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Kingdom Hearts - Radix

~ The written version ~
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Schönen guten Tag erst mal!
Ja, es geht tatsächlich weiter, man darf dem Frieden glauben! /)ÖvÖ/) (<- denn die Eule of Doom kommt nur, wenn es mir ernst ist)
Da ich in letzter Zeit meine freien Stunden eigentlich fast ausschließlich mit Schreiben fülle (synchron an sechs verschiedenen Geschichten, booyah!) und durch meine Schreibpartnerin auf das Untermalen von Absätzen mit Musik gestoßen bin, hat das natürlich auch auf Radix abgefärbt, haha. xD Deshalb empfehle ich euch mal flugs ein paar Lieder, die zu bestimmten Abschnitten hervorragend passen, wie ich finde.
Für die komplette Traumsequenz zu Beginn könnt ihr „Ip Man OST ♪ Battle for righteousness“ hören; ich sag euch, das wird epischer als noch warmes Franzbrötchen vom Bäcker. …na ja, vielleicht ungefähr genauso episch. Ebenso grandios-furios wird „Rozen Maiden OST – Reminiscence“ für die Szene danach. Und sobald Rea ihr „Nicht wahr?“ hat verlauten lassen, bietet sich „Top Emotional Osts Of All Times- Silent Sorrow“ an, wie ich finde.
Und keine Sorge im Übrigen, das ist bloß der Anfang des Kapitels – da es sehr lang ist, lade ich es allerdings in Abschnitten hoch. Sobald das Kapitel also wieder gesperrt ist, wisst ihr Bescheid, dass die nächste Ladung im Anmarsch ist. =3
Whatever, let’s get started. I hope you’ll have fun and enjoy! <3 Komplett anzeigen

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The Ball

Wie so oft begannen seine Träume mit der größten Abstraktion, die sie kannten – er erwachte. Mittlerweile hatte sich Lynx‘ Bewusstsein angepasst und ließ sich nicht länger von der Illusion untergraben, oder wenn doch nur für das erste Viertel des Albtraums. Früher hingegen hatte er, eben weil die Träume ausnahmslos mit dem Aufschlagen seiner Augen eröffnet wurden, geglaubt, dass es gar keine Träume waren. Und all die gefühlten Stunden mit der Angst gekämpft, nicht mehr entkommen zu können.

„Was…?“

Als er dieses Mal im Schlaf aus der Realität auftauchte, umgaben ihn bereits das Fauchen der brennenden Erde, das Grollen tausender Stimmen in scharlachrotem Aufruhr und das totsuchende Zerschellen von Stahl auf Stahl. Schlüsselschwerter sind Brüder und Schwestern der Herzen ihrer Auserwählten. Es war Lynx immer ein Rätsel gewesen, wie es sein konnte, dass sie ebenso nach Vernichtung lechzen konnten wie hungrige Tiere.

„Wo bin ich?“

Aber ihm stand der Beweis allzu deutlich vor Augen, wenngleich er nicht dazu gehörte. In diesen Träumen war er immer Teil des Bildes, doch nie eine Facette seiner Geschichte. Haarscharf zischte die Klinge einer, von ihrer Rüstung geschützten, Trägerin an seinem Arm vorbei, nur um sich in den Rücken des Mannes einen Meter weiter zu bohren, ihn niederzustrecken, zu vergessen, den nächsten aufzuspüren…

„Was geschieht… hier?“

Eine ganze Front von Kämpfern formierte sich zum Gegenschlag und Lynx war irritiert, denn bisher hatte er nie Parteien in dieser donnergrellen Schlacht ausmachen können. Die Gruppe stürzte entschlossen voran, durchbrach den Fluss, lichtete Reihen und meuchelte, was sie zu fassen bekamen. Doch am Ende, als ein jeder des attackierten Areals gefallen war, richteten sie die Waffen, von Zweifeln frei, auf ihre vorherigen Mitstreiter und streckten sich gegenseitig nieder, sodass am Ende niemand mehr stehen würde.

„Wieso… kämpft ihr…?“

Er begriff den Sinn hinter all dieser Brutalität nicht, selbst wenn Kriege sich zumeist nicht mit Logik unterzeichnen ließen. Aber das hier… das waren Schlüsselschwertträger. Friedenshüter. Das war falsch, vom ersten Klingenstreich bis zum letzten Atemzug der Sterbenden. Von Grund auf. Und es nahm kein Ende.

„So unendlich viel… Blutvergießen…“

Aber es war ihm verwehrt, in das Geschehen einzugreifen, ebenso wie es in ihn. All diese Menschen, sie kämpften unerbittlich und mit aller Kraft. So befeindeten sich nur Seelen, die verzweifelt um etwas bangten, verzogen mit blauroter Furcht davor, zu verlieren, was sie liebten. Während es eben das war, was sie ausmerzten, bis ihnen nichts mehr blieb. Nicht einmal das eigene Leben.

„Bemerkt ihr denn nicht, dass dieser Kampf aussichtslos ist?“

„Also hört auf!“

Lynx spürte, dass sich etwas in der kreischenden Atmosphäre verschoben hatte. Wieder und wieder drückten unsichtbare Widerstände durch das Gewebe der Illusion, sodass Licht hindurchflackerte. Aber was das bedeutete, konnte er nicht sagen, auch nicht nach all den Malen, die er nun schon Zeuge des Unaufhaltsamen geworden war. Die schwere Rüstung auf seinem Leib klirrte, als trüge sie ihn, nicht umgekehrt und als hätte sie seine Schritte durch jahrhundertealten Nebel getragen, hin zu diesem Punkt, zu diesem Tag, um das hier zu sehen. In vollkommener Ohnmacht.

Das gläserne Visier seines Helmes war gesplittert. Unwillkürlich richtete er die schmerzenden Augen nieder auf seine Hände.

„Selbst meine Hände sind befleckt mit Blut.“

Der Riss wurde sekündlich größer, einzelne Bruchstücke lösten sich scharf glitzernd aus der Fassung und rieselten zu seinen Füßen auf den Boden. Er sah es, weil er den Blick immer noch auf seine Hände geheftet hielt. Nicht gesteuert.

„Mein Körper gehorcht mir nicht mehr.“

Etwas Warmes streifte seine Schulter, selbst durch die breiten, harten Rüstungsteile war es fühlbar. Es war eins der Herzen, die überall auf dem Schlachtfeld aufstiegen, um sich am Himmel zu versammeln. Heimzukehren…

Lynx fuhr zusammen, die Maske entbehrte krachend weitere Splitter und dann glitt sein Blick hinauf, den illuminierenden Lebensgeistern hinterher, bis er es sah. In all seiner Pracht, das Himmelszelt krönend, die Dunkelheit verschluckend.

„Das heilige Licht… Kingdom Hearts.“

Um ihn herum war es still geworden. Er wusste, was nun kam, wie all das sein Ende fand. Aber wie schon zuvor, blieb ihm keine Wahl, wurde ihm jegliche Handlung verwehrt. Stumm hielt er die Augen auf den herzförmigen Mond gerichtet und gab damit den Ausschlag, den Signalton für alle noch verbliebenden Krieger, innezuhalten und es ihm gleichzutun.

„Sein Licht ist eiskalt.“

Atemzug in Atemzug, übergreifend wie ein einziges Lebewesen. Herzschlag zwischen Herzschlag, dass selbst die letzte Lücke im Gefüge des Seins noch bebte. Noch rief.

„Als ob es sagen wollte: ‚Es ist genug‘.“

Und die Waffen sanken, die Wut verlosch und sie alle erstickten an ihrer eigenen Schuld. Wie fremde Geister sahen sie sich um, schweiften über all die toten Körper ihrer einstigen Gefährten, ihrer Vertrauten, denen sie das Leben entrissen hatten. Die ersten schrien. Aber für Reue war es jetzt zu spät. Ebenso wie für Gnade.

„Ich kann hören, wie es weint.“

Die Erde starb brüllend und zornerfüllt. Wie seine Rüstung, bröckelte auch der Boden, wie gigantische Krallen preschte das Ungeheuer über das Feld, durchfurchte Stein und Staub. Erschuf unüberwindbare Klüfte, auf alle Zeit.

„Es spürt, wie die Finsternis uns alle kontrolliert!“

Sie hatten es zugelassen, nicht verhindert. Zerfressen und beschmutzt von Habgier, Hass und Neid, hatten sie die Sprünge zwischen sich vertieft, bis sie zu Schluchten geworden waren, die sich nicht mehr schließen lassen konnten. Das Land warf sie lediglich zurück, reflektierte, was in den Herzen der Menschen geschehen war. Sie waren zersplittert, hatten sich unendlich viele Kilometer voneinander entfernt, bis zum Rande und bis hinein ins Vergessen, dass sie jemals eins gewesen waren. Nun passierte dasselbe mit dem Herzen, das sich aus ihnen allen zusammengesetzt hatte.

„Wie sie uns verschlingt und vernichtet.“

Es zerbrach. Und ein jedes Bruchstück verlor sich in seiner eigenen Weite. Einsam, auf alle Zeit allein. Wie der Tod selbst.

„Aber es gibt noch Hoffnung.“

Das, was vom Kampffeld übriggeblieben war, kam allmählich wieder zur Ruhe, aber er war von der Verwüstung ohnehin unberührt geblieben. Um ihn herum, vergingen die letzten Körper derer, die von der Erschütterung erfasst worden waren. Kein Krieg ohne Opfer hieß es, aber dieser war sogar frei von Überlebenden. Die verbliebenden gleißenden Herzkristalle flossen wie ein Sternensee auf den Mond zu. So rein…

„Wir können es aufhalten. Mit unserem Licht.“

Ebbende Stille, noch schwer vom Echo des Chaos. Das Land lag ihm wie eine offene Wunde zu Füßen, geziert von den zum endgültigen Stillstand gekommenen Waffen aufrichtiger Herzen. Obwohl Lynx gesehen hatte, wie viele Kämpfende sich hier aufgehalten hatten, viele es wirklich gewesen waren, erkannte er erst jetzt an den zahllosen Schlüsselschwertern, die den Todespunkt ihres Trägers markierten wie ein Grabstein.

„Wehrt euch nicht!“

Entgegen seiner Einwilligung, setzte sich sein Körper langsam in Bewegung. Die schwer auf seinen Schultern lastende Rüstung klapperte dumpf, während das Visier schon vollständig über seinem linken Auge abgeblättert war und nur dadurch konnte er etwas erkennen, denn der Rest lag in winzigen Scherben.

„Lasst uns eins werden…“

Mehr und mehr verlor das Licht am Himmel an Kraft, so wie die letzten Herzen in ihm versanken, bis es außer ihm kein Leben mehr gab. Seine Schritte lenkten ihn durch einen Friedhof.

„…meine Brüder.“

Die bleischwarzen Wolken verdichteten sich, schoben sich ineinander und verbargen nach und nach die weiße Gestalt. Aber es wirkte nicht, als wäre es der Himmel, der den Mond unter sich begrub, sondern vielmehr, als sei es Kingdom Hearts selbst, das die Kräfte der Natur in Bewegung setzte, um zu verschwinden. Sein Dienst war getan, die Warnung ausgesprochen. Die Zeit für diesen Ort wurde zu Eis.

Als der blassneblige Regen einsetzte, das Blut von den Schwertern und der Ödnis wusch und den letzten Schrei der Erde stillte, kamen Lynx‘ Beine erneut zur Ruhe. Sanft ging er in die Knie und streckte die Hand nach dem Talisman aus, der vor dem am Boden liegenden Schlüsselschwert lag. Zwielichtherz.

Die schneekalten Tropfen durchdrangen die Rüstung, perlten über seinen Körper wie Nadelstiche, aber er verharrte in ein und derselben Position. Jeder Schmerz geschah ihm nur Recht. Erst jetzt war er ein Teil des Geschehens. Jetzt, wo es zu spät war.

Er drückte das Symbol fest an seine Brust.

„Was habe ich getan…?“
 

Ebenso abgehackt wie jedes Mal, warf es Lynx in die entgegengesetzte Richtung zurück; aus dem Traum in die Wirklichkeit. Und wieder war das Erwachen eine einzige Qual. Er konnte die Schweißperlen wahrnehmen, die sich von seiner Stirn aus ihren Weg über sein Gesicht bahnten und blinzelte angestrengt in die Helligkeit des Zimmers, nachdem seine Lider wie lang überlastete Bänder aufgesprungen waren.

„…Lynx“, drang es flackernd wie aufkommende Wellen an seine Ohren, aber er hatte sich noch nicht weit genug gefangen, um ihm einen Namen zuzuordnen. Innerlich auf das erneute Auftreten des Albtraumes fluchend, blieb er liegen. Seine Glieder waren so taub wie nach einem Tag voller Intensivtraining und das im Bewusstsein des Faktes, dass niemand einen ganzen Tag damit zubringen konnte, ohne zusammenzubrechen

„Hey, Lynx. Ich bin’s, Rea.“ Matt ließ er den Kopf ein wenig nach rechts fallen. Hinter seinem Fenster erhoben sich die dürren, labyrinthartig verästelten Zweige eines Baumes, an denen noch einige stahlblau getupfte Blätter hingen und sich hartnäckig gegen den sturmstimmigen Wind behaupteten. Lang würden sie ihm nicht mehr standhalten, zu ihresgleichen auf die Straßen rieseln und bald schon unter einer dichten Schneedecke schlummern. Der Herbst in Radiant Garden verging oftmals in einem gefühlten Muskelzucken.

„…bist du da?“, fuhr Rea hinter der Tür stoisch fort. Ein leises Pochen an der Tür folgte. Stöhnend hievte er sich in eine aufrechte Position, sodass die Decke raschelnd herunterfiel, dann fuhr er sich heftig durch Haar, als könnte er die Erinnerungen so aus seinem Kopf verscheuchen. Es ergab alles keinen Sinn. Nacht für Nacht der immer gleiche, immer schreckliche Traum und er kam einfach nicht dahinter, was er zu bedeuten hatte. Er kannte weder den Ort, an dem sich all abspielte, noch hielt er es für möglich, dass sich so eine Szene jemals ergeben würde. Oder hoffte er? Mit einer Mischung aus Ärger und Resignation stellte er fest, dass er zitterte.

„Hey“, zog der nach wie vor nicht aufgebende Gast seine Aufmerksamkeit wieder auf sich, hielt sie aber nicht lange fest, da allein der kurzkantige Blick Richtung Tür einen jähen, sensenförmigen Schmerz durch seine Schädeldecke schrammte.

Verdammt!, dachte er mit zugekniffenen Augen, war aber nicht in der Lage, die Hand nach dem Tischchen neben seinem Bett auszustrecken.

„Ich komm jetzt rein.“

„Hm?“, gelang es Lynx noch auszustoßen, da öffnete sich schon sacht knarrend die Tür und Rea lugte hinter dem Rahmen hervor.

„Ich habe nicht ‚herein‘ gesagt“, bemerkte er knurrend, aber überflüssigerweise. Noch halb benommen, musterte er seine Freundin, die im Moment lediglich ein unscharfes Schemen war. Wahrscheinlich lächelte sie. Und noch wahrscheinlicher fiel es ihr gerade von den Lippen wie schmelzendes Wachs.

„Du bist ja doch da und wach noch dazu!“, wütete sie, war mit zwei Schritten beim Bett und nahm stückchenweise eine fest umrissene Form an. „Wieso antwortest du nicht?!“

„So was nennt man ‚ignorieren‘“, kommentierte Lynx regungslos, bevor er seine kurzweilig wiederhergestellte Klarsicht dazu benutzte, sie ausgiebig zu beobachten. Davon überrumpelt, beugte sie sich hastig zurück und ließ einen flüchtigen Rotschimmer auf den Wangen erahnen.

„Wa-Was ist?“

Kein Wort zu gestern?, dachte er stirnrunzelnd, als sich Rea bereits abgewandt hatte, um aus seinem prüfenden Blickkegel zu entkommen.

„Ach nichts…“, kehrte er das Thema kurzentschlossen beiseite, denn die Kopfschmerzen meldeten sich wie fräsende Sägen zurück. „Kannst du mir bitte die Tabletten da drüben geben?“ Vage wies er mit der Hand auf den Tisch und rieb sich die Augen.

„Öh, klar“, lächelte Rea verhalten, tapste um das Bett herum und machte sich daran, die Kapseln in Wasser aufzulösen. Aus dem Augenwinkel bildete er sich jedoch ein, zu erkennen, wie sie stockte. Hatte sie womöglich die Packung neben den Schmerztabletten als Schlaftabletten identifiziert? Falls ja, behielt sie ihre Meinung für sich und sowieso ließ es sich jetzt auch nicht mehr ändern. Zumindest hatte er sich das eingeredet.

„Du, Lynx…“, murmelte sie, kaum, dass er ihr das Glas mit der Medizin abgenommen hatte und schnellstmöglich, ob des bitteren Geschmacks, herunterkippte. „Wenn dich etwas beschäftigt, dann würdest du es doch Sera und mir erzählen?“ Er erstarrte, kam nur noch soweit, dass leere Glas sinken zu lassen und erfasste am Rande, wie Rea die eine ihrer zierlichen Hände im Stoff ihres Kapuzenshirts verkrallte. „Nicht wahr?“

Es fühlte sich an, als liefe etwas in ihm in der Zeit zurück, gegen den Uhrzeigersinn und jeder Zeigerschlag, der ihn passierte, warf die Bilder erneut auf, graue Federn in endlos weißer Stille. Er stand wieder auf dem Schlachtfeld, und wieder und wieder. Die Schreie dröhnten mit der Macht aller Visionen, die er nun schon hatte über sich ergehen lassen. Die Wege versperrt, ein Entkommen ausgeschlossen. Und zu seinen auf den durchnässten Wüstenboden fallenden Knien das Schlüsselschwert. Reas Schlüsselschwert.

Er presste die Lippen so fest aufeinander, als wollte er einen niemals endenden Ruf unterbinden, eine Bestie an ihren Ketten halten und impulsiv streiften seine Augen den Baum hinter dem Fenster.

Der Wind gewann das Kräftemessen und zupfte die Blätter harsch von den Zweigen, trieb sie in den farblosen Himmel hinauf und trug sie außer Reichweite.

„Na klar“, antwortete Lynx mit einem angedeuteten Lächeln. Erleichtert blies Rea die Luft aus, grinste ebenfalls und beugte sich zaghaft vor, um ihre Hände auf seinen Schultern abzulegen.

„Natürlich würdest du das“, flüsterte sie beruhigend, lehnte sich ihm noch ein Stück entgegen und drückte ihm einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Dem Fakt untergeben, eben noch mit schmerzstillenden Stoffen versorgt worden zu sein und dass Rea sich keinen Wimpernschlag später wieder abwandte und mit einem vergnügten „Wir sehen uns beim Frühstück“ aus seinem Zimmer schlenderte, war er nicht dazu in der Lage, anstandsgemäß darauf zu reagieren. Und anstandsgemäß definierte er bislang lediglich mit anders als schlichtweg fiebrig rot zu erröten und eine Hand auf die Stelle zu pressen, als hätte sie ihm einen Schlag versetzt, anstatt ihre Lippen darauf zu legen. Ihre Lippen… genauso weich, wie er sie sich vorgestellt hatte.

Hm, dachte er ungewollt versonnen und senkte den Blick. Auf die Stirn.

Unwillkürlich schweiften seine Augen nochmal hinüber zur Tür, durch die sie verschwunden war. Ebenso wie er gestern Nacht durch ihre. Ob sie wohl auch nur irgendetwas von seiner Aktion mitbekommen hatte? Sicher, sie hatte komatös tief geschlummert – wie es ihr gelang morgens ihren Wecker wahrzunehmen, war ihm bis heute ein Rätsel – aber diese Geste, dieser Stirnkuss… War es im Unterbewussten geschehen? Oder legte er sich da unrealistische Hoffnungen zurecht? Überhaupt. Was dachte er da eigentlich schon wieder? Und dass schon seit geschlagenen zehn Minuten, die Sonne hinter dem Fenster hatte die Baumkronen längst mit weichem blauem Herbstlicht schraffiert.

Mit knapper Präzision hob Lynx die Hand und verpasste sich selbst kurzentschlossen eine Ohrfeige. Reiß dich zusammen!

Aber wenn er daran dachte, dass er früher oder später wieder mit ihr im Speisesaal saß, wo sie nicht nur von einem Haufen Zeugen umgeben waren, die jede auch nur allerkleinste Verschiebung in ihrer festgefahrenen Normalität witterten und sich darauf stürzten wie bluthungrige Insekten. Nein, ferner schien auch Rea selbst keine Veränderung, kein Neuempfinden oder dergleichen zu teilen. Dabei hatte sie zumindest den ersten Part in vollem Wachzustand miterlebt…

Weshalb es ihn bei diesen Gedanken, dass Rea offenbar all das derart schnell und kompromisslos von sich geschoben und ins Vergessen gedrängt hatte, ein wenig in sich zusammensank, blieb ihm verschlüsselt. Oder eigentlich redete er sich das nur ein. Wieso war es auch so schwer, sich selbst zu belügen? Das war ihm doch auch früher schon gelungen. War es?

Rau stöhnend kämpfte sich Lynx aus den Decken frei und lief fahrig im Zimmer auf und ab, um alle seine Klamotten zusammenzuklauben und sich für den Tag fertigzumachen. Seit wann grübelte er überhaupt so viel? Er würde damit zu keinem Ergebnis kommen. Also sollte er sich lieber in die Aufrechte zwingen, so wie immer, den Atem flachhalten und so tun… als wäre das Ganze nicht passiert.
 

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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Bitte keine Beleidigungen oder Flames! Falls Ihr Kritik habt, formuliert sie bitte konstruktiv.
Von:  fahnm
2014-04-08T20:01:32+00:00 08.04.2014 22:01
Spitzen Kapi^^


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