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Yoyogi

Tsuzuku & Meto
von

Vorwort zu diesem Kapitel:
Update 22.12.2016: Kapitel geringfügig bearbeitet. Komplett anzeigen

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Harajuku

Er saß jeden Samstag hier, in einem kleinen Café in der Nähe des Yoyogi-Parks, trank eine Tasse Kaffee und beobachtete die Menschen, die auf dem Weg in den Park vorbeizogen, bunt und kreativ gekleidet ihr Wochenende in dieser grünen Lunge Tokyos und im angrenzenden Harajuku verbrachten. Lolita, Decora, Oshare Kei … er kannte die Namen vieler dieser Modestile, trug er doch selbst Kleidung, die sich zum Visual Kei zählen ließ.

Oft ging er, wenn er seinen Kaffee ausgetrunken, ein kleines Stück Kuchen gegessen und beides bezahlt hatte, noch auf ein paar Schritte in den Park, mischte sich unter die pastellfarben bis schwarz gekleideten Jugendlichen und beobachtete, wie sie auf dem Rasen picknickten, sich unterhielten, Fotos machten und selbst fotografiert wurden.

Auch heute ging er nach dem Cafébesuch in den Park, setzte sich auf eine Bank unter die grünen Kirschbäume und richtete den Blick zuerst einmal auf eine recht große Gruppe Sweet Lolitas, die sich in ihren teuren Kleidern auf einer großen Decke niedergelassen hatten und gerade Kekse und Teeflaschen aus ihren Rollkoffern holten. Es war ihm unmöglich, das Alter der Mädchen zu erkennen, sie sahen in ihren mit kindlichen Motiven geschmückten, bauschigen Röcken alle wie siebzehn aus.

Eine Weile beobachtete er sie einfach nur. Ein Stück weiter hinten hatte sich eine Gruppe Bangya um einen knorrigen Kirschbaum geschart und zwei aus dieser Gruppe waren in die niedrige Gabelung des Stamms geklettert, um sich in dieser Pose fotografieren zu lassen.

Zwischen diesen beiden so unterschiedlichen Gruppen war eine freie Fläche und etwa eine Viertelstunde, nachdem Tsuzuku sich auf die Parkbank gesetzt und mit seiner allsamstäglichen Beobachtung begonnen hatte, erschien am Rand der Wiese eine Gothic Lolita mit Sonnenschirm, die quer über den Rasen spazierte und schließlich genau zwischen den Sweet Lolitas und den Bangya ganz für sich allein eine kleine Decke ausbreitete, sich setzte und begann, ihre Tasche auszupacken. Fast schien es so, als könnte sich dieses Mädchen nicht entscheiden, ob sie in ihrem schwarzen Rüschenkleid zu den dunkel gestylten Visual Bangya oder doch zu den zuckersüßen Lolitas gehörte. Sie schien jedoch für sich allein bleiben zu wollen, passte hier nicht und dort nicht, schien auch nicht passen zu wollen.

Und genau dieses ‚Nicht-passen-wollen‘ war es, das Tsuzukus Interesse weckte. Weil es ihm bekannt vorkam, sehr bekannt. Weil er das von sich selbst kannte. Auch er kleidete sich gern aufwändig, gehörte jedoch zu keiner Gruppe. Er beobachtete Menschen lieber, als sich ihnen anzuschließen. Jeder soziale Kontakt bedeutete Stress für ihn, doch genauso sehr hatte er Angst vor dem Alleinsein. Deshalb hatte er sich diese Beobachtungen von Menschen angewöhnt, als eine Art Mittelweg, der ihn jedoch nur zum Teil zufriedenstellte. Er war ein Mensch-für-sich-allein, der sich nirgends wirklich zugehörig fühlte. Doch jeder sehnt sich nach sozialem Kontakt, da bildete er keine Ausnahme.

Diese Lolita da auf der Wiese drückte Tsuzukus Gefühle so deutlich aus, dass es fast einem Spiegel gleichkam: Er hier allein auf der Bank, sie dort drüben genauso allein auf ihrer Decke.

Er konzentrierte seinen Blick nun vollkommen auf dieses Mädchen, prägte sich ihr Aussehen ein, alles was er aus dieser Entfernung erkennen konnte: Sie hatte hellblond gefärbtes Haar, zu kinnlangen Korkenzieherlocken aufgedreht und mit einer großen, schwarzen Schleife mitten auf dem Kopf geschmückt. Unter dem schwarzen Trägerkleid trug sie eine schwarze Bluse mit langen Ärmeln (trotz der Frühlingswärme) und sogar Handschuhe aus schwarzer Spitze. Ihren dunklen Sonnenschirm hatte sie neben sich liegen, genau wie die ebenso schwarze Handtasche, deren Inhalt auf der Decke ausgebreitet war: Eine kleine Kosmetiktasche, ein paar Kleinigkeiten, ein Handy, ein Buch mit Stift und ein flauschiger, schokoladenbrauner Teddybär.

Irgendwann stand das Mädchen auf, strich seinen Glockenrock glatt und zog die klobigen Plateauschuhe aus. Als sie sich wieder setzte, nahm sie ihren Teddy in die Hände und es sah aus, als würde sie mit ihm sprechen. Durch das Geschnatter der Sweet Lolitas konnte Tsuzuku jedoch keinen Ton hören, geschweige denn etwas verstehen.

Eine Weile saß er einfach da und beobachtete diese Gothic Lolita, die seine Blicke zunächst noch nicht bemerkte. Sie faszinierte ihn einfach unheimlich, sodass er sich beinahe schon wie ein Stalker vorkam. Sein erster Eindruck von Ähnlichkeit blieb, da sie auch weiterhin so nicht-passend und auf dieselbe Art allein wirkte wie er.

Doch dann blickte sie von ihrem Teddy auf, sah sich um und ihr Blick blieb an ihm hängen. Zum ersten Mal sah er ihre Augen: Riesige, dunkle Augen! Sie trug große, schwarze Sclera-Kontaktlinsen, dazu lange Kunstwimpern unter den Augen, und links und rechts auf den Wangenknochen schimmerte etwas metallisch im Sonnenlicht. Ihr Mund war breit, die Lippen voll und mit glitzernden Piercings geschmückt.

„Sie hat mich gesehen“, dachte er nur, während ihn die großen dunklen Augen unentwegt anstarrten. Sofort bekam er ein schlechtes Gewissen. Es war unhöflich, jemanden so zu beobachten.

Sie packte ihre Sachen zusammen, stand auf und ihm fiel etwas auf, das er vorhin, als sie den Yoyogi-Park betreten hatte, noch nicht bemerkt hatte. Er konnte nicht genau sagen, was es war, doch die Art, wie sie ihre Schuhe anzog und dann (ach du Schreck!) langsam auf ihn zu kam, war ungewöhnlich. Irgendetwas daran passte nicht so recht zu dem wippenden Petticoat und den hohen Plateauschuhen. Eine Kleinigkeit, die Tsuzuku noch nicht definieren konnte.

Das Mädchen ging in großem Bogen um die Gruppe Sweet Lolitas herum, erreichte den Parkweg und blieb in einiger Entfernung von Tsuzuku stehen, den Teddybären mit einem Arm an sich gedrückt, in der anderen Hand den zusammengeklappten Sonnenschirm. Sie starrte ihn weiter an, doch er konnte ihr kaum in die Augen sehen. Deshalb blickte er auf ihr Kleid und bemerkte, dass ihr Oberkörper flach, sehr flach war. Das war es! In diesem Kleid steckte kein Mädchen, sondern ein Junge!

Der Junge bemerkte seinen Blick, starrte ihn noch einmal stumm an, drehte sich dann um und lief mit eiligen Schritten davon.

Tsuzuku blieb noch eine Weile sitzen, dann stand er auf und ging in Richtung der großen Brücke davon. Er hoffte, in der Menge derer, die sich dort fotografieren ließen, den weiblich gekleideten Jungen vielleicht noch einmal zu entdecken, doch als er dort entlangging und sich dabei genau umsah, war auch hier keine Spur von dem schwarzen Kleid und dem Teddybären zu sehen.

„Vielleicht kommt er morgen wieder“, hoffte er und machte sich auf den Weg nach Hause.


Nachwort zu diesem Kapitel:
Je nach dem, wie ich Zeit habe, wird jetzt öfter mal ein Kapitel bearbeitet werden. Komplett anzeigen

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Kommentare zu diesem Kapitel (6)

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Von:  Sas-_-
2015-01-10T14:19:56+00:00 10.01.2015 15:19

Liebes Haru :D Ich hab keine Ahnung von der Band, ich hab noch viel weniger Ahnung von den Band-Mitgliedern und den Park, den kenne ich eigentlich auch nicht :DDD Aber ich hab entschieden, um erst mal das erste Kap zu lesen, ist das auch gar nicht notwendig :] Du weißt ja, dass ich vor allem hier auf den formalen Fortschritt achte, aber natürlich interessiert mich hier trotzdem die Charakterentwicklung der Protagonisten, die kann ich ja wahrnehmen, ohne genau zu wissen, um wen es hier geht.

Cover & Beschreibung:

Das Cover hast du sehr schön ausgewählt, es enthält genau die zwei Dinge, um die es in deiner FF vorangig auch geht; nämlich zwei Personen, die in einem Park spazieren gehen. Das vermittelt für mich, nur auf den ersten Blick, zumindest ein schönes Bild.
Die Beschreibung fand ich inhaltlich und von der Gestaltung her auch sehr passend. Es umreißt knapp um was es in deiner Geschichte gehen soll, ich hab nicht zu viel, aber auch nicht zu wenig Information, außerdem ist es schön gegliedert und formatiert. Das ist zumindest mein persönlicher Eindruck.

Schreibstil, Rechtschreibung, Grammatik:

Haken wir mal Rechtschreibung und Grammatik ab, da halten sich ja deine Fehler zurzeit sowieso so stark in Grenzen, dass das für mich als Leser hier nicht ins Gewicht fällt. Wichtig wäre diese Kategorie für mich ja nur dann, wenn jemand wirklich so viele Fehler hätte, dass sie den Lesefluss stören würden. Das ist bei dir, für mich persönlich, nicht mehr der Fall (oder war es eigentlich nie wirklich) und das freut mich sehr :]
Dein Schreibstil hat sich für mich in dieser Geschichte wieder gewandelt und zwar durchweg zum positiven! Es hat sich einfach alles so gut gelesen, Beschreibungen, Beschreibungen der Charaktere (das hatte ich dir im Chat schon mal erzählt), dass gerade letzterer Teil so schön in die FF eingebaut wurde, dass man das sehr gern gelesen hat und sich nicht gedacht hat: "Oh nee, jetzt kommt ein Absatz, wo unnötig die Klamotte beschrieben wird" nein, gar nicht, das hat einfach wunderbar gepasst.
Setting als auch Stimmungen der Charaktere sind auch sehr gut beschrieben worden, immer so, dass ich für mich als Leser ein Bild im Kopf hatte, und das ist ja Ziel des Ganzen. Es wurde auch so viel außenrum beschrieben, um den Hauptprotagonisten, das hat mir besonders gefallen; dass ich nicht ein vages Setting habe und weiß, okay, der Chara sitzt auf einer Bank, sondern auch, was um ihm herum passiert.
Gelesen hat sich so also alles sehr flüssig, es greifen alle Elemente ineinander, und das ist für mich (natürlich besonders für dich) doch ein voller Erfolg! Allein von diesem Standpunkt aus also einfach top :]

Charaktere:

Wie gesagt, keine Ahnung wer die zwei eigentlich sind :DDD Aber seis drum, lassen wir das mal beiseite. Tsuzuku: ein zurückgezogener Charakter, der den Kontakt zu Menschen meidet und trotzdem braucht. Jeder von uns kennt das, man möchte allein sein und eigentlich doch nicht. Für mich authentisch beschrieben wurde, wie Tsuzuku sich fühlt, warum er sich so fühlt und wie er, aufgrund dieser Stimmung handelt. Was ich hier so gut fand war, dass du den personisierten Erzählstil gewählt hast und vor allem dabei geblieben bist! Ich hatte einen sehr guten Einblick in den Charakter, das ist zumindest mein Eindruck, auch, wie er die Welt aus seiner Sicht sieht und begreift ist für mich schön umgesetzt worden.
Meto an sich ist ja nur "gesehen" worden, dafür achtet Tsuzuku sehr genau darauf, wie Meto reagiert, was er tut, wie er es tut ... Für mich war das auch wichtig, weil es Tsuzuku wichtig war, und damit meine bzw. seine Geschichte. Auch hier ist die Umsetzung gut gelungen und ich habe, genau wie der Hauptcharakter selbst, sehr gern zugesehen. Alles hier hatte etwas leicht skurriles und doch nachvollziehbares. Das fand ich neu und interessant :D

Fazit:

Ob ich die FF wirklich weiterlese, kann ich leider nicht sagen und auch nicht versprechen. Ich kann aber sagen, dass dieses Kapitel bestimmt viele Leser zum Weiterlesen animiert, weil das ein sehr guter Einstieg war, von dem ich natürlich hoffe, dass der Rest der Geschichte dieses Niveau halten kann.
Schreibstil, Charaktere, Atmosphäre; alles hat für mich gepasst und war sehr schön zu lesen, Kritik habe ich selbst keine, gäbe es welche an den Charakteren, das kann ich nicht sagen, mir haben sie so gefallen. Was Schreibstil, Beschreibungen und Setting betrifft, da gibt es von meiner Seite nichts, was ich beanstanden würde.
Ich kann, aus meiner Erfahrung, die ich mit dir gemacht habe, sagen, dass du dich wesentlich verbessert hast, mir gefällt jedenfalls wie du schreibst (das kann ja jeder anders sehen) und auch wie du beschreibst :] Von daher, ein sehr schöner Auftakt in dieser FF, well done :D

LG
Sas-_-
Antwort von: Harulein
10.01.2015 15:27
Ich würde jetzt gerne ausführlicher antworten, weil du dir solche Mühe gegeben hast, aber mir fällt ganz ehrlich nicht viel ein. Du hast mir wieder ein supertolles, hilfreiches Review geschrieben, das ich bei der Arbeit an dieser Fanfic gut gebrauchen kann. Dafür vielen Dank. ^^
Dazu, dass ich mich verbessert habe, kann ich nur sagen, dass sich meine Art, an Geschichten zu arbeiten, mit einem bestimmten Ereignis im Frühsommer sehr verändert hat und du hier das Ergebnis siehst.

lg
Haru
Von:  sim123355
2014-10-24T06:53:09+00:00 24.10.2014 08:53
Total spannend und super geschrieben**--**
Ich werde die FF bis zum Ende lesen♥
Antwort von: Harulein
24.10.2014 13:14
Dankeschön! ^^
Von: abgemeldet
2014-09-17T11:39:02+00:00 17.09.2014 13:39
Interessanter Anfang.^^
Gefällt mir super gut.^^

Werde mal weider lesen. ^^

Lg^^
Antwort von: Harulein
17.09.2014 17:35
Wuhu, neue Leser! *-*
Von: Futuhiro
2014-08-01T17:46:57+00:00 01.08.2014 19:46
Puh, wortgewaltig. Der Schreibstil ist anspruchsvoll, das find ich super. So hohes Niveau liest man hier selten.
Ich recherchiere gerade etwas intensiver über Tsuzukus Borderline-Diagnose und finde hier im ersten Kapitel schon etliche Anzeichen davon wieder. Wird das Thema im Laufe der FF noch Relevanz bekommen? Ich bin echt gespannt worauf das hier hinauslaufen.
Und - damn, yeay - endlich mal eine J-Rock-FF ohne Shonen-Ai! Allein dafür ist sie es schon wert gelesen zu werden. ^^
Antwort von: Harulein
01.08.2014 19:52
Wow, danke fürs Kompliment. ^^

Also, zum Thema Borderline wird es hier nicht so direkt werdeb. Ich weiß noch zu wenig über diese Krankheit, als dass ich darüber gut schreiben könnte und deshalb hat Tsuzukus Verhalten hier einen etwas anderen Grund, dem ich im weiteren Verlauf ein ganzes Kapitel gewidmet habe.

lg
Haru

Antwort von: Futuhiro
01.08.2014 19:58
Klingt auch gut, ich bin gespannt. Ich bin dann mal fleißig am Weiterlesen. ^^ (hab die FF ja schon lang genug auf Favo, um sie wiederzufinden, nun hab ich auch endlich mal Zeit zu lesen)
Von:  Tesla
2014-05-10T05:56:40+00:00 10.05.2014 07:56
Ein süßer Anfang. Ich hab ein bisschen Angst weiter zulesen weil oben Drama dran steht und ich nicht gerne heule. Aber der Anfang ist so schön das ich das Risiko eingehen will und die Story auf fav. Setze. Hoffe es geht bald weiter.

lg Tesla
Antwort von: Harulein
10.05.2014 14:05
Keine Panik, so schnell wird's nicht sehr dramatisch. ^^ Drama steht da vor allem, weil ich die FF ja irgendwie zuordnen musste und das noch am ehesten passend klingt.
Danke fürs Kommentieren ^^
lg
Haru


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