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Wintermond

von

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Tiamat erzählt

»Was ist passiert?«, wollte Kenai leise wissen. Er hatte den fremden Mann noch gesehen, er erinnerte sich auch noch daran, wie er ins Eis eingebrochen war, danach war alles in tiefe Schwäre getaucht.

Ihm fiel auch auf, dass er seltsamerweise nicht fror. Seine Kleider waren nass, es schneite so heftig, wo schon lange nicht mehr und ein eisiger Wind wehte, dennoch war ihm warm.

»Lasst uns erst einmal reingehen. Du musst aus den nassen Klamotten raus, Kenai«, beschloss Kanoa und wandte sich erst jetzt seinem Bruder zu. Er wirkte in diesem Augenblick unglaublich erwachsen. Er half seinem Bruder auf. Als sie eintraten, wurden sie schon von Callisto erwartet.

»Wo seit ihr gewesen?«, fragte sie barsch, runzelte unwillig und fragend die Stirn, als sie die nasse Kleidung ihres ältesten Sohnes sah.

»Kenai war so lange weg, deswegen haben wir nach ihm gesucht, bevor Papa wiedergekommen ist«, begann Kanoa wahrheitsgemäß. »Wir teilten uns auf, um ein größeres Gebiet absuchen zu können und als ich ein Stück weit nach Norden gelaufen war, da habe ich einen Fremden getroffen, der Kenai bei sich hatte, genauso nass wie jetzt.«

»Was ist passiert, Kenai?«, fragte die Mutter streng und begann sofort damit, ihm die Kleider auszuziehen.

»Ich…«, wollte Kenai beginnen, doch Kanoa unterbrach ihn.

»Kenai sagte vorhin, er weiß es nicht mehr, aber der Fremde hat es mir erzählt. Da waren unbekannte Reiter, Kenai stand auf der Brücke in Richtung Tensde und sie haben ihn einfach über den Haufen geritten, er ist über das Geländer gestürzt und dann im Eis eingebrochen.«

»Der Fremde hat ihn raus gezogen?«, erkundigte sich Callisto misstrauisch.

»Und nach Hause gebracht, genau. Er hieß Nevar hat er gesagt, aber nicht, woher er kommt oder wohin er will«, log Kanoa, während seine Mutter ihn und seine Geschwister ins obere Stockwerk scheuchte.

»Will ich wissen, was ihr wirklich getrieben habt?«, erkundigte sich Callisto, nachdem sie ihren ältesten Sohn in trockene Kleider und ein paar dicken Decken gewickelt hatte, und gerade dabei war, eben dies auch mit ihrem jüngsten Sohn zu machen.

»Nein«, antwortete Kanoa mit einem entschuldigenden Lächeln.

Seine Mutter hielt einige Momente inne, schaute ihn nachdenklich an, dann nickte sie. Einige Minuten später saßen die vier Kinder in Kenais Bett, in dicke Decken eingehüllt und tranken eine warme Schokolade. Und sie waren allein.

»Was ist wirklich passiert?«, wollte Kenai wissen, hatte er gehört, das seine Mutter die Treppe hinab gegangen war.

Kanoa grinste und erzählte es ihnen. Auch Kinaya und Fjodor gaben eine kurze Rückmeldung, was geschehen war.

»Bleibt noch die Frage, wer jetzt Hells Junge sind, die uns mehr erklären sollten«, überlegte Fjodor. Kanoa lächelte darauf und schaute Tiamat mit einem Lächeln an.

»Hör auf mich so anzuschauen, das bedeutet immer etwas Schlechtes«, fand die, stand auf und legte sich so hin, das ihr schwarzer Schwanz in seine Richtung zeigte.

Kanoa hörte, wie seine Geschwister scharf die Luft einsogen und er runzelte unwillig die Stirn. Nach seiner Geschichte erschien es ihn unglaublich, das Kenai und die anderen noch immer erschraken. Zumal Kenai dem Winter ja auch begegnet war.

»Gut, ich hab hohes Fieber«, murmelte der.

Kinaya dagegen streichelte Pan über das rote Fell.

»Kannst du das auch?«, fragte sie.

»Was, sprechen? Das konnten wir schon immer, ihr habt uns nur nicht verstanden«, antwortete er.

»Woher kennt ihr den Winter?«, wollte dagegen Kanoa wissen.

»Wir? Gar nicht«, antwortete Ceres und kuschelte sich an Fjodor.

»Unsere Mutter kannte den Winter, wir aber nicht, sonst wären wir bestimmt nicht so lange bei euch geblieben«, erklärte Gaia, zögerte einen kurzen Moment, bevor sie hinzufügte: »Nicht, das wir es bereut hätten.«

»Ich verstehe nicht ganz, was hat das zu bedeuten? Was seid ihr und woher kommt ihr?«, wollte Kenai mit gerunzelter Stirn wissen.

»Ich erkläre es euch.« Tiamat setzte sich vor ihnen hin. »Es begann vor einigen Jahren, in der alten Welt.«

»Alte Welt?«, fragte Kinaya.

»Wir sind in der alten Welt, Tiamat. Die beiden Grundkontinente im Norden und Süden sind die alte Welt, während Osten und Westen die neue Welt sind«, widersprach Kanoa mit gerunzelter Stirn. Das weiße Tier aber schnaubte nur abfällig, als sie jedoch seinen unwilligen Blick sah, da neigte sie entschuldigend den Kopf.

»Entschuldige, ich vergesse manchmal, dass auch du ein Mensch bist. Nun, das ist euer Verständnis der alten und der neuen Welt, diese Ordnung vertreten nur ihr Menschen. Nicht aber jene wie wir, die die wirkliche Ordnung der Welt kennen.«

»Wirkliche Ordnung der Welt?« Kenai tauschte einen Blick mit Kanoa. Sie verstanden beide, dass dieses Gespräch wohl langer dauern würde.

»Ja, seid ruhig und hört zu«, mischte sich Pan etwas ruppig ein und verdrehte die Augen. »Wenn ihr Tiamat ständig unterbrecht, dann kann sie ja nie zum Kern kommen.«

Seine Schwester kicherte leise, wurde aber sofort wieder ernst.

»Also, die Erde, der Planet, auf dem wir leben, er ist zweigeteilt. Es gibt die neue Welt und die alte Welt. Die alte Welt war das ursprüngliche Land. Sie existiert schon seit Anbeginn der Zeit und ist unterteilt in Asgard, der Himmel, Midgard, das Land, und Udgard, die Unterwelt. Herzstück ist der Weltenbaum Yggdrasil.«

»Wo ist die alte Welt?«, wollte Fjodor mit großen Augen wissen.

»Wenn du immer weiter in den Süden reist, jenseits des Sommerreiches, oder aber wenn du immer weiter in den Norden reist, das Winterreich überwindest und das große Meer, dann kommst du irgendwann zu einer Insel. Das ist die alte Welt, unsere Heimat«, erklärte Ceres und leckte ihm einmal über das Gesicht.

Kenai runzelte darauf die Stirn, wollte etwas einwerfen, doch Kanoa war schneller.

»Worin unterscheidet sich die alte Welt von der neuen Welt? Sieht sie anders aus?«

»Das auch, ja. Die Unterschiede sind schwer zu erklären.«

»Fang vorne an. Als die Welt sich teilte«, riet Gaia.

»Sich teilte?«

»Hörst du nicht zu? Ja, die alte Welt existiert seit Anbeginn der Zeit, sie ist so alt wie der Himmel, so alt wie das Sternenreich. Diese Welt hier nicht. Sagt doch schon der Name.« Pan verdrehte die Augen, während Kinaya leise lachen musste und ihn zu kraueln begann.

»Ich sag ja schon nichts mehr«, brummte Kenai und rümpfte die Nase.

»Gut, dann noch mal. Einst gab es nur eine Welt. Sie wurde beherrscht von den vier Großmächten über die nur ein Wesen steht. Das jedoch hat man schon seit Jahrtausenden nicht gesehen, keiner weiß, ob es noch lebt. Das spielt aber auch keine Rolle. Diese Welt war im Grunde friedlich, doch es gab eine Menge strenger Gesetze. So hat jedes Lebewesen dort zum Beispiel eine bedeutungsvolle Aufgabe, der er sich nicht verwehren darf. Unter anderem eben auch Mani und Sol.«

»Was passiert wenn man sich widersetzt?«, wollte Fjodor dazwischen wissen. Pan warf ihm zwar einen bösen Blick zu, doch Ceres verhinderte mit einem warnenden Blick, das er etwas sagte.

»Dann wird man bestraft. Je größer das Vergehen, desto größer die Strafe. Wenn das Vergehen zu groß war, dann wird man vernichtet«, antwortete sie sanft.

»Vernichtet?« Die Geschwister starrten wie entsetzt an.

»Man wird getötet? Nur weil man nicht blind das tun will, das irgendein anderer einem Aufträgt?«, wollte Kenai fassungslos wissen.

»Nicht getötet, vernichtet. Es ist endgültig, dann existierst du in keiner Form in keiner Welt mehr. Es ist, als hätte es dich niemals gegeben. Das ist schlimmer als der Tod«, widersprach Gaia.

»Das ist grausam«, fand Kanoa.

»Nein. Es klingt so, aber es ist nötig, um die Ordnung dieser Welt zu bewahren. Das gehört auch zur Geschichte, deswegen erzähl ich jetzt einfach mal weiter«, beschloss Tiamat. »Mani ist nämlich der Mond und Sol die Sonne. Es war immerzu ihre Aufgabe im Wechsel über den Himmel zu laufen, doch irgendwann geschah etwas, was nicht geschehen durfte, um nichts auf der Welt. Mani und Sol, die sich immer fern bleiben mussten, verliebten sich ineinander. Sie wollten beieinander bleiben, doch habt ihr eine Vorstellung was geschieht, wenn die Sonne und der Mond beisammen bleiben?«

»Eine Sonnenfinsternis«, antwortete Kenai. »Der Mond verdunkelt die Sonne.«

»Oder ein ewiger Vollmond. Es würde aber immer auf Dunkelheit hinauslaufen, oder?«

»So ähnlich, ja. Es würde darauf hinauslaufen, das eine Seite der Welt immer im Dunkeln bliebe, während die andere immerzu von der Sonne beschien wird. Die eine Seite würde verbrennen, die andere erfrieren. Es würde dazu führen, dass wir nicht mehr leben könnten«, erklärte Gaia.

»Was geschah dann mit Mani und Sol? Wurden sie vernichtet?«, fragte Kinaya ängstlich.

»Nein. Anfangs trafen sie einander heimlich, doch bald schon fiel es auf und es ist so. Wenn wir unsere Aufgabe nicht erfüllen, dann kann diese Welt so wie sie ist nicht existieren, man kann uns aber nicht einfach austauschen. Die Sonne darf nicht zweimal in ein und derselben Welt existieren. Also muss man eine Sonne vernichten, damit die andere ihren Platz einnehmen darf. Seht ihr die Zwickmühle? Man opfert einen oder man opfert alle, die dritte Möglichkeit gibt es nur selten.«

»Und den dritten Weg sind Mani und Sol gegangen?«, vermutete Kenai.

»Ja. Sie verließen die alte Welt und kamen hierher. Um zusammen sein zu dürfen. Eine neue Sonne und ein neuer Mond bekamen ihren Platz. Aber so ist es immer, wenn wir unseren Platz nicht einnehmen wollen, so gibt es nur zwei Wege. Deswegen ist es auch wichtig, dass wir uns daran halten«, erklärte Gaia.

»Nun, Mani und Sol kamen auf jeden Fall hierher. Sie verlebte eine schöne, gemeinsame Zeit und bekamen vier Kinder. Das sind Frühling, Sommer, Herbst und Winter. Schließlich starben sie und die Jahreszeiten wurden die Herren der neuen Welt, sie kümmern sich nun um die Geschicke.«

»Sie können sterben?«

»Alles stirbt irgendwann. Altes muss immer dem Neuen weichen, das ist gut und richtig so«, antwortete Ceres sanft.

»Was ist mit euch?«, wollte Kanoa wissen. »Woher kommt ihr und warum seit ihr hier?«

»Wir müssen nicht nur unseren Bestimmungen folgen, sondern auch werden auch in vielen anderen Dingen fremdgesteuert«, bemerkte Pan und fletschte die Zähne.

»Dürft ihr nicht heiraten wen ihr wollt?«, fragte Fjodor.

»Wir heiraten doch nicht, Schätzchen«, lachte Ceres leise. »So etwas tut ihr Menschen, nicht wir.«

»Aber im Prinzip hast du recht, Fjodor«, warf Gaia ein. »Wir haben die Wahl, aber wir haben nur eine begrenzte Anzahl an Möglichkeiten.«

»Soll heißen, dass unsere Mutter und unser Vater für irgendwen nicht das ideale Paar waren. Man verbat es ihnen. Wie man an uns sieht, war es ihnen egal, aber es gibt immer ein paar, die zu radikaleren Mitteln greifen.« Tiamats Fell sträubte sich bei dem Gedanken daran.

»Dann sind die Herren eurer Welt aber keine besonders guten Herrscher«, fand Kenai mit gerunzelter Stirn.

»Sie können sich nicht um alles kümmern. Auch hier gibt es das Böse. Es gibt Raub und Mord und euer Vater, ganz gleich was er tut, er kann es nicht immer verhindern. So ist es auch bei uns. Zudem traut sich kaum einer, sie wirklich offen anzuprangern, denn sie sind mächtig.« Gaia kratze sich hinter ihrem Ohr und wirkte dabei, als spielte das alles keine Rolle für sie.

»Das Böse lässt sich niemals ausmerzen. Manche erhalten ihre Strafe, viele nicht. Wir wissen nicht, ob sie aus eigenem Antrieb handelten oder auf Befehl, aber am Ergebnis ändert es letztlich nichts. Sie griffen uns bei Nacht an, töteten unserer Vater und verletzten unsere Mutter. Wir flohen hierher, Mutter wollte zum Winter und sie um Asyl bitten. Sie ließ uns in der Höhle und kam nicht wieder zurück. Stattdessen seit ihr gekommen.« Tiamat verzog ihre Schnauze zu einem Lächeln und schaute Kanoa an.

»Und wir haben euch mit hierher genommen, ja. Warum seit ihr geblieben?«

»Weil es uns gut ging. Wir wussten ja auch nicht, wie wir zum Winter kommen würden und da war dies die bequemste Alternative. Wie ich schon sagte, wir haben es nicht bereut«, erklärte Gaia weiter.

»Gut. Und was seid ihr genau? Keine Füchse, aber bestimmt auch keine Hunde oder gar Wölfe. Was seid ihr?«, wollte Kanoa wissen.

»Einfach nur Bewohner der alten Welt. Wenn ihr eine Bezeichnung für uns braucht, dann trifft es der Fuchswolf schon ganz gut, oder?« Pan schaute Beifall heischend in die Runde und seine Schwestern nickten.

»Gut. Und wie sind eure richtigen Namen? Scheinbar sind diese es ja nicht, oder? Wenn ihr in der alten Welt geboren seit, dann werdet ihr wohl schon ein wenig älter sein, nicht wahr?«, fragte Kenai weiter.

»Du hast recht, wir sind schon ein wenig älter. Gaia und ich sind jetzt zwölf, wir du Kenai. Pan und Ceres sind etwas jünger, sie sind jetzt zehn Jahre alt, wie du, Kanoa. Und was die Namen anbelangt, so haben wir uns an diese hier gewöhnt. Sie gefallen uns gut, deswegen behalten wir sie.«

»So alt seit ihr schon? Aber das ist doch nicht wie bei normalen Hunden, das ihr bald sterben werdet, oder?«, fragte Kinaya ängstlich.

»Nein. Seht uns als Menschen der alten Welt. Wisst ihr, dort gibt es nicht viele wie euch und wenn, dann sind sie verzerrt und unwirklich. Wir sind wie ihr, wie sehen nur anders aus«, erklärte Pan.

»Dann bin ich beruhigt. Dann werdet ihr uns noch lange erhalten bleiben. Können wir jetzt immer mit euch sprechen?«, wollte Kanoa hoffnungsvoll wissen.

»Ja. Winter hat euch die Fähigkeit gegeben, die Sprache der alten Welt zu verstehen. Ihr könnt uns nun verstehen, ihr seid die Einzigen die es könnt«, erklärte Tiamat.

»Und ihr werdet immer bei uns bleiben?«, fragte Fjodor noch einmal nach.

»Ja, für immer«, versprach Ceres und kuschelte sich an ihn. Dabei war ihr Blick jedoch unendlich traurig. Kanoa wusste, dass da etwas war, was sie nicht aussprach, aber er beschloss, das er es auch nicht wissen wollte.

Es gab Dinge, bei denen es besser war, wenn man nichts von ihnen wusste. Und so schwieg er, griff sich Tiamat und drückte sie fest an sich.

»Lasst uns schlafen gehen«, fand er.

Seine Geschwister stimmten zu und so löschten sie das Licht und kuschelten sich noch tiefer in ihre Decken. Doch es sollte lange dauern, bis Kanoa an diesem Abend einschlafen konnte.
 

Ceres wusste damals schon was geschehen würde. Ich habe nicht bereut, nicht gefragt zu haben, denn so blieben noch ein paar glückliche Monate.

Was Tiamat da aber von der alten und der neuen Welt erzählte, begriff ich erst später völlig. Mehr noch, ich begriff irgendwann, dass es eigentlich drei Welten sind. Die Geschicke der Menschenwelt regeln zwar Winter und ihre Geschwister, aber wir Menschen bekommen davon nichts mit. Wir leben in unserer eigenen Welt und außer der Magie der Zauberer hat dort nichts Magisches, nichts Unbegreifliches einen Platz.

Wir sehen, aber wir haben nie gelernt, wirklich hinzuschauen. Das muss man erst lernen und manchmal dauert es lange. Manche lernen es nie.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: abgemeldet
2011-10-28T08:40:01+00:00 28.10.2011 10:40
So niedlich das die kleinen sprechen können :DD
Jetzt bin ich wieder auf dem neusten Stand, jetzt kannst du das nächste Kapitel hierher befördern :3
Obwohl ich sagen muss das sie mir als Kinder sehr gut gefallen, sie müssten gar nicht älter werden XXD




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