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Sommerregen

von

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Sommerregen

Es war ihr erster freier Tag seit Wochen.

Das heißt – frei war nicht das richtige Wort.

Auch jetzt war sie an Percy Weasleys Seite. Zusammen trugen sie den Tisch aus der dreckigen Kneipe, die auch nach Ende des Krieges niemand aufgeräumt hatte. Es war nicht notwendig. Der alte Besitzer war tot und den neuen kümmerte es wenig. Irgendwann wollte er hier alles abreißen und ein neues Geschäft eröffnen. Ein Restaurant, größer, schöner und luxuriöser, als es die alte Kneipe Ecke Winkelgasse Hainweg gewesen war. Wenn er Geld hatte – und das hatte er aktuell nicht, nicht genug, um die ganzen Arbeiten zu bezahlen. Wenn sie es sich eingestand, hatte das aktuell niemand.

Aber immerhin ließ er sie gewähren, umsonst, denn bezahlen konnten sie es nicht, außer mit ihren Namen und der golden schimmernden Ministeriumsplakette, die eigentlich nur aus Blech war.
 

Nachdem sie die Treppe bewerkstelligt hatten, gingen sie fünf exakt abgemessene Meter und stellten den Tisch zu dem, den sie davor bereits aus der Kneipe geräumt hatten. Hinter ihnen stand einer der Kollegen, die sie kaum kannte. Sorgsam hexte er die roten Vorhänge, die sie in einem der nur als Lager genutzten Räume des Ministeriums gefunden hatten, an die Wand des alten Gebäudes. Er trug einen ausländischen Aurorenumhang und sein blondes, sorgsam gescheiteltes Haar, ließ eigentlich keinen Rückschluss darauf zu, dass unter der Uniform eine Person steckte, die daran interessiert war, ihnen zu helfen.

Aber er tat es und das war das wichtige.
 

Für einen Moment lehnte sie sich gegen den Tisch um auszuruhen. Er war aus Eichenholz gefertigt – hatte Percy Weasley gesagt – und dementsprechend schwer gewesen. Ihr Kollege war allerdings schon nicht mehr zu sehen, sondern wieder im Lager verschwunden. Vielleicht holte er die Stühle, die sie noch brauchten.

Sie hingegen warf nur einen Blick auf die Uhr – die Mädchen mit den Kuchen waren zu spät – und dann in den Himmel.
 

Es war eigentlich kein schöner Tag, aber verschieben hatten sie nichts mehr gekonnt. Die Sonne war hinter den Wolken nicht zu sehen und stach nur selten durch eine der wenigen Lücken. Wenn sie es tat, wurde die warme, schwüle Luft besonders heiß und drückend, also war es vielleicht sogar besser, wenn sie nicht schien. Hinter ihr stieg der Auror von der Leiter und rückte diese ein paar Meter weiter, um auch das andere Ende der Vorhänge zu befestigen.

Sie blickte kurz zu ihm, doch er war zu beschäftigt, um ihren Blick zu erwidern.

„Schwitzen Sie in dem Umhang nicht?“, fragte sie dann doch und stieß sich vom Tisch ab.

„Nein“, antwortete er und es klang nicht sehr englisch. Vermutlich log er – selbst sie schwitzte und sie trug heute nur ein helles T-Shirt und den geblümten Rock, den sie so liebte. Er stammte noch aus der Zeit vor dem Krieg und es war noch Madame Malkins gewesen, die ihn genäht hatte. Ihr Bruder hatte ihn ihr geschenkt. Heute war er vor allem ein wichtiges Erinnerungsstück.

Der Stoff wogte leicht um ihre Beine, als sie um den Eichentisch herum ging und nach dem Stück Stoff fasste, das sich aus dem Griff des Auroren zu lösen drohte. Mühsam streckte sie sich, um ihm das Bündel hoch zu halten.

„Danke, dass Sie uns helfen. Ich weiß gar nicht, wie ich mich dafür revanchieren soll.“

„Wenn dieser Kuchenbasar ein Erfolg wird, ist das Lohn genug.“

Er schaute sie nicht an – natürlich nicht. Sonst hexte er am Ende noch seinen Finger fest statt des roten Tuches. Und er hatte Recht – es würde ein guter Lohn sein, wenn dieser Basar ein Erfolg wurde. Er war ihre Idee gewesen, schon vor ein paar Wochen, als sie mit Percy Weasley – ihrem Kollegen aus der Zentrale für Wiederaufbau – durch die Winkelgasse gegangen war, um die Schäden zu protokollieren. Ihre Anstellung bei der Behörde für magisches Bauen, vor dem Krieg, half ihnen ein wenig bei der Einschätzung. Aber auch ohne ihr Wissen war die Einschätzung simpel: Die Lage war katastrophal. Kaum ein Stein stand mehr auf dem anderen. Geschäfte standen leer, ihre Besitzer verzogen oder tot, und was leer stand, zerfiel. In anderen hatten während des Kriegs die Todesser gehaust oder Greybacks Wölfe – und mit ihnen Plünderung und Zerstörungswut. Was nach Voldemorts Fall noch stand, fiel der Randale anheim. Fensterscheiben wurden eingeworfen, Türen und Mobiliar zertreten, Wände mit Parolen beschmiert oder alles in Brand gesteckt. Wenn sie an Fortesques dachte – die Eisdiele, in der sie als Kind mit ihrem Hauskameraden immer Eis gegessen hatte – wurde ihr flau im Magen. Fortesques hatten sie noch immer nicht gefunden, nicht lebend und auch nicht in Stücken, und von seinem einst prächtigen Geschäft standen heute nur noch die Brandschutzmauern und ein paar klägliche Reste. Ob es Todesser gewesen waren oder die gelangweilten Jungen aus der Nachbarschaft, wusste sie nicht. Und irgendwo war es auch egal – Fortesques würde dort nie wieder sein Eis verkaufen.

Jedenfalls – jeder hier konnte ein Lächeln auf dem Gesicht gut vertragen, nach dieser fürchterlichen Zeit. Alle lächelten viel zu wenig, auch sie selbst. Aber was war schon aufheiternder, als ein gutes, selbstgemachtes Stück Kuchen? Vieles, zugegeben, aber kaum etwas davon konnte sie geben. Tote erweckte man nicht zum Leben und Geld? Geld hatte sie selbst kaum genug. Aber backen, das konnte sie recht gut und mit ein wenig Schokolade sah die Welt vielleicht ein bisschen weniger trist aus. Also hatte sie mit Percy Weasley gesprochen – und damit seine jüngere Schwester und deren Freunde überzeugt.
 

„Danke, Miss“, hörte sie den Auroren sagen.

Nun blickte er sie doch an und sie nickte zurück. Vorsichtig stieg er von der Leiter, die sie für ihn hielt. Langsam aber sicher wurden die Mädchen mit dem Kuchen wirklich spät.

„Gern geschehen. Hängen sie das Schild noch auf?“

„Alexander“, sagte er schlicht statt zu antworten, griff aber bereits nach dem zusammengerollten Stück Stoff, das Ginny Weasley mit ihren Freundinnen bemalt hatte. Audrey hatte es bereits am vorigen Tag gesehen. Es war fürchterlich bunt – also genau richtig für ihr Vorhaben.

Aus der Bahn geworfen stockte sie und er musste ihren Blick bemerkt haben, denn er lächelte sie an. „Mein Name ist Alexander.“

„Ich bin Audrey“, antwortete sie und lächelte ebenfalls. Es gelang ihr recht gut, auch wenn es ihr nach wie vor schwer fiel. Er hatte diese Probleme vermutlich nicht – immerhin hatte er nicht in Großbritannien um seine Freiheit gekämpft. Wobei auch das nur eine Vermutung war. Immerhin war er hierher gekommen um zu helfen. Also sah er die Schäden ebenfalls, wenn vielleicht auch nicht aus ihrem Blickwinkel.
 

„Die Mädchen kommen.“

Es war nicht Alexander, der sprach, denn der war bereits dabei, das Plakat zu entrollen, sondern Percy Weasley. Dieser stand mit zwei Stühlen in der Tür zum Lager und schnaufte.

Tatsächlich konnte sie, wenn sie die Winkelgasse hinab schaute, Ginny Weasley ausmachen, die, ein Paket in der einen Hand haltend und mit der anderen winkend, bereits ihre Namen rief. Hinter ihr erkannte sie auch Mrs. Weasley, Hermine Granger und die beiden Französinnen, deren Namen sie sich noch nicht hatte merken können. Sie winkte zurück, dann ging sie ihnen entgegen, um Mrs. Weasley einen Teil der Kuchenschachteln abzunehmen.
 

„Bringt den Kuchen erst einmal rein. Wir haben noch eine Stunde, bis wir anfangen wollen“, begrüßte Percy die Neuankömmlinge, als diese schließlich vor der Tür zum stehen kamen. „Audrey, wo ist die Tischdecke?“

Sie seufzte, aber beschwerte sich nicht. In den letzten zwei Monaten hatte sie sich so sehr an seinen Befehlston gewöhnt, dass sie ihm diesen nicht mehr böse nahm. Zu Beginn ihrer Arbeit hatte sie das anders gesehen, war mittlerweile allerdings zu dem Schluss gekommen, dass er es nicht so meinte, wie es wirkte. Und natürlich hatte sie auch ein gewisses Verständnis – jeder hatte in diesem Krieg geliebte Personen verloren. Das galt auch für sie – auch wenn sie mit der Trauer anders umging.

„In meiner Tasche. Ich bringe sie mit raus“, antwortete sie daher schlicht und ging, den anderen voran, ins Gebäude.
 

Die Kneipe war so trist, wie die Winkelgasse selbst. Aber immerhin stand sie noch, nicht so wie der Eissalon.

Durch die Fensterscheiben drang schmieriges Licht, das heller wurde, als die Sonne durch die Wolken brach. Mit dem Licht wurde es auch wärmer in dem leeren Raum, aber es störte sie nicht. Im Gegensatz zu draußen war es recht kühl.

Tische gab es nur noch drei – zwei davon standen draußen – und auch die Stühle hatten sie erst suchen müssen. Das restliche Mobiliar hatte hinter der zerschlagenen Theke gelegen, in handgerechten Stücken und zwischen einem Haufen Scherben. Die hatte sie mit Percy Weasley, seiner Mutter und seiner Schwester vor ein paar Tagen ausgeräumt. Dem waren die leeren Bierflaschen, die sie in einer Ecke gefunden hatten, ebenso gefolgt, wie die zerrissenen, von Motten zerfressenen Vorhänge. Einer der Brüder hatte die Löcher im Dach gestopft, zwei andere kümmerten sich um die notwendige Reparation der Tische. Immerhin konnten sie diese nach dem Kuchenbasar behalten, wenn sie wollten. Der Eigentümer brauchte sie nicht.
 

Vorsichtig stellte sie die beiden Kästen mit Kuchen auf den Tisch. Die Verschlüsse öffnete sie allerdings noch nicht, damit der Frischhaltezauber, der darauf lag, intakt blieb. Die anderen folgten ihrem Beispiel, während sie bereits weiter ging, zu dem Stuhl, über den sie ihre Tasche gehangen hatte. Auch die war ein Erinnerungsstück. Sie hatte sie seit der Schule und hatte, nachdem sie ihre NEWT abgelegt hatte, ihre Klassenkameraden dazu genötigt, darauf zu unterschreiben. Es war eine bunte Sammlung zusammengekommen. Die meisten Unterschriften waren natürlich von den Ravenclaws, aber sie hatte auch ein paar von Leuten aus Hufflepuff und Gryffindor. Besonders stolz war sie allerdings, auch wenn ihre Freunde darüber die Augen verdreht hatten, auf die Unterschrift einer ihrer Mitschülerinnen aus Slytherin – es war auch die einzige aus diesem Haus.

Viele von denen, die damals auf ihre Tasche geschrieben, gemalt und geschmiert hatten, lebten heute nicht mehr oder waren doch so weit weg, dass der Kontakt zu ihnen abgerissen war. Sie lächelte trotzdem, als sie den weichen, mittlerweile abgenutzten, Stoff zurück schlug, um die Tischdecke zu entnehmen. Auch diese hatte sie aus dem Lagerraum im Ministerium geklaubt. Sie war so rot wie die Vorhänge und nur ein bisschen fleckig. Wenn sie die Kuchen richtig stellten, würde man die dunkleren Stellen nicht sehen können. Letztendlich wäre es auch egal, würde man die Flecken sehen – es war die größte Decke, die sie hatte finden können, und sie passte so schön zu der restlichen Dekoration.

Die Decke klemmte sie sich unter den Arm, dann verschloss sie die Tasche sorgfältig wieder und strich noch einmal über den beschriebenen Stoff, um ihn zu glätten. Erst dann verließ sie den Raum wieder, ohne sich an dem Gespräch der anderen, das sich mittlerweile beim großen Tisch entwickelte hatte, zu beteiligen.

Die Sonne, die noch vor kurzem durch eine kleine Lücke zwischen den Wolken gedrungen war, verschwand, kaum dass sie vor die Tür trat, hinter einem dunklen Schleier und ließ ein unangenehmes Gefühl auf ihren Armen zurück. Es war wirklich warm, aber was erwartete man schon Mitte August? Wenigstens frischte der Wind auf.

„Ich fürchte, es fängt gleich an zu regnen“, hörte sie Alexander sagen. Er stand immer noch an der Wand, hatte das Plakat mittlerweile entrollt, aber es noch nicht aufgehängt. Auch von ihrer Position aus konnte sie sehen, dass er in den Himmel schaute – genauso, wie Percy Weasley. Doch dieser schüttelte den Kopf.

„Glaube ich nicht. Eben hat noch die Sonne geschienen. Soll ich Ihnen helfen?“, antwortete er, hielt dann aber inne, als er sie mit dem roten Stück Stoff unter dem Arm sah.

„Hier ist sie“, sagte sie an die beiden Männer gewandt, unterdrückte allerdings die Idee, mit der Decke zu winken, damit sie sie besser sahen. „Legen wir sie gleich auf?“

Ihr Kollege nickte und schritt statt zur Wand zu ihr, um ihr ein Ende der Decke abzunehmen. Gemeinsam breiteten sie das Tuch aus. Auch bei dem Licht, dass durch die Wolken drang, erkannte man die Flecken. Percy Weasley sah sie vermutlich auch, denn statt seine Seite auf den Tisch zu legen, hielt er inne und sah sie mit hochgezogenen Brauen an. Hätte er nicht beide Hände voll gehabt, er hätte sich vermutlich die Brille hochgeschoben – eine Geste, die er in letzter Zeit oft nutzte, wenn er unausgesprochene Fragen stellte. Sie aber lächelte nur schwach und zuckte mit den Achseln.

„Wenn wir den Kuchen drauf stellen, sieht man es nicht.“

Immerhin schien er mit dieser Antwort einverstanden zu sein – normalerweise, das wusste sie, gab er sich nicht mit solchen improvisierten Lösungen zufrieden. Vielleicht empfand er es allerdings auch einfach nicht als so wichtig. Immerhin konnte ein Loch in einem Fenster, oder eine brüchige Wand mehr Schaden anrichten, als eine fleckige Tischdecke.

Tatsächlich schritt er nun, das Deckenende in der Hand, zum Tisch und legte es auf die Holzplatte, genauso, wie sie es bereits getan hatte. Gemeinsam richteten sie das Tuch aus und strichen die Fältchen so gut es ging glatt. Vielleicht hätte sie auf Mrs. Weasley hören und die Decke zunächst bügeln sollen und nicht nur waschen. Allerdings waren Bügelzauber nie ihre Stärke gewesen – sie neigte dazu, aus Versehen Löcher in den Stoff zu brennen – weshalb sie es letztendlich gelassen hatte. So mussten die Kuchen halt nicht nur die Flecken kaschieren, die nicht durch die Wäsche rausgegangen waren. Es würde schon gehen.
 

Ein Rascheln holte sie aus den Gedanken, doch sie sah nicht auf. Ihr war gerade ein kleiner, dunkler Fleck auf der Tischdecke aufgefallen. Für einen Augenblick irritierte dieser sie, dann bemerkte sie, dass er nicht der einzige war. Ein nasser Tropfen fiel ihr in den Nacken. Von dort, wo er auftraf, zog sich gleich darauf eine Wasserspur bis hinunter zu ihrem Shirt, dass sie begierig aufsog.

Gleich darauf folgte ein weiterer Tropfen und noch einer.

Nun sah sie doch auf, hoch in den Himmel. Wenn sie sich anstrengte, konnte sie die einzelnen Tropfen sehen, die ungehindert hinab fielen. Weitere Tropfen trafen sie und fühlten sich angenehm kühl auf ihrer Haut an. In ihrem Augenwinkel sah sie, wie Alexander mit dem Plakat in die Kneipe huschte. Percy Weasley, die Tischdecke, die sie eben noch auf den Tisch gelegt hatten, an sich gerafft, folgte ihm eilig. Auch das sah sie aus dem Augenwinkel.

Ihren Blick richtete sie weiter in den Himmel.

Schwere Regentropfen trafen auf ihr Gesicht, ihre Schultern und ihre Arme, doch sie verspürte nicht den Drang, sich ebenfalls ins Trockene zu flüchten. Stattdessen breitete sie die Arme aus, legte den Kopf noch weiter in den Nacken und schloss die Augen.

Eigentlich waren die Tropfen wirklich angenehm. Sie fühlte sich noch immer überhitzt, durch das schwüle Wetter, und die kühle Nässe bildete einen angenehmen Kontrast. Warmer Geruch nach frischem Regen stieg um sie her auf, während das Prasseln zunahm und ihre Haare, genauso wie ihr Shirt und den Rock, den sie so liebte, durchnässte. In der Ferne brummte der Himmel, doch es war zu weit weg, als dass sie sich hätte fürchten müssen.

Wie lange hatte sie schon keinen Sommerregen mehr erlebt?

Es musste ewig her sein.

Aber jetzt, mit dem angenehmen Kribbeln, dass sich über ihre Arme zog, kehrten die Erinnerungen zurück. Erinnerungen an schöne Tage, an ihre Kindheit und Jugend. Für einen Moment sah sie sich und ihren Bruder, wie sie gemeinsam durch die Pfützen vor dem Haus ihrer Eltern sprangen, in diesen furchtbaren Regencapes, die ihre Mutter so toll gefunden hatte. Sie sah auch ihre Eltern. Ceres und sie selbst, wie sie durch die Winkelgasse liefen, sich schützend über ihre Eistüten beugend. Thomas und sie, wie sie in der Eulerei vor einem plötzlichen Gewitterschauer Schutz suchen. Weitere Bilder.

In den Regen blinzelnd, stellte sie fest, dass die Erinnerungen nicht so sehr schmerzten, wie sie es erwartet hätte. Nur ein leichtes Stechen zog sich durch ihre Brust, irgendwo auf Höhe ihres Herzens, doch es verschwand, als sie zu lachen begann. Vielleicht wirkte sie für diesen Moment irre, verrückt, wahnsinnig, wie es einige geworden waren, im Krieg, doch in diesem Augenblick tat es ihr gut, sich selbst zu hören und Percy, der ihren Namen rief.

Sie stockte und senkte den Blick ein wenig, doch die Arme ließ sie weiterhin ausgestreckt, in der Hoffnung, so mehr von diesem Gefühl spüren zu dürfen. Doch es genügte, um zu sehen, wie Percy in der Tür der Kneipe stand und zu ihr sah.

„Audrey! Kommen Sie rein! Sie werden sich noch erkälten!“

Seine Stimme klang über das Prasseln des Regens nur dumpf zu ihr, doch sie verstand ihn. Nicht, dass sie vorhatte, seiner Aufforderung folge zu leisten.

„Es ist schön hier! Kommen Sie!“

Und mit diesen Worten wandte sie sich ab und drehte sich im Kreis, den Mund offen, um Regentropfen mit der Zunge zu fangen.

Eine Runde, zwei Runden, dann hielt eine Hand sie fest, bevor sie die dritte vollenden konnte. Für einen Moment taumelte sie, aus dem Konzept gebracht, doch die Hand verhinderte, dass sie fiel. Die Balance zurückgewinnend, wandte sie den Blick zum Besitzer der Hand. Natürlich war es Percy. Sie arbeitete lange genug mit ihm zusammen, um zu wissen, dass er einschritt, wenn er sich um etwas sorgte – und aktuell sorgte er sich scheinbar um sie.

„Miss Audrey, kommen Sie rein!“, sagte er erneut und übte dabei einen leichten Zug auf ihren Oberarm aus. Sie folgte dem Befehl nicht.

„Aber es ist doch nur ein Sommerregen“, antwortete sie lachend.

Ihr Pony klebte ihr mittlerweile in der Stirn, genauso, wie ihre Kleidung sich wie eine zweite Haut um ihren Körper schmiegte. Zwischen ihren Haarsträhnen sah sie, dass auch er in Windeseile durchnässte. Vermutlich sah er durch seine Brille nichts mehr, denn er schaute darüber.

„Ich möchte nicht, dass Sie sich erkälten.“

Tatsächlich schwang in seiner Stimme Besorgnis mit.

„Es ist angenehm, nicht kalt“, gab sie zurück, obwohl ihr mittlerweile fast ein wenig kalt war.

Durch die beschlagenen Gläser konnte sie seine Augen nicht richtig sehen, doch dafür erkannte sie die hochgezogenen Brauen. Mit der freien Hand schob er sich die Brille wieder höher. Durch die Nässe rutschte sie fast augenblicklich zurück.

„Angenehm?“

Sie nickte.

„Ja. Wissen sie, meine Mutter hat einmal gesagt, dass der Sommerregen den Schmutz der Vergangenheit fort wäscht und alles in einem neuen Licht zurücklässt“, antwortete sie und schwieg dann für einen Moment. Vielleicht spürte er, dass das nicht alles war, was sie sagen wollte, denn auch er hielt inne.

„Ich habe im Krieg meinen Bruder und viele Freunde verloren, meine Mutter noch früher“, fuhr sie mit gesenkter Stimme fort. Darüber hatte sie noch nie geredet. Mit niemandem. Sie hatte auch nicht geglaubt, dass sie es jemals würde, doch jetzt erschien es ihr, als sei es der richtige Moment, das Schweigen zu brechen. „Ich habe Menschen sterben sehen, Mr. Weasley. Ich denke täglich an sie.“

Wieder schwieg sie für einen Moment. Mit ihren Augen suchte sie seinen Blick, den sie, zwischen all den Tropfen zwischen ihnen, tatsächlich fand. Sie den Blick, mit dem er sie bedachte – sie sah ihn oft genug im Spiegel.

„Und wollen Sie wissen, was ich gerade jetzt denke?“

Ihre Stimme war nicht mehr als ein Flüstern, doch sie war sich sicher, dass er sie verstand.

„Gerade jetzt denke ich, dass meine Mutter recht hatte, als sie das sagte. Das mit dem Regen. Ich möchte meinen Bruder und meine Freunde nicht vergessen – das kann ich nicht. Das will ich nicht. Aber ich kann doch nicht immer in der Vergangenheit leben. Was macht das denn für einen Eindruck, wenn ich mich nicht wasche? Ich nicht aufräume? Darum bitte ich Sie: Lassen Sie mir diesen kleinen Augenblick. Es ist doch nur ein Sommerregen. Bitte.“

Während sie sprach, legte sie unbewusst die freie Hand auf ihre Brust, ungefähr dorthin, wo ihr Herz schlug. Sie dachte nicht einmal darüber nach, warum sie es tat. Und während sie das tat, blickte sie zu ihm und er blickte nicht weg. Sie sah, wie sich sein Adamsapfel bewegte, als er schluckte. Er blinzelte und sie blinzelte ebenfalls. Feine Regentröpfchen klebten auf ihren Wimpern, schlossen sich zu größeren Perlen zusammen und liefen ihre Wange hinab. Vielleicht verbanden sie sich mit vereinzelten Tränen, doch das bemerkte sie nicht.

„Miss Audrey...“

Sie hob ihre Mundwinkel zu einem Lächeln. Es fiel ihr schwer, doch es tat gut.

„Audrey genügt vollkommen“, antwortete sie leise.

„Audrey.“

Sie nickte.

„Percy reicht auch.“

Dann lächelte er auch.
 

Während der Regen langsam nachließ, hatte sie das Gefühl, dass er tatsächlich die Welt wusch und ein klein wenig sauberer hinterließ und dabei auch einen kleinen Teil der Lasten, die auf ihren Schultern ruhten, mit sich nahm.

Und dieses Gefühl blieb, genauso, wie das Lächeln.

Das tat es auch noch, als sie endlich den Stand fertig aufgebaut hatten und eine ausgehungerte Schar Auroren lachend über ihren Kuchen herfiel...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Moon-Cat
2011-06-12T14:02:04+00:00 12.06.2011 16:02
Die Geschichte hört sich toll an :)
Harry Potter ist zwar nicht gerade mein Lieblingsthema, aber es hat torztdem spaß gemacht, die geschichte zu lesen :)
ganz toll :D
Von: abgemeldet
2010-08-28T18:19:25+00:00 28.08.2010 20:19
Hey,

mir ist grade eingefallen, dass ich gesagt habe, ich kommentiere den Os und es noch nicht gemacht habe. Sorry, dass es so spät geworden ist.

Ich beginne mal mit dem Titel. Er ist schlicht und bringt es trotzdem genau auf den Punkt, genau solche Titel lassen mein Herz höher schlagen lassen. Die Kurzbeschreibung finde ich auch gut, sie weckt meine Neugier und selbst, wenn es keine Geschichte über Audrey und Percy gewesen wäre, hätte ich sie gelesen.

Mir gefällt gleich der Einstieg sehr gut, vor allem, dass du sofort auf die aktuelle Lage eingehst, das niemand Geld hat, was du nochmal durch ihre nicht goldene Ministeriumplakette unterstreichst.

Besonders gut gefällt mir und das ist eigentlich das schönste am ganzen Os ist die Darstellung der Nachkriegszeit insgesamt. Wir wissen zwar der Krieg ist gut ausgegangen, aber wie man hier sehr schön merkt, ist noch längst nicht alles vorbei im Gegenteil sogar.
Und Audreys Idee die Menschen aufzuheitern, ist einfach nur schön. Sie ist irgendwie niedlich und gleichzeitig wirkt sie bei den Problemen winzig.
Außerdem mag ich ihren Rock oder die Eisdiele, das sind so kleine Details, aber sie geben der Geschichte Lebendigkeit, hauchen Audrey leben ein.

Es ist wirklich lustig von Alexander zu lesen, nach dem du mir einiges per Ens über ihn erzählt hast. Er ist mir sehr sympatisch und ich hätte gerne noch mehr von ihm gelesen.

Die Tasche Audreys ist ja noch so ein Detail, das einem ins Auge fällt und das man einfach toll finden muss. Vor allem die Geschichte dazu und wie man ganz nebenbei noch erfährt aus welchem Haus Audrey kommt.

Nun, insgesamt fand ich deine Geschichte wirklich schön. Ich mag deine Audrey wirklich gerne und mir gefällt wie gut sie inzwischen Percy kennt, die ganzen Kleinigkeiten, die von ihm weiß, sind einfach schön.
Die schönste Szene für mich war die wo sie im Regen tanzt und den Regen einfach genießt.
Percy hast du wunderbar dargestellt, vor allem seine Sorge hat mir besonders gefallen.
Das Ende lässt natürlich jedes PercyAudrey-Herz höher schlagen, wobei das mehr noch so ein schöner Bonus zu der ohnehin schon schönen Geschichten ist.

Es gibt nur eine Kleinigkeit, die mir ins Auge gefallen ist, die mich stört. Sie ist wirklich klein. Und zwar bei diesem Satz: Also sah er die Schäden, wenn vielleicht auch nicht aus ihrem Blickwinkel, auch.
Ich stolpere über diesen Satz immer wieder, zwar ist er grammatikalisch richtig, aber ich finde das das auch am Ende nicht so schön klingt. Wie wäre es denn mit einem ebenfalls nach Schäden? Aber wie gesagt, das ist nur eine Kleinigkeit.
Ansonsten ist der Os wirklich gelungen und vor allem tiefsinnig.

LG, Mita
Von:  klothhilde
2010-08-03T22:18:22+00:00 04.08.2010 00:18
Hallo;)
ich bin gerade auf deinen OS gestoßen und muss sagen, dass er wirklich toll ist. Ich glaube es ist der erste, den ich zu diesem Paring lese.
Audrey ist total sympatisch und auch die Idee mit dem Kuchenbasar finde ich toll! Ich würde mich freuen, wenn du noch mehr über die beiden schreibst!
Großes Lob und liebe Grüße!
Anna;)


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