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Was Weihnachten bedeutet

Adventskalendertürchen 17
von

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Eine Existenz unter Menschen war neu für Lyon, doch eines hatte er schnell gelernt: Beziehungen waren schwierig.

Trübsinnig starrte er aus dem Fenster und beobachtete den Schnee. Er mochte den Winter und seine Fähigkeit die Vergangenheit verschwinden zu lassen. Die Spuren des Stadtlebens waren kaum noch zu erkennen.
 

Etwas in seinem Inneren zog sich zusammen. Er kannte dieses Gefühl von früher, dieses unsägliche Nagen und Beißen. Kurz huschte sein Blick auf den Tisch. Zerrissenes Papier mit goldenen Sternen, eine blaue Seidenschleife und die zerdrückte Schachtel ohne Deckel starrten ihm anklagend entgegen. Sherry hatte sich wirklich Mühe gegeben. Immer mehr Details fielen ihm auf, je öfter er ihr Gesicht in sein Gedächtnis rief. Ihr Kleid war neu gewesen und Worte wie verboten, aufregend, lasziv waren eine passende Beschreibung dafür. Der Duft von Erdbeere und Honig hatte sie umgeben, doch vor allem erinnerte er sich an ihren Ausdruck. Das glückliche Lächeln, die Aufgeregtheit in ihren Augen als sie ihm das Geschenk entgegenhielt und diese unsägliche Enttäuschung. Lyon war nicht dumm, ihm war bewusst gewesen, dass diese Tage Sherry alles bedeuteten - ihre Versuche ihn unter einen Mistelzweig zu ziehen, die vielen Plätzchen, die sie ihm ungefragt in den Mund schieben wollte und der übertriebene Wille alles mit rotem Taft, Tannenzweigen und Engelfiguren zu dekorieren - und dennoch hatte er keine Skrupel gezeigt, sie zurück zu weisen.
 

Es war nicht das erste Mal gewesen und er dachte oder hatte es zumindest gehofft, dass sie sich bereits daran gewöhnt hatte, dass es Normalität in ihrer Beziehung war. Ein Irrtum, wie sich herausstellte. Überrascht hatte er ihr nachgesehen, bis die Tür sich hinter ihr schloss. Ob sie geweint hatte oder nicht, mochte er gar nicht mehr festlegen. Alles was blieb war der Blick in ihren Augen. Im Nachhinein meinte Lyon zu glauben, wie das Blau darin zerbrochen war, in dutzende winziger Eiskristalle. Sie war in der Lage das Schlechteste in ihm hervorzubringen und war dem wohl nicht mehr gewachsen.
 

Sein Blick wanderte wieder zum Fenster. Das Schneetreiben wurde stärker und er konnte die nahe gelegene Laterne nur noch als wagen Lichtkreis erkennen. Das gleiche Wetter wie bei ihrer ersten Begegnung. Lyon erinnerte sich nur ungern daran zurück. Es war eine Zeit in der seine Ziele von Egoismus und blinder Wut getrieben waren. Die Existenz anderer hatte er nur dann anerkannt, wenn sie für ihn von Nutzen gewesen war, so wie Sherrys.
 

Ihre Kräfte waren noch ungeschliffen gewesen und die Steinpuppe drohte bereits im Schneesturm zu zerfallen, dennoch bewunderte er den wilden Eifer in ihren Augen, die Unnachgiebigkeit mit der sie ihr Geschöpf immer wieder antrieb. Ein hoffnungsloses Unterfangen, konnte er doch bereits mit einer Handbewegung ihre Puppe zu Eis erstarren lassen. Selbst heute konnte er sich noch an ihr fassungsloses Schimpfen erinnern, als das Eis die steinernen Füße herauf kroch, das Monstrum zu Fall brachte und Stück für Stück auf diesem eroberte, bis es nur noch ein riesiger gefrorener Klumpen gewesen war.

Er spürte das Zucken in seinem Mundwinkel. Ein Umstand, der ihn noch heute verwirrte. Er konnte sich nicht einmal daran erinnern ab wann er begonnen hatte ihre Gesellschaft als angenehm zu empfinden und nicht nur nützlich. Sie faszinierte ihn auf eine Art, die er nicht einordnen konnte. Seit Ur war sie die erste Frau, der er so etwas wie Vertrauen entgegenbrachte, doch wo seine Lehrmeisterin hart, kalt und abgebrüht wirkte, war Sherry weich, naiv und zerbrechlich.
 

Er spürte wieder dieses Ziehen und Nagen und musste um so mehr an Ur denken. Dieses unangenehme Gefühl hatte er als Kind oft genug gespürt, wenn seine Meisterin mit ihm geschimpft hatte. Diese beißende Scham, die sein Blut zum Kochen brachte und ihn wünschen ließ im Boden zu versinken.

Nachdenklich tippten seine Finger auf dem Tisch, berührten das Geschenkpapier und zuckten ein Stück zurück. Es war von Bedeutung für Sherry, dessen war er sich bewusst. Es war von keinerlei Bedeutung für ihn; ein Umstand denn sie nun ganz sicher wusste.
 

Eine Bewegung zog seine Aufmerksamkeit auf sich. Konzentrierter schaute er in das Schneetreiben. Schon wieder eine Bewegung, ein roter Schatten, dort, wo der Hauseingang war.

„Dummes Mädchen“, hörte er sich selber fluchen.

Zitternd stand sie vor dem Haus, ihre Augen zum Himmel gerichtet und zögernd in den Sturm zu gehen.
 

Er hastete aus dem Zimmer, stolperte den Flur entlang und riss die Haustür auf. Erschrocken starrte sie ihn an. Ihre Haut schimmerte bereits bläulich im hellen Lichtkegel des Hausinneren und die verblassten Lippen waren aufgesprungen. Ein ungewohnter Anblick, so sehr wie sie auf ihr Äußeres bedacht war.
 

Sherry blieb stumm. Sie fühlte sich ertappt und ausgeliefert. Ihr Herz raste vor Aufregung, Angst und Überraschung. Würde er wieder laut werden, genervt reagieren, und sie beschimpfen? Vorsichtig setzte sie einen Schritt zurück und noch einen und noch einen, bis sie sich sicher fühlte. Ihre Augen waren auf ihn gerichtet, beobachteten seine Reaktion, doch er stand nur da und sah sie an.
 

Es kam beiden wie eine Unendlichkeit vor, bis seine Stimme ertönte.

„Warum eine Schneekugel?“, fragte er mit schneidender Stimme und bereute es sofort.

Er beobachtet, wie sich Muskeln in ihrem Gesicht bewegten, Irritation und Verärgerung formten. Es war das Letzte, was sie erwartet hatte. Mehr Ärger, ja, vielleicht auch eine Entschuldigung.

Die Irritation gewann. Mit zittriger Hand strich sie sich eine nasse Strähne aus ihrem Gesicht. Ihr Blick huschte umher, auf der Suche an einem Fixpunkt.

„Lyon-sama mag Schnee“, erklang ihre leise Stimme, „und so gibt es auch Schnee im Sommer.“

Ein weiteres Gefühl keimte auf. Er kannte es und hatte es lange Zeit verachtet, ignoriert und irgendwann in den dunkelsten Teil seiner Seele verbannt. Es war angenehm und kitzelte in seinem Bauch.

„Ich mag kein Weihnachten.“ Seine Stimme blieb monoton und dumpf.

„Sherry weiß das.“

Noch immer mied sie seinen Blick. Verzweifelt klammerten sich ihre frierenden Finger in den Pelzsaum ihres knappen Kleidchens. Lyon fand noch immer, dass es ihr nicht stand. Sie war die Kälte nicht gewöhnt und dieses Stückchen Stoff viel zu kurz. Er mochte es nicht, wenn sie sich so anzog.

„Warum bist du dann her gekommen?“

Endlich blickte sie ihn an, fest und unerschütterlich.

„Weil es ein Familienfest ist“, erklärte sie mit aller Bereitschaft diese Behauptung bis zum Letzten zu verteidigen.
 

Lyon wusste nicht wie lange er sie nur anschaute. Er spürte, dass er mehrmals blinzelte, ein- und ausatmete, Gedanken sortierte und Worte suchte, doch er fühlte sich überfordert. Da waren so viele Fragen.

Er blinzelte erneut, doch ihr Blick änderte sich nicht. Stumm stand sie da und wartete auf seine Reaktion. Er wusste nicht, was er tun sollte, er wusste nur, wie viel Bedeutung dies alles für Sherry besaß.
 

Seine Gedanken schweiften ab zu Ur. Diese hätte gewusst, was in dieser Situation das Richtige war. Vermutlich hätte sie ihn angebrüllt, dass er wie ein Mann handeln sollte oder sie hätte Sherry umarmt und als süß, niedlich und viel zu gut bezeichnet.
 

Sein Herz hämmerte in unregelmäßigen Abständen hart gegen seine Rippen. Er spürte die Hitze in seinem Kopf und die Feuchtigkeit an seinen Händen. Energie strömte zu seinen Fingerspitzen und noch immer konfrontierte Sherry ihn mit einem erwartungsvollen Blicken.

„Nur heute, verstanden?“, flüsterte er rau und leckte sich über die trockenen Lippen.

Seine Finger kribbelten, Kälte sammelte sich unter der Haut, wollte mit Macht herausbrechen. Er spürte wie die ersten Kristalle sich bildeten, wuchsen, zusammenschmolzen und schließlich eine bizarre Eisblüte bildeten.
 

Präsentierend hielt er dem Mädchen seine Schöpfung entgegen. Erneut richtete sie ihr nasses Haar, blinzelte und schaute erstaunt. Ihre flüchtige Berührung brannte auf seiner kalten Haut, als sie die Blume ergriff. Vorsichtig hob Sherry diese hoch, musterte sie von allen Seiten und schenkte dem Eismagier letztendlich ein dankbares Lächeln. Sie behandelte die Skulptur wie einen Schatz, war es doch das erste Geschenk, das er ihr machte.

Lyon ertappte sich bei einem Lächeln und räusperte sich sofort. Er wusste nur zu genau, dass Sherry es ausnützen würde, zeigte er doch etwas Sympathie für die Idee des Weihnachtsfestes.

„Kommst du nun rein?“, fragte er ungeduldig, eine Hand bereits die Türklinke umfassend.

Protestierend schüttelte sie den Kopf und machte keine Anstalten auch nur einen Millimeter von ihrer Position zu rücken. Lyon schaute genervt zu, wie sich immer mehr Schneeflocken in ihren Haaren verfingen, die nackte Haut ihrer Oberschenkel bereits tiefblau wirkte und das Zittern zu einem unkontrollierten Schütteln wurde.

„Sherry!“, forderte er strenger und erkämpfte ihre Aufmerksamkeit.

Als wäre es eine Antwort auf alles, streckte sie die Blume ein Stück höher.

„Dann geht sie kaputt.“

Lyon rollte mit den Augen. Ohne Diskussion ergriff er ihr Handgelenk und zog sie zu sich in den warmen Hauseingang.

„Dann mach ich dir eben eine neue“, erklärte er und erntete dafür ihr helles Lachen.
 

Vielleicht, aber nur vielleicht würde er sich nächstes Jahr schneller bereit erklären, ihre Gesellschaft zu Weihnachten zu dulden. Vielleicht würde er sich dann nicht gegen ihr Anschmiegen sträuben und von Anfang an ein Geschenk für sie bereit stehen haben. Vielleicht, denn erst einmal wollte er das Heute überstehen und noch ein bisschen länger das fröhliche Funkeln in ihren Augen genießen. Er fühlte sich wieder wie der kleine Junge, der gelobt wurde, nur besser, berauschter und glücklicher. Sie war in der Lage das Beste in ihm hervorzuholen.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  RaspberryDevil
2010-12-17T18:16:04+00:00 17.12.2010 19:16
schöner OS :3
Die Story ist i-wie niedlich und deinen Schreibstil mag ich ^^
Ist mal was anderes, etwas über Sherry und Lyon zu lesen, als sonst so x3
Lyons Gedankengänge sind gut beschrieben und Sherry ist einfach zu niedlich x3

Mach weiter so ^___^
Von: abgemeldet
2010-12-17T17:09:40+00:00 17.12.2010 18:09
Och, das war schön.
Romantisch, weinachtlich aber doch nicht zu kitschig.
Mir hat gefallen, dass die Story, trotz aller Romanze nicht perfeckt-perfeckt ausgegangen ist. Ist mal was anderes.
Aber das nächste Mal, wenn du sowas machst, muss es nicht in einer Weinachtsgeschichte sein... Die dürfen ausnahmsweise richtig kitschig sein. ;P


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