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Kira gegen den Rest der Welt

von

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Reencounter

Langsam aber stetig erlangte ich mein Bewusstsein zurück. Im ersten Moment hegte ich den Gedanken, dass mein ganzes Abenteuer nur ein Traum gewesen sein könnte. Doch kaum schlug ich die Augen auf, wusste ich, dass es das nicht gewesen war. Rechts von mir saß eine Person auf einem Stuhl, der Körper war durch eine dunkle Decke verdeckt. Der Junge hatte pechschwarze Haare.

Ich richtete meinen Blick wieder geradeaus. Ein wenig entfernt stand ein weiteres Bett. Erst jetzt realisierte ich, wo ich mich befand. Am Fußende der Betten befanden sich Gitter, an der gegenüberliegenden Wand ein schwach rot leuchtender Knopf, daneben ein Nachttisch mit einem Telefon. Ich befinde mich in einem Krankenhaus., schoss mir der Gedanke durch den Kopf. Dann fiel mir alles auf einmal wieder ein, alles was passiert war. Das Gefängnis, der Versuch, Shouta. Beim Gedanken an den Jungen wurde mir das Herz schwer. Er war tot, ich wusste es. Hatte Kira ihn umgebracht?

Bedrückt legte ich meinen Kopf zur Seite. Links von mir befand sich ein großes Fenster, durch welches ich den klaren Nachthimmel begutachten konnte. Millionen Sterne prangten dort, helle und dunklere. Dabei fiel mir eine Geschichte ein, die ich noch von meiner Oma kannte. Es lag schon Jahre zurück, seit sie gestorben war.
 

„Jeder Stern verkörpert die Seele eines gestorbenen Menschen.“, hatte sie mir damals erklärt.

„Das sind aber viele. Und was ist mit den Tieren? Kommen die auch in den Himmel?“ Ich schaute sie mit gespannten Augen an, während sie behutsam nickte. „Ja, mein Schatz. Auch die. Und siehst du den Stern da? Er ist ein wahrer Glücksbringer.“ Die kleine Michelle, die Ich damals war, war verwirrt. „Wovon?“
 

Ich starrte denselben Stern von damals an. Er war etwas Besonderes. Er leuchtete hell, aber fast rot, wie ich fand. Er war nur selten zu sehen, was seine Bedeutung unterstrich. Der Glücksbringer der Fantasie, auf dass sie niemals der Menschheit abhanden kommen würde.

Seufzend wandte ich meinen Blick von dem atemberaubenden Gestirn ab. Alles eine Lüge. Wäre Shoutas Seele wirklich in den Himmel gekommen, hätte Gott ihn wirklich genauso geliebt wie alle anderen Menschen, dann hätte er nicht zugelassen, dass es das Death Note auf die Erde geschafft hatte. Nie.

Und Shoutas Seele war nicht zum Stern geworden, er war womöglich zur Todeszeit des Wesens geworden, welches ich gesehen hatte. Ob es der Gevatter Tod gewesen war? Bekam er all die Lebenszeit von Menschen, die durch Menschenhand umgebracht worden waren?

Meine Augen schlossen sich, während mir diese eine Frage durch den Kopf schwebte. Lang, vernebelt, eiskalt.

Was ist nach dem Tod?

Schenkte man Ryuk Glauben, dann kam man wirklich in den Himmel oder die Hölle. Ich bezweifelte jedoch ernsthaft, dass er auch daran glaubte. Sonst würden die Todesgötter nicht die verbleibende Lebenszeit stehlen.

„Du bist wach.“ Erschrocken fuhr ich hoch. Der Junge neben mir war scheinbar wach geworden. …oder? Nein, ich sah den schmalen Lichtstreifen, der durch den Türspalt ins Zimmer leuchtete. „Watari.“, murmelte ich kaum hörbar. Der Mann kam näher, setzte sich schließlich auf die Bettkante. „Ryuzaki saß die ganze Zeit hier und hat gewartet, dass du aufwachst.“ Er warf einen liebevollen Blick auf L, woraufhin ich, in der Dunkelheit zum Glück nicht erkennbar, rot anlief. Hatte er das wirklich?

„Ich bin froh, dass es dir gut geht. Schlaf dich ruhig noch ein wenig aus, es ist genug passiert.“ Am Liebsten wäre ich aufgesprungen und hätte ihn am Ärmel zerrend zurückgehalten, doch auch ich spürte, wie schwer meine Gliedmaßen sich anfühlten. Folglich nickte ich nur etwas zögerlich und Watari nahm dies als Zeichen, sich wieder auf den Weg zu machen. Er ist ja äußerst lange da gewesen., spottete ich in Gedanken, als er wieder die Tür passierte.

Was mich im Augenblick jedoch viel mehr interessierte, war die Tatsache, dass L da war. Warum war er geblieben? Oder überhaupt erst gekommen?

Im Hintergrund hörte ich mich selber Schreien, spürte seine Hände auf meinem Bauch, wie sie mich zurückhielten. Und die Hände der Ärzte, die mich zurückdrängten. Nicht liebevoll. Nein, brutal. Weg von dem Körper des Toten. Der Leiche. Des leblosen Objekts, welches er jetzt war.

Ich saß noch immer aufrecht in dem Bett und obwohl mir tausende traurige Fragen und Feststellungen durch den Kopf schossen, konnte ich keine Träne aufbringen. Nicht eine. In diesem Moment fühlte ich mich selbst wie Shouta im Augenblick seines Todes, wie ein lebloser, sterbender Körper. Ohne Geist, ohne Emotionen. Ein Häufchen Elend, ein Stück verbranntes Holz, wie Asche. Tiefschwarze Asche. Genauso wie der verkohlte Körper eines qualvoll Verbrannten.

Wieder starrte ich in Richtung Fenster, schob dabei all meine Überlegungen beiseite. Ich lebte jetzt. Die Vergangenheit war geschehen und ließ sich nicht zurückdrehen. Niemals.

Sanft drückte sich das Kissen gegen meinen Kopf, während ich in immer weiter in dieses hineindrückte. Geborgenheit. Konnte man dieses schöne Gefühl eigentlich verspüren, in einer Situation wie dieser? Und wenn es kein Unwohl gab, konnte das Gegenteil davon überhaupt existieren? Ohne Hass keine Liebe. Ohne Kälte keine Wärme. Nur wie wurde bestimmt, wer dazu verdammt war, das Schlimmere zu erfahren?

Vielleicht sah ich es auch alles falsch. Aus der falschen Perspektive. Light wollte so sein, wollte ein Gott werden. Nicht wie ein Gott, sondern komplett einer werden. Das war sein Ziel. Für sich selber musste es fantastisch klingen, nur aus der Sichtweise anderer Personen nicht.

Wer empfand alles anders herum? Wahrscheinlich war für Light das Negative in meinem Sinne positiv. Und umgekehrt. Das ‚Böse’ würde nie zugeben, schlecht zu sein. Es kämpft für sein eigenes Ziel, welches aus der Sicht der sogenannten ‚Guten’ eine Schande war. Aber wer bestimmte, was Gut und was Böse war? Vielleicht waren es eigentlich die Guten, die das Schlechte verbreiteten, und die Bösen hielten diese mit ihrem nur scheinbar fiesen Vorhaben davon ab.

Alles eine Frage der Veranschaulichung.

Ob es Gott war, der der Gute war? Oder war genau diese Überlegung falsch?

Richtig und falsch. Zwei Begriffe, zwei unterschiedliche Bedeutungen. Aber was, wenn wir genau diese beiden Bedeutungen genau dem falschen Wort zuordneten?

Zum etlichen Mal stelle ich mir eine Frage. Immer nachdem ich soweit gekommen war.

Warum bin ich hier?

Ein leises Regen neben mir verlangte nach meiner Aufmerksamkeit. Ich richtete meinen Blick in die entsprechende Richtung und sah, wie langsam aber stetig Leben in den verschlafenen Körper zurückkehrte.

Ironisch lachte ich auf, ausgerechnet so eine Formulierung traf den momentanen Zustand von L perfekt. Während ich in mich hinein grinste, kam ich mir vor wie eine Verrückte. Wer weiß, vielleicht war ich das ja schon? Mein Verlangen nach meiner Familie wuchs Tag für Tag, den ich hier verbrachte. Gleichzeitig wollte ich am Liebsten für immer hier bleiben, alles war so spannend und ich mochte die Leute hier. Wahrscheinlich war genau dies der Grund, warum ich Stück für Stück zerbröckelte. Meine Standhaftigkeit, die ich anfangs noch besessen hatte, ist dahin geschmolzen. Genauso wie meine Hoffnung, eine endgültige, zufriedenstellende Lösung für mein ernsthaft problematisches Problem zu finden.

Seufzend beobachtete ich L dabei, wie er sich streckte und mich mit zusammengekniffenen Augen ebenfalls begutachtete. Wie zwei Raubtiere, die abwarten, wer zuerst angriff.

„Was starrst du mich so an?“ Meine Genervtheit stieg auf ein Maximum des täglichen Bedarfs daran. „Das Gleiche könnte ich dich fragen.“

Warum zum Teufel war er nur immer so passiv? Wie konnte man verdammt noch mal immer mit einer Frage auf eine Frage antworten?!

Zwar hasste ich mich selbst dafür, aber was danach geschah konnte ich kaum länger zurückhalten. Ich holte weit mit der flachen Hand aus, um sie anschließend laut auf L’s Wange klatschen zu lassen.

Erschrocken legte dieser seine Hand auf die sich sofort rötlich färbende Stelle. Kurzerhand stand er auf und machte sich auf den Weg zur Tür. Davor blieb er noch einmal stehen, drehte sich nicht um, und erklärte mir mit einer leisen, sonst aber normal klingenden Stimme: „Ich trete keine Frauen.“

Am Liebsten hätte ich ihn dafür noch einmal geschlagen. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich ihn beinahe ohne Grund geschlagen hatte. Gut, er hatte mich aufgeregt, weil er jedes Mal auf meine Fragen so seltsam konterte. Aber das war doch noch lange nicht Grund genug, um Gewalt zu rechtfertigen!?

Bestürzt vergrub ich meinen Kopf in den Händen. Was war bloß los mit mir? Nahm ich mir Shoutas Tod wirklich so zu Herzen? Ja, das tat ich wohl. Ein wenig zu viel für meinen Geschmack.

Ich hatte L eine geklatscht. Demjenigen, der mir ein Dach über den Kopf gegeben hat. Demjenigen, der mir ein ganzes Studium finanzieren wollte. Der so viel für mich in meiner Notlage getan hatte. Den ich so sehr mochte.

Okay, das klang kitschig. Dennoch, ohne L wäre ich wahrscheinlich nicht mehr hier. Ich wäre erfroren, oder spätestens verdurstet oder verhungert. Ob… ob ich dann wohl einfach wieder als Michelle aufgewacht wäre? Und gedacht hätte, es sei alles nur ein Traum?

Bemüht, leise zu sein, stand ich auf. Langsam schlich ich zur Balkontür, eine Glasscheibe. Konnte man sie öffnen? Leider hatte ich nicht das Glück, allerdings gab es mehr als nur eine Methode, eine Glastür zu öffnen. Ohne zu zögern holte ich mit dem Ellbogen aus, wie ich es vorher bei L mit der Handfläche getan hatte, zog ihn hinter mein linkes Ohr und schlug mit voller Wucht auf sie ein. Das Glas zersprang augenblicklich in tausende kleinste Teilchen und glänzte wunderschön im kalten Mondlicht vor sich hin.

Meine Haut begann sich rot zu färben, es störte mich nicht. Es kam mir vor, als hätte ich noch nie Schmerz gekannt. War das möglich?

Das Blut rann weiter, lief mir bis zur Hand hinunter und fing an, leise auf den Boden zu tropfen. Vorsichtig leckte ich ein wenig über die Fingerspitzen, schmeckte mein Blut auf den Lippen. Schmeckte so also der Tod?

Mittlerweile wusste ich genau, was ich zu tun hatte. Jeder, der mich hier gesehen hätte, hätte mich für verrückt erklärt und in die Psychiatrie gesteckt. Ich ging raus auf den Balkon, schaute in ein Meer von Lichtern. Japan bei Nacht. Es sah so wundervoll aus, dass mir der Atem wegblieb. Mal schauen, was jetzt passierte.

Ich trat weiter an das Geländer heran, blickte nach unten. Schwärze. Dunkelheit. Ob er kam?

Ich lehnte mich ein wenig über die Brüstung, atmete dabei die frische Nachtluft ein. Noch ein Stückchen, und noch ein wenig weiter. Meine Füße begannen, sich vom Boden zu heben. Ich hielt inne, ging anschließend einen Schritt zurück. Schließlich drückte ich mich an der Stange nach oben, stellte mich dann auf diese. Gehalten wurde ich nun nur noch von besagter halbdicken Eisenstange unter meinen Füßen und der Hauswand zu meiner linken. Tief sog ich die Luft ein, ehe ich sie gespannt anhielt.

Jetzt oder nie.

Ich nahm meinen Mut zusammen, brachte mich soweit, dass ich mich in Gedanken genug vorbereitet hatte.

Jetzt!
 

Es ging alles zu schnell. Beziehungsweise, das, was ich eigentlich vorhatte, geschah gar nicht.

„Sind sie wahnsinnig!?“ Die Krankenschwester kam in dem Moment angerannt, in welchem ich gerade fertig war. Hastig rannte sie auf mich zu, umklammerte von hinten meinen Bauch und ließ sich danach vollkommen nach hinten fallen. Jedenfalls reichte es aus, um mich von den Füßen zu reißen und anschließend hart auf den Boden zu knallen. Mein Arm lag auf ihren Hals und ich hätte ihn sehr wahrscheinlich so nach unten gedrückt, sodass sie gewürgt worden wäre, weil sie mich in meinem Vorhaben unterbrochen hatte, wenn ich ihn nicht gesehen hätte.

Mit weit aufgerissenen Augen rappelte ich mich auf, stürzte mich ungehalten wieder auf die Brüstung zu. In der Ferne sah ich noch, wie der schwarze Umhang sich mit der Dunkelheit der Nacht vermischte.

„Nein!“ Verzweifelt versuchte ich das Geländer ein zweites Mal zu überwinden, daraufhin hielt mich die Frau erschrocken an den Füßen fest. Am Boden löste ich ihre Hände ein Mal in dem entstandenen Gerangel, sofort hatte sie jedoch meine Handgelenke fest im Griff.

Ich schrie, spürte die Tränen meine Wange hinunterlaufen. Welch ein erbärmliches Bild ich wohl abgeben musste…!

Tapfer kämpfte ich weiter mit der Krankenschwester. Diese versuchte immer verzweifelter, mich am Boden zu halten. Mit Erfolg. Ich hätte es nie geglaubt, dass eine so zierliche Frau wie sie dazu im Stande war, was sie mir antat. Sie griff nach einer Flasche, die zufällig unten stand – sie kam daran an, da wir uns durch das mehrfache Gerolle mittlerweile fast innerhalb des Zimmers befanden – und zog sie mir unbarmherzig über den Schädel. Augenblicklich erschlafften meine Arme und ich lag bewusstlos da.



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