Adjö Förbi
In der Abenddämmerung konnte man im schwachen Licht der Straßenlaternen eine Silhouette eines Jungen erkennen, der mit Tüten unter den Armen die Straße entlang eilte. Schwarze Wolken schmückten den Himmel und verfinsterten das Land schneller, als die Sonne ganz am Horizont verschwinden konnte. Die ersten Regentropfen suchten ihren Weg zur Erde, bis aus ein paar Tropfen ganze Eimer wurden. Das Geräusch von Schritten, die in Pfützen traten und das von prasselnden Regentropfen, umhüllte die schwach beleuchtete Umgebung.
Eben noch Sonnenschein und nun strömender Regen. Das war ja mal wieder typisch. Gerade, als ich den Laden verlassen hatte, musste es ja anfangen zu regnen. Das Glück stand mal wieder auf meiner Seite wie sonst auch immer, aber egal. Mein Name ist Lasse Nyberg und wie man vielleicht erahnen kann, kommt mein Name aus dem schwedischen und ich bin überraschender Weise auch einer, aber kein Alter, damit das gleich klar ist. Mit meiner Mutter und meinen großen Bruder, bewohnen wir ein kleines Haus am Rande eines Waldes, was sich am Ende dieser Straße befindet, auf der ich schon die ganze Zeit vor dem strömenden Regen fliehe. In der Nähe unseres Hauses befindet sich ein kleines Dorf namens Skövde, was euch vermutlich nicht bekannt vorkommt. Es ist eine ziemlich heruntergekommene Gegend, aber das hat irgendwie auch seinen ganz eigenen Scharm.
In nicht weiter Ferne, konnte man schon ein kleines rotes Haus erkennen und die beleuchteten Fenster. Aus dem Schornstein, stieg ein leichter Rauch in den Himmel, der vom Winde verweht wurde. Meine Kleidung triefte schon förmlich vom Regenwasser und meine blonden Haare klebten mir im Nacken, so wie an der Stirn. An sich habe ich nichts gegen Regentage, aber nur wenn ich in meinem Bett liege und mich den Geräuschen hingeben kann. Nicht wenn er mich bis auf die Knochen durchnässt. Am Gartentor angekommen, verharrte ich für einen Moment, als aus dem Inneren des Hauses Schreie zuhören waren und Gegenstände zu Bruch gingen. Was war denn da los? Leicht panisch rannte ich zur Tür und lauschte noch einmal. Die Tüten lagen einfach auf der Wiese, weil ich sie durch meine panische Reaktion einfach fallen gelassen habe. Den Türknauf schon in der Hand verharrte ich abermals, da ein unbekanntes Geräusch an meine Ohren dringt. Die Schreie kamen eindeutig von meiner Mutter, aber das andere war für mich undefinierbar. Das ist kein Mensch. Vorsichtig öffnete ich die Tür, um einen Blick ins Innere erhaschen zu können. Meine Augen weiteten sich, als sich mir der Raum offenbarte. Meine Mutter lag am Boden und schlug mit einer Pfanne um sich, um die Angriffe des Gegners abzublocken. Ihr Gegner war aber kein Mensch, sondern ein Tier. Ein riesiger Fellknäul befand sich über meiner Mutter und schnappte immer wieder nach Ihr.
„Mutter!“ rief ich leicht panisch und wollte gerade ansetzen ihr zu helfen, als sich das Tier plötzlich auf mich konzentrierte. Erst jetzt konnte ich feststellen um was es sich bei dem Tier handelte. Die Geräusche von vorhin, kamen von dem Tier vor mir. Mit großen gelben Augen wurde ich betrachtet. Ein sehr großer Wolf stand mit fletschenden Zähnen vor mir, aber dieser hier sah nicht aus, wie die anderen Wölfe, die man hier ab und zu zu Gesicht bekam. Dieser war eindeutig zu groß, für die lebende Rasse in dieser Gegend. Instinktiv ging ich einen Schritt zurück um kurz danach die Haustür in meinen Rücken zu spüren. Sollte ich fliehen? Nein, ich konnte meine Mutter nicht alleine mit diesen Biest zurück lassen.
Vor wenigen Augenblicken, lag in dem Blick des Tieres, eine enorme Wut und Aggression, aber jetzt war davon nichts mehr zu sehen. Wenn man die Augen genauer betrachtete, könnte man denken, dass nun etwas von Vergebung in ihnen lag. Warum kam mir dieser Blick nur so bekannt vor?
Mutter! Erst jetzt bemerkte ich, dass Sie aufgestanden war und sich langsam dem Wolf näherte. Mit der Pfanne ausholend schlug Sie den Wolf nieder, der mit einem leisen Winseln zu Boden krachte.
Verblüfft sah ich zuerst das Tier und dann meine Mutter an, die sich mir ein paar Schritte genähert hat, sodass ich ihr direkt in die Augen sehen konnte. Es lag ein merkwürdiges Schweigen in der Luft, so wie der leichte Geruch von Blut, dass aus der Wunde des Wolfes ran. ‚Ist er Tod‘?, fragte ich mich selbst.
„Lasse, du musst verschwinden. Flieh zu deiner Tante nach Kurina und sag ihr, dass es soweit ist.“, sagte sie mit einer Stimme die keine Widerrede duldete, was ich auch nicht tat, da ich durch diese Erkenntnis zu schockiert war, um irgendwas zu sagen.
Warum sollte ich fliehen? Meine Mutter verschwand für einen Moment im Wohnzimmer, um kurz danach mit einen Rucksack vor mir wieder aufzutauchen. Mein Körper fühlte sich noch immer nicht in der Lage, irgendetwas zu sagen. Den Rucksack nur unbewusst in die Hand nehmend, gingen meine Mutter und ich vor die Tür und standen nun im Regen. Noch immer verstand ich nicht ganz, weswegen ich fliehen musste. Das was in unserem Haus lag, war eindeutig nicht normal, also warum sollte ich meine Mutter damit alleine lassen. Vorhin kam mir auch der Gedanke zu fliehen, aber das meine eigene Mutter, dass nun wirklich von mir verlangte, wollte mir einfach nicht in den Sinn kommen. Aus irgendeinen Grund, kam mir das bewusstlose Tier auch sehr vertraut vor, weswegen ich auf keinen Fall jetzt gehen wollte. Jetzt, wo sich mein Bewusstsein wieder in meinen Kopf ausbreitete, schlug ich vor Wut den Arm von meiner Mutter, den sie schützend über meine Schultern gelegt hatte beiseite und sah sie mit funkelnden Augen an. Wie konnte sie bitte so etwas verlangen? In solch einer Situation.
„Nein Mutter, ich bleibe. Das dort hinten ist nicht normal“ brüllte ich sie fast an, da der Regen meine Worte teilweise verschluckte und zeigte mit meiner Hand zum Haus. Sie folgte meiner Hand und ließ langsam den Kopf zu Boden sinken. Es tat mir jetzt schon fast leid, meine Mutter so angeschrien zu haben, da es sonst nicht meine Art war, laut zu werden. Wie sagte sie immer so schön. Mein Bruder ist das impulsive Feuer und ich das stille Wasser. Irgendwie war es merkwürdig. Vorhin war mein Bruder noch zuhause, aber wenn man ihn brauchte war er immer verschwunden.
In meine Gedanken versunken merkte ich nicht, dass sich meine Mutter zu mir umdrehte und mich in Richtung Gartentor schubste. Leider verlor ich das Gleichgewicht, stolperte über eine Wurzel eines Baumes und fiel ungebremst auf den Boden. Meinen Hintern noch immer reibend ging meine Mutter wieder Richtung Haus.
„Lasse, du bist für mich gestorben. Vergiss das alle hier, hast du verstanden?“ sagte sie in einen ernsten Ton, verschwand im Haus und schloss die Tür. Verwirrt saß ich auf den Boden und sah ihr nach. ‚Das ist nicht meine Mutter!‘, ging es mir durch den Kopf und ich lief zwei Schritte auf das Haus zu. Ein Geräusch einer Waffe, ließ mich in der Bewegung verharren. Eine Person stand am Fenster und richtete unser Jagdgewehr in der Hand genau auf mich.
„Verschwinde, oder ich muss dich töten“ Angst und noch mehr Verwirrung machten sich in mir breit, aber ich befolgte die Anweisung und verließ das Grundstück mit kleinen Schritten. Was sollte das denn? Erst soll ich fliehen, dann bin ich für sie gestorben und nun wollte Sie mich sogar umbringen, da kann irgendwas nicht stimmen. Das ist nicht meine Mutter, aber warum verhält sie sich auf einmal so merkwürdig, und was ist jetzt mit dem Wolf? Der Regen prasselte weiterhin auf die Erde, sowie auf mein Haupt nieder. Gewittergrollen unterspielte den Regen und perfektionierte somit eine unheimliche Nacht, die übers Land zog.
Klatschnass erreichte ich irgendwann die Bushaltestelle und stieg in den letzten Bus Richtung Norden. In der hinteren Reihe, setzte ich mich ans Fenster, trocknete meine Haare, so gut es ging mit meinen Pullover ab, setzte mir meine Kopfhörer auf, lauschte der Musik und beobachtete die trübe Umgebung. Zwischen den Wolken, lugte manchmal der leuchtende Vollmond hervor. Fließendes Wasser an der Scheibe, ließ die äußere Umgebung verschwimmen und manchmal wenn ein Blitz die Umgebung erhellte, glitzerten die Tropfen des Regens wie Diamanten.
Klare Gedanken konnte ich nicht fassen, weswegen mir nichts anderes übrig blieb, als mich irgendwie abzulenken. Den Rucksack öffnend, durchsuchte ich ihn nach irgendetwas, was vielleicht Ablenkung verschaffen könnte. Fand aber nichts anderes, als eine Wasserflasche, trockene Kleidung, Hygieneutensilien und einen Brief der noch nicht geöffnet wurde. Einen neuen, trockenen Pullover anziehend, nahm ich auch den Brief aus der Tasche. Nach mehrmaligem Wenden des Briefes erkannte ich, dass der für mich bestimmt war. Warum hat mir den vorher keiner gegeben? Der Brief besaß keinen Absender oder eine Briefmarke. Daraus konnte ich nur schließen, dass dieser persönlich abgeholt oder gebracht worden sein musste. Vorsichtig den Brief öffnend, löste sich eine graue Staubwolke die etwas glitzerte und mich einhüllte. Was war das? Nach vergeblichen davontreiben des Staubes, legte dieser sich und machte nun den Blick frei für den wahren Inhalt: Geld. Meine Augen weiteten sich, als mir bewusst wurde, wie viel Geld sich in dem Umschlag befand. Obwohl es Euro waren und keine Kronen, hatten sie einen großen Wert. Jedoch breitete sich nun eine andere Frage in meinem Kopf aus. Warum fuhr ich nochmal zu meiner Tante?
Kyrkogård sorg
Zwei Wochen später...
„Vergiss nachher nicht, die Post aus dem Briefkasten zu holen“ rief eine weibliche Stimme einen blondhaarigen Jungen hinterher, der gerade durch eine Haustür auf den Bürgersteig trat.
„Ja Tante...“ erwiderte der Junge, verdrehte die Augen und ließ die Tür hinter sich ins Schloss fallen. Manchmal kann dieses ganze hinterher erinnern meiner Tante echt nervig sein, aber so ist sie halt und so liebe ich sie auch.
Vor genau zwei Wochen, war ich mit dem Bus in den frühen Morgenstunden hier angekommen und überraschender Weise stand meine so liebe Tante an der Endhaltestelle mit nur einen pinken Morgenmantel bekleidet und wartete auf meine Ankunft. Man kann sagen, dass sie ein wenig verrückt ist im Herbst, in der Nacht nur mit einen Morgenmantel an einer Bushaltestelle auf jemanden zu warten. Bei den Gedanken, huschte ein leichtes Grinsen über meine Lippen. Wie sich nach wenigen Tagen herausstellte, war meine Aufenthaltsdauer noch offen, was wohl daran lag, dass mein Bruder momentan unter einer sehr schlimmen Krankheit litt, die als hochansteckend galt. Aus diesem Grund wohnte ich zurzeit bei meiner Tante in Kiruna.
Wie ich leider schon nach einen Tag feststellen musste, war es hier schrecklich langweilig. Es gab zwar ein paar Seen, aber zu dieser Jahreszeit, war es nicht mehr warm genug, um sich einen schönen Tag an einen von ihnen zu machen. Auch die Dorfschule, brachte mich nicht weiter, mit meinen Wissensstand. Alles was hier unterrichtet wurde, war mir bereits bekannt und teilweise wusste ich sogar mehr über manche Themen, als die Lehrer die dieses unterrichteten. Keine Herausforderung für mich. Aus diesem Grund übernahm ich auch gerne die Einkäufe für mich und meine Tante, damit ich wenigstens ein wenig Ablenkung hatte.
An einen alten Eisentor blieb ich allerdings stehen. Heute hatte ich mal eine neue Rute gewählt, die mir meine Tante vorgeschlagen hatte und ich befand mich nun vor einem Friedhofseingang. Was meinte meine Tante neulich. Der Weg über den Friedhof ginge schneller, wie wenn man ihn herum läuft. Eilig hatte ich es nicht, aber der Wind der durch die Stadt fegte, war auf Dauer nicht gerade angenehm. Die Sache war für mich beschlossen und ich betrat kurz danach den steinernen Weg, der über den Friedhof führte. Bunte Blätter raschelten an den Bäumen und manche ließen sich einfach mit den Wind umher tragen. Langsam wurde es Winter. Bei diesen Gedanken, lief mir ein kalter Schauer über den Rücken, ich beschleunigte noch ein wenig mein Tempo und vergrub meine Hände tiefer in den Taschen meiner Jacke.
Winter war zwar eine schöne Jahreszeit, aber Frühling und Herbst waren mir doch irgendwie lieber. Vor allem, weil der Winter so hoch im Norden nicht gerade einer der wärmsten ist. Ein etwas älterer Mann mit einem Besen in der Hand, kam mir entgehen, grüßte mich kurz mit einem Lächeln und fing hinter mir an, den Weg von den herunterfallenden Blättern und Ästen zu befreien. Irgendwie fasziniert mich diese Stadt von Tag zu Tag mehr, obwohl sie doch sowas von öde war, war hier trotzdem jeder guter Laune. Friedhofsgärtner, wäre für mich kein Beruf, bei dem ich glücklich sein könnte. Nach ein paar weiteren Schritten konnte ich schon das andere Ende des Friedhofes erkennen und ließ meinen Blick noch einmal umherschweißen, bis ich einen braunhaarigen Jungen erkannte, der vor einen großen Grabstein kniete und eine Kerze anzündete. Wenn man das Geräusch des Windes ausblendete, konnte man ein leises Schniefen, aus der Richtung des Jungen erahnen.
Wer wohl gestorben war? Der Gedanke daran, dass jemand aus meinem Bekanntenkreis sterben könnte, war kein angenehmer und der Junge tat mir schrecklich leid.
„Er kommt einmal die Woche hier her und zündet eine Kerze für seine verstorbene Familie an...“ sprach eine ältere Männerstimme hinter mir und ließ mich für einen Moment zusammen zucken. Als sich die Person neben mich stellte erkannte ich den alten Gärtner, der mir vor paar Minuten mit einen Lächeln entgegen gekommen war. Aber nun sah sein Gesicht nachdenklich aus. Es musste furchtbar sein, seine Familie zu verlieren. Mit traurigem, aber auch ein wenig forschem Blick beobachtete ich einen Moment, den noch immer knienden Jungen. Mich würde irgendwie schon interessieren, wie seine Familie gestorben war, aber ob ich das wirklich wissen wollte, war eine andere Frage. Ebenfalls der Gedanke daran alleine zu leben, war einfach… ich konnte es nicht in Worte fassen.
„Und.. ähm wohnt er jetzt ganz alleine hier?“ fragte ich nach ein paar Minuten, die Stille brechend.
Der Mann atmete einmal tief aus, dass man es hören konnte und warf mir einen Blick über die Schulter.
„Das kann ich dir nicht sagen. Ich sehe ihn nur einmal in der Woche hier und danach ist er wieder weg“ sagte er schulterzuckend, verabschiedete sich noch einmal kurz und nahm seine vorherige Tätigkeit wieder auf.
Mh, sollte ich ihn vielleicht fragen? Wenn er wirklich alleine wohnen sollte, kann er ja bei meiner Tante… Ach was machte ich mir da eigentlich gerade für Gedanken. Wenn dieser Junge wirklich so arm dran sein sollte wie es scheint, wird er sich bestimmt schon irgendwo melden um Hilfe zu bekommen. Ich immer mit meinem Helfersyndrom. Außerdem würde meine Tante das bestimmt nicht genehmigen, einen fremden Jungen bei uns wohnen zu lassen. Obwohl...? Egal Lasse, du hast schon zu viel Zeit verplempert.
Das Interesse daran, ob er wirklich alleine wohnt, ruhte trotz meiner eigenen Ermahnung noch immer in mir. Leicht den Kopf schüttelnd, verließ ich nun wirklich den Friedhof und stand schon förmlich im Geschäft. Meine Tante hatte wirklich Recht. Die Abkürzung über den Friedhof, ersparte einem ein paar Minuten, die vermutlich sogar mehr wären, wenn man sich nicht von anderen Dingen ablenken ließe.
Mit einem kleinen Korb in der Hand, schlenderte ich durch die Gänge des Geschäfts und blieb bei manchen Regalen stehen um etwas aus ihnen zu nehmen. An einem Regal mit Ketten, Armbändern und weiteren Schmuck, blieb ich ein wenig länger stehen und bewunderte diese. Ein Anhänger, für wahrscheinlich eine Kette in Form eines Wolfkopfes gefiel mir so sehr, dass ich mich kurzer Hand entschloss, auch diesen mit in den Korb zu legen. ‚Man gönnt sich ja sonst nichts.‘, dachte ich mir. Außerdem hatte ich im letzten Frühling einen Anhänger meiner Kette, die ich zum Geburtstag geschenkt bekommen hatte, verloren und dieser gefiel mir sogar besser als der alte. Glücklich über diesen Fund ging ich Richtung Kasse, bog um eine Ecke und da passierte es. Ein braunhaariger Junge in meinem Alter tat es mir gleich und so stießen wir leider zusammen. Mir fiel vor Schreck der Korb aus der Hand, aber warte, der kam mir doch irgendwie bekannt vor.
Da fiel es mir wieder ein, es war der Junge vom Friedhof. Den hatte ich bei dem ganzen hin und her Geschlender im Geschäft schon wieder völlig verdrängt. Überrascht sah mich der Junge mit seinen braunen Augen, in denen ein Hauch von Grün zuerkennen war, an.
Mh, also geweint hat er doch, oder etwa nicht? Dem Schniefen nach zu urteilen, was man vorhin hören konnte, musste er geweint haben, aber in seinen Augen lag keine Trauer und auch sonst machte er keinen bedrückten Eindruck.
„Sorry, war in Gedanken“ sagte der Junge in einen entschuldigenden Ton und ging in die Hocke um mir kurz danach seine offene Hand hin zuhalten. Überrascht stellte ich fest, dass der Junge vor mir den Wolfskopfanhänger in der Hand hielt, den ich kurz vorher in den Korb gelegt hatte. Ist der etwa hinaus gefallen?
„Den musst du wohl bei den Zusammenstoß verloren haben“ sagte der Junge lächelnd und bestätigte damit meine Vermutung, bevor ich ihm den Anhänger aus der Hand nahm und zurück in den Korb legte. Wenn nicht jetzt der perfekte Zeitpunkt gekommen war, um ihn zu fragen, wenn er es den überhaupt war, wann dann? Doch bevor ich mir die Worte zurecht legen konnte, erklang schon wieder die Stimme des Jungen.
„Ich bin übrigens Philipp. Vielleicht sieht man sich ja noch mal“ stellte er sich vor und war im Begriff zu gehen. An seiner Aussprache konnte man erkennen, dass er nicht aus Schweden kam, da seine schwedisch doch recht, naja gebrochen klang.
„Warte“ kam es leicht schüchtern über meine Lippen und ich hielt den Jungen beim Vorbeigehen leicht an der Schulter fest. Was machte ich hier eigentlich?
„Tschuldige ich...“ setzte ich an, ließ es aber sein, als sich der andere zu mir umdrehte und somit etwas an seinen Hals frei legte, was mir vorher noch nicht aufgefallen war. Eine Kette, mit einen Wolfskopfanhänger, der meinem zum Verwechseln ähnlich sah. Nur die Farbe war eine andere. Seiner glänzte Silber, in Gegensatz zu meinem, die in einem schwach glänzenden Rot, eher Kupfer schimmerte. War das Zufall?
Mein Blick wechselte, zwischen seinem Halsschmuck und seinem Gesicht hin und her, bis der Braunhaarige anfing zu lächeln und somit mein Blick nun auf seinen klaren Augen lag.
„Die habe ich mir letztes Jahr hier gekauft“ erklärte er und ließ seine Hand auf seiner Kette ruhen. Geschmack hat er zu mindestens und so arm wie ich dachte kann er auch nicht sein, da dieser Anhänger alles andere als günstig war. Nach den Worten, verschwand das Lächeln für einen Moment aus dem Gesicht des anderen und er ließ die Hand wieder an seiner Seite herunter baumeln.
„Darf ich fragen, wie du heißt?“ hörte ich den Jungen und wurde aus meinen Gedanken gerissen, die gerade auf den Weg waren, in den braunen Augen des anderen zu versinken.
„Äh klar… Sorry bin gerade irgendwie ein wenig neben der Spur... Ich heiße Lasse“
Was war denn mit mir los? Ich war doch sonst auch nicht so abwesend, also warum jetzt auf einmal?
Vielleicht lag es an den Augen, denn diese waren einfach nur fesselnd. Für mich sahen sie so aus wie der Herbst, mit all seinen möglichen Rot- und Brauntönen. Einfach ein himmlischer Anblick. Auch das Lächeln, war einfach nur verlockend. So wie diese braunen Haare, in denen man am liebsten einfach nur rumwühlen wollte. Nach ein paar Sekunden merkte ich erst, was ich mir da gerade für Gedanken gemacht habe und hielt mir leicht beschämend die Hände an den Kopf.
„Alles okay?“, erklang dann wieder der Junge, der mich mit seinen Aussehen so durcheinander brachte.
„Äh ja... Tut mir leid, dass ich dich aufgehalten habe. Vorhin habe ich dich auf dem Friedhof gesehen und naja, der Gärtner meinte zu mir, dass du alleine wohnst und da habe ich gedacht, dass du ja bei mir und meiner Tante wohnen könntest...“ sprudelte es nervös und aufgeregt aus mir hinaus.
Oh mein Gott Lasse, was machst du hier eigentlich gerade? Du bietest einem fremden Jungen ein Zimmer an, obwohl du nicht mal weißt wie deine Tante reagieren wird, nur weil du dich von diesem Jungen angezogen fühlst. Vor einer Stunde, wusste ich nicht mal, dass ich mich zu meinem eigenen Geschlecht hingezogen fühle und jetzt sowas. Lasse du musst dich echt einliefern lassen. Auf Philipps Gesicht konnte man Verwirrung und Überraschung erkennen, bis er die Augen zukniff und anfing zu lächeln.
„Danke Lasse, aber ich habe eine eigene kleine Wohnung mit der ich ganz zufrieden bin“ sagte er ruhig und ein leicht belustigter Ton untermalte seine Worte. Was habe ich mir da eigentlich gedacht, so etwas zu fragen, aber gut das er meine Idee abgewiesen hat. Wer weiß, was noch passiert wäre, wenn er dem zugestimmt hätte. Nein, soweit will ich nicht mal denken.
„Tut mir leid, war dumm von mir. Es ist wohl besser wenn ich jetzt gehe. Tschüss!“, bloß schnell weg hier, bevor mir noch irgendeine dumme Idee in den Sinn kommt. Auf eine Antwort wartete ich erst gar nicht. Mit schnellen Schritten, bog ich um die nächste Ecke, legte die Ware auf das Kassenband, bezahlte und rannte förmlich aus dem Laden.
Nach ein paar Minuten hatte ich so viel Abstand zwischen mir und dem Laden gebracht, dass sich mein Atem wieder beruhigte und ich ein paar klare Gedanken fassen konnte.
Ablenkung. Ich brauchte jetzt ganz schnell Ablenkung, von dem was passiert war. Und wie es kommen musste stand die Ablenkung schon genau vor mir. Ein schwarzes Brett neben einem Schuhgeschäft. Vielleicht lässt sich hier ja irgendeine Beschäftigung finden, mit der ich meine hiesige Zeit überbrücken konnte. Ein Minijob wäre nicht schlecht, oder irgendein Sportverein. Mein suchender Blick glitt über die Tafel um irgendetwas zu finden, was einem Ablenkung verschaffen könnte, aber es ließ sich einfach nichts finden. Das Meiste war mit Suchanzeigen für Möbel und Wohnungen versehen. Einzelnd fand man auch eine Suchanzeige für einen Job, aber für diese benötigte man immer irgendein Vorwissen oder eine Ausbildung, die ich mit meinen zarten sechszehn Jahren noch nicht besaß. Die Hoffnung schon aufgegeben, wollte ich gerade den Heimweg antreten, als ein leichter Wind aufkam und die Papiere an der Tafel zum Flattern brachte. Und da sah ich es. Hinter einer Suchanzeige über einem vermissten Haustier, hing ein Papier dem man sein Alter deutlich ansehen konnte. Gelblich verfärbt, leicht eingerissen und mit Dreck beschmutzt, hing dort ein Aushang eines Instituts, in dem freie Plätze angeboten wurden. Was dort genau unterrichtet wurde stand nicht dabei, genauso wenig wie eine Telefonnummer, Adresse oder sonst irgendwas, wie man sich dort melden könnte. Am unteren Rand fehlte ein Stück. Na super, das war hier das einzige, was irgendwie interessant klang.
Über meine Zukunft, habe ich mir bis jetzt eigentlich noch keine genauen Gedanken gemacht, aber wenn ich hier noch eine längere Zeit bleiben würde, wäre ein Institut die beste Lösung, aber das hat sich hiermit dann wohl auch erledigt. Leicht geknickt, lief ich die Straße zum Geschäft zurück und betrat dort wieder den Friedhof, um die verloren gegangene Zeit einzuholen.
Den ersten Schritt auf den Weg gesetzt, fing ein kalter Wind an mich einzuhüllen und somit kuschelte ich mich weiter in meine Jacke. Doch ließ ich die Kälte nicht zu mir durchdringen, da ich mir bewusst machte, dass zu Hause eine heiße Tasse Schokolade auf mich wartet. Die letzten Tage stand für mich immer eine Tasse bereit, wenn ich die Einkäufe erledigt hatte.
Mit diesen Gedanken lief ich den Weg entlang, aber diesmal nicht genau denselben. Das Interesse von vorhin wurde wieder geweckt, als ich den Friedhof betrat. Neugierig, blieb ich vor dem großen Grabstein stehen, vor dem sich der Junge, der sich Philipp nannte, niedergekniet hatte und las die Inschrift. Ein Windlicht brannte vor diesem. Auf dem Grabstein, befand sich ein Wolfskopf und darunter drei Namen, mit jeweils Geburts- und Sterbedatum.
Schon wieder der Wolfskopf der meinen so sehr ähnelte. Das kann doch langsam kein Zufall mehr sein. Man könnte fast denken, dass mich dieser verfolgte.
Die Namen auf der Tafel waren keine typischen Namen für dieses Land und der Nachname erst recht nicht. Ebenfalls fiel mir schnell auf, dass alle verstorbenen Personen, am selben Tag ums Leben kamen, vor genau vier Jahren. Die Ursache jedoch, konnte man durch die Witterung nicht mehr genau deuten und sie war auch nicht in meiner Sprache geschrieben. Den Gedanken, dass Unkraut zu entfernen verwarf ich schließlich. So etwas musste echt schlimm sein, seine gesamte Familie an einem Tag zu verlieren. Mit einer leichten Verbeugung gegenüber den Toten folgte ich wieder dem Weg und verließ den Friedhof. Der Gärtner war nicht mehr zu sehen und auch der Weg war wieder über und über mit Blättern und Ästen bedeckt. Mit den Gedanken, dass auch die Einwohner des Dorfes oder Stadt, wie auch immer, Langeweile hatten, folgte ich dem Straßenverlauf, um kurz danach vor dem Haus meiner leicht verrückten Tante zu stehen. Mit der Tüte in der linken und dem Schlüssel in der rechten, wollte ich gerade die Tür aufschließen, als mir etwas einfiel. Die Post.
Gut das es mir noch eingefallen war, sonst hätte meine Tante sich wieder lustig gemacht oder irgendsowas in der Richtung. Sie liebt es, mich und meinen Bruder aufziehen zu können bei jeder Kleinigkeit, die wir verbockt haben. Heute aber nicht, meine liebe Tante. Wie es wohl meinen Bruder geht? Ein Anruf oder ein Brief über den momentanen Stand würde nicht schaden. Ein brauner Traumfänger, mit langen schwarzen Federn und weißen flauschigen schmückte die Fassade der Holztür. Wind brachte diesen in Bewegung. Eine Zeitung und drei Briefe in die Tüte steckend, schloss ich mit einem schwachen lächeln die Tür auf und betrat das mollig warme Haus. Gleich gibt es heiße Schokolade, auf die ich mich schon seit mehreren Minuten freue. Der Tag kann also doch noch ein wenig schöner werden.
Levande ljus
„Hier Tante, deine Post“ sagte ich grinsend und stellte die Einkaufstüte auf dem Küchenstuhl ab. Die Post auf den Tisch legend, packte ich weiter die Tüte aus. Der Geruch von Schokolade lag in der Luft und harmonierte mit einer leichten Note Vanille.
„Ah, auch wieder da. Hast dir ja reichlich Zeit gelassen“ kam es zurück, mit einem schiefen Grinsen, was über Ihre Schulter zu mir geworfen wurde. War es denn wirklich schon so spät? Einen zögernden Blick auf die Uhr werfend, sorgte ich für Klarheit.
„Oh, da habe ich wohl ein wenig die Zeit aus den Augen verloren.“
Fast zwei Stunden waren vergangen, seitdem ich das Haus zum Einkaufen verlassen hatte. Das lag alles nur an diesen Jungen. Schon allein der Gedanke an ihn trieb mir eine beschämende Wärme ins Gesicht. Gut das meine Tante gerade mit dem dreckigen Geschirr zugange war. Mit einen schnellen Griff nahm ich den Kettenanhänger aus der Tüte und legte das restliche Geld, sowie den Kassenbeleg neben die Post auf den Tisch.
„Ich bin dann mal im Bad, duschen“
Mit schnellen Schritten verließ ich die Küche und durchquerte das kleine, aber doch irgendwie charmante Wohnzimmer. An den Decken hingen mehrere selbstgemachte Traumfänger in unterschiedlichen Farben. Manche wurden sogar mit selbstgemalten Lederbildern verziert. Ein letzter Blick Richtung Küche, vergewisserte mir, dass meine Tante mir mit ihrem Augenpaar nicht folgte.
Sie musste ja nicht unbedingt meine neue Gesichtsfarbe bemerken. Mit diesen Gedanken, öffnete ich die Tür zum Bad und schloss Sie hinter mir. Den Schlüssel im Schloss drehend, stand ich vor dem Spiegel und drückte mit den Fingern auf meine glühenden Wangen herum. Auf besagten Stellen, bildeten sich kurzzeitig weiße Abdrücke. Was war nur mit mir los? Schon vorhin, hatte ich mich ganz komisch in seiner Gegenwart benommen und jetzt reichte schon ein einzelner Gedanke an ihn? Ich kannte ihn doch gar nicht und doch weckte er so ein merkwürdiges Gefühl in mir, dass ich vorher noch nie bei jemandem gespürt hatte.
Ist es vielleicht das, was sich jedes Mädchen wünscht. Die typische 'Liebe auf den ersten Blick', aus den ganzen romantischen Filmen? Das kann doch nicht sein, oder doch? Warum muss es auch unbedingt ein Junge sein?
Stöhnend und den Kopf schüttelnd, entledigte ich mich meiner Kleidung, stieg in die Wanne und zog den Vorhang zu. Ich kann von Glück reden, dass meine Tante eben zu beschäftigt war. Sonst müsste ich mich wohl einer Welle von Fragen stellen, zu denen ich selbst nicht mal eine genaue Antwort wusste. Wenn das aber so weiter geht, wird das früher oder später passieren. Lasse, dass musst du auf jeden Fall verhindern. Blieb nur die Frage wie. Vielleicht bringt eine schöne heiße Dusche, ein paar klare Gedanken, um diese 'Problem' in Angriff zu nehmen. Mit der Rechten den Wasserhahn betätigend, prasselte das heiße Wasser auf mein dunkelblonden Schopf nieder und flutete das Badezimmer nach kurzer Zeit in eine dampfende Nebellandschaft.
Das Geräusch von prasselnden Wasser hallte leise durch das kleine Schwedenhäusschen, bis in die Küche, in der eine mittelgroße, braunhaarige Frau an der Spüle stand und sich gerade die Hände mit einem karierten Handtuch abtrocknete. Auf dem Küchentisch stand eine grüne Kaffeetasse mit dampfendem Inhalt. So, Lasse wird dann wohl erst in einer halben Stunde fertig sein und bis dahin wird die Schokolade längst kalt sein. Mit einem leichten Schmunzeln auf den Lippen, setzte sich Lasses Tante an den Küchentisch, nippte an ihrer Tasse mit der heißen Schokolade und blätterte durch die Dorfzeitung. Nach wenigen Minuten stellte Sie die grüne Tasse ab und legte die Zeitung beiseite, um sich den Briefen zu widmen.
„Na mal gucken, was es Interessantes gibt“
Der erste Brief, war mal wieder eine allgemeine Umfrage, für die Weihnachtsfeier dieses Jahres. Jeder Bürger des Dorfes, konnte seine eigenen Ideen mit einbringen, aber letzten Endes, wurden diese doch nie wirklich beachtet. Wie jedes Jahr, gab es außerdem einen Weihnachtsmarkt mit einer Bühne, auf der die Schüler der hiesigen Dorfschule, ihre Leistungen in Musik und Theater präsentierten. Eigentlich war es immer das gleiche Programm was vorgeführt wurde. Auf dem Platz befanden sich unter anderem Stände, an denen man sich mit heißen Glühwein aufwärmen konnte. An anderen fand man deftiges Essen und wieder an anderen Schmuck und Kleinkram.
Den Zettel zerknüllend und in den Papierkorb werfend, öffnete sie schnell den zweiten Brief. Ein Stempel, mit den Namen eines Dorfes schmückte den Umschlag und verriet auch schon, von wem dieser kam. Ihrer Schwester. Den Inhalt schnell überfliegend, brauchte Sie einen Moment um sich wieder zu sammeln und nippte erneut an der Tasse, die jetzt schon gut abgekühlt war. Ein lauter Seufzer entglitt der Frau, während ihre nun zitternden Hände, den Inhalt wieder zurück in den Umschlag packten und der Brief in einem abschließbaren Schubfach verschwand. In ihren Augen, lag nun eine unglaubliche Leere, dass man förmlich Angst bekommen könnte. Den leeren Blick durch die kleine Küche schweifend, blieb dieser auf den Tisch, mit dem letzten Brief liegen. Erschrocken riss Sie die Augen auf und aus der Leere wurde pure Angst und Verzweiflung.
„NEIN“ schrie die Braunhaarige laut auf und legte sich schnell ihre Hände auf den Mund.
„Das kann und darf nicht wahr sein. Genau aus diesem Grund ist Lasse doch bei mir, damit so etwas nicht passiert...“, kam es diesmal fast im Flüsterton über Ihre bebenden Lippen. Den Blick hatte sie auf den Küchentisch gerichtet. Den letzten Brief schmückte ebenfalls ein Stempel. Ein Kreis mit einen Wolfskopf in der Mitte. Das Papier des Umschlages, sah auch nicht aus wie normales Papier, sondern ähnelte Papier, das zu oft recycelt wurde und nun einen starken Gelbstich besaß. Ein kurzer Schrei durchzog das kleine Häuschen. Lasse! Entsetzt sprang sie von ihrem Stuhl auf, rannte durchs Wohnzimmer auf die Badezimmertür zu und blieb klopfend vor dieser stehen.
„Lasse, alles okay bei dir?“ fragte Sie zweifelnd in das nun stille Bad hinein.
„Äh, klar. Bin gleich fertig.“ Diese Auskunft beruhigte seine Tante für einen Moment, bis Sie sich entschloss zurück in die Küche zu kehren, um eine neue Schokolade für Ihren Neffen bereit zu stellen. Für einen Moment, lag der Blick auf den merkwürdig aussehenden Brief, bis auch dieser im Schubfach verschwand.
„Wenn er den nicht findet, ist alles in Ordnung“ murmelte die Frau, in ihren nicht vorhandenen Damenbart. Nach dem die Schokolade schon darauf wartet, getrunken zu werden, wurde nun auch das restliche Geld eingesteckt und ein flüchtiger Blick glitt über den Beleg.
„So teuer?“, verwirrt betrachtete sie das kleine Stück Papier und wurde auch schnell fündig, was für den hohen Preis des Einkaufes verantwortlich war. Der Grund war ein teures Schmuckstück.
„Lasse hat doch nicht etwa, nein. Wenn es doch der Fall ist dann...“
„So bin fertig mit duschen. Ist irgendwas Tante, du siehst so blass aus?“ Gerade trat Ihr Neffe, mit noch feuchten Haaren und einem Handtuch über die Schulter, in die Küche und musterte Sie mit fragendem, leicht besorgtem Blick.
Ein angenehm frischer Duft von Minze meines Shampoos lag in der Luft. Dieses wurde großzügig in meine blonde Haarpracht einmassiert. So eine Dusche hatte echt etwas Tolles. Schade, dass ich nicht zuhause war, sonst würde ich noch Stunden unter der heißen Dusche stehen und mich vom Wasser berieseln lassen. Es fühlte sich für mich immer so an, als würden alle Sorgen und Zweifel die man hat einfach abgespült werden. Auch jetzt, sind meine Bedenken über den Jungen, sowie über den Wolfskopf so gering, dass ich diese vergessen könnte.
Die Betonung lag auf 'könnte'. Durch diesen Gedanken, kam nun alles wieder hoch, da bringt nicht einmal das angenehme Wasser etwas, aber vielleicht...
„Ahhh“ hörte man einen kläglichen Schrei, als die Temperatur des Wassers von heiß auf kalt mit einer Handbewegung wechselte. Der Schock, saß nach dieser Aktion von mir noch immer tief, aber er verfehlte seine Wirkung nicht. Mit aufgestellten Haaren und einer leichten Gänsehaut, zog ich den Vorhang beiseite, trat auf eine Badematte und wickelte mich schnell in eines der weichen Handtücher, um mich durch diesen plötzlichen Kälteschock aufzuwärmen. Mein Herz raste und auch meine Atmung ging schneller als normalerweise. Mit einem weiteren Handtuch, wurden nun auch die pitschnassen Haare grob getrocknet, so wie der Körper. Noch immer in die flauschigen Handtücher gewickelt, suchten die Hände des Blonden in einer Kulturtasche nach etwas.
„Wo ist es den? Ah, hier ist es ja“ sagte Lasse mit einem freudigen Ton und hielt ein dunkelbraunes Lederband mit Verschluss in der Hand.
„Lasse, alles okay bei dir?“ hörte man durch die Badezimmertür eine weibliche Stimme, in der man ein wenig Sorge erahnen konnte.
„Äh klar, bin gleich fertig“ kam es als Antwort und widmete sich wieder seinem Lederband. Es ist doch echt merkwürdig, die Sache mit dem Wolfskopf. Mit einem leisen 'Mh', nahm er den Anhänger vom Regal und betrachtete ihn von allen Seiten. Er war echt schön, aber was war das? Der Blick lag auf der Rückseite des Schmuckstückes, auf der eine kleine römische Zahl eingraviert wurde. Es war die Zahl eins.
'Ach bestimmt nur irgendein Erkennungszeichen oder so etwa in der Richtung.' Mit diesen Gedanken, fädelte er den Anhänger, auf das Lederband, befestigte das Schmuckstück in der Mitte mit zwei einfachen Knoten und legte sie sich um den Hals. Gerade als ich die Kette umgelegt und der Kopf meine Haut berührt hatte, durchzog mich ein kalter Schauer. Das Material war sehr kalt, aber das wird sich bestimmt mit meiner Körpertemperatur noch ändern. Ich musste ehrlich sagen, dass ich mich mit diesen Fund selbst echt übertroffen hatte. Lasse posierte noch ein paar mal vor dem Spiegel des Badezimmers, bevor er anfing sich anzuziehen. Schließlich wartet ja noch etwas auf ihn. Seine heiße Schokolade.
Im Türrahmen zur Küche blieb er stehen und betrachtete seine Tante, die ein wenig aufgewühlt drein blickte. Natürlich entging ihm keinesfalls, die nun so blasse Haut seiner geliebten Tante.
„So, bin fertig mit duschen. Ist irgendwas Tante, du siehst so blass aus?“
Erschrockene Augen musterten mich. Das Gesicht meiner Tante erhellte sich noch ein wenig, dass man denken könnte, Sie wäre Tod. Ein kalter Schauer lief mir den Rücken hinunter. Irgend etwas stimmte doch nicht. Mit zittriger Hand, schob Sie die Tasse in meine Richtung. Mein Appetit auf heiße Schokolade verflog. Mit einem leisen Seufzen stand Sie auf. Ihre Hand zeigte auf den Stuhl Ihr gegenüber und folgte der stillen Einladung. Mit fragenden und besorgten Blick musterte ich die Schwester meiner Mutter. Ihr Blick galt dem Fliesenboden. Eine merkwürdige Stille lag im Haus, nur das leise ticken der Küchenuhr konnte man vernehmen.
„Lasse ich muss die was wichtiges mitteilen...“ Das klang nicht gut, nickte aber.
„Heute kam ein Brief deiner Mutter hier an. Dein Bruder hat es nicht geschafft...“
Eine Welle von Gefühlen überspülten mich. Meine Hände verkrampfen sich, dass es schon schmerzte, während mein restlicher Körper erweichte. Weit versteckt in mir, verschloss ich diesen Gedanken, aber nun brachte es nichts mehr. Lourence war Tod. Mein Blick schwirrte durch die Küche und blieb an einer halb abgebrannter Kerze hängen.
~Erinnerung~
„Lasse, wie oft habe ich dir schon gesagt, du sollst die Kerzen nicht ausblasen. An jeder Kerze hängen Leben, vergiss das nicht.“ sprach mein Bruder zu mir. Warum sollte Leben, an einer einfachen Kerze hängen?.
„Kannst du mir das erklären?“ fragte ich neugierig und sah ihn an. Ein schwaches Lächeln schmückte seine Lippen, als er sich zu mir aufs Bett setzte.
„Kerzen spiegeln die Lebenszeit, aller Lebewesen wieder. Für jeden gibt es zwei Kerzen. Wenn man eine anzündet beginnt ein Leben und wenn diese nieder gebrannt ist, endet eins. Aber wenn eine absichtlich ausgelöscht wird, endet das Leben eines Lebewesens, was eigentlich noch nicht enden sollte und bringt den Kreislauf ins schwanken. Also denke immer daran, lass die Kerzen brennen, bis Sie von alleine erloschen und jetzt schlaf“ Mit diesen Worten stand er auf, gab mir einen Kuss auf die Stirn und verschwand aus dem Zimmer. Für immer.
Stimmten diese Worte meines Bruders wirklich? Würde er vielleicht noch leben, wenn diese Kerze noch brennt, oder von selbst erlischt wäre?
Inbjudan
Hey,
dieses Kapitel liegt schon seit November auf meinem Rechner, wurde aber nicht Beta gelesen, weswegen hier und da Fehler vorkommen. Leider habe ich auch keine Zeit, es selbst gründlich zu bearbeiten.
Wenn sich jedoch jemand freiwllig meldet als BetaLeser/in , würde ich mich darüber freuen^^
Mein Körper zitterte. Mir war Kalt und Heiß zu gleich. Der Gedanke daran, dass ein Familienmitglied stirbt, war kein schöner. Doch jetzt, wo es wirklich so gekommen war, weiß ich nicht weiter. Lourence war nicht nur einfach ein Bruder. Für mich war er wie ein Vater, den ich nie hatte. Meine Ansprechperson Nummer eins, so wie mein persönlicher Kummerkasten. Er war immer für mich da, im gegen satz zu meinen leiblichen Vater, den ich nicht mal kenne. Klar meine Mutter, hat sich auch gut um mich gekümmert. Lourence aber war was anderes. Besonderes. Einfach das wichtigste für mich. Wie soll mein Leben den nun weiter gehen, ohne Ihn. Geht es überhaupt weiter? Wer passt nun auf mich auf, dass ich nicht den falschen Weg einschlage? Wer steht mir bei, wenn ich Hilfe brauche um eine schwere Entscheidung zu treffen? Philipp. Ob es ihn wohl genau so ging, als seine Familie gestorben ist? Meine Augen wurden feucht. Erst jetzt wurde mir bewusst, dass ich nun ganz allein auf mich gestellt bin.
Mit verzweifelten Gedanken stand ich auf und folgte mit zittrigen Beinen den verlauf des Flures. Gedämpft hörte ich die Stimme meiner Tante die irgendwas sagte, ignorierte diese aber gekonnt. Jetzt brauchte ich erstmal Zeit für mich. Tropfen kullerten meine Wangen hinab, verließen mein Gesicht und verschwanden kurze Zeit später im Teppich des Flures. Leise stieg ich die Treppe hinauf direkt in das Zimmer meines Bruders und mir. In Jungen Jahren kamen wir öfter hier her, um unsere Ferien zu verbringen. Gemeinsam mit meiner Tante richteten wir unser gemeinsames Zimmer ein. Wir stritten darüber, in welcher Farbe das Zimmer gestrichen wird. Lourence fand die Farbe Rot ganz klasse, die ich so was von gar nicht leiden konnte, was auch heute noch so der Fall ist. Leider hatte auch er was gegen meine Lieblingsfarbe: Grün. Wäre meine Mutter nicht auf die Idee gekommen, dass Zimmer eine Hälfte Rot und die andere Grün zu streichen, wäre es wohl zu einer Rauferei gekommen. Bei diesen Gedanken musste ich schmunzeln und ließ die Szene nochmal Revue` passieren. Hinter her muss ich sagen das, dass Weiß mir doch besser gefallen hat. Wir waren manchmal schon echte Kindsköpfe, die echt eine Menge Mist angestellt hatten. Mutter hatte immer gut zu tun mit uns. Bereut habe ich unsere Schandtaten jedoch nie. So was gehört wohl einfach dazu. Doch jetzt, wo er nicht mehr da ist, mit wem soll ich die schönen Erinnerungen an damals teilen. Ein verzweifelter Seufzer, entglitt meinen Lippen und brachte eine neue Welle von Trauer mit sich. Warum musste er sterben. Vielleicht hätte ich es verhindern können, wenn ich da geblieben wäre. Jetzt ist es zu spät. Erneut suchten sich Tränen ihren Weg durch mein Gesicht.
Doch dann, wie aus dem nichts, hörte ich ein kratzendes Geräusch. Wahrscheinlich nur der Baum im Garten, der mit seinen Ästen im Wind das Haus zum kitzeln bringt, war mein erster Gedanke Beim genaueren hinhören, konnte man jedoch klägliches miauen erahnen. Mit zwei großen Schritten, stand ich vor dem Fenster, von wo aus die Geräusche kamen. Den Vorhang beiseite schiebend, erkannt ich nun die Geräuschquelle. Es war tatsächlich ein Katze. Ihr grau-braunes Fell mit schwarzen Streifen, sah feucht aus. Kein Wunder, es hat angefangen zu regnen, was mir erst jetzt auffiel. Überrascht von dem Regen und verwundert darüber, wie diese Katze hier hoch zum Fenster gekommen ist, öffnete ich besagtes. Mit einen Sprung landete Sie federleicht im Zimmer.
„Wie..“ setzte ich an und schüttelte den Kopf. Wollte ich gerade echt eine Katze etwas fragen? Lasse du gehörst echt eingeliefert. Kerzengerade, den Schweif ordentlich um die Pfoten gewickelt betrachtete mich mein neuer Gast mit schief gelegten Kopf. Ein schwaches Lächeln zierte mein Gesicht. Irgendwie süß der Anblick. Der Bauch der Katze war komplett weiß und führte die Beine bis zu den Schultern hoch. An der linken Seite befand sich ein schwarzer Fleck umrandet von weiß. Um den Hals baumelte ein ledernes Halsband mit bronzefarbenen Anhänger.
„Na wie heißt du den“ Zur Katze runter kniend, nahm ich den Anhänger in die Hand und las die Inschrift. In verschnörkelten Buchstaben, stand der Name :Leon.
„Ah ein Kater namens Leon.“ Süß.
Irgendwas wunderte mich aber. Was genau es war, kann ich nicht sagen. Der Anhänger fühlte sich bei der ersten Berührung ganz kalt an. Erst dachte ich, es läge an der Kälte dir draußen herrschte. Doch schon nach kurzer Zeit wurde er fast Heiß und das war nicht alles. Der Anhänger meiner Kette wurde ebenfalls Heiß. So mussten sich wohl damals die Rinder fühlen, als Sie ihr eigenes „Tattoo“ erhielten. Immer noch den Anhänger des Katers, der weiterhin ruhig vor mir saß, drehte ich besagten um. Ein Heißes Stechen drückte über meine Brust und klemmte meine Lunge ab. Erschrocken und Nach Luft schnappend, kippte ich nach hinten und landete auf den aller wertesten. Plötzlich fing der Kater an zu fauchen und gefährlich zu knurren, wenn das überhaupt möglich war.
„Was war das?“ Der Schmerz ebbte langsam ab und das brennen ließ nach. Der Kater jedoch verschwand mit einem Sprung durch das Fenster, auf den nahe liegenden Apfelbaum. Gedanken sammelnd, stand ich wieder auf und hielt meinen Anhänger fest. Wenn mich nicht alles täuscht, war auf der Rückseite des Halsbandes, der selbe Wolfskopf eingraviert, den ich momentan um meinen Hals trage. Das kann langsam kein Zufall mehr sein. Erst Philipp, mit dem selben Anhänger. Dann der Stein auf dem Friedhof und jetzt auch noch ein fremder Kater. Was kommt als nächstes.
Mit einer Bewegung, kippte ich das Fenster an und ging Richtung Bett. Anstrengender kann ein Tag echt nicht mehr werden. So einen Gefühlseinbruch, hatte ich schon lange nicht mehr. Verzweifelt ließ ich mich rückwärts aufs Bett fallen, mit den Blick zur Decke gerichtet. An diesem hingen mehrere kleine Traumfänger, aufgebaut wie ein Mobile. Große und kleine Ringe, in den Farben Braun und Schwarz. Jedes von ihnen mit weißen Federn und selbst gemalten Lederbildern. Auf diesen waren typische Waldtiere Schwedens aufgemalt. Elche, Rehe, Bären, Hasen, unterschiedliche Vögel und... Wölfe. Genau dieses Bild, drehte sich langsam in meine Richtung. Erneut blieb mir die Luft zum atmen weg.
„Es verfolgt mich“ wisperte ich still ins Zimmer. Auch hier, in meinem geliebten Zimmer, befand sich dieser merkwürdige Wolfskopf. Warum ist das vorher nie wirklich aufgefallen. Moment. Mir kam plötzlich ein brillante Idee. Wenn meine Tante, das Mobile angefertigt hatte, weiß Sie auch bestimmt, was es mit diesem Wolfskopf auf sich hat. Überzeugt von meiner super Idee, rannte ich die Treppe hinunter. Hetzte über das kurze Stück Flur und stand im Türrahmen zur Küche.
„Sabrina, kannst du mir sagen was es mit diesem Wolfskopf...“ sagte ich viel zu schroff und fixierte besagte Frau. Diese zuckte kurz zusammen und sah mich mit feuchten, fragenden Augen an. Langsam umrundete ich den Tisch und nahm meine geliebte Tante von hinten in die Arme.
„Tut mir leid, wollte nicht laut werden“ sagte ich leise und streichelte über ihre Schulter. Nach einem leisen Schluchzen ihrer Seite aus, erhob Sie sich aus meiner Umarmung und ging zur Kaffeemaschine. Mit zwei gefüllten Tassen setzte Sie sich wieder an den Tisch. Schweigend beobachtete ich Sie. Lourence. Ich tat es Ihr gleich und nahm die Tasse Kaffee entgegen.
„Was war deine Frage nochmal?“
„Es geht um diesen Wolfskopf..“ sagte ich und holte, den Anhänger unter meinem Shirt hervor.
Ihre Augen öffneten sich, und das zischen vom einatmen war zu hören.
„Alles okay Tante“ fragte ich.
Mit der linken, ging Sie sich durch die langen braunen, nahm einen Schluck aus ihrer Tasse und sah mir direkt in die Augen.
„Das Lasse, ist das Symbol dieses Dorfes“ kam es leise über ihre Lippen. Ein kalter Schauer lief mir über den Rücken. Enttäuscht, über die weniger aufregende Antwort sackte ich ein wenig zusammen.
„Schade, hatte gehofft, dass dieser einen anderen Hintergrund hat, aber okay. Bin dann oben im Zimmer, wenn du mich suchst“ Mit diesen Worten erhob ich mich vom Stuhl und ging mit der Tasse Richtung Flur.
„Warte“ hörte ich meine Tante hinter mir, so wie das Geräusch eines Stuhls, der schnell über den Boden schabt. Nach dem klirren eines Schlüssels, drehte ich mich neugierig um. Meine Tante stand mit einem seltsam aussehenden Brief hinter dem Tisch. Mit einer schnellen Wurfbewegung, flatterte der Brief zu mir und fing ihn gekonnt mit der freien Hand auf.
„Was ist das“
„Eine Einladung für das Institut und anliegende Internat Endre in Norwegen“