seinen Blocks. Wieder und wieder und wieder: Es geht dich nichts an.

Sollten sie ihn doch in Ruhe lassen mit ihrem Scheiß. Mit ihrem Hass und mit ihrer verdammten postpubertären Wut auf Alles und Jeden. Na ja, nicht auf jeden Jeden.

Nur auf Marlon.

Weil er so gut in ihr Muster passte.

Halt dich da raus, schrieb er.

Und: Sie sind dir egal. Egal. Egal.

Die Deutschlehrerin rief Franky auf – Frank hieß er eigentlich – und der sagte etwas, aber Ray hörte nicht hin. Hörte nicht zu, hörte weg. So sollte das sein, so sollte das immer sein. Taub sein, und blind.

Jetzt steckten die Bilder in seinem Kopf. Zwei halten ihn fest, zwei schlagen drauf. So richtig, so fest.

Warum musste er nur unbedingt diesen Weg gehen? Den er sonst auch immer nahm. Warum mussten diese nichts blickenden Affenhirne – sorry für die Tiere – ausgerechnet an diesem Tag ihre überschüssige Energie loswerden? Warum?

Ray rieb sich über die Augen, übers Kinn – musste sich mal wieder rasieren.

Wenn Felix nicht aufgetaucht wäre, wäre alles einfacher gewesen. Vielleicht, vermutlich. Wenn Felix die Klappe gehalten hätte, wäre alles einfacher gewesen.

Ray hatte ihn gesehen, wie er sich an die Hausmauer gepresst hatte, in die Schatten, ähnlich wie er selbst. Das mit dem Mädchen – wie hieß sie noch gleich? – hatte er nicht gewusst. Sie hatte blass ausgehen vorhin. Kalkwandweiß.

Wenn Felix nicht da gewesen wäre – wenn Felix und das Mädchen nicht da gewesen wären, wäre alles einfacher gewesen. Dann hätte er sich zumindest einreden können, dass nichts passiert war.

Nichts.

Nichts.

Shit, Felix. Dieser Arsch.

„Wir werden nichts davon erzählen.“

Schon klar. Er war ja nicht blöd. Und außerdem: Was ging es ihn an, zum Teufel. Ray war nie der Gruppentyp gewesen, der sich einsetzte für die Armen und Schwachen. Er war nicht Robin Hood, verdammt. War er nicht, wollte er nie sein.

Aber.

Marlon.

Er hatte Marlon nicht gesehen, nicht richtig. Sagte er sich. Gehört hatte er ihn. Nur zu gut.

Flüche.

Schreie.

Wimmern.

Und dann.

Nichts.

Nichts. Mehr.
 

Montagnachmittag. Nach dem Training. Sonnenschein, Frühlingswetter, ein bisschen kalt und windig, aber sonst. Ganz gut. Ganz gut alles. Felix schlurfte eher hinter Luka und Panne her, die zwei hatten schon ordentlich an Vorsprung gewonnen, aber er konnte sie immer noch reden hören. Über Maltes miese Verteidigung und Frankys grandiose Kondition.

Nur ganz kurz blickte Felix auf bei dem Namen, nur ganz kurz und er sah, wie Luka mit den Armen in der Luft wedelte, wie Panne den Kopf in den Nacken warf und scheppernd lachte.

Was war denn so lustig?

Sein Knöchel tat weh, umgeknickt war er vorhin, so richtig wie ein Anfänger, wie ein Mädchen auf Absätzen. Er steckte die Hände tiefer in die Hosentaschen und ließ sich noch ein Stück zurückfallen. Bis, bis er die Stimmen seiner besten Freunde nicht mehr verstand.

Über ihm der Himmel. Blau, grau an den Rändern und Wolken, dick und dicht und fliegendfederleicht. Mit der Fußspitze kickte er einen Stein vor sich her und ignorierte den Schmerz dabei, aber wieder kam der Gedanke.

Der böse Gedanke, der in letzter Zeit immer öfter durch seinen Schädel geisterte. Den er versuchte zu verdrängen. Es klappte nicht, natürlich klappte es nicht. Felix war einfach nicht gut darin, Gedanken ungedacht zu lassen.

Sein Hirn war ein einziges Pulverfass. Kam es ihm manchmal vor.

Böse Gedanken.

Hör auf. Damit. Mit dem Fußball. Hör auf.

Böse.

Ihm war kalt, die Jacke hatte Löcher, gerissen von den vielen Stürzen, wenn er und die anderen nichts Besseres zu tun hatten, als Streetsoccer zu spielen. Wo sie doch den Rasen hatten. Lieblingsjacke. Seit Ewigkeiten, an den Ärmel zu kurz inzwischen.

„Felix?“

Luka sah ihn an, stirnrunzelnd, und Panne war irgendwie weg, verschwunden. Sie standen vor Lukas Haus.

„Hm?“

„Ich hab gefragt, ob ich Mathe bei dir abschreiben kann?“

„Bin noch nicht fertig.“ Er hatte gar nicht mitbekommen, wie sie hier gelandet waren, Panne war sicher schon vor fünf Minuten abgebogen. Hatte Luka nichts gesagt?

Warum?

„Oh“, machte er, zog die Stirn in noch tiefere Falten und seine Nasenflügel blähten sich. Felix wusste, was jetzt kommen würde. Wusste es immer. Immer. Er kannte Luka schon länger als sich selbst, dachte er manchmal.

„Ich komm noch mit rein“, sagte er. Grinste. Verhalten, aber breit genug. Und Lukas Gesicht entspannte sich vor Erleichterung. Weil er viel konnte. Sport und Sprachen, da war er gut drin, Chemie und Bio, da kam er klar. Nur wenn’s um Mathe ging.

„Hab ich dir schon mal gesagt, dass du mein Held bist?“, sagte Luka. Verzog die Lippen und zeigte Zähne.

Held.

Autsch.

„Viel zu selten“, meinte Felix, dann drängte er sich an ihm vorbei zur Haustür. „Los, jetzt mach schon.“

Sie machten Mathe – Felix machte Mathe, erklärte es Luka. Versuchte es zumindest. Scheiterte. Und Luka schrieb ab. So lief das.

Freunde. Kumpels. Ewig schon.

„Whoa“, stöhnte Luka dann. „Wozu brauch ich den Scheiß eigentlich?“ Er stöhnte und Felix lächelte und hätte fast angefangen, all das aufzuzählen, wo man Mathe brauchte, aber. Er ließ es dann und Luka wäre dankbar, wenn er es gewusst hätte.

Wenn.

Luka wusste so viel nicht.

Er redete wieder von Fußball und von Jelly. Jelly.

Jelly hier. Jelly da.

Jelly.

Felix hätte fast gelächelt. Vermutlich hätte Luka es sowieso nicht bemerkt, er war ja so verknallt. Lange schon, nach der Abfuhr vor sechs Monaten noch mehr.

„Ey, ich schwör dir, wenn Franky die Frau auch nur schief anguckt. Ich mach ihn fertig!“ Und er klang, als meinte er es wirklich ernst.

„Gegen den hättest du keine Chance“, sagte Felix. Und meinte es wirklich ernst. Trotzdem war es aus ihm einfach rausgerutscht. Hätte gedacht bleiben sollen. Nur ein dummerdummer Gedanke.

„Hä?“ Luka sah ihn an. „Wieso?“

Wieso?

Weil er dich totschlägt. Weil er mit drei anderen kommt und dich totschlägt.

Verdammt. Dümmster, bösester Gedanke. Hello, again.

ZWEI

ZWEI
 


 

Eine Woche danach. Montagvormittag. Französisch in der ersten Stunde, der Tag konnte einfach nicht gut gehen. An Montagen wusste Felix, dass er gar nicht erst aus dem Bett kommen sollte.

Spanisch, erste Stunde. Neben ihm saß Luka, redete wie ein Wasserfall von der geilen Party am Wochenende im Jugendzentrum.

Wie konnte er nur? Am frühen Morgen schon so gut drauf sein?

Igitt. Felix hatte die Kopfhörer in den Ohren, ließ die Musik so laut durch ihn durch schallen, dass alles andere um ihn herum stumm wurde. Und dass alles um ihn herum einen neuen Soundtrack bekam. Bilder übertönte. In seinem Kopf. Er schlief schlecht in letzter Zeit, wachte morgens auf. Mit einem Ruck. Mit Herzrasen, so richtig heftig. Und er schwitzte, dabei war es noch kalt in der Nacht, eiskalt in seinem Zimmer, weil er mit offenem Fenster schlief.

Lag es daran?

Vielleicht sollte er einfach mal das Fenster…?

Etwas berührte leicht, federleicht seinen Arm. Felix zuckte zurück, wollte sich die Stöpsel aus den Ohren reißen und Luka anknurren, dass er noch verdammte zwei Minuten hatte.

Es war nicht Luka. Ganz und gar nicht.

Luka saß noch immer neben ihm, laberte mit Panne irgendeinen Scheiß und sprang dabei andauernd auf die geile Party zurück. Er schien das federleichte Etwas gar nicht zu bemerken.

Sie sah ihn aus großen, hellen Augen an. Daphne hatte ein hübsches, schmales, aber furchtbar blasses Gesicht. Kam ihm vor wie ein Geist.

Sah denn niemand sonst sie?

„Ich muss mit dir reden“, sagte sie leise, viel zu leise für seine Ohren, die gerade noch auf Hardrock eingestellt gewesen waren. Zu plötzlicher Wechsel.

„Was?“, fragte er laut. Viel zu laut.

Jetzt drehte Luka sich doch um. Erst fiel sein Blick auf Felix, dann auf Daphne. Nervös zupfte sie an ihrem Pullover. Nervös war Felix auch. Wollte nicht. Dass Luka ihn mit ihr sah, dass Luka Verbindungen zog, dass Luka…

„Was bist denn du?“, grinste Luka. Herrlich breit und gemein irgendwie. Daphne wurde noch blasser, wenn das überhaupt möglich war.

„Nur mit… Felix reden“, wisperte sie. Tellergroße Augen.

„Ähm. Okay, Nur mit Felix reden, aber kannst du das auch auf später verschieben? Der Gänger ist da.“ Er deutete auf den Mann, der grade hereinkam, die Tasche wie üblich unter den Arm geklemmt, ein bisschen tapsend wie ein Bär.

Bonjour, Messieursdames“, brummte der Gänger, Herr Gänger, Monsieur Gänger. Für eine Sekunde war Felix abgelenkt und als er was zu Daphne sagen wollte, war sie nicht mehr da. Es wäre sowieso nichts Nettes gewesen, vielleicht war es besser so. Sie sollte nicht zu ihm kommen!

Von Französisch ließ er sich nur berieseln, staunte mal wieder, wie gut Luka sprechen konnte und dann so grottenschlecht in Naturwissenschaften war.

Gegen Ende der Stunde bemerkte er es plötzlich. Es hatte zu regnen begonnen, heftig, und der Himmel war fast schwarz jetzt, die Fensterscheibe finster und die ganze Klasse sah er im Spiegel des Glases.

Daphne. Sie war ein weißer Fleck, schimmernd und ganz im Eck, am anderen Ende des Raums. Sie hielt den Kopf gesenkt und ihr Haar fiel über ihre Schultern, es war das einzig Dunkle an ihr und ließ ihre Haut nur noch durchscheinender wirken.

Nie gemerkt. Er hatte sie nie bemerkt, hatte nie gemerkt, dass sie in seinem Französischkurs war. Irgendwie schockte ihn das. Irgendwie.

Auf der Scheibe, nass vom Regen, mit Spritzern und Schlieren, tauchten die Bilder auf. Die Bilder von der Nacht, als es auch so dunkel gewesen war, als es so spät gewesen war. Der Regen wurde zu Blut, das Trommeln der Tropfen zu Schlägen, niederprasselnd.

Schreie.

Gesichter.

Und Ray in den Schatten und Daphne, zusammengekauert hinter einen Mülltonne. Und Felix selbst wollte einfach nur weg sein.

Weg.

Sich in Luft auflösen.

Schreie. Hilfe, Hilf…

„HEY!“ Felix fand nur schwer in die Realität zurück. Luka hatte ihn gegen die Schulter geboxt, dieses Mal stand er vor ihm und seine Brauen bildeten fast eine Linie. „Mann, was ist denn los mit dir zurzeit?“ Kopfschütteln. „Dass du schon am Samstag nicht auf dieser übelst geilen Party warst, ist ne Schande. Jetzt kannst du dir zumindest anhören, wie ich Jelly rumgekriegt hab.“

„Du hast Jelly rumgekriegt?“

Er wollte noch viel mehr sagen. Viel mehr. Viel dummes, dummes, sehrsehrsehr dummes Zeug, das er später bereuen würde, vermutlich. Ziemlich sicher. Da war er beinahe dankbar, als er die Finger wieder spürte, die gegen seine Schulter tippten, sachte.

„Ich… muss… wirklich mit dir reden“, sagte Daphne. Felix nickte nur, drehte sich noch mal zu Luka um.

„Nachher, ja?“

Luka schien angepisst. „Ich schreib jetzt Bio, keine Zeit. Wir sehen uns beim Training.“

Felix sah ihm nach.
 

Das Ansprechen war viel einfacher gewesen, als Daphne erwartet hatte. Relativ leicht und unkompliziert. Das was danach kam, gestaltete sich wesentlich schwieriger.

Sie standen wieder bei dem Baum, in ähnlicher Konstellation, nur war dieses Mal Daphne mit dem Rücken zur Schule und irgendwie gab ihr das einen Hauch von mehr Sicherheit. Eine Möglichkeit zur Flucht.

Sie starrte auf den Boden und ihr Nacken wurde klatschnass, scharrte mit den Füßen ein wenig im Gras herum. Es war wirklich schwer.

„Was jetzt?“, schnauzte Felix. Aber er klang unsicher. Er klang so müde wie Ray aussah und Daphne sich fühlte.

„Ich… ich war…“

Vorhin hatte alles noch so wunderbar geklappt, vorhin. Zu Hause vor dem Spiegel. Sie hatte es geübt, hatte sich in der Nacht einen Text überlegt. Sie konnte doch in letzter Zeit ohnehin nicht schlafen.

Auswendig. Halt dich ans Drehbuch.

Tiefluftholen.

„Ich war im Krankenhaus“, sagte Daphne. Redete dann einfach weiter, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen von Rays plötzlichem Husten, als er sich am feuchten Zigarettenrauch verschluckte. Oder von Felix’ Schweigen.

„Am Samstag war Besuchstag und ich hab gesagt, dass ich eine Freundin bin. Sie wollten mich nicht reinlassen, aber zufällig kam grade seine Schwester raus. Sie heißt Anja, sie studiert schon Physik in Berlin und sie ist extra hergekommen wegen ihm.“ Gut, das war nicht geplant gewesen.

Einfach weiter.

„Sie wollte sich einen Kaffee holen, ist in mich gelaufen und dann hat sie angefangen zu weinen und… und…“ Tief. Luft. holen. Das war doch ganz einfach, sie war schon fast fertig. Nur noch ein paar Worte. Wenige Worte.

„Er liegt im Koma.“

Koma.

Ein eigenartiges Wort. Koma.

Es war still. Nur Regen, platschende, dicke Tropfen auf die Blätter des Baumes, auf ihre Köpfe. Sie waren alle durchweicht, Daphne war sich sicher, auch wenn sie nicht aufsah, auch wenn sie eigentlich nur für sich sprechen konnte.

„Echt jetzt?“, fragte Ray irgendwann. Irgendwann. Er hörte sich an wie eine Krähe mit Erkältung. „Echt jetzt?“

Daphne machte sich nicht mal die Mühe zu nicken. Sie hob nicht mal den Blick vom Boden. Bis. Bis.

Bis.

Felix sprach. Den Mund aufmachte. Und Daphne hatte erwartet, dass er so etwas sagen würde, aber sie hatte doch etwas anderes gehofft. Irgendetwas, nur nicht das.

„Du hast nichts gesagt. Oder?“

Er versuchte es, fest zu klingen und stark, aber seine Stimme zitterte so sehr wie Daphnes Finger. Sie machte sich auch nicht die Mühe, den Kopf zu schütteln. Stand einfach weiter da und spürte kalte Tropfen auf ihrem Rücken.

Schritte. Schritte, die sich entfernten. Dann standen nur noch Ray und sie da. Sie und Ray. Wie erstarrt, alle beide.

„Hast du was gesagt?“, fragte Ray plötzlich. Als wäre er wirklich interessiert daran, als wollte er es wirklich wissen.

„Nein“, sagte Daphne. Jetzt sah sie ihn an. Er sah sie an. Wieder: „Nein.“

Ray bewegte die Lippen, aber sie hörte nicht, was er sagte. Dann, lauter: „Okay. Ist okay.“ Er stieß sich vom Baum ab und als er an ihr vorbeiging, berührte er mit seiner Hand kurz ihre Schulter. Fest und sicher.

Es tat gut. Irgendwie.
 

Damit hatte Ray nicht gerechnet. Mit vielem, aber nicht damit. Gut, vielleicht hatte er es auch nur gehofft und tief tief drin in seinem raucherschwarzen Herzen hatte er es gewusst, geahnt zumindest. Was passierte wenn vier Yetis auf einen einhämmerten wie auf ein Schlagzeug.

Das konnte ja nicht gut ausgehen. Konnte nicht.

Die Schreie. Und Marlon hatte so geschrieen und jetzt. Und jetzt…

Koma, und das wie lange schon, zu lange. Eine Woche, mehr als eine Woche, viel zu lange.

Ray stolperte spät ins Klassenzimmer, seine Englischlehrerin stand hinter dem Pult und offensichtlich war sie heute nicht gut drauf. Er entschuldigte sich nicht einmal, machte sowieso keinen Sinn. Brachte sowieso nichts heraus, kein Wort.

Frau way-too-much-drama halste ihm erst mal eine ordentliche Strafarbeit auf. Egal, die würde er sowieso nicht machen und eigentlich wusste das jeder Lehrer.

Ray machte nichts. Nie. Er war nur noch längst nicht sitzengeblieben, weil er es einfach drauf hatte.

Das wusste auch jeder Lehrer.

Er trottete zu seinem Platz, ließ sich fallen und starrte hinaus in den Regen, vermutlich so, wie die anderen im Raum ihn anstarrten. Nass wie er war.

Langsam kroch der Tag dahin. Der Regen hörte nicht auf, dafür kam noch ein ordentlicher Sturm hinzu. Es sah fast so aus, als wollte Gott ihm etwas mitteilen. Ihnen.

Schwarzer Himmel.

Am Nachmittag zuckte der erste Blitz, gerade als Ray aus dem Schulgebäude trat. Es dauerte lange bis zum Donner, aber trotzdem war es ihm nicht geheuer. Der große Baum hinter der Schule war ein kolossaler Schatten vor dem stäubenden Licht.

Rennen. Renn. Seine Füße trugen ihn wie von selbst, wie von selbst. Ob Marlon auch so gerannt war, ob Marlon hatte fliehen wollen. Fragte er sich.

Ob er hätte… helfen können.

BlitzDonner. Rennen.

Helfen. Wenn er gehandelt hätte, wenn er nicht so stockbesoffen gewesen wäre, verdammt. Verdammte Scheiße! Dann läge Marlon vielleicht nicht im Koma, dann wären da jetzt nicht die Bilder und die Schreie.

Lachen. Ray hörte Schreie und zwischendurch, immer mal wieder, erhob sich ein Lachen in die Nacht, schwang die höhnischen Flügel zum Himmel und stieg über den Schmerz. Über den Schrei.

Lachen und Flüche. Hirnlose, bescheuerte Sprüche.

Vielleicht hätte er helfen können.

Und seine Füße trugen ihn wie von selbst. Von selbst. Er rannte lange, spürte den Regen erst wieder, als er plötzlich zum Stehen kam.

Die Drehtür war groß und glasig. Aus Rays Klamotten tropfte das Wasser auf den Boden und die Frau hinter dem Empfangstresen musterte ihn griesgrämig. Er scherte sich nicht darum. Er scherte sich.

Nie. Um irgendetwas.

Ihm war alles egal.

Und trotzdem. Stand er jetzt hier.

„Was willst du?“, fragte die Frau. Ihre Mundwinkel zuckten halbherzig. „Es ist keine Besuchszeit.“

Ganz kurz nur zögerte Ray. Keine Besuchszeit. „Ich… würde gerne zu…“

„Keine Besuchszeit!“, sagte sie wieder, eindringlicher. „Hab ich doch schon gesagt.“

„Er liegt im Koma, ich möchte ihn einfach nur sehen und…“ Und was? Was dann?

Die Frau runzelte die Stirn. Schüttelte den Kopf, nickte. Versuchte sich noch mal an dem falschen Lächeln, dann. „Der Komajunge? Zu dem kannst du erst recht nicht.“

Na ja, einen Versuch war es wert gewesen.

Ray wollte sich schon wieder umdrehen, dann überlegte er es sich noch mal anders. „Können Sie ihm sagen, dass ich… er…“

Auf ihrem Tisch klingelte ein Telefon. Sie rollte mit den Augen. „Warte kurz… Ja? Du, ich hab jetzt nicht so viel Zeit, ich… was?“ Ihr Blick fiel eindeutig auf Ray, sie fraß ihn fast schon auf. „Ja… okay… nein, ich… ja, bis dann.“

„Können Sie ihm ausrichten…?“, fing Ray noch mal an und es kostete ihn wirklich Überwindung und sie sollte ihn endlich mal aussprechen lassen.

„Komm doch Samstag vorbei und sag’s ihm selbst“, lächelte sie. Echt. Auf ihrem Schneidezahn klebte Lippenstift. Ein echtes Lächeln. „Er ist aufgewacht. Grade eben.“
 

„Warum hängst du auch draußen rum, wenn’s dermaßen pisst, Mann?“ Luka schüttelte den Kopf, drückte ihm seine Tasche in die Hand und schleuderte seine Schuhe in eine Ecke.

Schulterzuckend stand Felix neben ihm. Ihm war kalt, er wollte zurück ins Bett, in seinen Gedanken zerfließen und. Er hatte gerade einfach keinen Nerv für Luka.

„Du verpasst dermaßen was“, sagte der und schmiss sich in den riesigen, alten Sessel, den Felix mal auf dem Sperrmüll gefunden hatte. „Seit Samstag, ey, ich sag dir, Jelly ist verrückt nach mir.“ Zufriedenheit drang aus seiner Stimme.

„Cool“, krächzte Felix. Irgendwie halfen weder der Schal oder der Tee, noch die Tabletten oder die gut gemeinten Ratschläge seiner ganzen Familie etwas. Sein Hals brannte wie Feuer, wenn er sprach, aß, schluckte. Atmete.

„Du sagst es.“ Luka grinste ihn an, Felix setzte sich auf sein Bett und zog die Beine an. Er fror sich bald noch zu Tode.

Während sein bester Freund redete, hörte Felix zu. Das tat er gerne, wirklich, aber. Nicht heute, nicht ausgerechnet jetzt, wo es ihm so schon dreckig genug ging. Und Luka schwärmte nur von Jelly und er klang so verdammt verknallt, verliebt. Seit der Sache mit Mona hatte er ihn nicht mehr so gesehen. Leuchtende Augen und dieses Grinsen, das manchmal zu einem glücklichen Lächeln verrutschte. Er hatte wirklich sein Ziel erreicht, endlich.

Endlich.

„Oh, und sie hat erzählt, dass Marlon – die Schwuchtel, du weißt schon – im Koma war. Ehrlich, der Kerl war auch ganz schön dreist, wie er es gradezu rausgefordert hat, ich mein, was hat er denn erwartet? Dass…“

„War?“

„Hm?“

Plötzlich hämmerte Felix’ Herz furchtbar schnell, furchtbar laut, konnte Luka es nicht hören? Seine Finger krallten sich in die Bettdecke.

Verdammt. Verdammt, warum… jetzt…?

„Du hast gesagt, er war im Koma“, murmelte er heiser. Unterdrückte den Drang zu husten.

„Ja“, meinte Luka, zuckte mit den Schultern, „anscheinend ist er wieder wach, seit Montag oder Dienstag oder so. Hat Jelly gemeint. Weißt du, sie…“

Aus. Stopp. Pause.

Was? War er?

Wach?

Wirklich?

Die wirbelnden Gedanken prallten schmerzhaft an seiner Schädeldecke ab, der Schmerz hinter den Schläfen wurde immer dringender.

Bedeutete das?

Hatte er?

Gesehen?

Marlon. Marlon. Marlon.

„Ich bin müde“, sagte Felix. Mit einem Mal, und Luka sah ihn darauf an, ganz seltsam. Er hob die Augenbrauen, stand aber auf. Felix blieb sitzen.

„Okay.“ Luka klang selten so. So enttäuscht oder verwirrt oder sonst irgendwas. Seltsam eben. Eigenartig. Felix kam sich immer mehr wie ein Freak vor, immer mehr.

„Danke für die Hausaufgaben“, murmelte er, starrte seine eigenen Hände an. „Findest du allein raus?“

„Klar“, meinte Luka. Enttäuscht. Verwirrt. „Dann… wann kommst du wieder in die Schule?“

„Weiß nicht. Die Woche nicht mehr.“

„Hm. Ja… hm. Gute Besserung?“

„Danke. Vielleicht ja am Montag.“

„Montag wäre cool. Der Schuppen ist stinklangweilig ohne dich.“ Vermutlich grinste er jetzt, dieses breite Verwegenheitsgrinsen. Fast hätte Felix aufgesehen, aber er hielt sich davon ab, gerade noch so.

Als er hörte, wie Luka die Haustür hinter sich schloss, ließ er sich auf sein Bett fallen, lang ausgestreckt. Zog sich die Decke bis unters Kinn. Bis über den Kopf.

Freak.
 

Scheiße. Die Sonne schien wieder und Ray fühlte sich ganz einfach scheiße. Felix hatte er seit einer Woche nicht mehr zu Gesicht bekommen und das Mädchen… sie konnte man nicht finden, wenn sie nicht gefunden werden wollte. Weil sie nicht gefunden werden wollte.

Ray sprach nicht viel, nicht oft und wenn doch, dann war es weder besonders sinnvoll, noch besonders nett. Hey, Nettsein kann sich ficken, bringt sowieso nichts.

Aber, na ja. Seit ein paar Tagen, seit einer Weile, da. Da war alles anders. Nicht mal unbedingt wegen der… Sache. Mit Marlon. Nicht unbedingt?

Okay, doch, ziemlich deswegen, aber nicht nur. Auch weil da noch die anderen zwei waren, denen die gleichen Hirngespinste im Kopf herumspukten, die. Plötzlich. Etwas mit Ray gemeinsam hatten.

Das war noch nie so gewesen.

Es jagte ihm eine Heidenangst ein. Und deshalb suchte er nach Felix und dem weißen Mädchen, seit dem Tag, als er im Krankenhaus gewesen war. Sie waren nirgendwo. Dass Marlon wach war, wussten sie vermutlich trotzdem schon längst, die Gerüchteküche kochte. Chilli con Carne.

Sie hatten alle keine Ahnung.

In der zweiten Pause drängte Ray sich wieder durch die Massen vor dem schwarzen Brett. Wieder mal, tatsächlich. Während der ersten Pause hatte er sich dummerweise um diese beschissene Chemieklausur kümmern müssen, sonst hätte er sie vielleicht schon viel früher entdeckt. Viel früher sagen können, dass…

Ja. Was eigentlich?

Manchmal wollte er einfach den Mund aufmachen und brüllen. Die Namen, vier verdammte Namen nur.

Dann wieder wollte er schweigen. Wollte sich ausschweigen. Wollte denken, was die anderen dachten. Irgendwie.

Und jetzt gerade. Reden. Einfach.

Felix kam ihm fast so bleich vor wie die Kleine, der helle Geist. Er hatte einen Schal um den Hals gewickelt und er sah dünn aus, selbst mit Jacke. Dünn und müde. Seine Hände steckten tief in den Taschen, seine Augen hingen auf seinen Schuhen. Krank wirkte er und Ray vermutete, dass er sich was eingefangen hatte. Letzten Montag, beim Regen unter dem Baum. Er hatte aufgeschnappt, dass er danach nicht mehr in den Unterricht gekommen war.

Aber was interessierte es ihn?

Luka stand neben Felix. Panne – Ray hatte keinen Schimmer, wie er wirklich hieß, wahrscheinlich wusste es niemand mehr – auch. Die Jungs waren ziemlich beliebt, einen ziemlichen Ruf hatten sie auch. Säufer. Freitrinker. Partymacher. Stimmungsbringer. Alles schon gehört. Beliebt eben.

Weil er wusste, dass die Unsichtbare unsichtbar bleiben und Felix ihn umbringen würde, wenn er ihn vor versammelter Mannschaft ansprach, wartete Ray. Darin war er eigentlich ganz gut. Weil er das Ziel ja jetzt zumindest vor Augen hatte.

Als es klingelte, ließen sie sich noch ordentlich Zeit, aber Felix ging noch vor seinen Freunden los. Richtung Treppe.

„He!“ Ray sprintete neben ihn.

Felix zuckte zurück, mehr wegen der Leute, weniger wegen dem Schreck.

Shit“, fluchte er, sein Blick schnellte erst zu den anderen, dann wieder zu Ray. Und zurück. Er nahm mehrere Stufen auf einmal, Ray hatte nur wenig Mühe hinterher zu kommen.

„Hast du’s gehört?“, fragte er. „Das mit Ma-…“

„Ja. Ja, hab ich. Was willst du, verdammt?“ Er klang panisch.

„Na ja, ich meine…“, fing Ray an. Unterbrach sich selbst und. Was zum Teufel wollte er eigentlich? Er war doch sonst nicht so.

Sonst war alles egal. Total.

„Was?“, knurrte Felix. Dafür, dass er so fertig aussah und jünger war als Ray und kleiner, wenn auch nur ein paar Zentimeter, konnte er verdammt gefährlich sein.

„Er… Gehst du hin?“

„Wohin?“

„Zu… ihm. Ins Krankenhaus“, murmelte Ray und senkte extra die Stimme wegen diesem Milchgesichtbeliebten. Er war einfach zu rücksichtsvoll für diese beschissene Welt. „Weil… vielleicht…“

„Was?“, schnitt ihm Felix das Wort ab. „Händchen halten? Oder… oder ihm erzählen, dass du alles gesehen hast, dass du…“ Er atmete tief. Das Treppenlaufen hatte ihn mehr angestrengt, als er zugeben wollte. Sah krank aus, der Typ. Wirklich.

Fuck, das… wir haben eine Abmachung, klar?“

Klar, wollte Ray sagen, aber Felix. Er war wirklich in Panik. Starrte zum Fuß der Treppe und redete einfach weiter.

„Ich hab’s schon mal gesagt. Wenn du willst, dass dir das gleiche passiert, dann geh ruhig zu ihm. Und sag was. Und… sei eben der Schwuchtelfreund.“ Ray wusste, dass man Wörter spucken konnte. Er hatte nicht gewusst, dass es Menschen gab, die Wörter kotzten.

Alter. Es war so offensichtlich.

DREI

DREI
 


 

Aufwachen, mit einem Ruck. Mit einem unterdrückten Schrei, mit schwerem Atem, Herzrasen und mit zitternden Fingern. Aufwachen, mit einem Ruck.

Die Sonne war noch nicht mal aufgegangen, und es war Frühsommer. Stellte Ray fest, krallte sich fest in der Bettdecke, hielt sich am rettenden Anker. Vielleicht half es ja, damit er nicht durchdrehte, jetzt gleich. Sofort.

Das Fenster war gekippt, die Vorhänge offen. Von draußen schien ein schmaler Mond ins Zimmer, und Sterne. Es waren so viele. Ray schwang die Füße aus dem Bett, ihm war heiß. Die Laken und sein T-Shirt waren verschwitzt, seine Haare klebten an der Stirn, als wäre er einen Marathon gelaufen. Als er aufstand, schwankte er kurz.

Es war ein seltsames Gefühl. Hier zu stehen, hier zu sein. Den Rahmen umklammernd und starrend. Hinaus, hinaus in die lichtbetrunkene Nacht, obwohl es in ihm ganz dunkel war. So dunkel wie schon sehr lange nicht mehr.

Wie sich Marlon wohl fühlte.

Ray riss das Fenster auf, setzte sich auf das Fensterbrett. Er hatte sein Zimmer im Erdgeschoss, er hatte keine Angst. Und selbst wenn es im fünften Stock gelegen hätte… Seine nackten Beine baumelten über dem Abgrund. Eine Schlucht, die keine war.

So lächerlich.

Wie tief Marlon wohl gefallen war. Fiel.

Die raue Hauswand schabte an seinen Füßen. Er sah hinauf in den Himmel und. Versuchte, Sterne zu zählen. Früher hatte Ray das oft gemacht. Mit seinem Bruder, manchmal mit seiner Schwester und sehr selten hatten sie sogar alle drei draußen gesessen, im Garten. Flüsternd. In der Nacht störte jedes Geräusch irgendwie, in der Nacht wurden selbst Gedanken viel zu laut.

Und noch immer hörte Ray den Schmerz in Marlons Stimme, es war wie ein nie endendes, immer lauter werdendes Echo. Hörte den Schmerz.

Nacht war nicht dazu da, solche Laute zu Ohren zu bekommen.

Es gab nicht viel, woran Ray wirklich glaubte. Aber daran schon. Irgendwie. Alles wurde in der Dunkelheit auf verzerrte Weise klarer. Heller, lauter eben. Man sollte diese Klarheit nicht auch noch herausfordern.

Grillen zirpten.

Ob Marlon sie auch hörte.

Schwuchtelfreund, hatte Felix gesagt. Klar, das ging immer wieder durch die Gänge. Besonders seit dem Outing. Das hatte sogar Ray mitbekommen, trotz all seiner Ignoranz. Marlon hatte sich auf die Treppe gestellt, die Eingangstreppe. Er hatte ein Mikro dabeigehabt – weiß Gott woher – und er hatte nervös ausgesehen. Und entschlossen. Als er den Mund aufgemacht hatte, hatte er geredet und zwar so deutlich, dass man ihn hören musste. In diesem Moment hatten alle nur auf ihn geachtet.

Er war beliebt. Gewesen. Nett und irre drauf. So wie alle eben.

Ray vergrub den Kopf in den Händen. Jetzt war es kaputt. Alles kaputt und er. Er, Ray…

Schuld.

Schuld, es erdrückte ihn fast. Weil er hätte helfen können, weil er etwas hätte tun können, weil. Ihm doch nicht alles egal war.

Gar nichts egal.

Marlon war kaputt. Krank.

Ob er wohl noch lachte.

Das fragte er sich. Fragte sich und sein Herz klopfte so hart und schmerzhaft gefühlvoll und verantwortlich gegen seine Brust. Er musste einfach aufhören, sich etwas vorzulügen. Funktionierte nämlich nicht.

Ray war eigentlich nie gleichgültig gewesen. Er wusste nicht, was genau er war, aber gleichgültig nicht.

Es war an der Zeit, das zu zeigen. Und etwas zu tun.
 

Auf und ab. Daphne ging auf und ab, immer die gleiche Straße entlang, immer an derselben Stelle drehte sie wieder um. Ging zurück. Und machte wieder auf dem Absatz kehrt. Sie machte das, was ihre Gedanken machten: sich im Kreis drehen.

Ja. Nein. Doch, du musst. Nein, ich kann nicht. Falsch, du willst nicht. Ja, verdammt, ich will nicht. Jetzt beweg dich endlich da rein!

Sich im Kreis drehen. Daphne hasste das Gefühl, etwas tun zu müssen. Und noch mehr hasste sie das Gefühl, im Mittelpunkt zu stehen. Ihre Unsichtbarkeit zu verlieren. Es war ihr einziger Schutz, sie wollte ihn nicht aufgeben. Auch wenn so viel auf dem Spiel stand.

Spiel. Alles nur ein Spiel, so kam ihr das Leben manchmal vor. Wie manche damit umgingen, wie mit Wegwerfware, wie mit etwas, das man recyceln konnte. Aber das ging nicht. Leben war so kostbar, so wertvoll, so… schwer, ja.

Der unsichtbare Mantel, den sie trug, machte es leichter. Zumindest hatte Daphne nie die Probleme bekommen, die Marlon hatte. Sie beobachtete nur, hatte immer nur beobachtet und es war doch gut so. Es war doch okay.

Bis jetzt.

Gewissen. Daphne hatte nie gewusst, dass sie das überhaupt jemals brauchen würde. Dass sie für etwas Verantwortung übernehmen müsste. Weil. Sie tat ja nichts.

Die Straße wieder hoch. Und dieses Mal bog sie ab, bog ab in die schmale Gasse, die an der Bank vorbeiführte und dann weiter. Eine Ecke und.

Sie war noch nie hier gewesen. Nicht einmal, als ihr Fahrrad geklaut worden war.

Das Haus hatte vier Stockwerke, einen Keller und eine große Treppe, die zu einer schweren Tür aus dunklem Holz führte. Die Stufen ausgetreten, brauner Sandstein.

Ihr Finger zitterte über der Klingel. Schwebte darüber, sie konnte sich nicht rühren. Konnte weder vor noch zurück. Sie war schon zu weit gekommen, um wieder wegzulaufen. Wieder. Aber so nah am Ziel machte es ihr noch mehr Angst.

Angst. AngstAngstAngst.

„Hallo? Wollen Sie rein?“ Plötzlich war da diese junge Frau, direkt hinter ihr. Daphne zuckte von der Tür zurück. Froh, dass ihr die Entscheidung abgenommen worden war.

Irgendwie.

Sie nickte. Die Frau sah nett aus. Auffallend rotes Haar und ein paar Sommersprossen über der Nase verteilt, eine helle Bluse, Jeans. Selbstbewusst, sie ging aufrecht, lächelte. Drückte einfach auf die Klingel und wartete bis die Tür mit einem lauten Surren entriegelt wurde.

„Wollen Sie Anzeige erstatten?“, fragte die Frau und sie musste einfach eine Polizistin sein, so selbstverständlich ging sie durch die Türen, so bekannt schien sie den Anderen. Die meisten nickten ihr zu, einer drückte ihr eine Tasse in die Hand, rollte mit den Augen und stöhnte: „Es gibt Arbeit, Rote.“

„Bin gleich da“, rief sie ihm hinterher.

Daphne sah zu, durch das Glas hindurch, das den Empfangsbereich vom Rest des Raumes trennte. Da standen ein paar Tische mit Computern und drei Türen, schlicht und weiß, führten irgendwohin.

Die Frau stand wieder da, von der anderen Seite des Glases. Da war ein Tresen, davor verschwand die Absperrung.

„Also. Eine Anzeige? Dann schick ich gleich jemanden zu Ihnen, der…“

„Du.“

„Was?“

„Ich bin noch nicht achtzehn. Sie… können mich ruhig duzen“, sagte Daphne leise. Wusste nicht, woher der Mut kam. Wusste nicht, warum sie mit einem Mal so tun konnte, als wäre sie schon immer sichtbar gewesen.

Die Polizistin lächelte.

„Okay…?“

„Daphne.“

„Okay, Daphne. Willst du…?“

Sie schüttelte den Kopf. Nickte. Zuckte mit den Schultern. Spürte, wie ihr Gesicht immer blasser wurde. Sie hatte kalte Finger.

„Dann“, sagte die Polizistin, die Rote. Wegen der Haarfarbe, natürlich. Sie runzelte die Stirn. „Was willst du denn, Daphne.“ Es klang schön, wie sie ihren Namen sagte. Nicht viele sagten ihn überhaupt.

Unsichtbarkeit. Namenslosigkeit. Nichtexistenz.

„Ich…“, murmelte Daphne. Stockte. Noch konnte sie gehen, noch konnte sie. So tun, als wäre nichts geschehen. Nicht gesehen, nichts gehört, nichts gesagt. Ganz einfach und das Leben würde so weitergehen wie immer.

Das Leben war kein Spiel. Dachte Daphne. Man spielte nicht mit dem Leben anderer. Aber wenn diese Kerle es doch getan hatten, dann. Hatte sie jetzt die Möglichkeit, neue Regeln zu schreiben. Ausgerechnet sie.

Tat etwas.

Die Rote sah sie abwartend an. Geduldig. Und Daphne glaubte, ein Lächeln über ihr Gesicht huschen zu sehen, als sie tief Luft holte.

Der letzte unsichtbare Atemzug. Irgendwie.
 

Tauchen. Es war wie Tauchen. Da waren Fische, seltsame Fische, aber harmlos. Schillernd manche und auffällig, während andere sich hinter Treppenkorallen und in trostlosen Farben versteckten. Aber nur Fische.

Kraken, die langen Arme ausstreckend, tastend, greifend. Tinte spritzend, aber nicht allzu gefährlich, wenn man ihnen nicht zu nahe kam.

Natürlich gab es Haie. Große und kleine, mit rauschuppiger Haut und einem riesigen Maul. Drei Reihen voller scharfer Zähne. Bluthungrig.

Ray kannte sie, kannte sie alle. Mit einigen hatte er sich schon angelegt, mit einigen würde er nicht einmal durchs Telefon sprechen, wenn er Mundschutz trug.

Fische und Anemonen, Seesterne und Delfine, Haie und Wale, Tintenfische. Die Schule war ein Meer, ein Korallenriff.

Und er wusste, wer die größte Gefahr darstellte, die schrecklichste. Wusste, wo sie schwammen. Wusste. Alles. Er hatte Angst vor ihnen.

Unbeteiligt sahen sie aus. Ließen sich treiben mit der Strömung. Es waren wenige, vom Aussterben bedroht. Sie sahen unbeteiligt aus, gehörten zum Wasser, gehörten in diese Welt. Sie übten eine gewisse Faszination aus. Schillernd wie sie waren.

Gefährlich.

RayhatteAngstvorihnen.

Denn sie konnten ihn töten. Ihn. Fische, Kraken, selbst Haie. Ray wusste alles über sie, er war nicht umsonst der Meeresbiologe. Hier, vielleicht in der Zukunft.

Er kannte ihre Namen.

Chris. Aurel. Phileas. Frank.

Eigentlich waren sie in Ordnung. Eigentlich waren sie okay, nicht gerade die Coolsten, die Besten, die Größten. Hingen mal mit der Clique rum, mal mit der, ganz unterschiedlich. Sie waren überall. Nicht gerade unauffällig, aber man kannte sie. Ray kannte sie.

Darum. Wusste er, dass er vermutlich… dass er ziemlich sicher gerade auf seinen Tod zulief. Ihm entgegenschwamm.

Der Tod in Form von Quallen.

Würfelquallen. Die Wespen der See, ein paar Stiche bringen dich um. Ein paar Schläge. Oder auch viele.

Ray war in der Abschlussklasse, Franky auch, Aurel, Phileas und Chris in der Stufe unter ihnen. Vor denen fürchtete er sich also?

Sie standen verteilt, mehr oder weniger, auf dem Schulhof herum. In T-Shirts und kurzen Hosen und Phileas hatte sich seine Sonnenbrille, die er selbst im tiefsten Winter trug, in die Haare geschoben.

Vor denen fürchtete er sich also.

Ray war nie der Mensch für Furcht gewesen. Weil er nie einen Grund dazu gehabt hatte. Wenn einem die Welt am Arsch vorbeiging, drehte man ihr den Rücken zu. Ganz schön mutig, jaja.

Aber er wusste inzwischen zu viel. Wusste, wie es sich anhörte, wenn ihre Fäuste auf Körper trafen. Wusste, wie es aussah, wenn sie angriffen.

Angst. AngstAngstAngst.

So sehr.

Ray war nie der Mensch dafür gewesen. Und egal was auch geschehen mochte: er würde sich niemals davon den Mund verbieten lassen.

„He, Franky“, rief Ray. Quer über den Schulhof. Es konnten ruhig alle mitbekommen, sollten sie. Mussten sie.

Franky drehte sich zu ihm um. Starrte ihn an, die Brauen bildeten eine gerade Linie über den hellen Augen.

„Was?“, fragte er zurück, aber Ray hatte sich schon von ihm abgewandt.

„He, Chris.“

Chris war bekannt dafür, dass er Kraft hatte. Sport als Kernfach. Er hatte sich mit seiner Freundin unterhalten und als er ein „Wer stört?“ quer über den Platz brüllte, konnte Ray sich einer Sache sicher sein: der Aufmerksamkeit der ganzen Schule.

Er spürte die Blicke auf sich und hörte das Tuscheln. Franky runzelte die Stirn, aber er wusste es. Er wusste schon jetzt, was Ray wollte. Was er tat.

„Aurel. Phil“, sagte Ray. Drehte sich einmal im Kreis. Sie standen alle da, um ihn herum und er in der Mitte. Umzingelt. „Wie wär’s, wenn wir mal reden?“

Alle hörten ihn.

„Was willst du, Ramon?“, sagte Franky. Ein bisschen bedrohlich, der Tonfall. Er nannte ihn Ramon. Das tat niemand mehr. Nicht seit der Sache in der Mittelstufe. Das war das wahre Zeichen der Drohung.

Ray wusste, was kommen würde. Es war unvermeidlich, aber vorher. Vorher würde er dafür sorgen, dass die ganze Schule erfuhr, was er von ihnen hielt. Nicht nur von Chris und Konsorten. Von allen.

Er würde dafür sorgen, dass sie wussten, was sie getan hatten.

Was für ein Abgang.
 

Felix fielen ungefähr fünftausend Gründe ein, warum er hier unbedingt weg sollte. Grob geschätzt. Einer davon war, dass er die Schule schwänzte. Ein anderer, dass es sein sozialer Untergang sein könnte. Und dann… viele Gründe auf jeden Fall.

Er hatte sich schon gewundert, dass die Ärzte ihn überhaupt durchließen. Als wäre es ganz normal, dass jemand zu Besuch kam. Am frühen Morgen. Zweimal schon war ein Pfleger durch die Tür neben ihm gegangen, hatte ihn kurz angesehen, aber nichts gesagt. Zweimal schon. Ein Blick auf die Uhr, inzwischen war es Pausenzeit. Er saß jetzt seit Stunden hier.

Was machte Luka grade?

Der Gedanke kam und ging, ganz selbstverständlich und Felix schenkte ihm keine weitere Beachtung. Ausnahmsweise.

Weil.

Was machte Daphne?

Was machte Ray?

Sie waren schon hier gewesen, beide. Waren nie so weit gekommen wie er, hatten nie vor der Zimmertür gesessen und die gegenüberliegende Wand angestarrt. Nie. Aber sie waren bereit dafür gewesen, bereiter als er selbst es je sein würde. Und dabei war er doch der Starke, der Coole, der Felix.

Ray war nur der Unheimliche. Er sollte wahnsinnig gut in der Schule sein, aber er strahlte es förmlich aus. Bleib weg von mir oder ich erschieß dich. Strahlte es aus mit jeder schwarzen Faser seines Körpers.

Aber Ray war auch älter als Felix, vielleicht lag es daran, vielleicht.

Daphne war nur die Unsichtbare. Felix hatte sie vorher nie bemerkt. Sie wollte gar nicht gesehen werden. Manchmal hatte er das Gefühl, dass sie sich da ähnlich waren. Weil es Momente gab, in denen er einfach verschwinden wollte.

Aber Daphne war auch ein Mädchen. Mädchen waren anders und. Felix wollte sich wirklichwirklichwirklich gerne einreden, dass es an ihnen lag. Dass nicht er schuld war an seiner.

Angst. AngstAngstAngst.

Marlon war hinter dieser Tür, nur wenige Meter von dem Platz entfernt, wo Felix auf einem Stuhl saß, der an der hellblauen Wand festgeschraubt war. Er fühlte sich selbst wie festgeschraubt. Nägel in Händen und Füßen. Im Herzen, weil er so ein Schisser war. Vor vielen Dingen hatte er sich schon gefürchtet.

Vor der Dunkelheit, als er noch ein Kind gewesen war. Manchmal war er das heute noch.

Vor Hunden, nachdem der Labrador seiner Nachbarn ihn gebissen hatte. Das war eine vernünftige Angst, eine erklärbare.

Warum hatte er Angst davor, in dieses Zimmer zu gehen?

Er musste doch nur die Tür aufmachen, ging ganz leicht. Er musste nur ein paar Schritte gehen und da war Marlon, in einem weißen Bett. Vielleicht war er so blass, dass er sich kaum von den Laken abhob. Vielleicht waren da Schrammen und blaue Flecken und Verbände, die das Schlimmste verdeckten. Vielleicht schlief er.

Vielleicht war er wach.

Vielleicht.

Er würde es nicht herausfinden. Felix stand auf, langsam. Er würde es nicht herausfinden, wenn er nicht rein ging. Wenn er es nicht zumindest versuchte. Und er würde sich Vorwürfe machen.

Nur ein Versuch.

Vielleicht…

Felix klopfte an die Tür bevor er noch mal drüber nachdenken konnte. Er dachte zu viel nach, das konnte nichts bringen außer Kopfschmerzen.

„Ja?“

Er war wach. Felix starrte die Tür an, die Hand auf der Klinke, kalt und glatt unter seinen Fingern.

Zögerte.

Was wenn…? Könnte er…? Wird…? Wie…?

Nein. Er trat ein.

Marlon saß im Schneidersitz auf dem Bett, auf der Decke. Ja, er trug Verbände. Ja, da waren blaue Flecke, ziemlich große sogar, und Schrammen. Aber er trug auch ein T-Shirt und eine Jogginghose. Und er saß auf dem Bett, nach vorne gebeugt über ein Buch.

Er sah Felix an. Erstaunen breitete sich über seinem Gesicht aus und dann ein leichtes, spöttisches Grinsen, das Felix noch von ihm kannte.

Von früher. Von vorher. Ein Mädchen aus seinem Mathekurs hatte mal gemeint, dass man ja mal Marlons Zähne zählen könnte, wenn er grinste. Er war berüchtigt dafür.

Jetzt gerade grinste er Felix an. Er hatte geglaubt, es zu kennen. Aber da war noch etwas anderes. Etwas, das er nicht benennen konnte.

„Was machst denn du hier?“, fragte Marlon.

Was machte er hier?

VIER

VIER
 


 

Ihre Hände zitterten nicht. Ihre Stimme war ganz klar, ganz ruhig. Ihre Augen fixierten abwechselnd die rothaarige Polizistin und den Mann, der neben ihr saß. Er stellte die meisten Fragen, sah nett aus, Dreitagebart und abgekaute Fingernägel, aber er lächelte. Wie die Rote. Sollte wohl beruhigend wirken, dabei brauchte sie gar keine Beruhigung.

Daphne gefiel das Sichtbarsein.

„Du bist eine wichtige Zeugin“, sagte der Polizist, Kommissar Flug hieß er. Flug. Wie Fliegen. Er sah sie ernst an und sprach erst weiter, als Daphne nickte. „Aber eins muss dir klar sein: das war unterlassene Hilfeleistung – und das ist strafbar.“

Sie nickte. Wieder.

Wusste sie.

Er zögerte nicht, bevor er weiter sprach. Flug redete einfach und Daphne hatte das Gefühl, dass er sie mochte. Dass er sie ernst nahm. „Wenn du also vor Gericht aussagst, dann wird dich die Gegenseite darauf festnageln…“

Gericht.

Es kam ihr vor wie ein schlechter guter Traum, so langsam. Sie hatte sich entschieden, für einen Augenblick ihre Unsichtbarkeit abzulegen und jetzt sah es so aus, als würde sie für immer sichtbar werden. Sie hatte einen Schritt gemacht.

Und hatte eine Lawine losgetreten.

„Sie ist noch minderjährig“, warf die Rote ein. „Wenigstens etwas.“ Sie zwinkerte Daphne zu. Noch nie hatte ihr jemand zugezwinkert.

Seltsames Gefühl.

Diese ganze Sache verselbstständigte sich. Aber vermutlich hatte Daphne auch zum ersten Mal die Fäden in der Hand, oder zumindest einen. Sie hatte ihre Geschichte erzählt, alles berichtet, was in der Nacht geschehen war.

Fast alles.

Felix war nicht vorgekommen, Ray auch nicht. Sie wusste nicht, ob sie damit einverstanden gewesen wären. Wahrscheinlich nicht.

Daphne tat es aber schließlich nicht für sie. Sondern für Marlon. Und für sich selbst, weil sie dann vielleicht endlich wieder in den Spiegel sehen konnte, weil sie dann vielleicht endlich die Chance hatte. Zu leben.

Leben wurde so unterschätzt.

„Dann wär’s das wohl“, sagte Flug. Er stand auf, Daphne zögerte noch einen Wimpernschlag zu lang – Gewohnheit, Gewohnheit – und drückte sich dann auch langsam aus ihrem Stuhl. Schüttelte die Hand des Polizisten, er hatte einen sehr festen, rauen Händedruck und der Ring an seinem Finger presste sich kühl in Daphnes Haut.

Sie lächelte ihn an. Versuchte es.

„Wir melden uns.“ Flug wandte sich zum Gehen, nickte der Roten, ihm zu folgen, aber sie blieb. Bei Daphne.

Eigentlich hieß sie Feldmann, aber der Name erschien Daphne so unpassend. Zu hart, harsch, zu nichtssagend. Sie war der erste Mensch, der sie wahrgenommen hatte. Nicht nur als das kleine Mädchen, minderjährig, sondern. Als Ebenbürtige.

Lange musterte die Rote sie, bevor sie sprach. Auf der einen Seite war das unangenehm, vermutlich weil sie noch nicht ans Angesehenwerden gewöhnt war. Auf der anderen Seite musste Daphne feststellen, dass wahrscheinlich niemand so recht an diese Art von Angesehenwerden gewöhnt war. Und das machte es schon fast normal. Ließ sie sich normal fühlen, so fern das überhaupt möglich war.

„Ich würde dich gerne etwas fragen“, sagte die Rote plötzlich. „Du musst nicht antworten, es… interessiert mich nur.“

Daphne runzelte die Stirn, zuckte mit den Schultern.

„Ich würde… es auch niemandem sagen…?“ Die Polizistin lächelte, sah mit einem Mal etwas unbeholfen aus. Sie hatte große Ähnlichkeit mit einem Teenager in diesem Moment.

„Okay“, meinte Daphne. Ihr Lächeln kam vermutlich genauso unsicher rüber, aber sie war ja auch ein Teenager, da durfte sie das. Sie war hier grade zum ersten Mal in ihrem Leben stark gewesen. Stark. Da durfte sie das.

„Du hast gesagt, dass da noch zwei andere waren. Die den Überfall auch gesehen haben. Warum willst du ihre Namen nicht sagen? Sie könnten helfen, sie könnten… helfen.“

Aus irgendeinem Grund überraschte die Frage nicht.

Wie auch? Flug hatte sie das schon gefragt – er war allerdings etwas strikter bei der Formulierung gewesen – und Daphne hatte daraufhin nur den Kopf geschüttelt. Weil es eine Privatsache war, in gewisser Hinsicht. In verrückter Hinsicht.

„Weil es niemanden etwas angeht“, sagte Daphne deshalb.

„Aber dem Opfer würde es sicher wichtig sein.“

„Es zu wissen, wer noch alles nichts getan hat?“, entgegnete sie zweifelnd.

„Punkt für dich.“ Die Rote nickte. „Trotzdem.“

Daphne überlegte. Weil sie es ja nicht sagen musste, sie konnte auch einfach gehen. Die Worte landeten wohl überlegt auf ihrer Zunge.

„Schüler sind grausam“, sagte sie. „Wenn sie etwas sagen würden, könnte es noch mehr Opfer geben. Und außerdem…“ Wenn Felix und Ray herausfänden, was Daphne so sagte, wären sie stinksauer. Zumindest Felix, dachte sie. Ray war da irgendwie schwer einzuschätzen. Ray war im Allgemeinen schwer einzuschätzen.

„Außerdem?“, hakte die Rote nach. Sie schien wirklich interessiert daran und Daphne überlegte, dass sie sich wirklich den richtigen Beruf gewählt hatte. Auch wenn diese harte-Polizisten-Nummer so gar nicht ins Bild passen wollte.

Sie hat sicherlich eine Waffe.

„Wenn ich sie verrate, zwinge ich sie zu etwas. Es ist ihre Sache. Wenn sie nichts tun wollen, werden sie nichts tun.“
 

Lange stand Felix einfach nur da, tat nichts. Er starrte Marlon an, starrte durch ihn hindurch, versuchte es zumindest. Und Marlon starrte zurück.

Es war die beschissenste Situation, die Felix je erlebt hatte. Je erleben würde. Er stand einfach nur da und atmete und sagte nichts, weil er den Mund nicht aufbekam, weil ihm alles so grässlich Leid tat. Weil er sich nicht traute.

Nach ziemlich langer Zeit, so kam es ihm vor, war es Marlon, der redete. Der „Setz dich“ sagte und zu dem Stuhl nickte, der neben seinem Bett stand. Wieder so ein Krankenhausstuhl, aber gepolstert diesmal, als würde das irgendetwas besser machen. Oder einfacher.

Er setzte sich.

„Was willst hier?“, fragte Marlon. Er klang misstrauisch, Felix konnte es ihm nicht verübeln. Er hätte sich selbst auch keinen Meter über den Weg getraut. Kein Stück. Und kein Lächeln, kein Grinsen, kein Garnichts würde das ändern.

Felix sah auf seine Hände, zwirbelte den Saum seines T-Shirts zwischen den Fingern.

„Nichts“, sagte er erst, zuckte mit den Schultern. Bevor er den Blick hob und zurückzuckte, weil der Andere ihn fixierte mit blauen Augen, so kalt. Eisig.

„Reden“, schob er hinterher, zu hastig, ließ seine Zunge über das eine Wort stolpern. „Nur Reden.“

Marlon zog die Brauen zusammen. Seine Mundwinkel zuckten und das Grinsen blieb, ein Lächeln noch. Fein und herablassend fast. Er lächelte. „Über was?“

Schulterzucken. Auf die Erde starren. Den Kopf schütteln, damit vielleicht ein paar brauchbare Gedanken heraus fielen, einfach so.

Es tut mir leid.

Ohne es zu merken, hielt Felix die Luft an. Seine Hände zitterten mit einem Mal so heftig, dass er sie in seine Jeans krallen musste. Durchatmen. Fehlanzeige.

Tut mir leid.

„Freya kommt jeden Tag vorbei“, sagte Marlon plötzlich. Beinahe schien es so, als wollte er das Schweigen überbrücken, als sagte er nur etwas, um etwas zu sagen. Beinahe so, als wäre er so nervös wie Felix.

Ob er Angst hat vor mir?

„Seit ich wach bin zumindest, jeden Tag nach der Schule. Ein paar von den Mädchen waren auch schon da, aber die bleiben nie lange. Ist ganz gut so, die sind… ziemlich nervig…“

Er stockte.

Von den Jungs war noch keiner da, dachte Felix. Deshalb. Deshalb war Marlon so. Gewissen, es überschwappte ihn, eine Welle von Gewissen. Bitter. Er wollte etwas sagen, wollte wirklich, aber sein Mund war so verdammt staubtrocken und das Schlucken wollte nicht funktionieren und seine Zunge war so schwer und…

„Es tut mir leid“, sagte Felix.

„Ist nicht deine Schuld.“

Ihre Blicke trafen sich. Ja, da war Angst in seinen Augen, und da war Misstrauen. Was er wohl in Felix’ Augen sah, fragte er sich und wollte es sich gar nicht fragen.

„Doch“, beharrte Felix. Sein Herz klopfte. Schmerzhaft schnell. Aber er musste es jetzt sagen, er musste einfach. Sonst würde er sich immer so fühlen, sonst würde er nie… Marlon…

„Quatsch, du…“

„Ich war da.“

Marlon sah ihn an. Langsam, ganz langsam, breitete sich Verstehen auf seinem Gesicht auf. Auf seinem zerschlagenen, farbig schillernden Gesicht. Marlon sah ihn an und verstand, seine Züge erinnerten an eine Statue.

Bewegungslos. Hart.

Aus Stein.

Was?“, sagte er. Wisperte. Es zerschnitt die Luft. Felix antwortete nicht. Besser nicht reden. Nicht mehr, er hatte alles gesagt.

Alles. Gesagt.

„Du warst da?“, wiederholte Marlon, er war schneller vom Bett gesprungen, als Felix reagieren konnte, er stand vor ihm, über ihm, nackte Füße auf dem kalten Boden. Er sah so wütend aus.

„Warum hast du nichts getan? Warum hast du zugelassen, dass…“ Er zog sein T-Shirt ein Stück nach oben und sein Bauch war so nah. Ein Verband, weiß und fest, gebunden bis hoch zu seiner Brust. „… dass das passiert? Warum?“ Marlon packte ihn an den Schultern, grob und fest und Felix wusste, dass er es verdient hatte.

Dann ließ Marlon ihn los.

„Raus“, sagte er, drehte sich weg von ihm. Das war also die kalte Schulter. „Verschwinde.“
 

Ray war nicht gerade klein. Er überragte ohnehin schon den Großteil seiner Stufe um mindestens einen Kopf, aber Franky und Chris gehörten nicht dazu. Pech.

„Was willst du damit sagen?“

Zur Hölle. Der Kerl presste die Wörter zwischen den Zähnen hervor, er stand jetzt so dicht vor ihm, dass winzige Spucketröpfchen auf seiner Nase landeten. Es war egal. Das war im Preis mit inbegriffen. Und irgendjemand musste dafür zahlen. Ray war bereit. Irgendwie.

„Was, Ray? Was?“, knurrte Franky. Noch standen er, Aurel und Phil entfernt von ihm, weiter weg als Chris zumindest. Aurels Augen huschten ständig über die Menge der Schüler, die sich um sie herumgruppiert hatten, tuschelnd, lauschend. Sehend.

Verstehend?

Vor fünf Minuten hatte es schon geklingelt, aber niemand rührte sich. Niemand außer den Jungs in der Mitte. Ray konnte die Gefahr riechen. Sie tropfte wie Regen auf ihn herab, umklammerte wie Wurzeln seine Beine.

Sie hielt ihn nicht vom Reden ab.

„Ihr sollt es zugeben, Chris“, sagte er. „Ich hab euch gesehen.“

Er hätte schwören können, dass sie bleich wurden, Farbe verloren. Die durchschaubaren Gesichter standen ihnen gut.

„Was? Was gesehen?“ Franky klang wie eine alte, kratzige Schallplatte, die hängen geblieben war an genau der Stelle, die Ray am wenigsten leiden konnte. Er wusste es. Sie wussten es alle, nicht nur weil Ray sich sehr deutlich ausgedrückt hatte. Sehr deutlich. Marlons Name war gefallen.

Und deshalb. Zuckte Ray nur mit den Schultern als Antwort.

Und das. War sein Fehler.

Mit Worten konnten sie umgehen, diese Kerle, mit Flüchen und ausgesprochener Wut, sie waren nicht umsonst auf dem Gymnasium. Aber Sprachlosigkeit, stumme, stille Sprachlosigkeit traf Nerven von denen sie nicht einmal etwas geahnt hatten.

Es brauchte keine Minute, dann lag Ray im Dreck. Schmerzen, da waren Schmerzen, aber nicht besonders heftig und er war kein Weichei.

Verdammt!

Frank beugte sich über ihn. Er hatte zuerst ausgeholt, hatte als Erster die Kontrolle verloren. Während Aurel sogar jetzt noch zögerte, Ray hörte seine Stimme durch das Rauschen in seinen Ohren. Blut wie Donner.

„Franky! Scheiße, da… Lehrer!“

Ob er das beabsichtigt hatte? Wenn er ehrlich war, nein. Dass Lehrer sie sehen würden, daran hatte er gar nicht gedacht, aber es konnte ihm doch nur recht sein. Er versuchte, sich hochzustemmen, der raue Asphalt drückte in seinen Rücken, zog an ihm. Halb hatte er sich schon aufgerichtet, da stieß ein Fuß ihn zurück, ließ es wirken wie ein Versehen. In diesem Moment hätte Ray ihm so gerne die Fresse poliert.

Um ihn herum wurde das Getuschel lauter, schwoll zu einem durchdringenden Brummen an und heraus hoben sich wilde Schimpfwörter, von Franky, von Chris, sogar von den Lehrern, die wohl herbeigeeilt kamen, aber niemand nahm wirklich von ihnen Notiz.

Unsichtbar. Sie waren so unsichtbar.

Ohne es zu wollen, dachte Ray an das Geistmädchen. An Felix, an Marlon. Letztendlich sogar an sich selbst. Alles schien irgendwie verbunden zu sein, Knoten auf einer einzigen Schnur.

Ray dachte.

Es tat weh. Er rappelte sich auf, langsam, aber sicher. Franky starrte ihn an, große, blaue Augen, wütend.

„Gib es zu“, sagte Ray. Egal was die anderen taten, sagten, hören wollten. Egal. Es zählte nur dieser Schmerz, der sich durch seinen Körper hämmerte. Nur das.

Gewissen.

„Nein“, sagte Franky wieder. Es klang zornig. Es klang verzweifelt. Und dann – und Ray würde ihn auf ewig für diese Worte verabscheuen: „Der Arschficker hat es doch verdient.“

Ab da dachte Ray gar nicht mehr. Vermutlich besser so.

Entgegen aller Gerüchte, und davon gab es genug, schlug er nicht gerne. Schlagen bedeutete, dass man sich hatte provozieren lassen und Provokation bedeutete.

Interesse.

Nicht egal.

Jetzt.

Nicht.

Mehr.

Egal.

FÜNF

FÜNF
 


 

Tage später.

Sommerlicht schien durch die Fenster und da draußen war die Welt so groß wie selten zuvor. Ray hörte die Vögel oben in der Luft und die Autos unten auf der Straße. Sein Blick klebte auf dem schmalen Streifen Gras, der den grauen Asphalt von dem Straßenkiosk trennte.

Da wäre er jetzt gerne.

Viel zu früh war er hergekommen, stand sich jetzt die Beine in den Bauch. Aber er hätte es keine Sekunde länger in der Schule ausgehalten, war so schnell gerannt wie er nur konnte. Und hatte die Blicke noch Kilometer weiter auf seinem Rücken gespürt. Auf seinem Rücken, den Schultern, den Händen.

Die in seinem Kurs hatten ihn angesehen wie… wie… er wusste nicht einmal ein Wort dafür, es war alles zu seltsam.

Was war er?

Ein Held, nur weil er den Mund aufgemacht hatte?

Ein Schläger, nur weil er etwas getan hatte?

Ein Feigling, weil er nichts hatte verhindern können?

Wer war er? Diese Frage stellte sich zum ersten Mal. Und Ray konnte sie nicht beantworten. Konnte das überhaupt irgendjemand.

Als er Schritte auf der Treppe hinter sich hörte, drehte er sich um. Ihr schien kurz der Atem zu fehlen, sie waren im dritten Stock. Von jedem anderen hätte Ray ein Lächeln erwartet, aufmunternde Worte, die ihr Ziel nur verfehlten. Vielleicht auch ein paar Flüche, weil Ray nicht auf sie gewartet hatte, obwohl sie zusammen hatten herkommen wollen.

Von jedem anderen.

Daphne war nicht jeder andere und Ray erwartete nie etwas. Nicht von ihr, nicht von irgendwem.

Sie stellte sich neben ihn ans Fenster, schien den Himmel zu betrachten, blau über der stahlsteinernen Stadt. Ihre Hände zitterten ein bisschen, schlossen sich um die Kante des Fensterbretts.

„Wie heißt du eigentlich?“, fragte Ray. Kam sich unsagbar dämlich dabei vor. Weil sie doch so viel gemeinsam hatten, erlebt hatten, weil sie… verdammt dämlich.

„Daphne“, sagte sie. Hauchte sie, aus ihrem Mund klang es wie ein einziger Atemzug. Sie lächelte. Ihn an. Sah schüchtern dabei aus, und hübsch. So hellhübsch, hätte er nie für möglich gehalten. Immer noch war sie ein bisschen blass, so um die Nase herum, und durchsichtig wie ein Geist.

Ein stilles Lachen, ein Leuchten in ihren Augen, als sie den Mund öffnete.

„Was ist?“, murmelte Daphne. Gott, der Name passte so gut zu ihr.

Ray zuckte mit den Schultern. Und mit einiger Verspätung antwortete er „Nichts.“.

Sie nickte. Wandte sich wieder dem Fenster zu. War so anders als alle, die er kannte, bemerkte Ray. Nicht nur anders geworden im Lauf der letzten Wochen. Damit wäre er ja klar gekommen.

Anders. Ungewöhnlich wäre wohl der passende Ausdruck. Und damit konnte er nicht umgehen.

„Du bist nicht so für Smalltalk, hm?“, meinte er. Unten auf der Straße fuhr ein Polizeiauto vorbei. Einfach so. Ray spürte, wie sein Herzschlag sich beschleunigte. Der Motor in ihm drin.

„Nein“, entgegnete Daphne schlicht. „Du heißt nicht wirklich Ray, oder?“

Interessanter Themenwechsel, dachte Ray und schüttelte den Kopf. Sie sah noch immer aus dem Fenster, er sah sie an. Noch immer, schon wieder. Keine Ahnung, es fiel ihm nur plötzlich auf.

„Ramon“, sagte Ray. Sagte Ramon. Er hatte den Namen schon so lange nicht mehr in den Mund genommen, dass er ganz vergilbt schmeckte. Einen Nachgeschmack hinterließ.

Es dauerte eine Weile bis Daphne sprach. Und dann zögerte sie mit den Worten, als wüsste sie nicht ganz, wohin damit.

„Auf… dem Schulhof, da… vor ein paar Tagen…“

„Er hat provoziert!“ Ray wusste gar nicht, warum er sich unbedingt verteidigen wollte. „Er hat beschissene Sachen gesagt und…“

„Du hast dich provozieren lassen“, unterbrach Daphne ihn, runzelte die Stirn und wandte sich ihm zu. So plötzlich, dass er nach Luft schnappen wollte. Harte Augen.

„Ich weiß.“

„Gut.“

Schweigen. Bis die dunkle Türe am Ende des Ganges aufschwang und jemand Rays Namen rief. Eine dunkle Stimme und die Augen des Mannes stachen auf ihn ein, als er sich langsam auf ihn zu bewegte. Verflucht, er hatte noch nie in seinem Leben solches Herzrasen gehabt.
 

Tage später.

Und Daphne wünschte sich manchmal wirklich, wieder verschwinden zu können in ihrer Einsamkeit. Nie hätte sie gedacht, dass es auch noch einen Unterschied gab zwischen gesehen und angeglotzt werden.

Wie ein Tier im Zoo.

Es wurde getuschelt, wohin sie auch ging und ihre Blicke klebten an ihr. Wäre es Ray nicht genauso ergangen, hätte sie vermutlich den Verstand verloren.

Manchmal fiel Daphne noch zurück in alte Muster und beobachtete. Wollte beobachten, weil irgendwie funktionierte das nicht mehr richtig, seit sie selbst geradezu verfolgt wurde. Oder sich zumindest so fühlte.

Trotzdem. Waren da immer noch Dinge. Dinge, die sie auffing wie die Sonnenstrahlen, die die letzten Wochen vor den Ferien in ein unwirklich warmes gutes Licht tauchten.

Marlon war immer noch nicht wieder da. Überall kursierten Gerüchte, er wäre gelähmt oder psychisch instabil, aber niemand wusste wirklich etwas. Bis Freya irgendwann die Geduld verlor, es war nicht weiter verwunderlich.

Es war die Pause vor dem Nachmittagsunterricht, die meisten ließen sich den Sommer ins Gesicht scheinen, redeten, aßen, manche machten Hausaufgaben. Daphne saß im Schatten des Schulgebäudes und versuchte, sich auf den Text in ihrem Wirtschaftsbuch zu konzentrieren. Einige Meter von ihr entfernt lachten ein paar Leute aus ihrer Stufe ständig auf, redeten in einer unglaublichen Lautstärke.

Freya war bei ihnen, aber sie blieb still wie gewöhnlich. Ohne Marlon erschien sie immer etwas verloren, seit der Sache mit Ray, Daphne und dem Gericht irgendwie noch mehr.

Daphne verstand nicht genau, wer was sagte, aber plötzlich sprang Freya auf.

„Hört endlich auf mit dem Scheiß!“ Man hörte sie auf dem ganzen Schulhof. „Wenn ihr’s unbedingt wissen wollt: Marlon kommt nächste Woche wieder her. Es geht ihm gut. Er ist nicht krank, er ist verdammt stark.“

Sie atmete. Tief durch.

Um sie herum war es still.

„Wenn ihr ihn einfach besuchen würdet, ihn fragen würdet, wie’s ihm geht, müsstet ihr nicht so einen Schwachsinn erfinden“, zischte Freya. Ja, jetzt war es nur noch ein Zischen, ihre Augen blitzten dabei und ihr Mund verzog sich zu einer hässlich mutigen Kluft. „Aber ihr kommt einfach nicht damit klar, dass er auf Jungs steht.“

Und damit traf sie den Nagel nun mal auf den Kopf.

Freya wirbelte herum und bevor sie davon stürmte, warf sie Daphne noch einen Blick zu. Undeutbar, aber sie nickte, kaum merklich.

Die Anderen brauchten eine Weile bis sie sich erholt hatten. Dann ging das Flüstern los, wie Daphne es nicht anders erwartet hatte. Keine fünf Minuten später setzte Ray sich neben sie. Wie sie es nicht anders erwartet hatte.

„Das hat noch gefehlt“, meinte er.

„Natürlich“, sagte sie wie selbstverständlich, senkte den Blick wieder auf ihr Buch. „Hast du Marlon noch mal besucht?“ Aus dem Augenwinkel sah sie, wie Ray den Kopf schüttelte.

„Ich glaube nicht, dass er uns sehen will.“

Der Text sagte irgendetwas von der Wichtigkeit der Ausbauung internationaler Wirtschaftbeziehungen, aber Daphne verstand kein Wort mehr. Resigniert seufzend klappte sie das Buch zu, musterte Ray von oben bis unten. Er sah anders aus als sonst, heller irgendwie. Und obwohl Pause war, hing er nicht in der Raucherecke herum. Der Glimmstängel fehlte auf eine seltsame Art und Weise.

Ray ohne Zigarette. Wie Freya ohne Marlon.

„Ich glaube, dass Felix bei ihm war“, sagte Daphne. Sie hatte lange darüber nachgedacht, warum Felix noch verschlossener wirkte als normalerweise. Ihr und Ray gegenüber zumindest, er klebte förmlich an Luka und Panne und seinen anderen Kumpels. Lachte viel.

Es sah grässlich falsch aus.

Ray runzelte die Stirn. Er hatte ihr erzählt, was er über Felix dachte. Eigentlich hielt er nicht besonders viel von ihm. Felix hatte nicht gegen Franky und Chris ausgesagt.

Feigling. Manchmal war es so offensichtlich, was Ray gerade im Kopf herum ging.

„Dann hat er ja doch was getan“, grinste er, freudlos.

„Es war ziemlich mutig.“

Überrascht hob er die Brauen. „Mutig? Und was waren dann wir, du und ich?“

„Spiel dich nicht so auf“, wies Daphne ihn ruhig zurecht. „Für ihn war es mutig.“ Sie zögerte. „Und er sieht verändert aus.“

Ziemlich weit von ihnen entfernt saß Felix, Ray warf ihm einen abfälligen Blick zu. Fast wäre Daphne wütend geworden; manchmal verstand sie ihn einfach nicht.

„Ramon…“

Er unterbrach sie harsch. „Weißt du, ich kapier diesen Kerl nicht. Er tut so cool und als wären er und seine Freunde der Mittelpunkt des Universums. Aber er kriegt die Klappe nicht auf und deshalb kriegen wir alles ab. Wir, Daphne, wir zwei…“

Sie verstand ihn einfach nicht. Sie hätte nicht gedacht, dass er mit der geballten Aufmerksamkeit so schlecht umgehen konnte.

Aber das war das Opfer, das sie geben mussten. Auch wenn Daphne es eher als Geschenk ansah.

Denn eigentlich – eigentlich, ja – gefiel ihr ihre Sichtbarkeit ganz gut. Freya hatte ihr zugenickt. War ein gutes Gefühl gewesen.
 

Stunden später.

Nur Stunden. Felix’ Zimmer kam ihm von Tag zu Tag mehr wie ein Gefängnis vor. Wie eine Falle, wenn er hier saß, mit Luka und Panne. Er versuchte wirklich, nicht an Marlon zu denken. Oder an Ray oder Daphne. Er versuchte es.

Aber.

„Ich find es immer noch krass“, sagte Panne, hob den Kopf von der Geschichtsaufgabe, die er grade beantwortete. Luka zerbrach sich den Kopf an der französischen Übersetzung und Felix löste Mathe. Wollte zumindest.

Verdammt.

„Schon“, murmelte Luka, kaute am Ende seines Stifts herum. Er hörte gar nicht richtig zu.

„Ich meine“, redete Panne weiter und löste sich endgültig vom Absolutismus. Stürzte Felix ins Verderben, ohne es auch nur ansatzweise zu bemerken.

„Ray kennt Marlon doch gar nicht. Ist im Abschlussjahrgang, dem könnte der doch am Arsch… also, der interessiert den doch gar nicht.“ Er zuckte mit den Schultern, runzelte die Stirn. „Er hätte nichts sagen müssen. Und dieses Mädchen, diese… wie heißt die noch mal? Egal, die jedenfalls auch nicht.“

„Die ist bei uns in Französisch“, sagte Luka. Legte seinen Stift weg, er sah genervt aus. „Könnten wir uns jetzt wieder darauf konzentrieren? Wegen dem Schwuchtelgerede lass ich mir nicht meine Note versauen.“

Panne sah ihn lange an, als wollte er noch etwas erwidern, verdrehte dann aber zu Felix gewandt die Augen, grinste und widmete sich wieder Geschichte.

Fünf Minuten, länger hielt Felix es nicht mehr aus. Die Zahlen ergaben zum ersten Mal seit Jahren keinen Sinn mehr, die Formeln wirbelten durch seinen Kopf wie in einem Windkanal. Er rappelte sich auf, murmelte etwas von wegen „was zu trinken holen“. Stürzte aus dem Zimmer und die Treppe hinunter in die Küche.

Seine Hände zitterten, seine Beine waren weich wie flüssiges Wachs, bebend und schwach und heiß.

Feigling, rauschte der Wasserhahn, als Felix ihn aufdrehte und kaltes, eiskaltes Wasser in ein Glas fließen ließ.

Verräter, brummte der Kühlschrank. Lügner.

MarlonMarlonMarlonMarlonMarlonMarlonMarlonMarlonMarlon…

Das Glas rutschte aus seinen Fingern, zerschlug klirrend auf den Fliesen. Die Scherben glitzerten im Licht, das durch das Fenster fiel, das Wasser drum herum glänzte matt wie ein ungeputzter Spiegel.

Felix krallte sich an der Küchenzeile fest. Die Arbeitsplatte war sein Anker, die Welt um ihn verdrehte sich und er… er… starrte auf die Glasscherben am Boden.

Scherben.

„Warum hast du nichts getan? Warum hast du zugelassen, dass das passiert? Warum?“ Warum, warum. Er wusste es doch selbst nicht, wusste nicht, warum. Wusste nicht, was ihn so verrückt machte in den letzten Wochen. So verrückt, dass er nicht mehr wusste, wo oben war, wo unten.

Wusste nichts mehr.

Freak, schrie sein Kopf. FREAK.

Ob Marlon wohl das gleiche…?

„He, Mann, du brauchst ganz schön lang zum… was ist denn hier passiert?“ Luka stand vor ihm, vor den Scherben, runzelte die Stirn.

„Nichts“, meinte Felix nur. Hätte besser die Klappe gehalten, weil seine Stimme ganz kratzig klang, ganz rau und heiser. Lukas Gesicht verzog sich noch mehr.

„Wirst du schon wieder krank?“, fragte er, kam noch ein paar Schritte näher, bis Felix die Hände hob – schwankte, hoffentlich nicht zu auffällig – und ihn stoppte.

„Schon gut“, sagte er, hastig, haspelnd. „Du… pass bloß auf.“

Nicht näher.

„Ich bin kein Mädchen, Alter“, schüttelte Luka den Kopf und grinste verhalten. Es sah so verdammt falsch aus in diesem Moment. „Die paar Scherben…“

„Ich mach das schon!“ Er machte einen großen Schritt über die Pfütze hinweg und sah sich unkonzentriert nach der Kehrschaufel um, die musste doch hier irgendwo sein. Irgendwo, sicher.

„Du bist komisch in letzter Zeit“, meinte er plötzlich. Felix blieb stehen, steif und festgefroren. Mitten im Sommer.

Luka klang misstrauisch.

„Quatsch“, murmelte Felix, aber er rührte sich immer noch nicht. Konnte nicht.

„Kein Quatsch.“

Natürlich nicht. Er war sein bester Freund. Wie hatte Felix auch nur denken können, dass Luka nichts auffallen würde? Wie hatte er nur?

Gewollt.

Aber. Aber. Aber.

„Seit n paar Wochen biste so schräg drauf.“

Wieder: „Quatsch.“ Er hob jetzt den Kopf und grinste, als wäre alles gut, als wäre alles perfekt. Normal halt.

„Okay“, murmelte Luka, mehr oder weniger verwirrt, eher mehr, gerade als Felix die Kehrschaufel fand und sich daran machte, die Scherben in den Mülleimer zu verfrachten. Wo sie hingehörten. Scherben gehörten in den Müll.

Er ließ zu, dass Luka sich zu ihm beugte und half. Konnte irgendwie nichts dagegen machen, obwohl er es grade nicht ertrug, nichts mehr ertrug.

„Panne labert wieder nur Scheiße“, sagte Luka irgendwann, im Plauderton.

Als wäre. Alles. Normal.

Verrückt, oder?

„Hm“, machte Felix.

„Als müsste man um die Tucke so einen Auflauf machen. Ist doch egal. N bisschen krank war die Aktion ja schon.“

„Schon.“

„Aber er hätte sich ja selber verteidigen können.“

Konnte er nicht, dachte Felix. Konnte er nicht.

„Der hat’s halt nicht drauf, der…“

„Luka…“

Hör auf. Hör auf. Wer sollte aufhören? Luka oder Felix? Felix? Er war so erschöpft, er konnte nicht mehr. Konnte sich nicht mehr.

Verteidigen.

„Was?“, hakte Luka nach. Sein Gesicht war genau vor dem Felix’, so scheiße nah, dass ihm schlecht werden wollte.

Konnte nicht mehr. Wollte nicht mehr. Scheiß auf alles.

„Du kennst Marlon. Der ist voll in Ordnung, also…“

„Er ist ne Schwuchtel, Felix. Ne Tunte, ein Ar…“

„Scheiße, Luka!“ Felix stand auf, Luka mit ihm und… es war vorbei, er sah es in seinen Augen. In diesen Augen.

„Verteidigst du ihn?“, fragte Luka. Kniff die Augen zusammen, als müsste er sein Bild von seinem besten Freund neu einstellen. Scharf stellen. Als würde er ihn nicht erkennen. „Was soll das?“

„Ich… ich war da.“

„Wo?“

„Als Franky und… als sie Marlon zusammengeschlagen haben“, sagte Felix. Heiser. Leise. Luka starrte ihn an.

„Warum hast du nichts gesagt?“

Warum. Schon wieder dieses Wort, wieder. Es schien ihn zu verfolgen. Warum, Felix? Warum?

„Als wüsstest du das nicht“, murmelte er.

Zu seiner Überraschung lachte Luka auf, laut und selbstsicher. Sicher.

„Dass du…? Schwachsinn, du doch nicht, Feli, du doch nicht.“ Er lachte. Lachte.

Er sah so schön aus, wenn er lachte.

Er packte ihn an der Schulter, aber sein Grinsen verschwand, als Felix zurückzuckte. Sich losriss.

„Und wenn doch? Fuck, was wenn doch?“, knurrte er. Musste wegsehen, musste hinsehen. In Lukas Gesicht, in das Gesicht seines besten Freundes. Das sich verzog, eine Grimasse wurde, eine Maske. Kalt. Kälter.

„Das meinst du nicht ernst“, flüsterte Luka. Zischte es. Kälter.

Er stolperte zurück, ein paar Schritte, als hätte er sich verbrannt. Strich sich übers Gesicht, über den Mund, übers Kinn. Drehte sich um und…

Im Türrahmen stand Panne.

Kurz blieb Luka stehen, dann drängte er sich an ihm vorbei. Felix sah ihm nach, sah Panne an, durch ihn hindurch.

Weg. Er war weg, gegangen.

„Bist du… wirklich… ich meine…“ Panne fixierte einen Punkt hinter Felix. Er sagte nichts. Nichts mehr. Er hatte das Gefühl, genug gesagt zu haben für sein restliches Leben.
 

Jeder wusste es.

In der ersten Stunde war es noch still. Zumindest im Vergleich zu dem, was in den nächsten Tagen sein sollte.

Aber es war kalt. Im Zimmer, die Luft so eisig und Daphne sah ziemlich schnell, woran das lag. Es wunderte sie nicht, nicht besonders. Sie hatte es nur nicht so bald erwartet.

Felix sah einsam aus, saß an seinem Platz am Fenster, den Kopf gesenkt. Daphne kannte diese Haltung, war lange genug selbst so gewesen, ganz genau so. Er wollte sich unsichtbar machen. Und würde es nicht schaffen.

„Irgendwann kommt ein Zeitpunkt, an dem man sich entscheiden muss, ob man unsichtbar sein will“, sagte Daphne in der Pause zu Ray. „Danach gibt’s nichts mehr. Nicht für welche wie ihn.“

Ray nickte. Inzwischen hatte es sich schon herumgesprochen; zwischen Luka und Felix war auch genug Abstand, um das, was als Gerücht angefangen hatte, noch zu bestärken.

Es war ein bisschen wie Verkehrte Welt. Verdreht, verunglückt, abgestürzt. Daphne hätte gerne etwas zu Felix gesagt, irgendetwas, aber ihr fehlten die richtigen Worte dafür. Weil es keine gab dafür. Sie musste es wissen.

„Ich frag mich“, murmelte Ray, kratzte mit der Schuhspitze auf dem Boden herum, senkte die Stimme, „was er jetzt machen wird.“

„Was alle jetzt machen werden. Uns eingeschlossen.“

Er sah sie an. „Was wirst du machen?“

Die Frage, auf die sie keine Antwort wusste. Eigentlich suchte sie schon danach seit Ray ihr von seiner Vermutung erzählt hatte. Was wollte sie tun?

Sichtbarsein war unglaublich kompliziert, sie stellte es immer wieder fest.

„Du?“ Und ihre Mitschüler waren anscheinend genauso wenig daran gewöhnt wie Daphne selbst; sie mussten ihren Namen erst noch lernen.

Daphne drehte sich um, gerade als es zur nächsten Stunde klingelte. Noch immer war Angesprochenwerden eigenartig, seltsam. Noch immer war sie sich nicht sicher, ob Freya jetzt wirklich sie an oder nur durch sie hindurch sah.

„Kann ich… kurz mit dir reden?“

Ray warf ihr einen Blick zu, zuckte mit den Schultern und ging. Mit seinem Ellbogen strich er zufällig über ihren Rücken. Wie zufällig, tatsächlich.

„Was ist?“, fragte Daphne. Ihre Stimme ging fast im Gerede um sie herum unter.

„Ich hab mit Marlon geredet. Endlich mal.“ Erleichterung. „Normalerweise ist er nicht so… schweigsam.“

Daphne nickte. Einfach weil sie das Gefühl hatte, irgendetwas tun zu müssen. War das Konversation? Smalltalk? Schwierig.

„Na ja, und er hat gesagt, dass…“ Freya zögerte und ihr Blick schwang über Daphnes Kopf hinweg. Sie war diskret, das schon.

„Hör mal“, fing sie neu an, seufzte, „ich hab nichts gegen dich oder Ray, ja? Ich will nur, dass es Marlon gut geht…“

Die meisten Schüler waren aus dem Eingangsbereich verschwunden, nur ein paar trödelten noch oder genossen ihre Freistunde. Freya sah sich trotzdem um, als könne man sie belauschen.

„Ihr steht zu euren Fehlern, aber… Felix war bei Marlon, weiß du?“

„Ich hab’s mir gedacht“, sagte Daphne, aber es überraschte sie doch ein wenig. Dass Freya davon wusste. Denn in diesem Fall musste es eine wichtige Begegnung gewesen sein.

Eine Weile schwieg Freya. Unruhig huschten ihre Augen hin und her, durch die Luft und über den Boden. Vermutlich fragte sie sich gerade, warum sie Daphne überhaupt angesprochen hatte. Denn Daphne selbst wusste es nicht.

„Es tut ihm weh“, meinte Freya, als sie schon gar nicht mehr damit gerechnet hatte. „Die ganze Verhandlung war schon schwierig genug und er hat… Alpträume. Angst.“

AngstAngstAngst. Ein bekanntes Gefühl.

„Ich hätte nicht gedacht, dass Felix… ist wie er. Er denkt es wahrscheinlich auch nicht.“

„Felix ist nicht wie Marlon.“ Daphne schüttelte den Kopf. „Er ist ganz anders. Er kommt damit nicht klar…“

„Denkst du, Marlon kam immer damit klar?“

Darüber hatte Daphne sich noch nie Gedanken gemacht. Überhaupt hatte sie sich relativ wenig Gedanken machen müssen, schließlich hatte sie niemanden gekannt. Niemand hatte sie gekannt.

„Die beiden sind sich so ähnlich“, lächelte Freya. Lächelte, tatsächlich. „Sie wissen es vermutlich nicht mal. Und beide… na ja…“ Sie unterbrach sich und sah Daphne direkt an. „So was darf nicht noch mal passieren.“

„Wird es nicht“, erwiderte sie. Meinte es vollkommen ernst. Nicht solange sie sichtbar war, nicht solange sie unsichtbar war. Nie wieder. „Ich versprech’s dir.“

Freya blieb skeptisch und Daphne konnte es ihr nicht verübeln. Mit ihren Schlägen hatten Franky, Chris, Aurel und Phileas viel mehr Schaden angerichtet, als bei Marlon zu sehen war. So viele Verletzungen.

Vertrauen, Zuversicht.

Normalität.

Alles.

Sie waren schon viel zu spät dran, da kam es auf ein paar Minuten mehr oder weniger auch nicht mehr an. „In was sind sich beide ähnlich?“, hakte Daphne nach, sie gingen gemeinsam die Treppe hinauf, sehr langsam.

„Merkst du das nicht?“ Freya seufzte, stumm, es war ein Luftholen, eine Gedankenpause. Nichts weiter. „Sie sind in denselben Jungen verliebt.“

Sie sagte es, als wäre es ganz normal. Nichts Besonderes.

Und eigentlich war es das ja auch nicht. Oder?

EPILOG

Epilog
 


 

Stille verfolgte ihn, wohin er ging. Es war ein stummer Teppich aus Blicken, aus nicht gedachten Worten, aus Verlorenheit.

Marlon hielt den Blick aufrecht, sah ihnen in die unsicheren Gesichter, sah wie sie vor ihm zurückwichen. Das Schlimme war, dass er nicht sagen konnte, warum. Weil er auf Jungs stand oder weil er deswegen halb totgeprügelt worden war.

Schwer zu sagen.

Seine Mutter hatte sich gewundert, hatte gesagt, dass er wegen den drei Wochen nicht mehr in die Schule müsste. Waren doch bald Ferien. Sie hätte ihn erst gar nicht zurückkehren lassen.

Er wunderte sich ja selbst. Aber alles andere wäre doch feige gewesen. Alles andere hätte nur noch mehr Gerüchte hervorgerufen. Konnte er nicht gebrauchen. Nicht jetzt, nicht mehr. Gar nicht. Er wollte nach vorne sehen. Nicht mehr beim kleinsten Geräusch zusammenzucken, nicht mehr jede dunkle Ecke meiden.

Vor den ersten Stunden fürchtete er sich nicht. Marlon war die Schule immer relativ leicht gefallen und Freya war ja da, meistens. In Geschichte saß sie neben ihm, redete auf ihn ein, lächelte, kritzelte seltsame Nachrichten in sein Heft. Sie wollte ihn nur ablenken. Von dem Getuschel, von den Blicken, die sich in seinen Rücken bohrten.

Er war dankbar dafür. Vermutlich hätte er sich längst in sie verliebt, wenn. Ja, wenn. Wenn er nicht gewesen wäre. Dann wäre alles einfacher.

Warum einfach, wenn’s auch kompliziert geht?

Erst in der Pause klopfte sein Herz mit einem Mal so schnell, dass er schon deswegen Angst bekam. Panik, ein bisschen.

Weil da kein Schutz mehr war. Die meisten machten immer noch einen großen Bogen um ihn, aber da waren noch andere.

Andere wie Daphne und Ray. Sie lächelte ihm zu, mit diesem Lächeln, diesem Ausdruck in den Augen, der einem Schauer über den Rücken jagte. Manchmal glaubte Marlon, dass sie in Menschen hinein sehen konnte. Dass sie sehen konnte, wie das Blut durch seine Adern schoss und seine Lungen sich mit Luft füllten. Er war da anders, bei Ray war da nichts. In seinem vorsichtigen Grinsen lag eine gewisse Verlegenheit. Aber auch so viel Mut, so viel Furchtlosigkeit. Konnte aber auch an dem blauen Auge und der aufgeplatzten Lippe liegen.

Helden.

Marlon konnte nicht fassen, dass er das gedacht hatte. Weil er doch eigentlich wütend auf sie sein, sie hassen müsste.

Er tat es nicht.

„Es gibt schon zu viel Hass auf der Welt“, hatte Freya mal gesagt. Warum sollte er noch was drauflegen, nur weil er nicht verzeihen konnte?

Freya zog ihn am Arm an Ray und Daphne vorbei, grüßte sie, strahlend wie eh und je. Die Farce stand ihr nicht, fand Marlon, aber sie würde ohnehin nicht auf ihn hören. Er hob kurz die Hand, nickte ihnen zu. Ihre Hände berührten sich, ganz leicht, das überraschte ihn dann doch etwas. Wie selbstverständlich sie miteinander umgingen, als wäre es nie anders gewesen.

Und die anderen, aus seiner Stufe, von seiner Schule, einfach alle, begrüßten die beiden wie ganz normale Schüler. Und doch nicht so, weil. Das waren sie nun mal nicht.

Helden.

Kein bisschen, nein. Vorbilder. Ja. Vielleicht.

Irgendwann blieb Freya stehen, die Sonne schien ihr ins Gesicht und sie redete, lachte und machte große Gesten. Sorry, aber er hörte nicht wirklich zu.

Marlon suchte.

Nach der Normalität.

„Was ist hier eigentlich los?“, fragte er irgendwann, ziemlich laut, ein paar Fünftklässler in seiner Nähe zuckten erschrocken zurück. Als sie ihn bemerkten, flüsterten sie, sahen ihn mit großen Augen an und.

„Du bist Marlon, oder?“, fragte ein Mädchen, Gott, war die winzig, grade mal halb so groß wie er. Höchstens.

„Ja?“ Es war fast ein bisschen peinlich, wie misstrauisch er klang. Wie verschreckt, immer noch. Noch immer. Furchtbar, leg endlich deine Paranoia ab, Marlon. Die Kleine wollte ihm nichts tun.

„Cool“, sagte sie, kicherte und wandte sich ab.

Okay…?!

Er sah Freya an. Die zuckte mit den Schultern.

Dann. Sah er Luka. Er ignorierte ihn, hundertprozentig, aber Marlon war es egal. Endlich war es ihm egal. Gut, ein bisschen ziepte es noch in ihm drin und ein bisschen sehr begann sein Herz noch zu rasen, wenn er ihn lachen sah. Selbst wenn das Lachen nur gespielt war. Er sah einfach so schön aus, wenn er lachte.

Marlon bemerkte, wie er starrte. Wandte sich wieder Freya zu. Sie hatte aufgehört zu reden, huch. Wann das?

Sie runzelte die Stirn, er auch.

„Was ist los?“, fragten sie, gleichzeitig. Plötzlich fiel Freya ihm um den Hals. Nuschelte etwas gegen seinen Hals, das er nicht verstand.

„Was?“

„Ich hab dich so vermisst“, wiederholte sie.

„Schon gut.“ Er strich ihr über den Rücken. Murmelte etwas, sah dabei, wie Luka ihn ansah. Etwas stimmte nicht an diesem Bild.

Felix.

Felix, schoss es ihm durch den Kopf. Marlon konnte ihn nirgendwo entdecken.

Normalität. Nach der suchte er doch. Es würde nie mehr normal sein, für niemanden. Alles hatte sich verändert, selbst wenn manches noch so aussah wie früher.

Alles anders.

Wegen ein paar Worten. Wegen ein paar Taten. Wegen ein paar Menschen.

Er sah es. Er hörte es. Er wollte etwas sagen.

Aber vermutlich würde er, würde niemand es je wirklich verstehen.



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Kommentare zu dieser Fanfic (13)
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Von:  pearsfears
2011-01-04T18:22:23+00:00 04.01.2011 19:22
ganz ehrlich?
alles was ich sagen wollte, wurde schon gesagt. ich les mir die kommentare durch und da stehen die gedanken, die ich mir seit gestern abend zusammengelegt hab!!
ich bin heute kaum aus dem bett gekommen und hätte um ein haar meinen pc geschrottet, weil ich bis um 2 uhr morgens jedes fünkchen batterie aus dem alten teil rausholen wollte!!
und die story hat mich heute echt den ganzen tag verfolgt, ich musste die ganze zeit dran denken.
ich bin einfach nur begeistert, dass man sowas noch auf animexx finden kann, weil es eigentlich nur noch so unrealistische fan-girly-träume regnet wo man nur vom titel schon angekotzt ist :/
ich bin wirklich nur begeistert von der story, von dem verlauf, von den charakteren, vom ende, von deinem schreibstil und dem gedanken, der hinter dem ganzen steckt!!!
ich glaub ich geh mal deinen stecki stalken... du hast nich zufällig mehr davon?

Von: abgemeldet
2011-01-03T22:34:13+00:00 03.01.2011 23:34
Wow o.o
Ich kann einfach nicht anders, manche Sachen musste ich sogar dreimal lesen, bis sich mir der Sinn erschlossen hat und selbst jetzt bin ich mir noch nicht ganz sicher, ob es auch der Sinn war, den du gemeint hast.
Dein Stil ist ergreifend, extrem tiefgründig, sowas findet man heutzutage, meiner Meinung nach, teilweise nicht mal in Büchern, die hochgelobt werden!
Ich hätte normalerweise die Geschichte nicht mal gelesen, aber ich hab es trotzdem getan. Ich dachte, ich les mir mal den Prolog durch, einfach so, aber das hat mich richtig angesprochen. Auch das Thema, welches ja sehr aktuell ist. Nicht nur, das Wegsehen, auch das nicht verstehen von Leuten, die sich eben nicht zum anderne Geschlecht hingezogen fühlen sondern eher zum Gleichen. (oder einfach homosexuell XD)
Ich bin schlichtweg begeistert von deiner Wortwahl, die sich mit dem Sinn und der Geschichte verbindet, sie nicht nur einfach mit Wörtern plump beschreibt, sondern mit Emotion. Die Punktesetzung hat mich anfänglich verwirrt, aber es hat einfach gepasst.
Es gäbe noch viele Sachen, die ich schreiben könnte, alles Lob. Diese Geschichte hat... na ja... sie hat mich getroffen. Bäm!^^"

Eine Frage hab ich jedoch zum 5. Kapitel. Ich habe die Situation nicht ganz vestanden, als Felix dort in der Küche stand und Luka da war, warum sie das gesagt haben, was sie gesagt haben... o.o
Von:  traumfresserchen
2010-07-23T16:51:43+00:00 23.07.2010 18:51
ich liebe diese geschichte. ich liebe deinen stil, und die charaktere, mit denen du es schaffst, aus dem gewöhnlichen schema der personenbeschreibung auszubrechen.
du schreibst auf einem unglaublich hohen poetischen und erzählerischen niveau, was man sonst von mexx ja nicht gerade gewöhnt ist^^
die verständnisvolle art, mit der du die gefühle und gedanken beschreibst, berührt auf seltsame weise.
danke für diese geschichte.
btw, ray liebe ich auch :)
Von:  Lissekatze
2010-07-12T23:10:50+00:00 13.07.2010 01:10
Wow. Ich weiß grad nicht mehr, wie ich auf diese Geschichte aufmerksam geworden bin. Warscheinlich weil es auf der Startseite war. Yual heißt das. Aber mich hat mehr der Titel angezogen, weil man bei diesen Titel sofort weiß, das jemand wegsieht, weghört.
Ja, zumindest ich wusste es sofort und war dann über die drei Charaktere nicht überrascht, eher darüber dass es vier waren.
Doch in der Story.

Ich muss sagen, dass es mir anfangs unglaublich merkwürdig vorgekommen ist. Die Punkte an den "falschen" Stellen. Unbeendete Sätze. Abgehackt, aber genau richtig. Denn in solchen Situationen, in welchen die Charaktere sich befanden, denkt man nicht zu Ende. Will man nicht zu Ende denken.
Es hat der Geschichte also keinesfalls geschadet.

Und ich hab die Charaktere wirklich gern gewonnen. Sie sich so echt, obwohl nur so kurz erklärt. Eine wundervolle Kurzgeschichte hast du hier erschaffen mit einer schweren Thematik.
Ich weiß nicht, wie ich handeln würde in solch einer Situation.
Ich habe mir immer vorgenommen mutig zu handeln, aber ich weiß genau, dass ich dennoch so viel Angst hätte irgendwas zu tun.

Aber ja. Es war nicht ganz unterlassene Hilfeleistung von Daphne, aber sie hätte die Polizei rufen müssen. Ja. Mutig eingreifen wär ja selbstmord.
Aber dennoch. So authentisch. Gute Geschichte.
Von:  Himmelweis
2010-07-09T19:38:50+00:00 09.07.2010 21:38
Ich bin durch reinen Zufall hier rüber gestolpert und ich muss sagen, ich bin sehr froh darüber.
Dein Stil ist eigen, aber sehr gut. Diese abgehackten Sätze, deine Punktsetztung, deine Wortwahl. Alles ist so unglaublich passend und richtig, ich kann es gar nicht richtig beschreiben. Ich bin einfach nur begeistert.
Die Thematik ist nicht einfach zu behandeln ohne zu sehr in Kitsch und 0815 abzudriften, aber das hast du wirklich ausgezeichnet hinbekommen. Jeder Charakter ist klar ausgearbeitet und realistisch. Jede Handlung wirkt echt und logisch, so als könnte es genau so an einer Schule abgelaufen sein.

Das hier ist ein Schatzstück, ein Juwel. Wie gut, dass ich es immer wieder lesen kann.
Von:  Traumfaenger
2010-07-06T22:49:57+00:00 07.07.2010 00:49
Es ist viel zu schade, dass ich diese wunderbare Geschichte erst so spät und erst durch das YUAL auf sie gestoßen bin, und ich finde es erstrecht schade, dass gerade solche Geschichten so wenig Resonanz bekommen, auch wenn ich selbst nicht zu jeder Geschichte einen Kommentar schreibe. Aber gerade jetzt, wo ich diese Geschichte zuende gelesen habe, muss ich dir einfach eins schreiben.
Ich weiß nicht, aber ich fände es jetzt schade, über deinen Stil zu sprechen, nicht nur, weil ich gerade überhaupt nichts daran auszusetzen habe, auch wenn er mich am Anfang stutzig gemacht hat, aber am Ende wurde ich einfach so von der Geschichte überrumpelt, da stand er überhaupt nicht im Wege, vielleicht hat er das Lesen sogar beschleunigt, das kann ich gerade nicht objektiv beurteilen, weil das meine erste gelesene Geschichte von dir ist und weil die Geschichte mir einfach noch so im Kopf gerade nachgeht, dass ich gerade irgendwie nicht wirklich weiß, was ich noch schreiben soll.

Auf jeden Fall bin ich froh, dass dieses Thema von dir angesprochen wurde und hoffentlich werden möglichst viele Leser durch das YUAL auf diese Fanfic aufmerksam. Und vielleicht wird sich ja dadurch etwas ändern, zumindest bei einigen? Bzw. sie, wenn sie in eine solche Situation wie Daphne, Ray und Felix geraten, richtig zu handeln, was doch sehr schwierig ist, egal wie stark man sonst ist. Auch ich hoffe, dass ich in einer solchen Situation richtig handeln würde, aber sowas kann ich nur vermuten, da ich in eine solche Situation noch nie geraten bin.

auf jeden Fall werde ich in nächster Zeit noch einige weitere deiner Geschichten durchlesen, ich vertraue einfach darauf, dass auch so gut sind wie diese hier.

lg, Traumfaenger
Von:  Yumika
2010-07-05T19:50:48+00:00 05.07.2010 21:50
Habe zwar erst jetzt gelesen, dass es eine YUAL ist, aber bin auch der Meinung "Absolut zu Recht!"

An deinen Stil musste ich mich erst gewöhnen; die unterbrochenen Sätze, die Unvollständigen. Aber schon ziemlich schnell habe ich sie geliebt, weil sie die ganzen Gedanken irgendwie haben nah wirken lassen.
Wie einzelne Gefühle einem ins Auge gesprungen sind, ob nun wörtlich genannt oder eben nicht.

Den Spruch den du zum Untertitel genommen hasst und der ja eigentlich das Thema war, den mag ich total und ich find es großartig, dass du dich daran gemacht hast eine Story zu schreiben die diesem ernsten Thema das nicht Handelns, des Ignorierens gerecht wird.

Deine Charaktere sind trotz der Kürze der Geschichte so gut dargestellt worden und das aufgrund der Perspektivwechsel aus verschiedenen Blickwinkeln. Man kann sich irgendwie in alle hinein versetzen und und von den Vieren kann man keinen herausnehmen der besser rüberkommt als ein anderer. Sie sind absolut gleichwertig und natürlich, unperfekt.

Eine absolut außergewöhnliche Gschichte, nicht nur für Mexx-Verhältnisse. Die Thematik, der Stil, die Atmosphäre.

Ich muss mich Ur absolut anschließen.
Danke für diese unglaublich tolle Geschichte.

PS: Mach was aus deinem so tollem Talent!
Von: abgemeldet
2010-07-03T09:48:25+00:00 03.07.2010 11:48
Kaum zu glauben, dass ich eine Shounen Ai Geschichte so fanatisch gelesen hab wie diese hier. Ich konnte kaum aufhören zu lesen. @...@

Erstmal muss ich Ur zustimmen: Es ist kein einziger Rechtschreibfehler in der Geschichte. Das ehre ich sehr. Wirklich. Ich liebe die Geschichte deswegen noch mehr. Es gibt leider so wenig Geschichten hier auf mexx, in denen man wirklich KEINEN EINZIGEN Fehler findet. Ein oder zwei schleichen sich bei den meisten ein, aber... ach, du verstehst schon, was ich meine. ^^"

Ich finde es total toll, dass deine Charaktere alle ihre eigene Persönlichkeit haben. Da überschneidet sich nix und die leben alle eigenständig vor sich hin. Kommt einem fast wie aus dem echten Leben gegriffen vor. Wirklich. Toll. (Ich lobe zu viel ^^")

Den Stil find ich auch klasse (wer hätte es gedacht XD), besonders, weil du es so lange durchhältst. In vielen Geschichten ist der Stil eher wacklig, aber du hast das wirklich gut durchgehalten.

Eine Frage hätte ich aber noch: Ich hab mich erst über dieses "nichts sehen, nichts hören, nichts sagen" gewundert, bis ich mal ein Kuscheltier angeschaut hab, das ich vor ner Weile meinem Freund geschenkt hab. Ein kleiner Affe. Der Magneten an der Hand hatte. Da stand auf dem Zettel nämlich GENAU DAS. XD Könnte es sein, dass der Titel der Geschichte - und der Untertitel - von diesem Kuscheltier abgeleitet sind? ^^ Das fänd ich süß XD

Jedenfalls: Verdiente YUAL-Geschichte. Und ich finde wie abgemeldet, dass diese Geschichte viel mehr Aufmerksamkeit verdient hat. Hoffentlich werden ein paar Leute durch YUAL darauf aufmerksam... die Geschichte hat es nämlich wirklich verdient >_<
Von:  Ur
2010-07-01T14:58:17+00:00 01.07.2010 16:58
Und noch einmal einen Kommentar, um zu sagen: Herzlichen Glückwunsch zur YUAL- Kür ;)

Es hat sich gelohnt, diese Geschichte vorzuschlagen.
Von:  Skalli_Otori
2010-07-01T11:10:21+00:00 01.07.2010 13:10
Eine wirklich gut geschriebene Story über die Art der Menschen und ihre persönlichen Eigenarten. Und über die Schwierigkeit das Anders sein anzunehmen. Das ganze hat mich wirklich sehr berührt und ich hoffe doch das mir sowas verschont bleibt. Komisch schon zu wissen das Mädchen meistens(!?) weniger Probleme mit Jungs haben die sich zu ihrer Homosexuallität outen als Jungs. Komisch zu wissen das Jungs dann Angst und unbegründeten Ekel empfinden.
Manchmal ist Leben eben doch schwer.
Gute Story!


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