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Narbengeflechte

von

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Budapest

Budapest.

Es könnte jede Stadt sein, aber es ist diese. Budapest, das ist sie, das ist ihr roter Lippenstift, der sich blassrosa mit schwachen, klammen Fingern an einem unsauberen Glas festhält und von klarer Flüssigkeit abgetragen wird, die in seiner Kehle brennt. Budapest ist ein roter Mund und schwindelerregend hohe Absätze, die den Dreck der Straßen, die sie begehen, in glitzernden Staub verwandeln. Es ist eine Stadt, die von altem und neuem Glanz lebt und nachts voller grauer Katzen und blauer Blumen ist und in der sie beide einem Phantom hinterher jagen.

Oder jagt nur er?

Budapest, das ist der flüchtige Geist einer Frau, den er zu halten versucht, an sich zu ziehen versucht, wenn sie am Fluss entlang gehen und über Brücken laufen, wenn ihr roter Lippenstift blassrosa an rauchigen Gläsern klebt und ihr Lächeln scharf wie ein Diamant ist. Sie wechseln wenige Worte miteinander, aber das ist auch gar nicht notwendig; sie kennen die Vorgehensweise des anderen und manchmal, wenn der Morgen klar und matt über Budapest ergraut und Clint auf der Terrasse ihres Hotelzimmers steht, die nackten Füße auf dem groben Steinboden, und hinausstarrt auf diese zutiefst europäische Stadt, denkt er, dass er sich selbst ein bisschen verloren hat bei dem Versuch, sie ein bisschen mehr zu finden.
 

++***++
 

Er singt Gloomy Sunday für sie und tanzt mit einer Straßenlaterne, nur um sie lächeln zu sehen, weil er weiß, dass sie traurige Lieder mag, lieber als fröhliche, sie war schon immer ein Unikat. Sie lächelt, ein kaum sichtbares Lächeln, das auf ihren Lippen tanzt wie Clints Herz in seiner Kehle und er schluckt, und er schluckt, bis sein Herz wieder an seinem rechten Platz sitzt und er wieder atmen kann.
 

++***++
 

Budapest, das ist Rauch und pfeifende Kugeln, die in Körper einschlagen und sie mit einem Krachen zu Boden schicken, das ihm schon gar nicht mehr auffällt. Es ist vertraut geworden, wie eine Jacke, oft getragen und lieb gewonnen, auch wenn sie ein scheußliches, fleckiges Ding ist - aber hat er reine Dinge denn überhaupt noch verdient? Budapest, das ist schwirrendes Verwischen der Linien von Gut und Böse und Schweiß und Blut und roter, splitternder Nagellack, gebrochene Absätze von schwindelerregender Höhe.

Sie läuft in Strumpfhosen nach Hause und kümmert sich nicht um die Glassplitter von zerborstenen, grünen Flaschen auf der Straße, aber sie war auch immer schon besser als er darin, auf Scherben zu tanzen.
 

++***++
 

Budapest.

Budapest, das ist die lange Linie ihres Rückens in sanftem, sentimentalem Morgenlicht über einer Stadt voller alter Würde, das ist verblichene rote Farbe auf ihren Lippen und eine zarte, schmale Hand mit Nägeln voll von zersplitterndem Nagellack in der seinen. Budapest ist ihr gemeinsames Atmen im Halbdunkel zugezogener, halb offener Jalousien und der Abdruck ihres Kopfes auf seinem Kissen, das ist durchlöcherte Seide und geraffte Röcke und abgebrochene Absätze von Schuhen, die weggeworfen wurden. Budapest ist groß und weit und schön und Clint fragt sich, ob er jemals loskommen wird von Natashas süßem Gift und dem verlorenen Ausdruck in ihrem Gesicht, wenn sie schläft, ob sie jemals herausfinden werden, wie das geht mit dem Glücklichsein und ob er nicht einfach gehen soll, still, heimlich, wie sie es damals getan hat.

Er steht auf und zieht sich an im kalten Licht von Budapest.

Als er die Hand auf die Türklinke legt, schlägt sie die Augen auf und er dreht sich um, nur um zu sehen, wie sie seine Decke um ihren Körper rafft. Für einen Moment sehen sie sich an; ihre Nasenflügel beben leicht und er schluckt, und er schluckt, bis der Druck in seinen Ohren verschwindet und er wieder atmen kann.

Er wartet auf irgendein Zeichen von ihr. Schwarze Witwen sind nicht dafür bekannt, großzügig zu ihren Liebhabern zu sein.
 

++***++
 



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Kommentare zu diesem Kapitel (8)

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Von:  Varelka
2016-02-01T10:57:43+00:00 01.02.2016 11:57
Hallo!

Zum Schluß ist die Geschichte schön in Fahrt gekommen, am Anfang fand ich sie nach der cleveren Lesereinbindung "Oder jagt nur er?" in dem Einzelabsatz da stockend, dank der "versucht"-Wortwiederholung. Was durchsticht, sind die ganzen Vernetzungen der verschiedenen Sinneseindrücke bzw. Geschehnisse: Einerseits Natasha als Frau, andererseits die Umgebung aus Kugelhagel und Lebensgefahr. Das sind Welten, die könnten kaum unterschiedlicher sein, aber sie funktionieren und lassen Platz für Sehnsüchte, Erinnerungen und die Frage "was wäre wenn?". Mir fiel auch auf, das bis zum letzten Absatz her, die meisten Beschreibungen sehr warme Bilder erzeugen, die Clint in seinen Gedanken über sie oder seine Umgebung in ihrer Nähe revue passieren lässt. Dadurch wirkt das "kalte Licht von Budapest" wie ein Schauder. Gefiel mir sehr.
Du spielst mit Bildern, das merkt man auch an Formulierungen, dass die Decke gerafft wird - und dann bekommt man eine Mimik geschildert, die nur aus dem Nasenflügelbeben besteht. Toll, so eine Stimmung hinzubekommen, ohne auf wörtliche Rede angewiesen zu sein.
Tippfehler waren eher auf Kommas bezogen, weil du vor Vergleichen (z.B.: "wie eine Jacke") keine brauchst, und auch im Beschreibungstext ist bei "das auch kurzen " (eigentlich: das aus kurzen) ein Schnitzer drin. Ist aber alles nicht der Rede wert, weil du mit Adjektiven und passenden Umbrüchen alles in einen angenehmen Fluss bringst. Da reißt einen nichts raus.

Muss wohl nicht erwähnen, dass Natashas Schwarze-Witwen-Rolle mir hier sehr, sehr, sehr zusagte: Endlich wird sie dem Titel gerecht. Das bringt mein Herz zum Klopfen. ^^

Von:  Kerstin-san
2015-11-09T16:16:40+00:00 09.11.2015 17:16
Hallo,

also dein Schreibstil hat mich gleich gepackt. Es liest sich ganz leicht und wirkt dennoch unglaublich intensiv, was mir sehr gut gefallen hat. Das "Budapest" der rote Faden ist, den du immer wieder aufgreifst, fand ich auch gut. Ich hab mich ja selbst beim schauen von The Avengers gefragt, was genau denn da jetzt in Budapest passiert sein könnte. Deine Version sagt mir sehr zu.

Wie du die Beziehung der beiden darstellst, fand ich atemberaubend. Natascha, die frei und unabhängig durch Clints Leben wirbelt, während er versucht, sie festzuhalten und genau weiß, wie schwierig das ist, weil sie so distanziert und unabhängig ist und trotz all dem ist er Natascha schon ins Netz gegangen.
Außerdem spürt man auch ihre Verbundenheit, das blinde Vertrauen, das durch die jahrelange gemeinsame Arbeit zwischen ihnen entstanden ist.

Der letzte Absatz ist dann von so einer gewissen Wehmut und Unsicherheit durchzogen. Deine Beschreibungen, wie du Natascha wirklich mit einer Spinne vergleichst, gehen einfach unter die Haut.

Dieses Schmuckstück wandert gleich mal auf meine Favoliste.

Liebe Grüße
Kerstin

PS: Ich schließe FF-Kommentare unheimlich gerne mit meinem Lieblingssatz der Geschichte ab. Eigentlich müsste ich bei dir hier den gesamten dritten Absatz zitieren, weil ich den so gelungen finde, aber ich beschränke mich mal auf den Part hier: "aber hat er reine Dinge denn überhaupt noch verdient?" Mir gefallen solche nachdenklichen Passagen einfach unglaublich gut, weil die automatisch eine gewisse Tiefe und Nachdenklichkeit in Geschichten reinbringen :)
Von:  Zaje
2015-11-01T18:24:45+00:00 01.11.2015 19:24
Hey :)

Ich muss dir sagen, ich hab seit dem dritten Satz eine Gänsehaut. Wirklich sehr schön zu lesen und sehr poetisch. Ich fand es gut, dass du Budapest immer wieder erwähnt hast. Man merkt, dass dieser Ort die beiden verbindet. Du beschreibst alles sehr bildhaft und das finde ich sehr schön. Es geht einfach unter die Haut und ich glaube, dass auch wenn man die beiden nicht kennen würde, würde man trotzdem verstehen, dass da etwas ganz besonderes zwischen den beiden ist.
Ich mag die beiden zusammen wirklich sehr gerne und ich weiß gar nicht was ich sagen soll, aber dieser One-Shot ist einfach perfekt *-* Und auch der Schluss, dass du ihren Namen aufgreifst fand ich sehr toll.

Großes Lob auf jeden Fall und Liebe Grüße,
Zajé
Von: Swanlady
2015-08-29T16:54:55+00:00 29.08.2015 18:54
Wie gut, dass ich diese Geschichte gefunden habe, mir war heute nach Clintasha.
Dein poetischer Stil hat das Lesen zum wahren Genuss gemacht, ich könnte hier ganz viele Sätze zitieren, die unter die Haut gehen. Du hast eindeutig mit den richtigen Wörtern und Beschreibungen gespielt: die Scherben, die Farben und die Stadt, die hier fast schon ein dritter Protagonist ist.
In einem kurzen Text hast du es geschafft, die komplizierte Beziehung der beiden sehr authentisch und bittersüß darzustellen.

Hat mir richtig gut gefallen. Großes Lob!
Von:  Souffrances
2015-05-27T20:35:22+00:00 27.05.2015 22:35
Als Leser fliegt und tanz man selber beim lesen über diese Worte <3 Es ist so schön geschrieben, einfach in einer romantischen Leichtigkeit, so poethis und berührend das es verzaubert. Gab ein sehr schönes Kopfkino ! Einfach ein genial geschriebenes Stück <3
Von:  kritzelblock-xx
2015-05-11T21:58:37+00:00 11.05.2015 23:58
Wow, richtig schön geschrieben. Jeder einzelne Satz hinterlässt Faszination *-*
Von:  LisaTachibana
2015-05-04T16:53:53+00:00 04.05.2015 18:53
Wuhhii, wirklich schön poetisch geschrieben. Und auch wie du Budapest immer und immer wiederholt hast, als Erinnerung - gefiel mir sehr. Der letzte Satz hat es mir besonders gefallen, die Anspielung auf ihren Namen.
Von:  Chibitalia
2012-10-06T18:31:17+00:00 06.10.2012 20:31
Auch wenn ich mich persönlich kurz etwas reinlesen musste, finde ich die Art wie du schreibst schön und irgendwie poetisch und bildhaft :))
"[...]aber sie war auch immer schon besser als er darin, auf Scherben zu tanzen." - den Satz find ich persönlich total schön x3
Und vor allem hat es mir das Ende angetan: Die Anspielung auf ihren Namen.
LG
Chibitalia


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