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Portrait der Sünde

Eine Geschichte aus Mr. Crawfords Haus im Nebel
von

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10. September

Wie ich befürchtet hatte, verbrachte ich die Nacht auf scheusslichste Art und Weise.

Ich hatte alle Lampen und Kerzen, die ich finden konnte, entzündet um dem Dämon keine Möglichkeit zu geben, sich in den Schatten zu verstecken.

Den Rosenkranz, den mir meine Mutter schenkte, als ich mein Elternhaus verliess, - er war mir beim Versperren der Tür in die Hände gekommen – hielt ich fest umklammert, so dass die Perlen und das kleine, hölzerne Kreuz hässliche Abdrücke auf meinen Handflächen hinterliessen.

Mir war fürchterlich kalt, als sässe ich mitten im Winter ohne Rock und Mantel draussen auf der Strasse und die Stille in meiner Kammer war mir unerträglich, doch jedes Geräusch, welches sie durchbrach, liess mich mit wild klopfendem Herzen aufschrecken, wie ein gehetztes Tier bei der Treibjagd.

In meiner Verzweiflung stimmte ich ein “Ave Maria“ an, doch schon nach wenigen Worten schnürte sich meine Kehle zu, so dass ich nur noch zu einem kläglichen, misstönen Krächzen im Stande war.

Ich wusste, Cherubina war in der Nähe, lauerte, beobachtete mich auf irgendeine Art und Weise, die ein Sterblicher nicht zu verstehen vermag.

Die leere Leinwand ihres Portraits schien mir zu wachsen, mich zu erdrücken, zu verschlingen, wie ein Fenster zu einem unendlichen, weissen Nichts, einem Abgrund ohne Wiederkehr.

Ach, ich muss es loswerden, dessen bin ich sicher.

Ja, ich werde mir eine Droschke kommen lassen, hinunter an die Themse fahren und mich dieser verteufelten Leinwand ein für alle Mal entledigen. Soll der Fluss sie meinetwegen bis nach London spülen! Und vielleicht nimmt die Themse ja auch diesen bösen Geist, die Furie von mir.
 

Ach, wie einfach schien mir doch dieses Vorhaben heute Morgen noch.

Der Kutscher brachte mich also nach Süden zur Folly Bridge und wie erleichtert war ich, festzustellen, dass unsere Fahrt unbehelligt blieb. Keine schattenhaften Geister oder Rachedämonen mit Engelsgesicht verfolgten mich, einzig die kühle Brise, die aufgekommen war, liess mich erschauern, als ich aus der Droschke stieg.

Die Themse lag träge und schmutzig zu meinen Füssen, ein stinkendes, grün-braunes Band, das sich durch die Landschaft schlängelte.

Ich schickte den Kutscher fort und suchte meinen Weg ans Ufer unterhalb der Brücke, niemand sollte mich beobachten, wie ich mein unliebsames Werk loswürde.

Die Leinwand hatte ich, samt Rahmen, in Zeitungspapier verpackt. Mit wilder Entschlossenheit hob ich sie hoch über meinen Kopf, bereit, sie in das dunkle Wasser zu werfen.
 

Und ach, ich konnte es nicht!

All die Stunden, all die Nächte, die ich wie ein Besessener vor dieser Leinwand sass, entschlossen, Cherubinas Schönheit für die Ewigkeit festzuhalten, all die tiefe Liebe, die ich bei jedem Pinselstrich und bei jedem Blick auf das vollendete Werk empfunden hatte, all dies hielt meine Hand zurück, liess mich zögern zu tun, was das Beste für mich gewesen wäre.

Und so liess ich das Paket wieder sinken, sank selbst in mich zusammen, bis ich auf der Erde sass, das Gesicht in meinen Händen vergraben und heisse Tränen weinend, wie ein kleiner Junge, der verloren gegangen war.

Wenn ich’s recht bedenke, werde ich der Welt wohl abhandenkommen, sollte meine Seele Cherubina anheim fallen. Ich bin also kurz davor, tatsächlich verloren zu gehen. Ein Gedanke, der mich schaudern macht.

Ich weiss nicht, wie lange ich unter der Folly Bridge sass und hemmungslos und verzweifelt weinte. Doch plötzlich hörte ich leichte Trippelschritte auf der Brücke. Eigentlich viel zu leise um tatsächlich hörbar sein zu können, hörte ich sie doch klar und deutlich. Sie näherten sich mir langsam, doch unaufhaltsam. Zu dem Gestank von Algen, Fisch und Gott allein weiss, welch anderem Unrat, welcher der Themse entstieg, mischte sich das liebliche Aroma von weissem Flieder, Hyazinth und Jasmin.

Es waren ihr Parfum und ihre Schritte, daran hatte ich keinen Zweifel und die eisige Klaue der Angst packte mein Herz einmal mehr.

Schon sah ich kleine, weisse Füsse die ersten Stufen der Ufertreppe herunterkommen, gefolgt von einem schmutzig-grauen Saum und eh ich’s mich versah, hatte ich die Beine in die Hand genommen, flüchtete Hals über Kopf.

Das Paket mit der Leinwand liess ich achtlos liegen.
 

Erschöpft erreichte ich meine Wohnung, doch wagte ich nicht recht, das Haus zu betreten. Hörte ich da nicht ein leises, kinderhaftes Lachen jenseits der Tür und elfenhaft leichte Trippelschritte auf der Treppe?

Mein Herz sank mir in die Kniekehlen, mit einem mal schien sich alles um mich herum zu drehen und ein unsagbares Grausen ergriff mich, liess mich wie vor Kälte zittern, obwohl mir der Schweiss ausbrach, als hätte ich Fieber.

Konnte es sein? War sie hier? War ich denn nirgend mehr sicher vor dieser Erinnye, diesem fürchterlichen Dämon?

Zitternd tastete ich nach dem Rosenkranz, den ich in meine Manteltasche gesteckt hatte und da traf mich eine kleine Erleuchtung: Nur einen Katzensprung von hier liegt die Kirche des heiligen Aloysius von Gongaza.

Zwar bin ich - obwohl katholisch erzogen - kein gläubiger Mensch und schenkte dem kunstvollsten Gemäuer meiner Nachbarschaft in der Vergangenheit nicht die Aufmerksamkeit, die es wohl verdient hätte, doch nun erscheint es mir als genau der Ort, an den ich gehen muss.

Sicherlich wird man einer armen, geschundenen Seele wie mir Zuflucht bieten und bestimmt weiss der Pater auch, wie mit dämonischen Mächten wie Cherubina zu verfahren ist.
 

Kaum dass ich das Eichentor durchschritten hatte, wusste ich, dass dies die richtige Entscheidung gewesen sein muss.

Die Stille in dem von warmem, beruhigendem Licht in Gold getauchten Mittelschiff war ehrfurchtgebietend. Sie schien aus sich selbst widerzuhallen und dieses unendliche, lautlose Echo nahm meine Furcht von mir.

Das Licht, das durch das grosse Buntglasfenster hinter mir viel und der goldene Schein der Kerzen umgaben mich wie eine schützende Umarmung, beruhigten mein nervöses Gemüt.

Ja, hier war ich sicher vor ihr und für den Moment war alles gut.

Doch zugleich regte sich in einem Winkel meines Verstandes das Wissen, dass dieser friedvolle Zustand nicht ewig andauern, diese Umarmung aus Licht und Ruhe vergehen werde. Mochte ich hier auch für den Augenblick sicher sein, bald müsste ich zurückkehren in diese Hölle, in welche Cherubina mein Leben verwandelt hat.

Aber obwohl dieser Gedanke in all seiner Düsternis und Schwermut einen allzu schroffen Gegensatz zu der hellen und heiligen Umgebung, in der ich mich befand, darstellte, versank ich nicht in Hoffnungslosigkeit, hatte ich armer Narr doch noch immer Vertrauen darauf, hier Hilfe zu finden. Und so schritt ich in diesem eigentümlichen Zustand der hoffnungsvollen Bedrücktheit geradewegs auf den Beichtstuhl zu.
 

“Vater, ich habe gesündigt“, begann ich meine Beichte leise.

“Bekenne dich vor Gott zu deinen Sünden und sie mögen dir vergeben werden“, antwortete der Priester, wie nicht anders zu erwarten war.

“Vor zwei Monaten traf ich in Osney ein schönes, jedoch leichtes Mädchen. Sie war so schön, dass ich sie auf der Stelle heiraten wollte“, erzählte ich dem Pfarrer ein wenig wehmütig, nachdem ich einen Moment lang überlegt hatte, wo ich am besten beginnen sollte, “Doch sie verschmähte meine ewige Liebe! Warf sich lieber jedem, der einen Penny oder zwei übrig hat an den Hals!“

“Und was tatest du, als das Mädchen dich abwies?“, hakte der Pfarrer nach, geduldig und dennoch mit wachsamem Misstrauen.

“Ich konnte es nicht ertragen sie mit jedem anderen Mann teilen zu müssen. Niemand ausser mir sollte sie haben, sie küssen, sie berühren...“ Meine Lippen bebten bei diesen Worten und roter Zorn ergriff mich heiss, wie er es in jener Nacht schon getan hatte.
 

Viktor las den Absatz ein zweites und dann noch ein drittes Mal, doch der Inhalt blieb unverändert.

Von all den unmöglichen, phantastischen Dingen, die er bisher im Tagebuch seines Freundes gelesen hatte, war dies - dies Geständnis einer vollkommen weltlichen und bedauernswert häufigen Tat - mit Abstand das Unmöglichste. Viktor konnte den bitteren Geschmack dieser Ironie fast schon auf der Zunge schmecken.

Natürlich, Lawrence mochte seine Fehler haben, aber er war ein kluger, ehrbarer, junger Mann. Zumindest hatte Viktor das bisher immer geglaubt.

Doch die Worte im Tagebuch des Malers sagten etwas ganz anderes.

Mortimer schüttelte indes nur ungläubig den Kopf.

“Armes Kind...“ Mehr sagte er nicht.
 

Der Pfarrer schwieg während ich meine aufwallende Erregung zu beruhigen suchte.

“Das ist tatsächlich eine äusserst schwere Sünde, mein Sohn“, begann er schliesslich bedächtig und wohl in dem Glauben, ich hätte weiter nichts zu sagen, doch ich unterbrach ihn.

“Das ist nicht alles!“

Und ich erzählte ihm, wie die schöne Dirne mir nicht mehr aus dem Sinne ging, wie ich sie schliesslich malte; nicht so, wie sie in ihrem unwürdigen, ordinären Leben gewesen war, sondern so, wie es hätte sein sollen: Als Prinzessin und Fee von elysischer Schönheit und hoheitsvollem Stolz. Ich beschrieb ihm, wie ich nächtelang wie ein Besessener malte, um Gottes Fehl an diesem bedauernswerten Geschöpf post mortem zu korrigieren, aus der schmutzigen Hure, die schöne, engelsgleiche Cherubina erschuf. Und schliesslich sprach ich von jenem verhängnisvollen Tag, als ich dem Teufel unbedacht meine Seele feilbot, um das Trugbild meiner Malerei auferstehen zu lassen und wie der Teufel diese in kindlicher Unschuld gesprochene Gelegenheit wahrnahm und Cherubina als seine Dienerin nach mir schickte. Ist es wirklich noch keine Woche her? Ach, es scheint mir eine Ewigkeit...

Der Pfarrer hörte mich geduldig zu, doch glaube ich, einen gewissen Unglauben in seinem Schweigen zu erkennen; Ratlosigkeit sprach daraus, als ich geendet hatte.
 

“Der hat vielleicht Nerven...“, murmelte Mortimer, während Viktor gar nicht mehr wusste, was er noch sagen oder denken sollte.

Nicht nur schien Lawrence ein Mörder zu sein, aus seinen Worten sprach auch keinerlei Reue für diese fürchterliche Tat.

Es war offensichtlich, dass Lawrence sich im Recht fühlte, sogar noch von “kindlicher Unschuld“ sprach.

Viktor musste einen Anflug von Übelkeit niederkämpfen, seine Knie fühlten sich an, als wären sie mit Watte gefüllt.

Das war nicht Lawrence, wie er ihn kannte, das war ein Monster, ein widerliches Monster in menschlicher Gestalt und ohne Gewissen.
 

“Das... ist ein äusserst seltsamer Fall“, gab er schliesslich von sich. “Ich fürchte jedoch, mein Sohn, eine bescheidener Priester wie ich, kann in einer solch aussergewöhnlichen Situation kaum Absolution erteilen.“

Er versprach, sich mit dem Bischof in Verbindung zu setzen, so dass mir geholfen werden könne. Ich sollte währenddessen warten, denn hier im Hause Gottes sei ich ja sicher.
 

Es war mein Glück, dass ich durch Zufall hörte, wie er einem Burschen auftrug, die Polizei zu holen. Ganz offensichtlich hielt mich dieser Scharlatan, dieser Betrüger für einen entflohenen Wahnsinnigen.

So floh ich denn aus diesem “Hause Gottes“ und konnte feststellen, dass wenigstens Cherubina mich wohl für den Moment unbehelligt lies.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Stille Leser sind für mich absolut okay, aber falls ihr mir etwas Feedback geben wollt (besonders zu diesem Kapitel) hätte ich nichts dagegen... Komplett anzeigen

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