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Geister

Wenn Wege sich kreuzen
von

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Die alte Villa

Ein Schatten schoss über den Boden hinweg und ließ die junge Frau zusammenzucken. War es ein Geist?

„Sei nicht albern“, beruhigte sie sich selbst und holte tief Luft. „Es gibt keine Geister!“ Genau, es gab keine Geister – nur Geistpokémon und vor denen musste man doch nun wirklich mehr Angst haben! „Du bist eine Arenaleiterin und du bist schon lange erwachsen!“, redete sie weiter auf sich ein. „Da ist das doch wirklich ein Klacks!“

Natane holte tief Luft. Genau! Sie konnte sich wirklich nicht länger davor drücken. Doch... Eigentlich hatte sie es nun seit mehr als drei Jahren geschafft. Vielleicht konnte sie...

Schnell verwarf sie den Gedanken. Sie war Arenaleiterin, verdammt, sollte sie nicht ein Vorbild sein – oder zumindest so etwas in der Art?

Letzten Endes war es albern. Sie leitete die Arena in Hakutai City nun schon seit über drei Jahren. Seit über drei Jahren sorgte sie damit auch dafür, dass in der Gegend alles seine Ordnung hatte. Seit über drei Jahren kümmerte sie sich über die Pokémon im ewigen Wald. Doch seit über drei Jahren drückte sie sich – so gut es ging – auch davor sich der alten Villa im Wald zu nahe zu kommen.

Die Villa war seit einigen Jahren schon verlassen – keiner wusste warum – und in der Stadt wurden immer wieder Geschichten von Geistern erzählt, die in dem langsam immer weiter verfallenen Gebäude ihr Unwesen treiben sollten. Richtige Geister, wohlgemerkt, keine Geisterpokémon. Und auch als erwachsene Frau fürchtete sich Natane vor solchen, egal wie oft sie sich auch einredete, dass es solche gar nicht geben konnte.

Das brachte sie nun in eine Bredouille, denn mehrere der Wanderer, die durch den Wald kamen, wie auch die Holzfäller, die dort arbeiteten, hatten in den letzten Tagen davon berichtet, dass sich die Pokémon in der Nähe der Villa ungewöhnlich verhielten. Vielleicht, so hatten sie gemeint, stimmte irgendetwas in der Villa nicht.

„Aber“, jammerte Natane, wohl wissend, dass sie niemand – außer vielleicht die Pokémon des Waldes – hören konnte, „wieso muss ausgerechnet ich gehen?“

Sie seufzte und griff an ihren Gürtel. „Muskippa! Komm raus!“ Damit warf sie einen Pokéball, der sich öffnete und dem großen, schwebenden Pflanzenpokémon somit Freiheit gewährte.

Erwartungsvoll sah das Pokémon sie an, wartete darauf, dass sie ihm eine Anweisung gab.

Stattdessen suchte sie nur die Nähe Muskippas. „Bleib bei mir, okay?“, meinte sie und machte dann den ersten vorsichtigen Schritt auf die Villa zu.

Ihr schien es, als würde sie die Villa selbst von hier knirschen und knatschen hören.

Noch einmal holte sie tief Luft und machte den nächsten Schritt auf die Villa zu. Dann noch einen und einen weiteren.

Es waren schon andere Trainer in die Villa gegangen, ohne dass ihnen etwas passiert wäre.

Es war absolut ungefährlich. Also brauchte sie sich wirklich keine Sorgen machen. Nein, es war absolut ungefährlich.

Natane hatte die Zähne aufeinander gepresst, während sie der Villa immer näher kam.

Da meinte sie etwas, in einem der halb zerschlagenen Fenster zu sehen.

Bevor das Pokémon an ihrer Seite sich versah, verkroch Natane sich bereits hinter ihm. „Ich glaub“, meinte sie, „es ist besser du gehst vor.“

Wäre Muskippa ein Mensch gewesen, so hätte es wohl die Augen verdreht, doch so schwebte es nun vor der Trainerin her, während sie sich der Villa näherten.

Das hölzerne Tor der Villa hing auf der einen Seite nur noch lose in den Angeln, während die andere Hälfte gänzlich fehlte. Dadurch waren Blätter und Äste in die einst wahrscheinlich eindrucksvolle Eingangshalle geweht worden, die nun – zumindest empfand es Natane so – eher wie das Set eines Horrorfilms wirkte.

Ein Teil von ihr tendierte dazu, es hierbei zu belassen. Sie war in der Villa gewesen und... Es sah doch alles in Ordnung aus. Wahrscheinlich hatten sich die Wanderer nur etwas eingebildet.

Doch sie wusste, dass es unverantwortlich war.

Seufzend besah sie sich die vor ihr liegende Halle genauer.

Der aufgewirbelte Staub malte in den Sonnenstrahlen, die bis hierher durchgedrungen waren, Muster in die Luft, während das hereingewehte Laub beständig zu rascheln schien.

Zwei Treppen führten zu einer Galerie hinauf, von der drei Türen abgingen, während ein größeres Portal, dessen Türen schon lange verschwunden waren, im Erdgeschoss direkt ihr gegenüber in eine Art Speisesaal zu führen schien.

Natane schluckte.

Sie hatte die Wahl. Entweder ging sie in den Speisesaal oder die Treppe hinauf. Wenn sie Glück hatte fand sie, was sie suchte, direkt. Wenn sie Pech hatte, fand sie gar nichts und musste die ganze Villa untersuchen.

Sie wandte sich Muskippa zu. „Was meinst du? Speisesaal oder die Treppe hinauf?“

Das Pokémon gab einen gurgelnden Laut von sich, der kaum als Antwort interpretiert werden konnte, was die Arenaleiterin erneut dazu brachte leise zu Seufzen.

Sie sah zu den etwas brüchig wirkenden Treppen und dann zum irgendwie gespenstisch wirkendem Speisesaal. Die Treppen sahen gefährlich aus, aber der Speisesaal wirkte gruselig. Oben wäre mehr Licht, aber es war einfacher in den Speisesaal zu gehen.

Es war logischer, zuerst in den Speisesaal zu schauen, schloss sie und schlich so schließlich zu diesem hinüber – sich immer in der Nähe ihres Pokémons haltend.

Immer wieder ließen sie raschelnde Blätter selbst zusammenzucken, doch schließlich erreichte sie den weiträumigen Saal, in dem ein langsam verfallender Tisch stand.

An der Wand hingen zerschlissene Gemälde und die Bretter der ebenfalls gegen das Mauerwerk stehenden Regale waren schon lange heruntergefallen. Auch die großen Fenster des Raumes waren zerschlagen, doch auffällig wirkte nichts.

Natane versuchte sich zu entspannen. Weit und breit keine Geister, es gab keinen Grund so angespannt zu sein. Ja, nicht einmal Geistpokémon hatte sie bisher gesehen – wahrscheinlich weil diese am Tag sich lieber im Schatten aufhielten.

Sie atmete mehrmals tief durch, ehe sie einen spitzen Schrei ausstieß und instinktiv hinter Muskippa in Deckung ging.

Etwas hatte sich bewegt! Sie hatte es aus den Augenwinkeln gesehen.

Ein Rascheln erklang vom Boden und ein Schatten huschte über diesen hinweg. Doch als Natane genau hinsah, musste sie feststellen, dass auch dieser Schatten kein Gespenst war, sondern nur ein weiteres Pokémon.

Es war ein Bunyatto, das nun in der breiten Türöffnung zwischen Eingangshalle und Speisesaal inne hielt und sie misstrauisch ansah. Es hatte eine Beere, die es wahrscheinlich im Wald gefunden hatte im Maul.

Dann wandte es sich ab und lief zur Treppe, die es mühelos erklang.

Derweil blieb Natane mit klopfendem Herzen neben Muskippa im Speisesaal stehen.

Erst als sie sich langsam von dem Schreck erholte, kam sie darauf, dass es hier n der Gegend normal keine Bunyatto gab. Was machte das Pokémon hier?

Konnte es sein, dass dieses Bunyatto vielleicht etwas mit dem komischen Verhalten der anderen Pokémon zu tun hatte?

Sie seufzte. Nun, zumindest war das Bunyatto kein Geist.

„Komm, Muskippa“, meinte Natane so zu ihrem Pokémon, das neben ihr her schwebte, als sie sich auf dem Weg zur Treppe machte.

Vorsichtig einen Fuß vor den anderen setzend, da die Stufen brüchig erschienen, schlich sie die Treppe hinauf, die immer wieder knirschende Laute von sich gab.

Mit erneut rasendem Herzen kam die Arenaleiterin so schließlich auf der Galerie an und sah unsicher zwischen den drei von hier abgehenden Türen hin und her. Doch noch bevor sie sich Gedanken machen konnte, durch welche sie gehen sollte, hörte sie ein Geräusch.

Es war ein Stöhnen.

Beinahe hätte sie erneut aufgeschrien, doch dieses Mal riss sie sich zusammen.

Zitternd ging sie auf die mittlere der Türen zu, die, ähnlich wie die Eingangstür, nur noch lose in ihrem Rahmen hing. Durch sie kam man in einen Flur, der zu weiteren Zimmern führte.

„Muskippa.“ Sie sah sich zu ihrem Pokémon um, das sich sogleich bemühte zu ihr aufzuholen, ehe sie in den Flur trat.

Ein erneutes Stöhnen war zu hören, dieses Mal deutlicher. Es schien das schmerzerfüllte Stöhnen einer Frau zu sein. Dann hörten sie ein Maunzen, das wahrscheinlich zu Bunyatto gehörte und von einer Tür zur Natanes linker Seite kam.

Noch immer nervös und ängstlich ging die junge Frau auf die Tür zu, die, wenngleich vermodert, halb angelehnt war.

Mit zitternder Hand stieß sie sie auf und fand ein halb zerfallenes Schlafzimmer vor. Bücher lagen halb vermodert auf dem Boden, doch zumindest hier schien das Fenster unzerbrochen. Und obwohl das Bett am anderen Ende des Zimmers heruntergekommen und mitgenommen aussah, lang in ihr jemand.

Bunyatto saß auf der Bettkante und hatte sich in einer Art Besorgnis über die offenbar halbohnmächtige Gestalt gebeugt.

„Was...“, begann Natane und ging näher heran, um die Person im Bett besser erkennen zu können.

Es war eine rothaarige Frau und so, wie ihr Gesicht glühte, brauchte die Arenaleiterin es nicht einmal zu berühren, um zu wissen, dass sie hohes Fieber hatte.

Verloren

Als die rothaarige Frau erwachte, hatte sie Schwierigkeiten, sich an irgendetwas zu erinnern.

Sie merkte, dass sie in einem weichen Bett lag, doch sie konnte nicht sagen, wie sie dorthin gekommen war.

Helles Licht fiel auf ihr Gesicht und blendete sie selbst durch ihre geschlossenen Lider hindurch, was mit der Zeit einen stechenden Schmerz in ihrem Hinterkopf hervorrief. Allerdings schmerzten auch ihre sämtlichen Glieder, so dass der Kopfschmerz nur eine eher geringe Addition war.

Sie hörte ein Maunzen von ihrer Seite. Konnte es Bunyatto sein? Wieso war es nicht in seinem Pokéball?

Die Frau sammelte sich und wandte den Kopf zur Seite, ehe sie vorsichtig die Augen öffnete, was anstrengender erschien, als gedacht. Sie blinzelte erst und das Bild vor ihren Augen schien verschwommen, ehe es langsam klarer wurde.

Das Sonnenlicht schien durch ein großes Fenster in den relativ kleinen Raum, der unter einem Dach zu liegen schien, da die Wand am Kopfende des Bettes schräg verlief und das Fenster nach außen vorstehend in diese eingelassen war.

Das Zimmer war relativ leer. Außer dem Bett, in dem die Frau sich wiederfand, gab es nur zwei weitere Möbelstücke: Ein Bücherregal und eine hölzerne Wäschetruhe, die den Raum, zusammen mit der grün gestreiften Tapete, altmodisch wirken ließ.

Doch noch immer wusste die Frau nicht, wo sie war.

Erneutes Maunzen und Bunyatto sprang auf ihr Bett, um sie an der Hand zu lecken.

„Wo sind wir hier?“, fragte die Frau das Pokémon mit schwacher Stimme, wusste aber, dass das Wesen nicht antworten konnte.

Angestrengt versuchte sie sich zu erinnern.

Sie war soweit gereist, in den letzten Jahren, nur um ihn zu finden, war nicht nur durch Sinnoh, sondern auch durch Hoenn. Kanto und Johto, ja sogar bis nach Isshu gereist, doch sie hatte nicht einmal einen Hinweis darauf gefunden, was aus ihm geworden war.

Sie war nach Sinnoh zurückgekehrt, dorthin, wo alles angefangen hatte. Sie hatte sich geweigert die Hoffnung aufzugeben. Sie hatte geschworen ihn zu finden. Doch es fehlte jede Spur und langsam wurde dieser eine erschreckende Gedanke immer wirklicher: Vielleicht war er wirklich tot. Vielleicht war er nach jenem Vorfall wirklich gestorben.

Oder – damit versuchte sie ihre Gedanken zu beruhigen – vielleicht war sein Plan tatsächlich gelungen und er lebte nun in einer anderen Welt. Einer Welt, die besser war als diese.

Aber mit jedem Tag war dieser Gedanke unwirklicher geworden. Es gab einfach keinen Hinweis, dass ihr damaliger Plan geglückt war, dass sie eine neue Welt erschaffen hätten.

Auf einmal war ihr ihre gesamte Hoffnung so lächerlich vorgekommen. Auf einmal war sie sich dessen Bewusst geworden, dass ihre Reise kein Ziel hatte.

Und dann?

Was war dann geschehen?

Sie wusste es nicht mehr.

Sie erinnerte sich an Schatten, an einen Wald, an Hitze und – so wenig Sinn es auch machte – an Kälte. Doch was genau geschehen war, konnte sie nicht sagen.

So lag sie nun da, in dem weichen Bett und sah auf die schräge Decke über sich. Dank der Schmerzen konnte sie sich kaum bewegen und egal wo sie war, sie kam von hier so schnell nicht wieder fort.

Und während sich Bunyatto an ihrer Seite zusammenrollte, fiel die Frau in einen leichten Halbschlaf, aus dem sie erst wieder gerissen wurde, als die hölzerne Tür des Raumes ohne vorheriges Klopfen aufgerissen wurde.

Bunyatto maunzte beleidigt und hob den Kopf, um dem Eindringling einen strafenden Blick zuzuwerfen.

Die rothaarige Frau öffnete erneut ihre Augen und sah ebenfalls zu dem Neuankömmling, der noch immer in der Tür stand.

Es war eine andere Frau, die etwa so alt zu sein schien, wie sie selbst und sich ihre braunen Haare mit einem schwarzen Stirnband aus dem Gesicht hielt. Sie kam ihr irgendwie bekannt vor, doch beim besten Willen wusste sie nicht woher.

„Du bist wach!“, rief die Frau, die in der Tür stand, überrascht aus und ließ beinahe die Wasserschale, die sie in den Händen hielt fallen. Wasser über den Holzboden verschüttend schaffte sie es gerade noch so die Schale aufzufangen und wurde rot. „Ich meine... Äh... Sie sind wach?“

So gut es ging nickte die rothaarige Frau und betrachtete die andere misstrauisch. „Wo bin ich?“, brachte sie schließlich heiser hervor.

„Ah“, meinte die andere und machte ein Gesicht, als wäre ihr erst gerade etwas klar geworden. „Du bist in Hakutai City. Um genau zu sein im Haus der Arenaleiterin von Hakutai City. Das bin übrigens ich, also die Arenaleiterin. Natane.“ Dabei sprach sie erstaunlich schnell, ehe sie auf einmal stoppte. „Ach ja, und ich habe dich in der alten Villa im Wald gefunden. Du hattest Fieber. Deswegen habe ich dich hierher gebracht. Die Joy vom Pokémoncenter hat dich versorgt. Sie meinte, du hättest Stachelspore abbekommen. Was hast du überhaupt im Wald gemacht?“

Es brauchte einige Momente, ehe der Geist der Frau all diese Informationen verarbeitet hatte und sie auf die Frage antworten konnte. „Ich weiß es nicht mehr... Ich... Ich weiß es nicht.“

„Hmm...“ Damit rieb sich die Arenaleiterin – Natane – am Kinn und zog die Augenbrauen zusammen, als würde sie angestrengt nachdenken. „Dann hast du so etwas wie eine Amnesie?“

„Ich weiß es nicht“, erhielt sie nur dieselbe Antwort.

„Hmm...“ Noch immer runzelte Natane die Stirn. „Weißt du noch wie du heißt? Ich meine... Äh...“ Sie schien unsicher zu sein, wie sie die fremde Frau behandeln sollte. „Ich meine, wissen Sie noch wie Sie heißen? Ich habe keinen Ausweis oder so etwas bei Ihnen gefunden.“

Daraufhin schwieg die Frau für eine Weile. Ihr Name... Sie konnte sich an ihren Namen erinnern, an zwei Namen, um genau zu sein, wobei sie einen jedoch seit langer Zeit schon nicht mehr benutzt hatte. Doch der andere Name... Wie konnte sie ihn hier benutzen? Zumal er, nach den vergangenen Jahren falsch klang, wie etwas, das nicht einmal mehr existieren sollte.

„Ran“, erwiderte sie schließlich leise.

Fragend sah Natane sie an.

„Mein Name ist Ran“, antwortete die Frau daraufhin lauter.

„Ah!“ Natanes Gesicht hellte sich auf. „Gut. Freut mich dich... Äh... Sie kennen zu lernen.“ Sie verbeugte sich leicht.

Daraufhin nickte Ran nur. „Danke“, flüsterte sie dann.

Die Arenaleiterin legte den Kopf schief. „Wieso?“

„Du hast mich hierher gebracht“, erwiderte Ran. „Wie ich auch immer in diese... Alte Villa gekommen bin... Du hast mich hierher gebracht. Danke dafür.“

„Oh.“ Bei den Worten wurde die junge Frau etwas rot. „Kein Ding, kein Ding“, meinte sie dann schnell. „Äh...“ Unsicher sah sie zu Ran hinüber. „Äh... Ich gehe zum Pokémon Center, die Joy sagte, sie wollte nach dir sehen, wenn du wach bist... Äh...“ Sie überlegte. „Wir haben auch richtige Ärzte hier“, plapperte sie dann. „Aber... Nun... Du hast nichts bei dir gehabt und die Joy ist mit mir befreundet und...“

„Es ist schon gut“, meinte Ran schwach. Der scheinbar endlose Redeschwall der Arenaleiterin bereitete ihr langsam Kopfschmerzen. „Mach dir darum keine Sorgen.“

„Okay!“ Damit nickte Natane rasch und wollte sich umdrehen, um zu gehen, als ihr einfiel, dass sie noch immer die Wasserschale in der Hand hielt. „Ah, ich bringe dir noch frisches Wasser, ehe ich gehe“, meinte sie, lief ins Zimmer um die Wasserschale auf der Wäschetruhe abzustellen, ehe sie wieder verschwand, nur um kurze Zeit später mit einer gläsernen Karaffe wieder zu kommen. „Ich werde mich beeilen“, versprach sie, stellte die Schale ebenfalls auf die Truhe und damit aus Rans direkter Reichweite, ehe sie verschwand, ohne dieses Mal die Tür hinter sich zu schließen.

Nachdem ihre Schritte verklungen waren, schloss Ran die Augen.

Es war ironisch, dass es ausgerechnet eine Arenaleiterin war, die sie gefunden hatte.

Zumindest wusste sie nun, woher ihr das Gesicht der anderen so bekannt vorgekommen war. Zwar hatte sie niemals direkt gegen Natane gekämpft, da sie nicht selbst für den Stützpunkt in Hakutai verantwortlich gewesen war und dieser lange Zeit nicht beachtet wurde, ehe dieser verfluchte Handsome und die Trainer sich eingemischt hatten, doch sie hatte von der Arenaleiterin gehört. Immerhin waren es nicht selten Arenaleiter, die sich ihnen entgegengestellt hatten – ob direkt oder indirekt.

Und nun...

Nun war von all dem, wofür sie einst gekämpft hatte, nichts mehr übrig und es gab keine Möglichkeit es zurück zu bekommen. Selbst wenn sie es versuchte... Vielleicht was es eigentlich von Anfang an nur eine Illusion gewesen. Ein Traum...

Sie spürte, wie eine Träne über ihre Wange rann.

Es war nur ein Traum gewesen. Selbst wenn sie erreicht hätten, wofür sie gekämpft hätten, selbst wenn sie eine neue Welt erschaffen hätten, so hätte er sie doch nie mehr beachtet, als zuvor. Er hatte sie alle als Untertanen gesehen, als Werkzeuge, um seine neue Welt zu erschaffen.

Auch wenn sie ihr Leben gegeben hätte, um sein Leben zu retten, so hätte er sie danach nur vergessen und ausgetauscht.

Dies war ihr schon immer bewusst gewesen.

Und dennoch...

Sein Traum, war alles gewesen wofür sie gekämpft hatte, seit sie ihn vor vier Jahren getroffen hatte. Und alles, was sie getan hatte, seit ihr Plan gestoppt worden und er verschwunden war, war, überall auf der Welt nach ihm zu suchen, weil sie seinen Tod nicht einfach akzeptieren konnte.

Was war sie schon ohne ihn? Was war sie ohne diesen Traum?

Nur dasselbe verlorene Mädchen, das ohne Plan vor mehr als sechs Jahren von zuhause fortgelaufen war, um etwas zu suchen, dass es doch nie gefunden hatte.

Gewinner und Verlierer

„Roserade, Zauberblatt!“

Das Blumenpokémon sprang in die Luft und ließ bunte Blütenblätter auf den Boden regnen, die seinen Gegner erst verwirrten, ehe sie an Geschwindigkeit gewannen und zu gefährlichen Geschossen wurden.

„Weich aus!“, rief der junge Trainer am anderen Ende der Kampffläche seinem Moukazaru zu, das sich daraufhin zu einem Ball zusammenrollte und so rollend auswich.

Das Feuerpokémon schaffte es aus der Reichweite der Attacke zu kommen, wenngleich es einige Kratzer davontrug. Jedoch konnte es noch kämpfen, entrollte sich und sah mit entschlossenem Blick zu Natanes Roserade hinüber.

„Jetzt, Moukazaru, setz' Flammenrad ein!“ Mit entschlossenem Blick sah der Trainer zu Natane hinüber, während sein Pokémon sich erneut einigelte und seinen Körper nun mit Flammen umhüllte. Eine brennende Spur hinterlassend rollte es über den grasbewachsenen Boden der Arena, ehe es als Flammenkugel auf Roserade traf, das zurückgeworfen wurde und am Boden liegen blieb.

„Roserade, zurück“, rief Natane und holte ihren Pokéball heraus, um ihr Pokémon zurückzurufen. „Du hast mich besiegt“, sagte sie dann zu dem Trainer und lächelte ihn an.

Dieser schien selbst noch etwas überrascht. Dann jedoch stieß er die Hand in die Luft. „Juhu!“ Damit stürmte er zu seinem Moukazaru hinüber und fiel ihm um den Hals. „Danke, Partner.“

Das Pokémon gab einen zufriedenen Laut von sich.

„Du hast deine Pokémon gut trainiert“, meinte Natane nun zu ihm, während er aufstand und sie angrinste. Die junge Frau ging auf ihm zu und holte ihren Orden aus ihrer Tasche heraus. „Damit hast du dir das hier verdient.“

Der Junge hielt die kleine Plakette ehrfürchtig in der Hand. „Danke“, begann er leise. Es dauerte einen Moment, ehe er auf einmal in Jubel ausbrach. „Juhu! Mein zweiter Orden!“

Während das Kind kurz darauf die Arena verließ, sah Natane zu der rothaarigen Frau, die während des ganzen Kampfes am Rand der Arena gesessen war, und dabei erstaunlich gelangweilt ausgesehen hatte.

Ein Teil von Natane wollte sich darüber beschweren – immerhin waren ihre Kämpfe nicht langweilig! - doch sie hielt sich zurück.

„Und? Was sagst du?“, fragte sie stattdessen freundlich.

„Du hättest gewinnen können“, erwiderte Ran ausdruckslos.

Natane seufzte.

Sie war ohnehin ratlos, was sie mit der anderen Frau machen sollte.

Es war mittlerweile acht Tage her, dass sie sie gefunden hatte, und mittlerweile war sie wieder auf den Beinen, wenngleich die Joy der Stadt gesagt hatte, dass sie sich noch schonen sollte. Hätte sie nicht darauf bestanden, so wäre Ran wahrscheinlich schon verschwunden, denn selbst sie konnte sehen, dass diese sich unwohl fühlte. Sie rechnete fast damit, dass Ran irgendwann einfach verschwinden würde.

Etwas, das sie an sich wenig stören sollte, immerhin war ihr Haus keine Unterkunft, doch ein Problem gab es dabei: Natane fühlte sich für Ran verantwortlich.

Sie wusste, dass es dafür keinen wirklichen Grund gab – immerhin war Ran eine erwachsene Frau und hatte mit ihr wenig zu tun, aber sie konnte das Gefühl nicht abschütteln, dass es falsch wäre, sie wegzuschicken.

Vielleicht war es auch nur ihre eigene Neugierde, sagte sie sich. Denn sie wusste noch immer nichts über diese Frau, obwohl sie sich sicher war, dass es einiges zu wissen gäbe. Wer war Ran und wie war sie in die alte Villa gekommen? Wo kam sie überhaupt her?

„Wieso meinst du das?“, fragte sie.

„Dein Roserade war noch nicht wirklich besiegt.“ Ran sah sie mit leeren Augen an. „Es war stärker, als sein Gegner. Du hättest gewinnen können.“

Natane zuckte mit den Schultern. „Aber darum geht es nicht.“

„Wie kann es bei einem Kampf um was anderes gehen?“ Bei diesen Worten klang Ran tatsächlich etwas gereizt, wodurch sie mehr Emotionen zeigte, als je in den vergangenen Tagen.

„Du hast nie eine Liga herausgefordert, oder?“, fragte Natane nun und legte den Kopf schief, während sie die andere ansah.

Ran reagierte zuerst nicht auf die Frage, was Natane mittlerweile nicht verwunderte, wenngleich es sie dennoch ärgerte, da sie es nicht mochte, wenn ihre Fragen scheinbar ignoriert wurden. Sie hielt sich jedoch – erneut – zurück und wollte fortfahren, als die andere Frau doch etwas erwiderte. „Nein.“

„Was?“ Überrascht von der Antwort hatte die Arenaleiterin beinahe vergessen, was ihre eigene Frage gewesen war.

Doch Ran sagte nichts mehr.

Als die Überraschung nachließ, kam es Natane wieder in den Sinn. „Ach so.“ Sie grinste etwas und stemmte nun wichtigtuerisch die Hände in die Hüften. „Dann kannst du es natürlich nicht verstehen.“ Mit belehrendem Tonfall fuhr sie fort: „Wir Arenaleiter kämpfen nicht, um zu gewinnen, sondern um die Fähigkeiten der Trainer zu prüfen. Immerhin haben die meisten Trainer, die uns herausfordern, nur wenige Wochen bis hin zu ein paar Monaten Erfahrung. Natürlich sind wir ihnen überlegen. Doch nur, weil wir sie besiegen können, heißt das nicht, dass sie den Orden nicht verdienen. Es geht darum, wie gut ein Trainer seine Pokémon trainiert hat, wie taktisch er denkt und wie schnell er reagiert. Davon machen wir es abhängig, ob sie der Orden und damit am Ende auch der Ligaherausforderung würdig sind.“

Die andere Frau reagierte kaum auf ihre Worte, so dass es nicht einmal deutlich war, ob sie zuhörte.

Sich ein Seufzen verkneifend, sprach Natane weiter: „Daher passen wir das Level der Herausforderung der Erfahrung des Trainers an. Sonst würden diese ohnehin keine Chance haben.“ Bei diesen Worten setzte sie einen äußert zufriedenen Gesichtsausdruck auf. Immerhin war sie schon seit gut vier Jahren Arenaleiterin.

Dabei verdrängte sie den Gedanken daran, dass sie sich am Anfang, in der Zeit kurz nachdem die Arena aufgemacht hatte, des öfteren hatte hinreißen lassen, auch würdige Trainer zu besiegen, da sie es eigentlich nicht mochte, zu verlieren. Doch wer verlor schon gerne?

Als Ran immer noch nicht reagierte, spürte Natane einen kleinen Stich. Sie konnte es wirklich nicht leiden ignoriert zu werden.

„Aber wie kann jemand, der nicht gewinnen kann, würdig für irgendetwas sein?“, fragte Ran mit trotzigem Unterton.

„Weil Stärke und gewinnen nicht unbedingt miteinander zu tun haben“, entgegnete Natane nun etwas ungehalten. „Selbst der stärkste Trainer wird ab und an auch einmal besiegt. Manchmal sogar von jemanden, der Schwächer ist, als er selbst. Ist er deswegen nicht mehr stark?“

Wieder antwortete Ran nicht, doch nun sprachen ihre Augen Bände, auch wenn sie die Arenaleiterin nicht direkt ansah.

„Willst du mir sagen, dass du noch nie einen Kampf verloren hast?“, fragte diese.

Der Ausdruck in Rans Augen wurde noch finsterer und zum ersten Mal, seit sie das Gespräch begonnen hatten, sah sie Natane direkt an.

Für einen Moment schreckte die Arenaleiterin zurück, doch dann war es ihre aufgestaute Wut, die nun die Oberhand gewann. „Du kannst mir nicht erzählen, dass du nie einen Kampf verloren hast. Also wer bist du, dass du darüber urteilen kannst?“

„Das geht dich nichts an!“, erwiderte Ran mit eisiger Stimme.

„Ach ja?“, fuhr Natane sie an. „Darf ich nicht einmal erfahren, wen ich bei mir im Haus unterbringe?“

„Darum habe ich dich nicht gebeten.“ Nun war Rans Stimme bestimmend und ihre Augen kalt, beinahe herablassend.

„Aber...“, setzte die Arenaleiterin an, brach jedoch ab, da ihr klar wurde, dass es kaum etwas gab, was sie wirklich erwidern konnte. Dennoch war sie nicht bereit einfach so nachzugeben. „Wenn du glaubst, so gut darüber urteilen zu können, wieso kämpfst du dann nicht eine Runde gegen mich? Ein eins gegen eins Kampf? Was sagst du?“

Ran, die bisher noch immer auf dem Boden gesessen hatte stand auf. „Ich kämpfe nicht mehr“, sagte sie nur, wobei ihre Stimme wieder vollkommen bar jeder Emotion war. „Nie mehr.“

Ohne auf eine Antwort zu warten ging sie an Natane vorbei und verließ die Arena durch die Eingangstür.

Noch immer wütend sah die Leiterin ihr hinterher, ohne Anstalten zu machen, ihr zu folgen.

Dabei war sie sich nicht einmal wirklich sicher, warum sie genau sauer war. War es, wegen Rans allgemein abweisender Haltung, oder, wegen ihrer Einstellung zu Kämpfen? Natane konnte es nicht genau sagen.

Sie wusste nur das sie sauer war.

War es wirklich zu viel verlangt, etwas zu erfahren? Was konnte daran so schlimm sein? Immerhin wollte sie Ran nicht ausspionieren – sie machte sich nur Sorgen. Denn auch ohne genaueres zu wissen, war ihr klar, dass Ran ihr leid tat. Denn etwas war geschehen, dass diese sehr verletzt hatte und was irgendwie dazu beigetragen, dass sie verletzt in der Villa gelegen war. War es so unverständlich, dass sie mehr wissen wollte?

Doch warum bestand diese Frau so sehr darauf, dass Schwäche gänzliches Versagen bedeutete und nur Sieger stark sein durften? Natane hatte solche Worte des öfteren von erbitterten Trainern gehört – gerade von solchen, die einmal bereits an einer Liga gescheitert waren. Doch wie eine solche kam Ran ihr nicht vor.

Sie seufzte.

Wenn sie ihr jetzt nicht folgte, wurde Ran nicht zurückkommen. Das wusste sie. Und noch immer fühlte sie sich verantwortlich.

„Verdammt“, murmelte sie, sauer auf sich selbst und lief raschen Schrittes los, um ebenfalls die Arena zu verlassen.

Zum Glück konnte Ran nur in eine Richtung gelaufen sein, da die Arena am Ende einer Straße gelegen war. Wenn Natane sich beeilte, würde sie die Frau einholen, denn allzu weit konnte sie noch nicht gekommen sein.

Mit diesem Gedanken fest im Kopf lief sie los, auch wenn sie nicht ganz sicher war, in welche Richtung sie sich am Ende der Straße wenden sollte. Wohin könnte Ran gegangen sein? Zurück in den Wald wohl eher nicht. Doch wohin dann?

Bevor sie sich diese Frage beantworten konnte, prallte sie auf etwas hartes und fiel zu Boden.

„Autsch“, wimmerte sie leise und erkannte erst jetzt, dass sie mit einem wesentlich jüngeren Mädchen von vielleicht zehn oder elf Jahren zusammen gestoßen war, das nun, samt ihres Fahrrads, auf dem Boden lag. „Tut mir leid“, entschuldigte Natane sich sofort.

Das Mädchen, dessen langes Haar mit einem roten Haarband zurückgehalten wurde, reagierte jedoch nicht, sondern sah die Hauptstraße von Hakutai City hinab.

„Alles in Ordnung?“, fragte Natane vorsichtig, während sie sich selbst wieder aufrichtete.

Das Mädchen sah sie mit glasigen Augen an.

„Hey, ist alles in Ordnung mit dir?“ Langsam wurde die Arenaleiterin besorgt.

„Diese Frau...“, begann das Mädchen langsam.

„Hast du etwa Ran gesehen?“, fragte Natane. Sie zögerte. Natürlich konnte das Mädchen nicht wissen, wer Ran war. „Eine Frau. Etwa mein Alter. Lange rote Haare.“

Langsam nickte das Mädchen. „Ja... Rote Haare...“ Für einen Moment schloss es die Augen. „Diese Frau gehörte damals zu den Leuten, die meinen Papa im Kraftwerk festgehalten haben...“

Verwirrt sah Natane das Mädchen an. „Was?“

„Das Kraftwerk im Tal“, erwiderte dieses Geistesabwesend. „Vor drei Jahren haben die Leite vom Ginga-dan es besetzt.“

Langsam nickte die Arenaleiterin. Sie konnte sich noch an den Vorfall mit dem Ginga-dan, das damals von einer Gruppe Trainer und der damaligen Champion Shirona besiegt worden war, erinnern. Und als sie nun darüber nachdachte, kam auch die Erinnerung daran, dass diese ganz zu Anfang, als man noch wenig von ihnen gehört hatte, das Kraftwerk in der Nähe von Sono Town besetzt hatten. „Ja, ich erinnere mich“, erwiderte sie vorsichtig. „Aber... Das Ginga-dan wurde damals besiegt.“

„Sie haben damals meinen Papa entführt und dort gefangen gehalten“, fuhr das Mädchen fort, ohne auf Natanes letzten Einwurf zu achten. „Und diese Frau... Sie... Sie war eine von ihnen. Sie... Sie haben sie damals Mars genannt.“

Das Ende

Es waren tatsächlich nur noch Ruinen von der Ginga-dan Niederlassung in Hakutai City übrig. Damit hatte sie eigentlich gerechnet.

Die Fenster waren eingeschlagen, die Wände hatten teilweise Risse und die oberste Etage fehlte beinahe vollkommen.

Tatsächlich wunderte es sie, dass es niemand abgerissen hatte. Immerhin war Ginga-dan enttarnt und zerschlagen worden. Es war niemand mehr da, der ihren Plan verfolgte. Niemand, der mehr an ihre ehemaligen Ideale glaubte.

Wäre das Gebäude zentraler in der Stadt gelegen, hätte man sich wahrscheinlich bereits drum gekümmert. Doch die ehemalige Niederlassung des Ginga-dan lag am Rand der Stadt und war sogar von einigen Bäumen umgeben, so dass man von der Straße aus wenig von der immer weiter verfallenden Ruine sah.

Auch im Gebäude war nicht mehr fiel übrig, dass auf die Gruppierung schließen ließ.

Einige Schreibtische und Regale standen noch immer da, doch alles, was einen Wert hatte, war entweder schon lange geplündert oder von der internationalen Polizei in Beschlag genommen worden. Die Computer, das Forschungsequipment, ihre Unterlagen... Alles.

Und auch, wenn dies nur eine der unwichtigeren Niederlassungen, kaum mehr als eine Verwaltungsstelle, war, so wusste Mars, dass es auch in ihrer Zentrale in Tobari City nicht anders wäre.

Sie seufzte. An die Wand gelehnt ließ sie sich zu Boden sinken und zog die Beine an ihren Körper heran.

„Und nun?“, fragte sie in den leeren Raum hinein. „Was machst du nun, Ran?“

Ran... Es erschien ihr so lange her, dass sie den Namen zuletzt benutzt hatte, bevor sie hierher gekommen war. Er gehörte zu einem Leben, dass sie hatte vergessen wollen. Doch was anderes blieb ihr nun?

Sie hatte nichts mehr. Gar nichts. Kein Geld, kein Ziel, nicht einmal eine wirkliche Identität. Selbst die Kleider, die sie nun trug, hatte ihr eigentlich diese verrückte Arenaleiterin gegeben.

Einer ihrer Pokébälle öffnete sich und Bunyatto schmiegte sich an ihre Seite.

Sie seufzte und ließ ihre Hand durch das Fell des Pokémon gleiten, das daraufhin zu schnurren begann.

Pokémon waren nur Werkzeuge für das Ginga-dan gewesen. Werkzeuge, um ihr Ziel zu erreichen. Und doch war Bunyatto ihr die Jahre über treu gewesen, ein wirklicher Freund, wenn man so wollte, und sicherlich ihr einziger Freund.

Sie wollten eine neue Welt erschaffen, eine bessere Welt. Doch wie hatten sie sich diese Welt überhaupt vorgestellt?

Besser, sicher, doch auf welche Art? Wie sollte dieses Utopia, das er ihnen Versprochen hatte, aussehen?

Er. Akagi. Der Mann, den sie alle bewundert hatten. Wenn er eine neue, bessere Welt versprach, so hatte man nicht anders gekonnt, als daran zu glauben, dass sie diese neue Welt finden konnten und dass sie besser wäre.

Denn, zumindest da war sie sich sicher, er hatte selbst daran geglaubt. Für diesen Glauben war er gestorben. Für eine Welt, die es nicht gab.

Was hatte er sich von dieser Welt gewünscht?

Das wusste wohl niemand. Sie konnte sich nicht vorstellen, was er sich von so einer Welt wünschen konnte, dass er nicht auch in dieser haben konnte.

Und sie? Was hatte sie sich gewünscht? Als sie damals fortgelaufen war, hatte sie nach einem Neuanfang gesucht, und ihn als Mars gefunden. Doch der Grund, warum sie beim Ginga-dan geblieben war, war er gewesen, Akagi, und die Hoffnung, er würde sie sehen, sie wahrnehmen. Deswegen hatte sie selbst dann nach ihm gesucht, als ihr Plan schon lange gescheitert war und selbst Saturn und Jupiter schon lange aufgegeben hatten.

Warum waren sie dabei gewesen? Sie hatte nie viel über die anderen Commander gewusst.

Einzig bei Pluto, mit dem sie oft hatte zusammenarbeiten müssen, war sie sich sicher, dass er nur nach Macht strebte. Er hätte sich auch mit dieser Welt zufrieden gegeben, hätte er hier Macht erlangen können.

Rötliches Licht fiel seitlich durch eines der Fenster in den Raum. Es war bereits Abend.

Sie seufzte. Am nächsten Tag konnte sie aufbrechen und dann... Sie würde irgendwohin gehen. Wohin war schon lange egal. Denn es gab keine bessere Welt.

Auf einmal richtete Bunyatto sich auf und maunzte.

„Was hast du?“, fragte Ran leise als sie Schritte von der Treppe aus hörte, die vom Erdgeschoss hierher führte.

Schritte, die eindeutig zu einem Menschen gehörten.

Wie konnte das sein? Wer sollte hierher kommen?

Sie spannte sich an, auch wenn sie nicht wirklich etwas machen konnte. Denn laufen konnte sie von hier nicht.

Doch als eine Gestalt an der Treppe zu erkennen war, lief Bunyatto zu dieser hinüber und rieb seinen Kopf am nackten Bein, der Frau, als diese nun den ersten Fuß auf den Boden des Stockwerks setzte.

„Habe ich mir doch gedacht, dass du hier bist“, meinte Natane und sah zu ihr hinüber.

Fassungslos sah Ran sie an. Wie konnte die Arenaleiterin sie hier gefunden haben? Wieso war sie ihr überhaupt gefolgt?

Natane bückte sich nun, um Bunyatto über den Kopf zu streicheln, was dem Pokémon durchaus zu gefallen schien. Dann jedoch wandte es sich wieder ab und lief zu seiner Besitzerin hinüber, die jedoch noch immer nicht genau wusste, was sie tun sollte.

„Was machst du hier?“, fragte sie schließlich vorsichtig.

„Ich habe nach dir gesucht“, erwiderte Natane. „Du bist noch immer nicht ganz gesund, Mars.“ Dabei sah sie zu Ran hinüber, schien ihre Reaktion abzuwarten.

Doch die andere Frau bemühte sich, sich nichts anmerken zu lassen. „Woher weißt du es?“, fragte sie tonlos.

Daraufhin zuckte Natane nur mit den Schultern. „Du bist vorhin an einem Mädchen vorbei gelaufen, das dich erkannt hat.“

Damit hatte Ran – Mars – tatsächlich nicht gerechnet. Nicht daran, dass sie jemand erkannte, nach all der Zeit, die bereits vergangen war und ihre Spuren auf ihr hinterlassen hatte.

Ja, sie war irgendwie sogar tatsächlich überrascht, dass sich überhaupt noch jemand an das Ginga-dan erinnerte, selbst wenn nur drei Jahre vergangen waren.

„Also hast du doch verloren“, fuhr die Arenaleiterin nun fort. „Sogar mehrfach.“

Ran spürte, wie sie wütend wurde, wenngleich sie wusste, dass diese Wut sich viel eher gegen sie selbst richtete, als gegen die Leiterin. „Bist du gekommen, um mir das unter die Nase zu reiben?“

„Nein, ich will dich zur Arena zurückholen.“

„Wieso solltest du?“ Misstrauisch sah Ran sie an.

„Du hast keinen anderen Ort, wo du hingehen kannst, oder?“, erwiderte die Arenaleiterin.

„Und?“

Natane seufzte und ging zu ihr hinüber, ehe sie sich neben sie auf den Boden setzte und in den leeren Raum hinein sah. „Weißt du, ich fühle mich irgendwie für dich verantwortlich.“

Ran sah sie von der Seite an, unsicher, was die andere damit meinte. Sie sagte nichts – denn sie bevorzugte es ihre Gedanken für sich zu behalten.

Derweil kam Bunyatto und schmiegte sich nun an ihre linke Seite, da Natane bereits zu ihrer rechten saß.

„Ich weiß, es klingt verrückt“, fuhr diese nun fort. „Aber andererseits...“ Sie zögerte. „Na ja, ich wüsste nicht, was ich machen würde, wenn ich keinen Ort zum bleiben hätte.“ Für einen Moment schwieg sie, dann lachte sie kurz und trocken auf. „Außerdem wäre es ja meine Schuld, wenn ich dich jetzt gehen lasse, und du dann irgendetwas böses machen würdest, oder?“

Dies fand Ran nicht unbedingt lustig und schwieg daher weiter. Sie wollte nicht hier bleiben, doch genau so wenig gab es einen anderen Ort, an den sie gehen wollte. Dennoch konnte sie die Gedanken der Arenaleiterin nicht wirklich verstehen. „Und was wäre, würde ich deine Arena besetzen?“

Erneut lachte Natane, dieses mal herzlicher. Als sie aufhörte sah sie Ran mit hochgezogenen Augenbrauen an. „Das würdest du nicht machen, oder?“

Ran zuckte nur mit den Schultern. „Wozu auch?“

Sie schwiegen wieder, so dass das einzige Geräusch, was in dem langsam dunkler werdenden Raum, das leise Schnurren Bunyattos war, das Ran abwesend kraulte.

Erneut war es Natane, die nach zwei oder vielleicht auch drei Minuten die Stille brach. „Darf ich dich etwas fragen?“

„Du hast mich schon eine Menge Sachen gefragt“, stellte Ran trocken fest. „Das war nur eine weitere.“

Offenbar für einen Moment sprachlos sah die Arenaleiterin sie an und wurde etwas rot. „Na ja, das mag sein“, gab sie schließlich zu. „Aber du hast nicht geantwortet.“

„Ja.“ Rans Hand strich weiterhin durch das Fell des Pokémon, ohne dass sie dem wirkliche Beachtung schenkte.

Schließlich riss Natane sich zusammen. „Warum hast du... Na ja, warum hast du... Warum hast du die Sachen gemacht?“

Erneut war Rans Antwort ein Schulterzucken. „Einfach so?“

„Das glaube ich nicht.“

Ran sah sie von der Seite an. „Warum nicht?“

Dieses Mal war es tatsächlich die Arenaleiterin, die nicht sofort antwortete. „Ich glaube nicht, dass du ein schlechter Mensch bist... Ich mein... Dein Bunyatto hängt sehr an dir. Ich hätte dich ohne ihm auch nicht gefunden.“

„Vielleicht ist Bunyatto auch einfach ein dummes Pokémon“, antwortete Ran, was dem Pokémon jedoch sofort ein beleidigtes Maunzen entlockte.

Es richtete sich auf und sah sie vorwurfsvoll an.

Wieder lachte Natane. „Ich glaub, da ist es anderer Meinung.“

Ran antwortete wieder nicht, sondern sah nur weiter auf die gegenüberliegende Wand, wo das Skelett eines Regals, dem die einzelnen Bretter fehlten, stand.

„Ich meine, es ist nicht so, als hätte ich damals viel von dieser Sache mitbekommen...“, plapperte die Arenaleiterin nun weiter. „Ich meine... Irgendwie schon ein Armutszeugnis, wenn man bedenkt, dass dieser Stützpunkt direkt in meiner Stadt war und ich auf so etwas hätte achten sollen. Aber eigentlich wusste ich ja von Ginga-dan, nur nicht, dass es irgendwelche Weltherrschaftspläne oder was auch immer gab.“

„Keine Weltherrschaft“, widersprach Ran.

„Was?“ Überrascht sah Natane nun wieder zu ihr.

„Es hatte nichts mit der Weltherrschaft zu tun“, wiederholte die andere ihre Aussage. „Wir...“ Sie zögerte für einen Moment. „Er hat uns eine neue Welt versprochen, eine bessere Welt... Ein Utopia. Dieses Utopia wollten wir erschaffen...“

Er?“, echote Natane.

„Akagi“, erklärte Ran leise. „Er war... Unserer Anführer. Er war... Eine beeindruckende Persönlichkeit, könnte man sagen. Ich glaube, die meisten waren dabei, weil sie ihm geglaubt oder ihn bewundert haben... Dabei hätte er ihnen auch irgendetwas erzählen können... Sie hätten ihm geglaubt.“ Damit endete sie und seufzte leise.

„Und du?“, fragte Natane.

Darauf antwortete die andere Frau nicht. Sie wollte nicht mit jemanden, den sie gerade einmal ein paar Tage kannte, über diese Dinge sprechen, die sie so lange für sich behalten hatte. Stattdessen legte sie ihre Arme um die Beine und zog diese weiter an sich heran, um ihr Kind auf ihre Knie ablegen zu können.

Zu ihrer Überraschung fragte die Arenaleiterin nicht weiter. Sie schwieg sogar vollkommen, blickte nur ab und an zu ihr hinüber.

Draußen schien die Sonne nun untergegangen zu sein, denn das Licht, das nun in das Zimmer fiel, wurde immer schwächer und verlor seine rötliche Farbe.

Schließlich erhob Natane wieder die Stimme. „Ist Ran eigentlich dein richtiger Name?“

Die Angesprochene seufzte noch einmal leise. „Ja.“

„Was ist mit Mars?“

„Das war nur ein Codename“, erwiderte Ran.

„Macht Sinn“, murmelte Natane.

„Es hat mich nur sehr lange niemand mehr Ran genannt“, murmelte die andere Frau, viel eher an sich selbst gewandt, als an die Trainerin neben sich.

Diese schwieg nun selbst. Sie schien zu zögern, dann legte sie jedoch ihre Hand auf Rans Schulter, was offenbar als aufmunternde Geste gemeint war.

Ran wandte den Blick nun ganz von ihr ab. Sie merkte das Tränen in ihre Augen stiegen und sie wollte nicht, dass jemand sie weinen sah. Sie wollte nicht schwach sein.

Eine Sache war ihr klar: Hier zu bleiben, bedeutete endgültig aufzugeben. Und wenn sie aufgab, dann gehörte Ginga-dan wirklich der Vergangenheit an. Wenn sie aufgab, dann war es vorbei – wirklich vorbei. Auch für sie. Dann würde sie sich mit der Endgültigkeit der Dinge abfinden müssen.

Sie konnte nichts mehr ändern.

Sie hatte versagt.

Sie war schwach.

Tränen liefen über ihre Wangen. Sie konnte sie nicht mehr zurückhalten. Angestrengt versuchte sie den Blick von der Arenaleiterin abgewendet zu halten, doch dann stieg ein Schluchzen in ihrer Kehle hoch und auf einmal weinte sie richtig, ohne es verstecken zu können.

Natane sagte dazu nichts, sondern legte nun ihren ganzen Arm auf Rans Schulter.

Und Ran wehrte sich nicht.

Neue Wege

Die Sonne strahlte auf die breite Lichtung mitten im Wald herab.

Mit einem fröhlichen Lachen öffnete Cherrim seine Blätter, als es aus dem Pokéball kam.

„Bunyatto, setz' Schlitzer ein!“

Das Normalpokémon wartete nicht darauf, dass sein Gegner seine Blüte fertig geöffnet hatte, doch dessen Trainerin reagierte schnell.

„Weich aus, Cherrim!“, rief Natane.

Cherrim sprang mit einem Salto Rückwärts und dann in die Luft.

„Setz' Rasierblatt ein!“

Ohne zu zögern setzte das Pokémon der Arenaleiterin die Attacke ein. Blätter schwierten durch die Luft und sausten dann als gefährliche Geschosse auf seinen Gegner hinab.

„Wehr die Attacke mit Schlitzer ab!“, befahl Ran ihrem Pokémon, dessen Klaue daraufhin aufleuchtete, während es versuchte die Blätter abzuwehren, aber nicht verhindern konnte von einigen getroffen zu werden.

„Alles in Ordnung, Bunyatto?“, rief Ran.

Das Pokémon schüttelte sich, maunzte dann aber eine Bestätigung.

Diese Zeit nutzte ihre Gegnerin jedoch. „Cherrim, Solarstrahl!“

Cherrims Blütenblätter leuchteten im Sonnenlicht auf, während es sich noch immer in der Luft befand. Dann leuchtete auch der Kopf des Pokémon auf, ehe es einen Strahl aus purem Sonnenlicht abfeuerte.

„Ruckzuckhieb!“, konterte die andere Trainerin.

Bunyatto tauchte schnell unter der Attacke seines Gegners hinweg, ehe es sich vom Boden abstieß und in die Luft sprang, wo es Cherrim tackelte, so dass auch dieses zu Boden fiel.

„Jetzt setz' Biss ein!“, befahl Ran.

Mit einem leisen Knurren öffnete ihr Pokémon das Maul, doch auch Natane reagierte schnell.

„Lockduft, Cherrim, jetzt!“

Aus den Poren des Pflanzenpokémons strömte ein süßlicher Duft hervor, der Bunyatto wie erstarrt in seiner Bewegung innehalten ließ. Verwirrt und wie in Trance stand es da und reagierte nicht, während sein Gegner sich aufrichtete und mit ein paar Sprüngen Abstand zwischen sie brachte.

„Cherrim, setz' Samenbomben ein!“

Im nächsten Moment flogen Samen durch die Luft, die bei Kontakt mit dem Boden kleine Explosionen erzeugten, und Bunyatto zurückwarfen.

Dieses schüttelte sich nur, richtete sich dann wieder auf, offenbar fest entschlossen weiter zu kämpfen.

„Es reicht für heute, Bunyatto!“, rief Ran ihrem Pokémon zu.

Dieses sah sie irritiert an und protestierte mit einem langgezogenen Maunzen.

Natane lachte. „Bunyatto scheint damit nicht einverstanden zu sein.“

„Sie übertreibt halt gerne“, meinte Ran und ging zu ihrem Pokémon, das sich, wenngleich zuerst zurückhaltend und offenbar schmollend, von ihr kraulen ließ.

Es war nun fast sechs Wochen her, dass Natane die junge Frau in der alten Villa gefunden hatte und seit jenem Tag vor fünf Wochen lebte Ran bei ihr. Tatsächlich überraschte es die Arenaleiterin, dass sie keine Anstalten mehr gemacht hatte davon zu laufen. Ja, langsam hatte sie das Gefühl, dass Ran ihr gegenüber auftaute.

Ab und an lachte sie sogar.

Natane hob ihren Pokéball und rief Cherrim zurück. „Wir trainieren später weiter“, meinte sie zu dem Pokéball, ehe sie ihn an ihrem Gürtel befestigte. Dann ging sie zu Ran hinüber.

Diese sah auf. „Solltest du nicht zur Arena zurück?“

Die Leiterin seufzte. Natürlich war an den Worten Wahres dran, da dies nur ihre „verlängerte Mittagspause“ war, die sie zum Training genutzt hatten – und zu einem Spaziergang, da das Wetter selbst für die Region heute ungewöhnlich gut war. „Ach, ein wenig Zeit haben wir noch“, beschloss sie schließlich. „Wer will außerdem bei so einem Wetter die Arena herausfordern?“

„Trainer, die bei diesem Wetter durch Hakutai City kommen?“, schlug Ran vor und zog eine Augenbraue hoch, woraufhin die Arenaleiterin einen Schmollmund zog.

„Ja, ja, ich weiß“, seufzte sie und zuckte mit den Schultern.

„Komm“, forderte Ran sie nun auf und ging zum Rand der Lichtung vor, während Bunyatto neben ihr her lief.

„Ja, ja...“ Sich streckend folgte auch Natane, die tatsächlich nicht damit rechnete heute noch einmal herausgefordert zu werden. Das mit Abstand schlimmste am Beruf des Arenaleiters war es an Tagen, wie heute, an dem nicht einmal jemand zum Trainieren in die Arena kam, in dieser festzusitzen und auf eventuelle Herausforderer zu warten.

Aber was sollte sie machen?

Doch auf halben Wege zum Waldrand blieb Ran stehen und drehte sich um.

„Was...“, begann Natane, als ihr klar wurde, wo sie sich befanden: Sie standen am Rand der Lichtung, auf der die alte Villa stand.

Ran zögerte. „Ich möchte etwas nachschauen“, meinte sie mit auf einmal wieder distanziertem Blick.

„Warte!“, rief die Arenaleiterin, als die andere Frau den Weg zur verlassenen Ruine einschlug. Sie lief ihr hinterher und griff nach ihrer Hand. „Du willst da nicht hineingehen, oder?“

Mit fragendem Blick drehte sich Ran zu ihr um. „Doch, wieso?“

„Das... Ist gefährlich!“, protestierte Natane.

„Das Gebäude ist doch noch recht stabil“, warf Ran ein.

„Ja, aber...“, begann die Arenaleiterin. „Aber...“ Sie konnte nicht einfach zugeben, dass sie – auch wenn sie nun schon einmal in der Villa gewesen war – es nicht unbedingt drauf anlegte, einen Geist zu treffen.

Doch dies schien ihrem Gegenüber auch ohne, dass sie es aussprach, nun langsam klar zu werden. „Du glaubst doch nicht etwa an die Geistergeschichten, oder?“, fragte sie und schien nun amüsiert zu sein.

„Nein!“, protestierte Natane rasch. Sie konnte nicht vermeiden, dass sie etwas errötete. „Na ja, vielleicht... Etwas...“

Ran schien sich eine spitze Bemerkung dazu zu verkneifen. „Du musst ja nicht mitkommen. Ich will nur etwas nachsehen.“

„Aber was?“

Daraufhin seufzte Ran. „Ich will nur sehen... Ich hatte zumindest noch ein paar Sachen bei mir... Und ich weiß noch immer nicht wirklich, wie ich überhaupt in diese Villa gekommen bin.“ Mit undeutbarem Blick sah sie zu dem verfallenden Gebäude hinüber.

„Ich habe geschaut, glaub mir, immerhin wollte ich wissen, wer du bist“, meinte Natane vorsichtig, „aber da war nichts.“

Ran antwortete ihr nicht.

„Ist es nicht letzten Endes egal, wie du dorthin gekommen bist?“

Daraufhin zuckte die andere Trainerin mit den Schultern. „Wahrscheinlich schon.“ Noch immer war ihr Blick fest auf die Ruine gerichtet, so als könnte diese ihre Fragen beantworten.

Natane sah sie an. Auf einmal kam ihr eine Frage in den Kopf, die sie in den vergangenen Wochen schon oft verdrängt hatte. „Was hast du eigentlich in den letzten drei Jahren gemacht?“ Dabei rechnete sie nicht einmal damit, eine Antwort zu bekommen.

Doch schließlich, nach kurzem Schweigen, erwiderte Ran ihren Blick. „Ich habe ihn gesucht – Akagi.“

„Aber wieso...“, begann Natane, doch da verstand sie.

Ran hatte ihn geliebt. Deswegen war sie ihm gefolgt.

Nun schwieg auch sie, da sie nicht wirklich wusste, was sie dazu sagen sollte.

Derweil wandte sich Ran wieder der Villa zu. „Geister, hmm?“, murmelte sie leise. Sie schloss für einen Moment die Augen und atmete tief durch, ehe sie Natane mit einem schwachen Lächeln ansah. „Lass uns zur Arena zurückgehen.“

Verwirrt zögerte die Arenaleiterin. „J-Ja“, antwortete sie schließlich, als Ran nach ihrem Handgelenk griff und sie von der Villa wegzog.

Natane lächelte still.

Eigentlich war sie froh, dass sie Ran in der Villa gefunden hatte – auch wenn sie es weiterhin vermeiden wollte, diese noch einmal zu vermeiden. Denn tatsächlich war es angenehm, nicht mehr allein mit den Pokémon zu leben. Und außerdem...

Sie ließ ihre Hand in die Rans gleiten und beschleunigte ihren Schritt, die andere Frau hinter sich herziehend. „Wir sollten uns beeilen!“



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Kommentare zu dieser Fanfic (2)

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Von: abgemeldet
2013-08-04T19:42:21+00:00 04.08.2013 21:42
Hallo ;)

Ich habe deine FF gerade in einem Zug durchgelesen und bin sehr angetan davon. Überhaupt die Idee an sich gefällt mir sehr gut, zu sehen oder vielmehr zu lesen, was aus den ehemaligen Team Galactic Kommandern geworden ist, zu denen es meiner Meinung nach allgemein zu wenig (gute) Geschichten gibt.
Mir hat auch deine Darstellung von Mars gefallen und sie kam mir sehr IC vor, besonders diese unterkühlte Distanziertheit als auch ihre Liebe zu Cyrus erschienen mir sehr plausibel. Ebenfalls ihre Vergangenheit vor Team Galactic rundete das Bild von ihr richtig gut ab, ihre Darstellung war sehr plastisch und treffend. Ihre Reflektionen über ihre Ziele und Beweggründe bei Team Galactic verliehen ihr richtig Tiefe.
Besonders gut gefiel mir auch das Gespräch zwischen Mars und Gardenia im 3 Kapitel, was Stärke ist. Allgemein ihre Darstellung als Arenaleiterin kam mir sehr anschaulich und auch realistisch vor. Besonders diese Anspielung, dass man öfters auch mal den ganzen Tag alleine in der Arena rumsitzt fand ich witzig.
Der Schreibstill selbst war auch sehr flüssig und ließ eine gewisse, zur Handlung passende Stimmung aufkommen. Ich muss zugeben, ich habe direkt ein wenig mit Mars mitgefühlt und sie tat mir streckenweiße auch leid.
Das einzige, was mir ein wenig negativ auffiel, war die Verwendung der japanischen Namen für die Pokemon, Städte und Charaktere. Denn ich kenne nur die deutschen Namen und musste dann immer nach den deutschen Begriffen nachschlagen, was den Lesefluss etwas unterbrochen hat. Aber ich muss, fürchte ich, zugeben, dass ich "Bunyatto" auch direkt ansprechender finde als der seltsame, deutsche Name "Shnurgarst".
Zudem fiel mir noch eine kleine Ungereimtheit im vorletzten Absatz des letzten Kapitels auf:

Eigentlich war sie froh, dass sie Ran in der Villa gefunden hatte – auch wenn sie es weiterhin vermeiden wollte, diese noch einmal zu vermeiden.


Alles in allem: eine sehr gelungene Fanfiction!

lg
✖✐✖

Von:  Shizana
2013-04-20T01:36:58+00:00 20.04.2013 03:36
Besser spät als nie, hier nun endlich die langersehnte Auswertung meines Wettbewerbes „Pokémon ist mehr als nur eine Kinderserie!“.
Zu meinem eigenen Erstaunen hat mir deine FF wirklich sehr gut gefallen. Das klingt sicherlich negativer als es gemeint ist, denn du weißt, dass Shoujo Ai nicht unbedingt meine Passion ist. Aber ich muss gestehen, dass dieser Randfaktor überhaupt keinen großen Einfluss auf deine FF hatte, denn sie war von Anfang bis Ende sowohl interessant als auch spannend und in keinem einzigen Punkt zu aufdringlich. Die Idee mit Natane und Mars, Ran, war auf jeden Fall mal etwas Neues: Ziemlich gewagt, aber genau das macht den unwiderstehlichen Charme deiner FF aus. Eine top Arbeit!

Für die Auswertung hast du mit dieser FF 24/26 Punkten erzielt.
Für die gewagte Idee gibt es die volle Punktzahl, auch weil die FF so voller Entwicklung, Wandlungen und Vielfältigkeit ist, dass jedes einzelne Kapitel eine neue Entdeckung darstellte und keine Zeile langweilig war. Womit ich zum zweiten Bewertungspunkt komme, dem Lesespaß, wofür ich dir ebenfalls die volle Punktzahl vergeben habe. Trotz der Länge hast du es bei dieser FF geschafft, dass ich mit Lesen begonnen habe und nicht aufhören konnte, ehe ich komplett fertig war. Es war einfach zu mitreißend!
Auch für den sehr guten und stimmigen Schreibstil gab es die vollen Punkte und für das Einbinden der kleinen Taschenmonster, was ich hier wirklich top fand. Masukippa hat mich im ersten Kapitel wirklich sehr zum Lachen gebracht, vielen herzlichen Dank dafür!
Den Zusatzpunkt hast du einkassiert, da diese FF extra für den Wettbewerb geschrieben wurde.
Abzüge gab es bei der Rechtschreibung. Ich habe mir nicht alles notiert, aber es gab stellenweise kleine Tipp- und Schusselfehler. Die meisten davon wirst du sicherlich selbst entdecken, wenn du dir die FF in aller Ruhe durchliest. Auch Kommata fehlten stellenweise, aber wie gesagt, ich habe mir leider keine Beispiele für den Kommentar zurechtgelegt. Wenn du magst, kann ich mir aber gern noch einmal die Mühe machen.
Trotz alledem fand ich deine FF so packend, erfrischend und berührend, dass ich ihr sehr gern den zweiten Platz vergebe. Und unter uns: Ginge es nach mir, hätte die FF auch gern noch fünf Kapitel mehr haben können, Shoujo Ai hin oder her. ;)

Damit gratuliere ich dir herzlich und bedanke mich für deine Teilnahme an meinem Schreibwettbewerb. Es war mir ein sehr großes Vergnügen!


Liebe Grüße
Shizana


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