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Beginnings

Before the Clash
von

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100101 - Fourth Beginning - Masami & Haru Furukawa

Es war ein angenehmer, sonniger Nachmittag in Rumoi. Endlich, denn die letzten drei Tage hatte es nahezu durchgehend geregnet, weswegen noch immer ein feuchter Geruch in der Luft hing und es relativ kühl für die Jahreszeit war. Doch auf der anderen Seite stiegen auch ohne Regen die Temperaturen in Rumoi selten über 25 Grad Celcius.

Ein kühler Wind vom Meer ließ Masami zittern, als ihr Rock ein wenig ihre Beine hochgeweht wurde. Zwar trug die Vierzehnjährige ein rosane Jacke mit dreiviertellangen Ärmeln, doch konnte die Seebrise auch im Sommer erstaunlich kühl sein.

„Hey, Furumi-chan“, begann Yuki, ein Mädchen aus ihrer Klasse, das wegen ihren rotgefärbten Haaren bereits öfter Probleme mit der Schulleitung gehabt hatte. „Hast du morgen Zeit?“

Hinako, ihre zweite Freundin, die auf ihrer anderen Seite lief, kicherte, doch Masami runzelte die Stirn.

„Ich hab morgen Nachmittag Klavierunterricht“, murmelte sie und senkte den Blick. „Tut mir leid.“

„Och man“, nörgelte Hinako. „Furumi-chan... Du bist so eine Streberin.“

„Es tut mir leid.“ Masami merkte, wie sie errötete.

„Kannst du die Klavierstunden nicht einmal sausen lassen?“, fragte Yuki. „Mae-nee feiert mit ein paar Jungen aus ihrer Klasse mit zum Karaoke!“

„Ja, Oberstufenschüler!“, stimmte Hinako ihr begeistert zu.

„Hideki-kun!“ schwärmte Yuki, doch Masami seufzte nur.

„Es tut mir leid“, flüsterte sie noch einmal betrübt. „Aber meine Mutter zahlt viel für die Klavierstunden und ich will sie nicht enttäuschen...“ Auch wenn sie kein Interesse daran hatte, mit den teilweise eingebildeten Jungen der Oberschule etwas zu machen, so hasste sie es doch ihre Freundinnen einmal wieder zu enttäuschen. „Ein anderes Mal sicher...“

Hinako seufzte. „Du machst dir einfach zu viele Gedanken.“

Für einen Moment blieb Masami stehen. Der Wind wehte ihr einige Strähnen ihrer blonden Haare, die nur zum Teil von ihrem Haarband zurückgehalten wurden, ins Gesicht. Sie seufzte. „Vielleicht habt ihr Recht.“ Unbewusst spielte sie mit ihrem Handy in der Seitentasche ihres Oberteils. „Aber...“

Hinako seufzte. „Nun, wir haben ja zumindest heute.“ Sie klopfte dem Mädchen auf die Schulter. „Aber echt mal, du solltest dich einmal weniger um deine Familie und mehr um deine Freunde kümmern.“

Daraufhin lachte Yuki und klopfte Masami auf die andere Schulter. „Genau, man ist ja schließlich nur einmal jung!“ Sie zögerte. „Das sagt Mae-nee zumindest immer.“

Schüchtern lächelnd sah Masami ihre beiden Freundinnen an, während sie die Straße weiter hinuntergingen. Nie hätte sie es laut gesagt, aber sie musste sagen, dass sie beide auf ihre Art bewunderte und beneidete.

Yuki ließ sich von niemanden etwas sagen. Nicht nur, dass sie ihre Haare gefärbt hatte, sie trug auch ein für ihr Alter gewagt kurzen Rock, auch wenn ihre Socken weit über die Knie gingen und so relativ wenig von ihren ansonsten nackten Beinen zu sehen war. Auch ihr Oberteil war weiter ausgeschnitten, als es Masamis Mutter jemals zugelassen hätte, selbst wenn Yukis Brüste kaum etwas zum Hinschauen boten.

Zwar waren auch Yukis Eltern von diesen Dingen nicht sonderlich begeistert, dafür aber ihre zwei Jahre ältere Schwester, Mae, die ihre kleine Schwester immer wieder in Schutz nahm.

Hinako trug als einzige der drei keinen Rock, sondern eine kurze Hose, die jedoch auch nicht viel länger war, als Yukis Rock und dabei verdeckten ihre Socken noch weniger ihrer Haut. Außerdem beherrschte es Hinako sehr gut sich selbst zu schminken. Zwar waren ihre Haare schlicht Braun, dafür aber mit einem auffällig glitzerndem Haargummi hochgesteckt.

Masami kam sich immer wieder wie ein unauffälliges Mauerblümchen zwischen ihnen vor, selbst wenn ihre Haare von Natur aus blond waren. Doch ihre langärmelige Weste trug sie sogar noch über einem T-Shirt und unter ihrem Rock fand sich eine dichte, weiße Strumpfhose, die sie meist auch unter dem Rock ihrer Schuluniform trug. Anders hätte ihre Mutter sie sowieso nicht aus dem Haus gelassen.

Dabei waren sie in Rumoi, nicht in Tokyo. Und Rumoi war doch nicht einmal eine richtige Stadt, so ganz ohne U-Bahn-Netz und mit nur zwei Bahnstationen. Doch eigentlich konnte Masami froh sein, immerhin waren sie hierher gezogen, weil ihre Mutter meinte, dass es besser wäre, nach der Scheidung, ganz woanders hinzuziehen. Es war sicher besser für Haru...

Sie wurde durch Hinakos Kichern aus ihren Gedanken gerissen. Die beiden anderen Mädchen redeten schon wieder über Hideki Yamagi, dem Baseballstar der Senbo Highschool. Er war Maes Kindergartenfreund, während viele Mädchen – so auch Hinako und Yuki – für ihn schwärmten. Ganz konnte Masami das nicht nachvollziehen, doch vielleicht lag es an ihr. Sie hatte sich noch nie verliebt.

Doch weil sie den anderen beiden nicht den Spaß verderben wollte, schwieg sie.

„Aber du fährst mit uns nächste Woche nach Sapporo, oder, Furumi-chan?“, fragte Yuki auf einmal und sorgte so dafür, dass das blonde Mädchen ihrem Blick auswich.

„Ich“, setzte sie an, wohl wissend, dass ihre Mutter es ihr ohnehin niemals erlauben würde. „Ich...“ Bevor sie fortfahren konnte, klingelte ihr Handy und sie holte es aus ihrer Tasche, wusste aber schon vorher, dass es ihre Mutter war, die sie anrief.

„Ja?“, fragte sie ins Telefon. „O-kaa-san?“

Sie sah, wie die anderen beiden nahezu zeitgleich die Augen verdrehten.

„Masami-chan“, hörte sie die besorgte Stimme ihrer Mutter. „Was machst du gerade?“

Leise seufzte das Mädchen. „Ich bin mit Yuki und Hinako einkaufen. Es ist alles in Ordnung.“

„Du musst nach Minatomachi fahren“, fuhr ihre Mutter fort, ihre Antwort ignorierend. „Ich schaffe es nicht, deinen Bruder abzuholen, wir haben zu viel zu tun.“

Erneut seufzte Masami, sich dessen bewusst, dass damit wohl die Zeit des Tages, die von ihrer Mutter nicht verplant war, nun auch beendet war. Aber auf der anderen Seite konnte sie ihren kleinen Bruder nicht allein lassen, niemals. Er konnte ja nichts dafür. „In Ordnung, O-kaa-san“, erwiderte sie deswegen resignierend. „Ich mache mich sofort auf den Weg.“

„Beeil dich“, drängte ihre Mutter noch einmal.

„Ja, O-kaa-san.“ Masami sah die genervten Blicke ihrer Freundinnen. „Ich beeile mich. Mach dir keine Sorgen.“

„Bis heute Abend, Liebes“, meinte ihre Mutter.

„Ja, bis heute Abend.“ Damit legte sie auf und sah ihre beiden Freundinnen an, die sie mit verschränkten Armen ansahen.

„Was ist denn jetzt schon wieder?“, fragten sie wie aus einem Mund.

„Es tut mir leid“, murmelte Masami. „Ich muss Haru abholen. Meine Mutter schafft es nicht.“

„Jetzt schon?“, fragte Yuki.

Bedrückt nickte das blonde Mädchen. „Es tut mir leid“, wiederholte sie nur. „Es tut mir wirklich leid. Aber ich kann Haru nicht allein lassen.“

Für einen Moment herrschte betretenes Schweigen zwischen den drei Mädchen, während ein weiterer Windstoß aus Richtung des nicht all zu weit entfernten Meeres kam, und zumindest Masami leicht frösteln ließ.

Schließlich klopfte ihr Hinako auf die Schulter. „Wissen wir, wissen wir.“ Ihr Blick sollte wohl aufmunternd wirken. „Ruf uns morgen nach deinen Klavierstunden an, ja?“

„Ich versuch's“, murmelte Masami bedrückt.

„Und pass auf deinen Bruder auf“, meinte auch Yuki. „Du solltest dich beeilen.“

Das andere Mädchen nickte. „Bis später“, flüsterte sie und drehte sich um.

„Tschüss“, riefen ihr die beiden anderen hinterher und winkten, doch Masami wusste, dass sie sauer auf sie waren. Denn es war allein das mindestens fünfte Mal seit Beginn der Sommerferien, dass sie ein Treffen abbrechen musste.

Doch sie konnte nicht „Nein“ sagen, wenn ihre Mutter sie um etwas bat und noch weniger konnte sie es, wenn es um Haru ging. Sie musste Haru beschützen.

Es war mittlerweile sieben Jahre her, dass sich ihre Eltern hatten scheiden lassen und sie erinnerte sich nicht gern an die Zeit kurz vor und kurz nach der Scheidung zurück. Ihre Eltern hatten so viel gestritten und ihre Mutter hatte so oft geweint.

Damals waren so von Nagoya hierher gezogen. Sie hatte es damals gehasst, aber ihre Mutter wollte weg und die Ärzte hatten gesagt, dass die etwas ruhigere Gegend besser für Haru sei. Immerhin war Rumoi noch eine Stadt und kein Dorf, es hätte also schlimmer kommen können. Trotzdem vermisste sie die Stadt und hatte lange Zeit auch ihre Freunde von dort vermisst, doch auch dies war langsam vergangen.

Mittlerweile hatte sie die Bushaltestelle erreicht, von der aus der Bus in die westliche Hafengegend fuhr. Denn Rumoi schmiegte sich ziemlich eng an das Meer – kein Wunder, denn immerhin wohnten auch nur knapp zwanzigtausend Menschen in der relativ kleinen Stadt, die auf Masami immer irgendwie verschlafen wirkte.

Im Westen der Stadt lag das Meer, während sie in allen anderen Richtungen von Bergen und Wald umgeben war. Es gab zwei Bahnstationen, dafür aber einige Buslinien, die in die Stadt führten. Ebenso teilten sich alle Jugendlichen der Stadt auf zwei Highschools auf, was unweigerlich dazu führte, dass es sich so anfühlte, als würde man eigentlich jeden kennen.

Doch erneut erinnerte sich Masami daran, dass es noch viel kleinere Orte gab, in denen es nur eine Schule gab, die alle Schüler von Grund- bis Oberschule zusammenfasste.

Sie war froh, als nach etwa fünf Minuten der Bus aus einer Seitenstraße kam und nur etwas später vor der Bushaltestelle zu stehen kam. Sie zeigte ihren Fahrausweis und ging wortlos in den hinteren Teil des Busses.

Hier in Rumoi hatte ihre Mutter, Ayumu Furukawa, zusammen mit einer ehemaligen Schulfreundin, Tomomi Goban, ein kleines Café aufgemacht, dank dem sie jedoch nur noch wenig Zeit fand sich um Masami und Haru zu kümmern. Trotzdem bemühte sie sich – vielleicht zu sehr – streng zu sein, zumindest bei Masami.

Deswegen durfte sie auch keine kürzeren Röcke tragen oder weiter mit ihren Freundinnen wegfahren. Außerdem musste sie ihm Haushalt helfen, für den ihre Mutter viel zu selten Zeit fand.

Erneut riss sie ihr Handy aus ihren Gedanken. Sie zog das metallisch grüne Gerät, an dem ein kleiner Froschanhänger und ein Anhänger mit drei Sternchen baumelte, aus ihrer Tasche und klappte es auf. Sie hatte eine neue Mail.

Lass den Kopf nicht hängen, stand dort, als könnte die Absenderin ihre Gedanken lesen.

Die Absenderin war Tomomi, die Freundin und ehemalige Schulkollegin ihrer Mutter, die sich gerade, als sie hergezogen waren, öfter um sie und Haru gekümmert hatte. Damals war sie für Masami noch Toba-san gewesen, was das Mädchen jedoch mit der Zeit abgelegt hatte.

Doch noch immer war Tomomi anders als Masamis Mutter, immer für sie da. Denn die meiste Zeit, wenn diese überhaupt Zeit fand, nutzte sie diese um sich um Haru zu kümmern, womit Masami kein Problem hatte, denn immerhin musste man sich um den Jungen kümmern. Aber ab und zu, war auch sie einsam und brauchte jemanden zum Reden und bisher war Tomomi immer für sie dagewesen.

Kurz sah die Vierzehnjährige aus dem Fenster des Busses, vor dem sich langsam die relativ kleinen Häuser der Stadt vorbei bewegten. Dann sah sie erneut auf ihr Handy. Es ist alles in Ordnung, tippte sie schnell, auch wenn es nicht ganz stimmte.

Denn es ärgerte sie, auch wenn sie an den Oberschülern und Hideki nicht sonderlich interessiert war, dass sie am nächsten Tag nicht mit zum Karaoke gehen konnte. Einmal wieder nicht. Und das sie sicherlich nicht mit nach Sapporo fahren durfte. Sie durfte nichts. Sie musste zum Klavierunterricht, zur Abendschule, sie musste sich um Haru kümmern. Und sie beschwerte sich nicht darüber, weil sie eine gute Tochter sein wollte. Aber ab und an wünschte sie sich ein wenig Freiheit, wünschte sie sich ein wenig mehr wie Hinako und ein bisschen weniger wie sie selbst zu sein.

Nun fuhren sie parallel zum Meer, das sie zwischen den Häusern immer wieder im müden Licht der Nachmittagssonne hindurchschimmern sah. In vier, fünf Minuten würde sie in Minatomachi sein, wo Haru ein bis zwei Mal die Woche zu seinen Therapiestunden musste, die allerdings nicht viel zu bringen schienen.

In der Ferne sah sie den Leuchtturm von Rumoi, der für den Tag natürlich abgestellt war, und das Meeresforschungszentrum, das neben dem alten Bahnhof zu den größten Attraktionen der Stadt gehörte.

Schließlich erreichte der Bus die Station, die am nächsten zu der kleinen Praxis war, in der Haru seine Therapiestunden absolvierte, und Masami stieg aus. Tatsächlich sah sie ihren kleinen Bruder bereits vor dem Haus auf sie warten, überrascht, dass seine Therapeutin ihn allein hatte rausgehen lassen.

Als er sie sah winkte er begeistert zu und lief zu ihr hinüber.

Sie hockte sich hin, um ihn umarmen zu können. „Entschuldige, dass ich mich etwas verspätet habe.“

Als sie ihn aus der Umarmung entließ schüttelte er den Kopf.

„Hast du lang gewartet?“

Erneutes Kopfschütteln.

Masami seufzte. „Dann bin ich erleichtert. Tut mir wirklich leid.“

Nun verdrehte ihr kleiner Bruder die Augen, wie so oft, wenn sie sich wegen diverser Sachen entschuldigte. Er machte zwei Zeichen mit der Hand. Alles in Ordnung.

Sie lächelte. Nicht zuletzt weil ihr Bruder Gebärdensprache selten nutzte, was letzten Endes kein Wunder war...

Er hatte nach der Scheidung, als er drei war, aufgehört zu sprechen. Es gab keinen medizinischen Grund, er konnte sprechen, er weigerte sich nur offenbar. Verschiedene Psychologen waren schließlich zu dem Schluss gekommen, dass er traumatisiert war und deswegen nicht mehr sprach.

Aber auch ansonsten kommunizierte er wenig direkt, obwohl er ansonsten eigentlich fröhlich und ausgelassen wirkte.

Er war noch immer ein ganzes Stück kleiner als Masami, ging ihr nur bis zum Bauch, war aber blond wie sie. Er trug eine Baseballcap auf dem Kopf, jedoch mit dem Schirm nach hinten. Sein grüntürkiser Pullover hatte lange Ärmel, da ihre Mutter ungemein besorgt war, dass er sich erkälten könnte, auch wenn seine Hose dreiviertellang war. Eigentlich wirkte er ganz normal, und doch war er es nicht.

„Und, hat es heute Spaß gemacht?“, fragte Masami, woraufhin er nur mit den Schultern zuckte. Er hatte sich schon mehr als einmal dagegen gewährt in die Therapie zu gehen.

„Mutter arbeitet noch“, fuhr das Mädchen fort. „Wahrscheinlich wird es heute später werden.“

Erneut zuckte er mit den Schultern, schien nicht sonderlich interessiert an dieser Information.

„Wir sollten trotzdem schon mal nach Hause gehen“, meinte Masami. „Ich werde heute für dich kochen.“

Mit einem Mal blieb Haru stehen und schüttelte energisch den Kopf.

„Was ist denn?“, fragte seine Schwester halb seufzend.

Erneut schüttelte der Zehnjährige den Kopf. Er wollte nicht nach Hause.

„Haru, bitte“, flehte das Mädchen, sich dessen bewusst, dass ihr Bruder auch ohne Schreierei genau so störrisch und trotzig wie andere Kinder sein konnte. „Du weißt, dass Mutter nicht will, dass wir zu lange draußen sind.“

Er verdrehte erneut die Augen.

Masami kniete sich vor ihn. „Bitte, Haru, ich möchte keinen Ärger mit Mutter haben.“ Denn letzten Endes würde sie den Ärger bekommen, und nicht ihr Bruder. „Versteh das doch.“ Sie zögerte. „Yuki und Hinako fahren nächste Woche nach Sapporo und ich werde nie mitfahren dürfen, wenn ich dich jetzt nicht nach Hause bringe.“

Für einen Moment zögerte der Junge, dann senkte er die Schultern und nickte.

„Danke“, flüsterte Masami und sie setzten ihren Weg zurück zur Bushaltestelle fort.
 

Etwa eine Viertelstunde später saßen sie schließlich im Bus Richtung Igarashicho, wo die kleine Wohnung lag, in der sie mit ihrer Mutter lebten. Sie saßen im hinteren Teil des Busses, wo sich zwei an den Seiten verlaufende Sitzbänke gegenüber fixiert waren. Haru schien von der Idee, nach Hause zu müssen, noch immer nicht sonderlich begeistert und hatte die Arme vor der Brust verschränkt.

Und Masami konnte ihn durchaus verstehen, denn noch seltener als ihr, wurde ihm erlaubt etwas alleine zu unternehmen. Immerhin wollte niemand, dass ihm etwas passiert, am wenigsten seine Mutter, was das Mädchen genau so gut verstehen konnte. Haru war so verletzlich, selbst wenn er vielleicht nicht sofort danach aussah.

Doch wieso sonst hätte ihn die Scheidung so sehr treffen können?

Trotzdem musste sie zugeben, dass sie es verstehen konnte.

Zum dritten Mal bereits wurde sie von ihrem Handy aus ihren Gedanken gerissen. Sie erkannte das Signal einer weiteren Email und nahm ohne groß drüber nachzudenken an, dass sie von Tomomi war.

Doch dann bemerkte sie, dass auch Haru sein Smartphone aus der Tasche vorne an seinem Shirt holte.

Mit misstraurisch zusammengezogenen Augenbrauchen öffnete Masami die Email, die sie bekommen hatte.

Möchtest du das Abenteuer beginnen?, stand dort. Unter der Frage stand außerdem Ja und Nein.

„Irgendeine Kettenmail“, murmelte Masami und wollte die Nachricht löschen, als sie feststellte, dass die einzelnen Antworten auswählen konnte. War die Email irgendwie programmiert?

Dasselbe hatte Haru schon lange herausgefunden, der offenbar dieselbe Email bekommen hatte.

„Das ist irgendeine Kettenmail“, warte Masami. „Vielleicht ein Virus... Lösch es lieber!“ Sie wollte ihm sein Smartphone, dass er von ihrer Mutter bekommen hatte, um besser Emails schreiben zu können – immerhin konnte er nicht telefonieren – wegnehmen, doch er rutschte schnell einen Platz weiter.

„Haru, lass das“, rief Masami aus. „Wir kennen nicht mal den Absender.“

Doch das stimmte nicht ganz, wie Haru sich mit einem Blick auf den Bildschirm versicherte. Da stand ein Absender. X Pendulum.

„Haru!“, warte das Mädchen erneut, als der Junge auch schon „Ja“ auswählte. „Aber...“, beschwerte sich seine große Schwester und wollte etwas tun, als er es schaffte auch ihr Handy in die Finger zu bekommen.

„Lass das“, rief sie aus, doch ihr Bruder grinste nur, ließ ihr Handy dann aber plötzlich fallen, als erst der Bildschirm, dann das ganze Gerät anfing zu leuchten.

„Was hast du gemacht?“ Masami packte ihn an den Schultern, sich dessen bewusst, dass wohl die Augen der anderen Fahrgäste nun auf ihr ruhte.

Doch...

Da waren keine anderen Fahrgäste. Sie waren völlig allein in dem Bus.

Vor ihnen traf auf einmal ein Lichtstrahl die ansonsten leere Straße und der Bus fuhr direkt hinein, ohne dass es irgendeinen Effekt hatte. Doch Masami hatte ein Ungutes Gefühl bei diesem hellen, blendenden und irgendwie bunt wirkendem Licht. Sie sollte hier weg, sie sollten... Aber sie kamen ja nicht mal aus dem Bus hinaus!

Das Licht erreichte sie, blendete sie und dann war auf einmal alles dunkel.
 

Als Masami wieder zu sich kam, lag sie zwischen einigen Bäumen, die ein wenig Schatten spendeten. Sie spürte weiches Gras unter sich, wenn auch der Untergrund nicht gerade bequem und eben zu sein schien.

Was war geschehen?

Ein Wesen, offenbar ein übergroßes Löwenjunges, sah ihr ins Gesicht und schnupperte. „Menschen riechen komisch“, stellte es dann fest und sah kurz in eine andere Richtung.

Ein Löwenjunges?

Masami schrie auf und rutschte so weit wie möglich von der Raubkatze weg, die sie nur mit einem erstaunlich menschlich wirkenden verwirrtem Gesichtsausdruck ansah.

„Menschen verhalten sich auch komisch“, stellte es dann fest und legte den Kopf schief. „Du bist doch ein Mensch, oder?“

Masami war zu verwirrt, um etwas sagen zu können und schwieg nur. Wo war sie hier? Was war das für ein sprechendes Tier, das außerdem noch gepiercte Ohren hatte und eine Halskette trug?

Da fiel ihr etwas viel wichtiges ein. „Wo ist Haru?“, rief sie aus. „Was hast du mit ihm gemacht?“

„Haru?“, fragte das relativ große Löwenjunge verwirrt. „Wenn du den kleinen Mensch meinst, mit dem hab ich gar nicht gemacht?“ Damit drehte es sich um und sah zwischen den Bäumen hindurch.

Mühsam stand Masami nun ganz auf und folgte den Blick des vermeintlichen Tieres. Haru rannte dort über den nicht sonderlich steilen, mit Gras überwachsenen Abhang des Hügels, auf dem sie standen. Doch er war nicht allein. Er wurde von etwas verfolgt, dass aussah, wie ein Teddybär mit Flügeln, den jemand als Indianer verkleidet hatte, und er schien dabei Spaß zu haben.

Doch nun, wo das Mädchen über die sich vor ihr ausbreitende Landschaft blickte, konnte sie sich einer Sache sicher sein: Sie waren nicht mehr in Rumoi oder an irgendeinem ihr bekannten Ort. Soweit das Auge reichte, sah sie nur Wiesen und Bäume und nicht das geringste Anzeichen menschlicher Zivilisation.

„Haru!“, rief sie. „Haru! Komm her!“

Es dauerte etwas, bis er reagierte und dann, mit einem breiten Grinsen und die Arme wie Flügel ausgebreitet, zu ihr gelaufen kam.

„Was machst du denn?“, fragte das Mädchen besorgt und kniete sich vor ihren Bruder, dem es offenbar bestens ging. „Und was ist das für ein... Was ist das für ein Ding?“ Damit sah sie zu dem Teddybär, das sich nun auf dem Kopf des Jungen niederließ. Dabei wusste sie sogar, dass ihr Bruder ihr nicht einmal antworten konnte.

„Ich muss doch sehr bitten“, beschwerte sich dafür der Teddy. „Ich bin kein Ding! Ich bin Chiupumon! Und wir haben doch nur gespielt!“

Haru nickte zustimmend,während Masami für einen Moment glaubte, ihre Beine würden nachgeben. „Der Teddy spricht auch...“ Sie starrte auf die Landschaft vor sich, halb hoffend, dass alles eigentlich nur ein Traum war.

„Ich bin übrigens Leormon“, warf das Löwenjunge neben ihr ein und sah sie an. „Und es wäre durchaus angebracht, wenn ihr uns eure Namen verraten würdet. Immerhin sind wir wohl von nun an Partner.“

„Partner?“, murmelte das Mädchen. „Partner?“, wiederholte sie ungläubig ohne zu verstehen, was dies auch nur bedeuten könnte. „Aber was...“ Sie starrte weiterhin in die Ferne. „Wo sind wir hier? Was geht hier denn nur vor?“

„Ihr seid in der Digiwelt“, antwortete der sprechende Teddy. „Und ihr seid wahrscheinlich von diesem... diesem...“

„Dem Pendulum hergebracht worden“, ergänzte Leormon.

Nun gaben Masamis Beine wirklich nach.

Wie konnte das denn alles sein?



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Kommentare zu diesem Kapitel (5)

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Von:  Gold1992
2011-09-10T17:38:20+00:00 10.09.2011 19:38
Hiho ^^

Nach langer Zeit habe ich mal wieder Zeit was zu schreiben XD.
Ja das Kapi war unglaublich toll.
So eine Mutter ist wirklich nichts um was man die kleinen beneiden kann ;P.
Du magst den Bären oder?
Bin mal gespannt wie der Junge das machen will, er ist ja Stumm, und die haben da ja oft was mit reden, und können Digimon eigentlich Geberdensprache?

Ach ich lasse mich einfach überraschen ^^.

MfG Gold
Von:  Heruvim
2011-07-15T22:04:57+00:00 16.07.2011 00:04
Na der Kommi war schon überfällig, aber ich habe mich bis zu dieser späten Stunde mit den "beyond the hype" Mitgliedern von lookbook.nu aufgehalten.
Wenn man da erstmal reingeht und versteht, warum sie sich so unglaublich toll anziehen, kann man nicht mehr aufhören <3

Nun zu dir und deinem Kapitel :->
The Alaiya-way of writing wäre mein erster Gedanke.
Das gesamte Kapitel ist flüssig geschrieben, hällt sich an das Schema der gesamten Fanfic und beleuchtet die Charaktere auch immer tiefer.

Ich bin ja generell bisher von dieser Fanfic begeistert und freue mich auch immer wieder Sachen über die Charaktere zu erfahren.
Gern würde ich Animes oder Filme sehen, in denen du deine Finger im Spiel hättest :3

Nun, ich nehme an, dass der kleine Bruder bis Ende von Clash doch noch sprechen wird? :>
Du warst mit "kein medizinischer Grund" ja recht deutlich...

So, dann hoffe ich haste heute Nacht rischtisch jut jefeiert ;)

LG <3

Von:  Taroru
2011-07-13T21:32:51+00:00 13.07.2011 23:32
findn ich gut geschrieben ^^
auch nicht so verschachtelt sondern schon noch sehr gut verständlich ^^
ich kann sie gut verstehen und ihr bruder macht mich neugierig *lach*
ich bin gespannt was noch so alles kommt ^^
bis jetzt bin ich nach wie vor begeistert ;p

Von:  Selma
2011-07-13T16:28:20+00:00 13.07.2011 18:28
Also dieses Kapitel gefällt mir wieder sehr gut.
Aber mal ne nette Idee mit dem Kleinen. Das dürfte sicherlich noch interessant werden. Aber jetzt haben wir auch wieder das 'obligatorische' Geschwisterpärchen ;)
Von:  fahnm
2011-07-12T21:40:00+00:00 12.07.2011 23:40
Hammer Kapi^^


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