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Kanpō-i Cin

von

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Honig und Schmerz

Nuah. Das war sein Name. Und Binthia, das war ihrer. Der Name des Mädchens, welches seine Träume nicht verließ, seit er sie damals das erste Mal gesehen hatte. Bereits elf Jahre war das nun her, elf lange Jahre. Sie war einfach wunderschön gewesen. Und er war sich sicher, dass sich dies über die vielen Jahre kaum geändert hatte.

Binthia. Sie war Schuld. Schuld an dieser ganzen verfluchten Sache.

Der Junge lag am Waldboden. Es war stockdunkel um ihn herum, nicht einmal der Schein des Mondes drang zu ihm hinunter. Es war kalt. Der Junge trug nur sein Hemd am Körper und fror deswegen sehr. Man hatte ihn hierhergebracht nach dieser schrecklichen Sache mit seinem Vater. Nuah schämte sich, denn die Schläge und Tritte waren berechtigt gewesen. Sein Vater wusste, was er tat, und er würde doch seinen eigenen Sohn nicht so zurichten, wenn es keinen ernsthaften Grund dazu gab. Oder? Ganz sicher war es so, doch. Dieses Mädchen hatte ihn nicht zu interessieren. Er durfte sie weder bemitleiden, noch Verständnis für ihre Situation aufbringen. Er kannte sie nicht, und er durfte sie auch nicht kennenlernen. Niemand durfte das, niemand, der ihrer Familie angehörte. Denn wenn sein Cousin Efrajim herausfand, dass man sie gefunden hatte, wäre er dazu gezwungen, nach ihr zu suchen. Und dann wäre sie verloren, denn Efrajim würde seine eigene Tochter umbringen lassen. Um der Familie Willen, natürlich. Und deswegen durfte er, Nuah, Binthia niemals zu Gesicht bekommen. Wenn er es sich auch so sehr wünschte, wenn er sich auch so sehr danach sehnte, noch einmal diese... diese Augen zu sehen, und das weiche Haar zu berühren, und...

Seine Gedanken wurden wirrer. Kalter Schweiß rann ihm über die erhitzte Haut, und in seinem Körper spürte er nichts. Nur Taubheit, als wäre er innerlicher bereits erfroren. Nuah konnte sich nicht regen, sein ganzer Körper schien gelähmt von Kälte und Schmerz. Er zitterte. Die Verletzungen taten schon nicht mehr weh, das Dröhnen in seinem Kopf jedoch wurde immer unerträglicher.

Binthia, das war ihr Name. Und Nuah, das war seiner. Der Name des Jungen, der dieses Mädchen liebte, das er nur ein einziges Mal gesehen hatte. Damals, als es in den Armen seiner Mutter lag, die Haut noch rosig und das honigfarbene Haar nur ein weicher Flaum. Der Junge schloss die Augen. Sein Körper wollte nicht aufhören zu beben, aber er selbst war ruhig. Er atmete flach, die Lippen leicht geöffnet, und es wurde schwarz und immer leiser, bis ihn Stille und Dunkelheit vollständig umhüllt hatten.
 

Der kleine Junge war kaum drei Jahre alt. Schüchtern lugte er hinter dem Bein seines Vaters hervor und klammerte sich an dessen Hose fest. Die Sonne ging gerade auf, es war Frühling und es lag glitzernder Tau auf den Spitzen der Grashalme. Der Cousin des kleinen Jungen stand direkt neben ihm und seinem Vater. Er hatte wildes, struppiges Haar, war kleiner als sein Onkel Aakash, jedoch nur wenige Jahre jünger. Nuah liebte seinen Cousin Efrajim über alles. Er spielte andauernd mit ihm und seine Frau Bathi erzählte die wunderbarsten Geschichten. Die Eltern Nuahs waren oft zu beschäftigt, um ihrem Sohn allzu viel Aufmerksamkeit zu schenken, denn beide bkleideten hohe Ämter im Rat der Familie.

Hinter Nuah, Aakash und Efrajim stand eine Traube von Menschen, die alle ihren Blick auf die von Bäumen umrahmte Hütte gerichtet hatten. Vor diesem Gebäude standen einige ältere Frauen, die aufgeregt tuschelten und kicherten. Irgendetwas Spannendes musste dort vor sich gehen, da war sich das Kind sicher, denn normalerweise herrschte nicht so viel Trubel in seinem Heimatdorf, alle waren immer furchtbar beschäftigt. So tat er es den Anderen nach und starrte spannungsgeladen auf die Tür der Hütte.

Diese öffnete sich bald geräuschlos, und zwei Frauen in langen Mänteln traten hinaus. Die Größere wurde von der Kleineren gestützt und trug ein Bündel bei sich, dessen Inhalt Nuah nicht erkennen konnte. Er klammerte sich ein wenig fester in den Stoff der Hose des Vaters und kniff die Augen zusammen, um zu erkennen, wer denn die Frauen dort hinten waren und was es mit dem Bündel auf sich hatte. Bald erkannte er die weichen, runden Gesichtszüge und das wallende, lockige Haare der Größeren. Es war Bathi, die Frau seines Cousins Efrajim. Auf Nuahs Lippen breitete sich ein sonniges Grinsen aus und er machte einen Satz nach vorn, aber sein Vater streckte seine Hand aus und hielt Nuah am Arm zurück. Fragend sah der Junge sich zu Aakash um, dieser schüttelte jedoch nur unmerklich den Kopf und betrachtete dann weiter die Frau seines Neffen. Sie kam näher, immernoch gestützt von der anderen Frau, die Nuah bei näherer Betrachtung als eine der Alten erkante. Bathi war blass, noch blasser als sonst. Und sie sah ein wenig ängstlich aus, vielleicht auch traurig, so genau konnte das Kind es nicht erkennen. Etwas durcheinander warf Nuah seinem Cousin einen Blick zu, doch dieser starrte nur mit angespannter Miene geradeaus. Bathi war schließlich bei ihnen angekommen und blieb direkt vor Aakash, Efrajim und Nuah stehen. Sie drückte das Bündel fest an sich und ließ ihre Augen nicht davon abschwenken. Und schließlich sank sie zitternd in die Knie. Nuahs Augen weiteten sich überrascht. Das Bündel verrutschte, doch Bathi schien das nicht zu bemerken. Sie hielt sie Augen geschlossen und biss sich auf die Lippe. Ohne lange nachzudenken entriss Nuah sich dem Griff seines Vaters und machte einen Satz nach vorn. Er schaffte es geradeso, das Bündel davon abzuhalten, den Armen der jungen Frau zu entgleiten. Und was er sah, ließ sein kleines Herz einen aufgeregten Hoppser vollführen.
 

Ein Wesen so schön wie nicht von dieser Welt blickte ihn an, aus kleinen, halb geschlossenen Augen. Augen, welche die selbe Farbe wie der weiche Flaum auf dem Kopf des kleinen Menschen trugen. Nuah liebte Honig, und die Farbe dieser Augen war der Inbegriff von dieser Köstlichkeit, so warm! Die eigenen, großen und dunklen Augen des Jungen hingen immerwährend an diesen honigfarbenen Augen, während er das Neugeborene andächtig hielt. Schließlich fing Bathi sich wieder und richtete sich langsam auf, warf dem Jungen dabei einen dankenden Blick zu. Dieser bemerkte davon jedoch nichts, sein Blick folgte dem Kind in ihren Armen und er streckte hilflos seine Ärmchen danach aus. Sein Vater legte ihm nun eine der großen Hände auf den dunklen Schopf und zog ihn sanft, aber bestimmt zurück an seine Seite.

Aakash und Efrajim traten nun ein Stück vor, während Nuahs Mutter an seiner Seite auftauchte und vorsichtig nach seiner Hand griff. Sie warf einen zaghaften Blick über die Schulter ihres Mannes, zuckte zusammen, beugte sich hinunter und zog Nuah dann so plötzlich an sich, dass der Junge sich gar nicht wehren konnte. Erst, als er bereits an ihrer Brust lag und nichts mehr sehen konnte, versuchte er sich zu wehren, weil er doch sehen wollte, was dort vor sich ging. Aber seine Mutter ließ nicht locker. Im selben Moment durchzuckte ein dumpfes Geräusch die frische Frühlingsluft, auf welches ein Schrei folgte. Nuahs Mutter hob ihren Sohn hoch und trug ihn eilig fort, vorbei an allen anderen Schaulustigen, die ungeduldig die Hälse reckten, vorbei am Rest der Familie, der betreten schwieg. Und Nuah begann zu weinen, aber nicht, weil er sich vor den Schlägen fürchtete, deren Laute nun immer und immer wieder zu ihm hindurchdrangen, sondern weil er ahnte, dass dieses wundersame Wesen ihn verlassen, dass er es niemals wieder zu Gesicht bekommen würde. Binthia. Jemand schrie diesen Namen. Eine Frau. Bathi, sie schrie den Namen, immer und immer wieder, bis ihr Schrei in verzweifeltes Kreischen überging. Und dann wurden ihm die Ohren zugehalten, und er schluchzte, Tränen rangen seine Wangen hinab. Er flüsterte ein einziges Wort vor sich hin, flüsterte es immer und immer wieder, damit er es auch ja nicht vergaß. Binthia. Binthia. Binthia... B..in....
 

„...in. Cin, ich heiße Cin. Beruhige dich, hey, ruhig.“ Hatte er ihren Namen geschrien? Binthias Namen? War dieses Wort nicht nur im Traum, sondern auch in der Wirklichkeit über seine Lippen gekommen? Schon wieder? Es war verboten, es war doch verboten! Er durfte diesen Namen nicht rufen, auch nicht im Schlaf. Und doch hatte er es getan, deswegen hatte man ihn so zugerichtet und hiehergeschafft. "Schhh, ganz ruhig." Jemand hatte eine Hand auf seine Schulter gelegt, eine andere ruhte auf seiner Stirn. Die an der Stirn fühlte sich eisig kalt an, die andere warm, und beides war angenehm, sehr angenehm.

Der kleine Junge war verschwunden, ein 14jähriger lag auf dem Waldboden und fror. Aber nicht mehr ganz so sehr wie vorher, denn jemand war hier bei ihm. Und der schlimme Traum war vorbei, der Traum, der mit den Jahren nicht verschwunden war, sondern ihn nur jede Nacht mehr und mehr quälte. Nuah bemühte sich nicht, seine Augen zu öffnen. Aber er nahm die klare Flüssigkeit dankend in sich auf, als ein Krug an seine Lippen gesetzt wurde. Das Wasser tat gut, aber es brachte auch den Schmerz zurück, die Wunden waren wohl doch ernstzunehmender, als er zuvor gedacht hatte. Er zuckte zusammen, als er versuchte, seinen Kopf zu drehen. Das Stechen direkt zwischen den Schläfen war kaum auszuhalten. Etwas wurde ihm auf die Zunge gelegt. Essen? Er kniff unwillig die Augen zusammen. Ihm war übel, er konnte jetzt nicht essen. „Iss, das ist n Kraut, dir wird ’s besser gehen wenn du das gegessen hast. Ich versprechs.“ Wieder die Stimme. Klug, freundlich. Er versuchte ein Nicken, beließ es dann aber bei einem Entspannen der Gesichtszüge, denn die Bewegung schmerzte zu sehr. Nun versuchte er zu kauen, Mund öffnen, wieder zu, Zähne aufeinan... „Hnng!“ Kein Stechen, diesmal ein dumpfes und doch ohrenbetäubendes Beben, das durch den ganzen Körper zog, wenn er seinen Kiefer benutzte. Was war das nur, was hatte man ihm da angetan? „Du musst kauen, der Schmerz geht dann weg. Du hast eine Gehirnerschütterung, das wird besser, du musst es nur kauen. Ich bin Cin, ich werd dir helfen.“



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