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Für einander

von

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Für einander

„Du wirst dich nicht mehr ganz so viel sorgen müssen, oder?“
 

Breaks Worte hallten in seinem Kopf nach wie ein Echo aus einer tiefen Schlucht. Über ihre Bedeutung war sich Gilbert selbst nicht ganz sicher. Zu schwer war es, überhaupt einen klaren Gedanken zu fassen.

„Ja, das kann sein“, murmelte er nur zur Antwort und senkte den Kopf auf die angezogenen Knie. Er fühlte sich seltsam leer, als wenn alle Energie aus ihm herausgesaugt worden wäre. Dabei sollte er doch eigentlich froh sein: Oz würde in Zukunft besser auf sich Acht geben und sich nicht mehr so leicht in Gefahr bringen. Er würde sein eigenes Leben nicht mehr so schnell riskieren, damit niemand, dem er wichtig war, Angst um ihn haben müsste. Und das war es doch, was Gilbert erreichen wollte, oder nicht?
 

„Anscheinend habe ich Schwierigkeiten bisher immer dir aufgebürdet. Aber von jetzt an will ich mich anstrengen, damit ich auch selbst Dinge auf mich nehmen kann und zurechtkomme, ohne mich an dir anzulehnen.“
 

Nein! Das war es nicht! Das war es ganz sicher nicht!

Was wäre Gilbert nur für ein Freund, wenn er davonliefe, sobald es Probleme gäbe? Natürlich durfte Oz ihm Schwierigkeiten aufbürden und natürlich durfte er sich an ihn lehnen! Doch was, wenn er nun dachte, alles im Alleingang schaffen zu müssen? Was, wenn Oz, nur um Rücksicht auf andere zu nehmen, jetzt erstrecht in Gefahr geriet?

Gilbert schauderte unwillkürlich. Nein, das wollte er nicht. Er war doch Oz‘ Diener und es war seine Aufgabe ihn zu beschützen! Er wollte nicht, dass Oz ihn nicht mehr brauchte.
 

„Gilbert?“

Break musterte Gilbert abschätzend; offenbar nicht sicher, in wie weit eine Kommunikation noch möglich war.

„Ich bringe das Fräulein Sharon ins Bett“, sagte er. „Kommst du mit rein? Es wird kalt hier.“

Mühevoll stemmte sich Gilbert hoch und bemerkte erst im Stand, wie der Schwindel sich wieder seines Körpers bemächtigte. Er hatte Wein noch nie gut vertragen und nun fiel ihm auch wieder ein, warum er es vermied, welchen zu trinken. Seine erste Erfahrung, als Oscar ihn, nachdem er mündig geworden war, zu einem offiziellen Anlass mitgenommen hatte, war ihm noch schmerzlich im Gedächtnis. Doch seit jeher hatte Gilbert sich gewünscht, Oz wäre in einem dieser besonderen, ersten Momente bei ihm gewesen. So viele Augenblicke des Erwachsenwerdens hatte er nicht mit ihm teilen können…
 

Wie in Trance folgte Gilbert Break durch die Balkontür in den Wohnraum und beobachtete ihn dabei, wie er die schlafende Sharon vom Sofa hob, um sie auf ihr Zimmer zu bringen.

„Du solltest dich auch bald hinlegen“, riet Break mit einem Schmunzeln auf den Lippen, bevor er die Tür hinter sich zuzog und Gilbert allein und etwas verloren in der Mitte des großen Raumes zurückließ. Trotz der späten Stunde flackerte das Feuer im Kamin immer noch munter und schien eine für Gilbert schier unerträgliche Hitze auszustrahlen. Oder lag es daran, dass er einfach zu betrunken war?
 

Taumelnd durchquerte er den Saal und ließ sich auf das Sofa sinken, auf dem Sharon nur wenige Minuten zuvor noch gelegen hatte. Er fragte sich, ob es jemanden stören würde, wenn er einfach die ganze Nacht über hierblieb. Dass er den Weg durchs Haus zu seinem Bett in diesem Zustand finden würde, erschien ihm äußerst unwahrscheinlich. Müde lehnte Gilbert den Kopf zurück und schloss die Augen.
 

„Deshalb erzähl mir bitte demnächst von dir, von den Nightrays und von den letzten zehn Jahren!“
 

Dieser Satz war so ungewöhnlich, dass man ihn sich schlecht zusammen mit Oz‘ Stimme vorstellen konnte und Gilbert hätte es sicher nicht geglaubt, hätte er es nicht mit eigenen Ohren gehört. All die Wochen, die sie gemeinsam verbracht hatten, seit Oz aus dem Abyss zurückgekehrt war, hatte er nicht eine einzige Frage gestellt. Dass jetzt diese plötzliche Bitte kam, verwirrte und überforderte Gilbert zugleich. Wie konnte er seinem Freund erzählen, was alles in dieser langen Zeit geschehen war? Was sollte er sagen über Vincent und Eliot, über Break und Pandora, über sich, seinen Chain oder die schrecklichen Taten, die er begangen hatte?

Wie zur Hölle erklärte man zehn Jahre, ohne dass die Gefühle einen dabei erdrücken würden?
 

„Gil, du bist noch hier?“

Der Körper einer kleineren Person sank neben Gilbert aufs weiche Polster und ließ diesen prompt aus seinen Gedanken erwachen. Wie Oz zurückgekommen war, hatte er überhaupt nicht bemerkt. Nun lächelte er ihm mit einer Leichtfertigkeit entgegen, die Gilbert in diesem Moment nur schwer nachempfinden konnte.

„Was ist los?“, fragte der Jüngere halb belustigt. „Soll ich dich etwa auch ins Bett tragen, so wie Alice?“

„Vergleich mich bitte nicht mit dem blöden Hasen. Ich denke, ich kann allein gehen.“
 

Was für eine schlechte Lüge.

Das Kaminfeuer knackte bedrohlich auf und Gilbert wünschte sich, die Flammen würden endlich erlöschen und diese brennende Hitze von seinem Körper nehmen. Es gab so unglaublich viel, das er Oz sagen wollte, doch solange sein Kopf in diesem dichten Nebel gefangen war, fielen alle Sätze, die er versuchte mühsam aufzubauen, immer wieder wie ein Kartenhaus in sich zusammen. Wie sollte er Oz auf diese Weise erklären, was er vorhin gemeint hatte, er als sie davon sprachen, dass er besser auf sich aufpassen müsse? Wie konnte er ihm klarmachen, dass es in Ordnung war, sich hin und wieder anzulehnen?
 

Seufzend vergrub er das Gesicht in den Handflächen. Wenn wenigstens dieser verdammte Schwindel nachlassen würde! Er würde das Gespräch auf morgen verschieben müssen, wenn er wieder nüchtern und Herr seiner Sinne war…

Eine vertraute Hand fuhr ihm sanft durchs Haar und Gilbert blickte verwundert auf, in das plötzlich viel ernstere Gesicht seines besten Freundes.

„Allein gehen, ja?“, murmelte Oz und Besorgnis schwang in seiner Stimme mit. „Obwohl es dir so offensichtlich schlecht geht?“
 

Im Gegensatz zu vorher brauchte es nur den Bruchteil einer Sekunde, bis Gilbert Begriff, worum es ging. Und er wusste sofort, dass es falsch war.

„Du solltest dir um mich keine Gedanken machen!“, rief er aufgebracht und versuchte gleichzeitig so viel Würde zu bewahren, wie seine Situation es zuließ. „Du bist mein Meister und als dein Diener ist es meine Pflicht, sich um dich zu kümmern.“
 

Zu Gilberts Überraschung lachte Oz bei diesen Worten auf.

„So geht das aber nicht, Gil“, sagte er amüsiert. „Du bist ein sehr wichtiger Mensch für mich und ‚für einander da zu sein‘ bedeutet auch, dass beide Seiten sich anstrengen müssen. Ich kann nicht mein Leben lang von anderen nehmen, aber ihnen nichts zurückgeben. Deshalb, bitte, lass es zu, dass ich dir helfe! Auch wenn ich zu schwach bin, um dich zu tragen, kannst du dich zumindest an mir anlehnen!“
 

Fast vergnügt sprang Oz vom Sofa auf und streckte Gilbert seine Hand entgegen. Für ein paar Sekunden schien die Zeit still zu stehen, bevor Gilbert schließlich zögernd nach ihr griff und sich von Oz langsam auf die Beine ziehen ließ. Konnte es etwas geben, das genug Gewicht hatte, um es diesen Worten entgegenzusetzen? Sicher nicht.

Und so war das einzige, was Gilbert sagen konnte ein leises, schlichtes und ehrliches „Danke“. Vielleicht, überlegte er, hatte sein Freund besser verstanden, worum es gegangen war, als er selbst. Dann könnte er auch die Bedenken, vor Oz von den letzten zehn Jahren zu sprechen, mit ruhigem Gewissen über Bord werfen. Ja, womöglich hatte Break sogar am Ende doch Recht gehabt.
 

„Du wirst dich nicht mehr ganz so viel sorgen müssen, oder?“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Fuyumi-Chan
2012-09-13T14:59:23+00:00 13.09.2012 16:59
Das ist eine schoene ff :)
Das Kapi und deine Schreiwbwiese gefaellt mir richtig gut!
Ich liebe GilxOz :3
*keks dalass und wegwusel*


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