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Der Kuss des Kobolds

von

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NEUN

Meine Krallen suchten nach Halt, als ich mit den Armen wedelnd durch das Fenster eines Bürokomplexes krachte. Murrend kam ich wieder auf die Beine und schüttelte Gesteinsbrocken von mir ab. Ich hatte einen Stützpfeiler zum Einsturz gebracht. Ich brüllte, als der Flieger wieder vor dem Fenster auftauchte und Geifer flog aus meinem weit aufgerissenen Maul. Ich beugte mich nach vorn, machte einen Riesensatz und sprang ins Freie. Meine Fänge schnappten nach dem Flieger, wollten ihn packen, töten, zerreißen, doch er war zu schnell und gelangte außerhalb meiner Reichweite. Feigling.

Ich fiel, unter mir die nächtlichen Straßen Manhattans, streckte meinen Arm aus uns lange Klauen schnitten durch die Fassade des Hochhauses wie ein heißes Messer durch Butter. Mein Fall wurde abgebremst, ich krallte mich mit allen Vieren in die Hochhauswand und preschte blindlings wieder nach oben.

Ich sah den Flieger auf mich zurasen. Er verließ sein Fluggerät, hampelte kurz darauf herum und versetzte mir im Anflug einen Tritt, sodass ich erneut in das Innere des Gebäudes geschmettert wurde. Ich grunzte, denn das hatte ich nicht kommen sehen.

Glas prasselte auf mich hernieder, als sich der Flieger mir endlich stellte. Ich nahm erneut Anlauf. Er war zäher und wendiger als meine anderen Opfer, das musste man ihm lassen. Nur eine Kralle streifte seine Haut am Halsansatz, als ich mich auf ihn stürzte.

Sein Fluggerät spie plötzlich Feuer und mein Unterarm formte sich zu einem schützenden Schild, hinter dem ich mich vor der versengenden Hitze verstecken konnte. Als es vorbei war und ich den Kopf hob, flog etwas auf mich zu. Ich fing es auf und betrachtete das lächerliche runde Ding, welches just in meiner Hand explodierte.
 

~
 

Ich erschrak und riss die Augen auf.

Mein Körper fühlte sich an, als wäre ich soeben einen Marathon gelaufen. Matt und ausgelaugt. Schrecklich.

Ich lag in meiner Badewanne. Meinen verschrumpelten Händen nach zu urteilen, bereits seit Stunden. Hm, musste wohl eingeschlafen sein.

Die Uhr über mir sagte, dass es Zeit war für meine Schicht im »Penrose«, also beeilte ich mich, stieg aus der Wanne und machte mich für den Abend fertig.
 

~
 

Mein Arbeitstag näherte sich bereits dem Ende, als von dem winterlich anmutendem Bürgersteig ein Gast in die bereits gut gefüllten Räumlichkeiten trat, der mir seltsam bekannt vorkam.

Ich spülte ein paar Biergläser, schenkte einen Schnaps nach und wischte die Theke, als mein Blick sich erneut hob und ich bemerkte, dass der Gast sich an das Ende der Bar, ganz nah bei der Tür, gesetzt hatte.

Ich schnappte mir im Vorbeigehen eine Salzstange aus einem Glas auf der Theke und stiefelte zu dem Neuankömmling, der den Blick hob, als ich mich auf die Theke lümmelte, sodass er einen besseren Einblick in mein Dekolleté hatte. Wenn ich bereits eines hier gelernt hatte, dann, dass man viel mehr Trinkgeld bekam, wenn man etwas freizügiger war.

»Was darf's denn-... Officer Blake?«

So ganz ohne Mütze und Uniform hatte ich ihn gar nicht erkannt. Und er mich offenbar auch nicht, denn er sah mich fragend an und überlegte.

»Miss Carlisle«, schien der Groschen endlich gefallen zu sein. »Ich habe Sie gar nicht... die Haare... steht Ihnen gut.«

Ich griff mir kurz mit einer Hand in meine neue Kurzhaarfrisur und lächelte. Dann fiel mir das kleine Pflaster auf, welches knapp unter seinem Haaransatz aufblitzte.

»Danke. Was darf ich Ihnen den bringen?«

»Ähm, ein Bier bitte.«

Meine Augenbraue zog sich skeptisch in die Höhe.

»Sie sind doch hoffentlich außer Dienst«, meinte ich nur und entlockte dem Officer ein Lachen.

»Ja, das bin ich«, versicherte er und zog den Reißverschluss seiner Winterjacke auf.

»Na ein Glück. Etwas Anderes könnte ich auch nicht gutheißen. Bin gleich wieder da.«

Ein gezapftes Bier und ein paar Gratis-Erdnüsse später, schob ich das Bier stilecht über den Tresen, wo Blake es mit seiner Linken abfing und dankend nickte.

Mein Blick wanderte immer wieder auf die aus Messer und Gabel selbst gebastelte Uhr über dem Schnapsregal. Als der große Zeiger, also, das Messer, endlich auf der Zwölf stand, zapfte ich mir selbst ein Helles und gab Tom ein Zeichen, dass ich Feierabend machte. Seine Hand machte eine Geste und ich huschte mit meinem Bierglas hinter dem abgetrenntem Bereich hervor.

»Rutschen Sie mal«, sagte ich zu dem Officer, der mich mit großen Augen ansah und schließlich einen Barhocker weiter rutschte.

»Jetzt bin ich nämlich nicht mehr im Dienst.« Schnell nahm ich einen Schluck und hatte just einen Schaumbart, den ich schnell wegwischte. »Also, was führt Sie denn ausgerechnet hierher, Officer?«

»Oh, bitte«, begann er und hob sein Glas. »Nennen Sie mich John.«

Ich sah ihn kurz abschätzend an, als er darauf wartete, dass ich mit ihm anstieß. Also gut.

»Ich bin Tess«, ließ ich verlauten und kurz darauf klirrten unsere Gläser gegeneinander. Dann wiederholte ich meine Frage. »Was führt dich hierher?«

Bevor er antwortete, nahm er noch einen Schluck, sah dann stirnrunzelnd in sein Glas und meinte:

»Ich habe im Kinderheim um die Ecke Basketballunterricht gegeben.«

»Wirklich?«, fragte ich, einfach um irgendetwas zu sagen. Ich mochte es, wenn Leute sich ehrenamtlich engagierten, also sagte ich es. »Das finde ich stark.«

Ich setzte mich für Tierschutz ein, auch wenn der Vergleich mit den Kindern etwas hinkte.

»Tut mir leid, wenn ich so abrupt das Thema wechsele«, sagte John plötzlich, ließ sein Glas unbeachtet stehen und drehte sich zu mir. Mir schwante nichts Gutes. »Was ist wirklich mit Eddie Brock passiert?«

Scheißeeeeeeee~

Wo waren bloß wieder meine Marsianer?

In einem Akt der Verzweiflung leerte ich panisch mein Glas, während John mich abschätzend musterte.

»Also... ich... die Sache ist... äh...«, stammelte ich und signalisierte Tom, dass er mich auffrischen sollte während mir gerade Angst und Bange wurde.

Ich wusste, dass es das Beste sein würde, wenn ich mit der Wahrheit raus rücken würde. Also plapperte ich drauf los und erzählte die Ganze Geschichte. Angefangen beim Hochhaus bis hin zu Venom. Sogar der Sandmann bekam eine wirklich tragende Rolle. Und ich fühlte mich besser, nachdem ich alles einfach mal von vorn bis hinten jemandem erzählen konnte.

»Eddie ist tot«, beendete ich meine nicht gerade freudige Geschichte und starrte Löcher in die Schaumkrone meines Getränks.

»Okay«, sagte John schlicht, setzte sich wieder gerade hin und widmete sich ebenfalls seinem Bier.

Okay? Das war alles? Kein SEK würde jetzt die Kneipe stürmen und mich auf den Tresen drücken, während John mir Handschellen anlegte und mir meine Rechte verlas?

Na gut. Damit konnte ich leben.

»Was?«, fragte er, als er meinen ungläubigen Gesichtsausdruck sah. »Du hast das gerade keinem Police Officer erzählt.« Ach ja, außer Dienst. »Sondern nur einem neugierigen Freund. Also dann auf...«

Ich beobachtete, wie er sein Glas hob und zögerte.

»Auf Eddie«, schlug ich vor und spülte den Klos im Hals mit etwas alkoholischem hinunter.

»Auf Eddie«, wiederholte John und leerte sein Glas.
 

~
 

Gut, ich war betrunken. Obwohl... betrunken konnte man es auch nicht richtig nennen. Angeschwipst. Ich war angeschwipst.

John war der Meinung, der letzte Tequillla wäre zu viel gewesen, doch seit wir Bruderschaft getrunken hatten und er mein neuer bester Freund war, musste er so etwas zu meinem Trinkverhalten sagen. Er war mein Bro und mir von Anfang an sympathisch gewesen.

»Und dann haben wir die Hundestaffel hinein geschickt«, war er gerade inmitten einer Erzählung eines Polizeieinsatzes. »Die Verdächtigen eröffneten sofort das Feuer und ein Querschläger hat meinen Oberarm durchschossen. Genau hier.«

Ich hielt an, als er auf die Stelle deutete. Erstens, weil ich es besser sehen wollte und zweitens, weil wir nach unserem kleinen Spaziergang vor meiner Haustür standen.

»Wahnsinn«, sagte ich ehrlich beeindruckt und er schien leicht verlegen zu werden. »Du bist mein Held. Ehrlich. Es sollte einen Orden dafür geben. Nein, noch besser. Ich werde dir einen Anstecker basteln.« Ich vollführte mit beiden Armen eine theatralische Geste in die Winterluft. »'Held des Tages'.«

»Hör auf mich zu verarschen«, sagte er halb lachend und ich befummelte das Pflaster an seiner Stirn. »Du wolltest es wissen.«

»Ich verarsche dich nicht«, lallte ich und wunderte mich, weshalb sich plötzlich alles drehte. »Tut das noch weh?«, fragte ich weiter, ohne auf das Drehen zu achten und drückte meinen Finger auf das Heftpflaster.

»Versprich mir, dass du gleich schlafen gehst«, sagte John, ohne auf meine Frage einzugehen.

Ich salutierte mit der einen Hand und zeigte das Indianerehrenwort mit der anderen.

»Lass dich drücken«, nuschelte ich und umarmte ihn kurz. Als ich mich umdrehte, sah ich eine uns beobachtende Person unter einer Straßenlaterne stehen. »Harry!«, entfuhr es mir in den höchsten Tönen und ich stolperte auf ihn zu.

Er lachte, als ich quasi in seine Arme fiel und meine Wange gegen seine Brust drückte.

»Das ist mein Mann«, nuschelte ich und langsam fielen mir die Augen zu.

»Einen schönen Abend gehabt?«, fragte Harry amüsiert und strich mir über den Rücken.

»Spitze!«, sagte ich schnell und mein Daumen plus dazugehöriger Hand wanderte nach oben. »Oh! Harry, das ist John. John, Harry.«

Ich trat beiseite und sah zu, wie Hände geschüttelt wurden.

»Freut mich, Mr. Osborn«, hörte ich John sagen. Okay. Da hatte wohl jemand Ahnung von Ökoni... Ükono... Wirtschaft.

»Ebenso«, sagte Harry und ich schob mich unter seinen rechten Arm.

John rammte seine Hände in seien Jackentasche und schickte sich an zu gehen.

»Schönen Abend noch«, wünschte er dann und ging den Bürgersteig hinunter.

Harry nickte nur dankend und ich winkte ihm eifrig hinterher.

»'Nacht, John-Boy!«, rief ich über die Straße.

John hob noch grüßend einen Arm und war verschwunden.

»Ab ins Bett«, sagte Harry und schob mich vor sich die Eingangstreppen hinauf.

An der Wohnungstür angekommen – Harry hatte mich kurzerhand über seine Schulter geworfen und in den fünften Stock getragen – schüttete ich den gesamten Inhalt meiner Handtasche auf den Flur, um den Wohnungsschlüssel ausfindig machen zu können.

»Hab ihn«, sagte Harry und räumte geduldig meinen ganzen Kram zusammen, bevor er eigenhändig aufschloss und ich hinein trottete. Die Tür fiel hinter uns ins Schloss.

Ich ließ meine Tasche achtlos fallen, als Harry nach dem Schalter tastete und Licht den Raum erfüllte. Schnell schlüpfte ich aus meiner Jacke und ging so lasziv, wie ich es in meinem Zustand vermochte auf ihn zu. Er schien meine Absicht zu begreifen, denn er hob abwehrend die Hände.

»Tess, du solltest jetzt wirklich schlafen«, sagte er leise, als meine Hände langsam die Knöpfe seines Mantels öffneten.

Ich stellte mich auf die Zehenspitzen, um ihn zu küssen, obwohl ich selber meine Fahne riechen konnte, als ich etwas unter seinem Schal aufblitzen sah. Sofort war ich wieder nüchtern, schob seinen Schal beiseite und betrachtete die große Schramme an Harrys Hals.

»Was ist das?«, fragte ich entsetzt.

»Nur ein Kratzer«, sagte er beruhigend und nahm meine Hände in seine. Ich schüttelte den Kopf.

»Wo hast du den her?«, war die Frage, die ich eigentlich meinte.

»Keine Ahnung«, wollte er das Thema abtun und zog seinen Schal wieder enger.

»Harry!«, sagte ich flehend und meine feuchten Augen schienen ihn dazu zu bringen, die Wahrheit zu sagen.

»Ich hatte letzte Nacht einen kleinen Disput mit-... Tess!«

Ich musste kurz weggetreten sein, denn als ich wieder zu mir kam, lag ich in meinem Bett und Harry brachte mir gerade einen Tee.

»Harry...«, flüsterte ich und erinnerte mich schmerzlich an meinen Traum. Ich dachte zumindest, dass es einer gewesen war. »Ich muss dir etwas sagen.«

»Nicht jetzt«, sagte er sanft, strich mir eine Haarsträhne aus der Stirn und setzte sich neben mich auf die Bettkante.

»Doch«, verlangte ich drängend und richtete mich auf. »Ich glaube, ich habe etwas Schlimmes getan. Ich höre Stimmen und habe seltsame Träume. Was, wenn ich den Verstand verliere?« Was, wenn ich dich verletzt habe? Ich wagte nicht, es auszusprechen, sonder dachte nur an die schreckliche Kreatur zu der Eddie geworden war.

Plötzlich schien mir Dr. Mary Margret Selfridge gar keine so schlechte Option mehr zu sein.

Harry nahm mich in seine Arme. Ich war nur noch ein zitterndes Häufchen Elend.

»Hab keine Angst«, flüsterte er in mein Ohr. »Ich werde auf dich aufpassen.«

Ich fühlte mich sicher und schniefte abschließend einmal heftig.

»Kannst du heute Nacht hier bleiben?«

»Wenn du willst.«

Ich nickte so sehr, dass mein Gehirn gegen meine Schädeldecke knallte und ich Kopfschmerzen bekam. Wortlos legte Harry sich zu mir und ich kuschelte mich sofort an seine Brust.

Jetzt war ich sicher.
 

~ Ende des 9. Kapitels ~



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