Dein Spiegel liebt dich

Man in the mirror

Dein Spiegel liebt dich
 

Kann sich jemand vorstellen, wie unbefriedigend es ist, stundenlang auf einen unbewegten Raum zu starren? Das Bad ist so langweilig. Die weißen Fliesen, die Ritzen dazwischen, die Waschmaschine gegenüber, es ist immer das Gleiche und sehr öde. Ich kann die Augen nicht zumachen, nicht wegschauen, gar nichts. Mein Leben ist nur interessant, wenn sich jemand vor mich hinstellt und irgend etwas macht. In der Zeit dazwischen verändert sich sonst nur das Licht, das durchs Fenster kommt. Daran kann ich die Tageszeiten erraten. Die Uhr kann ich nicht sehen, weil sie in meinem Seitenfach steht, links unten. Schließlich bin ich ein verspiegelter Badschrank, nicht so ein flaches, unfunktionales Teil. Ich bin geräumig, platzsparend und praktisch. Das hat schon damals die Verkäuferin im Laden über mich gesagt, und ich muss zugeben, dass ich mich ein bisschen geschmeichelt gefühlt habe. Aber nur ein bisschen, schließlich ist es die Wahrheit. Die beiden haben gut daran getan, mich zu kaufen.
 

oOo
 

Es ist irgendwann am Nachmittag. Ich fühle mich so... nicht direkt schmutzig, aber auch nicht mehr ganz sauber. Da ist ein Spritzer Zahnpasta auf mir drauf! Ich brauche dringend eine Abreibung mit dem Glasreiniger. Und Naruto ist dran. Er steht vor mir und soll mich putzen. Diesmal hoffentlich richtig! Keine Schlampereien, versuche ich ihm einzuschärfen. Er guckt mürrisch, als hätte er etwas Besseres zu tun. Unverschämtheit. Dass unsere Beziehung eine ist, die auf gegenseitiger Wertschätzung basiert, hat er wohl immer noch nicht begriffen. Missmutig spritzt er ein bisschen Reiniger auf meine Oberfläche. Schau doch nicht so, als würdest du hier das Klo putzen oder so! Das ist ja wohl kein Vergleich!
 

Muss er mich so griesgrämig anschauen. Ich finde, seine Behandlung ist ganz schön ruppig. Lieblos geradezu. Und jetzt wischt er nicht mal richtig die Ecken, kaum zu glauben. Du Schlamper, rufe ich, das sage ich Sasuke! Sasuke putzt mich immer gründlich, und du schummelst!
 

Er brabbelt irgendwas vor sich hin, ich weiß gar nicht, ob ich es wissen will, aber "ich hasse Putzen" ist auf jeden Fall dabei. Ich kann nämlich Lippen lesen, sonst wäre mein Leben nur halb so interessant. Du Armer, tust mir ja so leid. Würdest du beim Zähneputzen nicht immer reden und so viel rumspucken, wäre ich längst nicht so schmutzig!
 

Ich habe Lust, ihn in die Finger zu zwicken. Und das Beste daran ist, es ist einfach völlig unmöglich, dass er je rausfindet, dass ich das bin. Menschen haben ja keine Ahnung...
 

Meine rechte Tür steht schon die ganze Zeit offen, während er die linke Seite 'geputzt' hat. Gleich wird er sie wieder zumachen, und dann – und dann – jetzt gleich, jetzt –
 

"Aua! Du blöder Schrank!" Naruto schreit und starrt mich wütend an. Huch, er sieht ja richtig erbost aus. Gleichzeitig wedelt er mit seiner Hand in der Luft herum. Wie blöd das aussieht! Ich lache mir ins Fäustchen. Das hat er nur so gesagt, er weiß ja nicht, dass in Wirklichkeit ich –
 

AU! Das kann doch wohl nicht sein Ernst sein–!
 

"Das hast du jetzt davon! Was du kannst, kann ich auch, aber dreimal!" Er hat es getan, er hat mich wirklich geschlagen! Mit der Faust gegen meine frisch spiegelnde Fläche. Naruto hat sich mir gegenüber schon einiges erlaubt, aber selten habe ich mich so verletzt gefühlt wie in diesem Augenblick. Na warte, du Würstchen!
 

oOo
 

Morgens. Die Badezimmertür öffnet sich und Sasuke kommt herein. Komm her, hechle ich, schau mich an! Er wirft einen kurzen Blick auf mich, bevor er aufs Klo geht. Zugegeben, eigentlich schaut er sich in mir an, aber trotzdem. Das ist, als würde er mir einen guten Morgen wünschen. Dafür versuche ich auch nicht hinzusehen, während er die Toilette benutzt. Wirklich wegschauen kann ich nicht, weil ich eine absolut starre Oberfläche habe und nicht verhindern kann, dass er sich in mir spiegelt, aber ich kann mich ja auf etwas anderes konzentrieren, ihm zuliebe.
 

Er stellt sich ans Waschbecken, vermutlich wäscht er sich die Hände. Du hast heute aber ganz schön viel Schlaf in den Augen, sage ich besorgt, mach das lieber gründlich weg, sonst siehst du den ganzen Tag verschlafen aus. Sasuke runzelt die Stirn und schaut seine Augen an, dann reibt er mit dem Finger den Schlaf weg. Da ist aber noch was...!
 

Bevor ich genauer schauen kann, macht er meine rechte Tür auf und holt seine Waschlotion für morgens heraus. Ich erhasche einen kurzen Blick auf die rechte Seite des Badezimmers – das Regal neben dem Klo, die Duschzelle und das Fenster – dann werde ich wieder herum geschwenkt und zugemacht. Es ist ganz schön komisch, zwischenzeitlich zwei verschiedene Sachen zu sehen, wie ein Chamäleon. Aber Sasuke ist nett und macht mich so zu, dass meine Tür nicht knallt. Naruto ist so etwas natürlich egal.
 

Sasuke zuzusehen erfüllt mich jedes mal mit Stolz. Wenn er sich das Gesicht wäscht, tut er es mit Umsicht. Er rubbelt nicht zu fest, weil das der Haut schadet, und er weiß, dass man Pflegeprodukte ein bisschen einwirken lassen muss, damit sie einen Effekt haben. Cremes schmiert er sich nie aufs Gesicht, er klopft sie ein, mit den Fingerspitzen. Besonders die Haut um die Augen, da klopft er nur mit seinen Ringfingern. Sasuke ist ein Profi, aber ohne mich geht natürlich gar nichts. Ich bin sein bester Freund und unersetzlich. Stop, rufe ich, als er sich zum Gehen wendet. Kontrolliere lieber nochmal, ob wirklich alles passt!
 

Er kommt zurück und findet noch eine kritische Stelle neben seiner Nase. Ha, er folgt mir aufs Wort, ich habe ihn total in der Hand. Sasuke weiß eben, was sich gehört. Tagsüber ist er leider meistens nicht da, aber er braucht immer extra lange, um sich die Haare zu stylen, er benutzt jeden Tag Zahnseide und konsultiert mich, wenn er sich die Brusthaare entfernt. Vielleicht macht er das ja absichtlich, für mich? Damit ich nicht so alleine bin?
 

Plötzlich schaut er grimmig zur Tür. Was ist denn los? Ich kann nicht hören, nur sehen und spüren. Ich glaube, da hat jemand geklopft. Sasuke ignoriert es und schaut lieber wieder mich an. Ist eh besser, ich will nicht, dass er schon geht. Er dreht ein bisschen den Kopf, um seine Haare von der Seite zu sehen. Die Augenbrauen sind kritisch zusammengezogen.
 

Gut siehst du aus! Keiner kann dir das Wasser reichen! Aber ts, er lässt sich wieder ablenken. Sein Kopf dreht sich ruckartig, er schaut erneut zur Tür.
 

"Ich hab dich schon beim ersten Mal gehört, dobe", schnappt er. Er sieht wirklich aus, als würde er schnappen, oder bellen vielleicht. Meine Erfahrungen mit Hunden sind nur sehr begrenzt.
 

Sasuke macht ein finsteres Gesicht und zupft weiter an seinen Haaren, aber irgendwie scheint mir die Hingabe etwas verloren gegangen zu sein. Ich fürchte, ich muss ihn für den Moment ziehen lassen. Schade.
 

oOo
 

Nachmittag. Ich habe mir einen Plan zurecht gelegt. Ich werde Naruto zur Sau machen! Ich weiß ja, wie abhängig er von mir ist. Auch Naruto kommt recht oft zu mir und schaut sich an. Das kann ich zu meinem Vorteil nutzen. Ich werde ihm von jetzt an nur noch seine hässlichsten Seiten zeigen. Er wird sich davor fürchten, in den Spiegel zu schauen, wenn ich mit ihm fertig bin!
 

Da kommt er endlich. Wurde auch Zeit! Er hat einen besonders lockeren, beschwingten Gang drauf, als wäre er extrem zufrieden mit sich. Misstrauisch folge ich seinen Bewegungen. Der führt doch irgendwas im Schilde!
 

Er scheint gar nichts Bestimmtes im Bad zu wollen. Er kommt direkt zu mir. Wenn der wüsste. Sobald seine Augen auf meine Oberfläche treffen, fange ich an: Du bist widerlich, Naruto. Schau dich doch mal an, wie deine Haare abstehen. Wann warst du das letzte Mal beim Friseur, hä? Und die komischen Narben im Gesicht, merkst du eigentlich, wie dich die Leute immer anstarren? Die denken bestimmt, du hättest dich mit irgendwelchen Verbrechern eingelassen und bist ein übler Schlägertyp, und dafür hassen sie dich! Weil du hässlich bist! Deine Schultern sehen irgendwie klobig aus, deine Backen sind viel zu rund, dieses komische Blau in deinen Augen, die Farbe gibt’s doch gar nicht! Du Witzfigur, du Karikatur –
 

Er tut so, als würde er mich nicht hören. Stattdessen hakt er seine Finger in die Mundwinkel und fängt an, Grimassen zu schneiden. Für einen Moment bin ich absolut sprachlos. Da hänge ich hier und versuche, mir irgendwas aus den Fingern zu saugen, um ihn auf profunde und nachhaltige Art unglücklich zu machen, und er ignoriert mich völlig! Sein Mund ist so breit wie bei einem Breitmaulfrosch, er kneift die Augen zusammen und streckt die Zunge raus. Mir, er streckt mir die Zunge raus und schneidet mir Grimassen direkt ins Gesicht! Und jetzt lacht er auch noch so doof!
 

"Wenn ich die Konohamaru zeige, hehehe."
 

Was für eine Demütigung!
 

oOo
 

Abends. Sasuke steht vor mir und stylt sich die Haare. Er trägt ein schickes blaues Seidenhemd, ich glaube, sie wollen ausgehen.
 

Mach deine Augenbrauen, schlage ich ihm vor. Er kneift die Augen zusammen und findet die kritische Stelle, die ich entdeckt habe. Konzentriert greift er mit der Pinzette ein Härchen nach dem anderen. Wer wäre ich, wenn ich sein Bild nicht so klar und scharf wie möglich zurückwerfen würde! Wir sind ein eingespieltes Team, auch wenn es um fitzelige Sachen geht. Jeden Tag machen wir das, das ist großartiges Teamwork! Da, Sasuke, links oben ist noch eine – ja, da auch, aber weiter links, weiter links! Genau da! Er ist wirklich am besten dran, wenn er auf das hört, was ich ihm sage. Er braucht mich.
 

Ich habe eine Idee. Wie wär's, wenn du mal Eyeliner ausprobieren würdest, Sasuke? Das würde absolut umwerfend aussehen.
 

Er stutzt, auf einmal wirkt er fast ein bisschen unsicher, als betrachte er sich mit neuen Augen und wüsste nicht recht, was er davon halten soll. Ich versuche frenetisch zu nicken. Sieht er nicht, wie ich nicke? Mach es mach es mach es! Aber er runzelt die Stirn und scheint die Idee zu verwerfen. Mann Sasuke, wenn ich es dir doch sage... du weißt, dass das der Killer wäre, der absolute Oberhammer.
 

Ja, ich glaube er weiß es! Jetzt lächelt er ein bisschen, als würde er sich genau das vorstellen. Ha! Ich habe ihm meine Idee in den Kopf gepflanzt! Ich kann es kaum erwarten, bis er mit dem Ding wieder kommt, ganz im Vertrauen zu mir, und dann helfe ich ihm das aufzutragen. Allein wird er das ja wohl kaum hinkriegen.
 

Beim Rausgehen schaut er mich ein letztes Mal an. Ich weiß, was er hören will, und ich gebe es ihm. Makellos! Er grinst selbstzufrieden, ich glaube, er hat mich gehört.
 

oOo
 

Nachts. Was hat das zu bedeuten...? Ich glaube... ich glaube die werden gleich Sex haben! Im Bad, direkt unter meinen Augen! Letztes Mal waren sie in der Dusche, aber diesmal stehen sie vor mir, soweit ich sehen kann nackt. Ich weiß nicht, was ich davon halten soll, ich fühle mich irgendwie peinlich berührt. Mich beschleicht das Gefühl, dass sie wollen, dass ich... mitmache. Naruto schaut schon wieder so schelmisch...
 

"Verrätst du mir jetzt, warum wir das unterbrechen und unbedingt hierher gehen mussten?" fragt Sasuke. Er sieht ungeduldig und gereizt aus. Eigentlich ist er auch ziemlich rot im Gesicht, und ein bisschen verschwitzt. So würde ich ihn nicht rausgehen lassen.
 

Naruto grinst. "Erstens, weil ich es in jedem Raum der Wohnung mit dir treiben will und heute habe ich Lust aufs Bad."
 

"Wir haben es schon etliche Male in der Dusche getan." Sasuke verschränkt die Arme vor der Brust und schaut Naruto an, als hätte er einen Schweizer Käse als Hirn. Meiner Meinung nach – korrekte Annahme.
 

"Die Dusche zählt nicht. Die ist wie ein extra Raum. Und zweitens will ich, dass du dabei in den Spiegel schaust."
 

Iiieh, meint der mich?
 

Sasuke zieht die Stirn kraus. Er sieht gleichermaßen verblüfft und abgeneigt aus. "Wie kommst du auf die Idee, dass ich –"
 

"Und drittens", sagt Naruto und hält grinsend zwei Wäscheklammern hoch, "will ich, dass du die dabei trägst."
 

Sasuke starrt ungläubig auf die Wäscheklammern und wird noch röter. Er schluckt. Sasuke, überlegst du etwa ernsthaft, ob du –
 

Er schaut mich nicht an, also hört er mich auch nicht. Seine Arme lösen sich und geben langsam den Blick auf seinen Oberkörper frei. "Hast du den Verstand verloren? Ich lasse dich mit diesen Dingern keinen Schritt weiter an mich ran!"
 

Warum stehst du dann immer noch da, Sasuke? Warum hast du deine Arme nicht gelassen, wo sie waren? Du Trottel!
 

Naruto hört nicht auf zu grinsen. "Die hier ist für die rechte und die für die linke Brustwarze. Ich klemme sie dir hin, du darfst sie nicht anfassen."
 

"Du hast sie wohl nicht mehr alle!" Sasuke scheint nicht zu wissen, was er will. Er macht einen halben Schritt zurück, aber gleichzeitig schaut er auf die Klammern und leckt sich die Lippen. Und jetzt passiert eine höchst interessante Wandlung in seinem Gesicht. Eben noch hat er empört und entrüstet ausgesehen, dann einen Moment fast ängstlich und jetzt auf einmal entschlossen und... als hätte er angebissen. Das alles in Sekundenschnelle, aber mir entgeht so etwas nicht.
 

Naruto offenbar auch nicht. Er tritt auf Sasuke zu, beugt sich zu seiner Brust herunter und nimmt Sasukes Brustwarze in den Mund. Die Wäscheklammern hält er wohl beide in einer Hand, weil er mit der anderen Sasukes Seite streichelt. Ich kann sehen, dass Sasuke das gefällt. So wie er jetzt schaut hat er mich noch nie angesehen. Ich dachte, ich kenne alle seine Gesichtsausdrücke! "Naruto...", sagt Sasuke, als würde er gleich umfallen. Naruto macht irgendwas mit seinem Mund und der anderen Brustwarze, dann holt er die Klammern wieder hervor und macht sie an den Brustwarzen fest. Sasuke tut so, als wäre nichts, aber ich sehe genau, wie er zuckt. Seine Lippen sind leicht geöffnet. Ihr Freaks, alle beide!
 

Sie ignorieren mich. Naruto scheint sein Werk zu bewundern, dann berührt er Sasukes Gesicht mit der Hand und küsst ihn. Immer dieses Geküsse. Können sie einander nicht einfach die Haare kämmen oder so? Ich kann ja nicht wegschauen und ich lese Lippen, und wenn sie sich küssen, sagen sie die ganze Zeit "Mmmpfschlurpschlurpshlshlshltchbtchmmooochh". Was soll das überhaupt bedeuten, das ist nicht mal ein richtiges Wort!
 

"Dreh dich um", sagt Naruto und Sasuke macht. Himmel er macht es, und jetzt schaut er mich an! Nein, nicht mich, sein Gesicht zeigt zwar zu mir, aber sein Blick geht in Richtung Waschbecken. Er hat die Hände darauf gestützt, glaube ich, weil er leicht vornübergebeugt dasteht. Sasuke, schau nach oben du Idiot! Er sieht es ja nicht, aber ich sehe, wie Naruto sich ihm von hinten nähert, und er sieht aus, als würde er Sasuke gleich auffressen!
 

Naruto macht irgendwas mit seiner Hand und einem Teil seines Körpers, den ich nicht mehr sehen kann, unten bei Sasuke, und auf einmal schnellt Sasukes Kopf in den Nacken und er sieht aus, als würde er extrem leiden. Gleichzeitig stöhnt er, sein Adamsapfel hebt und senkt sich. "Mach die Augen auf, Sasuke", sagt Naruto hinter ihm. Er sieht nicht viel besser aus, gerötetes Gesicht mit fast unheimlich glänzenden Augen. Sasuke gehorcht ihm widerstrebend, und – oh mein Gott, er schaut mich an und in mir sieht er Naruto hinter sich, der zurückschaut. Ich kann nicht sagen, ob ich mich mit einbezogen fühle oder im Gegenteil irgendwie total übergangen, obwohl sie beide direkt hier vor mir stehen. Ich starre eisern zurück, auf beide. Du siehst notgeil aus, Sasuke. Du hast ihn in der Hand, Naruto, schau ihn dir an. Naruto fängt an, Sasuke gegen das Waschbecken zu drücken, und die Klammern wippen rhythmisch auf und ab. "Schau mich an, wie ich dich ficke", sagt Naruto in Sasukes Ohr. Und Sasuke schaut, als würde er dringend irgendetwas brauchen. Ich habe nicht den blassesten Schimmer, was. Ich kann nirgendwohin. Ich bin bloß der Spiegel.
 

Irgendwann verliert Sasuke jegliche Contenance. Seine Stirn rauscht auf mich zu, und auf einmal habe ich sie auf meiner Oberfläche kleben, mit nassen Haaren und allem. Ich mag dich ja auch, Sasuke, aber so nah muss mir deine schwitzige Stirn auch nicht kommen...
 

Ich kann Narutos Worte nicht mehr richtig lesen. Es ist, als hätte ich was im Auge. Meine Oberfläche ist komplett beschlagen.
 

oOo
 

Oh, Naruto. Ich kenne deine schmutzigsten Geheimnisse. Du schnüffelst an Sasukes Pflegeprodukten und riechst schamlos an deinen Achseln, um zu testen, ob dein Deo noch hält. Du grinst mich immer an, als würde ich dir konstant erzählen, wie toll du bist, dabei versuche ich dich seit Jahren vom Gegenteil zu überzeugen. Ich glaube, du bist taub! Du schummelst beim Saubermachen und bei der Gesichtsreinigung machst du oft nur Wischiwaschi. Willst du wirklich, dass zu deiner langen Liste an Verfehlungen noch etwas hinzukommt?
 

Anscheinend. Was auch immer du mit dieser Gurke willst, schwant mir Übles. Ich sage, lass es –
 

Natürlich hörst du mal wieder nicht auf mich. Soweit ich gehört habe schneidet man Gurken, man steckt sie sich nicht ganz in den Mund. Das scheint zwar eine kleinere zu sein, aber trotzdem. Oh, und du hast gar nicht vor sie zu essen? Was hast du dann vor? Warum hast du dich vorhin so geduckt und umgeschaut, als hättest du Angst, jemand könnte dich sehen? Warum hast du dreimal kontrolliert, ob du die Tür wirklich abgesperrt hast?
 

Ich weiß ja nicht, was der Junge noch in seinem Leben vorhat, aber auf diese Weise könnte er es auf der Stelle beenden. "Lieber so, oder doch so?" murmelt er zwischendrin, wenn die Gurke wieder aus dem Mund draußen ist. Dann schiebt er sie erneut hinein. Offenbar versucht er, sie so weit wie möglich in seinen Mund zu bekommen. Muss ich ihm jetzt ernsthaft erklären, wie eine simple Nahrungsaufnahme funktioniert?
 

Er hat die Gurke tief im Hals stecken, und jetzt schaut er mich an. Was... was ist das?! Versucht er ernsthaft einen koketten Augenaufschlag? Naruto, du siehst lächerlich aus. Du machst dich hier gerade total zum Affen! Er ändert seinen Gesichtsausdruck, versucht eine Art verschlagenes Grinsen um die Gurke. Mann, du siehst einfach nur doof aus! Sasuke macht nie irgendwas Peinliches im Bad!
 

Ah, das saß. Er schüttelt den Kopf und zieht die Gurke wieder raus. Er lacht ein bisschen. "Nein, so funktioniert das nicht." Er wiegt die Gurke in der Hand. "Zuerst muss ich sie ganz hinter kriegen, und dann kann ich mir überlegen, wie es am besten aussieht..." Naruto, du siehst aus, als würdest du vernünftig reden und gleichzeitig etwas total Dämliches machen. Da gibt es kein "am besten"!
 

Er stellt sich vor mich hin und reißt seinen Mund ganz weit auf. Kritisch schaut er sich in den Rachen. Ich sehe sein Zäpfchen. Dann schiebt er sich die Gurke erneut in den Mund, langsam diesmal. Das macht er ein paar Mal. Er posiert mit der dämlichen Gurke, und dann fragt er auch noch, "hm, siehst das doof aus?"
 

Ja du Hampelmann, das sieht bescheuert aus, einfach nur bescheuert! Hörst du mich denn nicht! Natürlich nicht, er probiert es erneut. Warum fragst du mich dann überhaupt, wenn dir meine Meinung eh egal ist!
 

Er kneift die Augen zusammen und nimmt die Gurke wieder raus. "Wie macht er das nur, verdammt noch mal!" Er schaut ratlos auf das Gemüse. "Das muss doch noch weiter hinter gehen, ohne...! Und dann auch noch dabei schlucken oder was!" Ohne... ohne was, Naruto? Er versucht die Gurke immer weiter in seinen Hals zu schieben – oh oh, mach das lieber nicht – Naruto ich habe ein schlechtes Gefühl dabei! Naruto hörst du mich? Ich habe keine Ahnung wovon du redest aber ich bin mir sicher Sasuke würde sowas niemals tun, nie im Leben –
 

Die Gurke steckt tief in Narutos Hals, er reißt plötzlich die Augen auf und wird knallrot – ich kenne diesen Blick das ist genauso wie damals als du total betrunken warst und es nicht mehr bis zum Klo –
 

IGITT IGITT IGITT!!! Er würgt die Gurke raus und kotzt ins Waschbecken! Mach das weg! Mach das sofort weg du Psycho!
 

…
 

Ich glaube, ich hatte eben ein Blackout. Naruto ist bereits dabei, das Waschbecken zu schrubben. Er sieht extrem frustriert und genervt aus. "Weiß eh nicht, was der ganze Rummel soll", brabbelt er vor sich hin, "das war's mit dem Deepthroaten, das kannste dir abschminken, teme..."
 

Diesmal schrubbt er mich peinlich genau. Und er putzt eine Viertelstunde Zähne.
 

oOo
 

Es ist fünf Uhr vierzig, das habe ich auf der Uhr gesehen, als Naruto meine linke Seite aufgemacht hat. Er ist kein Frühaufsteher. Sein Pech. Ich werfe sein zerknautschtes Gesicht in das ungünstigste Licht. Seit Tagen tue ich nichts anderes. Wir sind offiziell im Krieg.
 

Naruto, du siehst scheiße aus, sage ich hart. Augenringe bis zum Boden und eine Haut wie grauer Käse. Er schaut sich an und zuckt zurück. Ha, kalt erwischt!
 

Sasuke kommt dazu, legt ihm einen Arm um die Seite. "Morgen", nuschelt er an sein Ohr. Glaube ich zumindest. Naruto sieht immer noch unglücklich aus. "Alles klar?", fragt Sasuke. Naruto wirft mir einen finsteren Blick zu. Er lacht ein bisschen unlustig. "Es ist albern, aber manchmal habe ich fast das Gefühl, der Spiegel hasst mich."
 

Was, ich? Neeeein, ich doch nicht.
 

Sasuke blinzelt. "Wie kommst du denn darauf?"
 

Naruto zieht die Schultern hoch. "Ich weiß nicht, an manchen Tagen, wenn ich mich eh schon beschissen fühle, habe ich das Gefühl, sobald ich mich im Spiegel sehe, wird es noch viel schlimmer. Es ist fast, als könnte ich eine Stimme hören, die mir sagt, ich soll mich verpissen und irgendwo sterben gehen."
 

Oh?
 

Sasuke lacht verblüfft. "Das ist albern. Es ist bloß ein Spiegel, Naruto." Dann greift er zur Zahnbürste und fängt an zu schrubben. Naruto macht ein Schmollgesicht, dann schubst er Sasuke leicht zur Seite und beugt sich vor, um sich das Gesicht zu waschen. Sasuke schaut auf Narutos Rücken, und sein Blick wird weicher.
 

Mir gefällt nicht, wie Sasuke mich mit einer Geste abgetan hat. Oder wie er das Wort 'Spiegel' gesagt hat. Als würde er sagen 'lebloser dummer Kartoffelsack'.
 

Nachdem Naruto gegangen ist, schaut mich Sasuke auf einmal seltsam an. Was machst du da, Sasuke? Was soll dieser kritische Blick? Er öffnet und schließt meinen Schrank ein paar Mal nacheinander. Auf seiner Stirn ist eine tiefe Furche.
 

Sprich mit mir, Sasuke! Du hast dir gerade irgendwas in den Kopf gesetzt, stimmt's? Etwas ganz dummes, hörst du, so siehst du aus, wenn du dumme Entscheidungen triffst! Ich kenne dich, Sasuke, ganz schlechte Idee, gaaaanz schlecht –
 

Er hört mich nicht und verlässt das Bad.
 

Als ich sie wieder sehe, merke ich sofort, dass etwas nicht in Ordnung ist.
 

"Meinst du wirklich?", fragt Naruto und schaut mich prüfend an.
 

"Ja", sagt Sasuke, "das Quietschen der Tür nervt mich schon die ganze Zeit." Er macht meine Tür auf und zu. Was? "Und der Lack ist an den Ecken schon total weggebrochen." Redet er über mich? Mein Lack, was soll daran verkehrt sein?
 

"Ich weiß nicht, so übel ist er doch gar nicht. Wir könnten ihn ja neu lackieren..."
 

Worüber reden die hier eigentlich? Mir ist etwas unheimlich zumute – hat mich Naruto eben verteidigt?
 

"Nein, wir verkaufen ihn." Sasuke hat die Tür zugemacht und sich von mir abgewandt. Wie bitte? Sagtest du gerade... verkaufen? Mich? Wenn ich könnte, würde ich hektisch zwischen den beiden hin- und her schauen. Das muss ein Irrtum sein.
 

"Aber dann müssten wir uns einen neuen kaufen." Wie – reden die schon über einen neuen? Und was ist mit mir? "Und der hier passt so gut in die Nische. Schau, da sind rechts und links noch genau zwei Zentimeter Platz."
 

Naruto – du rührst mich zu Tränen! Guter Kerl, wir haben uns doch immer blendend verstanden! Ich hab das doch alles gar nicht so gemeint, du bist mein bester Freund, weißt du doch–!
 

Sasuke dreht sich wieder um. "Naa, er ist alt und quietscht und wir könnten einen viel besseren haben."
 

Ich glaube es einfach nicht! Sasuke, du – du Verräter! War ich nicht immer gut zu dir! Jeden Tag habe ich dich gesehen und alles für dich getan, dein Ego poliert und immer die richtigen Sachen gesagt! Nie hätte ich gedacht, dass du mich so im Stich lassen würdest! Ich hasse dich Sasuke, ich habe mich so in dir getäuscht!
 

Er hat die Nerven, beim Rausgehen nochmal sein Spiegelbild zu kontrollieren, und ich sage automatisch, du siehst perfekt aus.
 

oOo
 

Ein Fremder steht im Bad und schaut mich an. Wer ist dieser Typ? Wieso trägt der eine Maske, kann man dem trauen? Ich kann gar nicht sehen, was der redet! Seid ihr sicher, dass der mich kaufen will und nicht irgendwo verschrottet? Oh Gott, das könnt ihr mir nicht antun, ihr bringt mich auf den Recyclinghof...!
 

Der Typ sagt irgendwas, Sasuke steht daneben und sieht schon wieder skeptisch aus. Seine Augenbrauen sind ganz weit oben. Mann, was hat der Typ gesagt? Ich habe das Gefühl, dass es etwas mit mir zu tun hat!
 

Naruto steckt den Kopf zur Tür herein. "Was hast du gesagt, Kakashi?"
 

Naruto, du Engel. Wie konnte ich nur so gemein zu dir sein? Der Typ namens Kakashi schmunzelt.
 

Sasuke verschränkt die Arme. "Er hat mit dem Spiegel geredet."
 

Mit mir? Echt?
 

Naruto rollt mit den Augen. "Ja und was, bitteschön?"
 

Das wüsste ich auch gern!
 

"Er hat gesagt, 'du darfst dich geehrt fühlen, du wirst bald schon etwas zu sehen bekommen, das sonst keiner sehen darf.'"
 

Aha, was soll das denn sein? … Moment mal – Moment Moooment – etwas, das sonst keiner sehen darf? Bitte nicht, bitte nicht schon wieder so einen Perversen! Neeeeiiiin –
 

Sie nehmen mich vom Haken und transportieren mich ab. Niemand hört mich.
 

oOo
 

Bei Kakashi zuhause und an der Wand. Hat ja lange genug gedauert, endlich wieder ordentlich aufgehängt zu sein. Über zwei Monate hat er mich in seinem Flur stehen lassen. Ich bin total eingestaubt!
 

Kakashi nähert sich mir, schaut mich an – ich glaube, wirklich mich, nicht sich, sondern mich, den Spiegel – und dann zeigt er mir ES. Unter seiner Maske – ich kann ES nicht in Worte fassen, was ist DAS?! –
 

Ein richtig schmutziges Grinsen liegt ihm im Gesicht. Er spricht langsam und deutlich, damit ich ihn verstehe. "Und jetzt verrate mir mal schön deine Geheimnisse."
 

oOoOoOo