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Sing to me

von

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Tag 9

Okayy... Endspurt. Noch dieses hier und dann noch eines und Sahm ist für euch Geschichte :’( Schade. Ein doofes Gefühl.

Ähm... die folgenden Songs werden weiter unten erwähnt. Ihr könnt sie euch ja gerne anhören oder so. Viel Spaß :)
 

http://www.youtube.com/watch?v=I70mp0eKWlI

und

http://www.youtube.com/watch?v=LAPNqokteb0
 

Obwohl ich Echt nie hören würde xD

Viel Spaß beim Lesen und viel Spaß mit Dario! <3

Grüße.
 


 

Tag 9
 

Gegen vier Uhr morgens befand Sam, dass es besser wäre, endlich aufzustehen. Er hielt es nicht mehr aus und beschloss, duschen zu gehen.

Allerdings stand er nur vor der Dusche und beobachtete, wie das Wasser aus dem Duschhahn lief. Angezogen stand er da und sah den Tropfen beim Verrinnen zu. Sie passten zu den Tropfen, die ständig von seinem Gesicht auf den Boden fielen.
 

Er war so blöd.

Er war so blöd.

Er war doch so was von blöd!

Wieso hatte er Juan so angepflaumt?

Er hätte ihn verstehen müssen, immerhin wusste er, was ein Coming-Out bedeutete. Stattdessen schrie er ihn an und wirkte so, als würde er sich nicht mehr selbst an die Probleme erinnern, die ihm damals begegnet waren.

Sam stöhnte leise auf und die Tränen verstärkten sich. Er war so dumm. Er. War. So. Dumm.

Am Anfang dieser Reise hatte er gedacht, das Schlimmste würde sein, dass er kein Spanisch konnte. Wie mickrig dieses Problem doch war im Vergleich zu dem, das er jetzt hatte.

Sam begann zu schluchzen. Dann ging er in die Knie.

„Scheiße. Was hab ich getan? Was hab ich nur getan?“ Er flüsterte nur, doch kam ihm seine eigene Stimme so schrecklich laut vor.

Sie klang hohl in seinem Kopf wider.

Passte ja zum Inhalt dessen.
 

Die Tür ging leise quietschend auf und Miguel betrat das Badezimmer.

Überrascht blieb er vor Sam stehen. Er hatte gestern mitbekommen, dass er und Juan einen Streit gehabt hatten, aber dessen Inhalt war ihm nicht bekannt.

Miguel drehte das Wasser ab und kniete sich neben Sam.

„¿Qué haces aquí?“

Sam gab keine Antwort und Miguel nahm den schluchzenden Deutschen in den Arm.

„Was hab ich nur getan?“, murmelte Sam. „Was hab ich nur getan?“

Miguel wiegte ihn hin und her und murmelte dabei etwas vor sich hin. Das konnte Sam leider nicht im Mindesten trösten.
 

„Weißt du noch, wie schön es war? Und alles war aus Gold“, sang Tom vor sich hin und warf Sam einen vorsichtigen Blick zu. Der starrte apathisch aus dem Busfenster und empfand Toms Gesang als ekelhaften Seitenhieb.

„Es ist vorbei, bye-bye, Junimond, es ist vorbei.“ Toms Gesang wechselte ins Jämmerliche und Sam hielt sich die Ohren zu.

„Doch jetzt tut’s nicht mehr weh, jetzt tut’s nicht mehr weh...“ Er sang weiter und Sam liefen langsam wieder die Tränen übers Gesicht.

Tom hörte abrupt auf zu singen und strich Sam leicht über die rechte Schulter.

„Hey, hör auf“, murmelte er ihm zu. „Lass es sein, das ist es nicht wert. Du kennst ihn doch nicht mal.“

Sam schluchzte erneut auf. „Ach ja? Und wie erklärst du es dir dann, dass ich heute keine Sekunde geschlafen hab und Miguel mich um vier oder so im Bad gefunden hat? Ich kannte ihn sehr wohl, ich weiß wahrscheinlich mehr über ihn als jeder andere hier. Immerhin kenn ich sein Geheimnis, verdammte Scheiße!“

„Und andere werden es kennenlernen“, widersprach Tom gelassen. „Du warst nur der Erste. Eines Tages wird er es in die Welt rausposaunen. Du hast nur getan, was jeder getan hätte: Du wolltest, dass es alle wissen, dass ihr zusammen seid. Aber deshalb brauchst du dich jetzt nicht so scheiße zu heulen und dich für alles verantwortlich machen. Du hast gehandelt, wie du immer handelst: Normal. Hör auf zu heulen und sing einfach mit bei diesen beschissenen Liedern, die ich nur für dich höre und singe.“

Er hielt Sam auffordernd einen Teil des Kopfhörers hin und in der folgenden Stunde, die sie noch im Bus und vor der Schule verbrachten, quälten sie sich durch das gesamte zweite Album von Echt und als „Belohnung“ hörten sie noch einmal „Alles war aus Gold“ an, was bei Sam prompt wieder einen Tränenfluss auslöste.
 

Juan sah übrigens nicht besser aus.

Er schaute Sam zwar nicht einmal mit dem Arsch an – zumindest tat er so –, aber der sah trotzdem, wie es Juan ging. Mit einem Wort: Beschissen.

Wäre er ein trockener Alkoholiker, würde man sagen, er hätte Sehnsucht nach dem Alkohol. Er war unrasiert (was zwar bei ihm noch nicht viel ausmachte, aber trotzdem auffiel), hatte seine Haare offenbar nicht gewaschen und trug irgendwelche bunt zusammengewürfelten Klamotten.

Kurz: Er sah auf eine groteske Art besser aus denn je und Sam wünschte sich, er würde sich zu ihm umdrehen und ihm sagen, dass er ihn lieben würde.

Doch er wusste, dass genau das nicht passieren würde, denn er hatte es verbockt. Und zwar gründlichst.
 

Als Juan vorbeiging, zerbrach Sam beinahe Toms mp3-Player. Juan warf ihm keinen einzigen Blick zu; trotzdem wusste Sam, dass er ihn aus den Augenwinkeln ansah, so wie es Sam auch tat.

Tom klopfte ihm auf den Rücken, während die Mädchen zu Juan rannten und schockiert wissen wollten, was mit ihm los war.

Er winkte nur damit ab, dass er schlecht geschlafen und sich zudem noch gestern mit „irgendsonem Vollidioten gestritten“ habe. Das sagte er natürlich extralaut, damit Sam es auch mitbekam.

Er knirschte mit den Zähnen und wandte sich wütend und traurig von Juan und seinen Hoffnungen ab.

Es klingelte und alle verschwanden ins Schulgebäude hinein. Man spürte noch an diesem Tag die Nachwirkungen der Hitze des gestrigen Tages, dennoch war es nicht mehr so furchtbar. Die Schüler waren trotzdem froh, ins kühle Schulgebäude zurückgehen zu können.

Sam kümmerte sich nicht darum, auch nicht, als Tom anfing, ihn zu schlagen, um ihn in die Schule zu bringen.

Es war doch eh alles scheiße und unnötig und dumm und hässlich und einfach nur beschissen hier.

Sam schniefte und bekam nur undeutlich mit, wie Tom ins Gebäude lief. Sollte er doch. Der wollte nur nicht zu spät kommen.

Es war okay von ihm, Sam in seinem Elend sitzen zu lassen. Tom hatte ja keine Probleme. Er hatte nie welche. Er bekam oft, was er wollte. Vor allem bei Mädchen. Wie sehr sich Sam in diesem Moment wünschte, einfach nicht schwul zu sein, wusste nicht mal er selbst.

Ein paar Minuten später kam Tom zurück, diesmal in Begleitung von Herrn Biermann, der ihn schüttelte.

„Samuel, steh auf. Alles ist okay, ja?“ Sein Lehrer lächelte ihn leicht an.

Sam schüttelte teilnahmslos den Kopf. „Nichts ist okay“, flüsterte er dann, „alles ist im Arsch. Er liebt mich nicht und jetzt hasst er mich sogar. Es ist vorbei, es ist vorbei, bye-bye.“

Herr Biermann warf einen verwirrten Blick in Toms Richtung, der die Schultern zuckte. „So ist er seit gestern Abend. Ich kann nichts tun. Er hört nicht auf mich.“

„Kann mir mal jemand erzählen, was hier los ist? Du, Tom?“ Er vergaß vor lauter Ärger gerade sogar, seine Schüler zu siezen und sie beim vollen Namen zu nennen.

„Säm, was ist passiert?“ Er war nur Spanisch- und kein Englischlehrer, daher kam ihm Sams Name nicht sehr gut über die Lippen. Der reagierte jedoch nicht, sondern überlegte nur, ob er Juan zurückbekommen könnte.

Tom zählte mit heiserer Stimme die wichtigsten Fakten auf. Dass Sam sich verliebt hatte, der andere ebenfalls, dass sie ein paar Tage lang total glücklich gewesen waren und sie gestern einen furchtbaren Streit gehabt hatten, der alles verändert hatte.
 

Herr Biermann schwieg kurz, bevor er Sam über die Haare strich, was für ihn eine beachtliche Leistung war, weil er normalerweise immer mindestens fünf Meter Abstand zwischen sich und seine Schüler brachte.

„Samuel, das ist doch kein Weltuntergang. Sprich einfach mit ihm und es wird sich aufklären. Wenn du nicht mit ihm sprichst, wirst du lange Zeit unglücklich sein. Also versuch es. Trau dich und sei glücklich, ja?“

Sam nickte, auch wenn er wusste, dass er nicht mit Juan sprechen konnte. Nicht jetzt. Nicht heute. Nicht hier.

Niemals.

Biermann strich ihm noch einmal über die Haare. „Sehr schön.“ Er überlegte kurz. „Eigentlich sollte ich dir Nachsitzen geben, weil du den Unterricht aufhältst und so, aber das wäre nicht fair.“

Beim Nachsitzen... da wäre aber... Dario... vielleicht...

„Nein, andere kriegen es auch immer. Ich geh gerne zum Nachsitzen“, sagte Sam tapfer und Biermann nickte verwirrt. „Sehr... äh, nobel. Los jetzt, der Unterricht beginnt.“

Der schniefende Sam folgte dem Lehrer und seinem besten Freund.
 

Einige Stunden später war Sam mit den Nerven am Ende und registrierte das Klingelzeichen mit einem erleichterten Ausruf. Endlich!

Nur noch das Nachsitzen und dann konnte er endlich nach Hause gehen und dort packen. Morgen ging es nach Hause zurück und er freute sich schon verdammt darauf! Alles, was er wollte, war, sich in sein Bett zu legen und mit seiner kleinen Schwester zu kuscheln.

Vielleicht erwischte er Dario ja wirklich, damit er ihm sagen konnte, wie recht er gehabt hatte. Er hoffte es wirklich, weil es wichtig für ihn war, von irgendwoher wirkliche Unterstützung zu bekommen.

Seufzend machte sich Sam auf den Weg zum Nachsitzen. Eigentlich war es schon recht scheiße von ihm gewesen, dorthin zu gehen. Er hätte jetzt bei Miguel sein können. Jetzt. Stattdessen hängte er dem bescheuertem Wunsch nach, mit Dario zu sprechen und nahm dafür Nachsitzen auf sich.

Sam stieß die Tür auf, die in den Raum für Nachsitzer führte.

Er grüßte cool in die Runde – immerhin kannte er schon alle – und sah sich um, ob Dario zufällig da war.

Er war.

Sam lächelte und bewegte sich durch den Raum nach hinten zu Dario, der mit dem Stuhl kippelte und an die Decke starrte. Die Ähnlichkeit mit Juan verpasste Sam einen Stich in den Magen, dennoch ging er weiter und ließ sich schwungvoll neben ihn fallen.

„Hey“, sagte er leise und Dario drehte sich grinsend zu ihm hin.

„Na, hat sich meine Prognose bewahrheitet?“, begrüßte er Sam, welcher zerknirscht nickte.

Dario lachte leicht auf. Dann murmelte er: „Tut mir leid für dich. Du magst ihn sehr, was?“

Überrascht sah Sam in Darios Gesicht und war unfähig, etwas zu sagen.

Der lächelte. „Was glaubst du, warum Juan mich nicht mag?“

Sam zuckte vorsichtig die Schultern. Dario beugte sich vor und flüsterte in dessen Ohr: „Weil ich als einziger über Juan Bescheid wusste und er das nicht gebrauchen konnte. Es hat ihn fertiggemacht.“

Sam wich zurück und schaute ihn verwirrt an. „Wieso denn das?“

Dario lächelte nur und wischte sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Sollen wir woanders drüber reden?“ Er deutete auf die anderen, die jedes Wort mitbekommen könnten. Sam nickte.

Dario stand auf.

„Was machst du?“, fragte Sam verwirrt nach.

„Na, rausgehen. Komm schon, es taucht eh nie ein Lehrer hier auf. Ich muss es wissen, immerhin hock ich hier seit einem Jahr regelmäßig rum. Da war noch nie ein Lehrer da. Eigentlich ist es egal, ob man hier ist oder nicht, aber ich hab sonst eh nichts zu tun. Also, ¡venga!“

Sam nickte zögernd, sammelte seine Sachen ein und folgte Dario, der auf den Gang hinaustrat und noch in den Raum hineinrief, dass er sich etwas zu essen holen würde. Er nahm die Essensbestellungen einiger Mitschüler auf und knallte dann die Tür zu.

„Komm. Wir besuchen jetzt McDonald’s.“

Sam nickte. Was blieb ihm auch anderes übrig? Dario war sehr überzeugend, ja, es ging sogar in eine bestimmende Richtung. Dennoch war es Sam im Moment egal. Außerdem hatte er Hunger.

Er hatte bei Mittagessen keinen Bissen runterbekommen. Erstens, weil nicht nur Miguels Mamá ihm Paella mitgegeben hatte, sondern auch, weil es in der Mensa ebenfalls nur Paella gab. Zweitens, weil Juan in seiner Nähe gewesen war und ziemlich offensichtlich mit einem Mädchen aus dessen Klasse geflirtet hatte. Zum Kotzen.

Jetzt spürte er seinen Magen und war dankbar dafür, dass Dario ihn entführen wollte. Sam und nicht den Magen.
 

Kurze Zeit später saßen sie im McDonald’s und genossen ihre Hamburger.

Sam, der nicht mehr länger warten, konnte, fragte Dario schüchtern, warum genau Juan denn so wütend auf Dario sei, nur weil der über ihn Bescheid wusste.

„Weißt du“, erwiderte Dario und biss noch ein Stück seines vegetarischen Burgers ab, „er glaubte damals, dass ich es allen weitererzählen würde. Ich hab es zufällig raugefunden – na jaaa, nicht ganz so zufällig, wenn man bedenkt, dass ich es zuuuufäällig in seinem Tagebuch gelesen habe, nachdem das zuuuuuufäääällig herumlag – und daraufhin wurde er so wütend, dass wir seitdem nicht mehr so richtig miteinander geredet haben. Verdammt, ich bin einfach extrem neugierig und wollte ein wenig über ihn wissen.“

Dario blickte traurig auf seinen Burger und seufzte. „So eine Scheiße. Wir haben nur noch einmal danach geredet, nachdem er mich mit seinem Tagebuch erwischt hatte, nämlich, als er mir sagte, wenn ich es auch nur einem erzählen würde, würde er sich umbringen und davor einen Killer auf mich ansetzen. Ob er es ernst gemeint hat, weiß ich nicht, aber er klang echt so.“

Er seufzte und Sams Augen wurden riesig. „Du hast in seinem Tagebuch geblättert und er hat dir deshalb... gedroht? Er wusste doch gar nicht, was passieren würde.“

Dario nickte. „Er ist übervorsichtig, musst du wissen. Das ist sein größtes Problem. Und seit dieser Geschichte wird er immer noch ekliger zu Leuten, die es herausfinden könnten. Das ist sein Problem.“

Sam seufzte und setzte den Strohhalm an die Lippen, trank jedoch nichts. „Ich verstehe ihn nicht. Ich bin auch schwul und bin nie so durchgedreht wie er.“

Dario zuckte nur die Schultern. „Weiß auch nicht. Hier ist einfach alles anders als in Deutschland, weißt du? Wenn du hier schwul bist, bist du ekelhaft. Wenn du in Alemania schwul bist, bist du es eben.“

Sam schüttelte entrüstet den Kopf. „Stimmt gar nicht. Ich wurde oft angefeindet zu Hause.“

Dario lächelte leicht. „Ach, komm schon. Es kann nicht so schlimm sein wie hier.“

Sam trank einen Schluck seiner Cola. Dann seufzte er erneut. „Glaubst du? Ich darf nicht mehr in unsere Kirche gehen, weil unser Pfarrer jedes Mal anfängt, gegen Homosexualität zu wettern, wenn er mich sieht.“

„Und?“, gab Dario verständnislos zurück. „Meine eigene Mutter mag mich nicht mehr, seitdem ich es ihr gesagt habe, dass ich vielleicht mehr auf Jungs als auf Mädchen steh.“

Er nahm gelassen einen Bissen zu sich, bevor Sam auch nur aufging, was Dario ihm gerade mitgeteilt hatte.

„Du... du... du bist auch sch...wul?“, stotterte er begeistert und verschluckte sich sofort.

Er fing an, sich die Lunge aus dem Leib zu husten, während Dario ihn ungerührt beobachtete.

Als er sich wieder gefangen hatte, sagte Dario nur achselzuckend: „Was heißt hier auch? Ich kenn hier sonst keinen. Außerdem bin ich bi.“

„Bisschen bi schadet nie“, zitierte Sam begeistert und Dario nickte. „Kann schon sein.“ Er grinste. „Willst du den Burger noch?“, fragte er dann und fixierte Sams Burger mit hungrigem Blick. Seufzend schob der ihn rüber zu Dario, der in seinen Augen und in seiner Coolheitsskala deutlich gestiegen war.
 

„Hier, für dich, dich, das hier ist für dich und du kriegst noch das da und...“

Dario verteilte das Essen an seine Nachsitzkumpels, während Sam seufzend wartete. Er wollte unbedingt noch mehr über Dario wissen. Der dagegen hatte unbedingt alles über Juan und Sam wissen wollen, was dieser auch erfüllte. Im Gegenzug dazu hatte Dario ihm versprochen, noch mehr über Juan zu erzählen und ihm eventuell dabei zu helfen, dass Juan nicht mehr böse auf ihn war.

Das konnte er ihm jedoch nicht versprechen.

Nachdem Dario alles verteilt hatte, drehte er sich wieder zu Sam zurück und winkte ihn nach draußen.

„Ich schlag vor, wir gehen zu dir, oder? Ich hab ja schon mal gesagt, dass mich meine Mutter nicht mehr mag. Die freut sich, wenn ich weg bin.“

„Bist du deswegen so oft beim Nachsitzen?“, wagte Sam schüchtern zu fragen.

Dario nickte. „Auch. Aber auch, weil da meine Kumpels sind und es mir Spaß macht, da rumzuhocken. Besser als Schule und da kann ich auch in aller Ruhe meine Hausaufgaben machen und so.“

Sam zog die Augenbrauen zusammen. „A...haa. Wenn man bei mir in Ruhe Hausaufgaben machen will, schließt man einfach die Zimmertür. Leider bringt das nichts, weil Miguel jede Sekunde reinplatzt und mir was Neues über María erzählt oder so. Und wenn ich wirklich zu Hause bin, schließ ich ab. Es bringt allerdings nicht wirklich viel, weil meine kleine Schwester immer reinkommt und irgendwas von mir will. Wenn ich sie rauswerfe, steht ganz sicher eine Minute später meine Mutter im Zimmer und mault rum deswegen. Deswegen gibt es in meinem Haus keine Ruhe.“ Sam kicherte.

Dario sah ihn verwirrt an. Dann beschloss er jedoch, einfach nichts zu sagen und hielt den Mund.
 

„Ist Juan wirklich so schlimm, wie du es behauptet hast?“

Sam saß auf dem Bett, schrieb Darios Deutschaufsatz und balancierte einen Stift auf seinem Zeigefinger. Konzentriert blickte er darauf, während Dario auf dem Drehstuhl begeistert seine Runden drehte. Sam blickte nicht auf.

Dario kicherte. „Quaaaaaaaaaaatsch.“ Er drehte sich weiter, während er redete, weshalb sich seine Worte etwas verzerrten. „Ich waaaaaar doch nuuuuur wüüütend, weiiil du ihhhn so toll fandessst uuund er miiich nicht meeehr.“ Er stoppte kurz; dachte nach. Dann: „Ich glaub, er ist nicht so, wie ich es behauptet hatte. Aber ganz so toll, wie du es dachtest, ist er auch nicht. Sonst hätte er nicht so überreagiert, oder?“ Er begann wieder damit, herumzurollen.

Sam seufzte. „Es kann schon sein. Ich hab ihn ziemlich provoziert, fürchte ich.“

Dario zuckte die Schultern. „Weiß ich nicht. Hört sich einfach nach der üblichen Panik an, wenn man sich nicht outen will. Bei Juan ist das eben echt ausgeprägt.“

Sam blies die Wangen auf und schrieb den Schlusssatz des Aufsatzes. Hoffentlich würde es nicht zu sehr auffallen. Sam hatte nämlich eine glatte Eins in Deutsch und Dario... nicht. Egal.

„Diese übliche Panik ist ja wohl bei jedem vorhanden, sonst wären Outings ja wahnsinnig einfach. Das liegt einfach in der Natur eines Menschen, dass er vor so was Angst hat“, entgegnete Sam leise und hoffte, Dario würde jetzt nichts Blödes erwidern, denn eigentlich waren seine Einwände schon dahingeschwunden. Er war nun mal nicht der Eloquenteste.

Dario überlegte kurz. Dann nickte er. „Kann schon sein. Es ist eben hier ein größeres Risiko. Es ist in jedem Land ein Risiko, in dem die Bewohner heftig an Gott und diesen ganzen Kram glauben. Was glaubst du denn, warum Brasilianer alle nicht schwul sein sollen?“

Sam lächelte „Keine Ahnung. Ich weiß nur, dass Juan seltsamer reagiert hat als alle anderen und dass ich jetzt alles über ihn wissen will, was du weißt.“

„Alles?“, fragte Dario mit nervösem Unterton nach.

Sam nickte.

Dario stöhnte. „Ich weiß aber eine Menge über ihn.“

„Dann die Kurzform“, beschloss Sam auffordernd und Dario nickte resigniert.
 

„Früher waren wir die besten Freunde, bis ich so dumm gewesen bin, sein Tagebuch zu lesen. Wir waren immer zusammen, haben alles zusammen gemacht, waren zusammen im Urlaub, haben uns immer nur zu dritt bei seinen oder meinen Freunden getroffen und sind einfach immer aufeinandergehockt. Das erste Mal, dass wir getrennt waren, war, als er in die Schule kam. Er ist ja ein Jahr älter als ich und ist früher reingekommen. Hat mich fertiggemacht, weil wir dann auch nicht mehr so wahnsinnig viel tun konnten. Aber wir waren immer noch tolle Freunde. Er hat mir einfach alles erzählt und so. Ich weiß, wann er seinen ersten Kuss und den ersten Sex gehabt hat, ich weiß, in wen er angeblich verknallt war und ich weiß, wann er das erste Mal getrunken hat und wann er was geschrieben hat und welche Noten er bekommen hat. Das Einzige, was ich nicht wusste, war, dass er schwul war. Das hab ich ja dann rausgefunden. Ist das genug?“

Er sah Sam auffordernd an. Der schüttelte den Kopf. „Genauer, bitte.“

Dario seufzte erneut. „Okay. Es war scheiße, als er in die Schule kam, weil er erstmals Freunde hatte, die ich nicht kannte. Er hat mir immer erzählt, was grade so passierte. Seinen ersten Kuss hatte er mit neun Jahren und es war scheiße. Sie hieß Nuria und mit ihr hatte er vor kurzem Sex. Das erste Mal hatte er mit dreizehn im Urlaub in Frankreich. Die Französinnen sind ja bekanntlich extrem schnell im Umgang mit Sex. Eine hat ihm gesagt, sie würde ihn gerne sofort entjungfern und da er genau dort das erste Mal getrunken hatte, war es ihm egal. Er fand es auch hinterher noch gut. Sie hieß Victoire und war extrem seltsam. Aber offenbar gut im Bett.“ Er lächelte leicht. „Er hatte immer die besten Noten und war immer ein Musterschüler. Reicht das?“

„Fürs Erste“, befand Sam lächelnd.

Dario atmete erleichtert aus. „Ich mag es nicht, so lange zu reden“, gestand er dann.

Eine Sekunde starrte Sam ihn nur an.

Dann brachen sie beide in Gelächter aus.

„Ich dachte, das meinst du ernst. Wie wenn das so wäre.“ Er kicherte und Dario nickte. „Du hättest dein Gesicht sehen sollen. Zucker.“
 

Sam war beleidigt. Aber nur kurz. Dann lachte er wieder mit Dario, der ihn kurzzeitig an Juan erinnerte.

Oh, Juan. Mit einen Mal war Sams Euphorie verflogen. Er vermisste Juan. So sehr.

Sosososososo sehr!

Dario spürte, dass etwas nicht in Ordnung war, denn er musterte Sam nur verwirrt, ehe er es mit einem Mal begriff.

„Juan“, sagte er dann.

Sam nickte nur und Dario blies die Wangen auf. „Das ist... schlecht.“

Sam nickte nur.

Er wollte zu Juan.

Jetzt.

Sofort.

Auf der Stelle.

„Tut mir leid“, sagte Dario leise. „Ich kann nichts dafür, dass ich ihm ähnlich sehe. Aber ich kann ja schnell eine Mütze aufsetzen und mit einer Sonnenbrille mein Gesicht verändern, wenn’s was hilft.“

Er lachte trocken auf und konnte sich kaum noch beruhigen, weil er die Idee so bescheuert fand. Als er aufhörte und sich die Lachtränen aus den Augen gewischt hatte, sah er, dass Sam ihm auffordernd eine Mütze und eine Brille entgegenstreckte.

„Sahm“, sagte Dario verwirrt, „es war nur ein Scherz. Ich will das nicht und du willst es auch nicht, oder?“

Sam legte den Kopf schief. „Kann schon sein“, sagte er dann und seine Gedanken kreisten nur um Juan. Sein Lächeln, seine Augen, seine Küsse. Juanküsse. Juans Küsse waren die schönsten, die Sam je erhalten hatte. Er hätte gern noch mehr von ihm gespürt... aber es sollte wohl nicht sein.

„Tut mir leid, dass ich die Stimmung hier so vermiese“, entgegnete er auf Darios abwartenden Blick. „Ich glaub grade nur, dass das mit Juan und mir sowieso nie geklappt hätte. Also bitte. Fernbeziehungen sind absolut scheiße und diese hier hätte nicht mal eine Chance gehabt, wenn ich hier leben würde, weil Juan absolut Angst davor hat, sich zu outen. Es ist also total sinnlos von mir, mich hier so aufzuregen, oder?“

Ehe Dario begeistert nicken konnte, sprach Sam weiter: „Trotzdem nervt es mich total, dass ich ihm so egal bin. Er hat mich ja sogar komplett ignoriert heute. Würde er mich toll finden, würde er um mich kämpfen, oder? Das zumindest ist das Einzige, was ich meiner Mutter je geglaubt habe: Dass man um seinen Geliebten oder“ – er würgte – „seine Geliebte kämpft, wenn man ihn oder sie wirklich liebt. Und das hat er ja nicht getan.“

Darios Blick wurde nachdenklich. „Woher... woher weißt du, ob er dich liebt?“, fragte er dann schüchtern nach.

Sam kniff die Augen zusammen. „Das ist es ja: Es ist zu früh für so was gewesen. Wir waren grade mal ein paar Tage lang zusammen. Woher soll ich wissen, ob er mich liebt, wenn wir uns noch nicht mal kennen?“

Dario überlegte eine Weile. Dann: „Ich glaube, es ist einfach so. Du kennst doch den Begriff Liebe auf den ersten Blick, oder? Ich glaub, es war so was in der Art. Und du hast doch nicht wegen nichts und wieder nichts so geheult und machst so ein Drama draus, dass alles aus ist, bevor es angefangen hat, oder nicht? Denk mal drüber nach“, forderte Dario Sam auf.
 

Er tat, wie es ihm geheißen. Er dachte nach. Lange. Lange. Länger. Noch länger.

Dario fing nach zehn Minuten an, im Internet zu surfen vor Langeweile und sah sich irgendwelche seltsamen Seiten an. Wenn Sam es nicht besser wüsste, würde er sagen, Dario surfte auf Singlebörsen herum. Aber Sam wusste es besser.

Na ja...

Jedenfalls überlegte Sam weiter und weiter und weiter. Und weiter. Und weiter.

Er kam jedoch zu keiner Lösung. Wirklich nicht.

Dario schaute sich gerade das Bild eines äußerst attraktiven Mannes an, als Sam resigniert zugab, dass er keine Ahnung hatte, ob es stimmte, was Dario gerade gesagt hatte.

Der zuckte mit den Schultern. „Ich doch auch nicht“, sagte er leise. „Es ist nur, was ich denke. A proprósito, wie findest du den Typen?“ Er verschob den Bildschirm ein wenig, sodass Sam ihn näher betrachten konnte.

Sam zuckte die Schultern. „Nicht so ganz mein Typ, aber okay.“ Dann schwieg er wieder. Als er den Mund erneut öffnete, war er sich sicher, das Thema Juan nicht mehr anzuschneiden. Er konnte es verhindern!

„Weißt du, als ich dich das erste Mal beim Nachsitzen getroffen hab und du so gemein über Juan hergezogen bist, da dachte ich, dass du dich vielleicht in mich verknallt hast oder mal in ihn verknallt gewesen bist.“ Sam lachte und so viel zu seinem Wunsch, das Thema zu beenden. Bitte, es war doch sowieso gleich klar gewesen, dass er das nicht durchhalten würde.

Dario schaute ihn verwundert an. „Wieso sollte ich in dich verknallt sein? Du bist nicht mein Typ, wie du an den Bildern siehst, die ich grade anschaue.“

Sam beugte sich vor und musste wider Willen lachen. „Hahaha. Der Kerl da sieht ja so aus wie...“ Er kicherte und besah sich die Bilder genauer, während Dario auf einmal still wurde.

Sam stutze und beugte sich noch näher hin, um sich das aktuelle Bild genauer anzusehen. „Äh, Dario... das ist doch jetzt nicht wirklich... oder?“

Darios Gesicht wurde knallpink und schnell wollte er die Bilder wegklicken, die er in irgendeinem Maríaforum (wahrscheinlich) geöffnet hatte. Doch Sam war schneller, stieß Dario weg und starrte fassungslos erst den Bildschirm an und dann Dario.

„Das ist doch jetzt nicht dein Ernst, oder? Das ist ein Freak!“

„Er ist kein Freak“, verteidigte Dario ihn tapfer. „Er ist einfach nur... Miguel.“

Sam stöhnte. Dario brauchte dringend Hilfe.
 

„Mensch, es ist MIGUEL!“, versuchte Sam es schon zum hundertdreiundachtzigsten Mal. Dario stellte sich taub und besah sich dümmlich grinsend noch ein Bild von Miguel. Jetzt war er in einer Art spanischem Schülervz namens Tuenti, das aber eher wie Facebook war und sich nach Tunte anhörte, und starrte immer wieder auf neue Bilder von Miguel.

Kein Wunder, dass Dario unbedingt zu ihm gehen wollte... Jetzt machte das alles einen Sinn.

„Uäääh.“ Sam schüttelte sich. Nicht, dass er Miguel nicht mochte, aber er konnte sich nicht vorstellen, dass dieses asexuelle Wesen einen Verehrer haben konnte...

„Hey, sei doch nicht so fies zu ihm. Er ist toll.“ Dario verzog das Gesicht und Sam lächelte. „Ich weiß. Er ist wirklich nett und so – soweit ich das kapiere –, aber er ist... na ja, er wirkt nicht gerade so, als wäre er auf eine Romanze aus“, versuchte Sam es erneut.

Dario nickte heftig. „Das ist das Problem. Ich hab mal mit ihm geredet, als er nachsitzen musste, weil er wegen einer Soap seine Hausaufgaben nicht machen konnte. Da war er so toll. Er kam mir... unheimlich anders vor als er sonst so rüberkommt. Verstehst du?“

Sahm nickte nur. Wahrscheinlich kam er bei Dario sonst sowieso nicht durch. Der schwebte auf Wolke Sieben, weil er in Miguels Haus war und es himmlisch für ihn war. Dass das Sam nicht vorher aufgefallen war... Okay, er kannte Dario ja nicht wirklich, aber das hätte selbst einem Idioten kommen müssen, oder? Sam war doch eigentlich keiner.

„Ich glaub einfach nicht so ganz, dass Miguel zu einer Beziehung bereit ist“, sagte Sam vorsichtig und Dario blickte nur kurz auf, ehe er antwortete.

„Er ist es. Er weiß es nur noch nicht. Aber ich weiß, dass er es ist.“

Sam klickte nervös mit dem Stift herum, den er eben für Darios Aufsatz verwendet hatte. „Was hast du da mit ihm geredet?“

Dario lächelte verträumt. „Er hat sich darüber aufgeregt, dass seine Serien sich mit der Schule überschneiden und dass er immer zu spät zu einer kommt, sodass er nie weiß, wie die schlimme Situation vom Vortag ausgegangen ist. Und er meinte, dass er eigentlich gar nicht vorgehabt hat, die zwei Jahre fürs Abi noch draufzulegen, aber seine Mamá hat ihn dazu überredet. Er hätte viel lieber irgendwas anderes gemacht, damit er mehr Serien sehen kann.“

Sam lachte. „Kann ich mir vorstellen. Er dreht ja schon durch, wenn er mal eine Sekunde lang was anderes tun muss als María anzustarren.“

Dario lächelte leicht. Dann verwandelte sich sein Lächeln in eine Grimasse. „Du sagst es. Er denkt immer nur an seine Serien. Auf die Idee, dass jemand in ihn verknallt sein könnte, kommt er nicht mal! Er lebt nur für María und Pedro und Pablo und Angela und wie diese ganzen Idioten da alle heißen! Das nervt mich so extrem. Seit zwei verfickten Jahren versuche ich jetzt schon, ihn auf mich aufmerksam zu machen und nichts ist! Nichts, verstehst du? Nada. Ich werde noch wahnsinnig. Dass ich mal mit ihm länger reden konnte, ist schon ein Wunder. Normalerweise lässt er keinen an sich ran und keiner hat auch nur im Geringsten eine Ahnung, warum zur Hölle er überhaupt bei diesem Austauschding hier mitmacht. Nicht mal ich tu das und ich bin normalerweise gerne woanders. Ich frage mich, wie er überhaupt rausfinden konnte, dass er schwul ist. Er hockt doch eh nur vor dem Fernseher und nie tut er was anderes. Selbst ich geh manchmal mit auf Partys, und wenn es nur ist, um nicht alleine bei meiner Mutter rumzuhocken, die den Rosenkranz für mich betet und mich bittet, an Ostern ein Büßergewand umzulegen und mich zu geißeln, um mich dafür zu bestrafen, dass ich bisexuell bin.“ Er holte tief Luft und begann dann, weiterzuschimpfen. „Weißt du, wie das ist, wenn man einfach nur von jemandem geliebt werden will? Dieses Arschloch kennt wahrscheinlich nicht mal meinen Namen, geschweige denn weiß er, dass ich in derselben Klassestufe bin. Ich hab zwar einmal mit ihm so richtig geredet, aber selbst da war er abgelenkt und hat heimlich ständig auf sein Handy geschaut, um mitzubekommen, was mit seinen Soapstars so ist – seine Mamá hat es ihm geschrieben –, weil er ja nachsitzen musste und so eine Folge nicht sehen konnte. Er regt mich so was von auf und das Schlimme ist, dass ich ihm nicht böse sein kann, weil ich so was von verliebt in ihn bin, dass es für mich schon ein beknackter Erfolg ist, überhaupt in diesem Haus zu sein, ¿comprendes?“
 

Sam wusste nicht genau, was er erwidern konnte. Natürlich war es ihm schon des Öfteren so ähnlich gegangen wie Dario, aber nicht in diesem Ausmaß. Denn er musste zugeben, dass Miguel eine extrem harte Nuss war.

„Hör zu“, sagte er bedächtig. „Ich weiß jetzt nicht genau, wie ich dir das sagen soll, aber: Schau dich doch mal um. Nicht hier“, sagte er spöttisch, als Dario anfing, seinen Kopf zu drehen. „Da draußen. Da laufen eine Menge guter Typen rum, oder nicht? Du könntest mal versuchen, mit einem von denen was zu tun. Du musst dich ja nicht gleich verlieben, aber es würde dir vielleicht helfen, Miguel ein wenig beiseitezudrängen. Denn... na ja, er... wird es in tausend Jahren nicht merken, was mit dir ist.“

Dario schaute ihn empört an. „Wie kannst du so was nur sagen? Hast nicht du vorhin mir erklärt, dass man kämpfen muss, wenn man jemanden liebt? Und ich kann mit Fug und Recht behaupten, dass ich verliebt bin, denn ich schwärme für ihn, seitdem ich weiß, dass ich bi bin. Na gut, eigentlich ist sogar er der Grund, dass ich es überhaupt rausgefunden hab. Und Johnny Depp. Und ich für meinen Teil werde um ihn kämpfen. Das solltest du bei Juan oder er bei dir auch tun.“

Sam schüttelte den Kopf. „Da hat es keinen Sinn. Morgen bin ich in Deutschland und er ist hier.“

„Wenn du das so sagst, hat es auch keinen Sinn“, sagte Dario leise und schaute ihn mit einem seltsamen Ausdruck in den Augen an.

„Du könntest trotzdem noch mal mit ihm reden“, schlug er dann vor. „Sozusagen als... äh, Versöhnung oder so? Ihr müsst ja nicht zusammenkommen. Es reicht ja eine Freundschaftsebene, nicht?“

Sam schüttelte den Kopf und Dario wandte sich wortlos dem Bildschirm zu.
 

Dario war recht schnell verschwunden. Er hatte Miguels Aufmerksamkeit nicht mehr erregen können und musste ohnehin noch einige Hausaufgaben erledigen.

Sam war alleine und machte sich ans Kofferpacken.

„Ich packe meinen Koffer mit komisch müffelnden Socken“, sagte Sam und packte komisch müffelnde Socken ein.

„Ich packe meinen Koffer mit komisch müffelnden Socken und einem María-T-Shirt von Miguel“, sagte er und packte ein María-T-Shirt von Miguel ein.

„Ich packe meinen Koffer mit komisch müffelnden Socken, einem María-T-Shirt von Miguel und einer kackbraunen Haarbürste von Miguels Mamá, die sie mir geschenkt hat“, sagte Sam und packte eine kackbraune Haarbürste von Miguels Mamá ein.

„Ich packe meinen Koffer mit komisch müffelnden Socken, einem María T-Shirt von Miguel, einer kackbraunen Haarbürste von Miguels Mamá, die sie mir geschenkt hat und einem Schuh von Juan“, sagte Sam und brach zusammen.

Juan hatte gestern einen Schuh vergessen, als er rausgerannt war. Wie genau er „einschuhig“ gegangen war, konnte Sam nicht sagen.

Sam starrte auf den Schuh und fühlte sich elender als zuvor. Warum war er so dumm gewesen und hatte Juan nicht einfach versucht zu verstehen? Warum war er so ausgeflippt? War er völlig banane?

Sam seufzte und blickte den dunklen Schuh weiterhin an, während er ihn befingerte. Dann war er ihn gegen die Wand.
 

„Von vorne“, sagte er schniefend und zog ein paar neue Sachen hervor.

„Ich packe meinen Koffer mit einem Bilderbuch von Miguel über María“, sagte Sam und packte ein Bilderbuch von Miguel über María ein.

„Ich packe meinen Koffer mit einem Bilderbuch von Miguel über María und einem Haarreifen, der wohl Tom gehört“, sagte Sam und packte einen Haarreifen ein, der wohl Tom gehörte.

„Ich packe meinen Koffer mit einem Bilderbuch von Miguel über María, einem Haarreifen, der wohl Tom gehört und einem fucking Liebesbrief an Juan, den ich nie abgeschickt habe.“

Fluchend warf er auf einmal alle Sachen kreuz und quer in seinen Koffer.

„Scheiße, Scheiße, verdammte SCHEISSE!“

Kleidung, Erinnerungen, Souvenirs, alles landete irgendwie im Koffer. Am Ende musste Sam einsehen, dass er seinen Koffer wirklich nicht mehr in diesem Leben schließen konnte und wahrscheinlich auch nicht im nächsten.

Wütend zog er alles wieder heraus und fing an zu schreien.

So lange und laut, bis Miguel erschrocken hereinrannte und ihn fragte, ob er gerade abkratzte.

„Ich kann meinen Koffer nicht packen, weil er die ganze Zeit meine Gedanken beherrscht und das nervt mich und ich will das nicht mehr und es macht mich fertig und... und...“ Er konnte nicht mehr weiterreden, sondern ließ sich in Miguels Arme sinken und fing an zu heulen, bis dessen Shirt komplett durchnässt war. Zumindest vorne.

Dann half Miguel ihm, den Koffer zu packen und packte heimlich, als Sam im Badezimmer war, auch noch die Erinnerungen an Juan zuunterst ein. Wer konnte schon ahnen, ob er sie noch brauchen würde?

Dann ging Sam ins Bett. Er musste immerhin noch früh genug aufstehen am nächsten Tag.



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