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Opus Magnum

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Faire de Funambule - Opus III

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[RIGHT][RIGHT]Faire de Funambule - Opus III[/RIGHT][/RIGHT]

 

 

Der Schlag Lycrams traf ins Ziel – und für eine Sekunde war es, als wäre die Zeit eingefroren.

 

Geschockt starrte Ri-Il den über ihm aufgetauchten Lycram an, genau wie der sich aufrappelnde Darius; und auch der König selbst sah überrascht aus, als er hinter Ri-Ils ehemaligem Schreibtisch und kurz vor den leuchtenden Bildschirmen landete, wo auch Mekare ungläubig die Augen aufgerissen hatte.

„Was machst du denn hier, Bengel?“ Kasras Stimme und sein Gesichtsausdruck verdeutlichten seine Unzufriedenheit; nicht wegen der Faust, die ihn getroffen hatte, sondern wegen der ungebetenen Störung seines so lang herbeigesehnten Vergnügens. Er war einem Kampf zwar nie abgeneigt, aber er mochte Lycram nicht. Was tat er hier überhaupt und warum sah er so wütend aus? Naja, konnte eigentlich egal sein, dachte Kasra und fand sein Grinsen wieder – das war eindeutig eine Widerwehr gewesen; es war also Zeit für ein wenig Musik!

 

Da der Fürst, der für Mekare zuständig war und den anderen Bescheid geben sollte, dass sie mit der Tortur beginnen sollten, aber von Lycrams plötzlichem Auftauchen genauso überrascht war wie alle anderen, schaltete er nicht sofort und Kasra sah sich gezwungen, das selbst zu übernehmen – er hatte sich gerade herumdrehen wollen, als die blauen Fäden Lycrams schon auf ihn zuschnellten, die er allerdings mit einer fast schon beiläufigen Hand zerschnitt.

„Pah! Mit solch billigen Tricks kommst du bei mir nicht weit, Narr!“

 

Aber jemand anderes kam mit „billigen“ Tricks sehr weit.

 

Lycram hatte Ri-Il die Zeit gegeben, die er gebraucht hatte, um sich aufzurichten; nur ein, zwei Sekunden waren notwendig gewesen, um Ri-Il sämtliche Schmerzen beiseite drängen zu lassen und nun stand er mit beiden Füßen wieder fest auf dem Boden – und der Tropfen Blut, der sich von seinem Oberkörper löste und in diesem Moment auf den Boden fiel, sollte der letzte sein.

 

Darius spürte, wie die Tränen der Freude in ihm aufstiegen, zusammen mit neugewonnener Kraft und Zuversicht; ja, auch Lycram, der eben noch ernster denn je ausgesehen hatte, konnte sich nicht gegen das ehrlich erfreute Lächeln auf seinem Gesicht wehren, als er Ri-Il neben sich stehen sah.  

So wollte er Ri-Il sehen. So und nicht anders.

 

„Majestät.“ Unablässig starrte Ri-Il den zuerst ziemlich verdutzt dreinblickenden, nun aber wieder grinsenden König an; die immer noch brennende Wut in den Augen Ri-Ils entfachte die Vorfreude auf einen spannenden Kampf in ihm – aber es sollte anders kommen.

 

„Ihr habt mich nun belehrt und ich denke, ich werde viel von Eurer Lektion lernen – daher lasst mich nun Euch etwas beibringen.“ Kasra lachte belustigt; für einen Augenblick schien er seine geplante Tortur ganz vergessen zu haben:

„Ich bin ganz Ohr, Ri-Il!“ Aber Ri-Il stimmte nicht in die Heiterkeit seines Königs ein; ihm war absolut nicht nach Spaßen zumute – und auch Kasra würde das Grinsen schnell vergehen.

Alter… Majestät, ist nicht gleichgesetzt mit Schwäche.“ Es war sofort dahin, aber Kasra war für einen Augenblick zu versteinert, um Ri-Il am Fortfahren zu hindern – war das Zufall oder woher…?!

„Lange zu leben bedeutet Erfahrung. Es bedeutet, Zeit zu haben, um zu lernen, zu verstehen.“ Erstaunt sahen die Anwesenden, wie ein orange leuchtender Ring sich unter Ri-Il ausbreitete, ähnlich wie das sachte Kräuseln auf einer Wasseroberfläche, das sich nun auch ausbreitete mit den spitzen Schnabelschuhen Ri-Ils als Zentrum.

„Und in meinen 689 Lebensjahren habe ich natürlich gelernt, wie man einen Teleportationsbannkreis neutralisiert, Hoheit!“

 

Ein lautes Klirren und Knacken war zu hören, wie das Zerbersten von Glas; doch trotz diesem Getöse war Kasras Lachen immer noch zu hören, der Ri-Ils Aktionen falsch deutete – aber das Lachen blieb ihm schnell im Halse stecken.

 

Ri-Il bewies mal wieder, dass er nicht umsonst den Titel des schnellsten Dämons der Dämonenwelt trug – nur Lycram hatte bemerkt, wie Ri-Il sich bewegte und musste augenblicklich grinsen; erfreut, fast schon bejubelnd. Aber auch er war überrascht über das, was Ri-Il tat. Ri-Il war direkt vor Kasra aufgetaucht, dessen Lachen immer noch im Raum nachhallte, hatte seine Hand auf dessen Brustkorb platziert und sagte klar und deutlich:

„Hiermit setze ich dich vor die Tür, Kasra!“

 

Und tatsächlich verschwand Kasra auch. Nicht freiwillig, sondern von Ri-Il wegteleportiert. Aber damit nicht genug, denn natürlich war Ri-Il klar, dass Kasra sich einfach zurück teleportieren konnte. Aber er hatte genug königlichen Besuch bekommen.

Mit seiner berühmt berüchtigten Schnelligkeit ließ Ri-Il sein linkes Bein auf eine der Tatami-Matten herniedersausen, wodurch diese sich beiseite klappte und plötzlich – die Anwesenden hatten keine Ahnung, wo das Teil plötzlich herkam – sprang Ri-Il eine längliche, um die 40 Zentimeter lange Kapsel in die Hand, die gefüllt zu sein schien mit pink-leuchtender Magie.

Ein magischer Stoß ging durch die Anwesenden und immer noch unwissend darüber, was gerade geschah, sahen sie, dass ein Timer auf der gläsernen Oberfläche der Kapsel aufgetaucht war – aber von Ri-Il keine Spur.

 

„Was zur Hölle…“

 

Dann sahen Darius und Lycram das, was Ri-Il bereits in den Gedanken seiner ehemaligen Kunden gehört hatte. Panische, gequälte Schreie voller Schmerzen und Pein ließen den Raum förmlich vibrieren und dröhnten in den Ohren der beiden anwesenden Dämonen nach.

100 Frauen, deren Seele förmlich aus dem Leib gerissen wurde.

Dann Stille. Alle Bildschirme hatten sich rot gefärbt.

 

Im gleichen Augenblick, als der Timer auf der eigenartigen, über Ri-Ils Schreibtisch schwebenden Kapsel anzeigte, dass die ersten 10 Sekunden vergangen waren, kehrte Ri-Il zurück.

Erleichtert jauchzte Darius förmlich auf; denn Ri-Il trug die unbekleidete Mekare im Arm.

Völlig aufgelöst und erst jetzt wirklich begreifend, wo sie war, warf sie sich erleichtert um Ri-Ils Hals, der trotz allem Gedankenlesen kurz über ihre Gefühlsreaktion überrascht schien – ihr dann aber beruhigend den Kopf tätschelte, während Darius sich respektvoll die Augen bedeckte angesichts von Mekares Nacktheit – Lycram hatte einfach nur die Arme verschränkt und wartete ungeduldig auf Antworten.

 

„Ri-Il! Ri-Il! Ich bin so froh… so froh, dass es dir gut geht… so froh! Verzeih, dass wir dich in so eine… in so eine…“ Dann schlug Mekare die Augen auf und sah die blutroten Bildschirme hinter Ri-Il und die Erkenntnis, dass sie die einzige der 100 Frauen war, die Ri-Il hatte retten können, verschlug ihr die Sprache.

 

„So, Ri-Il – ich denke, du bist uns eine verdammte Erklärung schuldig!“   

 

 

Youma war ratlos. Verwirrt drehte er sich herum, als würde Nocturn plötzlich wieder auftauchen, aber das tat er nicht. Youma war gänzlich alleine an diesem Strand, die Hengdi an sich gedrückt, die ihm natürlich auch keinen Anhaltspunkt gab.

Die Wahrscheinlichkeit, dass er alleine irgendwo hingegangen war, war unrealistisch, dachte Youma, der, weil er keinen konkreten Plan hatte, anfing über die Steine zu klettern, um den Weg nach Osten einzuschlagen. Es hätte genauso gut Westen sein können; Youma hatte einfach das dringende Bedürfnis, sich zu bewegen, egal in welche Richtung. Er konnte nicht stehen bleiben. Er konnte es einfach nicht, dafür war er viel zu nervös.

 

Er machte sich nicht nur Sorgen um Nocturns Aufenthaltsort, sondern besonders um seinen Zustand. Seinen seelischen Zustand.

Nur einen kurzen Augenblick lang hatte Youma das schreckliche Bild von Nathiel gesehen; wie sie gleich neben der Tür, als hätte sie nur auf Nocturn gewartet, mit dem Torso und dem Rumpf von Raria gesessen hatte und… Youma spürte, dass ihm schlecht wurde.

 

Hatte er schnell genug gehandelt? Hatte er verhindern können, dass Nocturn das sah? Der Tod Rarias war an sich schon schlimm genug… ihren toten Körper so geschändet zu sehen… Youma hoffte inständig, dass er schnell genug gehandelt hatte. Hoffentlich. Hoffentlich.

Er durfte keine Zeit verlieren. Egal ob Nocturn etwas gesehen hatte oder nicht, er war in einem Zustand, in dem er Trost und Beistand brauchte – und vielleicht auch noch in Gefahr. Vielleicht sogar in größerer Gefahr, als er es sich vorstellen konnte…

War er vielleicht bei Kasra?! In Lerenien-Sei, im Schloss – in seinen Fängen?!

Aber was wenn nicht? Wenn Nocturn woanders war? Kehrte Youma einmal ins Schloss zurück, dann kam er von dort nicht mehr weg… Kasra würde ihn nicht gehen lassen. Es war sowieso schon ein Wunder, dass Youma noch so unbehelligt geblieben war.

Es gab nur eine Möglichkeit: Er musste sich auf göttlichen Beistand verlassen.

 

Und als hätte dieser seine Gedanken gehört, hörte Youma plötzlich ein Aufstöhnen; sichtbar wurde der ehemalige Dämonenherrscher aber nicht.

„Youma-kun, bitte nicht!“ Seine Stimme klang theatralisch, aber auch aufrichtig besorgt.

„Frage mich nicht! Ich habe dir schon einmal gesagt, dass ich nur ein Zuschauer bin und dass ich mich nicht einmische…“

„Aber Ihr wisst, wo Nocturn sich befindet?“ Der unsichtbare Angesprochene schwieg und es dauerte lange, bevor er antwortete:

„Ja.“ Seine Antwort klang sehr ernst, aber obwohl sie es tat, setzte er mit einem Thema fort, für welches Youma in diesem Moment absolut kein Ohr hatte:

„Aber nur weil er bei eurem Probekampf wirklich Rückgrat gezeigt hat und ich seine Faust in Kasras schmieriger Visage gefeiert habe, bedeutet das nicht, dass er in meiner Gunst gestiegen ist-“ Youmas wütende Stimme unterbrach ihn:

„Eure sogenannte „Gunst“ könnte mir nicht egaler sein!“ Der namenlose Dämonenherrscher blickte angesichts von Youmas Wut ein wenig verdattert drein, immerhin war ein solcher Gefühlsausbruch eine kleine Seltenheit von Youma – aber er war noch nicht zu einem Ende gekommen:

„Ich liebe ihn.“ Nicht nur, dass diese Worte sehr ernst ausgesprochen waren; Youma wurde auch noch rot – alles keine Mischung, die seinem Gönner gefallen wollte.

„Sollte das nicht für Euch am Wichtigsten sein?“ Was für ein gemeines Argument.

„Dein Wohlbefinden ist mir am Wichtigsten.“ Und bevor Youma erwidern konnte, dass die zwei Dinge miteinander verknüpft waren, tauchte der namenlose Dämonenherrscher unmittelbar vor Youma auf, was diesen zum Stillstand, aber nicht ins Wanken brachte.

„Er bedeutet Unheil für dich, Youma-kun.“ Youmas Augen verengten sich und die wohbekannte und vom Dämonenherrscher so geliebte Skepsis, die er von seinem Vater geerbt hatte, tauchte in seinen schwarzen Augen auf. Natürlich wusste Youma selbst gut genug, dass er in Gefahr schwebte und dass seine Liebe zu Nocturn dieser Gefahr einen riesigen Nährboden gab, aber…er konnte sich kein Bild davon machen, wie riesig dieser Nährboden eigentlich war. Er hatte die Blicke Kasras vergessen, die ihn aufgesogen hatten… die Augen, die vor Verlangen schrien. Aber er hatte es nicht. Er hatte es nicht.

 

„Ich weiß, was die Konsequenzen meines Handelns sind – aber ich kann Nocturn nicht im Stich lassen. Hättet Ihr meinen Vater im Stich lassen können?“ Diese Frage ließ den namenlosen Dämonenherrscher stutzen. Es war selten – vielleicht war es sogar das einzige Mal – dass Youma die Liebesbeziehung, die sein Vater und der namenlose Dämonenherrscher geführt hatten, ansprach. Er wusste natürlich, warum: Youma wollte nicht akzeptieren, dass es in dem Leben seines Vaters mehr als seine Mutter gegeben hatte, ganz gleich, ob diese die Beziehung, die Luzifer und sein Gebieter hatten, gebilligt hatte oder nicht. Youma billigte sie nicht. In seinen Augen war sie der Grund dafür, dass er nicht die Chance erhalten hatte, ein normales Familienleben mit seinem Vater zu haben – und… zugegeben, das war wahr. Dennoch tat es dem namenlosen Dämonenherrscher manchmal weh zu hören, in was für einem kalten Tonfall Youma von seinem doch so geliebten Luzifer sprach, wo er doch sein Vater gewesen war und trotz der Umstände immer das Beste für seine Kinder gewollt hatte.

Vielleicht war das der Grund, weshalb der namenlose Dämonenherrscher unwillkürlich lächeln musste, als Youma dieses Argument brachte.

 

„Das Beste ist, wenn du dich zu Ri-Il aufmachst“, ergab er sich dann, mit einem wehmütigen Lächeln.

„Zu Ri-Il? Ist Nocturn etwa bei Ri-Il?“ Der ehemalige Dämonenherrscher schüttelte den Kopf und sein Lächeln wich:

„Aber es ist das Klügste, sich jetzt dahin aufzumachen. Du wirst dann sehen warum.“ Wieder zeigte sich Skepsis in Youmas Augen:

„Bringt mich das zu Nocturn?“  

„Ich bin allmächtig. Aber kein Hellseher, Youma-kun. Ich sage nur, was ich jetzt getan hätte, wäre ich an deiner Stelle und eben nicht… naja, mit meinen Fähigkeiten ausgestattet.“

„Kann ich Euch vertrauen?“ Ein Grinsen tauchte auf dem Gesicht des namenlosen Dämons auf, ehe er sich auflöste:

„Diese Frage kannst du wohl selbst am besten beantworten.“

 

 

Akai, Karou und Suren, der Hauptkommandeur Kasras, waren alle mit derselben Frage beschäftigt: was ging in Kasras Kopf vor? Das schmale Lächeln auf seinem Gesicht wirkte angestrengt und nicht wirklich erfreut, wie er wie sie vor der pink leuchtenden Magiebarriere stand und diese anstarrte, als würde sie sich seinem Blick ergeben. Aber wäre er wütend, dann hätte es einer von ihnen oder deren Hordenmitglieder bereits zu spüren bekommen und bis jetzt tat er nichts, außer in sich hinein zu grübeln und dabei bedrohlich mit den Fingern auf seinen verschränkten Armen zu trommeln – und natürlich 99 Frauen zu Tode foltern zu lassen.

„Ich hoffe, das hast du aufgenommen, Karou?“ Karou nickte ergeben, antwortete aber nicht, stattdessen wandte sich Suren an seinen König. Ein überaus treuer, ebenfalls sadistisch veranlagter Dämon, der der festen Überzeugung war, Kasra wäre das Beste, was der Dämonenwelt hätte geschehen können.

„Meine Hoheit, in der Zwischenzeit könnten wir ja Lycrams Gebiet einen Besuch abstatten?“ Das Lächeln auf Kasras Gesicht verschwand, aber er wählte, seinen Kommandeur mit Ignoranz zu strafen, indem er sich wieder Karou zuwandte:

„Hast du jetzt endlich herausgefunden, wie lange diese Barriere uns den Weg versperren wird?“ Karous Finger flitzten weiterhin über die Tastatur seines kleinen, handlichen Computers, während er antwortete:

„Knapp 24 Stunden, Majestät.“  

„Wie viel ist das in Flammen?“

„Fünfeinhalb.“ Kasra überlegte kurz, ehe er antwortete:

„Ist die Barriere aufbrechbar?“

„Sicherlich, aber das würde mehr Zeit in Anspruch nehmen. Ri-Il bedient sich Wächtermagie.“

„Was für eine Schande für einen Dämon!“, rief Suren empört und Akai beeilte sich, dem natürlich zuzustimmen. Aber Kasra verblieb schweigend; erst nach einer Weile schlussfolgerte er:

„Gut, dann soll er doch da drinnen schmoren und auf sein Ende warten.“ Er wandte sich dann endlich von der Barriere ab und richtete sich an seinen Kommandeur und Akai, Suren bereits in freudiger Erwartung, in Lycrams Gebiet entsendet zu werden, aber Kasra ließ diese Freude verpuffen.

„Um Lycram kümmere ich mich, sobald Ri-Il sich in Lerenien-Sei befindet.“

„Aber wir haben doch jetzt genug Zeit und ich hätte ja…“ Der Blick Kasras ließ seinen Kommandeur nicht nur sofort schweigen, sondern auch kleiner werden – so klein, dass man meinen konnte, er wollte eins werden mit der Erde unter seinen Füßen.

„Du bleibst hier und bewachst zusammen mit Akai die Gebietsgrenze. Ich will natürlich sofort informiert werden, wenn sich etwas tut.“ Obwohl der Kommandeur sofort ergeben nickte, verriet sein Gesicht, dass er sich nicht gerade darauf freute, 24 Stunden lang nichts zu tun; Akai dagegen war sehr froh über diese Aufgabenverteilung.

 

 

„Ich will alle Daten, die du zu Lycram finden kannst. Ich wusste von Anfang an, dass seine Ernennung zum Fürsten ein Fehler war!“, fluchte Kasra, als er und Karou schnellen Schrittes über die Brücke gingen, die Lerenien-Sei mit dem Schloss verband, denn auch der König selbst konnte sich nicht in sein Schloss hineinteleportieren.

„Als ob es so besonders wäre, einen Hikari zu töten!“, fuhr er fort und bemerkte zum Glück nicht, wie Karou mit der Stirn runzelte; immerhin sprachen sie von einem Hikari wie Shaginai, der eine gesamte Dämonenrasse akribisch ausgerottet hatte. Aber das hatte Kasra wohl vergessen und es kam ihm auch nicht in den Sinn, als die beiden gehörnten Dämonen an dem Bildnis von Menuét vorbeigingen, die immerhin zu jener Rasse gehört hatte.

„So weit ich informiert bin, meine Hoheit… hat Lycram eine Familie.“ Er musste nicht mehr sagen; das war schon genug, um Kasras Wut spürbar zu senken. Sofort tauchte ein schelmisches Lächeln auf dem Gesicht des Königs auf:

„Eine Familie sagst du? Mit Kindern?“

„Ein Sohn und eine Tochter. Es sind die Kinder seines Halbbruders.“

„Aaah, das klingt gut. Darauf freue ich mich.“

 

Das Schloss von Lerenien-Sei war bis auf das Dienstpersonal leer. Niemand hielt sich hier länger auf als notwendig. Nach den Konferenzen eilte der Sprachführer immer schnell zurück in sein Gebiet, froh, es heil überstanden zu haben; vielleicht machte er vorher noch einen Abstecher in die berühmte Bar von Lerenien-Sei, aber das war das höchste der Gefühle. Kein Dämon kreuzte daher ihren Weg.  

 

Eigentlich wollte Karou es Kasra gar nicht mitteilen, aber er musste. Er wusste, es führte kein Weg daran vorbei; dennoch wartete er, bis sie den Schacht erreichten, der alle Zirkel miteinander verband.  

„Nathiel-san wartet im dritten Zirkel auf Euch.“ Kasra warf ihm von der Seite her ein grimmiges Lächeln zu; scheinbar hatte er gespürt, dass Karou mit sich selbst gerungen hatte, es ihm mitzuteilen.

„Ah, keine Sorge, Karou – das eine Mal hat mir gereicht! Ich werde dir deine kleine Nutte schon nicht entreißen.“ War das der Moment, wo Karou sich bei ihm bedanken musste?

 

„Wie ich bereits sagte…“, begann Kasra, die Finger ineinander faltend auf der Stelle schwebend, sich noch einmal nach Karou umdrehend, ehe sie in verschiedene Richtungen flogen:

„Ich will nur ein kleines Gespräch mit ihr führen, danach schicke ich sie wieder zu dir!“ Dann stieg er nach oben, während Karou ihm nachsah, ehe er sich in den untersten Zirkel begab. Ihm war, als wäre Kasra schneller als üblich nach oben gestiegen… als würde er sich auf etwas freuen.

 

Und das tat er tatsächlich. Er hatte noch 5 Flammen, mehr als genug Zeit, um sich seinem persönlichen Vergnügen zu widmen. Ah, nein, das war falsch formuliert.

„So, Nathiel…“ Diese Worte weckten die blutverschmierte junge Frau aus ihrem Trance-ähnlichen Zustand, in dem sie sich befunden hatte, nachdem sie nach Lerenien-Sei zurückgekehrt war. Jetzt, als sie die Stimme ihres Herrschers hörte, schreckte sie aber auf und verneigte sich augenblicklich tief, was einen guten Eindruck bei Kasra hinterließ. Er wunderte sich natürlich nicht über das viele Blut oder ihren metallischen Geruch – er wusste immerhin, woher es stammte und wem es gehörte.

 

„…jetzt erzählst du mir alles, was du von Nocturn weißt.“  

 

…die richtige Formulierung war, dass er doch Youmas Willkommensgeschenk vorbereiten musste!

 

 

Dieser ahnte eine Menge Unheil, aber das, was Kasra momentan plante, das ahnte er nicht, immerhin hatte er selbst noch nicht gänzlich erkannt, dass Nathiel der Schlüssel war… wieder einmal war Kasra ihm einen Schritt voraus. Dieser hatte aber auch gesehen, wie Nathiel sich plötzlich, nachdem Kasras Wut über Rarias… Botschaft abgeflaut war, in das Blut ihres Zwillings geworfen und ihm Dinge offenbart hatte, die für Kasra unglaublich interessant waren. Mehr als interessant: man konnte sie eher… inspirierend nennen.

 

Nein, Youma wusste nichts von diesen Dingen. Er befand sich vor dem Gebiet Ri-Ils, verwundert dort gelandet, nachdem er bemerkt hatte, dass er sich nicht direkt in dessen Gebiet teleportieren konnte. Kein Wunder, denn Youma erkannte die Wächtermagie natürlich sofort und wusste somit, dass es für ihn kein Eindringen gab - außer die Person, die sie errichtet hatte, brachte ihn persönlich hinein.

Was war hier nur geschehen? Warum war ein Teil von Kasras Horde anwesend und hatte das Gebiet umstellt? Und… war das nicht auch Akais Horde?

Was ging hier vor sich – und viel wichtiger, warum hatte sein Gönner gesagt, er solle hierhin kommen, um schlussendlich zu Nocturn zu finden, wenn er nicht einmal in das eigentliche Gebiet von Ri-Il dringen konnte?

 

 

Innerhalb der beschützenden, pinken Barriere hatte Ri-Il Darius, Mekare und Lycram gerade die Lage geschildert, die Arme vor seiner Brust verschränkt, gar nicht darauf achtend, dass die drei anderen Dämonen ihn absolut ungläubig anstarrten, seiner Erklärung trotz dem Ernst der Lage nur mit halbem Ohr folgend, was Ri-Il nun nicht mehr unkommentiert ließ:

Ja, meine Haare sind temporär zu ihrer natürlichen Haarfarbe zurückgekehrt. Noch irgendwelche Fragen?“

„Warum trägst du deine Haare nicht öfter so? Das sieht gut aus!“, fragte Mekare, begeistert von Ri-Ils langen, leicht gekräuselten schwarzen Haare. Ri-Il konnte sich ein leichtes Schmunzeln nicht verkneifen; Mekare hatte das Lächeln schnell wieder gefunden, nachdem Darius losgestürmt war und ihr einen Kimono zum Überziehen besorgt hatte – dass dieser blutig geworden war von Darius Wunden, hatte Mekare nicht gestört. Dankend hatte sie ihn angenommen und war sogar ein wenig errötet.  

„Danke, Mekare-chan, aber ich meinte eher strategische Fragen.“ Lycram, der nicht zugeben wollte, dass er genau wie die anderen beiden von Ri-Ils ungewohntem Anblick überrascht war, schoss sofort hervor:

„Ja und ob! Da wäre zum Beispiel die Frage, warum zur Hölle du keine Magieschellen mehr trägst!“ Zugeben; eigentlich wollte Lycram viel lieber wissen, warum Ri-Ils Haare sich plötzlich mitten im Gespräch verändert hatten, aber diese Frage zu stellen war ihm zu peinlich – und im Gegensatz zu Mekare glaubte Lycram langsam zu dem Schluss zu kommen, dass Ri-Il schwarze Haare nicht standen. Obwohl er Ri-Il mit seinen schwarzen Haaren kennengelernt hatte, hatte er fast vergessen, dass schwarz seine natürliche Haarfarbe war und nicht orange… ohnehin klärte das ja nun einmal auch nicht, warum sie jetzt nicht nur plötzlich schwarz geworden waren, sondern warum auch die Frisur sich verändert hatte… Ri-Il und seine Haare… mal flogen sie, mal änderten sie die Farbe. Egal!

 

„Ich habe sie in dem Moment aufgebrochen, als du Kasra angegriffen hast – wie ich das getan habe, bleibt mein Geheimnis, Lycilein!“

„Was!? Warum fragst du verdammter Arsch denn erst nach Fragen, wenn du sie sowieso nicht beantworten wirst?!“ Für den Moment begnügte Ri-Il sich damit, Lycram entschuldigend anzugrinsen, denn er wandte sich Darius zu.

„Darius, ich muss dir meine Hochachtung aussprechen. Du bist der beste Kommandeur, den sich ein Fürst wünschen kann.“ Darius überrumpelte dieses plötzliche Lob offenbar: er lief hochrot an, was unter dem ganzen Blut in seinem Gesicht kaum noch zu sehen war. Dennoch verneigte er sich tief vor seinem stolz lächelnden Fürsten:

„Und ich bin stolz, Euch zu dienen, Ri-Il-sama! Ich warte auf Eure Befehle!“ Ri-Ils so charakterliches Kichern war zu hören, was die drei anderen mit Erleichterung aufnahmen, als bräuchten sie eine Absicherung, dass alles normal war, obwohl so gar nichts mehr normal war.

 

„Darius, mein erster Befehl ist es, dass du an dich denkst und dich verarzten lässt.“ Da übernahm Mekare, als wäre es ein Befehl an sie gewesen, obwohl Ri-Il sie eigentlich gar nicht gemeint hatte. Dennoch legte sie ihren Arm um den absolut perplex dreinsehenden Darius und half ihm die Treppen herunter, während sie ihn für seinen Mut lobte – und auch wenn sein Gesicht für die Übriggebliebenen nicht mehr sichtbar war, konnte man die Röte förmlich aus seinen Worten heraushören.

 

Das Schmunzeln schwand, denn Ri-Il wusste, dass es noch zu früh war, um gut gelaunt zu lächeln. Es gab jetzt viele Dinge, die es zu klären galt; er spürte Youmas Aura vor dem Magiebannkreis und hatte auch vor, ihn gleich zu holen, aber erst einmal wandte er sich Lycram zu, der die Hände in die Hüfte gestemmt hatte und ihn ungeduldig ansah – und wieder huschte ein Blick zu seinen Haaren und wieder unterdrückte er krampfhaft einen Kommentar.

„Am besten wäre es, wenn du Azzazello, Rime und die Kinder hierher bringst.“ Er musste seine Gedanken nicht lesen; Lycrams Gesicht sagte ihm deutlich, dass er die Gefahr, in die er sich selbst und seine Familie durch den Faustschlag gebracht hatte, bis jetzt noch gar nicht bedacht hatte. Er war einfach zu Ri-Il gestürmt, hatte sich direkt zu ihm teleportiert, als er Kasras Aura gespürt hatte… ohne Rücksicht auf irgendwelche Konsequenzen. Jetzt holten sie ihn ein; nicht die Sorge um sich selbst, sondern um seine Familie – aber Lycram ließ sich nicht von seiner Sorge mitreißen. Stattdessen wurde er ernst:

„Ich werde sie sofort holen!“

„Eine Sache noch – erlaube mir einen kurzen Augenblick Egoismus.“

„Huh---?“

 

Mehr konnte Lycram schon nicht mehr sagen; denn Ri-Ils Lippen legten sich auf seine und brachten den sonst immer so lauten Dämonen zum Schweigen.

 

Zuerst geschockt über diese plötzliche und unerwartete Aktion Ri-Ils, weiteten sich Lycrams Augen – aber dann verschwand seine überraschte Widerwehr und mit einem innerlichen Fluchen, welches nur seine Freude vertuschen sollte, schloss er seine Augen und legte die Arme um Ri-Ils Schultern, um ihn noch näher an sich heranzuziehen – erleichtert und glücklich darüber, dass Ri-Il am Leben war.

 

Und in diesem Moment, als würde sich Ri-Ils Magie erneuern, färbten sich seine Haare wieder orange und mit einem beschwingten Wippen kehrten die fliegenden Zöpfe zurück.

 

„Danke, Lycram, ohne dich wäre ich…“

„Ach, halt einfach die Klappe… “Egoismus“, pah!“

 

 

Die Informationen Nathiels hatten Kasra mehr als befriedigt. Er hatte das Gespräch mit großen Erwartungen begonnen, aber nicht geglaubt, dass es so profitierend sein würde, mit Nathiel zu reden. Er hatte es aufgegeben, das Grinsen zu unterdrücken – ah, warum war Youma noch nicht wieder da! Aber nein, er musste sich gedulden, ein wenig Zeit brauchte er ja auch noch… aber oh, wie er sich auf sein Gesicht freute…

 

Kasra sprang die letzten Stufen, die zu den Zellen führten, regelrecht herunter, seine Aufregung kaum noch unterdrückend. Was war sein „Sohn“ doch für ein unglaubliches Geschenk – so unerwartet sinnreich und unterhaltend!

 

Mit einem Faustschlag aktivierte Kasra freudig die für einen Dämon viel zu grelle Beleuchtung der Zelle und genau wie der grinsende König es erhofft hatte – der mitten auf dem schwarzen Boden liegende Nocturn begann, sich zu regen. Obwohl er Sonnenlicht gewohnt sein müsste, kniff er die Augen wieder zu, nachdem er sie kurz stöhnend geöffnet hatte – aber dann musste er sie unweigerlich aufreißen, denn er erkannte, wo er war.

Er erkannte die Person, die breit grinsend in die Zelle hereingekommen war.

 

„Ich hoffe, du hast gut geschlafen, mein Sohn.“

                                         

Und dann konnte Kasra sein Lachen nicht mehr zurückhalten.



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Von:  fahnm
2016-05-15T20:34:25+00:00 15.05.2016 22:34
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