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Der Unsterbliche und der Sterbende

Das Ende des Lebens eines desillusionierten Vampirjägers
von

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Noah und Keith

So schlimm war es gar nicht. Es war sogar ganz angenehm, nach all den Strapazen. Er war ganz zufrieden. Er hätte die Ruhe und den Wind genossen, wäre da nicht diese nervige Stimme gewesen.

„Junge.“ Sie wiederholt dieses eine Wort nun schon dutzende Male. Immer in der gleichbleibenden, ruhigen Tonlage.

Ohne die Person vor sich anzusehen, da seine Augen geschlossen waren, meinte er dann: „Ich bin kein Junge mehr.“

Er sagte es langsam und sehr müde.

„Schön, dann eben ‚du‘, auch wenn es etwas unpersönlich ist.“

Das war ein schlechter Scherz, oder?

„Du, was tust du hier?“

Der Angesprochene atmete laut aus.

„Abserbeln“, erwiderte er matt.

Nun herrschte wieder die angenehm Ruhe von ganz am Anfang, ehe jemand das Gefühl gehabt hatte, ihn anquatschen zu müssen.

Aber er wusste, wer auch immer vor ihm sass, konnte mit dem Begriff nichts anfangen.

Wie jeder bis jetzt. Also formulierte er es noch einmal anders.

„‘s rafft mich dahin“, dürfte eigentlich schwer zu verkennen sein.

Wieder trat diese angenehme Stille ein, in der man nur das Gras rascheln hörte.

„Aber du bist noch so jung. Was tust du überhaupt an so einem Ort?“ Dafür, dass dieser Mann vor einem Sterbenden sass, war dieser wirklich sehr gelassen.

„Deinesgleichen abschlachten“, kam auch prompt die nüchterne Antwort.
 

--
 

Keith sass in seinem Stammlokal auf einem alten, massiven Holzstuhl vor einem genauso alten und recht mitgenommenen Tischlein. Seinen einen Fuss hatte er auf dem Stuhl und gegen die Tischkante gelehnt, während er den Kopf in den Nacken gelegt hatte. Seine Augen waren geschlossen und die Hand mit dem Glas Wasser auf das Knie gestützt. Sein anderer Arm hing nahezu leblos hinab. Überhaupt wirkte der junge Mann alles andere als lebendig. Er wirkte bleich, sein Mund war leicht geöffnet und seine Brust hob sich kaum noch. Haselnussbraunes Haar fiel ihm ins Gesicht. Aber der junge Mann merkte weder das, noch, dass seine Kleider und Arme ganz dreckig waren.

Hier spielte es aber kaum eine Rolle. Das Lokal war auch dreckig, düster, verraucht und heruntergekommen. In der Ecke, in der er sass, kam das einzige Licht von einer flackernden Öllampe auf seinem Tisch. Das Lokal war inoffiziell längst geschlossen. Es gab hier nicht viel mehr als Bier und ein oder zwei einfache Gerichte. Mittlerweile diente dieses Lokal, in einer Gasse der Altstadt, nur noch als Treffpunkt für verruchte Gestalten, Stammgäste und Leute, die nicht wussten, wohin sonst mit sich.
 

Leute wie Keith.
 

Dabei könnte er es ganz anders haben. Aber was interessierte ihn das?
 

„Hazel.“

Keith öffnete die Augen schwerfällig einen Spalt, als man ihn mit diesem Namen ansprach. Aus verschleierten, rehbraunen Augen blickte er die Frau vor sich an.

Sie war mittleren Alters, um die vierzig, sah aber deutlich älter aus. Von der Statur her war sie schlank, oder um genau zu sein schon knochig, und hatte ein raues Gesicht. Die schwarzhaarige Frau war hochgewachsen, ihre Haut olivfarben und lederig. Ihr gehörte diese Kneipe seit beinahe zwanzig Jahren und seither sah man sie eigentlich nie ohne Pfeife.

„Vora…“

„Musst du dich hier tot stellen? Ich meine, die Leute sind sich das ja von dir gewohnt. Sieht aber trotzdem verstörend aus, wenn du über eine halbe Stunde keinerlei Reaktion zeigst.” Vora lehnte sich gegen einen Holzpfeiler und sah den jungen Mann an, welcher nur ein dumpfes ‚Hm‘ hören liess.

Sie betrachtete seine blasse Erscheinung, die nicht zu seinem athletischen Körperbau passte.

Keith trug einen dreckbraunen, langen und reichlich abgenutzten Mantel ohne Ärmel. Darunter einfache und robuste Kleidung, ebenfalls braun oder grau. Dazu einen dunklen, grünen Schal, der auch schon eher braun war.

Alles in allem war er die Art Mensch, dessen Erscheinung einfach nur unterging. Nur wenn er seine diversen Waffen trug, die nun aber neben ihm auf dem Boden lagen, fing er flüchtige Blicke.

Vora nahm einen weiteren, kräftigen Zug an ihrer Pfeife und stiess den Rauch stockend und langsam aus.

„Wirklich, du siehst jedes Mal mehr aus wie ‘ne Leiche, wenn du herkommst. Wenn das so weitergeht, musst du dir wohl nicht mal mehr Sorgen machen, ausgesaugt zu werden. Man könnte meinen, du hättest schon ein paar Mal als Snack für diese Bastarde hingehalten. Meinst du nicht, dass… Hazel?“

Keiths Augen waren wieder ein wenig mehr zugefallen und auch ihr Ausdruck war matter geworden. Er legte den Kopf etwas zur Seite, hatte den Blick aber weiterhin unablässig auf die Frau gerichtet, während sein Mund sich zu einem zynischen Lächeln verzog. „Nh-nh.“

Es war nicht ungewöhnlich, dass Keith etwas geistesabwesend wirkte, wenn man mit ihm sprach. Er kriegte trotzdem alles mit. Aber es gab Momente wie diese, da schien ‚Keith‘ gar nicht in seinem Körper zu sein, obwohl das Gesagte ihn trotzdem zu erreichen schien.

Vora kannte ihn gut genug, um den Unterschied zwischen beiden geistesabwesenden Zuständen zu erkennen oder zu merken, wenn Keith vom einen zum anderen wechselte. Sie seufzte.

„Komm schon, Hazel. Reiss dich mal wieder zusammen. Bevor du noch als lebender Toter abgestempelt und aufgeschlitzt wirst“, brummte sie, wobei sie Keith mit einem Fuss grob in die Seite stiess. Einige Sekunden dauerte es, ehe die Augen des Braunhaarigen sich sichtlich klärten und er sie anschliessend auch ganz öffnete. Zum ersten Mal schein er nun wirklich Vora anzusehen, während er sich anständig hinsetzte und sich die Haare aus dem Gesicht strich.

„Entschuldige, Vora. Ich hab dich gehört. Es geht mir gut, ich werde nur immer mehr nachtaktiv“, erwiderte Keith nun schlicht und lächelte leicht entschuldigend.

„Von wegen. Du warst schon als Kind nachtaktiv wie ‘ne Eule. Aber du dämmerst immer mehr weg, schon gemerkt?“

Vora wirkte nicht mal besorgt, eher etwas genervt davon. Schlussendlich war Keith auch in diesem Zustand mehrheitlich ansprechbar.

Er lächelte schief, legte aber zeitgleich die Stirn in Falten, was etwas seltsam aussah. „Beschwer dich bei den Vampiren. Die werden immer dreister und bereiten mir Kopfzerbrechen“, meinte Keith weiterhin gelassen. Er leerte sein Glas Wasser mit einem Zug. Schliesslich betrachtete er sein schemenhaftes Spiegelbild darin. Er drehte es einige Male in der Hand herum und wartete auf eine Bemerkung seiner wohl besten Freundin. Der einzigen Person, die ansatzweise begreifen konnte, was in ihm vorging.

„Nee. Du zerbrichst dir selbst den Kopf. Lass doch einfach mal gut sein. Auch du kannst die nicht alle umlegen. Das einzige Problem ist deine Sturheit. Die übrigens ‘ne sehr seltsame Kombination mit deiner mangelnden Motivation ergibt. Genauso wie deine zeitliche Desillusion und dein enormer Überlebensinstinkt“, meinte Vora. Sie erschien sehr unfreundlich, wie ihre Stimme. Obwohl sie weder wirklich schroff, gehässig, noch sonst was war. Es war wohl einfach ihre Natur.

Keith sah sie an wie ein geprügelter Hund. „Kannst du mir nicht zur Abwechslung mal ein Kompliment machen?“

„Du gibst mir ja keinen Anlass dazu“, konterte Vora sein angedeutetes Jammern.
 

Einen Moment war es still, ehe Vora ihn dasselbe fragte, wie sie es jedes Mal früher oder später tat. „Willst du nicht wenigstens mir verraten, was die Vampire verletzlich macht? Ich habe begriffen, dass nicht alle durch dasselbe sterben. Aber wieso? Und woher weisst du das?“

„Vora, ich sag es dir immer wieder: Das ist eine Frage Mutter Naturs, die nicht beantwortet werden sollte. Niemand sollte dieses Wissen besitzen. Ich nicht und kein anderer Mensch. Kein Vampir. Niemand.” Immer kam dieselbe, nachdrückliche Antwort. Und nie sah Keith Vora dabei an. Er starrte immer noch das Glas an und schaukelte es mit seinem Mittelfinger auf der Kante herum.

„Du bist ein komischer Kauz, Hazel. Ich geb’s ein für alle Mal auf.“

Keith schwieg. Vora genauso. Keith starrte sein Glas an. Vora starrte ihn an.

Er wirkte weder auf die eine, noch auf die andere Art abwesend. Aber dennoch konnte sie das Gefühl nicht abschütteln, dass mit Keith etwas nicht stimmte.

Der Braunhaarige setzte sich wieder gerade hin, als er hörte, wie Schritte eindeutig in seine und Voras Richtung kamen.

„Du musst der Vampirjäger sein, von dem sie hier so viel reden. Ich habe nicht damit gerechnet, dich so bald zu treffen. Hazel heisst du also?“ Ein ziemlich kleiner, glatzköpfiger Mann hatte sich zu ihnen gestellt. Er war vornehm gekleidet und genauso wohlgenährt. Während Keith ihn aus den Augenwinkeln kühl anstarrte, zog Vora ein ‚Woops-Fettnäpfchen‘-Gesicht.
 

„Falsch. Keith. Mein Name ist Keith, nicht Hazel“, meinte der Braunhaarige desinteressiert und sah wieder sein Glas an. Hazel war ein Mädchenname. Der Kerl hätte sich ruhig verwirrt zeigen können oder nachfragen. Aber nicht einen auf selbstverständlich machen.

Keith mochte ihn jetzt schon nicht.

„So? Aber die werte Dame hat dich doch gerade Hazel genannt, oder irre ich mich?“
 

„Du bist nicht Vora, oder irre ich mich?“
 

„Nenn mich nochmal so schleimig ‚werte Dame‘, und ich polier‘ dir die Visage, bis sie wie deine Glatze glänzt.“
 

Schön zu sehen, dass Vora seine Meinung teilte.
 

Der fettleibige Mann war wohl äusserst geschockt über das ungehobelte Verhalten der beiden. Dennoch liess er sich nicht allzu viel anmerken und räusperte sich nur leicht.

„Nun, wie auch immer, Keith. Mein Name ist Johannes Lincoln. Man sagte mir, du nimmst praktisch jeden Auftrag an. Ich hätte da einen für dich. Eines meiner Dienstmädchen hat zufällig ein Versteck von Vampiren gefunden. Ich möchte dich bitten, diese Wesen zu vernichten.“ Wenigstens kam dieser Kerl schnell zur Sache.

Vora sah ihn unbemerkt missbilligend an. Keith hingegen schien nichts dagegen zu haben.

„Okay, von mir aus.“ Er griff nach seinem Schwert – einem Quadarra, das auf dem Boden lag – und erhob sich. Sachkundig verstaute er die Waffe auf seinem Rücken.
 

Vora forderte ihn auf, ihr das leere Glas zu reichen. Keith tat dies auch, doch schon als er einen Schritt auf sie zu machte, überkam ihn ein Schwindel, der beinahe einem Ohnmachtsanfall glich.

Das Glas zersprang und noch während die Scherben sich verteilten, landete auch die alte Holzpfeife auf dem Boden. Vora hatte sie fallengelassen und fing Keith auf, der über seine eigenen Füsse fiel und dies nicht mal mehr merkte.

„Hey, hey, Hazel! Was soll das denn?“ Vora hielt den Braunhaarigen um der Taille fest, da seine Beine ihn offenbar nicht mehr trugen. Sein Körper hatte jegliche Spannung verloren und sein Kopf lehnte gegen die Schulter der Frau. Er liess nur ein leises Stöhnen hören.

Mit einem dumpfen Ausdruck in den Augen starrte er an, wer sich gerade in seinem Blickfeld befand. Einige starrten zurück, andere merkten gar nichts und wieder andere waren sich schon an Keith gewohnt und beachteten ihn daher kaum noch.
 

Keith beachtete sie auch nicht. Sie waren zwar da, hatten aber keine Bedeutung. Sie waren einfach noch ein paar graue Flecken, die umherwanderten. Noch ein paar Klumpen, um die sich Schatten rackelten. Noch ein paar Wesen, die vor sich hin vegetierten. Noch ein paar Gestalten, die von der Dunkelheit verschlungen wurden.

Nur noch ein paar mehr… nur noch ein paar.

Was hatten die schon an Bedeutung?
 

„Herr Gott, was ist denn nun mit diesem Bengel los…!?“ Johannes schien nun erstmals irritiert, nahezu entsetzt. Keith war ihm äusserst sonderbar erschienen, doch dies schlug dem Fass den Boden aus.

„Halt’s Maul. Sowas kommt vor, also nerv nicht rum“, brummte Vora. Wobei Keith zwar hin und wieder geistesabwesend rumstand, jedoch nie so kollabierte. „Erde an Hazel. Du bist schwer. Wenn du nicht bald wieder anwesend bist, lass ich dich fallen.“
 

Keith starrte weiter vor sich hin, liess seine Lider etwas zufallen. Er starrte einen Schatten an, der ihnen besonders nahe war und sich auftürmte, dann wieder mit den anderen Grautönen verschwamm. Keiths Augen fielen ganz zu.

Er holte tief Luft, atmete dann langsam aus, ehe er seine Lieder wieder aufschlug. Die Spannung war in seinen Körper zurückgekehrt, und so hob er seinen Kopf von Voras Schulter und stellte sich wieder gerade hin.

Er rieb sich den Kopf, als sie ihn auffordernd ansah.

„Gleich zwei Mal am selben Tag… Mann. Aber jetzt ist dieser blöde Dämmerzustand ganz weg.“

Keith war gelassen und wieder munter, als wäre nichts gewesen. Währenddessen hob Vora ihre Pfeife auf und Johannes starrte nur entgeistert zwischen den beiden hin und her.
 

Es dauerte einen Moment bis Johannes, der Keiths Zurechnungsfähigkeit nun anzweifelte, ihm die Karte und eine Notiz überreichte, mit der der Vampirjäger alles Weitere erledigen könnte.

Vora gefiel es nicht, wie sehr Johannas davon ausgegangen war, dass Keith annehmen würde. Und wie gut er alles vorbereitet hatte. Sie sagte aber nichts. Keith nahm grundsätzlich jeden Auftrag an. Meist ohne ihn auch nur zu hinterfragen. So auch dieses Mal.

Der Braunhaarige kontrollierte noch einmal sein Waffenarsenal, welches von Pflöcken über Schwerter und Dolchen bis hin zum Revolver alles beinhaltete. Danach machte er sich direkt auf den Weg. Er war an nichts gebunden.

Vora warnte ihn wie immer auf ihre liebreizende Art und Keith hob lässig die Hand, ehe er aus der Tür verschwand.
 

--
 

Das vermerkte Versteck war nur ungefähr drei Stunden von der Stadt entfernt, in der Keith lebte. Sie war nicht wirklich schön, was Keith immer wieder dachte, wenn er durch die Strassen ging. Überall war es grau, trist und eintönig. Die Häuser wären im Grunde ganz hübsch, nur leider sehr heruntergekommen. Es war dreckig, wenn man sich nicht gerade in der Marktstrasse befand. Und Waisenkinder wie Ganoven trieben sich in den Gassen herum, zusammen mit Bettlern und Vampiren, die nicht anders konnten, als sich da unterzumischen.

Nicht einmal das Wetter meinte es gut. In einem Tal wie hier war es oftmals neblig oder regnerisch. Das einzige, was dem Braunhaarigen an der Stadt gefiel, war, dass selten Fremde herkamen. Abgesehen von ein paar Händlern ab und an. Es war eine abgeschottete Gegend. Absolut nicht nennenswert, unauffällig.

Keith war genauso und fühlte sich wie ein Teil von ihr.
 

Er lief und lief, bis er irgendwann auf einem Hügel ankam, auf dem die Ruine eines alten Hauses stand. Wahrscheinlich war es mal eine Hütte gewesen, in die sich Schäfer aus der Gegend hatten zurückziehen können. Er betrat die Ruine, die genaugenommen nicht mehr viel mehr als das Grundgemäuer war.

Keith suchte nach einer Art Eingang, welcher ihn in die Tiefe führen würde, wie Johannes es gesagt hatte. Nach kurzer Suche wurde er auch fündig: Eine Falltür unter einem Haufen Geröll. Während Keith die steinernen Stufen in die Tiefe hinabstieg, wunderte er sich, was ein Dienstmädchen von reichem Hause an so einem Ort zu suchen hatte. Die Treppe war nicht besonders lang und unmittelbar ihrem Ende befand sich eine weitere Tür. Hinter ihr waren mehrere Vampire.

Keith wusste das und es brachte ihn zu einem matten Lächeln. Mit Links zog er einen Pflock aus seinem Gürtel er seine Rechte an den Griff seines Schwertes legte. Einmal noch holte er tief Luft, auch wenn es hier schrecklich moderig roch, bevor sich sein Lächeln zu einem kampflustigen und nahezu selbstgefälligen Grinsen entwickelte.

Er hob den Fuss an und trat die morsche Holztür mit Wucht ein. Während die Anwesenden allesamt aufschreckten, trat Keith provokant gelassen ein. „So, wer macht den Anfang?“
 

Heute würde hier Blut fliessen. Viel Blut.
 

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„Oh? Du weisst also, dass ich ein Vampir bin?“, fragte der Junge mit schwarzem Haar, der deutlich älter sein musste als er aussah. „Dass du ein Vampirjäger bist, sehe ich. Aber woher wusstest du, was ich bin, ohne mich auch nur anzusehen?“, es lag eine gewisse Neugierde in der Stimme.

Keith brummte. Er hatte erstaunlich wenig Schmerzen, aber er fühlte sich unglaublich schwach. „Intuition.“

Der Vampir seufzte ein wenig. Der junge Mann vor ihm war nicht gerade gesprächig. Aber was erwartete er auch von einem Sterbenden? Er hatte die verschiedensten Menschen auf verschiedenste Arten sterben sehen. Aber Keith erschien ihm sonderbar, weil er eine Ruhe besass, die weit von Resignation entfernt war. Es machte ihn interessant.

„Ich bin Noah“, stellte er sich dann vor, nachdem er sich unwillkürlich über die Lippen geleckt hatte. Keiths Blut roch eben köstlich. „Du hast noch eine Sehnsucht, deswegen bist du noch bei Bewusstsein. Wonach sehnst du dich noch? Und wieso ist es nicht Wert genug, gegen deinen Tod anzukämpfen?“

Keith hörte die Frage zwar, reagierte aber nicht. Er war müde, körperlich wie geistig. Das Blut floss weiter langsam aber stetig aus seinen Wunden. Was Vora wohl denken würde, wenn sie sehen könnte, auf welch erbärmliche Weise er starb?

Vora.

Es würde Wochen, Monate oder gar Jahre dauern, bis sie von seinem Tod wissen würde. Keith stöhnte leicht, nur damit dem Vampir klar wurde, dass er noch bei Bewusstsein war.

„Hey, Du. Ich schlage dir einen guten Deal vor: Dein Leben für meines“, schlug Noah plötzlich nüchtern vor. „Ich rette dein Leben und du setzt meinem ein Ende. Wie wäre das? Hört sich doch gut an.“

Keiths Gedanken um Vora lösten sich rasch und er schnaubte. „Ich hänge zu wenig am Leben und an dieser Welt, um ewig hierbleiben zu wollen“, murmelte der Braunhaarige. Er wusste, dass Noah sein Leben retten konnte, wenn man so wollte. Aber er wollte kein Vampir sein. Und er gehörte ohnehin nicht hierher. „Aber… Wenn du dir den Tod so sehr wünschst… Ich kann dich trotzdem…“, flüsterte er matt und zwang sich mit viel Anstrengung die Augen zu öffnen.

Seine Lider flackerten, aber er sah noch klar genug, um Noahs Gesicht zu erkennen. Keith sah ihn ein wenig benommen und abwesend an, während Noah, wie schon die ganze Zeit, nur emotionslos zurückstarrte. Keiths Mund bewegte sich nach etlichen Sekunden, aber es kam erst kein Ton raus.

„Nein. Du… kannst nicht sterben. Durch nichts… Niemals“, murmelte der Vampirjäger dann. Seine Augen schlossen sich wieder und seine Stimme war leiser geworden. Er merkte, wie die Kraft ihn immer mehr verliess.

Noah starrte ihn weiter ungerührt an. Er beobachtete, wie sich die Brust des Vampirjägers nur noch schwach hob und wieder senkte.

„Ja, stimmt. Du siehst Dinge, deren Existenz keine Form haben, hm?“, Noah, der noch apathischer wirkte als zuvor, mutmasste dies nur.

Gerne hätte er dem Jungen vor sich mehr erzählt. Er hätte ihn über Wiedergeburt, Schicksal und all solche Dinge ausgefragt. Was er als Sterblicher und nun Sterbender dachte. Aber es sah nicht so aus, als würde Keith noch lange bei Bewusstsein bleiben. Er war bereits leichenblass, ohne Übertreibung.

Wieder brummte Keith nur. Es war jetzt einfach an der Zeit für ihn, zu sterben. Und es war ihm ganz recht.

Nur wusste er, dass Noah recht hatte. Er hegte eine Sehnsucht, er bereute etwas.
 

Vora. Es gab viele Dinge, die er ihr noch hätte sagen müssen. So viele. Aber sie würde nichts davon jemals erfahren. Vielleicht würde es Jahre dauern, bis sie überhaupt erfuhr, dass er tot war. Vielleicht würde sie es nicht einmal im Angesicht ihres eigenen Todes schon wissen.

Keiths Atemzüge wurden schwächer und schwächer, seine Gedanken verblassten, bis sie ganz verschwanden und nichts als Leere zurückblieb.

Noah sass die ganze Zeit über im Schneidersitz da und sah stillschweigend zu. Schliesslich begann er von 240 an rückwärts zu zählen.

Als er bei null ankam, erhob er sich langsam und sah nochmal in den grauen Nachthimmel, ehe er sich dicht neben Keith kniete, der noch immer gegen eine kaputte Mauer gelehnt war. Er drehte den Kopf des jungen Mannes zur Seite.
 

Nichts schmeckte und nährte wie frisches Blut. Aber es wäre schade um diesen köstlichen, süssen Lebenssaft, den er roch.

Noah entblösste erstmals seine schneeweissen Vampirzähne, ehe er sie langsam aber exakt in Keiths Halsschlagader versenkte.
 

Warm war das Blut schliesslich ja noch.



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Kommentare zu diesem Kapitel (2)

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Von:  Sternengaukler
2012-07-28T13:54:53+00:00 28.07.2012 15:54
echt super geschrieben. vor allem hab ich diesmal mehr zeit als nur zum überfliegen gehabt.
des ende is nur bissl traurig. man wüsste schon gern, wies weiter ginge.
isser wirklich tot? Oo vieles wurde ja auch von kira schon geschrieben. da bringt wiederholung nix. aber gut geschrieben, rechtschreibung gut. direkt schlimme fehler hab ich keine entdeckt x)
kann eigentlich nicht klagen. super FF.
Von:  KiraNear
2012-07-25T18:44:44+00:00 25.07.2012 20:44
Also zuerst einmal muss ich sagen, dass mir deine Geschichte gefallen hat. Du erzählst sehr schön, abwechlungsreich und auch in schönen Absätzen. Das sorgt für einen angenehmen Lesefluss.

Was mich ein wenig irritiert/gestört hat: Du erzählst einen kleinen Tick zu schnell. Außerdem wäre es interessant gewesen, noch einen Tick mehr über die Charaktere zu erfahren. Natürlich muss nicht die ganze Palette an Hobbys, Lebensgeschichte, Vorlieben usw kommen. Es hätte auch gereicht, es durch irgendwelche Worten oder Taten zu beschreiben. Damit man sich ein noch besseres Bild von ihnen machen kann. 

Vor allem wirft diese Geschichte viele Fragen auf: Warum ist Keith ein Vampirjäger? Was genau für eine Macht nutzt er, dass er in diesen Dämmerzustand verfällt? In welcher Beziehung stehen Keith und Vora?

Dinge, deren Existenz keine Form haben? Was genau ist damit gemeint? 

Hab gelesen, dass du noch andere Geschichten dazu in Planung hast, werden dort die offenen Fragen, die in dieser Geschichte auftauchen, geklärt?

Was mich auch noch interessiert: Woran ist Keith eigentlich am Ende gestorben?

Es ist schon cool, wenn eine Geschichte offene Fragen aufwirft, aber für den Leser ist es auch interessant zu erfahren, ob er auch irgendwann die Antworten dazu auch sieht.

Ansonsten kann ich nur noch wiederholen, dass es wirklich Spaß gemacht, deine Geschichte zu lesen und dass sie mir wirklich gefallen hat.

Btw, ich bin über eine Umfrage von Sternengaukler hierher gekommen, also nicht wundern, woher die plötzliche Aufmerksamkeit kommt.


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