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Wer sagt...

du wärst zu jung für die Liebe?
von

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Wer sagt... du wärst zu jung für die Liebe?


 

Wer sagt ...

du wärst zu jung für die Liebe?
 

Colin Creevey befand sich inmitten des zweiten, großen Krieges, als er starb. Nicht, an einer Krankheit. Und auch nicht, durch den tödlichen Biss Fenir Greybacks. Den Fluch, der ihn während der Schlacht, die auf und um das alte Schloss entbrannt war, traf, hätte er ohne Mühe abwehren können. Doch er war unvorsichtig.

Der muggelstämmige Colin und sein kleiner Bruder Dennis nahmen, trotz der Evakuierungsversuche, aktiv am Geschehen teil. Sie weigerten sich, fortzugehen und wollten Freunden, Familien und nicht zuletzt Harry Potter zur Seite stehen. Doch all der Edelmut war verloren, ebenso wie das Leben des ältesten Bruders.
 

Doch seine Geschichte beginnt hier.

Im Leben, in Frieden.

Doch diese Ruhe, ist nur jene vor dem Sturm.
 

Die helle Morgensonne schien in das Turmzimmer der Jungen. Murrend zog sich Colin die Bettdecke über den Kopf, als wolle er so verhindern, dass der Tag begann. Es war der letzte Tag der Woche, ein freier Tag, den er am schwarzen See verbringen würde, wenn es ihm denn gelinge, sich aus den Federn zu erheben.

Den letzten Sommer hatten er und sein kleiner Bruder Dennis bei den Großeltern verbracht. Beide Jungen mochten die alten Leute, doch in diesem Jahr würde er, hoffentlich, allein sein. Nicht, dass er die Anwesenheit des Jüngeren nicht schätzte, schließlich waren sie eine Familie, doch mit den Jahren war es an der Zeit (für ihn allerhöchste Zeit), sich eine eigene Identität zu schaffen. Nun, dies hatte er unweigerlich getan, nachdem sein großes Idol, Harry Potter, ihm mehr als deutlich zu verstehen gab, dass er seine Begeisterung und seinen Eifer zwar begrüße, Colin selbst aber auf seine eigenen Interessen achten und sich nicht um die Belange von anderen kümmern solle. Jene Worte hatten ihn damals jedoch nicht davon abgehalten, seine Loyalität dem Jungen der überlebte entgegenzubringen. Zwar verfolgte er den Potter-Spross nicht länger mit einer Kamera (dafür war er nun wirklich zu alt), doch er hatte ihm seine Treue bewiesen, indem er für Harry magische Plaketten hatte herstellen wollen, deren Anfertigung aber alles andere als gelungen zu beschreiben war. Er tat sein bestes, trat ohne zu zögern Dumbledores Armee bei und lernte so, wie man sich angemessen im Kampf verteidigte. Flüche, Gegenflüche und Schutzzauber, Deckung, Defensive, Offensive. Methoden, die im späteren Kampf von sehr hoher Wichtigkeit waren. Gierig sog Colin jedes Wort auf, ahmte Bewegungen nach. Sogar ein Patronus-Zauber war ihm gelungen (zu seiner Überraschung erschien ihm sein Beschützer in Tiger-Gestalt, wenn auch etwas verschommen). Allerdings war er nicht mit der Bürde des jungen Mannes behaftet, die Harry Potter zu tragen hatte. In den Büchern würde stehen, dass es ihm, dem Junge der überlebte, gelungen war, die Welt der Zauberer, Hexen und magischen Wesen von der Tyrannei Lord Voldemorts zu befreien, doch über ihn, Colin Creevey, würde man nur lesen, dass er lebte und im Krieg gefallen war. Diese Ereignisse schienen jedoch noch in weiter Ferne zu liegen. Aber die Zukunft rannte unaufhaltsam auf ihn zu, während er noch immer die hellen Strahlen zu verbannen versuchte.
 

Die Nacht, die vom dritten Tage des Juni verscheucht worden war, erschien ihm eindeutig zu kurz. Das schlaffe, mausbraune und mit den Jahren länger gewordene Haar, hing ihm ins hagere, blasse Gesicht. Im letzten Sommer musste er um ein paar Zentimeter gewachsen sein, jedoch nicht viel. Denn noch immer war er dünner und kleiner als der Rest seiner Klassenkameraden. Mit großen, braunen Augen blickte er der Welt entgegen. Neugierig, treuherzig und tapfer. Nicht umsonst hatte ihn der sprechende Hut in das Haus Godric Gryffindors einsortiert. Seinen Mut hatte er bereits oft unter Beweis gestellt. War, in seinem ersten Jahr, einem Balisilisken begegnet, den er, zu seinem Glück, nur durch die Kamera erspäht hatte. Im Laufe seiner Hogwarts-Laufbahn war er versteinert worden, hatte Schellte und Häme in seinem dritten Jahr über sich ergehen lassen und zog sich die eine oder andere Narbe zu, als er sich bei den Übungen der DA zu schützen versuchte.

Ein langes Wundmal zierte seitdem sein linkes Knie, als er einem Fluch nicht mehr rechtzeitig ausweichen konnte und quer durch den Raum der Wünsche katapultiert worden war. Noch immer kribbelte die Narbe, wenn sich das Wetter änderte. Dann hielt er inne, verharrte an Ort und Stelle und horchte der stummen, summenden Warnung. Und während sich der Vormittag meist noch sonnig mit blauem Himmel zeigte, schien die Welt, nur wenige Stunden später, untergehen zu wollen. Durch das Zufügen der Wunde wurde der junge, und ohnehin schon sehr sensible Mann, noch empfänglicher für die Einflüsse seiner Umwelt.
 

An diesem Morgen kribbelte sein linkes Knie. Nun, es war weniger das Knie als die helle Strieme, die sich vom Rest seiner milchigen Haut abhob, und beinahe weiß hervortrat. Vor etwas weniger als vier knappen Monaten hatte er seinen fünfzehnten Geburtstag gefeiert, nicht ahnend, dass er seinen sechzehnten Ehrenen gerade noch erleben würde. Denn nur wenige Tage später wäre er nicht mehr als nur ein Name auf einer langen Liste. Einer Liste, die die Namen jener Krieger trug, die gestorben waren. Doch daran wagte Colin in diesem Augenblick noch nicht einmal zu denken. Zu weit und viel zu fern wären die Tage, die über Sieg und Niederlage entschieden. Und eine Narbe wäre, unabhängig ihrer Form, wohl eher als Nichtig zu betrachten, obwohl man ihm einst sagte, dass Wunden einem Kämpfer mehr Ansehen brachten. Aber Colin war diese Argumentation egal. Das Mal ziepte und kribbelte, doch allein diese Tatsache war es, die ihn seinem Helden ein kleines bisschen näher brachte. Zwar konnte sich der weiße Strich nicht mit der hervorstechenden Form eines Blitzes messen, doch erfüllte ihn allein der Gedanke daran, etwas mit dem großen Harry Potter gemein zu haben, mit Stolz. Doch wenn er, ganz für sich und im Stillen, in sich hinein hörte, so wäre ihm ein Knie, trotz aller Bewunderung und dem Gefühl der Verbunden- und Zugehörigkeit, ohne Narbe lieber gewesen.

Murrend schlug er die Bettdecke zurück, fuhr sich mit beiden Händen durch das wirre Haar und seufzte. Noch schien der dritte Juni viel versprechend warm zu werden, doch der junge Gryffindor wusste es besser. Er erhob sich, setzte beide Füße auf den dunkelroten Läufer und trabte in den angrenzenden Waschraum. Nachdem er sich den Schweiß der letzten Stunden vom Körper gewaschen und die Zähne geputzt hatte, schlüpfte er in die bequeme und legere Kleidung, bestehend aus Jeans und einem Sweatshirt, ehe sich Colin auf den Weg zur großen Halle machte, um sich einen heißen Kakao und eine Schüssel Müsli zu genehmigen.
 

Nur vereinzelte Schüler traf er in dem saalähnlichen Raum an. Die meisten der jungen Leute saßen an der langen Tafel, die dem Haus Ravenclaw zugehörig war. Wissensdurst und Schläue sagte man ihnen nach, doch auch ein paar Hufflepuffs, vermutlich Erstklässler,hatten sich am Haustisch der Dachse eingefunden. Verblüffung zierte sein Gesicht, als er ein Mädchen am Tisch der Löwen Gryffindors bemerkte.

Ally Forrester.

Brünett, mit dunklebraunen Augen, in seinem Jahrgang, in seinem Haus. Seine Klassenkameradin, und beste Freundin. Das, was sie verband, hatte nichts mit der Begeisterung um Harry Potter gemeinsam, im Gegenteil. Nicht, dass Ally den Älteren nicht mochte. Doch sie teilte Colins Obsession auch nicht. Sie empfand den Wirbel um den jungen Zauberer eher als störend und belastend. Sie hatte Mitleid mit Harry, dennoch war auch sie aktives Mitglied der DA. Ally hatte Pflichtbewusstsein, war ebenso Loyal und nichts war ihr mehr verhasst, als Heuchlerei. Sie war gerade heraus und ehrlich und riskierte damit die eine oder andere Freundschaft. Aber auch jemand wie das junge Fräulein konnte, trotz aller Aufrichtigkeit sich selbst und anderen gegenüber, einen kleinen Kreis um sich scharen, dem sie sich anvertraute und dieser schloss auch ihn, Colin Creevey, ein.

„Ally“, eher fragend schoss ihr Name aus seinem Mund hervor. Diese zuckte erschrocken zusammen und sah von der Schale Cornflakes auf, um dem Störenfried einen giftigen Blick entgegen zu schleudern. Colin ließ sich ihr gegenüber auf der Bank nieder, zog ebenfalls ein Prozellanschälchen zu sich und gab etwas Fruchtmüsli hinein. Dem Trockenobst und Korn folgte ein Schwall kalter Milch.

„Du hast mich fast zu Tode erschreckt, Colin“, blaffte sie und schien bereits den Zenit ihrer schlechten Laune erreicht zu haben. Ein Zeichen für ihn, dass es mit ihrer Stimmung also nur noch bergauf gehen konnte. Offenbar hatte sie ebenso schlecht geschlafen, wie er, denn unter ihren schokoladenfarbenen Augen zeigten sich dunkelviolette Ringe. Seine ernste Miene zierte für einen kümmerlichen Moment ein flüchtiges Lächeln. Ally war ein Morgenmensch, und mies gelaunt zu sein, und das auch noch beim Frühstück und an einem Sonntag, wollte so gar nicht zu ihr passen.

„Warum bist du so übellaunig? Die letzte Prüfung haben wir am Donnerstag hinter uns gebracht. Eigentlich können wir uns jetzt auf die faule Haut legen.“, meinte Colin und schaufelte den ersten Löffel Müsli in sich hinein. Während er kaute, schwieg das Mädchen. Ally zog die Nase kraus. Eine Angewohnheit, der sie wohl Zeit ihres Lebens frönte und die sich immer dann zeigte, wenn ihr etwas missfiel. Die Erwähnung der Prüfung musste wohl ausschlaggebend gewesen sein.

Sie seufzte ergeben und schüttelte den Kopf. Ihr Ehrgeiz war wohl, wieder einmal, an allem Schuld, schloss er. Ally wollte, konnte jedoch nicht. Und auch wenn sich mal ein Erfolg abzeichnete, schien sie längst nicht zufrieden.

„Pigheaded Girl“, huschte ihm durch den Kopf, ehe seine Mundwinkel zuckten.

„Was ist so witzig?“, verlangte Ally zu wissen und mochte sich keinen Reim auf jene Gedanken machen, die ihn zum Schmunzeln brachten. „Du bist ein seltsamer, sehr seltsamer Mensch, Colin.“

Ein schnaubender Laut entfloh ihm. Dass sie ihn als seltsam betitelte, war alltäglich. Seltsam gehörte unweigerlich zu ihren Lieblingsworten und war für ihn und seine Ohren, beinahe ebenso Gewohnheit, wie das Kräuseln ihrer Nase. Colin ließ seine Aufmerksamkeit wieder dem Frühstück zukommen.
 

Er reckte und streckte sich im Gehen, während Ally (den Kopf schief gelegt und ihn betrachtend) neben ihm her schritt. Ihre Hände verharrten hinter dem Rücken. Colin mochte diese Art der Körperhaltung, schob sich so der Busen des Mädchens etwas mehr heraus.

„Hör auf, mir auf die Brust zu starren!“, befahl Ally und funkelte ihn wütend an. Offenbar war ihr nicht entgangen, dass er den Blick nicht hatte abwenden können. Ruckartig schwanden die verschränkten Arme und er spürte einen Stich in seinem rechten Oberarm. Sie hatte ihn geboxt. Schmerzvoll.

„Du bist...“, setzte das Mädchen an.

„Seltsam“, eine Augenbraue hob sich fragend und wissen zum mausbraunen Haaransatz.

„Abartig“, grinste Ally und machte einen großen Schritt nach vorn.

„Die Ansicht ist aber auch nicht übel“, murmelte er, doch die junge blieb abrupt stehen und wandte sich zu ihm um. Ally schwieg, doch ihr Blick und der Ausdruck auf ihrem Gesicht verrieten, dass sie seine Worte sehr wohl vernommen hatte.

„Was ist nur mit euch Jungs los?“, fragte sie und schüttelte verständnislos den Kopf, so dass ihre brünette Mähne kurzzeitig aus dem Gleichgewicht geriet. „Seid ihr mit dem Kopf schon in den Ferien?“

„Och“, seufzte er, „ du weißt schon. Hormone, Pubertät, das Übliche.“

Wieder zog sie die Nase kraus, doch es schien, als ob ihr plötzlich ein beißender Geruch entgegen geschlagen war.

„Ach, komm schon, Alls“, lachte Colin und ging an ihr vorüber. „Das war ein Spaß!“

„Ja, ja, ich kenne deine Späße.“, zischte sie und verschränkte die Arme.

„Das macht es auch nicht besser, Alls“, lachte er, „du musst sie vor der Brust verschränken und mich böse anfunkeln, nicht unter der Brust.“

„Du hast also heute gute Laune, Creevey.“, sagte sie und schloss zu ihm auf. Ally hatte es aufgegeben, sich zu winden, um zu verhindern, was sowieso nicht verhindert werden konnte. Sie verfiel in eine Art hüpfenden Gang und schwang die Arme an ihrem Körper vor und zurück. Der Stoff ihrer Bluse spannte sich jedes Mal über ihren Vorbau, wenn sie die Hände nach hinten warf.

„Colin“, eine Warnung schwang in ihrer Stimme mit.

„Dann hör auf damit“, rechtfertigte er sein Tun, ahmte ihre Bewegungen nach, nur um dann stur geradeaus zu blicken.

Während andere Jungen in seinem Alter vielleicht schon eine Freundin hatten, so war es ihm noch nicht vergönnt. Doch auch wenn er sich manchmal fragte, weshalb es ihm noch immer verwehrt blieb, Hand in Hand mit einem Mädchen durch die Flure zu streifen, sagte ein Teil von ihm, dass dafür noch genügend Zeit blieb.
 

„Du willst doch wohl nicht dieses alte Ding mitschleppen?“, fragte sie und beäugte den Apparat in seinen Händen. Geduldig hatte Colin gewartet, bis sie sich endlich für eines der vielen Bücher entschieden hatte, obwohl er nicht begreifen wollte, warum Ally, nach der letzten Prüfung, so sehr nach Wissen dürstete.

„Du hast deine Bücher und ich eben meine Kamera.“, sagte er gleichmütig und zuckte mit den Schultern. „Was hast du dir dieses Mal ausgeliehen?“

Er reckte den Hals, doch Ally wandte ihm schnell ihre Rückansicht zu.

„Was?“, fragte er ungläubig. „Etwa kein Fachbuch? Ich dachte, dass Pince nichts anderes dort lagert als geballtes Wissen.“

„Spar dir deinen Spott!“, knurrte sie und verbarg noch immer das Buch.

„Ein Liebesroman?“, riet Colin und bemerkte den Ruck, der ihr durch den Körper gefahren war.

„Zu deiner Verblüffung, nein.“, zischte Ally und ergab sich seufzend.

„Mark Twain?“, nun war er es, der den Kopf schief legte. „Ich kenne nur The Prince and the Pauper. Hast du nicht neulich erst „Der Zauberer von OZ“ gelesen?“

Ally nickte begeistert, doch dann stutzte sie. „Das ist aber nicht von Twain, du Banause! Das hat Lyman Frank Baum geschrieben.“

„Und das da... ist ziemlich... dünn. Seit wann haben wir in der Biliothek Muggelwerke?“, Colin deutete auf das magere Heft, welches sich als ein Zitatband zu erkennen gab. Doch nicht nur Mark Twain schien darin vertreten. Auch andere Meister von Wort und Schrift waren dort verewigt und versammelt. Ally zuckte mit den Schultern, ehe sie verschämt zur Seite blickte.

„Ich habe Madam Pince gefragt, ob es möglich wäre, auch ein paar Raritäten und Bände hier unterzubringen, die von nicht magisch-begabten Leuten geschrieben wurden. Sie war zwar erst etwas skeptisch und mürrisch, doch letztendlich hat sie sich dazu bereit erklärt. ´Auch wenn vielleicht nicht jeder Schüler seine Nase in diese Art von Büchern steckt, so wird es wenigstens eine Schülerin sein, die sich im Stande sieht, Magie zu erkennen, wenn sie vorhanden ist.´ - So in etwa hat sie sich ausgedrückt.“, erklärte Ally und die Röte auf ihren Wangen mischte sich mit einem Glitzern, das ihre Augen zum Funkeln brachte.

„Hm“, gab er murrend von sich. „Und du glaubst, dass sich noch andere dazu hinreißen lassen, Bücher von Muggeln zu lesen?“

„Ist mir egal“, gab Ally zurück, hob die Schultern und ließ sie wieder sinken, „Hauptsache, ich habe etwas davon.“

Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, wandte sie sich zum Gehen, ehe Colin ihr, mit dem alten Fotoapparat um den Hals, folgte.
 

Der Morgentau verweilte noch auf den grünen Halmen, doch die warmen Strahlen der Sonne würden alsbald dafür sorgen, dass man sich gefahrlos auf den Wiesen niederlassen konnte, ohne eine Lungenentzündung zu riskieren, so kurz vor den Sommerferien. Noch war die Luft von einer Frische erfüllt, die den Atem in kleinen Wölkchen emporsteigen ließ. Colin rieb die Hände aneinander, doch er wollte auf keinen Fall wieder zurück ins Schlossinnere. Sein Ziel, wie schon beim Aufwachen, war der Schwarze See, in dessen Tiefen der sagenumwobene Kraken, sowie die Wassermenschen lebten. Mit Spannung, die ihm bis zum Halse schlug, hatte er damals das Trimagische Turnier verfolgt und seinem Idol die Daumen gehalten. Das Ende dieser Spiele war jedoch in Trauer, Entsetzen, Furcht und Tod gemündet.

„Colin?“, er wandte sich der Stimme zu, die ihn gerufen hatte. Der ernste Ausdruck auf seinem Gesicht schwand, wenn auch nur für den Hauch einer Sekunde. Wieder begann sein Knie zu kribbeln, ehe er seinen Blick abschirmte und die Umgebung zu erkennen versuchte. Nebel lag wie ein Schleier auf der platschenden Oberfläche des Sees. Träge schwappte das Wasser ans Ufer, als befände sich der See selbst noch in seinem wohlverdienten Schlaf.

Colin vernahm, wie Ally neben ihm tief Luft holte, ehe sie die Augen schloss und den Duft des Morgens in ihre Lungen sog. Sie reckte sich der Sonne entgegen und trat, unbeirrt und nicht wissend wohin sie lief, einen Schritt vor den anderen. Die Arme, links und rechts von sich gestreckt, hüpfte sie wie ein Frosch in Richtung Strand. Das Gras wich Stück für Stück den vielen, unzähligen Körnern des Sandes. Mit einem wohligen Seufzen ließ sich das Mädchen am Strand nieder, legte das Heft auf ihren Schenkeln ab und ließ sich auf den Rücken fallend im feuchten, dunklen, beinahe schwarz-schimmernden Sand nieder.

„Das Wetter scheint schön zu werden“, sagte sie und genoss die Wärme des Feuerballs, der Millionen Kilometer entfernt oben am Himmel leuchtete. Colin jedoch schnaubte nur, wusste er doch, dass sich das Mädchen neben ihm irrte. „Du scheinst da anderer Meinung zu sein, Creevey.“

„Ich habe da meinen eigenen Radar“, sagte er nur und ließ sich neben ihr nieder.

Friedlich und ruhig hatte der Tag seine Fühler ausgestreckt. Er lauschte dem Klang der Wellen, die sich am Ufer brachen und schwappend wieder fort gespült wurden. Colin schlang den Riemen der Kamera von seinem Hals und hielt das Objektiv auf das Mädchen gerichtet, ehe ein klickender Laut erklang.

„Colin“, warnte Ally ihn erneut. „Ich mag keine Fotos.“

„Weil du glaubst, darauf wie ein Frosch auszusehen?“, sein Lachen quittierte sie mit dem Heben einer dunklen Augenbraue, sich selbst jedoch noch immer, durch die geschlossenen Lider, von der Umwelt abschirmend. Wieder ertönt ein Klicken und das Mädchen setzte sich auf. Doch das Interesse des jungen Mannes war längst nicht mehr auf sie gerichtet.

Colin fing den wabernden Nebel ein, der sich über den See erstreckte, die Vögel, die in aller Frühe ihre Lieder anstimmten und es gelang ihm sogar, einen Marienkäfer auf ein Foto zu bannen, der sich durch das Gras zwängte.

„Bekomme ich davon einen Abzug, natürlich, wenn es nicht verwackelt ist?“, fragte sie und deutete auf das kleine Insekt.

„Mit dieser Kamera verwackelt nichts.“, sagte Colin bestimmend.

„Und wenn es verschwommen ist?“, hakte Ally nach und erntete nur einen überheblichen Blick.

„Auch das wird nicht passieren.“, erklärte er und richtete abermals das Objektiv auf das Mädchen und drückte den Auslöser.

„Und, willst du immer noch einen Abzug?“, neckte Colin und seine Lippen kräuselten sich zu einem Grinsen.

„Nein“, sagte die junge Gryffindor entschieden, „davon auf gar keinen Fall. Und ein Bild von Potter will ich auch nicht!“

„Von Harry ist kein einziges Bild auf diesem Film“, bemerkte er und verzog entrüstet das Gesicht. Dass er ihr die Wahrheit erzählte, würde er nur bestätigen können, indem er die Fotos entwickeln ließ, doch noch hatte er Zeit, zu knipsen, was ihm wertvoll erschien. Wieder schoss er ein Foto von Ally, die die Nase kraus zog.

„Wehe dir, Colin Oswald Creevey, ich sehe darauf wirklich aus wie ein Frosch!“, zischte sie und ließ sich wieder in den Sand fallen.

„Ich kann dir nichts versprechen und selbst mit magischer Bearbeitung kann ich für nichts garantieren.“, ein Lachen, das selten geworden war, erfüllte den Morgen und Ally konnte sich nicht erinnern, ihren, oft vor Trübsinn vergehenden, Freund so selig, beinahe sorglos, erlebt zu haben.
 

„Weißt du, was Mark Twain einmal gesagt hat?“, fragte Ally, als sie in dem kleinen, dünnen Büchlein las, ihren Zeigefinger befeuchtete und die nächste Seite umschlug. Colin schielte zu ihr auf und zuckte, so gut es ihm möglich war, mit den Schultern. Er lag auf dem Rücken und hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, während sich das Mädchen aufgesetzt und die Knie bis unter ihr Kinn zogen hatte.

Gib jedem Tag die Chance der Schönste deines Lebens zu werden.“, zitierte sie den Autor, der einer der wenigen war, der ihr gefiel.

„Na dann hoffe ich mal, dass ich noch ein paar schöne Tage erleben werde.“, merkte er an und ignorierte den bösen Blick, mit dem sie ihn bedachte.

„Hör auf, mich zu verspotten!“, zischte Ally und wandte sich der nächsten Lebensweisheit zu.

„Ich verspottete dich doch nicht, nur Mark Twain.“, sagte Colin, ehe sich sein Mund zu einem schiefen Lächeln verbog.

„Du Bergtroll. Wie kann man nur so unsensibel sein? Kulturbanause.“, doch statt des nötigen Ernstes, schwang Belustigung in ihrer Rüge mit. „Denk doch wenigstens ein bisschen darüber nach.“

Colin nahm ihr Angebot an, auch wenn ihm, in diesem Moment, nicht danach war.

Die Sonne, die aufgegangen und bereits hoch oben am Himmel stand, der See, der kühl und friedlich vor ihm lag. Die Prüfungen, die er hinter sich gebracht hatte und das Mädchen, das neben ihm saß. Bestimmt gab es die schwärzesten Tage und düstere Stunden und noch unheilvollere Minuten. Doch dieser Tag war einer der wenigen, für die es sich lohnte, am Leben zu sein und er musste, ob er wollte oder nicht, Mark Twain beipflichten.

Und obschon sich wenige Augenblicke später ein Schwall Regenwasser über ihre Köpfe ergoss, beide, nass bis auf die Knochen, zum Schloss zurückrannten und Ally sorgsam darauf bedacht war, dass das seltene Werk nicht beschädigt wurde, in dem sie es schützenden unter ihrer durchnässten Bluse zu retten versuchte, empfand Colin jenen Moment als lebenswert.



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