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Great Canon

Wichtelgeschichte für Alaiya
von

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„Pili!“, rief Noriko in das Dunkel des Waldes hinein.

Das kleine Mädchen war weggerannt und seitdem nicht wieder zurück gekommen. Ihr Großvater versicherte Noriko zwar, dass Pili wieder nach Hause kommen würde, wenn sie sich abgeregt hätte, so ganz vertraute die Soldatin dem Ganzen aber nicht.

Die Sonne war bereits tief gesunken und der Himmel hatte sich längst für die bevorstehende Nacht gekleidet. Zwischen den dichtstehenden Bäumen vermochte das menschliche Auge außer Schatten nichts mehr zu erkennen.

„Sollten wir sie nicht lieber suchen gehen?“ Noriko drehte sich dem Alten zu, der neben ihr stand.

Er schien zu grübeln und fasste sich dabei gedankenverloren an sein Kinn. „Also gut“, sagte er dann. „Machen wir uns auf die Suche. Ein Mädchen in ihrem Alters sollte nachts nicht allein im Wald unterwegs sein.“

„Ich werde eine Fackel an dem Feuer in der Hütte entzünden.“ Noriko wollte sich gerade umdrehen, da hielt sie der alte Mann am Arm fest.“

„Zu gefährlich“, sprach er betont. Sein Blick traf den ihren. Er hob seine linke Hand und flüsterte: „Argia.“ Erst geschah nichts, doch dann strahlte die Linke des Alten ein sachtes Glimmern aus, das sich zu einem intensiven, aber nicht unangenehmen Leuchten steigerte.

Noriko blickte wie hypnotisiert auf die Lichtmagie des alten Mannes. Ob sie sowas auch bewirken konnte?

Er schien ihre Gedanken lesen zu können, denn er lächelte sie väterlich an und schüttelte dann sacht seinen Kopf.
 

Als Noriko und der alte Magier Pili fanden, war die Nacht bereits vollends hereingebrochen und am Himmelszelt schimmerten die Sterne hell und magisch durch die sich in der abendlichen Brise wiegenden Baumkronen hindurch.

„Pili“, die einfühlsame Stimme des alten Mannes war wie ein Flüstern, das vom Wind getragen wurde. „Ich mache mir doch nur Sorgen um dich.“ Er schwang seine glimmende Hand, woraufhin der Lichtzauber erlosch, und setzte sich neben seine Enkeltochter auf die große Wurzel eines Baumes. „Ich könnte es mir niemals verzeihen, wenn auch dir etwas passieren würde.“

„Ich weiß.“ Pili rutschte an ihren Großvater heran und lehnte sich an seine Seite.

Etwas verlegen stieg Noriko von einem Fuß auf den anderen. Sie kam sich gerade ziemlich fehl am Platz vor und wollte schon alleine zurück zu der alten Hütte gehen, als plötzlich ein tiefes Knurren die Stille zerbrach.

Der Alte stand blitzartig auf und zeigte dabei eine Geschwindigkeit, die er bisher nicht an den Tag gelegt hatte. Er trat neben Noriko und blickte mit trübem Blick in die Schatten.

„Vielleicht sollten Sie wieder Licht machen, dann sehen wir besser.“

„Opa?“ Die kleine Hexe stand hinter Noriko und blickte sorgenvoll zu ihrem Großvater, dessen Gesicht starr wie eine Maske geworden war.

„Helena“, sagte er leise zu Noriko, die sich für einen kurzen Moment erst wieder entsinnen musste, dass das jetzt ihr Name war. „Nimm Pili und geh zu der Hütte zurück. Schnell.“ Seine Stimme ließ keine Widerrede offen und ehe noch etwas geschehen konnte, hob er seine beiden Hände und sprach laut und deutlich: „Sua Tximista!”

Die Feuerkugel aus seinen Handflächen schlug durch Baumstämme, zerriß die Dunkelheit und traf etwas Großes, das mit einem wütenden Brüllen antwortete. Die Kreatur schritt unbeirrt trotz des flammenden Geschoss nach vorn und seine zwei gelben Augen richteten sich auf den alten Mann.

„Lauf!”, bellte der Alte Noriko an, die sich nicht ein weiteres Mal bitten ließ und packte nach Pilis Arm.

„Komm!”

Das kleine Mädchen drehte sich zu ihrem Großvater um. „Und Opa?”

Doch Noriko konnte nicht antworten, denn brüllend krachte das Ungetüm durch das Gehölz und schlug dabei nach dem alten Mann. Dieser duckte sich unter dem Prankenhieb des schwarzen Bären hindurch und wagte sich noch näher an das dämonische Tier heran. Innerhalb weniger Augenblicke legte er seine Hände flach auf den Bauch des Monstrums und sprach energisch die nächste Zauberformel: „Solairuan Bero!”

Der Gestank von verbrannten Fell und Fleisch war unerträglich, das Tier musste Höllenqualen erleiden. Das Tier jaulte schmerzerfüllt, doch wich nicht zurück, sodern setzte dem Alten mit weiteren Schlägen seiner krallenbewehrten Pranken nach.

Der alte Mann konnte noch zwei Hieben ausweichen, doch den dritten hatte er falsch eingeschätzt und wurde von dem Angriff getroffen. Wie ein Spielzeug flog sein Körper durch die Luft und landete hinter ein paar großen Wurzeln.

„Opa!“, brüllte Pili mit Tränen in den Augen. Sie hatte sich von Noriko losgerissen und wollte zu ihren Großvater laufen. Doch diese packte das Mädchen unter den Armen und hob sie hoch. „Lass mich los!“, protestierte sie und trat dabei nach der Soldatin.

Noriko drückte das Mädchen an sich und flüsterte ihr ins Ohr: „Keine Sorge, er kommt wieder.“

Die kleine Hexe wusste, dass das eine Lüge war, dennoch ließ sie von ihrer Gegenwehr ab und nickte. Dicke Tränen kullerten ihr über die Wangen. „Ja.“

Groß wie ein Berg richtete sich der schwarze Bär vor der Soldatin und dem Mädchen auf und brüllte sie an. Geifer tropfte aus seinem Maul und Blut von seiner Pranke..

„Scheiße!“, fluchte Noriko und griff nach Pilis Hand. Sie zog das Mädchen hinter sich her und lief blindlings in irgendeine Richtung - Hauptsache weg von dem riesigen Tier.

Das Monster wollte sich gerade in Bewegung setzen und die beiden Flüchtlinge verfolgen, als ein plötzliches Leuchten hinter ihm seine Aufmerksamkeit gewann.

Mit einem merkwürdig verdrehten Arm, kauerte der alte Mann auf seinen Knien und hatte mit seiner gesunden Hand den Lichtzauber gewirkt. Sein Blick fixierte die Augen der riesigen Bestie, die wie gelbstichige Flammen brannten.

„Du willst mich, nicht sie.“ Das Glimmen in seiner Hand wurde schwächer. „Dann hol mich auch.“
 

Noriko konnte am Ende nicht mehr sagen, wie lange sie gerannt waren. Mehrere male musste sie Pili am Arm hochziehen, das sie nicht mehr laufen konnte oder hingefallen war. Irgendwann hatte sie das Mädchen huckepack genommen und war so weiter gerannt.

„Bist du okay?“, fragte die Soldatin keuchend, als auch ihre ganze Ausdauer völlig verbraucht war und selbst ihre Furcht sie nicht mehr antreiben konnte.

Pili glitt von Norikos Rücken und blickte den Weg zurück, den sie gekommen waren. „Was ist mit Opa?“

Die Soldatin schüttelte den Kopf. Ihre Gesicht war klatschnass und ihre Haut unter dem Leder vom Schweiß und Reibens völlig wund. „Ich weiß es nicht.“

„Du hättest kämpfen können.“ Was Pili flüsterte Pili leise.

„Was?“

„Du hast schon richtig gehört!“ Tränen standen dem kleinen Mädchen im Gesicht und als sie liefen, vermischten sie sich mit dem Schweiß auf ihren Wangen. „Du hättest kämpfen und Opa somit retten können!“ Ihre Hand vollzog eine harsche Geste. „Aber nein, du bist feige weggerannt!“ Sie schluchzte bitter und wischte sich die Nase an ihrem Ärmel ab. „Du bist so feige, Helena! Ich dachte immer, dass Soldaten mutige Kämpfer wären.“ Langsam schüttelte sie den Kopf, nahm ihre Zipfelmütze ab und ließ sie auf den Waldboden fallen. „Da habe ich mich wohl getäuscht.“ Sie setzte sich auf den Boden und vergrub ihr Gesicht in den Armen.

„Pili, hör zu“, Noriko suchte nach den richtigen Worten. Aber wie sollte sie nur welche finden? Noch nie hatte sie sich in solch einer Situation befunden. Hätte sie vielleicht doch bleiben und gegen das Untier kämpfen sollen? Wäre sie stark genug gewesen, um das Leben des alten Mannes zu retten?

Plötzlich stand die kleine Hexe auf und starrte mit geröteten Augen in das Dunkel der Nacht. Sah sie etwas?

„Was ist los?“, wollte Noriko wissen, aber Pili ignorierte sie völlig und lief urplötzlich los.

Erstaunt davon wie schnell das Mädchen trotz der kurzen Pause wieder rennen konnte, hetzte die Ältere hinterher. Allerdings entfernte sich die kleine Hexe immer schneller von ihr und vergrößerte somit die Distanz zwischen ihnen.

Auf einmal vernahm auch Noriko etwas. Irgendwas war da zwischen den gehetzten Atmen und brechenden Ästen. Gesang? Wer zum Teufel singt Spätnachts ein Lied in einem Wald?

Irgendwo unweit vor ihnen flackerte zwischen den dicken Stämmen der hohen Bäume ein Feuer. Vielleicht ja ein Lagerfeuer? An welchem Feuer würde man sonst ein Liedchen trällern, wenn nicht an einem gemütlichen Lagerfeuer, an dem man mit Freunden trank und aß?

Pili war bereits zwischen den Bäumen verschwunden, als Noriko die Lagerstätte betrat, sogleich aber stoppte. Vor ihrer Kehle ruhte ein gehobenes Schwert aus kaltem Stahl, auf dessen blankpoliertem Klingenblatt das flackernde Licht des Feuers tanzte.

„Wieso jagst du dieses Kind?“

Noriko wagte es nicht ihren Kopf zu drehen, aus Angst, dass der Stahl sie schneiden könnte. So also bewegte sie nur ihre Augen und erspähte zu ihrer Rechten eine Frau, die etwas jünger aussah als sie selbst. Die Klinge in ihrer Hand musste hunderte Kilo wiegen, so empfand es zumindest Noriko. Handbreit und über anderthalb Meter lang.

„Senk deine Waffe, Dimme“, befahl eine gütig klingende Frauenstimme, die keine Widerworte erlaubte.

Ein Mann mit rauer Stimme mischte sich ein. „Teufel auch eins, sieh sie dir doch an. Die Gute ist selber völlig außer Atem und der Schweiß steht ihr ins Gesicht geschrieben.“

„Na schön.“ Der Stahl wurde von Norikos Hals nach kurzem Zögern entfernt. „Aber wenn sie aufmuckt, will ich mir kein Gejammer von euch anhören.“

„Ha, die Einzige, die hier rumjammert, bist du, meine Liebe!“, lachte ein anderer Mann.

Noriko ließ ihren Blick wandern und besah sich den vier Reisenden. Ein älterer Mann, mit einem langen ergrauten Bart und ebenso mausgrauen Haaren, saß ihr gegenüber hinter dem Lagerfeuer. Er hatte sich seinen langen, ehemals schwarzen Umhang umgeworfen und ließ somit keinen Blick auf seine Statur zu.

Links von ihm saß ein zweiter Mann, der etwa ein Kopf kleiner als der Ältere war. Sein braunes Haar musste mal wieder geschnitten werden, denn er hatte sich seine langen Stirnfransen zurückgekämmt. Ein Vollbart verdeckte sein halbes Gesicht und an dessen Mundwinkel hatten sich ein paar Reste vom Essen verfangen. Der Mann wirkte im Allgemeinen sehr stämmig. Wäre er noch etwas kleiner gewesen, hätte Noriko ihn für einen Zwerg gehalten. Auf seinem Schoß ruhte eine Laute und gleich neben ihm sein Bogen samt vollem Köcher.

An der Frau, die zur Rechten des Alten saß, blieb Norikos Blick hängen. Die Spitzen ihres nackenlangen Haares lockten sich und waren scheinbar gefärbt worden. Ihr Gesicht wies mütterliche Züge auf und versprach Liebe, Wärme und Geborgenheit. Auch in dem flackernden Licht des Feuers, meinte Noriko das kristallklare Blau ihrer Augen erkennen zu können. Die Frau schien Ende Dreißig, Anfang Vierzig zu sein. Wenn Noriko zehn Jahre jünger und die Frau nicht in eine eiserne Rüstung gehüllt worden wäre, hätte sie schwören können, ihrer Mutter gegenüberzustehen.

Die vierte Person, die junge Frau, die Noriko die Klinge an den Hals gehalten hatte, setzte sich etwas abseits auf einen Baumstumpf und begann damit ihre lange Klinge mit einem ölgetränkten Lappen zu polieren. Sie wirkte so völlig anders als ihre Reisebegleiter. Dunkles, kurzgeschnittenes Haar. Lederne Handschuhe, ein großer Umhang und verdreckte Stiefel. Zu allem Überfluss trug sie auch noch eine Augenklappe über ihrem linken Auge. Sie sah wie ein heruntergekommener Wegelagerer aus. Jedoch glänzte im Schein des Feuers auf ihrer Brust eine silberne Brosche, auf der ein Fuchs abgebildet war, und schien ihr einziges wertvolles Gut zu sein.

Pili saß zusammengekauert vor dem Lagerfeuer und schluchzte in ihre Robe. Sie weinte aus Wut und Angst, Hass und Verzweiflung.

„Komm her, Kleines.“ Die Stimme der älteren Frau erreichte das kleine Mädchen, das sich darauf hin aufrappelte und zu ihr um das Feuer herum wankte. Bei ihr angekommen ließ sich Pili bei ihr nieder und begann wieder bitterlich zu weinen. „So ist es gut. Lass alles es raus.“ Die Frau streichelte dem Kind sanft über den Kopf und deutete Noriko dann sich zu setzen.

„Am besten wäre es, wenn du uns erzählen würdet, was vorgefallen ist“, sagte der ergraute Mann und schob der Soldatin einen Teller mit Fleisch und Gemüse und einem gefüllten Trinkschlauch rüber.

„Und lass lieber keine Einzelheiten aus.“ Drohend deutete die einäugige Füchsin mit der Spitze ihres Zweihänders auf Noriko. „Nicht eine einzige.“



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