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Elfische Weihnachten

Adventskalender 2013
von

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Wärme traf auf Chris' Wange. Ein ungewohntes Gefühl, das ihn zusammenzucken und erkennen lies, dass der Rest seines Körpers von Kälte nahezu taub war. Ein feuchter Lappen strich über sein Gesicht und brachte seine Neugier dazu, den Großteil seiner Müdigkeit abzuschütteln. Irritiert schlug er die Augen auf und blickte in zwei Nüstern, die ihm dampfenden Atem entgegen bliesen.

Chris blickte daran vorbei und erkannte Blitzen, eines der Rentierkühe seines Arbeitgebers, welche ihn aus großen, schwarzen Augen anblickte. Fast hätte er sich eingebildet, sie wäre besorgt, aber diese Viecher waren, wenn überhaupt, nur in Sorge, wo sie etwas zu Fressen herbekommen können. Das Tier trat etwas zurück und schnaubte laut, fast ein wenig ungeduldig. Chris nahm sich einen kurzen Moment das Remtier zu betrachten, während der übergroße Zynismus in ihm die Arme verschränkte und laut Ha! donnerte. Eigentlich war es Blitzen die Zighundertste, aber wer wollte Menschenkindern schon erklären, dass auch fliegende Rentiere nicht viel länger leben als Hunde. Bezüglich der aufrechtzuerhaltenden Lügen, gab es bereits mehrbändige Regelbücher.

Der Kälte überdrüssig, richtete Chris sich auf und sackte sofort wieder in sich zusammen. Stöhnend hielt er seinen Kopf fest und hoffte, dieser möge entweder ganz schnell explodieren oder sich in Luft auflösen. Die Bewegung hat seinen Schädel daran erinnert, dass zu viel Alkohol im Spiel gewesen sein musste und so etwas, naturgemäß, zu schmerzen hat. Sehr vorsichtig nahm er die Hände runter, als er sicher war, dass sein Kopf an Ort und Stelle bleiben würde. Er blickte sich um und sah Blitzens Beine, Schnee, noch mehr Schnee und wenn er den Kopf nach oben drehte jede Menge dunkelblauen Himmel mit leuchtenden Sternen, Galaxien und der ein oder anderen Schnuppe. Seine Kinnlade klappte runter und neben einem Gefühl der Winzigkeit, fragte sich seine Vernunft, wo zum Nordpol er war.
 

"Ich schwöre, das ist mein letztes Weihnachten." Chris stampfte in den Mitarbeiterraum und warf die Tür hinter sich zu. "Ist das zu fassen? Einen Tag vor Heiligabend fällt ihm ein, dass wir mehr Teddybären mit grünen Mützen brauchen." Wütend warf er seine Wichtelmütze auf den Tisch; das Klirren ihrer kleinen Glocke regte ihn nur weiter auf. "Rot oder Grün ist doch völlig egal." Mit verschränkten Armen ließ er sich auf einen freien Stuhl fallen und kochte wütend vor sich hin, bis ihm jemand eine dampfende Tasse vor die Nase stellte. Überrascht blickte er auf und folgte der Hand vom Tisch zu dem Gesicht, dass ihn bis in seine Träume verfolgte. Augenblick verfärbten sich Gesicht und die Spitzen seiner Ohren rot. Er schämte sich, sie nicht sofort bemerkt zu haben und noch viel mehr, dass sie Zeugin seines Wutanfalls gewesen war. Die hübsche Elfe lächelte freundlich und auf dem Weg von Auge zu seinem Hirn, ließen seine Hormone ihr Haar noch goldener, ihre Augen noch strahlender und ihre Figur schlicht perfekt erscheinen. Mary aus Abteilung "Bonbons und Zuckerwaren" ließ sein Herz schneller schlagen, seinen Atem stocken und selbst dieses Irrenhaus wie ein Paradies erscheinen.

"H-hallo, Mary", wisperte er mit trockenem Mund.

"Du packst das schon", erklärte sie mit glockenheller Stimme und brachte ihn dazu, wirklich daran zu glauben, dass alles nicht so schlimm war, immerhin waren es ja noch ein paar Stunden bis Arbeitsschluss.

"Wenn du es schaffst, habe ich etwas auf der Feier für dich."

Chris begriff zuerst nicht und starrte verblüfft auf ihre lächelnden Lippen. Nur langsam sickerten ihre Worte bis zu dem Teil seines Verstandes, der noch nicht vollkommen in einer Hormonwolke vegetierte und löste eine Kettenreaktion aus, die zu einem grenzdebilen Grinsen führte. Darauf hatte er seit dem letzen Weihnachtsfest, seit sie in die Werkstätten gekommen war, gewartet.
 

Der Weihnachtsmann hatte die teils ungesunde Tendenz menschliche Erfindungen und Ideen zu übernehmen - auf diese Art sind seine elfischen Helfer auch zu rot-weißen Ringelstrümpfen und grünen Mützen gekommen. Chris verfluchte die Arbeitskleidung jedes Jahr aufs Neue und im Moment ganz besonders. Seine Körperwärme brachte den Schnee zum Schmelzen und Feuchtigkeit zog sich in die Textilfasern dieser aberwitzig dünnen Klamotten. Man musste wirklich Mensch sein, um auf die Idee zu kommen, dass solche Kleidung in einer Werkstatt am Nordpol angemessen war.

Der Kater fuhr seine Krallen aus, als Chris die Nase hochzog. Er zitterte, fühlte sich aber zu müde und schwach, sich zu erheben und selbst wenn, wieso sollte er zurückkehren. Er fühlte sich wie ein Narr. Sein Blick richtete sich wieder zum Sternenhimmel. Seit er lebte, hatte sich dieser nicht verändert, eine beruhigende Konstante, während seine Gedanken wirbelten.

Er kannte die Hollywoodfilme mit ihren Vorstellungen von einem dicken Mann mit roten Mantel, welches kaum vereinbar war mit seinem Boss, einer Person, welche dermaßen unstrukturiert arbeitete, dass nichts funktionieren würde, wenn die Abteilungsleiter nicht ständig ihre eigene Kompetenz überschreiten würden. Es würde Weihnachten vermutlich sogar nur alle fünf Jahre geben, weil der Weihnachtsmann partout nicht in der Lage war etwas rechtzeitig zu erledigen, aber äußerst angepisst reagierte, wenn man seine Autorität auch nur hypothetisch in Frage stellte und von Urlaubsanträgen hielt er auch nicht viel. Aber feiern konnte er wie kein anderer.

Wenn man die Herzenswünsche der Kunden bereits kannte, bevor diese schlecht lesbare Wunschzettel schickten, war es idiotisch bis zur letzten Minute zu warten. Stichtag war immer der 23. Dezember, damit noch genug Zeit für eine Feier am Abend blieb.
 

Glücklich trank er die heiße Schokolade von Mary. Sie hatte Zimt darüber gestreut, genauso, wie er es mochte. Im Hintergrund lief ein Radio und einige seiner Kollegen summten die Weihnachtssongs mit. Er fühlte sich so leicht und mit sich selber einfach nur zufrieden.

Die Tür zum Hof ging auf und zwischen Schneeflocken und kaltem Wind, trat Christobal ein. Ein auffällig großer Elf mit breiten Schultern, von der Sonne gebräuntem Gesicht, beneidenswert dicker Kleidung aus Rentierfellen und Wolle und einem fröhlichen Gemüt, dass Chris die Galle hochtrieb. Christobal war verantwortlich für die Ausbildung der Rentiere und roch auch dementsprechend. Aus irgendeinem Grund, schien den weiblichen Mitarbeitern dies zu gefallen. Jedesmal wenn dieser zurückgebliebene Naturbursche auftauchte, bekamen die Damen dieses ganz bestimmte Glitzern in den Augen und Eheringe wurden schnellstens versteckt. Großzügig versuchte Chris darüber hinweg zu sehen. Erstens konnte der Rentierwirt nichts dafür, dass er in den Frauen niedere Instinkte weckte und zweitens hatte er auf Mary keinen Einfluss. Diese lächelte den Neuankömmling genauso an, wie jeden anderen auch, freundlich und mehr nicht.

"Du bist echt blöd, taub und blind."

Chris blinzelte und bemerkte erst jetzt die Zeitung gegenüber. Als diese zum Umblättern zusammengelegt wurde, erkannte er Peach aus der Geschenkeabteilung für Bücher. Trotz jahrelanger Bekanntschaft, hatte er ihr nie viel Beachtung geschenkt, obwohl sie in allem hervorstechen musste. Ihre Eltern waren so etwas wie die Beatniks unter den Elfen und in ihrer Rebellion erhielt ihre Tochter einen Namen, der überhaupt nicht in die Gemeinde passen wollte. Ihre Haare waren von einem eher unscheinbaren mittleren Braunton, der mit ihren ebenfalls braunen Augen so gar keinen Kontrast ergab und es nicht lohnen ließ sich ihr durchschnittliches Gesicht zu merken. Nichts an ihr war auffällig, schon gar nicht die eher leise Stimme, wäre da nicht der entsetzliche Sarkasmus, den sie dann und wann durchblitzen ließ. Chris versuchte sie so wenig wie möglich zu beachten, richteten sich viele ihrer Spitzen in den letzten Monaten doch besonders gegen ihn.

Er kommentierte ihre Bemerkung mit einem Knurren und widmete sich seiner Schokolade, während seine Blicke mehr als auffällig Mary verfolgten. Diese scherzte und lachte mit dem Rentierwirt, half ihm sogar aus dem Mantel. Sogar dazu war der tumbe Kerl zu unfähig.
 

Sein flauer Magen rotierte und neben dem Pochen in seinem Kopf kam nun noch Übelkeit dazu. Chris begann zu würgen und schaffte es zweimal die bittere Masse herunterzuschlucken. Beim dritten Mal stieß er zuerst auf, bevor er den Würgereflex nicht mehr unterdrücken konnte. Erbrochenes dampfte im Sternenlicht und erstaunt inspizierte Chris es genauer, als man es in seiner Situation erwarten sollte. Sein Verstand versuchte sich zu erinnern, wann er Laugengebäck gegessen hatte. Ach ja, auf der Weihnachtsfeier.

Er fasste sich an die Stirn. Sie fühlte sich warm und feucht an, obwohl er wusste, dass er eiskalt sein musste. Am liebsten hätte er die Gedanken an die Feier gleich mit erbrochen und danach für immer vergessen.
 

Elfen feiern gern. Wenn sich eine Gelegenheit bietet auf den Tischen zu tanzen, wurde diese sofort ergriffen, fand sich keine, wurde eine geschaffen. Ihre Feierwut war erschreckend, dabei waren sie aber kaum trinkfest. So eine Mischung wurde recht schnell ausgenutzt und nicht unter einen Mistelzweig zu geraten, wurde zu einem Lauf in einem Minenfeld.

Der Weihnachtsmann liebte die Feier. Mit einem Becher Glühwein in der Hand unterhielt er sich mit seinem Sekretär Christer, einem Elfen mit strengem Blick, der selbst in Schnabelschuhen noch Seriosität ausstrahlte. Das Ho! Ho! Ho! des Dicken war selbst über die schiefen Karaokeversuche von "Last Christmas" der Buchhaltung zu hören, genauso wie seine Witze, bei dessen Pointen er sich über den Bart strich. Chris gab ein angewidertes Geräusch von sich, bevor er seinen guten Schluck Schuss mit Punsch seine Kehle hinunterschüttete. Der alte Idiot hatte wirklich gut lachen. Tat das ganze Jahr über so gut wie nichts, außer Terminpläne durch Exzentrik durcheinander zu bringen und ließ sich am Ende als großer Held feiern, bekam die Kekse und die Milch.

Kopfschüttelnd schob er sich weiter und versuchte zwischen den Massen aus Grün und Rot Mary zu entdecken. Stattdessen stieß er zuerst auf Peach, die auch jetzt wie eine graumausige Bibliothekarin in ihrem Strickpulli wirkte, sich aber durchaus angeregt mit den anderen Bücherwürmern aus ihrer Geschenkeabteilung unterhielt. Kurz trafen sich ihre Blicke und Chris stutzte. Es blitzte etwas warnendes in ihren Augen auf, bevor ihr Blick zur anderen Seite des Raumes huschte. Neugierig folgte er diesem und erkannte Mary. Seine Welt erschien plötzlich so hell und warm. Voller Vorfreude kämpfte er sich zu ihr durch. Auf der Hälfte stellte er fest, dass sie unter einem Mistelzweig stand und grinste breit. So eine Chance bekam er nie wieder. Er ignorierte Hände, die ihn an der Schulter berührten, seinen Namen nannten und versuchten ihm zuzuprosten.

Zwei Meter von ihr entfernt bemerkte er Christobal oder eher Christobals Rücken, der Mary verdeckte und ein recht lautes Schmatzen.

Küsse waren toll, waren sie gut, konnten sie einem den Boden unter den Füßen wegziehen. Dieser hier war so gut, dass sogar Chris, als unglücklichem Zuschauer, die Knie weich wurden, wenn auch aus anderen Gründen. Von weit entfernt konnte er sich sogar selber fassungslos wimmern hören. Er spürte nicht einmal die schwere Hand auf seinen Schultern, die ihn wegzog.

"Chris, mein Guter", aus Gewohnheit geborene Reflexe erkannten Weihnachtsmanns Stimme," das war ja alle Arbeit. Christer hat dich sehr gelobt."

Nur sehr langsam kehrten die Sinne zurück. Er hörte schiefes Karaoke, sah, wie sich Christers Lippen bewegten und vernahm den starken Gewürzgeruch von Weihnachtsmanns Glühwein. Sie redeten über das Geschäft, über Planzahlen und das gute Jahr. Chris schluckte bitteren Speichel herunter. Sie konnten über vieles reden, immerhin war heute Nachmittag keiner von ihnen dabei, als sie im Akkord rote Mützen abtrennten und gegen grüne ersetzen, weil grün die Farbe des Jahres war. Als Elf konnte man diese Farbe so richtig hassen lernen.

Der Duft von Zuckerwatte wehte an ihm vorbei, ein unverkennbares Merkmal einer ganz bestimmten Elfin. Auf der Unterlippe kauend, beobachtete er sie. Ihre Wangen waren rot und dieser rentiergestankverbreitende Hinterwäldler hatte seinen Arm um ihre Schulter gelegt. Wütend griff Chris nach Weihnachtsmanns Becher und leerte diesen in einem Zug. Dieser schaute erst erstaunt, dann amüsiert.

"Ho! Ho! Ho! Mein Junge, du scheinst aber Durst zu haben."

Seine schwere Hand fiel auf den Rücken des viel kleineren Elfen und ließ ihn fast nach vorn kippen. Stoisch tolerierte er dieses und die Hitze des Weins in seiner Kehle.
 

Blitzen roch an der Pfütze, die sich in den Schnee gefressen hatte und schnaubte widerwillig, bevor ihre Schnauze gegen Chris' Wange stieß. Er reagierte kaum, auch nicht, als sie wieder an ihm leckte. Möglicherweise konnte sie sich doch Sorgen machen, aber er war sich nicht sicher, was er nun tun sollte. Er hatte wohl ziemlich offensichtlich ein Rentier des Weihnachtsmannes gestohlen und wenn er zurückkehrte, würde er bestenfalls nur gekündigt werden. Was sollte man als arbeitsloser Weihnachtself schon machen? Bei Väterchen Frost anheuern? Immerhin trugen dessen Untergebene winterfeste Kleidung, die zeitlos und nicht lächerlich war.
 

Benebelt merkte Chris kaum, dass sich jemand neben ihn setzte und ihm sein Glas aus der Hand nahm.

"Ich denke, du hattest genug."

Er musste mehrmals blinzeln, bevor er dieses nichtssagende Gesicht von Peach erkannte. Sie schaute ihn kritisch wie fast immer an. Unwirsch versuchte er sie mit einer Hand zu verscheuchen.

"Mach mia geine Vor ... Bfehle!"

Sie hielt seinen Arm fest und kicherte, amüsiert, nicht spottend.

"Ich könnte jetzt sagen, ich habe dich gewarnt." Sie seufzte laut und mitfühlend.

Für einen Moment war er gezähmt und starrte in ihre Augen. Etwas daran interessierte ihn brennend und je mehr er starrte, desto roter wurden ihre Wangen. Schließlich hatte sie genug und schob ihn, mit der Hand in seinem Gesicht, weit von sich.

"Da lief doch schon was seit der letzten Feier oder warum meinst du, kommt er seitdem so oft aus seinem Stall?"

Chris sackte in sich zusammen und stellte sich vorsichtig der Wahrheit. Er fand sich nie wirklich unzureichend. Seine Ohren waren etwas kleiner, als die anderer Elfen, aber gleichmäßig geformt und spitz genug und auch vom Körperbau her fand er sich nicht unattraktiv - nicht übermäßig groß, aber dadurch auch nicht schlaksig und fast konnte man das Sixpack sogar erahnen. Wären da nicht seine Haare die aussahen, wie schlammbesudeltes Rentierfell, hätte er mit seinen blauen Augen durchaus ein sehr attraktives Gesicht gehabt. Mit Genuss hörte er immer wieder, wie die ein oder andere Kollegin ihn als niedlich bezeichnete und doch ...

Mit dem Zeigefinger fuhr er ungeschickt den Becherrand seines Nurnochmitschuss entlang.

"Wasch had er, wasch ich nich hab?"

Peach atmete tief ein und schloss die Augen. Sie wusste, sie konnte aufmunternde Worte lügen, aber weder war ihm damit geholfen, noch hatte sie großartige Lust dazu. Tief saß dieser Stachel, der sie dazu veranlasste die schmerzvolle Wahrheit zu erklären und sich beiden endlich Erleichterung zu verschaffen.

"Er ist nett, witzig, sieht gut aus, hat Manieren, ist höflich und kein Typ, der ständig über alles motzt, jammert, meckert und andere wie Idioten behandelt."

Letztere Worte schrie sie Chris nahezu ins Gesicht. "Im Gegensatz zu dir, ist er Prinz Charming."

Sie war überrascht über ihre Wut, er über ihre Worte. Stumm blickten sie sich an, bis seine Augen anfingen unruhig umherzuwandern. Der Alkohol hatte ihn den Fokus völlig verlieren lassen. Schlagartig stand er auf, stützte seine wankenden Körper auf der Tischplatte ab und starrte auf einen Punkt, den sie nicht erkennen konnte.

"Wennsen Pinschen will, werdsch eina."

"Oh oh!" Noch bevor Peach es schaffte nach seinem Arm zu greifen und ihn vor einer Dummheit zu bewahren, war er hinter der Polonaise der Zuckerwareleute und Sekretäre verschwunden.
 

Die kalte Nachtluft vermochte nur etwas Nüchternheit zurück zu bringen, gerade noch genug, um den Weg zu den Ställen zu finden und ihn daran zu erinnern, warum er Rentiere nicht leiden konnte. Sie stanken und waren nicht sonderlich intelligent. Die Animosität war offensichtlich beiderseitig. Entweder interessierten sich die Tiere gar nicht für ihn oder sie versuchten nach ihm zu schnappen. Nur eines blieb ruhig stehen, kaute Stroh und schien ihn gespannt zu beobachten. Vorsichtig schwankte er näher, so nahe, dass er das Fell der Schnauze an seiner Nasenspitze spürte, als das Tier sich zu ihm herunterbeugte und neugierig schnupperte. Wage erkannte er eine blitzförmige Zeichnung auf der Stirn.
 

Jeder hat ein Ich, das immer dann entfesselt wird, wenn Alkohol im Spiel ist. Bei den meisten ist es dieses streitsuchende Arschloch oder die notgeile Schlampe, bei Chris war es ein Jockey, der problemlos auf den Rücken eines viel größeren Rens klettern und dieses dazu bringen konnte, sich seinem Willen unterzuordnen.

Mit einem lauten Freudenschrei durchbrachen Tier und Reiter die Stalltür und galoppierten über den Hof in den Festsaal hinein. Über den Rest wollte Chris nicht zu viel nachdenken. Er erinnerte sich an viele Gesichter, die ihn fassungslos anstarrten, an Weihnachtsmanns puderrotes Wutgesicht und Mary, die kurz davor schien in Ohnmacht zu fallen. Blitzen schritt weiter und die Anwesenden machten ihr Platz. Chris sammelte sich, straffte die Schultern und versuchte prinzlicher zu wirken, trotz bimmelnder Wichtelmütze. Aus dem Winkel heraus konnte er Peach neben Mary erkennen. Die Brünette versteckte ihr Gesicht in einer Hand und schüttelte den Kopf. Er konnte das "Idiot" förmlich von ihren Lippen ablesen. Mary hingegen wusste gar nicht, wo sie hinschauen oder reagieren sollte, als Chris neben ihr stehen blieb, fast vom Rentierrücken fiel und mit Mühe und Not seine Hand nach ihr ausstreckte.

"Prinscheschin! Binsch g'komm meine fehschpoch ... schugschagte Belohnung scholn."

Mary starrte sehr lange auf ihre Hand, bevor sie begriff. Zögerlich kramte sie in einer Tasche ihrer reich bestickten Schürze und zog eine bunte, gebogene Zuckerstange hervor. Zittrig hielt sie es ihm hin, dessen Grinsen sich immer weiter zu einer bizarren Maske verzogen hatte. Als seine Fingerspitzen seine außerordentlich nichtssagende, enttäuschende und lächerliche Belohnung schon berührten, gab Blitzen ein Schnauben von sich. Kurz tänzelte die Rentierkuh auf der Stelle, bevor sie lossprang und durch die Zuschauerreihen aus dem Saal preschte. Chris klammerte sich an ihren Hals und schrie wie am Spieß um Hilfe.
 

Und nun saß Chris irgendwo im Schnee und wartete auf sein Ende. Es war kalt, er war nass und musste einsehen, dass er von allen dummen Rentieren die Zicke erwischte hatte. Als ob sie wusste, was er dachte, leckte Blitzen an einer seiner Ohrspitzen und schaffte es dieser Wärme wiederzugeben. Genervt versuchte er sie mit Handfuchteln zu verscheuchen.

"Siehst du, wo du uns hingebracht hast?"

Fast konnte er meinen, etwas wie spöttelnde Freude in ihren dunklen Augen erkennen zu können, selbst wenn er wusste, dass dies bei so dummen Tieren unmöglich war.

"Chris?"

Soweit war es schon. Er bildete sich ein, Stimmen zu hören.

"Chris?"

Träge drehte er seinen Kopf und glaubte einen Schatten zu sehen, der sich aus Dunkelheit und nachtblauem Schnee schälte. Immer näher kam der dunkle Fleck, bis es vier Beine und zwei Köpfe und ein Geweih waren.

"Chris?", rief das bizarre Tier erneut nach ihm, während er weiterhin nur da saß und abwartete, ob es ihn fressen würde oder nicht.

Sein Verstand brauchte relativ lange, um zu registrieren, dass sich das Ungetüm geteilt hatte und der zweite Kopf auf ihn zu rannte.

"Meine Güte, Chris, was hast du dir nur gedacht?"

Er spürte Wärme, die gegen ihn prallte und ihn umschloss; Atem in seinem Nacken. Hände rubbelten seinen Rücken auf und ab und versuchten die restliche Wärme in ihm zu mobilisieren.

"Du bist ein Idiot."

"Ah ... du bist es", flüsterte er schwach und schmiegte sich wärmesuchend an Peach.

Eine Weile ließ sie es geschehen, löste sich dann aber doch und versuchte ihn auf die Beine zu ziehen.

"Was hast du dir nur dabei gedacht?"

Er registrierte ihr Schimpfen und suchte eine unfindbare Antwort. Murrend ließ er sich hochziehen, nur um sofort wieder in ihre Umarmung zu fallen. Kurz betrachtete er ihr Gesicht im Sternenlicht, bevor er sich in ihre Halsbeuge schmiegte und jeden Fetzen Wärme suchte, den ihr Körper ausstrahlen konnte. Er fühlte wie die Müdigkeit immer stärker wurde.

"Hey, mach jetzt keinen Scheiß!", zischte sie und versuchte ihn zu den Tieren zu ziehen.

"Du hast Sterne in den Augen", murmelte er an ihren Hals," weißt du das?"

"Und du bist betrunken, dumm und furchtbar peinlich."

Er kicherte, drückte seine tauben Arme an ihren Rücken und zog sie näher an sich. Für einen Moment war es ihm sogar egal, dass er ihr schaden konnte, solange er jegliche ihrer Hitze aufsaugen konnte. Es interessierte ihn nicht, wie sie ihn gefunden hatte oder, dass sie ihn beleidigte, Hauptsache, sie war da, mit ihrem Zimtgeruch, dem halbwegs hübschen Gesicht und all der Wärme, die sie ausstrahlte. Zögerlich erwiderte sie seine tollpatschige und egoistische Zuneigungsbekundung. Chris seufzte zufrieden. Im Moment fühlte er sich beschissen gut.

"Weißt du", begann sie zu flüstern, "du hast ganz schön was angerichtet. Der Alte ist fast explodiert und Christen lief aufgeregt umher, weil du das Rentier ausgerechnet heute entführt hast." Sie kicherte. "Blitzen? Wirklich? Ausgerechnet Blitzen?"

Er murrte. Es war unfair einem Betrunkenen Vorhaltungen zu machen, erst Recht, wenn eintretende Nüchternheit eine düstere Zukunft abzeichneten und dennoch wollte er nur nach Hause.

"Beim Nordpol, das war nun aber wirklich mein letztes Weihnachten."

Sie kicherte erneut, dieses Mal mit einem spöttelnden Unterton. Es war aufbauend und klang fast schon schön in seinen Ohren.

"Habe gehört, der Osterhase stellt noch ein. So eine Oblate und ein Schlückchen Wein, hältst sogar du aus."



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Kunoichi
2013-12-26T19:24:50+00:00 26.12.2013 20:24
Hi, mir hat deine kleine Kalendergeschichte gut gefallen. ^^ Chris kann einem ganz schön leidtun, dass seine Liebe unerwidert bleibt, aber vielleicht klappt es ja mit Peach?
Ich hab einem Moment gebraucht, um zu realisieren, dass die Geschichte zeitlich springt und war etwas verwirrt, aber man kann sie dennoch gut verstehen. Dein Stil ist (wie immer xD) klasse!
Lg und noch frohe Weihnachten!
Kunoichi-X


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