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Der Wolfsprinz

Wenn das kälteste Eis zu schmilzen beginnt
von

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Familienbande

Gustave zahlte den Schaden ohne zu Murren oder eine andere ungehaltene Geste von sich zu geben. Dennoch ließ er es sich nicht nehmen, Ramon und seine Familie mit einem finsteren Blick zu strafen. Ramon ließ sich hingegen davon nicht beeindrucken, sondern verschränkte die Arme vor der Brust. Wies ihm dann mit einem Kopfnicken an, zu verschwinden. Was Gustave auch tat. Laut knallte er die Türe zu.

Seit diesem Tag lag eine deutlich spürbare Spannung in der Luft. Zwar gingen die Leute wie gehabt bei Renes Eltern ihr Brot holen, doch irgendwie schienen sie nicht daran interessiert zu sein, mit ihnen höfliche Worte zu wechseln. Sondern nur das nötigste zu sagen. Was sie für Brot haben wollten und wieviel und Ramon hingegen, wieviel er für das Brot haben wollte. Dann gingen die Leute wieder.

Auch schienen die jungen Leute Rene gegenüber nicht mehr so begeistert zu sein, was seine Heldentat anging. Sondern mieden es, ihm über den Weg zu laufen oder ihn gar an zu sehen.

Was Flora betraf, so tuschelten die alten Weiber, sobald sie ihren Weg kreuzte. Zerrissen sich förmlich das Maul darüber, dass sie mit dem Sohn des Schmiedes angebändelt hatte.

Wann immer Flora auf den Markt ging, um einige Besorgungen für ihre Eltern zu machen, fingen sie an zu reden und versuchten nicht einmal die Stimmen zu senken, sodass es Flora nicht mitbekam. Sondern ließen sie deutlichen hören, was sie von ihr hielten.

„Seht nur, da ist die Schwester dieses Unglücksraben!“

„Das die sich noch traut hier rum zu laufen und einkauft!“

„Wäre das meine Tochter würde ich sie wegsperren und niemals mehr rauslassen!“

„Man sollte sie steinigen. Sicherlich hat sie ihren Bruder unter Druck gesetzt, damit er sie beschützt!“

„Und dass der Schmied es zu lässt, dass sie mit seinem Sohn anbändelt, ist wirklich die Höhe. Hat der Mann keinen Stolz?“

„Jaque sollte sie fallen lassen, wenn er den Ruf seines Vaters nicht aufs Spiel setzen will!“

„Ich habe immer gedacht, dass er ein vernünftiger Mann ist. Aber er ist ihr offensichtlich zu verfallen, dass er nicht klar denken kann!“

„Das liegt sicher nur an ihrem hübschen Gesicht!“

„Ganz bestimmt. Wenn sie nicht so hübsch wäre, würde keiner sich für sie interessieren!“

„Keiner!“, sagte ein altes Weib gehässig und fügte kichern hinzu:„ Naja; außer vielleicht die Schweine!“

Das reichte Flora. Sie konnte es sich nicht mehr anhören.

Mit unterdrückten Tränen rannte sie davon. Wollte diesen bösartigen Tratsch entkommen.

„Ich halte das nicht mehr aus. Du hättest hören sollen, wie sie über uns beide gesprochen haben. Sie tun so, als wäre ich eine…eine Dirne…!“, schluchzte Flora und schlug beide Hände vor das Gesicht. Sie war direkt zu Jaque gegangen und hatte ihm erzählt, was man über sie geredet hatte.

Jaque hatte zunächst mal nur zugehört, doch jetzt wo er sah, wie sehr seine Flora unter den Gemeinheiten dieser alten Klatschweiber litt, packte ihn eine ohnmächtige Wut.

„Ich breche ihnen die dürren Hälse!“, knurrte er.

„Nein, lass das. Sonst…sonst werden sich diese Hyänen auch noch auf dich stürzen!“, sagte Flora. „Sollen sie doch. Was gibt Ihnen das Recht, so über dich zu reden?“, schnaubte er abfällig. „Es geht sie doch nichts an, ob wir zusammen sind!“

Flora sagte nichts, sondern ließ einfach nur die Schultern hängen. Für sie wurde es mal zu mal zu einer Tortur. Jaque mag zwar nichts auf das Gerede geben. In seinen Augen waren diese Klatschmäuler missgünstige Weiber, die eifersüchtig auf jede Art von ehrlichem Glück waren. Aber für Flora kam es einer Hexenjagd gleich, bei der man nur darauf wartete, bis sie einen Fehler machte, um sie brennen zu sehen. Im wörtlichen Sinne.

„Sie werden keine Ruhe geben. Nicht solange wir…!“, ihre Stimme brach und sie wagte es nicht ihn an zu sehen. Das war auch nicht nötig. Er verstand auch so, was sie ihm damit sagen wollte. „Flora, ist das dein Ernst? Willst du etwa… Nur wegen diesem Gerede…?“, fragte er mit entrüsteter und verletzter Stimme. Flora sah ihn an und ihren Augen spiegelten sich deutlich Schmerz und bittere Wahrheit. „Du musst auch an deinem Vater denken. Wer würde seine Pferde von ihm beschlagen lassen, weil sein Sohn mit einer…wie mir zusammen ist?“

„Aber du hast doch nichts getan. Es war dein Bruder. Nicht du. Du hast am wenigsten damit zu tun. Also hör auf, solch einen Unsinn zu reden!“, schnaubte Jaque. Flora schien nicht ganz überzeugt zu sein. In ihren Augen hatte sie genauso daran Schuld, weil sie es zugelassen hatte. „Aber ich…!“, begann sie und schaute wieder auf ihre Hände, die sie in ihren Röcken gekrallt hatte.

„Nichts aber!“, sagte Jaque kniete sich vor sie nieder und ergriff ihre Hände. Drückte sie. „Weder du noch Rene habt etwas falsch gemacht. Er rettete dich, weil er dich liebte!“

Jaque lächelte. „Um ehrlich zu sein, könnte ich mir selbst in den Arsch beißen, weil ich nicht auf die Idee gekommen bin!“

Flora musste daraufhin auch lächeln. „Ja, du hättest ebenso auf die Idee kommen sollen!“, sagte sie ihm einem gespielten vorwurfsvollen Ton. Jaque lächelte noch einmal dann aber wurde er wieder ernst. „Aber dafür habe ich nun die Gelegenheit, dieses Versäumnis wieder gut zu machen. In dem ich dich jetzt vor diesen Hyänen beschütze!“

„Und was ist mit deinem Vater?“

„Mein Vater steht hinter mir!“, sagte Jaque überzeugt und auch stolz.

„Mach dir darüber keinen Kopf!“

Flora nickte nur. Sie versuchte ihm zu zeigen, dass sie sich deswegen nicht weiter Sorgen machte. Sie war froh, einen solchen treuen Mann in ihm gefunden zu haben. Jeder andere hätte sie schon längst fallen gelassen, nach allem was vorgefallen war. Aber Jaque nicht. Er hatte das dicke Fell eines Bären und ebenso die Stärke. Während er sich den anderen als ein stiller und auch hin und wieder mürrischer Mann zeigte, war er bei ihr sanft und umsichtig.

Sie konnte sich glücklich schätzen, jemanden wie ihn zu haben. Und das tat sie auch.

Noch lange blieb sie bei Jaque und ihre trübe Stimmung legte sich. Nach und nach unterhielten sie sich über weniger schmerzliche Dinge. Machten Scherze. Oder vielmehr machte Jaque sie, während Flora lachte.

Irgendwann brachte er sie nachhause. Vor der Haustür blieben sie stehen und hielten sich an den Händen. Sahen sich tief in die Augen. Um sie herum war still und sie hatten das Gefühl, ganz allein zu sein. Deutlich war wieder dieses Leuchten in ihren Augen zu sehen, was Jaque so sehr liebte und auch vermisst hatte. Sie war wieder fröhlich. Auch wenn es nur für einen kurzen Moment war. Doch das reichte Jaque um ruhig schlafen zu können. Zärtlich strich er ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Flora ließ es zu und lächelte selig. Sie trat etwas näher an ihn heran, sodass sich ihre Brust gegen seinen Bauch drückte. Er überragte sie einen Kopf, aber das störte sie nicht. Dankbar schaute sie zu ihm hoch. „Danke, dass du mir zu gehört hast!“, flüsterte sie. „Das war doch das mindeste!“, erwiderte er.

Flora sagte nichts darauf, sondern sah ihn nur an. Ertappte sich dann dabei wie sie auf seinen Mund schaute und ein tiefverborgener Wunsch kam in hoch. In der ganzen Zeit, hatten sie sich noch nicht ein einziges Mal geküsst. Und Flora fand, dass es nun höchste Zeit war. Daher stellte sie sich auf die Zehenspitzen, schloss ein wenig die Augen. Jaque sah natürlich, was sie vorhatte und musste lächeln. Auch er hatte diesen Wunsch schon lange gehabt. Hatte sich aber bisher zurückgehalten, weil er sie zu nichts drängen wollte. Dass sie nun genauso dachte wie er und das gleiche Ziel hatte, freute ihn und nahm damit die letzte Hürde. Er beugte sich etwas zu ihr hinunter, damit sie es nicht so schwer hatte und atmete dabei tief ihren Duft ein. Er roch das frischgebackene Brot, welches sie mit ihren Eltern in der Backstube gebacken hatte. Wie sehr er diesen Duft an ihr liebte.

Und gleich würden sich ihre Lippen zum ersten Mal berühren. Jaque fürchtete ein wenig, dass dieser eine Kuss ihm nicht reichen und er nach mehr verlangen würde. Doch diese Sorge verschwand schnell, als Flora seinen Namen hauchte und seine Knie weich wie Butter werden ließen. Er mochte zwar ein Schmied sein, der mit Leichtigkeit den Hammer schwingen konnte, aber in diesem Moment, war er ein Mann, der gleich die Frau küssen würde, die er über alles liebte.

Flora kam es vor, als würden die wenigen Zentimeter, die sie noch trennten sich wie Tagesreisen hinausdehnen und sie wollte diese Entfernung so schnell wie möglich überwinden. Schon konnte sie die Spitze seiner Nase an ihrer vorbeistreichen spüren.

Floras und auch Jaques Herz schlugen im gleichen Takt. Schnell und heftig…

Gleich würden sich ihre Lippen berühren. Miteinander verschmelzen.

Da wurde auf einmal die Tür aufgerissen und Rene erschien in der Tür. „Flora, kommst du jetzt endlich rein? Oder wie lange willst du hier noch draußen stehen bleiben?“, fragte er genervt und Jaque und Flora aus ihrer Zweisamkeit so heftig rausgerissen, dass sie zu nächst dastanden, wie zu zwei Salzsäulen erstarrt. Dann drehte sich Flora langsam um und sah ihren Bruder mit einem Blick an, der deutlich sagte:„ Fall tot um!“

Rene wich daraufhin zurück.

Er hatte sich schon so etwas in der Art gedacht, da Flora zwar vor der Tür stand, aber nicht reinkommen wollte. Aber dass ihn gleich so ein vernichtender Blick treffen würde, hatte er nicht erwartet. „Äh…ähm…macht ruhig weiter. Lasst Euch nicht stören!“, versuchte er noch immerhin etwas zu retten, doch es war zu spät. „Danke fürs Nachhause bringen. Schlaf gut!“, sagte sie knapp und drückte Jaque schnell einen Kuss auf die Wange. Dann drängte sie sich an Rene vorbei, wobei ihm einen Tritt verpasste.

Jaque sichtlich enttäuscht, sah Rene an, als dieser im Begriff war die Tür zu schließen und schluckte, als er wiederum sah, wie Jaque Floras stillen Fluch wiederholte.

Schnell schlug er die Tür und wisch einen Schritt zurück. Irgendwie hatte er das Gefühl, dass Jaque ihm bei der nächsten Gelegenheit eins mit dem Hammer überziehen würde.
 

„Vielen Dank, das du alles vermasselst hast!“, giftete Flora am nächsten Tag, während sie und Rene die Backstube saubermachten. Die ganze Nacht und seit dem Morgen hatte sie nicht mit ihm geredet, sondern ihm mit einem eisigem Schweigen gestraft.

Zuerst hatte sich Rene gefragt, warum sie so sauer auf ihn war. Aber im Nachhinein begriff er, dass dies ein besonderer Moment für sie gewesen war und dass er diesen, mit seinem barschen Auftreten, kaputtgemacht hatte. Das schlechte Gewissen überkam ihn.

Er wusste ja, wie sehr sie Jaque liebte und dass sie es sich insgeheim gewünscht hatte.

Nach so langer Zeit, in der sie sich kannten, war es nur denkbar, dass sie sich auch küssen wollten.

Und Rene hatte es vermasselt. „Tut mir leid. Wirklich!“, sagte er. „Ich…ich habe mir dabei nichts gedacht!“

„So? Dachtest du, ich stehe einfach so lange vor der Tür?“

„Nein. Aber ich habe mir Sorgen gemacht. Du…kamst einfach nicht nachhause. Da dachte ich…das Gustave und seine Freunde…!“

Rene sprach nicht weiter. Das musste er auch nicht. Sie wusste auch so, was er befürchtet hatte. Ihr Ärger flaute etwas ab. „Es tut mir leid. Ich hätte Euch Bescheid geben sollen!“, sagte sie und küsste ihn sanft auf die Wange.

Rene lächelte etwas. Froh, dass zwischen ihnen wieder alles gut war.

„Das heißt aber nicht, dass ich dich davon kommen lasse!“, sagte sie grimmig.

Rene schluckte. Das hätte er sich denken können. Warum Frauen immer so nachtragend sein müssen, dachte er.

„Ich werde es wieder gut machen!“, sagte Rene. Flora sah ihn mit hochgehobenen Brauen an. „Achja? Und wie willst du das machen?“, fragte sie und stützte sich an dem Besen ab, mit dem sie gerade den Boden gefegt hatte. Rene wollte was sagen, hob dann aber die Schultern. „Ich lasse mir was einfallen!“, sagte er dann zögernd.

„Ein guter Anfang wäre, dich auch bei Jaque zu entschuldigen. Immerhin bist du auch ihm in die Parade gefahren!“, sagte Flora und Rene machte ein zerknirschtes Gesicht. „Ich weiß nicht. Der wird mir doch sicher den Schädel einschlagen!“

Flora kicherte. „Das wird er schon nicht. Aber er wird dir sicher einiges Takte erzählen!“, sagte sie. Rene wusste nicht, ob er sich dadurch beruhigter fühlen sollte.

Dennoch ging er ihrem Rat nach und ging, sobald er mit der Arbeit in der Backstube fertig war, zu Jaque. Dieser war gerade dabei ein Rat mit neuem Eisen zu beschlagen. Beim Anblick, wie er den Hammer immer wieder auf das Eisen schmetterte, um es zu biegen und an das Holz an zu bringen, ließ ihn kurz zögern. Doch dann riss er sich zusammen. Jaque würde sicherlich nicht den Hammer gegen ihn heben. Soviel Vernunft sprach er ihm zu. Aber er hatte dennoch das Gefühl, dass er gleich etwas an den Schädel bekommen würde.

„J-Jaque?“, fragte er vorsichtig. Jaque hielt inne in seiner Arbeit und drehte sich zu ihm herum.

Rene machte einen Schritt zurück als er ihn anschaute. Für einen langen, quälenden Moment war wieder dieser finstere Ausdruck. Dann aber verschwand dieser und er legte den Hammer weg.

„Rene! Was gibt es denn?“, fragte er. „Ich…ich wollte mich bei dir entschuldigen. Dafür das ich euch gestört habe!“, sagte Rene und versuchte entspannt zu sein. „Ich habe mir nichts dabei gedacht. Ich war einfach nur besorgt, wegen Flora. Nach dem ganzen Zirkus der vergangenen Tage!“

Noch ehe Rene weitersprechen konnte, hob Jaque die Hand und brachte ihm so zum Schweige. „Schon gut. Du musst nicht weitersprechen. Ich bin nicht sauer auf dich!“, sagte Jaque mit einem belustigten Lächeln. Es amüsierte ihn ein wenig, Rene kleinlaut vor sich zu sehen und wie ein kleiner verlegener Junge eine Entschuldigung vor sich hin stammelt.

Aber er hatte auch etwas Mitleid. Er ahnte schon, dass Flora ihm deswegen gehörig den Kopf gewaschen hat. Und zu Anfang war er ebenso wütend auf ihn. Doch sein Ärger hatte sich gelegt.

Er konnte ja nicht wissen, dass sie beiden sich küssen wollten. Sondern hatte sich Sorgen gemacht.

„Du meintest es ja gut!“

Rene fiel sichtlich ein Stein vom Herzen. „Danke, Jaque!“, sagte er mit einem erleichterten Seufzen. „Aber…das nächste Mal ziehe ich dir meinen Hammer über den Schädel!“, sagte Jaque im nächsten Moment und machte dabei ein ernstes Gesicht. Rene zwang sich zu einem Lachen. „Hahaha, guter Witz, Jaque!“, sagte er. Aber Jaque lachte nicht und Rene hatte das ungute Gefühl, dass er dies bitterernst meinte.
 

Flora brach in schallendes Lachen aus, als Rene ihr beim Mittagessen von seinem Gespräch mit Jaque erzählt hatte. Rene machte ein verkniffenes Gesicht und zerpflückte das Brötchen, welches er eigentlich essen wollte. „Ohje, Bruderherz. Das solltest du ernst nehmen!“, gluckste sie. „Wie schön, dass dich meine Angst so sehr amüsiert!“, sagte er bitter. Nur schwer konnte sich Flora wieder beruhigen. „Och…nun sei doch nicht böse. Ich kenne Jaque. Er würde das niemals tun!“, sagte sie und strich ihm beruhigend über den Rücken. „Bist du sicher?“, fragte Rene. Flora lächelte wissend. „Todsicher!“

Das beruhigte ihn nicht wirklich.

„Ich an deiner Stelle, würde nicht so große Töne spucken!“, sagte nun ihre Mutter streng. „Ich hätte große Lust, dich übers Knie zu legen und dir den Hintern zu versohlen!“

Flora machte ein entsetztes Gesicht. Ramon lachte leise. „Uns so einen Schrecken ein zu jagen!“

„Aber es ist doch nichts passiert!“, wehrte sich Flora. „Jaque war doch da!“

„Er kann aber nicht immer da sein!“, kam es von ihrer Mutter.

„Deine Mutter hat Recht, Flora!“, sagte nun ihr Vater, der nun wieder ernst wurde.

„Uns steht sicher noch einiges bevor. Diese Hunde werden sich nicht so einfach zurückhalten lassen. Sie werden weiterhin nach einem Grund suchen…!“

Rene wurde es daraufhin flau im Magen, weil er wusste, dass sein Vater Recht hatte.

„Was ist mit Großmutter?“, fragte Rene.

Wie als hätte sie es selbst völlig vergessen, schlug Elsa die Hände vor den Mund und sah ihren Mann erschrocken an. „Mutter…! Ramon, Rene hat Recht! Was wenn sie auch noch auf sie losgehen?“

Elsa wurde immer blasser, mit der Silbe, die sie aussprach.

„Das werden sie nicht!“, versuchte er ihr zu versichern, aber Elsa wollte sich davon nicht beruhigen lassen. Sie hatte zu große Angst, dass man ihrer Mutter etwas antun würde und Rene konnte ihre Angst gut verstehen.

Wenn sie sich einen nach dem anderen aus seiner Familie vornahmen, würden sie als nächstes seine Großmutter vornehmen.

„Was macht dich da so sicher?“, verlangte Elsa zu wissen. Sie rang verrückt die Hände. Sah ihren Mann mit großen, flehenden Augen. Ramon hätte alles dafür gegeben, die richtigen Worte zu sagen. Doch er brauchte seine Frau nur an zu sehen, um zu wissen, dass er sie von ihrer Sorge nicht befreien kann.

Daher nahm er sie in die Arme und drückte sie an sich. Elsa begann zu weinen. „Ich halte das nicht mehr aus!“, wimmerte sie, so wie Flora,

„Wie wäre es, wenn Großmutter bei uns lebt!“, schlug Rene vor. Seine Eltern sahen ihn kurz verwirrt an. Schienen erst nicht zu verstehen. Doch nun schien seine Mutter neue Hoffnung zu bekommen. Sie sah ihren Mann hoffnungsvoll an. „Ramon, bitte!“, flehte sie. „Lass sie bei uns wohnen!“

„Und wie stellst du dir das vor?“, fragte Ramon zweifelnd an. Er verstand, dass seine Frau nach jedem Halm griff, der sich ihr bot. Aber wo sollte sie schlafen?

Ihr Haus war nicht groß genug für vier Leute. Aber er traute sich nicht, es laut auszusprechen.

Rene kam seinem Vater zur Hilfe. „Sie kann doch in meinem Zimmer schlafen!“

Jetzt, wo er es laut ausgesprochen hatte, klang es in seinen Ohren irgendwie falsch. Wie soll sie die Stufen hochkommen, ging es ihm bitter durch den Kopf. „Wie soll sie die Stufen hochkommen?“, fragte Flora und sah ihn an, als habe er einen dummen Witz gemacht.

„Dann eben in der Wohnstube!“

Ramons Augenbrauen wanderten immer weiter nach oben. War wohl von den Vorschlägen seines Sohnes nicht wirklich überzeugt. Und Rene merkte, wie ihm diese schon längst ausgegangen waren.

„Vater, bitte. Sie würde uns doch nicht zur Last werden!“, mischte sich nun Flora ein, die wohl sah, dass Rene es nicht allein schaffte.

Ramon sah von Rene zu Flora

In seinem Gesicht war deutlich zu sehen, dass in seinem Kopf arbeitete. Wog das Pro und Contra ab. Er liebte seine Frau und würde alles tun, um ihr die Angst zu nehmen. Aber er fragte sich auch, wie sie das bewerkstelligen sollten.

Er hatte nichts gegen seine Schwiegermutter. Im Gegenteil.

Doch wie würde es dann weitergehen?

Darüber sollten wir uns keine Gedanken machen, sondern an das hier und jetzt konzentrieren, sagte er sich selbst. „Also gut!“, sagte er und Rene, Flora und seine Frau atmeten erleichtert auf.
 

„Das ist doch lächerlich!“, schimpfte seine Großmutter, während sie einige Habseligkeiten in ihren Beutel packte. „Einfach lächerlich!“

„Aber das Risiko ist einfach zu groß!“, gab Rene zu bedenken. „Bah! Diese Feiglinge würden es nicht wagen, mich an zu greifen. Ich bin zwar alt, aber das heißt nicht, dass ich mich nicht wehren kann!“, murrte sie und zog den Beutel zu. „Trotzdem! Es ist doch nur für ein paar Tage!“

Martha schüttelte nur den Kopf.

Als sie aus der Haustür traten und diese wieder schlossen, sah Martha mit kummervoller Miene zu ihrem Haus.

Ihr war deutlich an zu sehen, dass es sie schmerzte, ihr Haus, in dem sie aufgewachsen war, verlassen zu müssen. Nur wegen diesen Mistkerlen!

Sie hatte zwar gesagt, dass sie sich nicht davor fürchtete. Aber das war gelogen. Gerade weil sie alt war und diesen falschen Heiligen die Meinung gegeigt hatte, würden sie sie als nächstes zu ihrem Opfer machen.

Das schien auch ihre Tochter zu ahnen. Jeder aus ihrer Familie.

Dass sie wollten, dass sie nun bei ihnen wohnen sollte, zeigte wie sehr sie um ihre Sicherheit fürchteten.

Dennoch verspürte sie so etwas wie Wut.

Wut auf die anderen, die ihre Familie so sehr zu setzten. Sie zu solchen Maßnahmen zwangen.

Martha wollte eigentlich nicht gehen. Aber sie wusste auch, dass ihre Tochter nicht so einfach nachgeben und wahre Todesangst um sie haben würde.

Elsa war in dieser Hinsicht wie ein kleines Kind, dass sich vor seinem schlimmsten Alptraum fürchtete.

Und wollte auf keinen Fall auch noch ihre Mutter verlieren.

Zumindest nicht vor ihrer Zeit.

Also blieb ihr nichts anderes übrig als zu gehen. So schwer es ihr auch fiel.

Rene sah, dass sie deswegen großen Kummer hatte und verstand es.

Doch es war zu ihrer eigenen Sicherheit.

Fröstelnd legte er ihr seine Hand auf die Schulter. „Komm, Großmutter. Gehen wir!“, sagte er.
 

Während sie zu Renes Elternhaus gingen, kreuzten einige Dorfleute ihren Weg und kaum, dass sie an ihnen vorbeiliefen, steckten sie die Köpfe zusammen und tuschelten wiedermal. Natürlich waren dies allesamt alte Frauen, die sowieso mit Martha auf Kriegsfuß standen.

„Sieh nur. Da läuft die Hexe und der Unglücksjunge!“

„Sie denkt wohl, dass sie in Sicherheit ist, wenn sie zu ihrer Familie geht!“

„Der Blitz soll sie treffen!“

„Ihre ganze Familie! Der Herr soll sie alle für ihr Verbrechen strafen!“

Etwas in Rene zerbrach. Es reichte ihm. Er wusste nicht genau, was genau in ihn gefahren war, aber es gab ihm den nötigen Mut, sich zu den Schandmäulern um zu drehen und seine Antwort ihnen entgegen zu brüllen:„ Wenn hier jemand vom Blitz getroffen werden soll, dann Ihr. Ihr alten Schachteln!“

Jede der Frauen hielt die Luft an, angesichts dieser Beleidigung. Martha hingegen musste sich ein Lächeln verbieten. Ohne auf eine Reaktion der Frauen zu warten, drehte sich Rene herum und ging mit seiner Großmutter weiter.
 

„Das hast du nicht wirklich zu ihnen gesagt?“, staunte Flora, als Martha mit einem breitem Grinsen von Renes scharfen Worten erzählt hatte.

Rene kam sich nicht gerade stolz vor, während Flora ihm einen anerkennenden Blick zu warf.

Jetzt, wo er sich bewusst gemacht hatte, was er da eigentlich getan hatte, wünschte er sich, es nicht gewagt zu haben. So wie manches andere.

Verdammt, wieso?

Wieso musste er nur so unvernünftig sein?

„Das hättest du nicht tun sollen, Rene!“, sagte Elsa, die alles andere als begeistert war.

„Aber Mutter, du hast doch gehört, was sie gesagt haben. Sie wünschen sich unseren Tod!“, wandte Flora ein. „Und wenn das so weitergeht, werden wir auch bald tot sein!“, kam es von ihrer Mutter.

Nein, das wird nicht passieren, dachte Rene. Woher auch diese Worte kamen.

Der Abend kam schnell und die Nacht schneller. Als wollte eine Macht den Tag und das Dorf in Dunkelheit tauchen. Rene schauderte, während er aus dem Fenster schaute und sich vorstellte, dass es der Wolfsprinz sein könnte.

Elsa hatte für ihre Mutter in der Wohnstube ein Schlaflager hergerichtet so gut es ging.

Martha machte es sich auf dem provisorischen Bett gemütlich.

„Brauchst du noch etwas?“, fragte Elsa, als sie sie zu deckte und die Decke glattstrich.

Martha musste etwas lächeln. Das hatte sie zuvor getan, als Elsa noch klein war. Nun aber schienen sie die Rollen getauscht zu haben.

„Nein, danke!“

„Dann gute Nacht!“

„Gute Nacht!“, sagte Martha, als ihre Tochter ihr einen Kuss auf die Stirn gab.

„Gute Nacht, Großmutter!“, sagte Rene. Flora war schon zu Bett gegangen. Rene wollte so lange wie möglich wach bleiben, wie in ihm die leise Furcht war, wieder die Stimme dieses Teufels zu hören.

Er hingegen drückte ihr einen Kuss auf die Wange. „Gute Nacht, mein Junge!“, sagte sie. Rene wandte sich um. Wollte in seine Kammer gehen, doch da hielt sie ihn am Arm fest. Rene drehte sich zu ihre herum und dachte, dass sie noch etwas von ihm wollte.

„Sollen die anderen nur reden. Ich fand es sehr mutig, was du heute getan hast!“, flüsterte sie und in ihren Augen sah er Stolz schimmern.

Rene lächelte schwach.

Konnte sich nur schwach darüber freuen, dass sie immer noch zu im hielt und ihn darin bestärken wollte, sich nicht unterkriegen zu lassen.

Wieso dachte sie, dass das mutig war?

Sagte sie das nur um ihre eigene Angst zu verbergen?

Oder ahnte sie etwas von seinem Geheimnis und wollte ihm allen Mut geben, den er brauchte?

Rene war nicht im Stande etwas darauf zu erwidern.

Er war viel zu verwirrt. So nickte er nur und ging in sein Zimmer.

Die Worte seiner Großmutter beschäftigten ihn noch lange. Ließen ihn nicht einschlafen. Aber auch die Frage, wie es nun weitergeht. Was der nächste Tag bringt.

Fragte sich, ob es nun besser oder noch schlimmer wird.

Darauf keine Antwort zu finden, machte ihm Angst. Dieses Ungewisse.

Er fühlte sich dabei so machtlos. Dabei war er der Verursacher.

„Rene…!“

Es war nicht mehr als ein Flüstern, doch es ließ ihn zusammen zucken.

Auch wenn er wusste, dass es irgendwann wieder passieren würde, würde er sich niemals daran gewöhnen können.

Der Wolfsprinz rief erneut nach ihm.

Zuerst wollte er sein Rufen überhören. Sich die Hände auf die Ohren pressen und seine Stimme aus seinem Kopf verbannen. Doch er brauchte sich nur an den Schmerz erinnern, der ihn quälte, wenn er sich dagegen wehrt, um doch zu gehorchen.
 

Es war genauso leicht, wie bei den ersten vorherigen Nächten, sich aus dem Haus und aus dem Dorf zu schleichen. Und der Treffpunkt war der gleiche. Ebenso der Wolf, der schon auf ihn wartete.

Rene zögerte kurz, als er das große mächtige Tier sah, welches ihn aus seinen gelben Augen anschaute und förmlich darauf bestand näher zu kommen. Dann aber trat er auf ihn zu und verneigte sich leicht. „Guten Abend!“, grüßte er ihn, begegnete ihm mit Respekt und auch Vorsicht. Der Wolf erwiderte seinen Gruß und nickte mit dem Kopf, dann drehte er sich um und trottete los.

Rene folgte ihm. Dabei zählte er die Schritte, die er machte. Elf. Zwölf, Dreizehn…

Sah dabei zum Wolf, der ungeachtet dessen weiterlief.

Zwanzig, Einundzwanzig, Zweiundzwanzig, Dreiundzwanzig…

Als es auf einmal heller wurde, schaute Rene nach oben und sah den Mond.

Dieser schien sich in der ganzen Zeit nicht verändert zu haben.

Er war genauso voll und rund und warf sein helles Licht auf ihn nieder.

Rene wunderte sich.

War so wenig Zeit vergangen, dass er immer noch so rund war?

Oder hatte der Wolfsprinz da seine Finger im Spiel?

War er wirklich in der Lage, selbst den Mond zu beherrschen?

Kaum das er zum Mond hochgeschaut hatte, hörte er wieder das Lied in seinem Kopf.

Leise und dennoch klar und deutlich zu hören. Es schien eine seltsame Wirkung auf ihn zu haben. Während der Anblick des Vollmondes und die Frage nach der Größe der Macht, die der Wolfsprinz innehatte, ihn schauern ließen, schien das Lied hingegen ihm Mut machen zu wollen.

Und irgendwie schaffte es, aus seinem Kopf, über seine Lippen zu kommen.
 

„Und der Wolf singt sein Lied in der Einsamkeit

Faolan oh Faolan

Heute Nacht wird ich ihn trösten gehen.

Faolan Oh Faolan.

Und der Wolf klagt sein Leid in der Einsamkeit

Faolan Oh Faolan

Heute Nacht werd ich ihn wiedersehen

Tief im Wald nach tausend Jahren“
 

Der Wolf spitzte die Ohren, lauschte ohne dabei langsamer zu werden. Doch es war deutlich zu merken, dass er sich fragte, wieso dieser Junge wieder dieses Lied sang.

Rene achtete nicht darauf, sondern sang einfach weiter. Versuchte stärker zu klingen, während er weiterging. Sah dabei immer wieder zum Mond hoch, der, außer dem Wolf, ihm stumm zu hörte.
 

„Unterm vollen Mond rufst du mich.

Rufst du mich.

Dein wildes Herz kommt nicht zu ruh.

Seit jener Nacht, die unsre Letzte war.

Lang ist´s her. Schon tausend Jahr“
 

Irgendwann standen sie wieder vor der Felsenwand. Diese öffnete sich sogleich.

Alles glich dem ersten Mal, als er hierher kam. So wie auch der Gang, den sie durchschritten. Doch das Gefühl, beobachtet zu werden, blieb aus. Darüber erleichtert, ging Rene weiter. Dennoch sah er aus den Augenwinkeln, dass die Wände von etwas verziert wurden.

Flüchtig streifte sein Blick über die Wände, sah nichts weiter als verschwommene Gebilde, die sich zu bewegen schienen. Aber vielleicht spielten ihm seine Augen auch nur einen Streich.

Um dem sicher zu sein, blieb er stehen und betrachtete die eingemeißelten

Während er weiterging, schienen auch die Bilder sich zu immer mehr zu bewegen, ihm sogar zu folgen. Irgendwann blieb er stehen, um sich sicher zu sein, dass er sich das nur einbildete und war über die eingemeißelten Kunstwerke erstaunt.

In einander verschlungene Linien, die fremde Symbole bildeten und auch Tiere darstellten. Rene brauchte nicht lange um zu erkennen, um welche es sich hierbei handelte. Wölfe!

Auf der rechten Seite von ihm wurden sie im Rudel, bei einer Jagd auf Rehe gezeigt. Auf der linken wiederum beim friedlichen Zusammenleben miteinander. Eine Art Darstellung der zwei Lebensweisen dieser Tiere, die unterschiedlicher nicht hätten sein können. Renes Blick wanderte von einem anderen. Verglich sie. So furchterregend sie bei der Jagd wirkten, bei der sie kein Erbarmen kannten, so schienen sie bei ihrem Nachwuchs liebevolle Eltern zu sein. Einige der gezeigten Welpen spielten und tollten miteinander umher, während die Eltern sie aufmerksam beobachteten.

Andächtig und auch ein wenig fasziniert betrachtete Rene diese, während er weiterging. Wer auch immer diese in das Eis eingraviert hatte, hatte sich wirklich Mühe gegeben, diese in einer Schönheit darzustellen, die Rene erstaunte. Sowohl bei der Jagd, als auch in der Familie.

Es schien so, als wären diese Tiere in den Augen des Künstlers mehr als nur Tiere, vor denen man sich fürchten sollte. Sondern als wären diese die schönsten, die es je gegeben hatte.

Rene blieb stehen, betrachtete sie eine Weile. Und je mehr er diese anschaute, desto mehr schien er sich in diesen zu verlieren.

Besonders ihre Darstellung in der Familie berührte ihn. Er hatte immer gedacht, dass sie wilde Tiere waren. Unberechenbar. Aber hier schienen sie sanftmütig zu sein.

So wie die Menschen, dachte ein Teil in ihm. Rene hätte darüber schwach gelächelt, aber irgendwie entsprach das der Wahrheit. Egal ob Wolf oder Mensch.

Beide liebten ihren Nachwuchs und waren zu allem entschlossen, diesen und ihre Nächsten zu beschützen.

Langsam streckte er die Hand aus und legte sie auf einen Wolf, der über seine Jungen wachte, während die Mutter sie stillte.

Statt Kälte unter seinen Fingern zu spüren, fühlte sich das Eis merkwürdig warm an und es schien tief drinnen zu pulsieren. Als würde es leben. Als würde der Wolf leben…

Wie seltsam, dachte er. War mehr gebannt als erschrocken davon.

Ein leises Bellen holte ihn zurück und er schaute zum Wolf, der einige Schritte vorrausgegangen war und ihn nun etwas ungeduldig anschaute.

„Jaja, ich komme ja schon!“, sagte Rene und eilte zu ihm.

Mit lautem Knarren schwang die Pforte auf und ließ Rene in den großen Raum eintreten.

Er war allein. Mal abgesehen von dem Wolf, der seinen üblichen Platz vor der Pforte einnahm.

„Denkst du etwa, ich würde versuchen zu fliehen?“, fragte Rene mit einem leichten bitteren Ton. In den Augen des Wolfes funkelte es kurz und er konnte in seinem Kopf die Worte hören, die der Wolf dachte: „ Ich traue dir nicht!“

Da sind wir schon mal zu zweit, dachte Rene wiederum und setzte sich vor den Kamin.

Versucht nicht daran zu denken, dass er wieder hier war. Aber sobald er an Zuhause dachte, war es auch nicht besser.

Genauso gut konnte er sich fragen, warum der Wolfsprinz ihn dieses Mal zu sich rief. Er hatte gedacht, dass, nach dem die Frage nach dem Warum geklärt war, er ihn erst mal in Ruhe lassen würde. Aber anscheinend gab es noch einige andere Dinge, die er mit ihm klären wollte. Nur wo war er?

Irgendwie wunderte es ihn nicht, dass er ihn wieder warten ließ.

Schon etwas unhöflich. Und das bei einem Prinzen, dachte er Rene und musste etwas spöttisch lächeln.

Er wartete und wartete.

Aus reiner Langeweile und weil er nicht wusste, was er sonst tun sollte außer zu warten, schaute er auf seine Hand. Hielt sie ins Licht des Kaminfeuers und sah die feinen Linien, die sich unter seiner Haut entlang zogen. Rene fruchte die Augenbrauen. Täuschte er sich, oder waren die Linien weiter hochgewandert?

Er rückte näher an das Feuer um besser sehen zu können und drehte den Arm. Tatsächlich.

Sie waren nun nicht mehr knapp oberhalb seines Handgelenkes, sondern hatten sich bis in die Mitte seines Unterarms hochgearbeitet. Wie war das möglich?

Er hatte nichts gespürt. Keinen Schmerz. Keine Kälte…

Was war das bloß für ein Teufelswerk?

Während er darüber nachdachte, geisterte immer wieder ein Wort durch den Kopf, das ihn schauern ließ. Blutvergiftung!

Er hatte schon davon gehört und es auch einmal gesehen. Wenn sich eine Wunde entzündet hatte und nicht gleich behandelt wurde, zog sich eine dunkle Linie von der Wunde hinauf zu seinem Herzen und dann…starb man.

Rene Inneres verkrampfte sich, als er sich fragte ob es sich hierbei um so was ähnliches handeln könnte. Und auch wenn er eigentlich nicht die Antwort darauf hören wollte, wusste er, dass nur der Wolfsprinz ihm diese geben konnte. Ansonsten würde er noch das letzte bisschen von Ruhe, die ihr in sich hatte, verlieren.

Die Zeit verging und Rene hatte den stillen Verdacht, dass der Wolfsprinz ihn absichtlich warten ließ. Um ihn zu zermürben. Er traute ihm sogar zu, dass er ihn beobachtete.

Aber das war natürlich absurd.

Nicht mal er würde so was tun. Dafür ist er zu stolz.

Irgendwann schaute er zum Wolf, der geduldig warten sollte. „Hat mich dein Herr etwa vergessen?“, fragte er. Der Wolf gab nur einen blaffenden Laut von sich. Wollte ihm so sagen, dass er Geduld haben sollte.

Und so langsam begann Rene an seinem Verstand zu zweifeln. Er glaubte tatsächlich den Wolf zu verstehen.

Er wollte schon laut aussprechen, dass das alles nur Unsinn sei, aber da hörte er wie die Tür hinter ihm geöffnet wurde und Schritte zu hören waren.

Rene brauchte sich nicht um zu drehen, um zu wissen, wer da eingetreten war.

„Ich dachte schon, Ihr hättet mich vergessen!“, kam es trocken von ihm. Schaute dabei unentwegt ins Feuer.

„Ich hatte noch einiges zu erledigen!“, erwiderte Mandariel kühl und schloss die Tür.

Rene wagte es nicht, sich zu fragen, womit?

Sicherlich unschöne Dinge.

Schnell lenkte er das Gespräch in eine andere, nicht ganz so unheilvolle Richtung. „Wieso hast du mich wieder hierher gerufen?“, fragte Rene daher. „Es wurde doch alles gesagt!“

Mandariel sagte erstmal nichts, sondern griff in seinen Umhang und holte etwas hervor. „Deswegen!“, sagte er und hielt ihm den Dolch. Rene stutzte.

Er hatte gedacht, dass er ihn hon längst vernichtet hatte.

Zögernd nahm er ihn. Sein verwirrter Blick war deutlich in der polierten Klinge zu sehen. „Wieso gibst du ihn mir wieder?“

„Er gehört dir doch!“, sagte Mandariel.

„Hast du keine Angst, dass ich ihn wieder gegen dich einsetze?“

Ein müdes Lächeln huschte über Mandariels Gesicht.

„Hast du etwa vor es nochmal zu versuchen?“, war seine Antwort auf Renes Frage.

Es war eigentlich keine Frage, denn Rene wusste, dass ein weiterer Versuch, wie der erste, misslingen würde.

Und dass er sich über ihn in gewisser Weise lustig machen wollte, ahnte er irgendwie. Er wusste, dass er ihm überlegen war und genoss es wohl in vollen Zügen.

Rene verfluchte ihn in seinem Inneren.

Doch er verbiss sich jegliches Kommentar. „Nein!“, sagte er matt, nahm den Dolch dann an sich. Hielt den Dolch in seiner Hand. Blickte mit düsterem Blick auf ihn. Das so vertraute Gefühl des Dolches, dass ihm Mut und das Kraft vorher gegeben hatte, hatte er nun ein beklemmendes Gefühl von Schuld und Versagen. Hätte er diesen Dolch niemals schmieden und sich gleich von ihm töten lassen, dann wäre das alles nicht passiert.

Mit einem beinahe verächtlichen Laut warf er den Dolch ins Feuer, welches ihn auch gleich umhüllte und an ihm leckte.

Sah zu wie der Griff Feuer fing und sich langsam zur Klinge hocharbeitete.

Das Eisen begann weiß zu glühen und zu dampfen. Es zischte, als das Eisen langsam zerfloss und in die heißen Holzscheite tropfte.

Rene sah dies mit einer schwachen Spur von schwarzer Zufriedenheit.

„Willst du ihn nicht behalten?“

„Wozu? Er ist eh wieso nutzlos!“

„Als Erinnerungsstück!“

„Und woran? An mein Versagen? Dass ich so dumm war zu glauben, dir etwas anhaben zu können?“

Renes Laune wurde immer schlechter und er gewann immer mehr den Eindruck, als würde er sich noch mehr über ihn lustig machen wollen.

Für ihn stand der Dolch für seinen größten Fehler und daran wollte er nicht erinnert werden.

„Nein. Daran, dass du den Mut hattest, es zu tun. Nicht jeder kann sich damit rühmen, mich angegriffen und es überlebt zu haben!“, kam es von Mandariel überrascht ehrlich aufrichtig. Rene staunte. Wollte es schon beinahe glauben. Aber dann sagte er sich, dass das alles sicher nur gespielt war.

„Ich sterbe doch so wieso!“, kam es bitter von Rene.

„Hast du mich nur deswegen gerufen? Um mir meinen Dolch wieder zu geben?“

„Hast du was anderes erwartet? Das ich dich töte?“

Rene sagte darauf nichts. Er hatte sich irgendwie abgefunden, dass er ihm seinen Wunsch nicht erfüllen würde und irgendwie war er es auch müde, ständig damit an zu fangen.

So wie auch der Wolfsprinz.

„Du hast es also endlich akzeptiert?“

Bleibt mir eine andere Wahl, fragte sich Rene.

Sein Schweigen war ihm Antwort genug. Er nickte. Sehr vernünftig, dachte er.

Rene blickte wieder auf seinen Arm. Öffnete einige Male den Mund um ihn zu fragen, was da genau unter seiner Haut war. Was er ihm da eingebrannt hatte. Fand aber nicht die richtigen Worte und verfluchte sich für seine Unfähigkeit. Dabei hatte er es sich vorgenommen. Wollte diese Ungewissheit loswerden. Nun aber saß er da wie ein Sack Mehl und starrte auf seinen Arm.

Doch er brauchte auch nichts zu sagen. Mandariel sah auch so, was in Rene vorging.

„Du fragst dich, was da unter deiner Haut ist?“, fragte er und holte Rene aus seinen Gedanken. Rene schaute auf und sah Mandariel mit einer Mischung aus Verwirrung und Skepsis an. Es gefiel ihm nicht, dass Mandariel seine Gedanken lesen konnte. Aber sich drüber zu äußern verbat er sich. Es würde nichts bringen. Also nickte er nur schweigend, schaute wieder auf seinen Arm. „Lentus Mors!“, sagte Mandariel sachlich. „Das bedeutet: Schleichender Tod!“

Ich wusste es, dachte Rene bitter und umschloss seinen Unterarm mit der anderen Hand.

„Du hast mich verflucht!“, murmelte er dann. Schaute finster in die Flammen. Das war schlimmer als eine Blutvergiftung.

Aber das würde zumindest erklären, warum es immer zu schmerzen begann, wenn er sich gegen den Wolfsprinzen auflehnte. Und wieso er stets seine Stimme in seinem Kopf hörte. Mit seinem Fluch hat er mich in seine Gewalt gebracht, dachte er grollend und wünschte sich nun doch, dass er den Dolch aufgehoben hätte. Ich bin nichts weiter als eine Marionette für ihn.

„Nein!“, sagte Mandariel. „Nur dafür gesorgt, dass du unsere Abmachung nicht vergisst!“

„Nenne es wie du es willst!“, schnaubte Rene. „Ich nenne es einen Fluch!“

„Wäre es ein Fluch, wäre dieser weitaus schlimmer, als du dir vorstellen kannst!“, kam es von Mandariel ungerührt und in Rene stieg Wut auf. Was konnte schlimmer sein, als schleichendes Gift in seinen Adern zu haben?

Das Wissen an einem Fluch zu sterben, der sich hinzog und doch weiter voranschritt.

Mit jedem Tag, der verging.

Für viele Menschen war der Tod schon das schlimmste.

Oft hatte er diese Angst in den Augen der Verurteilten gesehen, wenn sie auf dem Platz zum Galgen geführt wurden und ihnen der Strick um den Hals gelegt wurde. Und während die Schaulustigen vor grausamer Freude aufschrien, wenn der Boden unter dem Verurteilten weggezogen wurde und dieser in die Tiefe fiel, musste er wegschauen. Er konnte es nicht mit ansehen, wenn ein Mensch auf solch eine grausame Art starb.

Nur widerwillig war seine Familie auf den Markplatz gegangen, um zu zusehen, wie ein Mensch sterben sollte. Sie schienen die einzigen zu sein, die solch einem Treiben nur zu gern ferngeblieben wären.

Doch Martha warnte sie davor, nicht zu gehen. Denn sie wusste wohl, dass die Dörfler auf den absurden und für sie gefährlichen Gedanken kommen würden, dass seine Familie Mitleid für den zu Tode Verurteilten hatte und damit in ein falsches Licht stehen würden. Auch wenn Martha selbst es widerstrebte.

Jetzt wo er so darüber nachdachte, begann er die Menschen aus dem Dorf immer mehr zu hassen, die sich an dem Leid und dem Tod eines anderen, der in ihren Augen ein Verbrecher war und es nicht besser verdient hatte, weideten.

Und er fragte sich, ob der Tod in den Augen des Wolfsprinzen wirklich zu gnädig sei, während er bei anderen Angst auslöste.

Konnte es wirklich noch was viel schlimmeres geben?

Rene wollte es sich eigentlich nicht vorstellen und fragte sich dennoch, was diesem Mann nur wiederfahren war, dass er solch voller Grausamkeit war.

Der Mord an seinen Vater konnte doch nicht der einzige Grund sein. Fast schon hätte er ihn gefragt, doch biss sich auf die Zunge. Weil er es ihm zu sehr vor der Antwort graute und auch weil er sich sagte, dass es ihn eigentlich nichts anging oder kümmern sollte.

Einst hatte seiner Großmutter ihm mal gesagt, dass kein Mensch, egal ob Mann oder Frau schon gut oder böse auf die Welt kam und Rene hatte das ihr geglaubt.

Das galt aber wohl nicht für den Wolfsprinzen.

Weil er kein Mensch ist, dachte er. Sondern ein…

Rene wagte es nicht den Gedanken weiter zu spinnen. Aber das Wort hämmerte immer wieder in seinem Kopf. Dämon…Dämon…Dämon…

Rene rutschte etwas weiter weg, schaute in die Flammen. Wollte ihn nicht ansehen.

Obwohl die Furcht sich in ihm ausbreitete, wie kaltes Feuer, brachte er dennoch die Worte über die Lippen und versuchte sie mit aller Überzeugung klingen zu lassen.

„Ich fürchte mich nicht!“

Mandariel sah ihn nur für einen langen Moment forschend an. Konnte eine gewisse Bewunderung für seine Sturheit nicht unterdrücken. Trotz dass er sich wohl so vor ihm fürchtete und in ihm nicht weiter als ein Monster sah, schien er sich diese Furcht anmerken lassen zu wollen. Wollte ihm zeigen, dass er bereit war. Aber es genügte nur ein Blick auf seine Hände, die er in den Stoff seines Mantels krallte, um zu sehen, dass er alles andere als standhaft war. Dennoch wollte er sterben…

Er war wie ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite klammerte er sich ans Leben. Wollte es verteidigen, mit allem was er hatte und auf der anderen Seite sehnte er den Tod herbei. Irgendwie seltsam.

„Willst du deswegen so schnell sterben?“, fragte Mandariel und Rene hatte das Gefühl, als hätten seine Worte Gewicht, das ihn niederdrückte. „Ist deine Sehnsucht nach dem Tod so groß? Meinst du nicht, dass das selbstsüchtig ist?“

„Selbstsüchtig?“, platzte es aus Rene und er sah ihn empört an. „Was soll daran selbstsüchtig sein, sich für jemand anderen zu opfern und…argghhh…!“

Wütend drehte er sich von ihm weg und schaute finster in das Feuer. „Es ist doch sinnlos!“

„Genauso wie es sinnlos ist, dich zur Vernunft zu bringen! Dir bewusst zu machen, dass deine Familie über dein Ende am Boden zerstört sein wird!“

„Und wieso nimmst du dann nicht diesen Fluch von mir? Wieso willst du mein Leben, wenn du um den Schmerz meiner Familie weißt! Das klingt doch alles…irgendwie falsch!“

„Jeder stirbt einmal. Früher oder später. Der Tod lässt nicht mit sich verhandeln. Ganz im Gegenteil zu mir!“

Rene sagte nichts, sondern schaute zu Boden. Beobachtete die Flammen, die über den glattpolierten Eisboden tanzten und ihn golden schimmern ließen.

Musste seinen Ärger unterdrücken.

Wie konnte sich der Wolfsprinz nur mit dem Tod vergleichen?

Der Tod war zwar etwas Tragisches und endgültig. Aber er war natürlich.

Der Wolfsprinz hingegen…seine Grausamkeit…nicht…

Das war wirklich ein geschmackloser Scherz.

Doch darüber ein Wort zu sagen, wäre sinnlos. Wie alles andere auch. Das einzige, was er tun konnte, war sich damit zufrieden zu geben. So schwer und so wider es ihm auch war.

Erneut schaute er auf seinen Unterarm.

„Wie…wie wirkt dieser Fluch?“, fragte er vor sich hin. Er konnte nicht leugnen, dass er es wissen wollte. Obwohl er es sich schon denken konnte.

Wenn er schon durch diesen Fluch sterben würde, so wollte er wissen, wie dieser ihn tötete.

Mandariel sagte nichts, sondern nahm seinen Unterarm und betrachtete ihn wie ein Arzt.

Ohne etwas zu sagen, nahm er den Finger und ließ ihn leicht spürbar über Renes Haut wandern. Folgte den Linien. Rene lief es kalt den Rücken runter, bei dieser Berührung. Es war aber nicht unangenehm.

Er fühlte, wie sein Herz wild in seiner Brust zu hämmern begann und er fürchtete, aus einem ihm nicht bestimmten Grund, dass der Wolfsprinz es hören könnte.

Fragte sich dabei wieso sein Herz so schnell schlug und wieso er es zuließ.

Er müsste seinen Arm doch eigentlich wegreißen. Ihn von sich wegstoßen. Stattdessen blieb er still sitzen und sah zu, wie sein Finger auf und ab wanderte.

Neben dem Schauer, der immer und immer wieder seinen Rücken hinunter lief, spürte er auch, wie sich die feinen Haare auf seinem Unterarm aufstellten. So als würde er frieren. Aber er fror nicht. Stattdessen spürte er Wärme in sich aufkommen. Was ist das bloß?

Wieder ein Trick von ihm?

„Das Eis umhüllt deine Blutgefäße. Doch es wird weiterhin fließen. Es durch die Blutbahnen weitertragen, durch deinen Körper. Es wandert immer weiter hinauf, bis zu deinem Herzen!“, erklärte Mandariel, der wohl nichts von Renes Reaktion bemerkte. Sein Finger wanderte nun weiter. Über Renes Oberarm, seiner Schulter, über seine Brust und dann zu der Stelle, wo sein Herz hämmerte. Verweilte nun dort.

Rene schluckte, weil sich auf einmal sein Hals trocken anfühlte. Betete, dass der Prinz das Pochen seines Herzen nicht bemerkte. Um sicher zu sein, fragte er:„ Werde ich Schmerzen haben?“

Er war erschrocken, wie sehr seine Stimme zitterte.

Wieso brachte ihn der Wolfprinz so aus der Fassung?

Mandariel schüttelte den Kopf. „Nein, wenn es so weit sein wird, wirst du nichts spüren. Es ist wie als wenn du einschlafen würdest. Dein Herz wird schwächer werden und dann aufhören zu schlagen!“

„Ein sanfter Tod!“, murmelte er. „Das hätte ich nicht gedacht!“

„Ich sagte doch, wäre es ein Fluch, wäre dieser weitaus schlimmer, als du dir vorstellen kannst!“
 

Wieder einmal hatte der Herr den Jungen. Warum auch immer.

Hatte er zu Anfang gedacht. Als er sah, dass sein Herr ihm den Dolch wiedergeben wollte, fragte er sich, ob er noch bei Verstand sei. Er sollte doch wissen, dass dieser Junge den Dolch ohne zu zögern wieder gegen ihn richten würde.

„Haltet Ihr das wirklich für klug?“, hatte er ihm ins Gewissen geredet. „Was wenn er es wieder versucht?“

Aber sein Herr schob seine Bedenken beiseite. „Das wird er nicht. So dumm ist er nicht!“

Mandariel schien sehr überzeugt davon zu sein. Ardou aber nicht.

Daher hielt er sich in der Nähe auf und beobachtete sie.

Rechnete damit, dass der Junge Mandariel mit dem Dolch angriff. Wenn das der Fall wäre, würde er nicht zögern, und ihm die Kehle durchbeißen.

Doch nichts dergleichen passierte. Das wunderte Ardou ein wenig und sein Wundern wurde größer, als er sah, wie Rene den Dolch ins Feuer warf.

Was hatte ihn dazu gebracht?

Vielleicht das Einsehen, dass es nichts bringen würde.

War er doch noch vernünftig geworden?

Wobei konnte er sich das bei diesem jungen Heißsporn nicht vorstellen.

In seinen Augen sah er nicht so aus, als würde er sich einfach so fügen. Und doch musste er sich etwas dabei gedacht haben, dass ihn dazu brachte die einzige Waffe, die etwas gegen den Wolfsprinzen ausrichten konnte, zu verbrennen.

Aber wer weiß. Vielleicht sah er es endlich ein.

Dennoch blieb er misstrauisch.

So stand er auf dem Balkon und schaute hinunter ins Tal. Sah das Dorf.

Seine Bedenken, was diesen Jungen anging, war deutlich auf seinem Gesicht zu sehen.

Fragte sich, was er von ihm halten sollte.

Er war dabei so sehr in Gedanken versunken, dass er erst die zierliche Frau bemerkte, als sie neben ihm stand und ihn ansprach:„ Was geht dir durch den Kopf?“

„Dieser Junge!“, sagte er.

Die Frau nickte. „Was hälst du von ihm, Nima?“, fragte er nun.

Ardou und drehte sich zu ihr herum.

Sie hob die Schultern. „Er ist zwar ein wenig ungehobelt. Aber ich glaube, er hat ein gutes Herz!“, sagte sie und tippte sich mit dem Finger ans Kinn. „Ein guter Sänger ist er zumindest!“

Ein freches Grinsen huschte über ihr Gesicht. Ardou sah sie zweifelnd an.

Sie klang wie ein Mädchen, das für einen Jungen schwärmte. Dabei war sie so alt wie er. Aber sie war auch eine Frau. Und Frauen neigten wohl zu romantischen Dingen, wie wenn ein Mann sang. Mochten sie menschlichen oder wölfischen Blutes sein. Das spielte wohl keine Rolle.

Dennoch missfiel ihm das. Sie war ebenso verpflichtet ihm zu dienen und ihn zu schützen, wie Ardou selbst. Und sollte sich davon nicht einwickeln lassen.

„Mal von seinem Gesang abgesehen. Fragst du dich nicht auch, was sich der Herr dabei gedacht hat?“, fragte er.

„Sicher, sein Handeln ist wirklich ungewöhnlich. Ich habe auch nicht erwartet, dass er dich davon abhielt ihn zu töten!“, sagte sie nun nachdenklich. „Was hat ihn wohl dazu gebracht?“

„Ich habe keine Ahnung. Aber ich werde diesen Jungen im Auge behalten. Ich traue ihm nicht!“, knurrte Ardou.

Nimas Gesicht nahm auf einmal einen traurigen Ausdruck an. In ihr kam ein Verdacht, oder vielmehr ein Gedanke, der zwar nicht angenehm war. Aber sie dennoch nicht los ließ. Wie alle Wölfe wusste sie von der Prophezeiung, in der es um ihren Herrn ging und es ließ ihr das Herz schwer werden, bei dem Gedanken, dass sich diese bald erfüllen könnte.

Auch wenn Ardou sicher nicht begeistert sein wird, wenn sie es aussprach, musste sie es tun. Zögernd begann sie. „Glaubst du…glaubst du er könnte es sein, der…!“

Ardou drehte sich zu ihr herum und seine Augen durchbohrten sie augenblicklich. Denn auch wenn sie es nicht ausgesprochen hatte, wusste er, von was sie da sprach.

„Der die Prophezeiung wahrwerden lassen könnte?“, wagte es Nima dennoch, kämpfte dabei darum ihre Stimme nicht beben zu lassen. Jedoch war ihr an zusehen, dass sie sich nun vor Ardou und seiner Reaktion fürchtete. Sie machte einen Schritt zurück, um seiner Wut ein wenig zu entgehen. Wartete dabei darauf, dass er seine Hand gegen sie erhob.

Sie waren beide zwar Wölfe, aber er stand über ihr.

Noch einige Minuten hielt er seinen unbarmherzigen Blick auf sie gerichtet. Doch statt sie für ihre unmöglichen Worte zu strafen, wandte er sich ab. Stützte sich dabei an der Brüstung ab. Seine Finger bohrten sich dabei in das Eis von dieser und hinterließen tiefe Risse.

In seinen Augen funkelte es bedrohlich.

„Wenn er es ist, dann werde ich ihn erst recht töten!“
 

*Das die dunkle Linie, die sich von der Wunde zum Herzen vorarbeitet und zum Tod führen kann, ist leider nicht wirklich das klassische Merkmal einer Blutvergiftung...

Das Symptom deutet auf eine Entzündung der Lymphgefäße hin, eine Lymphangitis. Es ist also kein eindeutiges Zeichen für eine Sepsis, sondern lediglich ein Hinweis auf eine örtliche Entzündung.
 

Aus einer solchen Entzündung kann sich allerdings – wie aus jeder Infektion – im ungünstigen Fall eine Blutvergiftung entwickeln. Die Lymphangitis sollte deshalb trotzdem rasch ärztlich behandelt werden, damit es möglichst gar nicht erst zu einer Blutvergiftung kommt
 

Aber damals mussten die Leute das wohl geblaubt haben...



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Kommentare zu diesem Kapitel (3)

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Von:  Black83
2016-08-28T18:48:35+00:00 28.08.2016 20:48
Hallo. Ich finde die ganze geschicht super und frage mich wie es weiter geht. Es gibt ja viele offne fragen. Lg Beate
Von:  Zebran20121
2015-10-15T11:48:05+00:00 15.10.2015 13:48
Hallo

das Kapitel ist gut geworden. da steht der Familie noch einiges an Ärger bevor aber ob sie es wirklich wagen würden der Großmutter etwas an zu tun? so tief können ja nicht mal die sinken einer alten (wenn auch sehr bissigen) Frau ein leid zu zu fügen. und das Rene diesen alten schachteln die Meinung gegeigt hat war richtig super sowas kann ich nicht leiden grundlos über andere her zu ziehen das is ja schon Mobbing. du hast mich mit dieser am Rande erwähnten Prophezeiung riht neugierig gemacht was sie wohl besagt?. ich bin schon richtig gespannt wie es weitergehen wird.

LG Zebran
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
15.10.2015 15:27
Ich würde Renes Großmutter nicht bissig nennen^^ Eher temperamentvoll...^^
Mann kann nie wissen, zu was diese Leute noch im Stande sind...Das ist ja das schlimme an der menschlichen Natur
Von:  Scorbion1984
2015-10-11T12:34:42+00:00 11.10.2015 14:34
Super ,warte auf die Fortsetzung !!
Antwort von:  Mad-Dental-Nurse
11.10.2015 14:35
Hehe* sie wird dir gefallen ^^ denn da geht es etwas mehr zur sache...aber noch lange nicht ins bett...mit den beiden ^^*kicher*


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