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Oh nein! Nicht noch eine Vampir-FF!

Lesen auf eigene Gefahr!
von

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Opfer

Es waren Tage vergangen. Wie viele genau, wusste James nicht. Tag und Nacht gingen so unbemerkt ineinander über, dass er bald schon keinen Sinn mehr darin erkannte, sie voneinander zu trennen. Seit er ein Vampir war, war Schlaf unwichtig für ihn geworden. Er hatte alle Zeit der Welt und ihm standen alle Türen offen. Ein ganz neues Lebensgefühl, das er selbst während seiner langen Zeit bei Team Rocket nie verspürt hatte.

Doch genauso, wie die Tage für ihn länger geworden waren, verging nun auch die Zeit gleich doppelt so schnell für ihn. Obgleich er keine Pflichten mehr zu erfüllen und keine Aufgaben mehr zu erledigen hatte, reichte die Zeit nicht aus, um sein neues Leben zu entdecken.

Erst nach und nach entdeckte er seine neuen Fähigkeiten und Kräfte an sich. Er konnte nicht nur wahnsinnig schnell rennen, nein, er konnte mindestens genauso gut springen. Was war schon noch ein Gebirge für ihn oder eine Schlucht? Genau, nur ein Katzensprung.

Auch konnte er sich nicht vorstellen, auch nur irgendeinem Pokémon unterlegen zu sein. Das Ursaring damals war kein Gegner für ihn gewesen. Selbst die tiefe Wunde, die das Pokémon ihm damals zugefügt hatte, war binnen Sekunden wieder verheilt gewesen. Nicht einmal eine Narbe war zurückgeblieben.

Vielleicht sollte er seine Grenzen testen und sich auf die Suche nach einigen legendären Pokémon begeben wie Mewtu oder Groudon. Ob er vielleicht sogar Rayquaza aus seiner Ozonschicht locken und zum Kampf herausfordern könnte? Oder Palkia, das schließlich Herr über die Zeit war. Er konnte sich nicht vorstellen, dass selbst Arceus auch nur den Hauch einer Chance gegen ihn haben würde. So gesehen also, wenn er sogar mächtiger als Arceus war, war er dann nicht mit anderen Worten ein Gott?

Der Gedanke amüsierte ihn. Lustig, bis vor Kurzem war er noch ein Schwächling gewesen. Und jetzt, nur wegen eines kleinen Bisses, war er vermutlich das mächtigste Wesen auf der Welt. Wenn Jessie wüsste…

Sein Grinsen erstarrte.

Aber sie wusste es nicht. Und sie würde es auch niemals erfahren. Kein Mensch sollte es jemals erfahren. Es war besser so. Er wollte niemandem Schaden zufügen.

Wenn er nur weit genug weggehen und lange genug verschwinden würde, dann war er sich sicher, dass ihn bald jeder vergessen haben würde. Erst dann wäre auch er wirklich frei. Doch solange er es eben noch nicht war, würde er immer  eingeengt sein.

„Jessie…“

Wie es ihr wohl ging? Ob sie wohl noch um ihn weinte? Auch witzig irgendwo, wenn man bedachte, dass sie sonst immer einen auf stark tat. Doch er hatte immer um ihre Inneres gewusst. Hatte gewusst, dass sie bei Weitem nicht so stark war, wie sie immer vorgab.

Diese Gedanken lösten einen stechenden Schmerz in seinem Herzen aus. Nur an sie zu denken gab ihm das Gefühl, als sei er schon jahrelang von ihr getrennt. Als seien bereits Jahrzehnte verstrichen und sie wäre einfach von ihm gegangen. Wenigstens etwas Humanes war also noch von ihm übrig geblieben.

Er drehte sich daraufhin um und blickte wehmütig in die Richtung zurück, aus der er gekommen war. Irgendwo in dieser Richtung musste sie noch sein. Weit, weit weg von ihm. Doch er wusste, dass es zu spät war, um umzukehren. Er wusste es, und doch…

 

Wieder war die Nacht schneller über James hereingebrochen, als er es überhaupt mitbekommen hatte. Doch was kümmerte es ihn, er hatte sein Ziel endlich erreicht.

Vorsicht lugte er an dem Baum vorbei, hinter dem er sich versteckt hielt, und sah hinüber zu der offenen Feuerstelle. Selbst, wenn kein Lagerfeuer gebrannt und ihm die Suche dadurch um ein Vielfaches erleichter hätte, hätte er sich ohne Probleme wieder zu ihnen gefunden. Es war erschreckend einfach gewesen, ihre Fährte aufzunehmen und dieser in rasender Geschwindigkeit zu folgen. Und da waren sie nun also.

Seine beiden Freunde und ehemaligen Teamkollegen.

Jessie machte einen sehr betrübten Eindruck, so wie sie an dem Feuer saß und ihre Knie eng an ihren Körper gezogen hatte. Er glaubte sogar, tiefe, dunkle Augenringe in ihrem Gesicht zu erkennen. Ob sie noch viel um ihn geweint hatte? Komisch, bei diesem Gedanken hatte James das Gefühl, als sei er bereits für die beiden verstorben. Dabei war er so nah bei ihnen.

Sie sprachen kein Wort, nur das leise Knistern des Feuers durchdrang die nächtliche Stille. Und je länger er da stand, regungslos, umso mehr fragte er sich, ob es klug gewesen war, zurückzukommen. Denn was sollte er ihnen sagen, würde er sich zu erkennen geben? ‚Hi, ich bin nur kurz zu Besuch zu euch zurückgekommen, aber nur keine Sorge, ich bin gleich wieder weg‘?

Wahrscheinlich wäre das das sogar klüger. Einfach wieder genauso unbemerkt zu verschwinden, wie er gekommen war. Niemand würde wissen, dass er hier gewesen war. Sie würden ihn nicht unnötig vermissen. Und ganz nebenher war das auch sicherer für sie, denn James bemerkte erst jetzt dieses verdächtige Kribbeln in seiner Kehle, das ihm signalisierte, dass er mal wieder auf die Jagd gehen musste.

So seufzte er nur kurz, wandte sich dann um und wollte gehen. Er erschrak gewaltig, als er plötzlich Jessie vor sich erkannte. Wie hatte sie gewusst, dass er hier war? Und wie war es ihr nur gelungen, so unbemerkt vor ihm aufzutauchen? James hätte schwören können, dass sie eben noch am Feuer bei Mauzi gesessen hatte.

„Jessie!“, rief er erschrocken aus und schnappte nach Luft.

„Wusste ich’s doch, dass du hier bist.“

„Aber wie…?“

„Ich wusste es einfach“, unterbrach sie ihn, noch ehe er seine Frage fertig formuliert hatte. Auf ihre typische Art verschränkte sie dann die Arme vor der Brust. „Was machst du hier?“

„Ich…“, begann er leise, stockte dann aber für einen Moment. Was sollte er ihr darauf antworten?

„Du bist fortgegangen.“

James nickte schweigend.

„Und nun? Kommst du wieder zurück?“

Ein Kopfschütteln war die Antwort. „Nein. Ich wollte nur kurz nach euch sehen, ob es euch gut geht.“

„Es geht uns nicht gut!“, schrie sie daraufhin und James zuckte kurz zusammen. Als er dann zu ihr aufsah, konnte er Tränen in ihren blauen Augen glitzern sehen. „Natürlich geht es uns nicht gut! Du bist einfach abgehauen und hast uns zurückgelassen, ohne ein weiteres Wort eines Grundes!“

„Tu-tut mir leid“, stammelte er eine Entschuldigung und meinte es ehrlich. Klar, natürlich hatte sie recht. Er war einfach abgehauen, ohne seine Beweggründe zu erläutern. Doch es war besser so gewesen, das wusste er heute noch besser als damals. Dennoch… es tat ihm wirklich leid, dass er seine Freunde einfach so im Stich gelassen hatte.

„Ich weiß es.“

Erneut schrak James auf. Was hatte sie da eben gesagt? Was wusste sie?

Irritiert sah er sie an. „Was?“

„Ich weiß, was du bist. Dachtest du wirklich, ich würde eine so gewaltige Veränderung an dir nicht bemerken? Idiot!“

Unsicher taumelte er einige Schritte zurück. Er konnte nicht glauben, was sie da sagte. Woher sollte sie es wissen? Seit wann wusste sie es?

„Jessie… ich… bleib weg!“

Doch sie blieb nicht weg, im Gegenteil! Sie kam langsamen Schrittes näher auf ihn zu.

„Du hättest es mir doch einfach sagen können“, sprach sie mit sanfter Stimme zu ihm und auf ihren Lippen spielte ein Lächeln.

„Wo-woher wusstest du…?“

„Ich kenne dich lange genug, James“, gab sie ruhig zur Antwort. „Und davon abgesehen, alleine die Art, wie du mich die letzte Zeit immer angesehen hast, spricht doch eindeutig für sich. Dauernd starrst du mir auf den Hals oder auf die Hände.“

„Oh!“

„Es ist nicht schlimm. Trotzdem… inzwischen glaube ich auch, dass es besser wäre, wenn wir uns besser aus dem Weg gehen. Nicht, weil ich wirklich um meinen Hals besorgt wäre.“ Sie legte eine kurze Pause ein, ehe sie mit einem schweren Seufzen hinzufügte: „Nein, darum geht es wirklich nicht.“

„Nicht? Aber… Moment! Das heißt also, du wusstest von Anfang an, dass ich ein Vampir bin. Aber das wir uns trennen sollten liegt nicht daran, dass ich dich beißen könnte? Woran denn dann?“

Jetzt umspielte ein mysteriöses Lächeln ihre Lippen und sie trat noch näher zu ihm. Schließlich legte sie ihren Zeigefinger an seine Unterlippe und kam ihm mit dem Gesicht so nahe, dass er dem Drang kaum noch widerstehen konnte, ihren Hals unter seinem Mund zu entblößen.

„Hast du es etwa immer noch nicht bemerkt?“, flüsterte sie ihm leise zu und in ihrer Stimme schwang ein undefinierbarer Unterton mit.

James blinzelte verwirrt. „Was meinst du?“

Ihr Grinsen wurde breiter. „Ich bin auch schon seit geraumer Zeit kein Mensch mehr.“

„Was?!“, entkam es ihm entsetzt. Was meinte sie nur damit? Aber doch, ja, es stimmte. Jetzt, da sie es erwähnte, bemerkte er tatsächlich einen fremden Geruch an ihr. Irgendwie roch sie zwar noch nach wie vor nach sich selbst, aber irgendwie auch anders. „Du bist auch ein Vampir?“

„Nein“, sie schüttelte mit dem Kopf, „kein Vampir.“

„Was dann?“

Sie grinste und ihre Pupillen verengten sich dabei unmenschlich. „Ich bin ein Werwolf.“

„Wa-?“, wollte er erneut seinem Entsetzen Luft machen, doch er brach ab. Kurz überdachte er ihre letzten Worte, wobei er kurz schluckte. Dann sah er ihr wieder fest in die Augen. „Ich habe das nie bemerkt. Seit wann schon?“

„Etwa seit einer Woche, bevor du zum Vampir wurdest“, gab sie ehrlich zur Antwort und seufzte kurz. Schließlich ließ sie wieder von ihm ab, wandte sich um und trat einige Schritte von ihm weg. „Das heißt, jetzt, da du ein Vampir bist und ich ein Werwolf, sind wir natürliche Feinde. Deswegen wäre es besser… du weißt schon. Wenn wir uns aus dem Weg gehen. Das ist sicherer für uns beide.“

Ihre Worte trafen ihn hart, doch er wusste, dass sie wieder einmal recht hatte. Also schluckte er erneut, ehe er schließlich entschieden nickte.

„Verstehe.“



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