Marie mag Musik nur wenn sie laut ist
Am kleinen Zeh beginnt das Kribbeln, steigt durch ihren ganzen Körper. Ihr Schlüsselbein vibriert. Sie streckt ihre Finger aus; sie zittern. In ihrem Gehirn brummt es. Und sie mag dieses Gefühl. Will mehr davon.
Also steht sie von der Bank auf. Läuft langsam über den Platz. Und je näher sie kommt, desto stärker das Kribbeln.
Zögerlich hebt sie ihre Hand und berührt den schwarzen Kasten, den Verstärker ihrer Quelle des Glücks.
Mit ihren schönen blauen Augen schaut sie auf. Und sieht ihn. Den, der ihr diese Freude bereitet.
Er sieht sie auch. Lächelt sie an. Sie lächelt zurück. Ihre Beine kribbeln. Ihre Arme.
Und dann hört alles auf, aber er kommt auf sie zu. Sagt etwas zu ihr, und sie muss lachen. Sie streicht sich ihre langen seidigen Haare hinters Ohr, und seine Augen schimmern sie grüngrau an. Er redet weiter, doch sie lächelt ihn nur zuckersüß an. Aber es scheint ihm zu gefallen, denn er lacht, schenkt ihr noch ein Lächeln, und dann beginnt das Kribbeln wieder im kleinen Zeh, steigt durch ihren ganzen Körper.
Er singt, lässt sie dabei nicht aus den Augen. Aber sie, sie kann nicht anders, und schaut nach unten, beobachtet die Stahlschnüre – sind es Stahlschnüre? Und mit jedem Zupfen schlägt ihr Herz mit. Ihr Magen vibriert, zaubert ihr Schmetterlinge in den Bauch. Ihr breites Lächeln zeugt von der Freude, und ihre Augen spiegeln das Glück wider, das sie in diesem Moment verspürt.
Stundenlang, eine Ewigkeit, nein – für immer könnte sie hier stehen. Einfach nur hier stehen und dieses Gefühl fühlen.
Doch es hört auf, und er kommt wieder zu ihr, lächelt sie an. Sie lächelt zurück. Er stellt ihr eine Frage. Sie antwortet nicht, sondern lacht ihn nur weiter an. Einer Sonne gleich strahlt sie. Und er wiederholt seine Frage, immer mit einem Lächeln auf dem Gesicht. Er mag sie, das kann sie erkennen. Aber antworten tut sie nicht.
Er stellt seine Frage nicht noch einmal, sondern schaut sie nur fragend an.
Und plötzlich ist da eine ältere Frau, die sich zu den beiden jungen Menschen gesellt, ihr Mädchen in den Arm nimmt, und zu ihm sagt:
„Sie liebt Bassspieler.“
Er ist erstaunt und fragt:
„Jeden?“
Und die Alte antwortet:
„Ja, das ist die einzige Musik, die sie kennt; Marie ist taubstumm. Sie liebt Bassspieler.“
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Herbert Grönemeyer – Musik nur wenn sie laut ist
Sie sitzt den ganzen Tag auf ihrer Fensterbank
Lässt ihre Beine baumeln zur Musik
Der Lärm aus ihrem Zimmer macht alle Nachbarn krank
Sie ist beseelt, lächelt vergnügt
Sie weiß nicht, dass der Schnee lautlos auf die Erde fällt
Merkt nichts vom Klopfen an der Wand
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Das ist alles, was sie hört
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Wenn sie ihr in den Magen fährt
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Wenn der Boden unter den Füßen bebt
Dann vergisst sie, dass sie taub ist
Der Mann ihrer Träume muss ein Bassmann sein
Das Kitzeln im Bauch macht sie verrückt
Ihr Mund scheint vor lauter Glück still zu schrein
Ihr Blick ist der Welt entrückt
Ihre Hände wissen nicht, mit wem sie reden solln
Es ist niemand da, der mit ihr spricht
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Das ist alles, was sie hört
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Wenn sie ihr in den Magen fährt
Sie mag Musik nur, wenn sie laut ist
Wenn der Boden unter den Füßen bebt
Dann vergisst sie, dass sie taub ist.