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Federspiel

von

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In die Irre geführt

Straßenlärm und Stimmengewirr umgab die drei von allen Seiten. Wohin man blickte herrschte Hektik, hatte es irgendjemand eilig. Menschen, die auf den Gehwegen dahinhasteten und Pokémon, die ihnen folgten. Autos, die an ihnen vorbeirasten und deren Hupen unfreundlich dröhnten, wenn es ihren Fahrern zu langsam ging.

Foocashy City war sogar noch lebhafter und rastloser, als es ihnen ihr erster Eindruck vermittelt hatte. Hier beachtete sie niemand. Hier waren sie nur drei Jugendliche unter einer Schar von wahrscheinlich Hunderten, die jeden Tag auf ihrer Reise durch die Stadt kamen. Hier wusste niemand von der Legende der Federn.

Sie hatten nicht vor, sich unnötig lange in der Großstadt aufzuhalten. Aber Vorräte mussten aufgestockt, das Nötigste für die bevorstehende Reise zusammengesammelt werden. Arktos, Lavados und Zapdos ruhten in ihren Pokébällen, waren durch die nächtliche Rast erholt. Es würde nicht lange dauern, bis sie die drei Auserwählten wieder näher an ihr Ziel, die Insel mit der Inschrift, bringen würden.

Ash überflog die Liste, die sie sich für ihre Besorgungen gemacht hatten, und stellte wohlwollend fest, dass der Großteil davon schon abgearbeitet war.

„Ich denke, wir müssen jetzt nur noch –“ Doch er brach ab, und Misty und Gary stutzten, als er nicht weitersprach.

„Was ist?“

Irritiert sah Ash einen Moment zur Seite, schüttelte dann aber den Kopf.

„Nichts. Ich dachte, ich hätte gerade was gesehen … Hab ich mir wohl eingebildet.“ Auch die anderen beiden sahen sich nun um, skeptisch, unsicher.

„Was hast du denn gesehen?“, fragte Gary.

„Ich weiß nicht genau. Irgendetwas Kleines… Leuchtendes… Da!“ Ihre Blicke folgten seinem ausgestreckten Arm. Eine kleine Lichtkugel schwebte nur wenige Meter von ihnen entfernt auf Augenhöhe durch die Luft.

„Was zur Hölle ist das?“ Das Mädchen kniff die Augen zusammen, versuchte, irgendetwas in der Kugel zu erkennen.

„Was auch immer es ist… es ist jedenfalls nicht allein.“ Ash und Misty mussten gar nicht erst fragen, was er gemeint hatte, denn auch sie sahen nun die zweite kleine Kugel, nur wenige Zentimeter groß, bläulich und violett leuchtend. Näher diesmal.

Und dann die dritte. Und vierte.

Binnen Sekundenbruchteilen hatte sich die Anzahl der Lichter verdoppelt, vervierfacht, bis es zu viele waren, um sie zählen zu können. Immer näher drängten sie an die Federn heran.

„Verdammt noch mal, was soll das?“ Mit einer hektischen Bewegung versuchte Misty, eine der Leuchtkugeln loszuwerden, die sich auf ihre Jacke gesetzt hatte. Einige umstehende Passanten warfen ihr einen irritierten Blick zu.

„Sie sehen sie nicht… Wir drei scheinen die einzigen zu sein, die die Dinger wahrnehmen. Wir sollten vorsichtig sein, da steckt doch garantiert Ishi dahinter.“

„Jetzt fällt's mir wieder ein! An dem Abend, als ich… als Ishi mir diese Gedanken eingeflößt hatte, da bin ich erst nicht in Mistys Zimmer gekommen, weil sie die Tür abgeschlossen hatte. Aber dann war da plötzlich auch so ein Licht im Schloss und anschließend ging die Tür auf.“

Ein hämisches, hauchdünnes Kichern war zu hören. Kam es von den Lichtern?

„Also wirklich Ishi…“

„Ash, Gary, wenn das stimmt – dann müssen wir schleunigst weg von hier. Ich hab keine Ahnung, was Ishi mit diesen Leuchtdingern vorhat, aber wir können sie es nicht hier machen lassen.“

„Du hast recht. Wir würden die anderen Menschen in Gefahr bringen, und die Vögel sollten wir hier auch nicht unbedingt loslassen.“ Ash und Misty nickten.

Ohne weitere Zeit zu verschwenden, liefen die drei los. Sie kannten sich in dieser Stadt nicht aus, sie wussten nicht, wohin sie am besten gehen sollten. Aber sie hatten keine Zeit für weitere Überlegungen. Sie mussten einen Ort finden, der nicht so überfüllt war, einen Ort, an dem am besten niemand außer ihnen war.

Die Lichter vermehrten sich weiterhin. Sie umschwirrten die Federn, setzten sich auf ihre Kleidung, verfingen sich in ihren Haaren, flogen ihnen ins Gesicht. Wo sie mit Haut in Berührung kamen, hinterließen sie ein kurzes und schwaches, aber deutliches Brennen.

Erneut das hämische Kichern.

War es Einbildung, oder blitzten in dem Leuchten wirklich immer wieder spöttisch grinsende Fratzen auf?

Das Lachen wurde lauter.

Ihnen lief die Zeit davon.

Der Schmerz, den die Lichter verursachten, wurde stärker und gegen sie anzukommen, sie aus dem Sichtfeld zu vertreiben immer mühsamer. Aber noch dachte keiner von ihnen daran, einen der legendären Vögel einzusetzen oder eine der Energien, weil keiner von ihnen eine Massenpanik riskieren wollte.

Misty biss die Zähne zusammen.

Sie würden es schaffen. Sie brauchten nur irgendeinen Ort, an dem sie kämpfen konnten, und dann würde Ishi keine Chance gegen sie haben. Sie würden keine Unschuldigen in die Sache mit reinziehen. Sie mussten es schaffen.

„Da vorn!“

Sie waren in eine Seitenstraße abgebogen, dorthin, wo sie hofften, weniger Menschen vorzufinden.

Nun lag mit einem Mal das Gelände einer heruntergekommenen, anscheinend ungenutzten Fabrik vor ihnen.

„Lassen wir's drauf ankommen, besser wird's nicht mehr.“ Gary griff nach dem Pokéball mit Lavados.

Die Hetzjagd hatte ein Ende.

Nur einen Augenblick später hatte auch Ash sein Pokémon befreit. Feuerwirbel und Donnerblitze gingen auf die Leuchtkugeln nieder, ließen sie zerbersten, und Ellenki und Fii zerstörten das, was die Attacken der Vögel nicht erreicht hatten. Doch sobald eine Schar Lichter verschwunden war, tauchte sofort eine neue auf.

„Ich frage mich, was das Ganze soll. Was bezweckt Ishi damit, uns dieses nervige Licht-Zeugs auf den Hals zu hetzten? Sie wird doch nicht allen Ernstes glauben, dass sie so einen Kampf gewinnen kann.“ Er ließ einen Elektrofunkenregen auf die Kugeln niedergehen.

„Ich hab keine Ahnung. Aber so lang wir nicht wissen, was sie vorhat, müssen wir dieses dämliche Spielchen wohl erst mal mitspielen. Verdammt, Misty, willst du uns nicht vielleicht mal helfen?!“

Aber Misty antwortete nicht.

„Misty…?“

Das Mädchen stand reglos, in einiger Entfernung da. Die Hand, die eben noch nach dem blauen Pokéball hatte greifen wollen, hing nun kraftlos herab.

„Misty, verdammt, was ist los?!“ Ash machte Anstalten, auf sie zuzulaufen, doch die Lichter hielten ihn sofort zurück, drängten ihn zur Seite, ließen ihn nicht näher kommen. Wütend schleuderte er ihnen eine Elektrokugel entgegen, doch die dadurch zerstörten Lichter hatten sich so schnell regeneriert, dass er nicht einen Schritt vorwärts hatte machen können.

Er spürte Panik in sich aufkommen.

Auch Gary versuchte nun, sich seinen Weg zu dem Mädchen zu bahnen, aber es erging ihm nicht besser als Ash zuvor; die Lichter hatten einen Wall um Misty herum gebildet und ließen nichts und niemanden zu ihr durchdringen.

„Verdammt, Gary, was haben die mit ihr vor?! Was tun sie?!“

„Ich weiß es nicht, Ash, aber lass uns erst mal ruhig bleiben.“ Ruhig bleiben… Er konnte nicht ruhig bleiben, wenn Angst und Panik gerade jede Faser seines Körpers besetzt hielten, und auch Gary stand die Sorge und Unsicherheit ins Gesicht geschrieben.

Verdammt.

War das von vornherein der Plan gewesen? Hatte Ishi nie vorgehabt, gegen sie zu kämpfen, sondern es ganz allein auf Misty abgesehen?

Das hämische Kichern der Lichter dröhnte in ihren Ohren.

Misty hörte es nicht.

Eben noch hatte sie sich wie die anderen beiden auf ihre eigenartigen Widersacher stürzen wollen, hatte Arktos aus seinem Ball holen und an der Seite ihrer Freunde kämpfen wollen.

Aber dann hatte plötzlich eine seltsame Schwere von ihr Besitz ergriffen und mit einem Mal war sie nicht mehr fähig gewesen, einen Angriff auf die Lichter loszulassen. Stattdessen stand sie nun inmitten eines Schwarms dieser Dinger, starrte sie mit leerem Blick an, während das Kichern, das sie nicht hörte, immer mehr anschwoll und bald einem einzigen, hämischen Gesang glich.

„Kleines Mädchen…“ Sie zuckte innerlich zusammen, als sie die Stimme hörte. Nicht von irgendwoher her, sondern direkt in ihrem Kopf, erschreckend nah und vertraut.

„Lass mich in Ruhe!“

„Keine Angst, kleines Mädchens. Ich habe nichts Schlimmes mit dir vor. Ich möchte dir einen Gefallen tun.“

„Ja, klar.“ Sie schnaubte verächtlich. „Du bist Ishi, und ich bin nicht so blöd, dass ich auf deine Tricks reinfalle! Ich brauche keinen Gefallen von dir!“

„Ich benutze keine Tricks, kleines Mädchen. Und ich werde dich zu nichts zwingen, was du nicht selbst möchtest. Ich möchte dir lediglich die Möglichkeit geben, dass deine eigenen Wünsche wahr werden.“

„Ts, was weißt du schon von meinen Wünschen.“

„Mehr, als du glaubst.“

Es wurde schwarz um sie herum und nur mit Mühe unterdrückte Misty das erschrockene Quieken, das ihrer Kehle entweichen wollte. Aber fast sofort verschwand die Schwärze wieder und gab den Blick auf etwas anderes frei. Den kleinen Teil einer Stadt.

„Das ist Azuria City. Und?“ Es war kein Kunststück, zu wissen, dass das ihre Heimatstadt war, damit würde Ishi sie nicht beeindrucken können.

„Ja, das ist die azurblaue Stadt. Und das dort… ist ihre Arena.“

Mistys Blick fiel auf das große Gebäude, das sich nun direkt vor ihr befand. Imposant und prächtig wie eh und je. Sie versuchte, sich nicht irritieren zu lassen.

„Ich kenne die Arena.“

„Dann weißt du auch, dass sie so, wie du sie hier siehst, in deiner Welt nicht mehr existiert.“ Ja, natürlich wusste sie das. Und natürlich war es ihr aufgefallen, dass das hier die Arena war, wie sie vor dem Unfall ausgesehen hatte. Ein Bild der Vergangenheit. „Nein, das ist die Gegenwart.“

„Dann ist es ein Trugbild. Du hast gerade selbst gesagt, dass die Arena…“

„In deiner Welt. Aber das hier ist nicht die Welt, wie du sie kennst. In dieser Welt ist der Vorfall niemals geschehen. Hier siehst du die Gegenwart, die deine Arena eigentlich erlebt hätte.“

„…Dann ist es ein Traum?“

„Vielleicht ist es so etwas wie ein Traum, ja. Vor allem ist es aber deine Wunschwelt. Und wenn du möchtest, kannst du hierbleiben.“

„Hier… bleiben?“ Sie schüttelte den Kopf, versuchte, die Gedanken zu vertreiben. „Und was hätte ich davon? Ich kann die Arena auch so wieder aufbauen und mir eine wirkliche Gegenwart schaffen.“

„Das kannst du nicht.“

„Aber –“

„Und das weißt du. Du hast es in all der Zeit nicht geschafft. Du bist zu schwach. Aber das ist in Ordnung. Man kann nicht immer stark sein. Und davon abgesehen gibt es in dieser Welt noch ein paar Dinge, die anders sind.“

„Anders?“

„Es gibt die Legende der Federn nicht. Wenn du hierbleibst, dann bleibt dir das alles erspart. Das Kämpfen, die Streitigkeiten. Du würdest keine Feder werden und könntest weiter dein normales Leben führen.“

War es das, was sie wollte?

Sie versuchte, gegen diesen Wunsch anzukämpfen, aber sie konnte nicht leugnen, dass es ihn gab. Sie wollte dieses Schicksal nicht, sie wollte nicht eine so große Verantwortung übernehmen müssen. Sie wusste, dass sie nicht so stark war, wie sie sich nach außen hin gab, dass sie nicht so entschlossen war, dass sie nicht wusste, wie sie ihre Rolle als Feder wirklich erfüllen sollte.

Wenn sie hierblieb, würde ihr das alles erspart bleiben.

Hier existierte die Welt, wie sie sich wünschte. Wie sie hätte sein sollen.

Sie musste gegen diesen Wunsch ankämpfen.

„Hier…bleiben…“

Aber sie gab nach.

Das Kichern, leise und zufrieden diesmal, blieb ein weiteres Mal von ihr ungehört.

'Ja, kleines Mädchen. Und wenn du hierbleibst, dann wirst du keine Feder werden. Und dann wird sich die Legende nicht erfüllen.'

 „…“



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von: MiyaToriaka
2013-09-27T07:41:01+00:00 27.09.2013 09:41
Ich hatte schon die Befürchtung, dass die am Ende keine Kraft mehr zum Gegensagen haben würde. ;__; Aber das kann doch nicht so bleiben! *heul* Misty ist stark und sie schafft das. Wahrscheinlich müssen Ash und Gary ihr in den Arsch treten, aber sie kommt irgendwann schon wieder zur Vernunft! >___<
Wirklich wieder ein tolles Kapitel. Es ist zwar nicht "ganz so viel passiert", aber das war von der Handlung des Kapitels her auch nicht möglich. Ich bin schon wirklich gespannt, wie es weitergeht und was die Jungs unternehmen werden, wie Misty zukünftig reagieren wird, jetzt, wo ihr Geist woanders ist als ihr Körper.
Ich bin echt sehr gespannt!

Vielen Dank fürs Weiterschreiben. ;w;

LG
Miya


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