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Die Wölfe 5 ~Das Blut des Paten~

Teil V
von

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~Rache~

Schon von Weitem, kann ich die dunklen Rauchschwaden am Himmel sehen. Gleich drei Löschfahrzeige überholen uns in einem Affenzahn und biegen ohne Umwege auf das Fabrikgelände ein. Ich will schreien, heulen und alles kurz und klein Schlagen, doch ich bleibe stumm, betrachte wie in Trance die Flammen, die aus den Fenstern schlagen, die Männer und Frauen die vor den Fabrikhallen stehen und sich gegenseitig in den Armen halten. Ihre Klamotten sind blutig und mit Ruß beschmutzt. Romeo ist unter ihnen, auch Diego und Leandro. Bei ihnen stehen viele der Prostituierten, die wir beschäftigen. Alle husten heftig. Sie sind im ganzen Gelände verstreut, hier und da sitzen sie teilnahmslos im Gras und auf den Motorhauben ihre Autos. Bei dem ganzen Chaos, kann ich nicht abschätzen, ob es alle ins Freie geschafft heben. Niemand wagt einen Versuch, den Brand zu löschen. Bei den hohen Flammen und dem schwarzen Rauch, der aus den Fenstern aufsteigt, wäre das auch sinnlos, ein eventueller Rettungsversuch vergebens.

Alles dahin, die Arbeit von Monaten zerstört in wenigen Minuten. Meine Existenz geht einmal mehr in Flammen auf.
 

Jan parkt den Wagen direkt neben Romeo und Leandro. Als ich aussteige, kann ich meinen Blick nicht von dem brennenden Gebäude abwenden. Ein heftiger Wind zieht an mir und facht die Flammen zusätzlich an. Der Brand strahlt eine unglaubliche Hitze aus. Obwohl wir gut zehn Fuß davon entfernt stehen, beginne ich zu schwitzen. Die Feuerwehr hat mit den Löscharbeiten begonnen, doch ihre Bemühungen erscheinen mir sinnlos. Die dutzend Benzintanks in unserer Garage und das Lager für die Spirituosen stehen bereits in Flammen. Immer wieder zerreißen laute Knallgeräusche die Luft.

„Enrico, verdammt!“, höre ich Romeo rufen, doch ich nehme ihn und die anderen, die zu uns kommen, kaum wahr. Hände packen meine Arme und schütteln mich, doch ich kann nur zusehen, wie alles von den Flammen verschlungen wird. Heiße Tränen steigen in mir auf und fressen sich an die Oberfläche. Das ist einfach nur ein verdammter Alptraum! Ein gottverdammter Alptraum! Ich will daraus erwachen, bitte!

„Enrico! Verdammt, was ist passiert? Warum seid ihr voller Blut?“, redet Romeo unentwegt auf mich ein. Auch Diego zerrt an mir: „Enrico, sag doch was!“

„Aaron ist tot … ermordet“, presse ich kaum hörbar heraus und schaffe es noch immer nicht, irgendjemanden anzusehen.

Es wird still um mich herum, für einen Moment hält mein ganzer Clan den Atem an.

„Das heißt, du bist jetzt der einzige Pate, den die Locos noch haben“, flüstert Diego. Mir wird schmerzlich bewusst, dass er recht hat. All die hoffnungslosen Augen sind auf mich gerichtet. Sie haben genau so viel zu verlieren: Ihren Job, ihr zu Hause, ihre Lebensgrundlage. Sie verlassen sich auf mich. Es bleibt mir nichts anderes übrig, ich muss dieses schwere Erbe annehmen, ob ich will oder nicht. Ich nicke ihnen zu. Dieses Mal bleibe ich an ihrer Seite, bis zum Schluss.
 

Ein lauter Knall schreckt uns alle auf. Etwas streift meine Wange und hinterlässt einen brennend Schmerz. Ich fasse mir an die Stelle und betrachte das Blut an meinen Fingerkuppen. Das war ein Schuss und er kam von oben. Zwischen all dem Rauch, der sich an den Wänden der Fabrik hinauf windet, zeichnet sich eine dunkle Gestalt auf dem Dach ab. Michael! Er wartet auf mich, dieser verhurte Sohn eines Teufels!

„Toni!“, rufe ich. Auch er hat den Mann auf dem Dach entdeckt. Er nickt mir zu und greift auf die Rückbank des Polizeiautos, während er die braune Decke an sich nimmt, warte ich nicht länger. Ich laufe los, vorbei an den Löschfahrzeugen und den Feuerwehrmännern, die mir vergebens nachrufen, dass ich dorthin nicht gehen soll. Vorbei an den Flammen, die heiß nach mir greifen und hin zur einzigen Leiter, die von außen aufs Dach führt. Als ich die ersten Sprossen besteige, hat Toni mich eingeholt. Er nimmt den Stoff mit der Klinge in den Mund und klettert mir nach. Während wir hinaufsteigen, eilt uns mein Clan nach, doch sie werden von den Feuerwehrmännern aufgehalten. Das wir durchgekommen sind, ist pures Glück gewesen und hätten sie nicht alle Hände voll damit zu tun, meine Männer zurückzuhalten, würden sie uns sicher nachkommen und aufhalten. Gut so, dass sie alle beschäftigt sind, denn dass ist unser Kampf, nicht ihrer.
 

Als ich über den Rand des Daches steige, kann ich nichts erkennen, außer dunklen Qualm. Er brennt und kratz in meiner Lunge und bringt meine Augen zum tränen. Ich presse mir den Ärmel meines Hemdes vor Mund und Nase und huste gequält. Wie hält es dieser Mistkerl hier oben nur aus und wo steckt er überhaupt? Ich schaue mich nach allen Seiten um, doch kann niemanden erkennen.

„Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr!“ Der Wind dreht und schiebt die Rauchschwaden bei Seite. Aus dem Dunst löst sich Michaels hünenhafte Gestalt. Mit den Händen in den Taschen seiner Hose, hält er auf mich zu. In seinen Mundwinkeln formt sich ein überhebliches Lächeln. Er scheint überhaupt kein Problem mit dem Rauch und der Hitze zu haben. Wie der Teufel persönlich, baut er sich vor mir auf. Ein kalter Schauer rinnt mir den Rücken hinab. Die letzten Stunden und Tage mit ihm, durchfressen meine Gedanken. Ich weiche zurück, mein Herz bebt in Panik, ich kann meinen Puls in jeder Ader spüren. Meine Beine zittern, all meine Sinne sagen mir Flucht.

„Enrico!“, ruft Toni. Als ich mich nach ihm umdrehe, wirft er mir das Katana zu, das er eben aus der Decke befreit hat. Ich fange es am Griff und betrachte die blutige Klinge. Der Anblick von Aarons Hinrichtung erscheint vor meinem inneren Auge, sein panisches, schmerzverzerrtes Gesicht, die Klinge in seinem Hals. Nein, Flucht ist keine Option mehr.

„Wie nett, ihr bringt mir meinen Besitz wieder!“, lacht er überheblich. Oh ja, sein Schwert wird er wieder bekommen und zwar mit der Klinge voran ins Herz.

„Ich habe noch einen Schwur einzulösen!“, entgegne ich und richte die Waffe auf ihn. Er lacht noch schäbiger.

„Deswegen hab ich mir doch extra die Mühe gemacht, hier her zu kommen. Freiwillig traust du dich das ja nicht!“ Arrogantes Arschloch! Ich habe meinen Besuch bei ihm nur knapp überlebt, warum sollte ich mir das aus freien Stücken noch einmal antun? Hier und jetzt, ohne den Schutz seines Clans und Leibwächters, stehen meine Chancen viel günstiger. Im Hochhaus wäre ich nicht mal bis in seine Nähe gekommen.

Aus dem Augenwinkel sehe ich, wie Toni seine Waffe zieht und auf den Hünen richtet. Ein Schuss knallt über das Dach, doch er kommt nicht aus seiner Pistole.

„Ahrrg!“, schreit mein Begleiter auf, er lässt seine Neunmillimeter fallen und greift sich an die getroffene Schulter. Blut läuft ihm über die Finger und tropft aufs Dach.

„Michael!“, ruft Butch nach seinem Chef. Wie konnte ich auch glauben, der Hüne wäre ohne Begleitschutz hier? Der schwarze Mann löst sich aus dem Schatten und taucht hinter Toni auf. Er wirft seinem Paten ein Samuraischwert zu, das der geschickt auffängt. Langsam zieht Michael die lange Klinge aus der Scheide zieht. Ich schlucke schwer. Mit einem Schwertkampf habe ich nicht gerechnet. Das ist keine Disziplin, in der ich mich auskenne und ihm sagt man nach, ein wahrer Meister darin zu sein. Verdammt! Mit einem Messer kann ich töten, das hat Robin mich gelehrt, aber das hier, ist etwas ganz anderes. Schützend ziehe ich die Klinge vor mich, die mir viel zu lang und unhandlich erscheint. Ich rechne jeden Moment mit einem Angriff, doch Michael lächelt süffisant und geniest den Moment. Er nickt seinem Leibwächter zu.

„Lass los!“, flucht Toni. Ich wende mich den beiden zu. Der dunkelhäutige Bodyguard hat meinen Leibwächter im Schwitzkasten gepackt und hält ihm den Lauf einer Pistole an die Schläfe. Wir sind blind links in ihre Falle getappt. Verflucht, wie konnte ich nur so dumm sein und glauben, überhaupt den Hauch einer fairen Chance zu bekommen. Für Michael ist es noch immer nur ein Spiel. Ich Idiot hätte es besser wissen müssen.

Im Augenwinkel sehe ich den Hünen angreifen, seine Klinge rast auf mich zu, und prallt mit voller Wucht auf das Schwert in meinen Händen. Funken leuchten hell. Mit aller Kraft stemme ich mich gegen den Schlag, und sehe die dunklen, fast schwarzen Augen meines Gegners direkt vor mir.

„Du hast zehn Minuten, bevor Butch deinen Kumpel ins Jenseits befördert, also lerne schnell!“ Ich wage nicht zu atmen, meine Gedanken überschlagen sich: Zehn Minuten? Wir könnten den ganzen Tag hier oben verbringen und meine Chancen würden sich nicht verbessern. Ich zwinge mich zum durchatmen.

Nein, wenn er uns schnell und leicht hätte töten wollen, hätte er es vom Dach aus bereits getan. Butch und Toni sind Freunde, der schwarze Mann hat unseren Kindern zur Flucht verholfen. Das hier soll mich nur aus der Fassung bringen, rede ich mir ein. Das Zeitlimit schiebe ich bei Seite. Michael will kämpfen und sich messen, dafür ist er hier und er wird jeden Moment davon auskosten. Warum sollte er sich selbst den Spaß verkürzen?

Der Hüne zieht die Klinge zurück und holt aus. Er führt das Schwert mit nur einer Hand, ich brauche beide, um es irgendwie im Gleichgewicht zu halten. So kann ich auf keinen Fall einen Treffer landen. Seinem nächsten Hieb weiche ich aus und bringe, mit einigen Schritten zurück, Abstand zwischen uns. Ich muss unbedingt Zeit schinden. Je seltener er zu einem Hieb kommt, um so besser.

Michaels Blick ist verbissen und genervt.

„Langweile mich nicht!“, flucht er aufgebracht und kommt auf mich zu gestürmt. Im letzten Moment weiche ich zur Seite aus und dränge die Spitze seiner Klinge mit meinem Schwert weg. Mit zwei schnellen Schritten, bringe ich wieder Abstand zwischen uns. Er schaut noch verbissener. Ungeduld spiegelt sich in seinen Augen.

„Bleib gefälligst stehen und greif an!“, faucht er. Ich denk gar nicht daran. Auch seinen nächsten zwei Angriffen weiche ich auf die selbe Weiße aus und beobachte jede seiner Bewegungen genau. Wie er das Schwert hält, wie er von oben und wie von der Seite angreift. Immer wütender und kraftvoller geht er auf mich los, doch kein Hieb trifft mich oder meine Klinge direkt. Ich bin schneller und wendiger und er viel zu ungeduldig. Das erste Mal erkenne ich eine Schwäche an ihm. Seit Monaten hat er auf diesen Moment gewartet und nun weiche ich einer offenen Konfrontation aus. Das macht ihn unaufmerksam und rasend vor Wut. Er verbraucht für jeden Hieb, der mich zweiteilen soll, enorm viel Kraft, während ich einfach bei Seite gehe. Sein Atem geht schnell, der Rauch brennt uns beiden in den Lungen, doch nun ist er es, der immer wieder husten muss. Als er einmal mehr auf mich los geht, greife ich das Schwert mit nur einer Hand, seinem Hieb weiche ich aus und schwinge es, so wie er es getan hat: Von oben, quer nach unten. Ein tiefer Schnitt öffnet seinen Mantel und den Ärmel. Erschrocken betrachtet der Hüne mich und das frische Blut an meiner Klinge. Damit haben wir beide nicht gerechnet, denn auch mich überkommt ein überraschter Blick, den ich gleich in einen fieses Lächeln wandle. Ich lerne schnell und bin ein exzellenter Beobachter, dass sollte er wissen. Soll er mir ruhig noch mehr seiner Kampfkunst zeigen, ich werde alles gegen ihn richten.

„Nicht schlecht!“, meint er anerkennend und richtet sich zu seiner vollen Größe auf. Die Ungeduld schwindet aus seinem Augen und weicht der Lust nach Vergeltung. In seinem Schatten komme ich mir klein und verloren vor. Das Lächeln vergeht mir, ein fetter Kloß presst sich in meine Kehle und lässt mich schwer schlucken.

„Wie schade, dass du nicht lange genug leben wirst, um es wirklich mit mir aufnehmen zu können!“

Wie meint er dass? Hat er sich bisher etwa zurück genommen? Seine Klinge rast mit der Spitze voran auf mich zu. Ich habe sie kaum realisiert, als ein schneidender Schmerz durch meinen Oberarm gleitet. Mit den Augen folge ich der langen Klinge, die sich durch mein Fleisch schiebt und hinter mir wieder austritt. Mir wird schlecht bei dem Anblick. Der Schmerz folgt einen Moment später und lässt mich die Luft scharf, zwischen den zusammengebissenen Zähen einziehen. In einem Ruck zieht er die Klinge zurück. Ich greife nach der Wunde und halt den Atem an. Gequält betrachte ich das Blut, dass meine Finger hinabrinnt. Warum musste es ausgerechnet der rechte Arm sein? Das Schwert in meiner Hand beginnt zu zittern. Wie konnte ich nur so überheblich sein, zu glauben, ihm gewachsen zu sein, nur weil ich einmal zum Zug gekommen bin?

Auf Michaels Lippen blitzt ein zufriedenes Lächeln. Ich will es ihm aus dem Gesicht schneiden. Heißer Zorn brennt sich in mein Magen. Bevor mir mein Arm den Dienst verweigert, muss ich ihn ausschalten.

Er greift wieder an. In einem Hieb durchschneidet seine Klinge die Luft von oben nach unten. Im letzten Augenblick, kann ich meine Schwer zwischen mich und ihn schieben. Der kraftvolle Schlag erschüttert meinen verletzten Arm, doch ich spüre keinen Schmerz mehr, nur das heiße Kribbeln des Adrenalins in meinen Adern. Seine finsteren Augen mustern mich amüsiert. Er stemmt sich mit all seiner Kraft gegen mich und drückt mir die scharfe Klinge immer tiefer ins Gesicht. Strähnen meiner Haare rieselt herab, als sie mühelos durchtrennt werden. Ein kalter Schauer rinnt mir den Rücken hinab.

„Du hast keine Chance. Ich kann dich töten, wann immer mir danach ist. Das konnte ich schon immer“, lacht er und drückt energischer. Ich spüre die scharfe Schneider an der Stirn.

„Dein Problem, wenn du so lange wartest!“, entgegne ich. Heute Nacht schicke ich ihn die Hölle und wenn es das Letzte ist, was ich tue. Das bin ich all den Menschen schuldig, die seinetwegen sterben mussten. Aaron, Robin und ihr Baby, Jans bester Freund und all die anderen, die im Feuer vor fünf Jahren umgekommen sind. Ich werde für euch alle Kämpfen, bis er dafür bezahlt hat. Unbändiger Hass staut sich in mir. Ich lege meine zweite Hand über die stumpfe Seite der Klinge und stemme mich gegen ihn. Ungläubig betrachtet er mich, während ich ihn immer weiter zurück dränge. Das dünne Metall drückt sich tief in meine Hand, Blut fließt über die Klinge. Als ich genug Abstand zwischen uns habe, weiche ich zur Seite aus und greife ihn an. Die Klinge voran, von oben, von der Seite, immer wieder. Michaels blockt jeden Angriff. Metall kracht auf Metall. Ein freudiges Lächeln ziert seine Lippen, während jeder meiner Angriffe kraftvoller und energischer wird. Sei einmal zu langsam, zieh nur ein einziges Mal die Klinge zu spät hinauf, hoffe ich inständig, doch er weiß genau was er tut. Je energischer ich werde, um so ruhiger und besonnener blockt er ab, immer wieder. Meine Kraft lässt nach, der Rauch drängt sich immer wieder in unsere Richtung und reizt mich beim Atmen. Die Hitze des Feuers und die Anstrengung des Kampfes, lassen Bäche an Schweiß meine Stirn und meinen Rücken hinab laufen. Der Hüne schwitzt ebenfalls, doch er hat den längeren Atem. Als ich gequält zu husten beginne, greift er wieder an. Seine Klinge durchschneidet die Luft von allen Seiten, von oben, von unten, rechts, links. Ich weiche immer weiter zurück und schaffe es nicht mehr, jedes mal rechtzeitig auszuweichen. Ein Hieb streift mein linkes Bein, ein andere meine Wange. Sein Schwert giert mir immer wieder nach dem Leben. Der wilde Wind wirbelt den Rauch um uns herum und wieder weg. Meine Lungen brennen bei jeder Bewegung und die Hitze ist so unerträglich, dass mir die Kleidung am Körper klebt. Der Griff des Schwertes ist bereits feucht und glitschig. Immer weiter weiche ich vor seiner unbändigen Kraft zurück, bis mich ein Hindernis an den Hüften trifft. Ich stolpere und falle auf das schräg nach oben laufende Glasdach.

„Ahh!“, entfährt mir ein erschrockener Schrei. Michaels Klinge verfehlt mich nur um Haaresbreite. Blutdurst leuchtet in seine dunklen Augen auf, als er zu einem neuen Hieb ansetzt.

„Genug gespielt!“, schreit er und stößt zu. Adrenalin flutet meinen Körper, wie ein Rausch. Ich drehe mich zur Seite.

Die Klinge verfehlt meinen Kopf und durchschlägt das Glas unter mir. Mein Blick fällt durch die Scheibe der Überdachung, in die Halle darunter. Flammen lodern dort, wie der Schlund der Hölle und nur das Glas hindert mich daran, hinabzustürzen.

„Halt gefälligst still!“, flucht der Hüne. Er packt mich am Hals und drückt mich hart auf die Scheibe. Seine Finger pressen meine Kehle zu. Ich bekomme keine Luft mehr und lasse das Schwert fallen. Mit beiden Händen versuche ich seine Finger von mir zu lösen. Michael zerrt und reist an seinem Schwert, doch es lässt sich nicht aus der Scheibe ziehen. Sein Griff um meine Kehle lockert sich, erleichtert atme ich durch und betrachte seine vergeblichen Bemühungen. Er knurrt aufgebracht und gibt schließlich auf. Seine Hand verschwindet in seinem Mantel.

Er zieht seine Pistole und richtet ihren Lauf auf meinen Brustkorb. Verdammt! Reflexartig ziehe ich mein Knie hinauf und ihm gegen den Ellenbogen. Er drückt ab und verzieht den Lauf. Die Kugel streift meine Schulter und schlägt durch das Glas. Die Scheibe splittert und knackt unheilvoll. Gänsehaut überzieh meinen ganzen Körper, ich atme angstvoll. Ewig wird es mein Gewicht nicht mehr tragen.

„Jetzt halt gefälligst still, wenn ich dich erschießen will!“, schreit der Hüne wieder. Sein Zeigefinger krümmt sich um den Abzug. Ein jähes Stechen durchzuckt mein Herz, als weiteres Adrenalin meinen Körper flutet. Er drückt ab. Ich ducke mich zur Seite.

Die Kugel streift meine Wange und zersplittert die rechte Hälfte des Fensters. Die Scheibe ächzt. Angstschweiß rinnt mir den Rücken hinab. Michael legt wieder an. Mir stockt der Atem, er zieht den Abzug, einmal, zweimal, dreimal. Ich zucke immer wieder zusammen, doch spüre keinen Schmerz. Die Waffe klickt, doch kein Schuss verlässt den Lauf. Verstört blicke ich den Hünen ins Gesicht, er schaut genervt zurück und rollt mit den Augen. Ist das Magazin etwa leer? Für einen Moment verharren wird beide regungslos. Ich habe mehr Glück als Verstand!

Er seufzt hörbar und löst das Magazin. Nein, genug, das war seine letzte Chance mich zu erschießen. Ich greife das Schwert zu meinen Füßen und sehe ihn hasserfüllt an. Mit der Klinge voran stoße ich es ihm in den Leib, so tief und lange, bis es mit dem Griff anstößt. Er stöhnt gequält und krümmt sich über mich. Die Pistole fällt ihm aus den Händen. Seine Augen mustern mich wild und anklagend. Schmerz und Überraschung zucken in seinen bebenden Mundwinkeln.

„Bestell Denjiel schöne Grüße in der Hölle von mir! Er wird sich freuen, dir für dein Versagen den Arsch aufzureißen!“, werfe ich ihm an den Kopf. Nun wird er es sein, der seinem Freund als erster gegenüber steht. Das Schwert steckt tief in seiner Brust und ragt weit aus seinem Rücken. Er stöhnt und röchelt, seine Hände umklammern den Griff krampfhaft. Ungläubig betrachtet er mich. Seinen sterbenden Körper trete ich zur Seite und den Griff des Schwertes tiefer in seinen Körper.

„Arrggh!“, schreit er. Ich drücke mich hoch und steh auf. Nur weg von dem Glas und der Hölle darunter. Michaels schwerer Körper sackt auf die gesplitterte Scheibe, sie knackt unter ihm. Wie ein Spinnennetz breiten sich weitere Risse im Glas aus.

„Denjiel hatte Unrecht ...“, röchelt er. Ich drehe mich nach ihm um. Wo nimmt er nur die Kraft her, jetzt noch zu sprechen?

„Es ist keine Schande, von dir getötet zu werden“, keucht er weiter. Irritiert betrachte ich ihn. Ist das sein ernst? Waren das etwa Denjiels letzte Worte, als er starb? Na kein Wunder, welcher Pate wird schon gern von einem fünfzehnjährigen Knaben über den Haufen geschossen.

„Aber … wenn ich schon draufgehen muss, dann kommst du gefälligst mit!“, keucht er weiter. Seine Hände klammern sich enger um den Griff. Mit aller Gewallt zieht er die Klinge aus seinem Leib. Entsetzt sehe ich ihm dabei zu. Warum stirbt er nicht einfach, wie jeder andere Mensch auch? Kann er nicht aufgeben und endlich verrecken? Dieser Dreckskerl ist genau so stur, wie ich. Die Scheibe unter Michael knackst und bildet immer größere Risse. Das Feuer der Hölle brennt noch immer dort unten. Wird Zeit den Teufel in sein Reich zurück zu schicken. Ich ziehe meine Waffe und richte sie auf das Glas.

„Fahr zur Hölle!“ Ich ziehe den Abzug und zerschieße die Scheibe. Sie zerspringt unter dem Hünen in tausend Scherben und reist ihn mit sich.
 

Ein heftiger Schmerz durchzieht meinen Unterleib. Ungläubig betrachte ich die lange Klinge, die sich knapp über meine Hüfte in mein Fleisch schlägt. Michael lächelt mich siegessicher an, während er in die Tiefe stürzt. Wie hat er es nur geschafft, noch einmal zuzustoßen? Ein zerreißender Druck frisst sich durch meine Hüfte, mein Bein wird taub und beginnt zittern. Die Waffe fällt mir aus den kalten Fingern, ich greife nach der Klinge. Meine Beine wollen mein Gewicht nicht mehr tragen, ich stolpere einen Schritt zurück. Fassungslos betrachte ich die endlose Schneide, die mich bis zum Anschlag durchbohrt.

Ein lauter Knall zerreißt die Luft, ein zweiter folgt gleich darauf. Heftig schlägt etwas in meine Schulter ein und stößt mich um. Wie in Zeitlupe sehe ich mich selbst fallen. Durch den Fensterrahmen, vorbei an den dutzend Scherben, die wie Dolche von ihm abstehen. Sie streifen meine Arme und Beine und hinterlassen brennende Wunden. Nein! Ich habe doch gewonnen, ich werde jetzt nicht dort hinab stürzen. Geistesgegenwärtig greife ich nach dem Balken, der die Scheiben zuvor zusammen gehalten hat. Eisern packe ich zu. Mein ganzes Gewicht zieht an meinem Arm. Rauch und Qualm steigen an mir hinauf, Hitze überwältigt mich und hüllt mich ein.

Das Schwert bewegt sich in der Wunde, der Griff kippt nach hinten und zieht die Klinge Stück für Stück mit sich.

„Ahhhh!“, schreie ich laut und beiße die Zähne fest aufeinander. Ich wage nicht zu atmen, nicht zu denken. Langsam und Ruck für Ruck, gräbt sie sich ins Freie. Warum muss das scheiß Teil nur so endlos lang sein? Der Schmerz raubt mir allmählich die Kraft und der beißende Qualm nimmt mir die Luft zum Atmen. Ich huste gequält. Die Klinge wippt in meinem Körper auf und ab und fällt schließlich in die Tiefe.

„Ahhh, ahhhh, ahh!“, schreie ich wieder und wieder und spüre keine Erleichterung. Ich greife nach der Wunde presse sie zu, Blut rinnt mir über die Finger und läuft mir die Beine hinab, ein unaufhörlicher Strom, der mir ganz allmählich die Sinne verdunkelt. Die Hitze des Feuers frisst sich durch meine Kleidung, es riecht verbrannt.

„Ahhhrggg!“, kreischt unter mir der Hüne, während die Flammen ihn verschlingen. Verdammt, mir blüht das selbe Schicksal! Meine Finger lösen sich immer weiter. Sie sind nass und krampfen unter dem Gewicht, das an ihnen reißt. Verdammt, ich kann nicht mehr! Ich habe einfach keine Kraft mehr in diesem verwundeten Körper. Die Hitze gräbt immer tiefer Spuren in meine Kleidung, ich zittere, es frisst mich auf.

Ach verdammt, was solls. Meinen Schwur habe ich eingelöst, das muss eben reichen. Wahrscheinlich ist es einfach unvermeidlich und mein Schicksal. Ich habe lange genug dagegen angekämpft. Dafür, dass ich schon mit fünfzehn hätte sterben sollen, habe ich doch lange durchgehalten. Genug Schmerz, genug Elend und Verlust. Ich schließe die Augen und hoffe inständig, dass mich bereits der Aufprall tötet. Meine Griff um den Balken löst sich, ich gebe ihn frei.



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Kommentare zu diesem Kapitel (1)

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Von:  Scorbion1984
2016-01-22T11:51:15+00:00 22.01.2016 12:51
Das ist doch nicht sein Ende ,oder ?!
Antwort von:  Enrico
22.01.2016 13:02
Wird nicht verraten ^-^
Freu dich aufs nächste Kapitel ...


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