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An wessen Seite

Tyki x Lavi x Kanda
von

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Eine Ewigkeit

Er sah ihn. Mit einem Kerl, den er nicht kannte. Sein Brustkorb brach von einer Sekunde auf die andere in einen Krieg aus. Seine Hände begannen zu zittern. Die Tüte, die er festhielt, zu rascheln. Er schluckte den Kloß im Hals runter. Ihn überfiel die Idee, umzukehren und sich schleunigst aus dem Staub zu machen. Er kam nicht dazu, sie umzusetzen.
 

»Hey, Yū!«
 

Die quirlige Stimme war nicht zu überhören. Sie nagelte seine Füße regelrecht an den Bordstein und zwang ihn dazu, sich dem Quatschkopf zuzuwenden. Lavi ließ die Hand des Typen los und lief schnellen Schrittes auf Kanda zu. Sein Gesicht strahlte förmlich.

»Was machst du um die Uhrzeit schon draußen? Wir haben Ferien, schlaf doch aus!«

»...ich war einkaufen«, sagte Kanda irritiert und hob die Tüte an. Der Kerl, den Lavi im Schlepptau hatte, war inzwischen zu den beiden gekommen, neben Lavi stehengeblieben und hatte Kanda starr in die Augen geschaut. Kanda versuchte den Blicken auszuweichen und sich auf Lavi zu konzentrieren.

»Und warum schläfst du nicht aus?« Er hörte sich die Frage teilnahmsloser als gewollt aussprechen. Er zwirbelte den Zeigefinger mehrfach um den Henkel der Tüte, so fest, dass er ihm das Blut abschnürte. Er beobachtete, wie sich Lavis Wangen rosa färbten.

»Wir waren nur etwas spazieren«, sagte er und grinste verlegen.

Der Kerl an seiner Seite drängte sich ein wenig vor ihn. »Möchtest du uns nicht bekanntmachen?«

Lavi sah zwischen ihm und Kanda hin und her. Dann setzte er diesen für ihn typischen Blick auf, der zeigte, dass er seinen Kopf am liebsten gegen eine Wand schlagen würde. Stattdessen griff er nur an diesen. »Aw, ich bin so blöd! Ihr kennt euch ja noch gar nicht!«

Er gestikulierte mit den Armen. »Schatz, das ist Yū - mein bester Freund. Wir kennen uns schon, seit wir so klein waren!« Er hielt die Handfläche auf die Höhe seiner Hüfte. Kanda runzelte die Stirn.

»Stell mich nicht mit diesem Namen vor«, meinte er. Dabei hatte er etwas zu trotzig geklungen. »Ich heiße Kanda, merk‘s dir endlich!«

Lavi seufzte und wandte sich seinem Schatz zu. »Er hasst seinen Vornamen, deshalb versucht er jedem seinen Nachnamen anzudichten. Und das schon sein Leben lang.« Er drehte sich wieder zu Kanda. »Dabei ist das soo~ kindisch, Yū-chan!«

»Und trotzdem hört jeder drauf. Außer dir.«

Lavis Antwort bestand aus einem Grinsen. Das Zittern der Hände war abgeklungen. Der feste Zug um den Finger ließ nach. Kanda atmete leise aus.

»Naja, also...« Lavi machte eine kurze Pause. »Yū, das ist Tyki, mein Freund. Seit stolzen zwei Tagen!«

Erst jetzt wagte Kanda, die Augen auf Lavis Begleiter zu richten. Der dunkle Teint und die markanten Gesichtszüge ließen Kanda spontan auf einen Italiener schließen. Der Kerl war mindestens fünf Jahre älter. Er lächelte ihn freundlich an. Dann streckte er seine offene Hand aus und hielt sie ihm hin. Kanda starrte einen kurzen Moment auf die Hand, bevor er der Geste zögernd nachging.
 

»Freut mich, dich kennenzulernen,
 

Kanda fixierte den Blick auf die gelben Augen. Sie blitzten auf. Die grauen Wolken ließen keine Sonne zu. Das betonte ›Yū‹ hätte sich der Mistkerl sparen können.

»Ja, freut mich«, sagte Kanda knapp und wandte sich schnell wieder Lavi zu. Der Anblick dieses schmierig-freundlichen Lächelns war ihm zuwider. Lavi sah zu Boden, dann schaute er zu Kanda auf.

»Sorry, dass ich dich noch nicht angerufen und dir die Ohren abgequasselt habe, aber« Er wandte sich flüchtig zu Tyki, »ich bin gar nicht dazu gekommen.«

»Hab‘ ich dich zu sehr in Beschlag genommen?« Er lachte und legte den Arm um Lavis Schultern. »Das tut mir leid.«

Kanda hasste ihn.
 

»Wie sieht’s mit der Hausarbeit aus?«

Lavi legte den Kopf schief. Kanda führte aus: »Naja, die, die ich über die Ferien noch schreiben muss. Du wolltest mir helfen, weißt du noch?«

Er kam sich vor, als wäre alles, was er sagte, provokant zu verstehen. Das mochte daran liegen, dass er es auch genauso meinte. Zum Glück schien Lavi das nicht herauszuhören.

»Ah, nein, das hab‘ ich nicht vergessen. Ich hab‘ am Sonntag Zeit, da können wir uns draufstürzen.«

Tyki nahm den Arm von Lavis Schulter. Kanda sah ihm unfreiwillig ins Gesicht. Die gelben Augen waren zu Schlitzen geschmälert und auf Lavi gerichtet. Dann öffneten sie sich wieder ein Stück. Ein enttäuschter Ausdruck machte sich bemerkbar. »Die Arbeit geht vor das Vergnügen, was?«

Ein fälschlich enttäuschter Ausdruck. Lavi warf sofort ein: »Ach was, wir werden schon nicht den ganzen Tag brauchen. Wir können uns danach immer noch treffen, Schatz! Stimmt’s, Yū?«

Kanda konnte den Blick nur mit Mühe von diesem Mistkerl nehmen. »Ja, vermutlich«, sagte er monoton.

»Also, dann bis Sonntag. Ciao~«

Er kam nicht zum Antworten. Lavi hatte sich sofort bei Tyki eingehakt, der sich bereits zum Gehen umgewandt hatte. Kanda ballte die Faust.
 


 

. . . . .
 

Kanda stampfte durch den Schnee und focht einen Kampf mit seinen Gedanken aus. Er wusste genau, wer der Typ in der Bücherei gewesen war. Er hatte sich nicht vergewissern müssen. Vor dreiundzwanzig Tagen hatte er dem Kerl lange genug auf den Rücken gestarrt, während dieser mit Lavi am Arm die Straße entlanggelaufen war. Nicht zu vergessen diese raue, schleimspurtriefende Stimme, die sich tief in sein Gehirn gebrannt hatte.

Kanda hatte genug gesehen, um Gründe zu haben, einen Schlussstrich zu ziehen. Oder vielmehr dafür zu sorgen, dass Lavi einen Schlussstrich zog. Er war nur einen Anruf davon entfernt.

Kanda umfasste das Handy in der Jackentasche.

Lavi sollte nicht verletzt werden. Er war zwar ein ziemlicher Idiot, aber nicht die Sorte von Idiot, die sowas verdient hat. Nicht einmal im Entferntesten. Er war vielmehr die Sorte von Idiot, die nicht von selbst erkennen kann, dass sie hintergangen wird. Und gerade deshalb einen Anspruch auf die Wahrheit hat.

Kanda holte das Handy aus der Jackentasche.
 


 


 

»Das ist also dein bester Freund.«

Lavi hatte sich bei Tyki eingehakt und war mit ihm auf dem Heimweg. »Jap.«

»Und, was macht er so? Studieren anscheinend.« Lavi sah zu Tyki auf. Es wirkte, als würde dieser viel eher mit sich selbst reden. Die gelben Augen waren fest geradeaus gerichtet.

»Ja, Japanologie. Total sinnlos, was? Also, das Fach. Damit kann man doch später überhaupt nichts machen! Aber neeein~, Yū-chan wollte ja unbedingt irgendwas machen, was mit seiner Muttersprache zu tun hat. Ich hab‘ versucht, es ihm auszureden, aber das hätt‘ ich mir gleich sparen können - er ist so stur! Versuch dem einer mal was aus dem Kopf zu schlagen, das klappt nie und nimmer!«

Lavi hatte sich bei Tyki ausgehakt und wild mit den Armen herumgefuchtelt. Er könnte noch stundenlang so weitermachen. Als ihm Tykis deutlich irritierter Blick auffiel, ließ er die Arme sinken. »Naja, wie auch immer«, seufzte er und vergrub die Hände in den Jackentaschen. Er wusste gerade nicht, wohin damit.
 

»Tja, also« Die beiden waren in den zweiten Stock gelaufen. Lavi schloss die linke Tür auf und trat mit Tyki ein, »das ist meine kleine bescheidene Wohnung. Nichts Besonderes, aber immerhin muss ich mir nicht mit irgendwem Fremdes eine teilen, so wie die meisten anderen Studenten.«

Er überlegte noch hinzuzufügen, dass er ursprünglich mit Yū zusammenziehen wollte, ließ es dann aber bleiben.

»Ein bisschen unaufgeräumt, was?« Tyki lief den schmalen Flur entlang und lugte in das Schlafzimmer. Lavi lachte. »Hast du was anderes von mir erwartet?«

Tyki kam auf ihn zu und hob sein Kinn auf seine Augenhöhe an. »Absolut nicht«, flüsterte er fast, und Lavi spürte Hitze in die Wangen steigen. Er schluckte, musterte jeden einzelnen Winkel von Tykis Gesicht und wich dann einen Schritt zurück. Dieser Mann brachte ihn noch um den Verstand.

»A-Ach ja!« Lavi drehte sich demonstrativ um und griff nach dem Wohnungsschlüssel, der auf der Oberfläche eines Schrankes lag. Er hielt ihn Tyki vor die Nase. »Hier. Mein Zweitschlüssel für die Wohnung. Ich hab‘ keine Verwendung für ihn, also dacht‘ ich, ich geb‘ ihn einfach dir.«

Er grinste und erwartete gespannt Tykis Reaktion. Dieser machte einen ziemlich verblüfften Eindruck. Zögernd hob er die Hand und nahm den Schlüssel entgegen. »...womit habe ich denn das verdient?«

Lavi fuhr sich durchs Haar und sah kurz zur Seite. Dann suchte er wieder Blickkontakt. »Na, schließlich bist du hier immer willkommen. Du sollst hier nicht wie ein Fremder extra klingeln müssen, um reinzukommen.«

Lavi überkam ein seltsames Gefühl, als er diese Worte formulierte. Etwas derart Schnulziges hatte er noch nie zu jemandem gesagt. Außer zu Yū vielleicht. Aber das auch nur, weil man als Antwort nicht mehr als ›Che‹ zu befürchten hatte. Und weil er sein bester Freund und nicht sein Liebhaber war. Zu besten Freunden kann man so etwas schließlich bedenkenlos sagen.
 

»Freut mich, dass du so denkst, Lavi.«

Tyki ging den Schritt nach vorn, den Lavi zuvor zurückgewichen war. Und noch einen weiteren. Lavi wusste nicht, wie ihm geschah, als Tyki ihn plötzlich in seine Arme zog und die Lippen auf seine drückte. Er drängte ihn ins Schlafzimmer, und Lavi wäre dabei fast über seinen eigenen Ramsch gestolpert. der auf dem Boden lag. Tyki packte den Saum seines Pullovers, und Lavi hob bereitwillig die Arme. Tyki streifte ihm das Kleidungsstück ab und knöpfte sein Hemd auf. Er dirigierte ihn zum Bett und sank mit ihm auf die Matratze. Lavi legte den Kopf schief, als Tyki den Kuss löste und auf seinen Ellenbogen schielte.

»Nicht mal dein Bett hältst du ordentlich«, sagte Tyki leicht schmunzelnd und nahm den Gegenstand, auf den er sich versehentlich gestützt hatte, zur Hand. Lavi blieb die Luft stehen, als er die Taschenrechnerklappe sah. Tykis Blick wurde zunehmend ernster. Er studierte die Rückseite und fuhr mit dem Finger über die eingekratzten Buchstaben.

»Was ist das?«, fragte er stirnrunzelnd.

Lavi wollte ihm die Klappe vorsichtig aus der Hand nehmen, aber Tyki zog diese grinsend zurück.

»Ich hab‘ Yū mal ‘nen Taschenrechner geschenkt. Er hat ihn dann hier vergessen und, naja, seitdem liegt er hier rum. Das ist nur die Klappe.« Lavi lachte. »Ich denk‘ nie dran, Yū sein Zeug zurückzugeben, hier stapelt sich so vieles von ihm.«

»Und was hast du da reingekratzt?« Mal wieder wurde Lavi bewiesen, dass seine Schrift für jeden normalen Menschen unlesbar war. Vor allem der dritte Schrecklichkeitsgrad, wie Yū ihn zu nennen pflegte.

»Für meinen Mathe-Noob«, murmelte er und dachte daran zurück. »Yū ist so schlecht in Mathe, ich wollte ihn nur damit aufziehen.«

Er beobachtete, wie Tyki sich verkrampft auf die Buchstaben konzentrierte. Er schien keinen einzigen entziffern zu können. Schließlich gab er es auf und legte die Klappe beiseite. »Du bist ein unheimlich schlechter Graveur.«

Tyki beugte sich nahe zu Lavis Ohr herab. »Wird langsam Zeit, dass du hier ein bisschen aufräumst. Ich mag Unordnung nicht so gerne~«

Der heiße Atem ließ Lavi erschaudern. Er nickte mechanisch und fühlte sich von der rauen Stimme ganz und gar eingenommen.

»Vor allem Yūs Sachen.«

Noch bevor er etwas dazu sagen konnte, hatte Tyki ihn in einen Kuss verwickelt, der ihn alles andere vergessen ließ.
 


 

. . . . .
 

Weggedrückt. Yū hatte ihn einfach weggedrückt. Versehentlich? Nein. Wohl eher absichtlich. Wie sollte so etwas auch versehentlich passieren, wenn man sieben Jahre lang dasselbe alte, farb- und kameralose Handy benutzte?

Lavi schaute schon eine ganze Weile auf sein Display. Auf den erhofften Rückruf schien er vergebens zu warten. Yū sollte sich eigentlich darüber freuen, dass Lavi sich mal wieder bei ihm meldete. Schließlich lag das letzte Mal schon ein paar Wochen zurück - abgesehen von dem Brief in der Tüte, die Allen ihm gebracht hatte. Lavi schob eine Haarsträhne hinters Ohr. Es würde Yū zwar nicht ähnlich sehen, aber vermutlich wäre es falsch, auszuschließen, dass er sauer auf ihn war. Oder zumindest ein kleines bisschen eingeschnappt. Oder eifersüchtig. Das würde ihm noch weniger ähnlich sehen.

Lavi schüttelte den Kopf. Er sollte ihn noch einmal anrufen und nachfragen. Er drückte sich durch die Namensliste und zögerte kurz, bevor er ›Yū-chan‹ anklickte. Selbst sein Telefonbuch machte nicht vor diesem Spitznamen halt. Er legte das Handy ans Ohr und durfte das Freizeichen bescheidene zwei Mal hören, ehe er erneut weggedrückt wurde. Allmählich fühlte er sich auf den Arm genommen.

Plötzlich klingelte es an der Tür.
 


 


 

Die Tür wurde ihm so kraftvoll vor der Nase aufgerissen, dass ihm ein Luftzug durch den Pony wehte.

»Drehen Sie Ihre scheiß Alice-Monatsflatrate* jemand ander-... Woah, Yū, du bist’s!«

Kanda brauchte ein paar Sekunden, bis er die seltsame Begrüßung registriert hatte. »Gut erkannt, Baka.«

Lavi plusterte die Wangen. »Was soll das eigentlich, warum drückst du mich die ganze Zeit weg? Bist du sauer auf mich oder-«

Er brach den Satz ab. Kandas starrer Blick regte sich kein bisschen. Er drängte sich kurzerhand an Lavi vorbei in die Wohnung und drehte sich, als er hinter ihm stand, zu ihm um. »Hattest du ‘nen schönen Tag gehabt?«

Lavi blinzelte auffällig. Kanda musste zugeben, dass die Frage ohne jeglichen Zusammenhang ziemlich bescheuert klang. Lavi schien sie jedenfalls zu verwirren.

»Äh, ja, schon. Bis auf deine Wegklickaktionen und die dummen Alice-Werbetypen, die heute schon zwei Mal hier waren! ...warum fragst du?«

Kandas Mund war trocken geworden. »Weil ich ihn dir gleich versauen muss, deshalb.«
 

Ein schwarzer Stein leuchtete inmitten des plattgelaufenen Schnees auf. Kanda blieb vor ihm stehen und kickte ihn nach vorn. Er kullerte wenige Meter über den Bürgersteig. Dann rollte er zur Seite und fiel durch das Gitter eines Kanaldeckels. Kanda seufzte innerlich.

»Ich glaub‘ dir kein Wort!«

»Es ist doch nur, weil du ihn nicht magst.«

»Statt so einen Mist zu erfinden, kannst du auch gleich sagen, dass du eifersüchtig bist.«

Er passierte in Gedanken jeden Satz einzeln ab, den Lavi ihm an den Kopf geworfen hatte. Solche scheuklappensichtigen Bemerkungen entsprachen gar nicht seiner Art. Lavi war auch die Sorte von Idiot, die die Wahrheit nicht hören will.

Immerhin hatte Kanda dafür gesorgt, dass Lavi einen Schlussstrich zog. Wenn auch nicht den vorgesehenen.
 


 


 

»Der rührt dich doch total mit seinen Schmeicheleien ein.«

»Hat er jemals irgendwas Nettes zu dir gesagt, ohne dich danach ins Bett zu schleifen?!«

»Wenn du mir nicht glaubst, findest du’s früher oder später eh selbst raus.«

Sein sonst eher stiller bester Freund hatte ihm regelrecht die Ohren abgekaut, um ihn von einer Wahrheit zu überzeugen, die es nicht gab. Lavi hatte nicht einmal im Traum daran gedacht, dass Yū zu solchen Lügereien imstande wäre. Und er wollte es auch jetzt nicht denken. Aber blieb ihm eine andere Wahl?

Lavi saß auf der Bettkante und dachte an die Rückseite der Klappe. Er fragte sich, wie es möglich war, dass ein Mensch auf diesem Planeten existierte, der seine Schrift problemlos lesen konnte. Selbst er hätte Probleme, das ›Noob‹ auch als solches zu erkennen, wenn er nicht wüsste, dass es dastand.

Lavi warf sich rücklings auf die Matratze und fuhr mit beiden Händen über sein Gesicht. Es war ganz heiß. Er bekam Kopfschmerzen. Er sprang auf und lief geradewegs in die Küche. Seine Hand griff nach dem Telefon. Seine Finger tippten eine Nummer ein, die er schon seit fünfundzwanzig Tagen auswendig konnte. Sein Brustkorb bebte förmlich.
 


 

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Kanda blickte erstaunt in das Gesicht seines besten Freundes. Nachdem er ihm die Tür geöffnet hatte, schwiegen erst einmal beide. Nach kurzer Zeit bekam Kanda ein leises »Lavi« heraus. Dieser schaute stumm zur Seite und schien sich nicht zu wagen, Kanda in die Augen zu sehen. Er lächelte matt. Endlich sagte er etwas:

»...du hattest Recht. Tut mir leid, dass ich’s dir nicht glauben wollte.«

Die Stimme drang gebrochen an Kandas Ohren. Dieses demütige Wimmern stand Lavi ganz und gar nicht. Kanda packte ihn kurzerhand am Handgelenk und zog ihn in die Wohnung. Er trat die Tür mit dem Fuß hinter sich zu und legte einen Arm um die bebende Schulter. »Baka...«, murmelte er und führte Lavi ins Zimmer.
 

Lavi war von einer Sekunde auf die nächste in einen Sturzbach von Tränen ausgebrochen. Er hatte sich im Schneidersitz aufs Bett gehockt und ein Taschentuch nach dem anderen vollgeschnäuzt, deren Packung ihm Kanda vom Schreibtisch aus zugeworfen hatte. Dieser hatte sich derweil falschherum auf den Bürostuhl gesetzt und war etwas näher zu Lavi gerollt.

Kanda seufzte. Irgendetwas in ihm wollte, dass er weiterhin sauer auf Lavi war. Und das, obwohl er im Moment nur Mitleid empfand. Er kannte ihn schon viele Jahre und hatte ihn noch nie derart am Boden zerstört gesehen. Er wusste nicht so recht, wie er mit einem heulenden Lavi umgehen sollte. Aber bevor er sich darüber weitere Gedanken machen konnte, begann Lavi zu reden:

»Oh Mann, ich bin so egoistisch, Yū... es tut mir so leid, was ich dir alles vorgeworfen habe... und überhaupt, dass ich mich kaum noch bei dir gemeldet hab‘ und... ach, halt‘ mich am besten in Zukunft von allen Typen fern, die nicht Yū-chan heißen!«

»Dann wirst du einsam sterben«, murrte Kanda. Die Hoffnung, Lavi würde sich jemals diesen Spitznamen abgewöhnen, war schon lange gestorben.
 

»Hast du dich jetzt die ganzen vier Tage über zu Hause verschanzt und diesem Mistkerl nachgetrauert?« Kanda strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht. »Hättest ja auch mal anrufen können.«

»Ja, ich weiß. Tut mir leid. Aber ich hab‘ nicht nur getrauert!« Lavi zog aus seiner Jackentasche, die anscheinend groß genug dafür war, eine Menge zusammengefalteter Blätter heraus.

»...ich hab‘ deine Hausarbeit fertiggeschrieben.«

Kanda dachte, er hätte sich verhört. »W-Was?«

Lavi fasste sich an den Hinterkopf. »Ich dachte, mindestens das bin ich dir schuldig. Außerdem war es ‘ne echt gute Ablenkung. Und ich hatte überhaupt keine Ahnung vom Thema, bestimmt ist die Hälfte falsch. Ich hab’s aber mit der Hand schreiben müssen, mein PC ist doch kaputt. Weißt du ja.« Lavi faltete eines der Blätter auf, hielt es hoch und lachte dümmlich. »Dritter Schrecklichkeitsgrad, was? Das kann kein Mensch lesen.«

Kanda rollte noch ein Stück näher ans Bett heran, sodass er Lavi direkt gegenübersaß. Er zog ihm das Papier aus der Hand und überflog den Text. Lavi schaute ihn abwartend an. Kanda sah nach kurzer Zeit auf und erwiderte den Blick. »Che. Soll das heißen, dass ich kein Mensch bin?«

Er faltete das Blatt wieder zusammen und klemmte es zwischen zwei Finger. »Du bist und bleibst ein Idiot, Lavi.«

Plötzlich stand Lavi auf und schlang die Arme um Kandas Hals. Er umarmte ihn so fest, dass es beinahe wehtat. Kandas Augen waren weit aufgerissen. Keiner der beiden sagte etwas.
 

Vielleicht war Lavi der einzige Mensch auf Erden, der Kandas Sätze in ihre eigentliche Bedeutung übersetzen konnte. Vielleicht der einzige Mensch, der wusste, dass man ›ein Idiot‹ auch durch andere Worte austauschen konnte.

Nicht vielleicht. Ganz sicher.
 


 

-:-:-:-

ende kapitel drei.

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an wessen seite

e n d e.
 

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*Klingeln bei euch an der Tür nicht auch manchmal diese Futzis, die einen überreden wollen, Alice-Kunde zu werden? xD
 

Das war’s auch schon.^^ Die Geschichte wäre vermutlich länger geworden, aber ich musste mich an die 3-Kapitel-Begrenzung der Wichtelaktion halten. Hat jedenfalls trotz Zeitdruck Spaß gemacht. ;)

Ach, und: Welches Pairing hab‘ ich hier nun eigentlich umgesetzt? - Richtig: Überhaupt keines. xD Um Lavi und Kanda nach so einer Tragödie zu verkuppeln, hätte ich mindestens sieben Kapitel gebraucht, glaube ich... aber so, wie’s jetzt ist, ist es mir auch lieber.

Danke fürs Lesen.
 

Liebe Grüße,

Fujouri



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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Mismar
2011-03-31T09:29:48+00:00 31.03.2011 11:29
Ja, Japanologie. Total sinnlos, was >D Genau meine Worte! Nein, ich denke in Japan sieht das anders aus als hier.

Wie schön Lavi sich aber aufregen kann deswegen, Zukunftspläne geschmiedet? ;D Von wegen: Wie willst du uns hinterher ernähren können. Süß <3

Uhm, ich bin jetzt total sprachlos
Ganz ehrlich? Eigentlich habe ich diese Geschichte nur gelesen, weil dein Schreibstil so toll ist (und ich bleibe dabei, ich würde alles von dir lesen)
Aber diese Geschichte war wahnsinnig tiefsinnig, zumindest für mich. Ich fand die Mischung zwischen Freundschaft und Liebe so schön und einfach alles, wirklich alles hat seinen Weg hierhin gefunden, am Anfang habe ich mich gefragt, was der Taschenrechner und Lavis miese Schrift mit allem zutun haben, aber am Ende hatte das alles so eine Bedeutung, besonders diese Bettszene hat mir gefallen, als Tyki meinte, er solle demnächst Kandas Kram wegschaffen. (abgesehen davon hast du wundervoll beschrieben, wie toll er ihn ausgezogen hat ;D) und das Ende war echt niedlich, also als Fangirlie würde ich sagen: Macht rum! Sofort XD aber da habe ich eigentlich nur gedacht, wie schön Freundschaft doch sein kann, besonders nach so einer Sache ^.^
Also ich bin voll und ganz begeistert von der Geschichte gewesen, hoffentlich kommen noch gaaaanz viele Projekte von dir.
Von:  Rabbit
2011-02-16T20:14:41+00:00 16.02.2011 21:14
Hach ich liebe deine tollen FanFics und natürlich dein Gehirn! *lol*

Auch wenn es am Ende kein richtiges Pairing gab, bin ich dennoch sehr mit dem Schluss zufrieden. <3
Ja, der Einzig Wahre ist der, der deine hässliche Schrift lesen kann und dich auch ohne Worte versteht. > U <
Ich liebe das Ende!
Von:  Ibogaeru
2011-02-02T16:12:19+00:00 02.02.2011 17:12
Ein sehr schönes Ende. Auch wenn du dich "kurz fassen" musstest, ist die FF sehr gelungen und gut geschrieben.
Und das es kein typisches Happy End gibt, finde ich toll. Das hat nichts von so einem Einheitsbrei!
lg
Von:  Nana--chan
2011-02-02T14:24:55+00:00 02.02.2011 15:24
Ein echt schönes Ende, auch wenn bzw. gerade weil es so offen ist =)
Die Rückblenden haben gut gepasst und wie immer - super geschrieben ;D

Also bei mir haben die noch nicht geklingelt xDD

*Kekse da lass*
Von:  Kalahari
2011-02-01T22:18:57+00:00 01.02.2011 23:18
ich fand das ende richtig richtig gut gelungen
die rückblicke waren sehr informativ und haben enrom spannung erzeugt, weil sie die eigentliche handlung herausgezögert haben^^
das lavi yu nicht sofort geglaubt hast is auch serh überezugend, allerdings hätte ich schon gerne gewusst, wie lavi jetzt genau dahinter gekommen ist
das ende war auch richtig niedlich.. ich find es gut, dass du die sache mit der schrift aufgegriffen hast.. und das yu sie dann wie immer doch lesen kann :3
ingesammt is das ende einfach nur niedlich.. wie lavi ihn umarmt... und auch wenn die beiden nicht zusammen gekommen sind is das ende soweit offen, dass man sich doch das ein oder andere noch dazu denken kann, dass find ich gut^^
es is zwar schade, dass es schon vorbei ist und du nicht so ein bisschen mehr geschrieben hast, aber das was letztendlich hier herausgekommen ist ist auf jeden fall gelungen und zufriedenstellend^^
Von: abgemeldet
2011-02-01T22:03:00+00:00 01.02.2011 23:03
Also ich finde, du hast das Kapitel genau richtig umgesetzt und gerade deshalb ist es keine 0815 Story. :P
In so einer wären die beiden nämlich zusammengekommen. Aber so gefällts mir auch ziemlich guut, auch wenn ich normalerweise romantische Happy Ends mit Liebesgeständnis süßer finde. :D
Aber wirklich nice. :)
LG


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