Er ist talentiert...
Memento Cartellus
Türchen 1: Er ist talentiert...
"Links noch etwas höher... nein, das andere links... Mann Joey, nicht so hoch! Ah, STOPP... ! Tristan, kommst du bitte mal?"
Wie immer hatte Serenity ihre Männer voll im Griff, und während Joey seine besten Verrenkungskünste zur Schau stellte, um Serenitys Lieblingsbild an Ort und Stelle zu halten, bemühte Tristan sich, es halbwegs ordentlich anzuzeichnen.
"Gut, kannst absetzen, Bruderherz"
Das wurde aber auch Zeit, langsam taten ihm die Arme weh, von diesem übertrieben großen Bild.
Zufrieden setzte er sich auf einen Stuhl und sah Tristan beim Bohren zu.
Natürlich musste Serenitys Lieblingsbild verdübelt werden, wie hätte man es auch sonst aufhängen sollen. Joeys Gamingposter dagegen durften ja auf keinen Fall ins Wohnzimmer - gemein so was.
Unbemerkt rollte Joey mit den Augen. Zumindest war es das letzte, was sie an die Wand bringen mussten, dann war ihr Umzug vollbracht. Dauerte nun ja auch schon lang genug.
Zwar stapelten sich hier und da noch leere Kartons, aber die hatte Tristan zugesagt, nachher noch in den Keller zu bringen.
Noch immer war Joey nicht glücklich damit, dass seine süße kleine Schwester mit diesem Idioten ging, doch in Momenten wie diesen zahlte es sich aus. Trinstan war handwerklich recht talentiert und für Umzüge wirklich prima zu gebrauchen.
"Joey, musst du nicht los? Es ist gleich schon zwei..."
"Wuah~" Schnell raffte sich der Blonde auf und stürme zur Tür. "Ihr schafft den Rest, oder?"
Er wartete die Antwort nicht ab und war schon aus dem Haus. Rannte, so schnell er eben konnte zur Straßenbahn, die er noch knapp erwischte.
Da war es endlich soweit und er vergaß die Zeit! Verdammter Mist.
Eine Viertelstunde zu spät traf er am Tierheim ein und wurde direkt von Sylvia begrüßt.
Als Joey noch hier gejobbt hatte, waren sie ein paarmal mitteinander ausgegangen, bis er sich ihr gegenüber geoutet hatte. Das war ein Desaster, ein wirklich grauenhaftes drittes Date, aber nun war er wohl so was wie ihr heimlich-schwuler bester Freund.
Im Zuge ihrer Begrüßung fiel sie ihm wie immer um den Hals, ehe sie ihn praktisch zu den Zwingern schleifte.
"Du bist zu spät, JoJo..."
"Du solltest doch aufhören, mich so zu nennen!", beschwerte er sich halb im Spaß bei ihr. Eigentlich hatte er sich schon längst an den Spitznamen gewöhnt. "Und ja, ich weiß... Serenity hat den Umzug verzögert..." Er grinste schief, kassierte jedoch einen bösen Blick. Die kecke Brünette mochte es nicht, wenn er die Schuld anderen zu schob, aber dieses Mal war es wirklich nicht seine Schuld . Doch, das würde sie ihm ohnehin nicht glauben.
"Hey Frank!"
"Moin Jojo, na? Wieder groß am Flirten?"
"Nicht dieser Name, bitte nicht du auch noch", lachte Joey und begrüßte den anderen mit einem Handschlag.
"Dein Pfannkuchen wartet schon sehnsüchtig", damit zwinkerte Frank ihm zu und ging vor zu den Zwingern. Wo ihn auch direkt ein Hund freudig ankläffte.
Nachdem Frank die Zwingertür geöffnet hatte, kniete Joey sich auf den Boden und klopfte sich auf die Oberschenkel. "Na komm her, Kleiner."
Fast augenblicklich wurde er von dem großen Tier überrannt und bekam das Gesicht abgeleckt.
Es war ein schönes Gefühl, dass da jemand war, der sich so über ihn persönlich freute.
Wackelig stand Joey auf. "Komm mal wieder runter, wir sehen uns ja jetzt öffter", er lachte und strahlte, wie er es lange nicht mehr getan hatte.
Als er seine Sozialstunden hier abgeleistet hatte, hatte er sich in dieses seltsame Vieh verliebt. Pfannkuchen war damals noch ein Welpe, trotzdem wollte ihn niemand. 'Aggressive Tendenzen' hieß es, und diese Bezeichnung kannte er. Sie waren sich ähnlich - Pfannkuchen und Joey. Leider konnte Joey ihn jedoch nicht zu sich nehmen. Dafür lebte er in einem zu schlechten Umfeld.
Trotzdem gehörte Pfannkuchen von Beginn an ihm. Auch nach seinen Pflichtstunden kam Joey so oft wie möglich her, ging mit ihm Gassi, fuhr mit ihm Fahrrad und trainierte ihn wenigstens auf die gängigsten Kommandos.
Und jetzt, da er mit Serenity eine schöne eigene Wohnung bewohnte und direkt neben dem großen Stadtpark lebte, jetzt durfte er ihn haben. Auch wenn Frank angedroht hatte, ab und an zu sehen, ob er ihn auch gut behandelte. Aber damit hatte Joey kein Problem.
Er wusste, dass Pfannkuchen eigentlich kein Anfängerhund war, zumal er nich auch schon drei Jahre alt war. Aber genau das war sein Hund, dieser seltsam aussehende, verpeilte Kläffer. Er liebte ihn.
Jetzt, wo er nicht mehr in diesem alkoholvernebelten Rattenloch lebte, das sein Vater sein Zuhause nannte, konnte ihn außerdem jeder gerne besuchen kommen. Ihn, Serenity und Pfannkuchen.
"Danke Leute... Ich kümmer mich gut um ihn, ich verspreche es!" Sylvia machte eine wegwerfende Handbewegung und sah Joey dann direkt an.
"Wissen wir doch. Soll ich euch nachhause fahren?" Es stand ihr ins Gesicht geschrieben, dass sie noch unter vier Augen mit ihm reden wollte und er würde ihr das sicher nicht abschlagen, denn Sylvia konnte da sehr ungehalten werden. So nickte er nur und nahm Pfannkuchen an die Leine.
"Hast du gehört, Kleiner? Es geht nach Hause…"
Sylvias Wagen parkte direkt vor dem Tierheim, der arme Pfannkuchen wurde in den Kofferraum gesperrt, Joey musste Frank noch versprechen, dennoch ab und an vorbei zu kommen und dann konnte es endlich losgehen. Seine Fahrerin ließ sich nicht viel Zeit, bevor sie mit dem Verhör anfing.
"Und? Umzug gut überstanden?"
"Mhm-" nickend stimmte er zu und beobachtete die Welt außerhalb des Fensters, die nur so an ihnen vorbei zu rasen schien.
Er mochte Autofahrten nicht besonders, vielleicht auch einfach weil er selbst keinen Führerschein hatte; hatte er doch nie die finanziellen Mittel dafür gehabt.
"Lief ganz gut, Tristan war eine große Hilfe, und auch sonst waren einige da. So gings eigentlich recht fix."
"War ER auch da?"
BAAM... Das war wohl der Punkt, den sie von Anfang an hatte ansprechen wollen.
Seufzend schüttelte er den Kopf.
"Nein, Soma hat sich noch immer nicht gemeldet."
"Ach, der ist ein Idiot. Vergiss ihn, du findest einen Besseren! Ach, was sag ich, du findest tausend Bessere ." Von ihrer eigenen Argumentation überzeugt lachte sie auf, aber Joey war da längst nicht mehr so sicher.
"Ich weiß nicht, vielleicht will ich auch gar keine Beziehung mehr... Das ist so anstrengend!"
"Ach, red doch keinen Müll. Wenn ich dir sage, du findest noch den Richtigen, dann ist dem auch so. Mann, du bist gerade mal 20, du wirst doch nicht so früh schon aufgeben!"
"..." Eigentlich wollte Joey etwas erwiedern, aber er war es Leid, darüber nachzudenken.
Jetzt hatte er ja Pfannkuchen und der Kleine reichte ihm vorerst voll und ganz.
"Hier ist es!" Zufrieden deutete Joey auf das gutgepflegte Gebäude an der Straßenecke.
"Sieht echt gut aus. Welcher Stock?"
"Der dritte."
Sie strahlte und wandte sich dann wieder ernst an Joey.
"Wegen deinem Vater, glaubst du echt da-"
"Nein... nein, das Thema kann ich jetzt gar nicht gebrauchen... erst recht nicht vor Serenity, also verkneif es dir, wenn du noch mit hoch willst."
"Gibts da sonst noch was, an das ich mich halten muss?"
Die Frage war zwar ironisch, aber wenn sie schonmal fragte...
"Sprich nicht über... meine sexuelle Orientierung. Serenity weiß zwar Bescheid, aber Tristan und die anderen - falls sie überhaupt mittlerweile wieder da sind - naja... das ist so ein Thema für sich."
Sie nickte verstehend, hatte es längst aufgegeben, ihn überzeugen zu wollen, sich zu outen.
Schließlich war es ihrem Drängen darauf zu verdanken, dass das mit Soma so unglaublich in die Hose ging. Und das tat ihr noch immer Leid, sie fühlte sich schuldig deswegen.
Also schwieg sie, stieg aus und half Joey, Pfannkuchen in sein neues Zuhause einzuführen.
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