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Hell called Home

von

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Hoffnung bedeutet Freude und Schmerz

Aryn und ich lagen gemeinsam in ihrem Doppelbett, so wie an früheren Wintertagen, wenn draußen der Schnee lag und ein schneidender Wind tobte, in ihrem Zimmer jedoch ein warmes Kaminfeuer und sich Metal-Bands abwechselnd die Seele aus dem Leib sangen. Doch es war nicht so wie früher. Nichts war mehr so wie früher.

Meine beste Freundin schlief bereits, ihre Züge waren friedlich und entspannt, ihr Atem gleichmäßig. Es war wohl eines der größten Klischees, dass schlafende Menschen ungeheuer friedlich und süß aussahen, aber es stimmte. Zumindest wohl bei der Mehrheit der Menschen. Ich war mir hingegen sicher, dass mein Schlaf wenig mit Frieden und Entspannung zu tun hatte, eher mit Horror und Schmerzen. Die Alpträume, die mich fast jede Nacht heimsuchten, raubten mir auch das letzte Bisschen Ruhe, das unberührt von Blut und Tod geblieben war.

Ich wandte mich von der schlafenden Aryn ab und starrte stattdessen hinaus in das Schneegestöber. Eigentlich war es eher Schneeregen, allerdings hatte meine beste Freundin heute einen Funken ihres Selbst wiederentdeckt und dafür war ich sogar bereit, an den Weihnachtsmann zu glauben, wenn es ihr half. Denn die neue, abweisende und kalte Aryn jagte mir regelrecht Angst ein. Schuld, Angst und Gleichgültigkeit kämpften fast tagtäglich in mir und auch wenn der Sommer wiederkehrte, dennoch warf ich jahrelange Lehren nicht einfach über Bord. Es war noch immer schwierig, immerhin konnte ich es mir wenigstens eingestehen.

Mit einem Seufzen drehte ich mich um und kuschelte mich tiefer in die warmen Decken, schloss die Augen und lehnte meinen Kopf an Aryns Schulter. Der Schlaf wollte nicht so recht kommen, erlauerte am Rande meines Bewusstseins, doch mehr als ein wenig vor mich hindämmern, dazu war ich nicht in der Lage. Aber das hielt die Alpträume nicht fern. Bilder meiner Schwester zuckten durch meinen Kopf, die hasserfüllten Mienen meiner Eltern zogen vor meinem inneren Augen vorbei und immer wieder der Augenblick, wo ich Aryn auch noch verlor.

Unruhig schreckte ich hoch und stieß dabei fast mit Aryn zusammen, die sich über mich gebeugt hatte, meinen Kopf in ihrem Schoss ruhend. Nur knapp entging sie einem Zusammenstoß, indem sie noch rechtzeitig zurückzuckte.

Ich beruhigte mich ein wenig, angesichts Aryns ruhigem Gesichtsausdruck, der mir in den letzten Tagen fremd geworden war - und mir gefehlt hatte. Ich seufzte und ließ mich wieder zurückfallen, während meine beste Freundin mich weiterhin beobachtete.

"Hast du heute noch was vor?", fragte sie mich mit leiser Stimme und legte sich anschließend ebenfalls zu mir, um sich an mich zu kuscheln und draußen den Schneefall zu beobachten. Unberührtes Weiß, unschuldig und wunderschön, dennoch kalt und tödlich.

Ich musste an Alexander denken, wie er gestern an seinem Fenster stand und mir mit seinen Augen folgte, während ich die Auffahrt der Villa hinabging. Seine unglaublich eisblauen Augen, die dem Schnee draußen nicht unähnlich waren. Wunderschön und faszinierend, dennoch unweigerlich gefährlich, denn sie sahen mich so wie ich war und wie ich gewesen war.

"Und, von wem träumt unsere Eiskönigin gerade?", witzelte Aryn und riss mich damit aus meinen Gedanken. Ich sah sie kurz an, ehe ich den Blick wieder abwandte und die Augen schloss. Ja, warum dachte ich an ihn? Wieso an ihn? Wieso faszinierte er mich so, kam mir so nahe wie selbst Aryn es nur selten tat? Ich fand dafür keine Erklärung, zumindest keine, die mir gefallen hätte.

Aryn brauchte keine Worte, um mich zu verstehen. Eine Fähigkeit, die ich bewunderte und verfluchte. Ich erinnerte mich noch zu genau an ihre Worte im Klassenzimmer, bei ihr Zuhause, in der Lagerhalle. Worte, die mir Angst gemacht hatten, Worte, die ich nicht hören wollte, weil sie mich zwangen, etwas zu sehen, wovor ich jahrelang die Augen geschlossen hatte. Gefühle.

Gefühle bedeuten Freude und Schmerz.

Ich zuckte mit den Schultern und sagte nichts weiter, meine beste Freundin verstand mich ohnehin. Sie seufzte mit einem kleinen Lächeln und stand schließlich endgültig auf. Während sie sich umzog warf sie mir einen Blick über die Schulter zu und meinte: "Nun komm schon, auf mit dir."

Zwei Sekunden später landeten auch schon meine Klamotten, die mittlerweile getrocknet waren, auf meinem Gesicht. Unberührt erhob ich mich nun ebenfalls und zog mich um, während Aryn schon in ihrem Bücherregal rumkramte und mir das ein oder andere Kochbuch in die Hände warf. "Hundert göttliche Rezepte für die perfekten Kekse" und "Das Keksparadies" oder ähnliche Titel stapelten sich schon bald darauf auf der marmornen Anrichte in Aryns Küche. Während Aryn sich die Haare zu einem lockeren Zopf band, sagte sie: "Und du rufst Alec an."

Ich starrte sie an und hätte beinahe die Zutaten fallen gelassen, mit denen ich durch die Küche balancierte, sorgsam darauf bedacht, eine Kollision mit dem Küchenboden zu vermeiden. Doch bei diesen Worten sah ich auf - direkt in das belustigte Gesicht meiner Freundin, die lachend erwiderte: "Nun sieh mich nicht so an. Ich bin Köchin und du Atheist; wir werden wohl kaum das göttlichste Rezept für die perfekten Kekse herausfinden können."

Da war es wieder, das Lächeln, das ich an Aryn so liebte, und das spöttische Zwinkern.

Es lenkte mich eine Sekunde von dem Anruf ab, was Aryn sofort ausnutzte, um die Nummer in ihr Handy einzugeben und es mir auch sogleich ans Ohr drückte. Wehren konnte ich mich nicht, mit den Zutaten in beiden Händen, somit musste ein wenig begeisterter Blick reichen, den meine Freundin jedoch mit einem Schulterzucken quittierte, währenddessen sie die nötigen Schüsseln ans Tageslicht brachte und mir eine Schürze bereit legte. Ich beobachtete sie dabei und fragte mich, wieso in aller Welt sie Alecs Nummer hatte, doch als dieser am anderen Ende der Leitung abhob, blieb mir keine Zeit mehr.

Zu wenig Zeit.

"Aryn? Ist irgendwas mit Jinx?", ertönte seine Stimme an meinem Ohr und ich stellte fest, dass sie leicht besorgt klang. Wenigstens hatte ich meine unter Kontrolle, als ich knapp auf seine Frage erwiderte: "Mir geht's gut."

"Beruhigend. Rufst du wegen dem Referat an?"

Ich unterdrückte ein Schnauben. Erst ganz besorgt um mich und dann so kühl und ausdruckslos, dass wir hätten die Plätze tauschen können. Alecs Meinung von mir musste ja überwältigend sein. Aber noch im gleichen Moment wurde mir klar, dass seine Reaktion nicht ganz unberechtigt war. Ich hatte ihn nicht gerade wie einen Freund behandelt, im Gegenteil. Die Jinx, die er kannte, hätte ihn nur aus diesem Grund angerufen, wenn überhaupt.

Vergangenheit?

Wer war ich?

"N-Nein...", weiter kam ich nicht, da Aryn mir ihr Handy mit einem theatralischen Seufzen entriss und es sich selbst ans Ohr klemmte, während sie mir bedeutete, die Zutaten endlich abzustellen. Etwas erleichtert kam ich ihrer Bitte nach und hörte ihr schweigend bei dem Gespräch mit Alec zu. Meine beste Freundin suchte nebenbei das richtige Rezept in dem Buch, derweil sie Alec mit einem Lächeln erklärte: "Entschuldige, unsere Jinx ist nicht gerade ein hüpfender Flummi der Gefühle. Ich hoffe, du bist gläubig?"

"Das Land der unbegrenzt leckeren Kekse - American Cookies" las ich auf der Seite, die Aryn gesucht hatte. Ich hätte es ahnen können, unsere Lieblingskekse. Schnell hatte ich auch den benötigten Rest für die Zubereitung und wartete auf Aryns Anweisungen, die auf sich warten ließen, da diese sich mit dem Rücken gegen die Anrichte lehnte und weiterhin mit Alec sprach.

"Na hör mal, es ist bald Weihnachten und es werden noch göttliche Kekse gebraucht...Komm vorbei. Ja, ich will dass du bei diesem saukalten Wetter und Wüten der Naturgewalten deinen - ich werde nicht perfekt sagen - Arsch herbewegst. Für Jinx...bitte Alec, es ist nicht einfach für sie..."

Die letzten Worte hatte Aryn leise gemurmelt und dabei die Augen geschlossen, das Lächeln auf ihren Lippen verblasste. Ich zuckte zusammen angesichts des Themas über das sie beide sprachen. Darum hatte Aryn also seine Telefonnummer. Ich ahnte auch, warum Aryn mit ihm über mich sprach. Weil er der gewesen war, der mich aus meiner Lethargie gerissen hatte. Ein Kunststück, das Aryn niemals ganz geglückt war.

Ich hörte die Hoffnung in ihrer Stimme.

Ich spürte die Hoffnung in meinem Herzen.

Sie ließ mein Herz schmerzhaft gegen meinen Brustkorb schlagen.

"Danke. Bis gleich."

Aryn legte auf und sah mich wieder grinsend an. Ich seufzte und umarmte sie kurz, ehe ich mich an den Küchentisch setzte, um nervös auf Alec zu warten. Sie kochte Tee auf und reichte mir zwei Tassen und Teebeutel, kurz darauf schüttete sie ein, ehe sie sich ebenfalls zu mir setzte, um mir beim Warten Gesellschaft zu leisten, wobei sie allerdings wesentlich ruhiger als ich war. Ich bemerkte nicht wie ich nach der Tasse griff und mir aus Versehen Wasser über die Hand schüttete. Erst als ich die beißende Hitze auf meiner Haut spürte, zog ich die Hand schnell weg. Meine beste Freundin schüttelte gutmütig den Kopf und reichte mir ein Küchentuch.

"Geht's?"

Sie meinte nicht nur die leichte Verbrennung.

"Nein."

Ich meinte nicht nur meine Hand.

Hoffnung bedeutet Freude und Schmerz.



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