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Der Kuss des Kobolds

von

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DREI

»Hier Morgan Freeman.«

Am anderen Ende der Verbindung herrschte für einige Sekunden betretendes Schweigen. Ich starrte abwartend in die nur spärlich beleuchtete Parkanlage und wollte gerade wieder auflegen, als ich eine Antwort erhielt.

»Morgan! Gut, dass ich dich noch erwische. Hier ist Lindsay, Lindsay Lohan.«

Wirklich witzig. Nicht nur die Antwort an sich, sondern auch die Tatsache, dass es sich um einen männlichen Anrufer handelte.

Ich beschloss, das Spiel weiterhin mitzuspielen. Immerhin hatte ich es auch begonnen.

»Meine Güte, Lindsay. Mit dir habe ich ja heute gar nicht mehr gerechnet. Wie geht’s meiner Lieblingskollegin?«

Spätestens jetzt rechnete ich damit, dass ein anhaltender Piepton mir antworten würde. Doch der Anrufer blieb ebenfalls hartnäckig.

»Ach, danke. Ich kann nicht klagen. Gerade wurde ich wieder wegen Trunkenheit am Steuer freigesprochen. Nicht einmal auf Bewährung haben die mich verurteilt, die Trottel.«

»Ich habe dir doch gesagt, du musst einfach besser aufpassen und dich nicht erwischen lassen.«

»Ja, ich weiß. Aber ich konnte nichts machen. Die Paparazzi haben mich verpetzt.« Ich unterdrückte ein Kichern. Das fing langsam an echt Spaß zu machen. Mein Gesprächspartner hatte eine wirklich angenehme Stimme. Ich hörte ihm gern zu. »Aber eigentlich wollte ich nur wissen, warum du mich heute angerufen hast.«

Moment. Das passte schon wieder nicht mit meiner Erinnerung überein.

»Ich habe dich nicht angerufen«, sagte ich daher und beobachtete die weißen Wolken, die bei jedem Wort aus meinem Mund aufstiegen. Allmählich wurde mir echt kalt.

»Doch hast du. Deine Nummer war auf meinem Anrufbeantworter.«

»Wer ist da?« Das Ganze fing an, echt unheimlich zu werden.

»Müsstest du das nicht wissen, wenn du mich angerufen hast? Die Frage ist vielmehr: Wer bist du?«

»Auch auf die Gefahr hin, dass ich mich wiederhole, Miss Lohan.« Die letzten beiden Wörter betonte ich ganz besonders. »Ich habe dich nicht angerufen. Ich bin...« Plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augenbrauen und ich lächelte aufgrund dieser Erkenntnis in mich hinein. »Peter...«

»Ist das dein Name?« Er klang belustigt.

»Nein, Peter hat dich angerufen.«

»Du kennst Peter Parker?«

Ich zuckte mit den Schultern. Wenn das sein Name war, dann ja.

»Nicht wirklich. Er hat heute nur kurz mein Telefon benutzt.«

Wieso erzählte ich das überhaupt? Ich sollte auflegen und schleunigst nach Hause gehen. Der Park war nicht immer ein sicherer Ort.

»Okay, das erklärt den Anruf«, sagte mein Gesprächspartner und ich setzte mich in Bewegung. Völlig orientierungslos nahm ich den ersten Pfad, der meinen Weg kreuzte und versuchte so wieder aus dem Park zu gelangen und eine Bushaltestelle zu finden. »Aber wieso sollte Peter mich zu Hause anrufen, wenn er doch zu besagter Urzeit gerade dabei war mich im Krankenhaus zu besuchen?«

Der Tag wurde immer verrückter. Vielleicht hatte er sich ja verwählt? Oder er litt an einer nur kurzzeitig auftretenden Art der Amnesie? Vielleicht wollte er auch einfach nur meine Handynummer unter die Menschheit bringen. Moment... da dämmerte mir was.

»Mr. Osborn!«

»Ja...«, sagte dieser zögerlich und deutlich ratlos, woher ich das wusste. »Aber nenn' mich ruhig Harry.« Ich hielt überrascht auf dem Kiesweg an. Harry! HA! In Verbindung mit Alkohol waren die Tabletten für die Gehirnerschütterung echt der Renner. »Und wie lautet Ihr eigentlicher Name, Mr. Freeman?«

Ich sah einen Schatten auf mich zukommen und setzte mich wieder in Bewegung. Ich hatte keine Angst. Ich war ausgebildete Karatekämpferin. Jedenfalls redete ich mir das ständig ein, wenn ich zum tausendsten Mal Karate Kid anschaute. Ich beherrschte sogar den Kranich. Mr. Miyagi wäre sehr stolz auf mich.

»Mein Name ist Carlisle«, sagte ich schließlich auf Geheimagentenart und beobachtete den näher rückenden Schatten. »Aber nenn' mich ruhig Tess.«

Harry lachte leise und ich hörte Papier rascheln. Er machte sich doch nicht etwa Notizen?

»Du solltest zu dieser Urzeit nicht hier sein, Liebchen.«

Ich erschrak, als der Schatten, der sich hiermit als Obdachloser herausstellte, das Wort an mich richtete.

»Schon okay, ich wollte gerade gehen«, informierte ich den armen Mann und kramte in meiner Hosentasche nach Kleingeld, welches ich ihm in die klammen Hände drückte.

»Gott segne dich, mein Kind.«

Ich nickte und sah zu, dass ich das Weite suchte.

»Wer war das?«, fragte Harry, der das Gespräch mitbekommen hatte.

»Ein Obdachloser«, sagte ich schlicht.

»Wo bist du?« Da war ja jemand überhaupt nicht neugierig.

»Im Central Park.«

»Allein?«

»Nein, meine fünf Personenschützer sind bei mir. Natürlich allein.«

Harry schnalzte hörbar mit der Zunge und ich wechselte das Telefon an mein anderes Ohr.

»Das solltest du wirklich nicht sein.«

»Ich gehe ja jetzt nach Hause«, sagte ich. Seltsam, dass sich heute so viele fremde Menschen Sorgen um mein Wohlergehen machten.

»Hast du was dagegen, wenn ich so lange dran bleibe bis du zu Hause bist?«

Das war irgendwie schrecklich niedlich. Ich schüttelte den Kopf, bis mir einfiel, dass er mich nicht sehen konnte.

»Nein, bleib ruhig in der Leitung.« Vielleicht sollte ich versuchen, ihn ein wenig auszufragen. »Also, Harry, du warst im Krankenhaus. Was hattest du denn? Mary Jane meinte, es gab einen kleinen Unfall.«

»So kann man es natürlich auch ausdrücken. Aber alles halb so wild. Ich habe mich heute selbst entlassen.«

Zufälle gab's. Das er über seinen »Unfall« nicht wirklich etwas verraten hatte, fiel mir gar nicht auf.

»Ich mich heute auch.«

»Du warst im Krankenhaus? Weshalb?«

»Hast du heute schon Zeitung gelesen?«, fragte ich und während Harry bejahte, hatte ich endlich einen Parkausgang gefunden und wandte mich nach rechts. »Das auf der Titelseite bin ich. Mein zerzaustes, total neben sich stehenden Ich.« Ich weiß nicht mit was ich gerechnet hatte. Mit einem ungläubigen Aufschrei? Entsetztem Lufteinziehen? Beides blieb aus. Alles blieb aus. Stille grüßte meine Worte. »Bist du noch dran?«

»Du warst das...«, war seine undurchsichtige Antwort darauf. »Wie geht’s dir?«

Ich runzelte die Stirn. Aber nur kurz, denn ich hatte eine Bushaltestelle gefunden.

»Gut, danke. Und dir?«

»Ich habe von dir geträumt.«

Fast hätte ich laut aufgelacht. Was sollte ich darauf sagen? Ich habe auch von einem Harry geträumt. Willst du mich heiraten?

Aber das Offensichtliche wollte ich in diesem Moment einfach noch nicht sehen.
 

~
 

Ich lachte laut auf, als Harry mit seiner Anekdote am Ende war. Die Frau auf dem Sitzplatz neben mir sah mich entsetzt an, als der Bus durch Manhattan holperte. Und dabei hatte ich mir extra noch die Hand vor den Mund gehalten.

»Ernsthaft«, meinte Harry weiterführend. »Wie hätten wir diesen Gänsen denn die Weihnachtsmannmützen aufsetzen sollen?«

Ich lachte immer noch, inzwischen leiser.

»Ich weiß nicht«, brachte ich gerade noch so hervor und hatte immer ein Auge auf die Haltestellenanzeige.

»Ich höre dich gerne lachen«, gestand er und selbiges verblasste augenblicklich auf meinem Gesicht. Ebenfalls hatte ich den Anstand leicht rot zu werden. Ich biss mir auf die Unterlippe und kaute nervös daran herum. »Was machst du eigentlich beruflich?«, fragte er weiter und ich war froh über diese Ablenkung.

Lässig lehnte ich mich zurück und war beinahe traurig, dass er die coole Geste nicht sehen konnte.

»Ich töte Zombies«, verkündete ich ganz selbstverständlich und erntete einen weiteren verstörten Blick meiner Sitznachbarin, die schon ganz nervös auf ihrem Platz herum rutschte. Ein Wunder, dass sie sich nicht wegsetzte.

»Es gibt doch gar keine Zombies«, meinte Harry aufgrund meiner offensichtlichen Lüge.

»Hast du schon einmal welche gesehen?«

»Nein...«

Ich machte eine passende Armbewegung und sagte:

»Gern geschehen.«

Eine Sekunde war es still, dann lachte diesmal Harry laut los. Nur um kurz darauf zu keuchen und leiser weiter zu lachen.

»Alles klar?«, wollte ich wissen und ließ die Frau, die am Fenster saß, aufstehen, da sie ihre Haltestelle erreicht hatte und erleichtert ausstieg.

»Ja, meine Rippe macht nur noch ein bisschen Probleme. Aber ernsthaft, als was arbeitest du?«

Ich bin Superheld. Fallschirmspringer bei den Navy Seals. Bundesagent. Mir fielen auf Anhieb noch zahlreiche weitere coole Antworten ein, aber diesmal versuchte ich es mit der Wahrheit.

»Ich bin Studentin.« Kurz und knapp. »Und du darfst sogar raten, was ich studiere.«

»Hm«, ein Klacken drang an mein Ohr, fast so, als würde ein Kugelschreiber immer wieder auf eine Tischplatte treffen. »Literatur?«

Ich verzog das Gesicht. Stellte er sich mich vielleicht als Ökotante mit Hornbrille und Dauerwelle vor?

»Nein.«

»Kunstgeschichte?«

Ich machte ein Geräusch, wie, wenn die Leute in einer Fernsehsendung sich für das falsche Tor entschieden hatten. »Aber es wird wärmer. Du hast noch einen Versuch.«

Er machte ein überlegendes Geräusch.

»Oh, ich weiß. Das muss einfach richtig sein. Pferdezucht!«

»Wie bitte?« Ich erhob mich, weil es Zeit war den Bus zu verlassen.

»Seit ein paar Jahren ein anerkannter Studiengang. Genauso wie Blockflöte, alternde Gesellschaften und zerstörungsfreie Prüfung.«

»Und das weißt du, weil?«

Ich trat auf den nassen Bürgersteig und rieb mir die Arme, während hinter mir der Bus wieder in Bewegung kam und davon fuhr. Es wurde immer kälter.

»Habe ich einmal im Radio gehört. Du studierst doch nicht Blockflöte, oder?«

»Nein«, sagte ich und fischte meinen Wohnungsschlüssel hervor. Ich hatte eine Schwäche für Schlüsselanhänger und musste ein Weilchen suchen, bis ich den einsamen Schlüssel unter ihnen fand. Bald würde ich daheim sein.

»Ich studiere Archäologie im fünften Semester.«

»Du buddelst Mumien aus?«

»Ja, genau. Bewaffnet mit Filzhut und Peitsche.«

»Lass mich eben einen bekannten Schatzjäger zitieren.« Harry räusperte sich kurz. »Archäologie ist die Suche nach Fakten. Nicht nach der Wahrheit. Wir folgen keinen alten Karten...«

»'Entdecken keine vermissten Schätze'«, griff ich das Zitat auf und beendete es, »'Und noch nie hat ein X irgendwann irgendwo einen bedeutenden Punkt markiert.' Den Film habe ich auch schon ein Dutzend mal gesehen.«

»Sehr schön. Wir hätten bestimmt unseren Spaß, wenn wir den Film zusammen sehen würden.«

»War das eine Einladung?« Er lachte leise und ich rammte meinen Wohnungsschlüssel in das Türschloss meiner Haustür. »Ich bin jetzt übrigens zu Hause. Ich schließe gerade die Tür auf.«

Ich trat ein, als Harry fragte, ob ich auch brav wieder hinter mir zuschließen würde.

»Hast du schon das Licht an? Gibt es vielleicht Einbruchsspuren?«

»Ja, hab ich und nein, sieht alles aus wie immer.«

Mein Gesprächspartner der letzten Stunden atmete übertrieben erleichtert aus.

»Gut, dann scheinst du jetzt sicher zu sein.« Ich ließ meine Tasche neben das Sofa fallen und schlurfte zum Bett. »Und ich kann beruhigt schlafen.«

Ich lächelte. Stumm. Nur für mich, und ließ mich auf mein Bett fallen. In der Leitung wurde es still. Nur ein leises statisches Rauschen war noch zu hören.

»Harry?«

»Ja?«

»Wirst du wieder anrufen?«

Ich starrte an meine Zimmerdecke, als ich auf seine Antwort wartete.

»Wenn ich darf.«

»Du darfst.« Wieso grinste ich jetzt so blöde?

»Dann schlafen Sie gut, Mr. Freeman. Ich werde Sie zu einer weiteren Terminabsprache kontaktieren.

»Ja.« Mehr war ich nicht imstande zu sagen.

»Gute Nacht.«

»Nacht«, sagte auch ich und klappte langsam mein Handy zu. Es glühte förmlich und der Akku war stark in Mitleidenschaft geraten. So lange hatte es noch nie an einem Stück telefonieren müssen.
 

~
 

Ich starrte an die dunkle Decke. Schon wieder. Ich schien quasi nichts anderes mehr zu machen. Ich hatte wirklich versucht zu schlafen. Draußen dämmerte es bereits wieder, doch die Neugier hielt mich wach. Schließlich gewann das Miststück die Oberhand und ich stürzte förmlich aus dem Bett und zu meinem PC. Die Zeit die er brauchte um zu Starten, verbrachte ich mit Nägelkauen.

Nach einer kleinen Ewigkeit hämmerte ich den Suchbegriff »Harry Osborn« in die Suchmaschine meines Browsers und überflog die angezeigten Ergebnisse. Den fünften Eintrag, eine Seite von Oscorp Industries, öffnete ich und las murmelnd vor mich hin.

»Oscorp Industries... große Firma, die im technischen und biologisch-chemischen Bereich in der Forschung, Entwicklung und auch Produktion marktführend ist... gegründet von Vorstandsmitglied Norman Osborn... Zusammenarbeit mit dem Militär, um menschlichen Leistungsverstärker, sowie einen Kampfgleiter zu produzieren... blabla... blabla... Oscorp sollte an den Konkurrenten Quest verkauft werden... Alle Vorstandsmitglieder wurden getötet... Nach Norman Osborns bedauerlichen Tod übernahm sein Sohn Harry Osborn die Geschäfte und arbeitete u a. zusammen mit Dr. Otto Octavius an einem Kernfusionsreaktor...«

Neben dem Artikel war ein Passfoto, welches meine Aufmerksamkeit erregte. Es zeigte Harry. Doch schien die Aufnahme nicht besonders aktuell zu sein. Denn das Foto zeigte weder seine Narben, noch das blinde Auge. Schwer ließ ich mich in meinen Computersessel zurückfallen und starrte ungläubig auf den Bildschirm. Harry Osborn hatte mich letzte Nacht gerettet. Harry Osborn war der Kobold!
 

~ Ende des 3. Kapitels ~



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