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Perlmutt

von

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DÄMMERUNG

Das Echo kreischender Sirenen erfüllte die kalte Luft der Morgendämmerung. Die letzten Ausläufer der Flammen leckten an dem Skelett des Hauses und zogen sich durch die blinden Fenster ins Innere der Ruine zurück. Schwach funkelten die Scherben im verdorrten Gras wie die Glut im Aschebett. Wenig später tauchten im Rauch die flimmernden Schemen jener Männer auf, die gegen das Feuer gekämpft hatten. Sie traten durch die verkohlten Überreste des Hauses und brachten den leblosen Körper ins Freie.

Mireille Adlard kniete auf dem Asphalt und starrte mit aufgerissenen Augen auf das Grundstück, das bis vor wenigen Minuten noch ihr Zuhause gewesen war. Langsam richtete sich ihr Blick auf die rußgeschwärzte Gestalt ihres Mannes. Vor ihrem inneren Auge sah sie sein verzweifeltes Gesicht, als er sie und ihren Sohn zur Treppe stieß, ehe die Deckenbalken über ihm zusammenbrachen.

Hinter ihr ertönte eine Stimme. Mireille wandte kaum den Kopf, als der Feuerwehrmann sie ansprach. Sie verstand kein Wort. Nicht eines. Sie wollte auch nicht. Der Anblick der versengten Mauern brannte in ihren Augen. Ihre Hände klammerten sich eisern um die Schultern ihres Sohnes, der sich rücklings an sie presste. Sie spürte sein aufgeregtes Keuchen mehr, als sie es hörte. Sein Hinterkopf drückte sich durch den Stoff ihres Nachthemdes in ihren Bauch.

Mireille schauderte. Sie spürte die Blicke der Leute auf sich gerichtet. Die Gaffer umstanden das Grundstück in einiger Entfernung und sogen mit den Blicken auf, was sie nicht zu berühren wagten.

Nichtmagier waren es gewesen. Die, die das Haus angesteckt hatten. Die dem blanken Hass verfallen waren. Die verlernt hatten zu unterscheiden zwischen denen, die liebten, und denen, die so hassten wie sie. Die sie hassten.

»Was ist mit Papa?«

Die Stimme ihres Sohnes riss Mireille in die Realität zurück. Sie strich ihm übers Haar, über die Wange. Einen Moment lang verlor sie sich in seinem Anblick. Dann, als wäre um sie herum eine Schale aufgebrochen, sank sie mit einem langgezogenen Klagelaut in sich zusammen.

Irgendwo, fast außer Hörweite, wie ihr schien, schrie ein Kind nach seiner Mutter. Die Stimme wurde immer eindringlicher. Mireille heulte auf, um das Geräusch zu übertönen. Sie hatte keinen Platz für fremden Kummer.

Eine Hand legte sich auf ihre Schulter. Ein Mann sagte etwas. Immer wieder das Gleiche. Irgendwann bemerkte Mireille, dass die Kinderstimme verklungen war, und allmählich ergaben die Worte des Mannes Sinn.

»Kommen Sie.«

»Meine Mama hört nicht auf zu weinen!« Die Worte ihres Sohnes drangen mit einer Deutlichkeit zu ihr durch, die ihr den Atem verschlug. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass er das Kind gewesen war, das gerufen hatte.

Ich habe ihn vergessen!, durchfuhr es sie.

Arme umschlangen sie und richteten sie auf. Mireille zuckte zusammen. Man trug sie fort. Weg von ihrem Haus. Weg von ihrem Mann. Weg von sich selbst. Verzweifelt schlug sie um sich, doch sein Griff war unüberwindbar. Er zog sie fester an sich und hielt sie fest.

Stützte sie.

Mireille erschlaffte. Ihre Hände hatten sich in seinen Mantel gekrallt, ihr Kopf lehnte an seiner Schulter. Er hielt sie aufrecht und verbarg sie vor den Blicken; vor einer Welt, zu der sie nicht mehr gehörte.

Ihr Sohn berührte mit den Fingerspitzen ihr Haar.

»Deine Mama ist sehr traurig«, sagte der Mann sanft. »Und ihre Trauer macht sie krank.«

»Dann mach sie gesund!«

Das Gesicht im Mantelstoff verborgen, lachte Mireille und ergriff die Hand ihres Sohnes. Dann löste sie sich von dem Mann und sah ihn zum ersten Mal an.

Kein Mann – es war ein Junge! Er konnte kaum älter als achtzehn Jahre sein. Er lächelte ihren Sohn an. Mireille beobachtete mit Faszination, wie die Ehrlichkeit dieses Lächelns das junge Gesicht reifen ließ.

»Nein«, sagte er und stand auf. »Aber ich kann helfen, damit es nicht so wehtut.« Er schenkte Mireille einen offenen Blick.

Sie schaute zurück auf das Gerippe ihres Hauses, das kohlschwarz vor der aufziehenden Dämmerung stand. Dampfende Nebelschwaden zogen herauf und umhüllten es wie ein weißes Laken. Mireille streckte die Hand nach der verschwimmenden Silhouette aus und stoppte auf halber Strecke. Ihre andere Hand tastete hinter ihrem Rücken; wonach, wusste sie selbst nicht.

»Kommen Sie mit mir nach Atlantis«, sagte der Mann. Sein Atem streifte ihren Nacken. Sie spürte seine Fingerspitzen an ihren.

Nach einem Moment der federleichten Berührung ergriff Mireille die Hand. Mit dem freien Arm zog sie ihren Sohn an sich und wandte sich von der ausgebrannten Ruine ab. Der Mann drückte ihre Hand. Die Gaffer auf der Straße starrten sie unverhohlen an, doch als Mireille auf sie zusteuerte, wichen sie zurück.

Die Menschen hatten verlernt, zu unterscheiden. Dieser Mann hatte es nicht. Vielleicht hatte auch Atlantis es nicht vergessen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (4)

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Von:  SakuraxChazz
2011-06-18T20:09:24+00:00 18.06.2011 22:09
Okay... Ich will auf jedenfall wissen was Atlantis genau ist. Das klingt sehr spannend. Ich wusste, das es sich lohnen würde erst Requiem zu beenden. Hier ist wieder Konzentration gefragt^^ Also auch wieder eine story wo mal sporadisch ein Kommie kommt. Aber sie ist jetzt schon ein Favorit^^
Und ich hasse Gaffer! Aber war ja klar, das sie da alles kommen.. ist doch immer so...
Echt schlimm... Dabei stehen die nur im Weg... Aber gut.. sollen sie doch. Ich will die mal erleben, wenn denen sowas passiert.
Und ich freu mich auf deine Version von London^^
Also man sieht sich oder so ähnlich^^

LG Saku^^
Von:  fukuyama
2011-04-03T18:23:55+00:00 03.04.2011 20:23
Wie Rej schon sagt, machst du deine Sache mit den Details wirklich gut, aber nicht nur das: es ist die Sprache, die einen wohlig aufseuchfzen und sich zurücklehnen lässt. Wann habe ich das letzte ml das Wort 'Aschebett' gelesen? *lach* Es tut gut zu wissen, dass man es mit jemandem zu tun hat, der über einen großen Wortschatz verfügt, weil dann die Chance größer ist, dass er auch für das richtige Ding das richtige Wort treffen kann.
Der Anfang saß sehr gut. Normalerweise braucht man am Anfang wenigstens zwei sätze (bei einem guten Autor), um ins Geschehen zu finden. Bei dir ist das mit einem einzigen Satz gelungen und ich glaube, es liegt daran, dass wir die Situation so gut kennen. Natürlich hat von uns (hoffentlich) noch keiner vor einem brennenden Haus gestanden, aber viele (alle?) Actionfilme enthalten heute Szenen, die aus dem Schwazer mit Sirenengeheul eingeblendet werden, deshalb hört man diese Sirenen wirklich sofort, wenn man den Satz liest. Es ist ein sehr "bekannter" Einsteig. Gut gemacht!^^b
Was mir dagegen nicht so gefallen hat, war, dass, obwohl du zunächst eine - man muss es fast schon sagen - wunderschöne Beschreibung ihres Schockzustands abgibst, die fast poetisch wirkt, sie dann doch innerhalb weniger Zeilen alles hinter sich lässt und eine 180-Grad-Wende macht. Das hat mich ein wenig (sehr) stutzig gemacht und mir zum Schluss die Lesefreude genommen.
Ich wüsste nur gerne: Warum?

Gruß,
Yama^^
Von: abgemeldet
2010-11-14T20:25:39+00:00 14.11.2010 21:25
Ziemlich bildgewaltige Sprache.
Ich habe jetzt mehrmals gelesen, um alles zu erfassen. Mit Details geizt du wirklich nicht. o.o
Das ist gut, könnte allerdings bei längeren Kapiteln erschlagend wirken, aber mal sehen, was da auf mich zukommt.
Eine Witte samt Sohn und ein Fremder, der sie nach Atlantis schaffen will?
Nette Idee.
Eine schöne Vorstellung irgendwie. Da hat man gleich so die Bilder von dem Trickfilm im Kopf. Also so... wenn man eben Atlantis hört. Mal sehen, inwieweit sich das deckt.
Und ja... ich kann auch klar denken.
Manchmal. XD
Find den Anfang auf jeden Fall gut. Solche Prologe eignen sich immer ganz gut. Mitten im Geschehen, erschlagen von den Ereignissen taumelt man dann zum ersten Kapitel und kann sich trotzdem auf eben jenes einstellen.
Find ich gut~
Von:  SamAzo
2010-10-26T23:27:36+00:00 27.10.2010 01:27
Baustelle?
...
Verwirr mich doch nicht mit sowas. ^^"


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