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Geheimnisse in Paris

von

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Idioten bei der Arbeit

Ein Räuspern lies die Drei herumfahren.

In der Tür standen André und Theresa, einander stützend. Blaue Flecken verzierten ihre Haut, beide hatten je ein blaues Auge und Andrés Lippe blutete.

„Ich würde noch nicht anfangen, unsere Nachrufe zu schreiben.“, schlug er vor, dann sank er auf die Knie und klappte in sich zusammen.

Theresa rollte mit den Augen.

„Ich hab ihm dreimal gesagt, dass er zum Arzt gehen soll, aber offenbar findet er es toll, immer wieder ohnmächtig zu werden. Oder er will vor einer gewissen Person hier angeben“, sagte sie spitz und fixierte Tony mit den Augen, die mit den Schultern zuckte: „Ich weiß nicht, wovon du redest, Theresa. Aber du könntest erzählen, was passiert ist.“

„Wie schon gesagt, wir wurden überfallen.“

„Wie ist denn das passiert?“, fragte Tony und ging besorgt zu Theresa herüber, „Geht es euch gut?“

„Meine Ehre ist ein wenig angeknackst“, meinte die Praktikantin, während André vom Boden murmelte: „Mir geht’s gut!“

„Das glauben wir Dir“, seufzte Theresa und schaute dann wieder zu Tony herüber: „Nun, wie schon gesagt, wir waren auf dem Rückweg von der Feier und plötzlich waren diese Typen da. Der Eine zog ein Messer und ließ es aufschnappen. Naja – ich…“

„Das hättest Du sehen müssen, Tony“, murmelte André, der sich gerade aufrappelte: „Poesie in Bewegung. Sie hat Karate gelernt und kann sich entsprechend gut verteidigen.“

„Ach was“, machte Theresa mit wegwerfenden Handbewegungen, „ich kann mich leidlich meiner Haut erwehren.“

„Quatsch“, machte ihr Freund und schaute zu Tony und Alain herüber. In den Augen des Praktikanten funkelte Begeisterung und Liebe, „Die Frau ist gut. Ich habe selten jemanden gesehen, der sich so geschickt und gut bewegen kann.“

Alain räusperte sich: „Das mag schon sein, aber Tony ist auch nicht schlecht. Sie hat Karate bei Bricolage gelernt und der hat immerhin den schwarzen Gürtel.“

„Nicht übel“, meinte André, „Aber gegen meine Theresa hat sie keine Schnitte.“
 

Theresa und Tony schauten einander an und beide Frauen wussten, was im Kopf ihrer jeweiligen Freunde vorging. Typisches Erpelgebahren – aufplustern, um nicht als ‚inferior’, also minderwertig, da zu stehen. Einander zulächelnd, wandten sich die beiden Frauen voneinander ab, gingen zu ihrem jeweiligen Arbeitsplatz und ließen sich nieder.

Währenddessen waren die beiden Männer aufeinander zu gegangen.

„Meine steckt deine locker in die Tasche“, meinte André gerade, während Alain mit einem „Das glaubst Du doch selbst nicht.“ konterte.

Dabei wunderte er sich, warum er sich auf diese Art des Konkurrenzkampfes einließ. Er war doch normalerweise recht zurückhaltend?
 

„Nun“, meinte Tony plötzlich von ihrem Sitzplatz her, „Vielleicht sollten wir den Hahnenkampf bis nach der Arbeit vertagen, wie wäre es damit?“

Alain und André schauten einander an, überlegten und nickten dann: „Gute Idee.“

Das hatten beide in derselben Wortwahl, demselben Duktus und derselben Stimmmodulation gesagt, sodass sich Tony erneut die Frage, woher ihr dieses Verhalten bekannt vorkam, stellen musste.
 

Nachdem sich André zu ihr gesetzt hatte, und Tony begonnen hatte, einige Zeilen zu Papier zu bringen, stoppte die Journalistin und schaute ihren Praktikanten an.

„Wart Ihr eigentlich schon bei der Polizei?“, fragte sie und der junge Mann schüttelte den Kopf: „Tut mir leid, dazu hatten wir keine Zeit.“

„Wie, ihr hattet keine Zeit?“

„Nun, weißt Du, Theresa hat sich und mich nach Hause geschleppt und kaum, dass sie mich ins Bett verfrachtet hatte und ich merkte, wie mein Bewusstsein noch mehr schwand, als es das vorher schon getan hatte, merke ich noch, wie sie sich nicht mehr auf ihren Armen halten kann und neben mir ins Bett sinkt. Ich erinnere mich noch, wie ich sie in die Arme nehme und dann – naja, einschlafe oder ohnmächtig werde, ich glaube, das kann man so und so sehen.“

Die Journalistin schüttelte ungläubig den Kopf: „Und dann seit Ihr einfach so, als ob nichts gewesen wäre, zur Zeitung gekommen?“

„Ja“, nickte der Mann, „Wir konnten uns doch nicht sofort am zweiten Tag einen Fehltag leisten.“

„Wie kann man nur so dumm sein?!“, entfuhr es Tony und André schaute sie überrascht an, als ihre Stimme – ein Ausdruck der Kraft und der Wut – die angemessene Lautstärke für Raum und Uhrzeit um einige Dutzend Dezibel überstieg.

„Bitte?“, fragte André die junge Frau und sie schaute ihn an, als könnte sie gar nicht fassen, was sie da gerade gehört hatte, „Ihr kommt jetzt mit.“

Es war eine Feststellung, keine Bitte, keine Frage. Sie griff Andrès Handgelenk – nicht gerade sanft, wie der Praktikant fand – ging zu Theresas Tisch, griff auch sie und ging dann zum Büro von Monsieur Chailleau. Als das Klopfen erklungen war, öffnete der Redakteur die Tür und schaute die Versammlung verblüfft an: „Was ist los, Tony?“

„Ich bringe die beiden zu Inspecteur Calvignac – sie waren noch nicht bei der Polizei.“

Auch Chailleau war fassungslos: „Dann solltet Ihr das so schnell wie möglich nachholen.“

Gut – die Fassungslosigkeit Chailleaus hielt sich optisch ziemlich in Grenzen, allerdings erkannte Tony, das auch er ziemlich überrascht von der Dummheit der Beiden gewesen war.

„Siehst Du, André, ich habe es Dir gesagt. Wir hätten erst zur Polizei und dann ins Krankenhaus gehen sollen.“, zischte Theresa ihm zu und der junge Mann zog schuldbewusst den Kopf ein, „Gut, dann – gehen wir jetzt.“
 

Das Büro von Gustave Calvignac entsprach im Großen und Ganzen dem Bild, das man in der Regel von einem Polizeibüro hatte. Da war der Schreibtisch, das Fenster mit Blick auf Paris, Fotos die ihn mit seiner Frau zeigten – und da war vor allem die Pfeife, die sich der Schnauzbart, zu dem Calvignac gehörte, gerade anzündete.

„So“, meinte er, nahm einen Zug und schaute zwischen Tony, Alain, André und Theresa hin und her – die beiden Praktikanten erinnerten ihn an wen. Wenn er jetzt nur wüsste, an wen?

„Sie sagen also, Sie sind auf der Rue de Stockholm überfallen worden, ja?“

„Das ist richtig“, sagte Theresa und schaute den Polizisten an, der sich räusperte: „Und Sie sind bestohlen worden.“

„Ja.“

„Was genau wurde gestohlen?“

Theresa schaute zu André, räusperte sich dann und wandte dann ihre Aufmerksamkeit voll auf Calvignac auf: „Eine Brosche. Sie war ein Geschenk von Lord MacGuffin.“

Nun hob André eine Augenbraue: „Lord MacGuffin? Mir hast Du gesagt, Du hättest es Dir in diesem neuen Geschäft gekauft – Wollewert , oder wie das heißt.“

Calvignac räusperte sich: „Ich darf Sie bitten, die Befragung nicht zu unterbrechen?“

„Entschuldigung, Monsieur L’inspecteur“, lächelte André freundlich, „Ich wusste nur nicht, dass es sich bei dieser Brosche um ein Geschenk von diesem Schleimbeutel MacGuffin gehandelt hatte.“

„André!“, machte Theresa und schaute ihn böse an: „Lord MacGuffin ist kein Schleimbeutel.“

„Nein, natürlich nicht“, sagte der Journalistenpraktikant und funkelte nun seinerseits ein wenig böse, „Deswegen hast Du mir auch nicht gesagt, von wem das Geschenk ist, nicht wahr?“

„André!“, machte Theresa erneut und der Angesprochene hob die Hände, „Ist ja schon gut. Ich sag ja gar nichts mehr.“
 

Sie wurden befragt.

Theresa und André sagten aus, an was sie sich je erinnern konnten, bei Theresa war die Menge an Erinnerungen eindeutig mehr, während André sich nur an die Faust des größten Typen erinnern konnte, die ihm einen Kinnhaken verpasste. Anschließend konnte er noch fragmentarisch beschreiben, wie Theresa gekämpft und ihn dann versucht hatte, zu wecken, um mit ihm ins Hotel zu gehen.
 

Plötzlich schaute Tony zu Alain und bedeutete ihm, mit ihr vor die Tür zu kommen, was dieser, nach einem kurzen, verwirrten Seitenblick auch tat.

„Sag mal“, setzte die Frau an, kaum, dass sie draußen waren, „was hältst Du, von der Sache?“

„Ich weiß nicht. Ich meine, so wie Calvignac es gesagt hat, könnten es Mitglieder dieser Bande sein, die Paris in der Nacht unsicher macht – du weißt schon, die ‚terreurs de la nuit’.“

Die Frau nickte: „Das könnte wirklich sein – oder natürlich: Die beiden Herren gehören zu Madame Lapin.“

Der Fotograf legte den Kopf schief: „Meinst Du?“

„Es könnte sein.“, erklärte sie, „Ich meine, wenn die Brosche wirklich ein Geschenk von Lord Archibald MacGuffin ist, dann ist sie sicherlich wertvoll. Und wir wissen, dass Madame Lapin für wertvolle Schmuckstücke schwärmt.“

„Da hast Du recht, das wissen wir wirklich“, nickte der Mann und schaute zu seiner Freundin herüber, „Dann sollten wir uns, nachdem wir Theresa und André eingeweiht haben, auf die Suche machen.“

„Nein“, schüttelte Tony den Kopf, „Du hast doch gehört, wie die Beiden sich in einer Krise verhalten. Er geht fast sofort zu Boden, kann sich selbst also nicht beschützen. Und, so wie ich André einschätze, wird er sich von so etwas wie „Sicherheit“ nicht davon abhalten lassen, uns helfen zu wollen. Besonders, wenn es darum geht, seine Freundin zu verteidigen.“

„Ja, da hast Du recht, Tony“, stimmte der Fotograf zu, „Wir sollten sie wirklich nicht einweihen.“

Und während im Büro von L’Inspecteur Calvignac André und Theresa befragt wurden, machten sich Tony und Alain auf den Weg, ihre eigenen Erkundigungen einzuziehen.
 

„Ah, Mademoiselle Antoinette“, lächelte der ältere Herr und schaute die Frau an, die ihm ein Brötchen reichte, „Es ist immer schön, wenn ich Besuch von ihnen bekomme.“

Direkt vor ihm baute sich eine Weinflaschenlandschaft auf, die ihres Gleichen suchte und der ältere Herr blinzelte ihr mit klugen Augen zu.

„Pierre, es ist immer schön, Dich zu sehen“, meinte die Reporterin mit einem sanften Lächeln in der Stimme, was den Angesprochenen dazu bewog, die Augenbrauen amüsiert zu heben.

„Wenn Du mich des Öfteren sehen wollen würdest, würdest du mich auch öfter besuchen“, meinte er mit gutmütiger Stimme und schaute die schöne Frau an, „Wie kann ich dir helfen?“

„Freunde von mir hatten gestern einige Schwierigkeiten“, sagte Tony und der Mann schaute zu ihr herüber: „Ach und welche Art von Schwierigkeiten?“

„Die“, grinste Tony, „für die Du der richtige Mann bist.“

„Ach, und wie kann ein einfacher Kreditgeber dir Da helfen? Ich glaube nicht, dass deine Freunde Geldsorgen haben.“, lächelte Pierre und Tony schüttelte den Kopf: „Das nicht, aber – vielleicht kannst Du dich ja mal umhören.“

„Umhören?“, fragte der Mann und überlegte: „Nun, ich könnte meinen Sohn fragen, ob er was gehört hat. Der kleine Francis will ins Familiengeschäft einsteigen – er ist unnachgiebig, wie ein Eispickel.“

„Ich bin sicher, er wird Dich stolz machen, Pierre“, meinte Tony und der Mann nickte: „Ja, das wird er. Meine Zeit endet, Tony – bald wird die Zeit von Francis Hoffstetter anbrechen.“

„Dann weiß ich ja, zu wem ich dann kommen werde“, lächelte Tony und schaute den alten Mann an, „Vorher brauche ich aber deine Hilfe.“

„Natürlich, Tony, alles was Du willst, Liebling.“

„Also – meine Freunde wurden überfallen und meiner Freundin wurde eine wertvolle Brosche gestohlen. Sie gehörte Lord MacGuffin, vielleicht – könntest Du dich mal umhören?“

Pierre Hoffstetter nickte und hörte sich die Beschreibung Tonys an.
 

„Es handelt sich um die Mitglieder einer Diebesbande“, erklärte Tony wenig später dem verdutzten Calvignac, „Sie stehlen Schmuckstücke, um sie auf dem Schwarzmarkt anzubieten. Da dürften Sie keine großartigen Probleme haben, ihrer habhaft zu werden.“

Die junge Frau lächelte den Inspektor freundlich an, der sie komplett verdattert anstarrte, ehe er aufsprang: „Ich habe Ihnen doch schon einmal gesagt, dass Sie sich nicht in Polizeiermittlungen einmischen sollen, Mademoiselle Tony.“

„Ja, aber wenn wir warten, bis Sie den Dieb gefangen haben, Herr Inspektor, hat Theresa ihr Schmuckstück noch nicht mal als alte Großmutter wiederbekommen“, meinte die Frau und zwinkerte dem Polizisten zu: „Außerdem, sehen Sie es als Wiedergutmachung für die Sache mit Madame Lapin.“

Calvignac knurrte.

Dann schaute der Tony an und machte eine wegwerfende Handbewegung: „Wir versuchen immer noch, sie zu fangen – aber, bisher: Kein Erfolg.“

„Das hatte ich befürchtet.“, meinte die Frau und schaute zum Inspektor: „Es tut mir leid, wenn ich Ihnen …“

„Schon gut, Mademoiselle Tony, schon gut – wir sind solche Fehlschläge ja leider inzwischen gewöhnt. Es ist nicht so, dass es etwas neues wäre, dass uns Madame Lapin durch die Lappen geht.“

„Schon, aber dennoch, es… es ist frustrierend.“

„Das ist es“, nickte Calvignac und kaute an seiner Pfeife, ehe er zu André und Theresa herübersahen, die immer noch in den beiden Stühlen vor ihm saßen, „Aber das braucht Sie nicht zu interessieren. Ich habe aber eine gute Nachricht für Sie.“

„Die haben wir gerade schon mitbekommen“, schnitt André eine Grimasse und fing sich einen Stoß in die Rippe von Theresa ein, die ihm ein „Nicht so vorlaut“ zu zischte.

„Was heißt hier nicht so vorlaut?“, fragte André und stand auf, „Wir wissen, wo die Klamotten sind, gehen wir hin und schnappen uns die Brosche!“

„Das ist nicht so einfach“, schritt Alain ein, „Schließlich müsstet Ihr dafür bei dieser Bande einbrechen und…“

Das „Alain!“ von Tony war eine Spur zu laut und André hörte es auch gar nicht mehr. Er lächelte dem jungen Fotografen zu: „Danke für die Idee.“

„Das werden Sie nicht tun.“, sagte Calvignac und schaute zu André und Theresa herüber, die nun ebenfalls aufstand und einen Arm um Andrés Schultern legte: „Nein, das werden wir nicht tun. Versprochen.“
 

Kaum, das sie das Gebäude verlassen hatten, schaute der Journalistenpraktikant gen Himmel, breitete beide Arme aus und sprach, in einem extrem leidenden Ton: „So geht unser Rechtsstaat zu Grunde! Armes Frankreich. Justitia ist umsonst verbrannt worden!“

„Da wirfst Du aber einiges durcheinander“, lächelte Tony, „Justitia ist blind, es war Jeanne D’Arc, die verbrannt wurde.“

„Weiß ich.“, sagte André, „ich wollte nur meiner Laune ausdruck verleihen.“

„Dann tu das aber bitte mit Gleichnissen, die auch passen“, meinte nun Theresa und der Praktikant rollte mit den Augen, als auch noch Alain sagte: „Ja, das wäre wirklich besser.“

„Jeanne D’Arc, hol mich ab, ich werde hier inquisitiert, ich bin fertig mit der Welt“, rief André mit theatralisch ausgebreiteten Armen gen Himmel, was ihm ein Gelächter von den drei Leuten eintrug, die mit ihm unterwegs waren.

Der Praktikant lächelte kurz, wurde wieder ernst und schaute ins gesellige Rund: „Aber mal so unter uns, ich verstehe das nicht. Dein Freund hat sich umgehört, es hat funktioniert, wir haben die Namen und? Was gibt es Neues? Richtig – nichts. Wir können nichts tun, außer selbst zu handeln.“

„Ja, aber Calvignac hat gesagt, dass wir das nicht machen dürfen.“, wandte Theresa ein, und Alain, der gerade etwas sagen wollte, bekam von Tony, die wusste, was Alain sagen wollte, einen grimmigen Blick. Schließlich musste er den Beiden nicht unbedingt auf die Nase binden, dass ihre Methoden, gegen Madame Lapin zu kämpfen, auch nicht unbedingt legal waren.

André warf einen Blick auf die Uhr: „Junge, ist das spät. Kein Wunder, dass ich Hunger habe.“

„Gibt es irgend ein gutes Restaurant hier, dass Ihr uns empfehlen könntet?“, wollte Theresa nun wissen, doch Tony schüttelte den Kopf: „Wir sind in der Nähe meiner Wohnung – und ich bin sicher, dass Madame Leontine uns was Schönes gekocht hat. Schließlich war ich in den letzten Tagen nicht zu Hause und da macht sie sowas.“
 

Natürlich hatte Tony recht mit ihrer Vermutung, denn kaum, dass sie geklopft hatte, öffnete sich die Tür und eine sympathische ältliche Frau blickte aus großen Augen in die versammelte Reporterschar.

„Meine Güte, Kinder“, lächelte sie, „Kommt doch rein. Ich mach euch was Leckeres – Du fällst ja fast vom Fleisch, Tony.“

Damit war Madame Leontine in der Küche verschwunden und André schaute ihr verdattert hinterher.

„Sie erinnert mich an Madame Clementine bei uns im Dorf, dich nicht auch, Theresa?“

Die Angesprochene nickte: „Ja, stimmt. Madame Clementine ist auch so hilfsbereit. Ich muss da nur anklopfen, schon heißt es ‚Kommt rein’ und keine halbe Stunde später steht ein großes Quiche auf dem Tisch.“

„Quiche kann ich nicht anbieten“, kam es aus der Küche, „Aber einen Schweinebraten mit Fenchel und Kräutern wollte ich heute sowieso machen. Es macht für mich also keine Umstände.“

Damit kam sie wieder aus der Küche und lächelte – wie es nur alte Frauen können – freundlich in die Runde: „Setzt euch doch, ihr müsst meinetwegen nicht stehen.“

„Madame Leontine, wir wollten eigentlich oben essen – dann können wir noch ein wenig arbeiten.“, lächelte Tony, was bei Madame Leontine ein Lächeln auslöste: „Wieder ein schwieriger Fall, Tony?“

„So kann man es nennen – Theresa ist eine Brosche gestohlen worden und wir wollen versuchen, sie wieder zu beschaffen.“, sagte die rothaarige Reporterin und André schaute sie verblüfft an: „Ich denke, das dürfen wir nicht?“

„Dürfen wir auch nicht – aber es kann nicht schaden, auf alles vorbereitet zu sein, oder?“, fragte Alain grinsend.
 

„Das ist schick hier“, machte Theresa und schaute sich um, „Du hast ja wirklich einen einmaligen Ausblick.“

Sie stand an einem der vier Wohnzimmerfenster und schaute nach draußen in die Straßen Paris, in denen sich langsam das Nachtleben der Hauptstadt seine Wege suchte. Die Dämmerung war schon stark fortgeschritten, unten wurden die Gaslaternen angemacht und das elektrische Licht der Wohnung schien gegen die Scheibe, sodass jemand, der nicht am Fenster stand nur Theresas sanfte Züge erkennen konnte, die sich im Fenster spiegelten.

„Ja“, lächelte Tony und holte ihre Reiseschreibmaschine hervor, um wenigstens ein wenig über diesen erlebnisreichen Tag zu schreiben. Sie stockte und schaute zu Alain, der ebenfalls am Fenster stand und nach draußen schaute. Sie wusste, woran er jetzt dachte, wenn er so da stand und in Richtung des Eifelturms blickte. Dort war damals eine sehr verworrene Aktion gelaufen – Madame Lapin hatte versucht, den Eifelturm mit einer Bombe zu sprengen und Tony und Alain hatten es verhindert. Vorher hatte der Fotograf noch ein Foto von der Madame gemacht – so hatte sie es zumindest geglaubt, was in der Entführung von Tony gegipfelt hatte. Sie wusste, dass er dann immer noch das Gefühl hatte, das er Tony verlieren würde. Sie hatten nach der Entführung lange und ausführlich darüber gesprochen – hier in diesem Zimmer, auf dem Fußboden mit je einem Glas Wein in der Hand. Und sie hatte ihm geschworen, dass sie alles tun würde, um die Madame zu fassen.
 

André zog gerade den Stuhl ein wenig zurück, merkte, dass das weiße Kissen, das auf dem Stuhl lag, eine merkwürdige gelbe Mütze trug, ehe er sich auf das Kissen setzen wollte. In diesem Moment hörte er jedoch schon ein Fauchen und spürte Krallen in seinem Allerwertesten.

„AU!“, brüllte er und schaute zu dem Sitzkissen, das vom Stuhl gesprungen war und ihn nun warnend anfauchte.

„Filippo!“, machte Tony und schaute den Kater mißbilligend an, der Anlauf nahm und ihr auf die Schulter sprang.

Sich den Hintern haltend, schaute er zu dem Tier, die nun wieder wohlig schnurrte, als Tony den Kater in den Arm nahm.

„Ist das Deine?“, fragte er knurrend, was Filippo wieder zu einem lauten, warnenden Fauchen animierte.

„Filippo!“, mahnte die Rothaarige, ehe sie zu André herüber nickte: „Ja, das ist meiner. Ich bin mit ihm vom Land hierher gezogen und kann mir ein Leben ohne Filippo nicht mehr vorstellen.“

Ein leichtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen, als sie den Kater griff und ihm sanft über den Kopf kraulte, was diesen wieder zum Schnurren brachte. Auch Theresa lächelte: „Och André, ist er nicht goldig?“

„Mhm“, machte der junge Mann und tastete nach seiner Verwundung, ehe er zusammenzuckte, „Ich werde mich mit ihm anfreunden, sobald ich wieder sitzen kann.“

Damit ließ er sich sachte und vorsichtig auf seinen Platz nieder. Keine Sekunde zu früh, denn es klopfte an der Tür Madame Leontine kam mit einer großen Kasserolle in die Wohnung der Reporterin.

„So, Kinder, dann wünsche ich euch einen guten Appetit.“, lächelte sie und wandte sich zum Gehen um.

„Madame Leontine?“, fragte Tony und die ältere Frau drehte sich um.

„Ja, Tony?“

„Danke“, lächelte die Reporterin mit einem warmen, wirklich dankbaren Lächeln.

Madame Leontine machte eine wegwerfende Handbewegung: „Nicht dafür, mein Kind, nicht dafür.“

Und schon ging sie zur Wohnungstür.

„Wenn Sie wollen, setzen Sie sich“, bot ihr Tony an, doch die Madame drehte sich lächelnd um: „Nein, Kinder, Ihr müsst noch arbeiten, da würde ich nur stören.“

Alain schüttelte den Kopf: „Unsinn, Madame, kommen Sie.“

„Nein, nein“, schüttelte Madame Leontine den Kopf, „Wenn ihr euch nachher mit mir unterhalten wollt, stehe ich euch gerne zur Verfügung, aber jetzt esst, sonst wird der Braten kalt.“
 

Während Alain und Tony einander ansahen und dann aßen, während Theresa genießerisch mit den Augen rollend feststellte, dass dies der wohl beste Schweinebraten sei, den sie je gegessen hatte und während André versuchte, sich mit Filippo zu vertragen, was darin endete, dass der Kater ihn mehr als nur einmal kratzte und biss, schloss der Nachtwächter im Petit Palais gerade die Tür und machte sich auf seine erste Runde.
 

Seiner eisernen Routine folgend, machte in seinem kleinen Büchlein schriftlich den Vermerk, dass, seiner Zählung zufolge, alle Ausstellungsstücke - beispielsweise Paul Cézannes „Trois Baigneuses“ - noch vorhanden waren. Auch das Werk „Herculaneum“, ein Gemälde, das die Stadt Herculaneum während des Ausbruchs des Vesuvs zeigte, war noch vorhanden. Doch, als der Nachtwächter seine zweite Runde drehen wollte, war das Bild nicht mehr an seinem Platz. Gerade konnte er noch eine zierliche Gestalt entdecken, die aus dem Fenster kletterte, als ihn eine Faust am Hinterkopf traf und er in Ohnmacht fiel.
 

Und während Alain, Tony, André und Theresa gerade dabei waren, an ihren Artikeln zu arbeiten, ahnten die Vier noch nicht, dass sie bald in eine Verschwörung verstrickt werden würden, die keiner von ihnen auch nur im Ansatz begreifen konnte.
 

TBC



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  She-Ra
2010-11-12T15:36:02+00:00 12.11.2010 16:36
Da wollt ich nen Kommi schreiben und hab es verdrängt >.<
Hatte einfach zu viel zu tun etc >.<
Nu es ist spannend und schreit nach mehr. Wie immer schöner Ausdruck, gute Wortwahl. Mach weiter so ;)


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