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Utopia

NaNoWriMo-Arbeit
von

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Prinzipiell war seine große Gestalt von weitreichendem Nutzen, doch manchmal verfluchte Uriel sich selber – insbesondere, wenn er wie eine Insel für Schiffsbrüchige von einer Ecke zur nächsten pendelte und dabei mehr Aufmerksamkeit erregte als ein Leuchtturm mit Discokugel und Stroboskoplichtern. Wobei man hier ganz klar sagen musste: Größe war nicht unbedingt ein Problem, wenn man sich denn annähernd sicher bewegen konnte und genau das war ihm in aller Gnade noch gegeben. Trotzdem: Er fühlte sich einfach nicht wohl bei der ganzen Sache – was nicht verwunderlich war aber das Wunschkonzert „Leben“ hatte sich schon vor Monaten verabschiedet – und das erhöhte die Chancen, letzten Endes doch noch bemerkt zu werden.
 

„Ach verdammte Drecksbiester.“ Und das war der Teil der Zivilisation, denen man noch den Rücken zudrehen konnte. Wobei hier an zwei Punkten gelogen wurde: Erstens würde er diesen Haufen Abschaum unter keinen Umständen als zivilisiert bezeichnen und zweitens traute er ihnen fast genau so wenig wie der dauerhaft unterernährten Plage außerhalb des Sperrgebietes.
 

Um Problemen und einer Kugel im Gesicht zu entgehen hob er die Hände bis zur Höhe seiner Brust, ließ aus dieser sicheren Entfernung ein abfälliges Schnauben hören und zeigte dem auf ihn gerichteten Lauf des Gewehrs, dass er besten Falls noch denken konnte und bitte keinen Wert auf Blei im Hirn legte. Sie nahmen die Waffe weg, blickten ihn aus Alleweltgesichtern an und drehten dann ab, was Uriel stumm zur Kenntnis nahm und dann wieder abdrehte.
 

„Lange können wir hier nicht mehr bleiben“, erklang eine Stimme von etwas weiter unten, gefolgt vom ewigen Dauerschleifen des abgewetzten Baseballschlägers.
 

„Zieh das Ding nicht so umher, er geht kaputt und du gewöhnst dir das an, wenn wir es nicht gebrauchen können.“
 

Das Geräusch stoppte und im Blickfeld des großen Mannes tauchte ein abgenutzter Baseballschläger auf, welchen sein Begleiter sich über die Schulter geworfen hatte.
 

„Ich hab kein Bock mehr auf dieses Umherirren, lass uns endlich einen vernünftigen Unterschlupf suchen und ein paar Tage dort bleiben.“
 

„Super Idee“, kommentierte er bissig, verzog dabei die Mundwinkel.
 

„Sag Bescheid, wenn dir jemand eine Hotelkarte zusteckt und bestell mir gleich was vom Zimmerservice, ich würde dann erst einmal die Sauna austesten.“
 

„Du musst nicht fies werden“, grollte Setsuna zurück und strich durch sein verklebtes Haar; Tage ohne Wasser oder gar Seife hatten einen unwiderstehlichen Schmierfilm gebildet und dem Juckreiz nachgehend fühlte er sich wie ein von Flöhen zerfressener Straßenköter.
 

„Dann bleib realistisch“, antwortete Uriel und blieb letzten Endes nahe einer campierenden Gruppe stehen. Feindseligkeit schlug ihnen entgegen, die fremden Menschen wollten nichts und niemanden in ihrer inzwischen eingeschworenen kleinen Gemeinschaft und notfalls würden sie diesem Wunsch auf Ruhe und Verschwiegenheit mit Waffengewalt nachkommen.
 

„Ob es dir passt oder nicht“, hörte er dann Setsunas Stimme und lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf diesen, welcher sich bedacht locker auf den Baseballschläger stützte „wir haben nichts zu essen, nichts zu trinken und bald auch keine Munition. Wir müssen in die Stadt oder die da hinten um ein paar Dinge erleichtern.“
 

Dabei ruckte er mit dem Kopf in Richtung Trüppchen und ernte gleich einen alles sagenden Blick von seinem zwei-Meter-to-go Gefährten, welcher ohne ein weiteres Wort die Richtung wechselte und nun scheinbar wirklich die Stadt anstrebte. Das war ein Selbstmordkommando und ohne Munition könnten sie sich direkt einäschern, aber die Hoffnung starb ja bekanntlich zuletzt. Oder zuerst, Setsuna verwechselte das Bürschchen immer mit dem Glauben; der eine dankte zumindest direkt zu Beginn ab.
 

„Ich hab mir überlegt“, fing er wieder an und holte Uriel ein, dessen lange Haare von Dreck und Schweiß ebenso verklebt wirkten wie die seinen „dass wir uns mit jemandem zusammentun sollten. Ich meine es läuft doch ganz gut. Wir zwei, die Straße und vor uns die unbegrenzten Möglichkeiten Japans!“
 

„Unbegrenzt bis dir einfällt, dass wir uns auf einer verdammten Insel befinden oder von den Zähnen einer alten Frau zerkaut werden könnten.“
 

„Ach du alter Pessimist. Ich bin froh, dass wir uns gefunden haben“, unterstützte er seine Aussage mit einem Schulterklopfer und legte sich den Schläger über den Nacken, hielt ihn mit beiden Händen fest.
 

„Klingt wie eine schlechte Romanze“, murmelte Uriel und schob sich eine Hand in die Hosentasche, lief unentwegt weiter.

Sie würden es nicht schaffen, in den wenigen, verbleibenden Stunden eine nennenswerte Stadt zu erreichen, das bedeutete für diesen Tag zwar weiteren Hunger, aber vor allem auch einen sicheren Unterschlupf. Man sollte meinen, dass das in Teilen Japans kein Problem sein sollte, aber hinter jedem sicheren Versteck konnten sie schon lauern. Je dunkler und unscheinbarer, desto dramatischer und tödlicher.

Um das Wachehalten kamen sie ohnehin nicht herum und oft vergingen Nächte, in denen sie beide wach blieben. Dafür holten sich ihre Körper den Tribut, wenn der Adrenalinspiegel wieder sank; Tageslicht zu verschwenden wäre allerdings dumm und von diesem Zustand hatte er sich verabschiedet.
 

„Was haben wir denn noch so zu essen?“, holte Setsunas Stimme ihn aus den Gedanken heraus und mehr funktionierend als denkend griff er in seinen Rucksack hinein, zog zwei Äpfel und eine Tüte diverser Süßigkeiten hervor. Die braunen Augen huschten über die karge Auswahl, dann seufzte er übertrieben laut auf und zuckte die Schultern, winkte ab.
 

„Dann morgen.“
 

„Wieso denkst du, werden wir dieses Mal was finden? Wir sind nicht die Einzigen, die Hunger haben. Es wird alles vergriffen sein und wir rennen in unseren Tod.“
 

„Was willst du sonst machen? Kinder schlachten? Vergiss es einer von denen werde ich nicht. Wenn du jagen kannst, beweis es und schieß uns irgendein Tier.“
 

Die Frage war rhetorischer Natur denn das war die wohl einzige Alternative, die ihnen blieb; jagen. Eichhörnchen? Insekten? Klar, im Endeffekt und ohne funktionierende Landwirtschaft würde das zwangsläufig der Fall sein aber die vorhandenen Lebensmittel der Welt sollten doch schon genutzt werden, solange sie verpackt in staubigen Regalen lagen und keinen Abnehmer fanden, da in den Straßen der Städten mehr von ihnen umherstreiften; hier war das Futterpotenzial höher – für beide Seiten.
 

„Ich hätte gerne einen stinknormalen Hamburger von einer Fastfoodkette, eine labbrige Pommes dabei und klebrige Softdrinks – ich steck mir auch Brokkoli in den Mund aber bitte lass es gekocht sein“, drang wieder einmal die Stimme des blonden Jungen an Uriels Ohren, doch mehr als ein müdes Lächeln konnte er nicht erübrigen; das war eigentlich schon absurd genug.
 

-
 

Stumm liefen sie von Häuserecke zu Häuserecke, passierten ausgebrannte Autos und Reste von dem, was einmal menschlich war. Oh sie waren keine von diesen Horrofilmopfern; sie wussten, wie die Dinger hießen, die hier umherliefen. Bisher machte es nämlich jedes Mal den Anschein, als hätte nie jemand dieses Wort je gehört, aber ihre Realität sah anders aus.
 

Zombies.
 

Ein fieses Wort, weil es im Laufe der Jahre durch Spiele, Comics und Festivitäten seinen eigentlich durch und durch schaurigen Reiz verloren hatte, aber sie mussten sich keine andere Bezeichnung ausdenken; Untote, Wanderer, Schlurfer, Schleicher. Es lief doch alles im Endeffekt auf dasselbe hinaus: Offene Brüche, Fleischwunden, fehlende Unterkörper – nichts hinderte diese Viecher, sich genüsslich im nächsten Muskelfleisch zu verbeißen. Dabei lief es in etwa ab wie mit der Tollwut: Nach dem Biss blieb eine kurze Zeitspanne, dann setzten die ersten Symptome ein; Fieber, Krampfanfälle, teilweise Organversagen. Egal wie, der Mensch wurde dahingerafft und auf möglichst effektive Art schnell in den Tod geschickt.
 

Und dann standen sie wieder auf und der Kreislauf setzte sich fort. Nun, Uriel hatte nicht vor, eines dieser Opfer zu werden und so unbedarft sein Begleiter auch sein konnte – ein gezielter Schlag schickte einen u die Ecke hinkenden auf den Boden. Das Problem an ihren leider sehr realen Zombies war, dass sie verdammt schnell laufen konnten und als wirkliches Fastfood zu enden… nein, danke.
 

„Ist frei“, murmelte Uriel und glitt um die nächste Ecke, ließ die Augen schnell über die verschiedenen Schaufenster schweifen. Kleidung, Schmuck, Elektronik und geplünderte Imbissbuden säumten einen Großteil dieser Straße und in der nächsten war es nur noch schlimmer: Bürogebäude. Die Hoffnung auf ein vergessenes Mittagessen hatten sie schon lange aufgegeben, daher konnten sie sich den Weg dorthin direkt ersparen.
 

„Scheiße, echt!“ Setsuna fluchte zwar leise, aber einem Impuls nachgebend trat er den nächstbesten Mülleimer und verursachte damit ein übertrieben lautes Scheppern, auf welches Uriel mit einem schnellen Schlag auf den Hinterkopf reagierte und ihm schließlich mit dem Finger andeutete, dass er nicht mehr ganz gar im Kopf war.

„Zieh dich doch gleich aus und leg dich auf die Straße, wenn du‘s ihnen leichter machen willst!“
 

„Ich hab Hunger, Mann!“
 

„Ja die auch, vergiss das nicht!“
 

Setsuna verzog den Mund zu einer Grimasse, neigte den Kopf dann auf die Seite und schaute in ein zerfleddertes, einsames Gesicht. Kein Unterkiefer, die Augen in ein unnatürliches Gelb getaucht – das war fast schon hübsch, wenn an das ganze verwesende Fleisch und die losen Zähne denn ausblenden konnte. Oh lecker, ein abgerissenes Stück Haut, ja ganz hübsch.
 

„Man warum müssen wir uns anpassen? Wir können den Spieß einfach umdrehen und die jagen!“
 

„Klar, sie haben tierisch Angst vor uns weil… oh warte, stimmt. Haben sie nicht!“
 

Uriel widerstand dem Drang, ihm wieder gegen den Kopf zu schlagen und zog einige Häuser weiter, ehe er ein paar Schritte nach hinten stolperte und sich flach an die Wand drückte, die Augen schloss und genervt von zehn rückwärts zählte; zumindest in Gedanken, aber die Masche kannte Setsuna inzwischen zu Genüge und so schulterte er wieder den Baseballschläger, erhaschte die Augen des etwas Dunkelhäutigeren und blieb erst beim Schütteln seines Kopfes stehen.

Ein vorsichtiger Blick um die Ecke zeigte zwei Gestalten, die sich beide gemeinsam in der Hocke am Boden hielten und in etwas herumzustochern schienen; einem Arm, um ganz genau zu sein.
 

Es war schwer zu sagen, aber Setsuna fühlte sich ertappt, als sich einer der beiden Köpfe dort bewegte und in ihre Richtung schunkelte, dann erhob sich der Dunkelhaarige und wischte sich die Hände an der Hose ab, bekam vom Blonden jedoch schnell ein Tuch entgegen gestreckt, was er kommentarlos annahm.
 

„Na, na, na…“, erklang die Stimme und nun kam auch Uriel wieder hervor, allerdings die Hände schon gehoben.
 

„Wir sind keine von denen“, sprach er, erntete dabei vom Blonden ein fahles Schmunzeln.

Zu einer anderen Zeit könnte das vermutlich ein sehr attraktiver Mann sein, seine Gesichtszüge waren – nicht unähnlich denen Uriels und Setsunas, wenngleich sein Name von hier stammte – eher europäisch und auch die blonden Haare und blauen Augen sprachen für sich, Natürlich sah auch er ungepflegt aus, was jedoch nichts am Gesicht änderte.
 

Der Schwarzhaarige neben ihm hatte kinnlanges Haar und trug erstaunlich traditionelle Kleidung, zumindest den Kimono betreffend. Unpraktisch aber es war nicht ihr Leben, welches im schweren Stoff enden würde.
 

„Nein, sie streiten für gewöhnlich nicht so laut wie ihr, Oder würden es überhaupt in Erwägung ziehen.“ Das sprach der Blonde und erntete damit direkt Setsunas Antipathie, was dieser mit bösen Blicken zu unterstützen versuchte, aber durch Missachtung scheiterte.
 

„Wie viele seid ihr?“, fragte dann der dunkle Kontrast und fixierte dabei ganz offensichtlich Uriel, weil er diesen für den kompetenteren Gesprächspartner hielt.
 

„Nur wir zwei und bei uns ist nichts zu holen, wenn ich dich direkt enttäuschen darf.“
 

„Das hatten wir nicht vor. Ich bin aber der Meinung, dass wir Überlebenden uns nicht noch gegenseitig an die Kehle müssen und deshalb besser in Gruppen reisen sollten. Ja, Raphael, ich bleib dabei.“
 

Den genervten Blick quittierte er mit Gelassenheit, denn auch hier schien es schon öfter zu genau dem Thema gekommen sein.
 

„Und ich denke weiterhin, dass wir so viel zu viel Aufmerksamkeit erregen und besser in kleinen Grüppchen reisen sollten.“
 

„Vier Leute sind ja nun kein Verein – vorausgesetzt, ihr wärt einverstanden.“
 

„Natürlich“, kam es vom Größten im kleinen Trupp, doch sein Gesichtsausdruck verriet etwas vollkommen anderes.
 

„Tut mir Leid aber ihr müsst euch wen anderes suchen, ich sammle keine Invaliden aus Seitenstraßen auf und vertraue ihnen mein Leben an. Außerdem bist du mir suspekt“, richtete er den letzten Satz an den Mann mit Namen Raphael, welcher dadurch irgendwie belustigt schien.
 

„Was hast du zu verlieren außer deinem Leben?“
 

„Nichts und deswegen häng ich auch ziemlich dran, wenn ihr uns jetzt entschuldigen würdet, wir sind auf der Suche nach- “, brach er den Satz dann an, indem ein plötzlicher Ruck ihn direkt nach hinten beförderte. Al er unsanft auf Vollkontakt mit dem Asphalt gegangen war, sah Uriel Setsuna neben sich sitzen, während ihre beiden neuen, kurzfristigen Freunde zu Zombiefutter verarbeitet wurden; zumindest anfänglich, aber das herangeschossene Wesen wurde dann mit erstaunlichem Teamwork zu einer Art Kunstwerk verwandelt.
 

Kopf adé.
 

„Wo kam der denn her“, murmelte der Hüne und kam wieder auf die Beine, zog auch Setsuna wieder auf die Füße und sammelte all seinen heruntergeschluckten Stolz, um ein „Danke“, auf die Zunge zu legen, doch darauf mussten die anderen zwei wohl warten.
 

„Ich hasse dieses Geräusch“, hörte er den bisher noch Unbekannten fluchen und konnte dies nur bestätigen; das Röcheln war prägnant und hatte sie alle zur Angst konditioniert.
 

„Lauft!“, zischte der Blonde und schon schlugen ihre Füße auf den trockenen, verdreckten Asphalt, als hinter ihnen die Hölle losbrach.



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